Das eiserne Haus
Thriller
Der neue große Thriller des zweifachen Edgar-Preisträgers
Zwei kleine Kinder werden an einem eisigen Bach ausgesetzt. Zwei Jungen müssen kämpfen, um zu überleben. Zwei Männer führen ganz unterschiedliche Leben. Und...
Zwei kleine Kinder werden an einem eisigen Bach ausgesetzt. Zwei Jungen müssen kämpfen, um zu überleben. Zwei Männer führen ganz unterschiedliche Leben. Und...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das eiserne Haus “
Der neue große Thriller des zweifachen Edgar-Preisträgers
Zwei kleine Kinder werden an einem eisigen Bach ausgesetzt. Zwei Jungen müssen kämpfen, um zu überleben. Zwei Männer führen ganz unterschiedliche Leben. Und doch sind beide unlösbar miteinander verbunden.
Als der zwölfjährige Julian im Waisenhaus seinen brutalen Peiniger umbringt, nimmt sein älterer Bruder Michael die Schuld auf sich und flieht nach New York - mitten ins Herz des organisierten Verbrechens. Zwei Jahrzehnte später kehrt Michael nach North Carolina zurück, mit skrupellosen Killern auf den Fersen; sein lange verloren geglaubter Bruder kämpft dagegen mit ganz eigenen Dämonen. Doch die beiden Brüder werden das Rätsel ihrer Vergangenheit nur gemeinsam lösen können.
Edgar-Preisträger John Hart zeigt erneut, dass er Spannung erzeugen kann wie kein zweiter.
Zwei kleine Kinder werden an einem eisigen Bach ausgesetzt. Zwei Jungen müssen kämpfen, um zu überleben. Zwei Männer führen ganz unterschiedliche Leben. Und doch sind beide unlösbar miteinander verbunden.
Als der zwölfjährige Julian im Waisenhaus seinen brutalen Peiniger umbringt, nimmt sein älterer Bruder Michael die Schuld auf sich und flieht nach New York - mitten ins Herz des organisierten Verbrechens. Zwei Jahrzehnte später kehrt Michael nach North Carolina zurück, mit skrupellosen Killern auf den Fersen; sein lange verloren geglaubter Bruder kämpft dagegen mit ganz eigenen Dämonen. Doch die beiden Brüder werden das Rätsel ihrer Vergangenheit nur gemeinsam lösen können.
Edgar-Preisträger John Hart zeigt erneut, dass er Spannung erzeugen kann wie kein zweiter.
Klappentext zu „Das eiserne Haus “
Der neue große Thriller des zweifachen Edgar-Preisträgers Zwei kleine Kinder werden an einem eisigen Bach ausgesetzt. Zwei Jungen müssen kämpfen, um zu überleben. Zwei Männer führen ganz unterschiedliche Leben. Und doch sind beide unlösbar miteinander verbunden.
Als der zwölfjährige Julian im Waisenhaus seinen brutalen Peiniger umbringt, nimmt sein älterer Bruder Michael die Schuld auf sich und flieht nach New York mitten ins Herz des organisierten Verbrechens. Zwei Jahrzehnte später kehrt Michael nach North Carolina zurück, mit skrupellosen Killern auf den Fersen; sein lange verloren geglaubter Bruder kämpft dagegen mit ganz eigenen Dämonen. Doch die beiden Brüder werden das Rätsel ihrer Vergangenheit nur gemeinsam lösen können.
Edgar-Preisträger John Hart zeigt erneut, dass er Spannung erzeugen kann wie kein zweiter.
Lese-Probe zu „Das eiserne Haus “
Das eiserne Haus von John HartBäume rauschten im Sturm, die Stämme hart und schwarz und rau wie Stein, die Äste niedergedrückt von der Last des Schnees. Es war dunkel draußen, Nacht. Zwischen den Bäumen rannte ein Junge, fiel hin, rannte weiter. Schnee schmolz an der Hitze seines Körpers, durchnässte seine Kleidung und gefror zu Eis. Seine Welt war schwarz und weiß, wo sie nicht rot war.
An seinen Händen und unter seinen Nägeln.
Festgefroren an der Klinge eines Messers, das kein Kind besitzen sollte.
Für einen Augenblick rissen die Wolken auf, dann war es völlig dunkel. Ein eiserner Stamm schlug dem Jungen die Nase blutig, als er gegen den Baum rannte und wieder fiel. Er raffte sich auf und kämpfte sich durch den Schnee, der ihm bis an die Knie reichte, bis an die Hüften. Äste griffen in sein Haar, zerrissen ihm die Haut. Licht spießte sich weit hinter ihm durch die Dunkelheit, und der Lärm der Verfolgung wogte heran wie Atem in der Kehle des Waldes.
Lang gezogenes Heulen im bitteren Wind ...
Hunde hinter dem Höhenkamm ...
EINS
... mehr
Michael erwachte und griff nach der Pistole, aber sie lag nicht mehr auf dem Nachttisch. Seine Finger glitten über das blanke Holz, und er setzte sich auf, augenblicklich wach. Seine Haut war feucht von Schweiß und der Erinnerung an Eis. Nichts regte sich in der Wohnung, alles war still, bis auf das Rauschen der Großstadt. Die Frau neben ihm raschelte im warmen Wust der Laken, tastete mit der Hand nach der harten Rundung seiner Schulter. »Alles okay, Schatz?«
Mattes Licht sickerte durch die Vorhänge vor dem offenen Fenster. Er blieb abgewandt liegen, damit sie den Jungen nicht sehen konnte, der noch in seinen Augen schimmerte. Die Male seines Schmerzes waren so tief verborgen, dass sie sie noch nicht gefunden hatte. »Schlecht geträumt, Baby.« Seine Finger berührten die Erhebung ihrer Hüfte. »Schlaf weiter.«
»Sicher?« Ihre Stimme klang gedämpft aus dem Kopfkissen. »Ja.«
»Ich liebe dich«, sagte sie und war wieder eingeschlafen.
Michael sah, wie sie wegdriftete, und schwenkte die Füße auf den Boden. Er berührte die alten Frostnarben, die toten Stellen an seinen Handflächen und an drei Fingerspitzen, rieb die Hände und drehte sie ins Licht. Die Handflächen waren breit, die Finger lang und schmal zulaufend.
Pianistenfinger, sagte Elena oft.
Dick und narbig, meinte er dann kopfschüttelnd.
Die Hände eines Künstlers ...
Sie sagte gern solche Dinge; Worte einer Optimistin, einer Träumerin. Michael krümmte und streckte die Finger und hörte den Klang ihrer Worte in seinem Kopf, die Melodie ihres Akzents, und in diesem Augenblick schämte er sich. Vieles war durch den Gebrauch seiner Hände zustande gekommen, aber Schöpferhände waren sie nie gewesen. Er stand auf und ließ die Schultern kreisen, während New York sich um ihn verfestigte: Elenas Wohnung, der Geruch von kürzlich gefallenem Regen auf dem heißen Pflaster. Er zog Jeans an und schaute zum offenen Fenster. Die Nacht lag auf der Stadt wie eine dunkle Hand, deren Haut noch keine grauen Adern hatte. Er schaute auf Elenas Gesicht hinunter, das in der Dunkelheit fahl war, weich und faltig vom Schlaf. Sie lag reglos in dem Bett, das sie miteinander teilten, und ihre Schulter war warm, als er sie leicht berührte. Die Stadt draußen war so dunkel und still, wie sie nur jemals wurde - die ruhige Pause am Grunde eines Atemzugs. Er strich Elena das Haar aus dem Gesicht, sah an ihrer Schläfe den Faden ihres Lebens, gleichmäßig und kräftig. Er wollte diesen Puls berühren, sich seiner Kraft und Ausdauer versichern. Ein alter Mann starb, und wenn er tot war, würden sie zu Michael kommen, und sie würden zu ihr kommen, um Michael wehzutun. Elena wusste nichts davon, weder von den Dingen, zu denen er fähig war, noch von der Gefahr, die er zu ihrer Tür gebracht hatte. Aber Michael würde in die Hölle gehen, um sie zu beschützen.
In die Hölle gehen.
Und brennend zurückkommen.
Das war die Wahrheit. Das war real.
Er betrachtete ihr Gesicht im matten Licht, die glatte Haut, die vollen, geöffneten Lippen, das schwarze Haar, das in Wellen auf ihre Schulter fiel, an der sie sich brachen wie die Meeresbrandung. Sie bewegte sich im Schlaf, und einen Moment lang spürte Michael, wie sich Trostlosigkeit regte, die vertraute Gewissheit, dass es schlimmer werden würde, bevor es besser werden könnte. Seit seiner Kindheit war die Gewalt ihm gefolgt wie eine Witterung, die jetzt auch ihr anhaftete. Einen Augenblick lang dachte er wieder, er sollte Elena verlassen, sollte seine Prob - leme nehmen und damit verschwinden. Er hatte es natürlich schon versucht, nicht einmal, sondern hundertmal. Aber mit jedem gescheiterten Versuch war die Gewissheit nur noch stärker geworden.
Er konnte nicht ohne sie leben.
Er konnte es schaffen.
Michael fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und fragte sich wieder, wie es dazu gekommen war. Wie hatte alles so schnell schiefgehen können?
Er trat ans Fenster und schob den Vorhang gerade so weit zur Seite, dass er in den Durchgang zwischen den Häusern hinunterschauen konnte. Der Wagen war noch da, schwarz und flach dort hinten im Schatten. Fernes Laternenlicht warf Sterne auf die Windschutzscheibe, sodass er nicht hineinsehen konnte, aber er kannte mindestens einen der Männer, die im Wagen saßen. Seine Anwesenheit war eine Bedrohung und machte Michael unsagbar wütend. Er hatte ein Abkommen mit dem Alten geschlossen, und er erwartete, dass die Vereinbarung eingehalten wurde. Worte bedeuteten Michael immer noch etwas.
Versprechungen.
Verhaltensregeln.
Nach einem letzten Blick auf Elena zog er zwei schallgedämpfte Fünfundvierziger aus dem Versteck, in dem er sie aufbewahrte. Sie fühlten sich in seinen Händen kühl und vertraut an. Er überprüfte die Magazine, und sein Gesicht verzog sich finster, als er sich von der Frau abwandte, die er liebte. Er sollte darüber hinaus sein, sollte frei sein. Wieder dachte er an den Mann in dem schwarzen Wagen.
Vor acht Tagen waren sie Brüder gewesen.
Michael war an der Tür und schon fast draußen, als Elena seinen Namen rief. Er blieb stehen, legte die Pistolen ab und kam leise zurück ins Schlafzimmer. Sie hatte sich auf den Rücken gedreht und einen Arm halb erhoben. »Michael ... «
Der Name war wie ein Lächeln auf ihren Lippen, und er fragte sich, ob sie träumte. Sie bewegte sich wieder, und der Geruch des warmen Bettes stieg ins Zimmer. Der Duft ihrer Haut und sauberer Haare. Der Geruch von Zuhause und Zukunft, die Verheißung eines anderen Lebens. Michael zögerte und nahm dann ihre Hand, als sie ihn bat: »Komm wieder ins Bett.«
Er schaute hinüber zur Küche, wo er die Pistolen neben einen Eimer mit gelber Farbe gelegt hatte. Elenas Stimme war ein Flüstern, und er wusste, wenn er ginge, würde sie wieder in den Schlaf zurückgleiten und sich nicht erinnern. Er könnte sich hinausschleichen und das tun, was er gut konnte. Die Männer umzubringen würde die Sache wahrscheinlich eskalieren lassen, und sicher würden andere ihren Platz einnehmen. Aber vielleicht würde die Botschaft ihren Zweck erfüllen.
Vielleicht auch nicht.
Sein Blick wanderte von Elena zum Fenster. Die Nacht da draußen war immer noch schwarz, ihre Haut straff gespannt. Der Wagen war immer noch da, wie er es in der Nacht zuvor gewesen war und in der Nacht davor. Sie würden nichts tun, bevor der Alte gestorben war, aber sie wollten ihn kirre machen. Sie wollten ihn unter Druck setzen, und Michael wollte diesen Druck mit jeder Faser erwidern. Er atmete langsam ein und dachte an den Mann, der er sein wollte. Elena war hier neben ihm, und in der Welt, die sie für sich errichten wollten, hatte Gewalt keinen Platz. Doch er war vor allem Realist, und als sich ihre Finger um seine krümmten, dachte er nicht nur an Hoffnung, sondern auch an Vergeltung und Abschreckung. Ein altes Gedicht kam ihm in den Sinn.
Zwei Wege trennten sich im fahlen Wald ...
Michael stand an einer Weggabelung, und alles war eine Frage der Entscheidung. Geh wieder ins Bett, oder nimm die Pistolen. Elena oder die Gasse. Die Zukunft oder die Vergangenheit.
Elena drückte noch einmal seine Hand. »Lieb mich, Baby«, sagte sie, und dafür entschied er sich.
Für das Leben, nicht für den Tod.
Für den weniger begangenen Weg.
Der New Yorker Morgen dämmerte glühend heiß. Die Pistolen waren versteckt, und Elena schlief noch. Michael saß vor dem Fenster, hatte die Füße auf den Sims gelegt und schaute hinunter in die leere Gasse. Sie waren gegen fünf Uhr verschwunden, hatten aus der Gasse auf die Straße zurückgesetzt und einmal kurz gehupt, bevor sie aus der Blickachse gerieten. Wenn sie vorgehabt hatten, ihn zu wecken oder zu ängstigen, waren sie kläglich gescheitert. Er war seit drei Uhr auf und fühlte sich großartig. Michael betrachtete seine Fingerspitzen. Sie hatten gelbe Farbflecken.
»Worüber lächelst du, mein Prachtmann?« Ihre Stimme überraschte ihn, und er drehte sich um. Elena setzte sich träge im Bett auf und strich sich das lange schwarze Haar aus dem Gesicht. Das Laken rutschte auf ihre Hüften hinunter. Michael stellte die Füße auf den Boden; es machte ihn verlegen, in einem solchen Augenblick unverhohlener Freude ertappt zu werden.
»Hab nur an was gedacht«, sagte er.
»An mich?«
»Natürlich.«
»Lügner.«
Sie lächelte, ihre Haut immer noch faltig. Ihr Rücken bog sich, als sie sich reckte und die kleinen Hände zu weißen Fäusten ballte. »Möchtest du Kaffee?«, fragte Michael.
Sie ließ sich auf das Kissen zurücksinken, grunzte zufrieden und sagte: »Du bist ein prachtvolles Geschöpf.«
»Gib mir eine Minute Zeit.« In der Küche goss Michael warme Milch in einen Becher und füllte dann mit Kaffee auf. Halb und halb, wie er es gern mochte. Café au lait. Sehr französisch. Als er zurückkam, hatte sie eins seiner Hemden angezogen und die Ärmel locker über die schmalen Arme hochgekrempelt. Er reichte ihr den Kaffee. »Schöne Träume gehabt?«
Sie nickte, und ein Funkeln trat in ihren Blick. »Einer kam mir besonders real vor. «
»Ach ja?«
Sie sank ins Bett zurück und gab wieder dieses zufriedene Grunzen von sich. »Eines Tages werde ich tatsächlich vor dir aufwachen.«
Michael setzte sich auf die Bettkante und legte die Hand auf den Rist ihres Fußes. »Na klar, Baby.« Elena war Langschläferin, und Michael schaffte selten mehr als fünf Stunden in einer Nacht. Dass sie vor ihm aufstand, war praktisch ausgeschlossen. Er sah zu, wie sie an ihrem Kaffee nippte, und nahm sich vor, auch Kleinigkeiten an ihr zur Kenntnis zu nehmen: den klaren Lack, den sie für ihre Nägel bevorzugte, die Länge ihrer Beine, die winzige Narbe an ihrer Wange, die der einzige Makel an ihrer Haut war. Sie hatte schwarze Augenbrauen, und ihre Augen waren braun, konnten aber in einem bestimmten Licht aussehen wie Honig. Sie war geschmeidig und stark, eine schöne Frau in jeder Hinsicht, aber das war es nicht, was Michael an ihr am meisten bewunderte. Elena hatte Freude an ganz unbedeutenden Dingen: daran, wie es sich anfühlte, zwischen kühle Laken zu gleiten oder etwas zu kosten, das man noch nie gegessen hatte, an dem Augenblick der Erwartung, die sich immer einstellte, wenn sie die Tür öffnete, um hinauszugehen. Sie vertraute darauf, dass jeder Augenblick besser werden würde als der vorige. Sie glaubte, dass die Menschen gut waren, und das machte sie zu einem Farbtupfer in einer eintönig weißen Welt.
Sie nahm noch einen Schluck Kaffee, und Michael sah genau, in welchem Augenblick sie die Farbe an seinen Händen bemerkte. Eine kleine Falte erschien zwischen ihren Brauen. Die Tasse löste sich von ihren Lippen. »Hast du es schon angestrichen? «
Es sollte wütend klingen, aber das gelang ihr nicht, und als er die Frage mit einem Achselzucken beantwortete, konnte er nicht verhindern, dass das Lächeln jeden Bereich seines Gesichts berührte. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie zusammen anstrichen - Lachen, verschüttete Farbe -, doch Michael hatte sich nicht bremsen können. »Zu aufgeregt«, sagte er und dachte an die frische Farbe an den Wänden des winzigen Zimmers am Ende des Flurs. Sie nannten es das zweite Schlafzimmer, aber es war nicht viel größer als ein begehbarer Kleiderschrank. Ein hohes, schmales Fenster aus geriffeltem Glas. In der Nachmittagssonne würde das Gelb leuchten wie Gold.
Sie stellte den Kaffee zur Seite und lehnte sich an die kahle Wand hinter ihr. Das Bettlaken bildete ein Zelt über ihren Knien. »Komm wieder ins Bett«, sagte sie. »Ich mach dir Frühstück.«
»Zu spät.« Michael stand auf und ging wieder in die Küche. Er hatte Blumen in eine kleine Vase gestellt. Das Obst war schon klein geschnitten, der Saft im Glas. Er legte frisches Gebäck dazu und trug das Tablett hinein.
»Frühstück im Bett?«
Michael zögerte, beinahe überwältigt. »Herzlichen Glück-
wunsch zum Muttertag«, brachte er schließlich heraus.
»Heute ist doch kein ... « Sie brach ab, und dann verstand sie. Gestern hatte sie ihm gesagt, sie sei schwanger.
In der elften Woche.
Sie blieben fast den ganzen Vormittag im Bett - lesend, redend -, dann begleitete er Elena rechtzeitig zum Mittagsansturm zur Arbeit. Sie trug ein schmales schwarzes Kleid, das ihre sonnenbraune Haut und die dunklen Augen betonte. Mit Absätzen war sie knapp einen Meter siebzig groß und bewegte sich wie eine Tänzerin - so elegant, dass Michael neben ihr eckig und grob aussah, deplatziert in Jeans, schweren Stiefeln und einem abgetragenen T-Shirt. Aber so kannte Elena ihn: derb und arm, ein Student mit abgebrochenem Studium, der immer noch darauf hoffte, einen Weg zurück zur Universität zu finden.
Das war die Lüge, mit der alles angefangen hatte.
Zum ersten Mal waren sie sich vor sieben Monaten an einer Straßenecke in der Nähe der New York University begegnet. Michael war beruflich unterwegs gewesen, unauffällig gekleidet und mit einem großen Kaliber im Halfter; hübsche Frauen hatten ihn nicht zu interessieren, doch als der Wind ihr Tuch wegriss, fing er es instinktiv aus der Luft und gab es ihr mit einer schwungvollen Geste, die ihn selbst überraschte. Noch immer hatte er keine Ahnung, woher diese plötzliche Leichtigkeit gekommen war, aber Elena hatte in diesem Moment gelacht, und als er sie fragte, hatte sie ihm ihren Namen genannt.
Carmen Elena del Portal.
Nenn mich Elena.
Das hatte sie mit Belustigung auf den Lippen und Feuer im Blick gesagt. Er erinnerte sich an trockene Finger und einen offen taxierenden Blick, an einen Akzent mit spanischem Anklang. Sie hatte eine widerspenstige Haarsträhne hinter das rechte Ohr geschoben und mit verwegenem Lächeln darauf gewartet, dass er ihr seinen Namen nannte. Beinahe wäre er weitergegangen, tat es aber dann doch nicht. Das lag an der Wärme in ihr, an dem absoluten Mangel an Angst oder Zweifel. Und so hatte Michael ihr an einem Dienstagmittag um Viertel nach zwei in einem Verstoß gegen alles, was er je gelernt hatte, seinen Namen genannt.
Seinen richtigen Namen.
Das Tuch war aus Seide und sehr leicht, wenn man bedachte, mit welcher Wucht es auf zwei Menschenleben gelandet war. Es führte zu Kaffee und dann zu mehr, bis das Gefühl in seiner ganzen Wildheit kam und ihn unvorbereitet traf. Jetzt war er hier und liebte eine Frau, die ihn zu kennen glaubte, aber nicht kannte. Michael versuchte sich zu ändern, doch das Töten war einfach. Und das Aufhören war schwer.
Auf halbem Weg zur Arbeit nahm sie seine Hand. »Junge oder Mädchen?«
»Was?« Das war eine Frage, wie normale Leute sie stellten, und er war perplex. Er blieb stehen, sodass Passanten ihnen ausweichen mussten. Sie legte den Kopf schräg.
»Hoffst du, dass es ein Junge ist? Oder hättest du lieber ein Mädchen?«
Ihre Augen leuchteten mit einer Zufriedenheit, von der er bisher nur in Büchern gelesen hatte, und als er sie in diesem Moment ansah, war es wie an jenem ersten Tag, nur noch intensiver: In der Luft lag diese blaue Elektrizität, die gleiche Helligkeit und Zielstrebigkeit. Als Michael sprach, kamen die Worte aus tiefstem Herzen. »Willst du mich heiraten?«
Sie lachte. »Einfach so?«
»Ja. «
Sie legte Michael die flache Hand an die Wange, und ihr Lachen verflog. »Nein, Michael. Ich will dich nicht heiraten.« »Warum nicht?«
»Weil du mich aus den falschen Gründen fragst. Und weil wir Zeit haben.« Sie küsste ihn. »Massenhaft Zeit.«
In diesem Punkt irrte sie sich.
Elena arbeitete als Oberkellnerin in einem teuren Restaurant namens Chez Pascal. Sie war schön, sprach drei Sprachen, und auf ihre Bitte hatte der Eigentümer Michael vor acht Tagen als Spüler eingestellt. Michael hatte ihr erzählt, er habe seinen anderen Job verloren und müsse die Zeit ausfüllen, bis er einen neuen gefunden hätte oder bis das Studentendarlehen endlich bewilligt würde. Doch es gab keinen anderen Job und kein Studentendarlehen, nur zwei weitere Lügen in einem Meer von tausend. Aber Michael musste dort sein, denn auch wenn niemand wagen würde, ihn anzurühren, solange der Alte atmete, stand Elena nicht unter diesem Schutz. Sie würden sie rein zum Vergnügen umbringen.
Als sie noch zwei Straßen weit vom Restaurant entfernt waren, fragte Michael: »Hast du es deiner Familie gesagt?«
»Dass ich schwanger bin?«
»Ja. «
»Nein.« Emotionen färbten ihre Stimme - Trauer und etwas anderes, Dunkles. Michael wusste, dass Elena Verwandte in Spanien hatte, doch sie sprach selten von ihnen. Sie hatte keine Fotos, keine Briefe. Einmal hatte jemand angerufen, aber Elena hatte aufgelegt, als Michael ihr das Telefon reichte, und am nächsten Tag hatte sie ihre Nummer geändert. Michael drängte nie auf Antworten, weder zu ihrer Familie noch zu ihrer Vergangenheit. Eine Weile gingen sie schweigend weiter. An der nächsten Ecke nahm sie seine Hand. »Küss mich«, sagte sie, und Michael tat es. Danach sagte Elena: »Du bist meine Familie.«
Vor dem Eingang zum Restaurant spendete eine blaue Markise einen schmalen Schatten. Michael war ihr um einen Schritt voraus, deshalb sah er den Schaden an der Tür gerade noch rechtzeitig, um Elena wegzusteuern, bevor sie ihn auch sah. Aber selbst mit dem Rücken zur Tür blieb ihm das Bild vor Augen: weiße Splitter, die aus dem mahagonifarben gebeizten Holz ragten. In Kopfhöhe gruppiert und dicht nebeneinander, vier Einschusslöcher in einem Kreis von vielleicht sieben Zentimetern Durchmesser. Michael konnte sich denken, wie es zustande gekommen war. Ein schwarzer Wagen am Randstein, eine Pistole mit Schalldämpfer. Von Elenas Wohnung hierher brauchte man mit dem Auto weniger als sechs Minuten; also war es wahrscheinlich kurz nach fünf an diesem Morgen passiert. Leere Straßen. Kein Mensch weit und breit. Ein kleines Kaliber, schätzte Michael, leicht und präzise. Eine .22er, vielleicht eine .25er. Er lehnte sich an die Tür und fühlte die Splitter durch das Hemd, und hinter seinen Augen war kalte Wut. Er nahm Elenas Hand. »Wenn ich dich bäte, aus New York wegzuziehen, würdest du es tun? «
»Ich habe meinen Job hier. Unser Leben ... «
»Wenn ich weggehen müsste«, fuhr er fort, »würdest du mitkommen?«
»Wir sind hier zu Hause. Ich möchte unser Kind hier großziehen ... « Sie brach ab und schien zu verstehen. »Viele Leute ziehen Babys in der Großstadt auf ... «
Sie wusste von seinem Misstrauen gegen die Stadt, und er schaute weg, weil die Last der Lügen zu schwer wurde. Er konnte hierbleiben und das Risiko des Krieges eingehen, der kommen würde, oder er konnte ihr die Wahrheit sagen und Elena verlieren. »Hör zu«, sagte er. »Ich werde heute später kommen. Richte es Paul bitte aus. « Paul war der Eigentümer. Er parkte immer in der Durchfahrt zwischen den Häusern und hatte die Tür wahrscheinlich noch gar nicht gesehen.
»Kommst du nicht mit rein?«
»Ich kann im Moment nicht.«
»Ich hab dir diesen Job besorgt, Michael.« Ein seltenes Fünkchen Ärger flackerte auf.
Michael hielt ihr die flache Hand entgegen. »Kann ich deine Schlüssel haben?«
Widerstrebend gab sie ihm den Schlüsselbund, den sie von Paul bekommen hatte. Er öffnete die Restauranttür und hielt sie für sie auf. »Wo willst du hin?«, fragte sie.
Ihr Gesicht war aufwärtsgewandt und immer noch wütend. Michael hätte gern ihre Wange berührt und gesagt, er würde töten oder sterben, um sie zu beschützen. Er würde die Stadt niederbrennen. »Ich komme wieder«, sagte er. »Bleib du bitte im Restaurant.«
»Du tust sehr geheimnisvoll.«
»Ich muss etwas erledigen«, sagte er. »Für das Kind.« »Wirklich?«
Er legte die Hand auf ihren flachen Bauch und stellte sich vor, auf wie viele gewaltsame Arten dieser Tag zu Ende gehen könnte. »Wirklich«, sagte er.
Und das war die Wahrheit.
...
Übersetzung: Rainer Schmidt
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe
beim C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Michael erwachte und griff nach der Pistole, aber sie lag nicht mehr auf dem Nachttisch. Seine Finger glitten über das blanke Holz, und er setzte sich auf, augenblicklich wach. Seine Haut war feucht von Schweiß und der Erinnerung an Eis. Nichts regte sich in der Wohnung, alles war still, bis auf das Rauschen der Großstadt. Die Frau neben ihm raschelte im warmen Wust der Laken, tastete mit der Hand nach der harten Rundung seiner Schulter. »Alles okay, Schatz?«
Mattes Licht sickerte durch die Vorhänge vor dem offenen Fenster. Er blieb abgewandt liegen, damit sie den Jungen nicht sehen konnte, der noch in seinen Augen schimmerte. Die Male seines Schmerzes waren so tief verborgen, dass sie sie noch nicht gefunden hatte. »Schlecht geträumt, Baby.« Seine Finger berührten die Erhebung ihrer Hüfte. »Schlaf weiter.«
»Sicher?« Ihre Stimme klang gedämpft aus dem Kopfkissen. »Ja.«
»Ich liebe dich«, sagte sie und war wieder eingeschlafen.
Michael sah, wie sie wegdriftete, und schwenkte die Füße auf den Boden. Er berührte die alten Frostnarben, die toten Stellen an seinen Handflächen und an drei Fingerspitzen, rieb die Hände und drehte sie ins Licht. Die Handflächen waren breit, die Finger lang und schmal zulaufend.
Pianistenfinger, sagte Elena oft.
Dick und narbig, meinte er dann kopfschüttelnd.
Die Hände eines Künstlers ...
Sie sagte gern solche Dinge; Worte einer Optimistin, einer Träumerin. Michael krümmte und streckte die Finger und hörte den Klang ihrer Worte in seinem Kopf, die Melodie ihres Akzents, und in diesem Augenblick schämte er sich. Vieles war durch den Gebrauch seiner Hände zustande gekommen, aber Schöpferhände waren sie nie gewesen. Er stand auf und ließ die Schultern kreisen, während New York sich um ihn verfestigte: Elenas Wohnung, der Geruch von kürzlich gefallenem Regen auf dem heißen Pflaster. Er zog Jeans an und schaute zum offenen Fenster. Die Nacht lag auf der Stadt wie eine dunkle Hand, deren Haut noch keine grauen Adern hatte. Er schaute auf Elenas Gesicht hinunter, das in der Dunkelheit fahl war, weich und faltig vom Schlaf. Sie lag reglos in dem Bett, das sie miteinander teilten, und ihre Schulter war warm, als er sie leicht berührte. Die Stadt draußen war so dunkel und still, wie sie nur jemals wurde - die ruhige Pause am Grunde eines Atemzugs. Er strich Elena das Haar aus dem Gesicht, sah an ihrer Schläfe den Faden ihres Lebens, gleichmäßig und kräftig. Er wollte diesen Puls berühren, sich seiner Kraft und Ausdauer versichern. Ein alter Mann starb, und wenn er tot war, würden sie zu Michael kommen, und sie würden zu ihr kommen, um Michael wehzutun. Elena wusste nichts davon, weder von den Dingen, zu denen er fähig war, noch von der Gefahr, die er zu ihrer Tür gebracht hatte. Aber Michael würde in die Hölle gehen, um sie zu beschützen.
In die Hölle gehen.
Und brennend zurückkommen.
Das war die Wahrheit. Das war real.
Er betrachtete ihr Gesicht im matten Licht, die glatte Haut, die vollen, geöffneten Lippen, das schwarze Haar, das in Wellen auf ihre Schulter fiel, an der sie sich brachen wie die Meeresbrandung. Sie bewegte sich im Schlaf, und einen Moment lang spürte Michael, wie sich Trostlosigkeit regte, die vertraute Gewissheit, dass es schlimmer werden würde, bevor es besser werden könnte. Seit seiner Kindheit war die Gewalt ihm gefolgt wie eine Witterung, die jetzt auch ihr anhaftete. Einen Augenblick lang dachte er wieder, er sollte Elena verlassen, sollte seine Prob - leme nehmen und damit verschwinden. Er hatte es natürlich schon versucht, nicht einmal, sondern hundertmal. Aber mit jedem gescheiterten Versuch war die Gewissheit nur noch stärker geworden.
Er konnte nicht ohne sie leben.
Er konnte es schaffen.
Michael fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und fragte sich wieder, wie es dazu gekommen war. Wie hatte alles so schnell schiefgehen können?
Er trat ans Fenster und schob den Vorhang gerade so weit zur Seite, dass er in den Durchgang zwischen den Häusern hinunterschauen konnte. Der Wagen war noch da, schwarz und flach dort hinten im Schatten. Fernes Laternenlicht warf Sterne auf die Windschutzscheibe, sodass er nicht hineinsehen konnte, aber er kannte mindestens einen der Männer, die im Wagen saßen. Seine Anwesenheit war eine Bedrohung und machte Michael unsagbar wütend. Er hatte ein Abkommen mit dem Alten geschlossen, und er erwartete, dass die Vereinbarung eingehalten wurde. Worte bedeuteten Michael immer noch etwas.
Versprechungen.
Verhaltensregeln.
Nach einem letzten Blick auf Elena zog er zwei schallgedämpfte Fünfundvierziger aus dem Versteck, in dem er sie aufbewahrte. Sie fühlten sich in seinen Händen kühl und vertraut an. Er überprüfte die Magazine, und sein Gesicht verzog sich finster, als er sich von der Frau abwandte, die er liebte. Er sollte darüber hinaus sein, sollte frei sein. Wieder dachte er an den Mann in dem schwarzen Wagen.
Vor acht Tagen waren sie Brüder gewesen.
Michael war an der Tür und schon fast draußen, als Elena seinen Namen rief. Er blieb stehen, legte die Pistolen ab und kam leise zurück ins Schlafzimmer. Sie hatte sich auf den Rücken gedreht und einen Arm halb erhoben. »Michael ... «
Der Name war wie ein Lächeln auf ihren Lippen, und er fragte sich, ob sie träumte. Sie bewegte sich wieder, und der Geruch des warmen Bettes stieg ins Zimmer. Der Duft ihrer Haut und sauberer Haare. Der Geruch von Zuhause und Zukunft, die Verheißung eines anderen Lebens. Michael zögerte und nahm dann ihre Hand, als sie ihn bat: »Komm wieder ins Bett.«
Er schaute hinüber zur Küche, wo er die Pistolen neben einen Eimer mit gelber Farbe gelegt hatte. Elenas Stimme war ein Flüstern, und er wusste, wenn er ginge, würde sie wieder in den Schlaf zurückgleiten und sich nicht erinnern. Er könnte sich hinausschleichen und das tun, was er gut konnte. Die Männer umzubringen würde die Sache wahrscheinlich eskalieren lassen, und sicher würden andere ihren Platz einnehmen. Aber vielleicht würde die Botschaft ihren Zweck erfüllen.
Vielleicht auch nicht.
Sein Blick wanderte von Elena zum Fenster. Die Nacht da draußen war immer noch schwarz, ihre Haut straff gespannt. Der Wagen war immer noch da, wie er es in der Nacht zuvor gewesen war und in der Nacht davor. Sie würden nichts tun, bevor der Alte gestorben war, aber sie wollten ihn kirre machen. Sie wollten ihn unter Druck setzen, und Michael wollte diesen Druck mit jeder Faser erwidern. Er atmete langsam ein und dachte an den Mann, der er sein wollte. Elena war hier neben ihm, und in der Welt, die sie für sich errichten wollten, hatte Gewalt keinen Platz. Doch er war vor allem Realist, und als sich ihre Finger um seine krümmten, dachte er nicht nur an Hoffnung, sondern auch an Vergeltung und Abschreckung. Ein altes Gedicht kam ihm in den Sinn.
Zwei Wege trennten sich im fahlen Wald ...
Michael stand an einer Weggabelung, und alles war eine Frage der Entscheidung. Geh wieder ins Bett, oder nimm die Pistolen. Elena oder die Gasse. Die Zukunft oder die Vergangenheit.
Elena drückte noch einmal seine Hand. »Lieb mich, Baby«, sagte sie, und dafür entschied er sich.
Für das Leben, nicht für den Tod.
Für den weniger begangenen Weg.
Der New Yorker Morgen dämmerte glühend heiß. Die Pistolen waren versteckt, und Elena schlief noch. Michael saß vor dem Fenster, hatte die Füße auf den Sims gelegt und schaute hinunter in die leere Gasse. Sie waren gegen fünf Uhr verschwunden, hatten aus der Gasse auf die Straße zurückgesetzt und einmal kurz gehupt, bevor sie aus der Blickachse gerieten. Wenn sie vorgehabt hatten, ihn zu wecken oder zu ängstigen, waren sie kläglich gescheitert. Er war seit drei Uhr auf und fühlte sich großartig. Michael betrachtete seine Fingerspitzen. Sie hatten gelbe Farbflecken.
»Worüber lächelst du, mein Prachtmann?« Ihre Stimme überraschte ihn, und er drehte sich um. Elena setzte sich träge im Bett auf und strich sich das lange schwarze Haar aus dem Gesicht. Das Laken rutschte auf ihre Hüften hinunter. Michael stellte die Füße auf den Boden; es machte ihn verlegen, in einem solchen Augenblick unverhohlener Freude ertappt zu werden.
»Hab nur an was gedacht«, sagte er.
»An mich?«
»Natürlich.«
»Lügner.«
Sie lächelte, ihre Haut immer noch faltig. Ihr Rücken bog sich, als sie sich reckte und die kleinen Hände zu weißen Fäusten ballte. »Möchtest du Kaffee?«, fragte Michael.
Sie ließ sich auf das Kissen zurücksinken, grunzte zufrieden und sagte: »Du bist ein prachtvolles Geschöpf.«
»Gib mir eine Minute Zeit.« In der Küche goss Michael warme Milch in einen Becher und füllte dann mit Kaffee auf. Halb und halb, wie er es gern mochte. Café au lait. Sehr französisch. Als er zurückkam, hatte sie eins seiner Hemden angezogen und die Ärmel locker über die schmalen Arme hochgekrempelt. Er reichte ihr den Kaffee. »Schöne Träume gehabt?«
Sie nickte, und ein Funkeln trat in ihren Blick. »Einer kam mir besonders real vor. «
»Ach ja?«
Sie sank ins Bett zurück und gab wieder dieses zufriedene Grunzen von sich. »Eines Tages werde ich tatsächlich vor dir aufwachen.«
Michael setzte sich auf die Bettkante und legte die Hand auf den Rist ihres Fußes. »Na klar, Baby.« Elena war Langschläferin, und Michael schaffte selten mehr als fünf Stunden in einer Nacht. Dass sie vor ihm aufstand, war praktisch ausgeschlossen. Er sah zu, wie sie an ihrem Kaffee nippte, und nahm sich vor, auch Kleinigkeiten an ihr zur Kenntnis zu nehmen: den klaren Lack, den sie für ihre Nägel bevorzugte, die Länge ihrer Beine, die winzige Narbe an ihrer Wange, die der einzige Makel an ihrer Haut war. Sie hatte schwarze Augenbrauen, und ihre Augen waren braun, konnten aber in einem bestimmten Licht aussehen wie Honig. Sie war geschmeidig und stark, eine schöne Frau in jeder Hinsicht, aber das war es nicht, was Michael an ihr am meisten bewunderte. Elena hatte Freude an ganz unbedeutenden Dingen: daran, wie es sich anfühlte, zwischen kühle Laken zu gleiten oder etwas zu kosten, das man noch nie gegessen hatte, an dem Augenblick der Erwartung, die sich immer einstellte, wenn sie die Tür öffnete, um hinauszugehen. Sie vertraute darauf, dass jeder Augenblick besser werden würde als der vorige. Sie glaubte, dass die Menschen gut waren, und das machte sie zu einem Farbtupfer in einer eintönig weißen Welt.
Sie nahm noch einen Schluck Kaffee, und Michael sah genau, in welchem Augenblick sie die Farbe an seinen Händen bemerkte. Eine kleine Falte erschien zwischen ihren Brauen. Die Tasse löste sich von ihren Lippen. »Hast du es schon angestrichen? «
Es sollte wütend klingen, aber das gelang ihr nicht, und als er die Frage mit einem Achselzucken beantwortete, konnte er nicht verhindern, dass das Lächeln jeden Bereich seines Gesichts berührte. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie zusammen anstrichen - Lachen, verschüttete Farbe -, doch Michael hatte sich nicht bremsen können. »Zu aufgeregt«, sagte er und dachte an die frische Farbe an den Wänden des winzigen Zimmers am Ende des Flurs. Sie nannten es das zweite Schlafzimmer, aber es war nicht viel größer als ein begehbarer Kleiderschrank. Ein hohes, schmales Fenster aus geriffeltem Glas. In der Nachmittagssonne würde das Gelb leuchten wie Gold.
Sie stellte den Kaffee zur Seite und lehnte sich an die kahle Wand hinter ihr. Das Bettlaken bildete ein Zelt über ihren Knien. »Komm wieder ins Bett«, sagte sie. »Ich mach dir Frühstück.«
»Zu spät.« Michael stand auf und ging wieder in die Küche. Er hatte Blumen in eine kleine Vase gestellt. Das Obst war schon klein geschnitten, der Saft im Glas. Er legte frisches Gebäck dazu und trug das Tablett hinein.
»Frühstück im Bett?«
Michael zögerte, beinahe überwältigt. »Herzlichen Glück-
wunsch zum Muttertag«, brachte er schließlich heraus.
»Heute ist doch kein ... « Sie brach ab, und dann verstand sie. Gestern hatte sie ihm gesagt, sie sei schwanger.
In der elften Woche.
Sie blieben fast den ganzen Vormittag im Bett - lesend, redend -, dann begleitete er Elena rechtzeitig zum Mittagsansturm zur Arbeit. Sie trug ein schmales schwarzes Kleid, das ihre sonnenbraune Haut und die dunklen Augen betonte. Mit Absätzen war sie knapp einen Meter siebzig groß und bewegte sich wie eine Tänzerin - so elegant, dass Michael neben ihr eckig und grob aussah, deplatziert in Jeans, schweren Stiefeln und einem abgetragenen T-Shirt. Aber so kannte Elena ihn: derb und arm, ein Student mit abgebrochenem Studium, der immer noch darauf hoffte, einen Weg zurück zur Universität zu finden.
Das war die Lüge, mit der alles angefangen hatte.
Zum ersten Mal waren sie sich vor sieben Monaten an einer Straßenecke in der Nähe der New York University begegnet. Michael war beruflich unterwegs gewesen, unauffällig gekleidet und mit einem großen Kaliber im Halfter; hübsche Frauen hatten ihn nicht zu interessieren, doch als der Wind ihr Tuch wegriss, fing er es instinktiv aus der Luft und gab es ihr mit einer schwungvollen Geste, die ihn selbst überraschte. Noch immer hatte er keine Ahnung, woher diese plötzliche Leichtigkeit gekommen war, aber Elena hatte in diesem Moment gelacht, und als er sie fragte, hatte sie ihm ihren Namen genannt.
Carmen Elena del Portal.
Nenn mich Elena.
Das hatte sie mit Belustigung auf den Lippen und Feuer im Blick gesagt. Er erinnerte sich an trockene Finger und einen offen taxierenden Blick, an einen Akzent mit spanischem Anklang. Sie hatte eine widerspenstige Haarsträhne hinter das rechte Ohr geschoben und mit verwegenem Lächeln darauf gewartet, dass er ihr seinen Namen nannte. Beinahe wäre er weitergegangen, tat es aber dann doch nicht. Das lag an der Wärme in ihr, an dem absoluten Mangel an Angst oder Zweifel. Und so hatte Michael ihr an einem Dienstagmittag um Viertel nach zwei in einem Verstoß gegen alles, was er je gelernt hatte, seinen Namen genannt.
Seinen richtigen Namen.
Das Tuch war aus Seide und sehr leicht, wenn man bedachte, mit welcher Wucht es auf zwei Menschenleben gelandet war. Es führte zu Kaffee und dann zu mehr, bis das Gefühl in seiner ganzen Wildheit kam und ihn unvorbereitet traf. Jetzt war er hier und liebte eine Frau, die ihn zu kennen glaubte, aber nicht kannte. Michael versuchte sich zu ändern, doch das Töten war einfach. Und das Aufhören war schwer.
Auf halbem Weg zur Arbeit nahm sie seine Hand. »Junge oder Mädchen?«
»Was?« Das war eine Frage, wie normale Leute sie stellten, und er war perplex. Er blieb stehen, sodass Passanten ihnen ausweichen mussten. Sie legte den Kopf schräg.
»Hoffst du, dass es ein Junge ist? Oder hättest du lieber ein Mädchen?«
Ihre Augen leuchteten mit einer Zufriedenheit, von der er bisher nur in Büchern gelesen hatte, und als er sie in diesem Moment ansah, war es wie an jenem ersten Tag, nur noch intensiver: In der Luft lag diese blaue Elektrizität, die gleiche Helligkeit und Zielstrebigkeit. Als Michael sprach, kamen die Worte aus tiefstem Herzen. »Willst du mich heiraten?«
Sie lachte. »Einfach so?«
»Ja. «
Sie legte Michael die flache Hand an die Wange, und ihr Lachen verflog. »Nein, Michael. Ich will dich nicht heiraten.« »Warum nicht?«
»Weil du mich aus den falschen Gründen fragst. Und weil wir Zeit haben.« Sie küsste ihn. »Massenhaft Zeit.«
In diesem Punkt irrte sie sich.
Elena arbeitete als Oberkellnerin in einem teuren Restaurant namens Chez Pascal. Sie war schön, sprach drei Sprachen, und auf ihre Bitte hatte der Eigentümer Michael vor acht Tagen als Spüler eingestellt. Michael hatte ihr erzählt, er habe seinen anderen Job verloren und müsse die Zeit ausfüllen, bis er einen neuen gefunden hätte oder bis das Studentendarlehen endlich bewilligt würde. Doch es gab keinen anderen Job und kein Studentendarlehen, nur zwei weitere Lügen in einem Meer von tausend. Aber Michael musste dort sein, denn auch wenn niemand wagen würde, ihn anzurühren, solange der Alte atmete, stand Elena nicht unter diesem Schutz. Sie würden sie rein zum Vergnügen umbringen.
Als sie noch zwei Straßen weit vom Restaurant entfernt waren, fragte Michael: »Hast du es deiner Familie gesagt?«
»Dass ich schwanger bin?«
»Ja. «
»Nein.« Emotionen färbten ihre Stimme - Trauer und etwas anderes, Dunkles. Michael wusste, dass Elena Verwandte in Spanien hatte, doch sie sprach selten von ihnen. Sie hatte keine Fotos, keine Briefe. Einmal hatte jemand angerufen, aber Elena hatte aufgelegt, als Michael ihr das Telefon reichte, und am nächsten Tag hatte sie ihre Nummer geändert. Michael drängte nie auf Antworten, weder zu ihrer Familie noch zu ihrer Vergangenheit. Eine Weile gingen sie schweigend weiter. An der nächsten Ecke nahm sie seine Hand. »Küss mich«, sagte sie, und Michael tat es. Danach sagte Elena: »Du bist meine Familie.«
Vor dem Eingang zum Restaurant spendete eine blaue Markise einen schmalen Schatten. Michael war ihr um einen Schritt voraus, deshalb sah er den Schaden an der Tür gerade noch rechtzeitig, um Elena wegzusteuern, bevor sie ihn auch sah. Aber selbst mit dem Rücken zur Tür blieb ihm das Bild vor Augen: weiße Splitter, die aus dem mahagonifarben gebeizten Holz ragten. In Kopfhöhe gruppiert und dicht nebeneinander, vier Einschusslöcher in einem Kreis von vielleicht sieben Zentimetern Durchmesser. Michael konnte sich denken, wie es zustande gekommen war. Ein schwarzer Wagen am Randstein, eine Pistole mit Schalldämpfer. Von Elenas Wohnung hierher brauchte man mit dem Auto weniger als sechs Minuten; also war es wahrscheinlich kurz nach fünf an diesem Morgen passiert. Leere Straßen. Kein Mensch weit und breit. Ein kleines Kaliber, schätzte Michael, leicht und präzise. Eine .22er, vielleicht eine .25er. Er lehnte sich an die Tür und fühlte die Splitter durch das Hemd, und hinter seinen Augen war kalte Wut. Er nahm Elenas Hand. »Wenn ich dich bäte, aus New York wegzuziehen, würdest du es tun? «
»Ich habe meinen Job hier. Unser Leben ... «
»Wenn ich weggehen müsste«, fuhr er fort, »würdest du mitkommen?«
»Wir sind hier zu Hause. Ich möchte unser Kind hier großziehen ... « Sie brach ab und schien zu verstehen. »Viele Leute ziehen Babys in der Großstadt auf ... «
Sie wusste von seinem Misstrauen gegen die Stadt, und er schaute weg, weil die Last der Lügen zu schwer wurde. Er konnte hierbleiben und das Risiko des Krieges eingehen, der kommen würde, oder er konnte ihr die Wahrheit sagen und Elena verlieren. »Hör zu«, sagte er. »Ich werde heute später kommen. Richte es Paul bitte aus. « Paul war der Eigentümer. Er parkte immer in der Durchfahrt zwischen den Häusern und hatte die Tür wahrscheinlich noch gar nicht gesehen.
»Kommst du nicht mit rein?«
»Ich kann im Moment nicht.«
»Ich hab dir diesen Job besorgt, Michael.« Ein seltenes Fünkchen Ärger flackerte auf.
Michael hielt ihr die flache Hand entgegen. »Kann ich deine Schlüssel haben?«
Widerstrebend gab sie ihm den Schlüsselbund, den sie von Paul bekommen hatte. Er öffnete die Restauranttür und hielt sie für sie auf. »Wo willst du hin?«, fragte sie.
Ihr Gesicht war aufwärtsgewandt und immer noch wütend. Michael hätte gern ihre Wange berührt und gesagt, er würde töten oder sterben, um sie zu beschützen. Er würde die Stadt niederbrennen. »Ich komme wieder«, sagte er. »Bleib du bitte im Restaurant.«
»Du tust sehr geheimnisvoll.«
»Ich muss etwas erledigen«, sagte er. »Für das Kind.« »Wirklich?«
Er legte die Hand auf ihren flachen Bauch und stellte sich vor, auf wie viele gewaltsame Arten dieser Tag zu Ende gehen könnte. »Wirklich«, sagte er.
Und das war die Wahrheit.
...
Übersetzung: Rainer Schmidt
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe
beim C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von John Hart
John Hart, geb. 1965 in North Carolina, arbeitete als Rechtsanwalt, bevor er sich seinen Traum erfüllte und seinen ersten Roman schrieb. John Hart lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Rowan County, North Carolina.
Bibliographische Angaben
- Autor: John Hart
- 2012, 1, 507 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Rainer
- Übersetzer: Rainer Schmidt
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 3570101193
- ISBN-13: 9783570101193
Rezension zu „Das eiserne Haus “
"Diesen Nägelbeißer legt niemand vorzeitig aus der Hand!" TV Movie
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