Das Buch der toten Tage
toten...
toten Tage« könnte ihn retten. Boy und seine Freundin Willow machen sich mit dem Magier auf die Suche nach dem sagenumwobenen Buch. Sie ahnen nicht, auf welch ein finsteres Spiel sie sich da einlassen... Ein Jugend-Schauerroman »mit einer aufregenden Handlung und bis zum Schluss fesselnd« (The Guardian). Ab 12.
Das Buch der toten Tage von Marcus Sedgwick
LESEPROBE
Nenne die fünf Prinzipien Cavallos!«, schnappte Valerian.Sie eilten durch die finsteren Straßen der Stadt – der ungeheuren, uralten Stadt,die sich um sie herum in all ihrer verrottenden Pracht ins Dunkel ausbreitete,ein verfilztes Gewirr aus einst prachtvollen Straßen und engen Gassen, nunheruntergekommen und schäbig. Fette Gebäude hockten auf beiden Seiten wie imFinstern lauernde wilde Tiere. Die Stadt. Ehedem war sie die Kapitale einesmächtigen Reiches gewesen. Inzwischen existierte es nur noch in demverdunkelten Geist Fredericks, des über achtzigjährigen Kaisers, derweggeschlossen irgendwo hinter den hohen Mauern des Palastes vegetierte. Vonden verschwommenen Erinnerungen des Kaisers wusste Boy nichts. Seine Weltbegann und endete bei Valerian. Während die beiden durch Cat’s End, einebesonders abscheuliche Straße, liefen, schlugen die Glocken Mitternacht. Der27. Dezember hatte begonnen. Valerian stürmte einen Schritt vor Boy her, dabeihielt er dessen Mantelschöße und zog den halb rennenden, halb stolperndenJungen nach. Er stellte Boys Gedächtnis und Körper gleichzeitig auf die Probe.
»Wird’s bald?«, schnarrte er. »Mysterium«, keuchte Boy, während sieweiterhasteten. »Mysterium und Vorbereitung und... ’tschuldigung.« Er stolperteauf dem Kopfsteinpflaster. Valerian riss ihn förmlich durch die Luft um eineEcke und in eine Seitenstraße. Eine Abkürzung nach Hause. »Was noch?«, schrieValerian. »Mysterium und Vorbereitung und was?« »Führung?« »Irreführung, duHammel!« »Irreführung«, sagte Boy, und bevor Valerian ihn noch einmalanschreien konnte: »... und Praxis und Gewandtheit. – Natürliche Gewandtheit«,fügte er rasch hinzu. Valerian knurrte zufrieden, verlangsamte aber nichtseinen Schritt. Boy stolperte hinterdrein. Da er immer noch seitwärts an denMantelschößen gezogen wurde, konnte er seine Füße nicht richtig setzen. Nachder Vorstellung hatte Valerian ihn lange wütend angestarrt, Boy steckte ingenau den Schwierigkeiten, mit denen er im Stillen gerechnet hatte. Valerianhatte ihn aus der Loge und den kleinen Korridor entlanggezerrt, dann dieTreppen hinunter und hinaus in die Nacht, nicht einmal die Abendgage hatte erabgeholt. Boy hatte noch kaum Zeit gehabt nachzudenken, aber etwas beunruhigteihn dennoch gewaltig. Er selbst hatte von der Bühne bis zur Loge mindestensdrei Minuten gebraucht, Valerian aber bloß ein paar Sekunden. Wenigstens hattees so den Anschein gehabt – andererseits wusste Boy aus Erfahrung, dass er beiValerian nicht allem trauen durfte, was er sah. Man konnte bei ihm eigentlichnie ganz sicher sein. Sie zogen weiter durch die Stadt, immer noch hatteValerian Boys Mantelschöße fest im Griff. Von weitem mussten sie wie einsonderbares Tier aussehen. Sie kamen durch Gutter Street. Auch wenn es indieser Gegend der Stadt keine Straßenschilder gab (sie war für solcheFeinheiten zu sehr heruntergekommen), wusste Boy sehr wohl, wo sie waren. Siegingen am Wirtshaus »Zum Grünen Vogel« vorbei. Boy hatte gehofft, Valerianwürde dort auf ein oder zwei Glas einkehren. Oder besser noch mehr. Darüberwürde er vielleicht Boys Schnitzer vergessen. Aber er hastete ohne einen Blickvorbei. Boy schluckte und stolperte hinterdrein. »Nun gut«, sagte Valerian.»Falls du die fünf Prinzipien nämlich nicht beachtest, kannst du dich ebensogut auf dein Glück verlassen, wozu du uns ja heute Abend schon gezwungen hast.Jeder einigermaßen Nüchterne oder auch nur halbwegs seiner Sinne Mächtige hättesehen können...« »Tut mir Leid«, sagte Boy.
Plötzlich blieb Valerian stehen und Boy rannte ihm in den Rücken. Er sahhinunter, Boy in die Augen. »Na ja«, sagte er, und seine Stimme wurde aufeinmal ruhig, »na ja, ist nicht so wichtig. In Wirklichkeit.« Er ließ BoysMantelschöße los und setzte seinen Weg fort. Es ging immer noch sehr schnell. Boyhatte von Valerian schon für weniger Prügel bezogen. Noch verwirrter alsohnehin schon, sah er ihm eine Weile nur nach. Gleich würde Valerians hoch gewachseneGestalt mit
den langen wehenden, bereits ergrauenden Haaren um die entfernte Straßeneckeverschwunden sein. Obwohl Boy die Gegend kannte, bekam er es mit der Angst.
Hässliche Dinge geschahen neuerdings in der Stadt. Selbst in den besseren Viertelnwar man seines Lebens nicht mehr sicher. Es hatte eine Menge Morde gegeben, undin den Kneipen und Gasthäusern, ja selbst den Salons und herrschaftlichenHäusern war kaum noch von etwas anderem die Rede. Die Morde zeichneten sichdurch besondere Brutalität aus, manche Leichen waren vollständig ausgeblutet.Gerüchteweise war dafür eine geisterhafte Erscheinung verantwortlich – »DasPhantom«. Außerdem waren auf einigen der zahlreichen Friedhöfe der RiesenstadtGräber geplündert worden. Viele glaubten, beides hinge miteinander zusammen.
»He!«, rief Boy. »Warte auf mich!« Es war tiefe Nacht und sie befanden sich ineiner der schlimmsten Gegenden der Stadt. Fast zu Hause.
© 2005 by Carl Hanser VerlagGmbH & Co. KG, München
Übersetzung: Friedrich Kur
- Autor: Marcus Sedgwick
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2005, 288 Seiten, Maße: 14,3 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Friedrich Kur
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446206078
- ISBN-13: 9783446206076
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