Charley Feather

Gabriele Hoffmann, Harry & Pooh 2007/2008"Gewaltdarstellungen in Kinderbüchern sind differenziert zu betrachten. Es gibt abstoßende Schilderungen, die vollkommen funktionslos lediglich angebliche Bedürfnisse ihrer Leser befriedigen; es gibt unbeholfene Beschreibungen, wenn der Fortlauf der Geschichte bestimmt ist durch brutale Details, auf die die Autoren eigentlich lieber darauf verzichten wollen; und es gibt notwendige Informationen, um die Atmosphäre einer Geschichte glaubwürdig zu vermitteln. In diesem letzten Sinn wird in diesem Kinderroman schon auf den ersten Seiten eine Hinrichtung geschildert, nüchtern beobachtend und aus dem Blickwinkel eines Kindes, das dem Geschehen persönlich betroffen beiwohnt, denn vermutlich wird es in absehbarer Zeit eben dieses Schicksal erwarten. Charley Feather braucht nämlich als Waisenkind, um überhaupt zu überleben, den Schutz von Straßenräubern. Und solche Straßenräuber wurden im London des 18. Jahrhunderts kurzerhand hingerichtet. Um dem zu entgehen, sucht Charley nach Auswegen: daher sein Interesse an der grausigen Hinrichtung und insbesondere daran, wie man durch sein Verhalten dem Strick entgehen kann. Denn das ist möglich, wenn man es geschickt anstellt und weiß, dass Henker einfältig und bestechlich sind. Zur großen Überraschung entpuppt sich Charley auch noch als verkleidetes Mädchen und spätestens dann ist den LeserInnen auch klar, auf welcher Seite sie stehen wollen - natürlich auf der Seite dieses erstaunlich mutigen, klugen Kindes in einer Zeit, die Sentimentalitäten nicht kannte und in der der Überlebenskampf jeden einzelnen unbarmherzig herausforderte. LeserInnen von heute wollen ganz genau wissen, wie das geht, denn die pfiffigen unter ihnen wissen, dass ihre eigene behütete Situation nicht sicher von Dauer ist."