Das Geheimnis der Pilgerin
Ein farbenprächtiger Roman über eine verbotene Liebe, eine böse Intrige und eine Reise voller Gefahren.
Burg Falkenberg in der Oberpfalz, 1191: Gerlins Herz gehört Florin, aber sie muss Dietrich von Orlamünde,...
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Ein farbenprächtiger Roman über eine verbotene Liebe, eine böse Intrige und eine Reise voller Gefahren.
Burg Falkenberg in der Oberpfalz, 1191: Gerlins Herz gehört Florin, aber sie muss Dietrich von Orlamünde, den Erben von Lauenstein, heiraten. Schon bald wird ihr Sohn Dietmar geboren. Doch als Dietrich unerwartet stirbt, gerät Gerlin in eine gefährliche Intrige, die ihr und ihrem Sohn den Tod bringen könnte.
Gerlin sieht keine andere Wahl als die Flucht - zusammen mit Floris flieht sie. Doch auf dem Weg wird Floris schwer verletzt und muss zurückbleiben. Nun ist Gerlin auf sich alleine gestellt und schließt sich einer Pilgergruppe an.
Damit beginnt eine abenteuerliche Reise. Doch wird sie Floris jemals wiedersehen?
Ricarda Jordan ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Autorin. Neuseelandfans kennen sie unter dem Namen Sarah Lark. Ricarda Jordan lebt in Spanien.
Wo ist die Herrin Ali´enor?«
Der Prinz trat auf den Wehrgang vor den Kemenaten und wandte sich an eines der unzähligen jungen Mädchen, die den Hof seiner Mutter bevölkerten. Dieses hier mochte höchstens elf oder zwölf Sommer zählen, aber es sah schon mit dem charakteristischen Blick zwischen kindlicher Scheu und weiblicher Koketterie, der den Zöglingen des Minnehofes eigen war, zu ihm auf. Richard fragte sich, ob die Mädchen ihn vor den venezianischen Spiegeln übten, die Eleonore von Aquitanien ihren Lieblingen zu schenken pflegte. Aber so gekünstelt dieser Augenaufschlag auch sein mochte - Richard konnte sich seiner Wirkung nicht entziehen, zumal das Mädchen wunderschöne Augen hatte. Augen von ungeheuer klarem Blau, als spiegle sich der Sommerhimmel Aquitaniens in einem der tiefsten Seen der Berge. Und sein kastanienfarbenes Haar ... wie ein Strom bahnte es sich seinen Weg über die noch knochigen, schmalen Schultern. Das Gesicht war kindlich rund, aber die ausgeprägten Wangenknochen und die hohe Stirn ließen erkennen, dass Richard eine künftige Schönheit vor sich hatte.
»Im Rosengarten, Herr«, antwortete das Mädchen mit heller, singender Stimme. »Soll ich Euch zu ihr führen?«
Richard lächelte. »Ich könnte mir keine schönere Begleiterin vorstellen«, sagte er galant und gab der Versuchung nach, die Kleine ein wenig zu necken. »Aber gibt es womöglich einen Ritter, den ich damit vor den Kopf stoße? Eine Schönheit wie Ihr hat doch sicher unzählige Verehrer?«
Das Mädchen errötete und lächelte schüchtern. »Dafür bin ich doch noch viel zu jung, Herr ... «
Der Prinz zog die Augenbrauen hoch. »So manche Prinzessin wird früher vermählt. Aber es macht mich glücklich, dass Ihr mir Hoffnung macht. So würdet Ihr meine Werbung annehmen, wenn sie zu angemessener Zeit erfolgte?«
Das Mädchen wirkte jetzt etwas verwirrt, auf seiner glatten Stirn zeigte sich eine steile Falte. Aber dann erkannte es die Schmeichelei als Scherz und ging darauf ein, wie es das zweifellos gelernt hatte. »Selbstverständlich, mein Prinz, wenn Ihr nur auf mich wartet.« Die Kleine knickste.
Richard lächelte wieder. »So ist es beschlossen«, meinte er. »Aber Ihr müsst mir Söhne schenken ...«
»Zahlreich wie die Sterne am Himmel«, erklärte das Mädchen ernsthaft, aber dann zwinkerte es ihm zu. »Müssen wir den Bund nicht mit einem Kuss besiegeln?«
Die Kleine war entzückend. Richard beugte sich zu ihr hinab und küsste sie leicht auf die Stirn.
»Wie heißt Ihr denn, meine versprochene Gattin?«, fragte er dann, immer noch lächelnd.
»Richard?« Eleonore von Aquitanien stieg die Treppe zum Wehrgang hinauf. »Wo bleibst du denn? Ich warte auf dich. Schwere Entscheidungen stehen an, und du kokettierst hier mit den Mädchen! Noch dazu halben Kindern!« Sie wandte sich an die Kleine. »Hast du keinen Unterricht, Gerlin von Falkenberg? Geschwind zu deinen Lehrern!«
Eleonores Lächeln nahm ihren Worten die Schärfe. Die Königin liebte ihre Zöglinge, vor allem die schönen und klugen, die einmal genauso geschickte Politikerinnen zu werden versprachen wie sie.
Nichtsdestotrotz knickste das Mädchen sowohl vor seiner Ziehmutter als auch vor Richard Plantagenet und floh dann in die Frauengemächer. Allerdings gezielt in eine Kemenate, die Ausguck in die Gärten des Hofes bot. Die kleine Gerlin verschlang den schönen Prinzen mit ihren Augen.
So also fühlte es sich an, verliebt zu sein.
Der Kuss des Frühlings
Burg Falkenberg, Oberpfalz - Lauenstein, Oberfranken
März bis September 1192
Kapitel 1
Gerlin von Falkenberg betrachtete ihr Gesicht im Spiegel des träge dahinfließenden Flusses, der sich unterhalb des Anwesens ihres Vaters durch die liebliche Landschaft schlängelte. Sie war nicht sehr zufrieden mit ihrem Anblick. Die nachlässig geflochtenen Zöpfe und das einfache Leinenkleid hätten auch einer Hausmagd gehören können - die Herrin Ali´enor hätte sie für diese Aufmachung streng gerügt. Aber andererseits war der Hof von Aquitanien weit weg, und Gerlin war nicht gerade zu einem Fest unterwegs.
Sie hatte die Wäscherinnen am Fluss beaufsichtigt, nachdem sie die Küche inspiziert und dem Koch die Entnahme eines Schinkens aus der Speisekammer genehmigt hatte. Die Schlüssel zu den Wirtschaftsräumen klapperten an ihrem Gürtel - auch etwas, das weit unter der Würde der Herrin Ali´enor gewesen wäre. Aber die englische Königin war auf der Insel Ol´eron nicht Herrin ihres eigenen Hofes gewesen, sondern inhaftiert von ihrem Gemahl. Und ihr stand der Sinn weit mehr danach, die Geschicke ihrer Söhne in der großen Politik zu lenken, als einen Haushalt zu führen.
Gerlin dagegen war ganz zufrieden mit ihrer Stellung auf Falkenberg. Als man sie nach dem Tod ihrer Mutter zurück in die Oberpfalz beordert hatte - sie war achtzehn gewesen, und ihre höfische Ausbildung galt als abgeschlossen -, musste sie zunächst noch mit dem Widerstand einiger Ministerialen und Hausangestellten kämpfen. Isabelle von Falkenberg war lange krank gewesen und hatte die Zügel schleifen lassen. Dass jetzt die Tochter des Burgherrn tatkräftig die Haushaltung übernahm, schmeckte den Leuten nicht. Aber Gerlin hatte es Spaß gemacht, das am Hof der Eleonore von Aquitanien Gelernte auszuüben. Sie spielte ihren Charme aus, um Köche und Kämmerer für sich einzunehmen, imponierte dem Hofkaplan durch ihre guten Kenntnisse im Lesen und Schreiben und dem Stallmeister durch ihr Wissen über Pferde und Falknerei. Gerlin wies die Dienerinnen in ihre Schranken, wenn sie tratschten, statt zu arbeiten, übernahm die Herrschaft über Küche und Vorratskammern und trieb ihre jüngeren Brüder energisch ihren Hauslehrern und Waffenmeistern zu, denen die beiden etwas verwilderten Knaben bislang nur zu gern entwischt waren.
Peregrin von Falkenberg war denn auch mehr als zufrieden mit seiner schönen, klugen Tochter, und die Einwände seiner Ritter und Ratgeber gegen Gerlins Erziehung am Minnehof - noch dazu dem bekanntesten, aber auch verrufensten im ganzen Okzident - waren längst verstummt. Der Burgherr hatte es als Ehre empfunden, dass Eleonore seine Tochter aufnahm, er hatte höfische Manieren stets zu schätzen gewusst. Isabelle, seine verstorbene Frau, stammte schließlich selbst aus Aquitanien. Sie war Eleonores Gespielin gewesen, als die beiden noch jung waren, aber dann war ihr Vater bei König Heinrich in Ungnade gefallen, und Isabelle hatte unter ihrem Stand ehelichen müssen. Sie hatte es Peregrin allerdings nie fühlen lassen, sondern seinem kleinen Hof in der Pfalz so selbstverständlich, so kundig und so voller Liebreiz vorgestanden, als handle es sich um den Haushalt eines Kaisers. Mit der englischen Königin hatte sie bis zuletzt in Briefkontakt gestanden, und es war ihr eine große Freude gewesen, dass die Herrin Ali´enor ihre Tochter an ihrem Hof aufnahm.
Gerlin lächelte ihrem Spiegelbild zu, ein verführerisches Lächeln, das sie in der letzten Zeit zu selten übte. An wem hätte sie die Künste des Minnehofes auch erproben sollen? Die Ritter ihres Vaters waren alle alt - lediglich der Waffenmeister ihrer Brüder wäre ein altersmäßig passender Minneherr für sie. Aber der hielt nichts von höfischen Sitten, ein Raubauz und zudem ein Ritter ohne Land, weit entfernt davon, jemals ein eigenes Lehen zu erwerben.
Ab und an fanden sich natürlich Brautwerber ein - meist ältere Ritter, die eine Verbindung mit Burg Falkenberg für ihre Söhne in Betracht zogen. Peregrin von Falkenberg hatte sie bislang jedoch durchweg abgewiesen, meist ohne ihnen auch nur einen Blick auf Gerlin zu erlauben.
»Du bist zu gut für diese kleinen Krauter mit ihren winzigen Lehen!«, beschied er Gerlin, als sie ihn einmal scherzhaft fragte, ob er sie denn so gar nicht zu vermählen gedächte. »Da arbeitest du dich nur ab wie eine bessere Magd, während dein Gatte säuft und hurt! Nein, Kind, du bist zur Prinzessin erzogen, und eine solche sollst du auch werden. Oder doch zumindest eine Gräfin oder Fürstin, die einem großen Hof vorsteht. Ich will nicht, dass du deine Wäsche selbst wäschst!«
Gerlin erinnerte ihn besser nicht daran, dass sie das auf Falkenberg bereits tat - oder zumindest höchstselbst beaufsichtigte. Peregrin von Falkenberg haderte nach wie vor damit, dass er seiner wunderschönen edlen Isabelle nicht das Leben hatte bieten können, das sie gewohnt gewesen war. Nun sollte es wenigstens ihre Tochter besser haben. Gerlin lehnte sich nicht dagegen auf. Sie fühlte sich wohl auf Falkenberg, bislang hatte auch keiner der möglichen Ehemänner ihr Herz zum Singen gebracht.
Am Minnehof der Herrin Ali´enor hatte sie mitunter für einen der schönen Ritter geschwärmt - allen voran für den Prinzen Richard. Aber die ganz große Liebe, die alles verschlingende Leidenschaft, die Guinevere mit Lancelot verband oder Tristan mit Isolde, kannte sie bislang nur aus Liedern und Gedichten. Gerlin war bereit zu warten - auch wenn sie sich manchmal etwas darum sorgte, dass sie älter und älter wurde. In diesem Jahr zählte sie vierundzwanzig Lenze. Es wurde Zeit für eine Ehe.
Aber nun musste sie sich erst mal etwas herrichten, sonst würde sie ihren Ritter eher abschrecken, sollte er sich denn an diesem Tag noch herbemühen! Tatsächlich erwartete ihr Vater Gäste aus Franken, unter anderem einen jüdischen Medikus, der im Dienst der Ornemünder auf Lauenstein stand. Gerlin wunderte sich nicht über diese Bekanntschaft. Während der Krankheit ihrer Mutter hatte Peregrin Kontakte zu Ärzten in den entlegensten Gebieten des Reiches gesucht. Selbst ins ferne Salamanca hatte er Boten geschickt, und er hätte wohl auch nicht davor zurückgeschreckt, sich an die angeblich weit fortgeschrittenen Ärzte der Sarazenen oder Mauren in Al Andalus zu wenden. So weit hatte seine Hand allerdings nicht gereicht - und zurzeit tobten ja wohl auch wieder Kämpfe im Heiligen Land.
Gerlins Vater hatte sich also auf die Konsultation jüdischer Mediziner beschränken müssen, wenn er etwas mehr Hilfe für Isabelle wollte, als die christlichen Bader bieten konnten. Seinem Ruf in der Ritterschaft hatte das geschadet - ihm und der hochgebildeten Isabelle aber so manche anregende Korrespondenz mit klugen Köpfen in aller Welt eröffnet. Mitunter hatte die Ablenkung durch den Briefwechsel mit Philosophen und Heilkundigen ihr mehr geholfen als jede Medizin.
Nun stand ihnen also Salomon von Kronach ins Haus. Gerlin lächelte. Als Brautwerber würde er kaum kommen. Wenn sie sich recht erinnerte, war der Herr von Lauenstein vor nicht allzu langer Zeit verstorben. Und sein Sohn und Erbe war noch ein Kind.
Gerlin hörte die Hufschläge der Pferde schon auf der Zugbrücke zur Burg, als sie zurück ins Haus eilte. Es wurde wirklich Zeit, sich umzuziehen, auch wenn es eher unwahrscheinlich war, dass ihr Vater sie zum Nachtmahl in die Halle beorderte. An Minnehöfen war es üblich, dass die Damen den Rittern bei den Mahlzeiten Gesellschaft leisteten, aber an diese Sitten konnte sich Peregrin von Falkenstein nicht gewöhnen. Ein tugendhaftes Mädchen hielt sich seinerAnsichtnachderGesellschaftvonzechendenRitternfern.Er sah Gerlin am Abend auch ungern in den Wirtschaftshöfen. Jetzt lief sie allerdings rasch noch in den Weinkeller und schöpfte einen Krug des besten Roten, den die Burg zu bieten hatte. Sie wies den Mundschenk an, die Gäste mit einem Pokal davon willkommen zu heißen, und übergab ihm den Rest, um ihn am Tisch ihres Vaters auszuschenken. Gewöhnlich war sie sparsam mit diesem guten Tropfen, aber Meister Salomon war sicher kein starker Trinker. Dafür würde er Qualität zu schätzen wissen.
Gerlin freute sich für ihren Vater auf den Abend in der anregenden Gesellschaft des Medikus. Peregrin war nicht so ungebildet wie viele andere Ritter. Als jüngeren Sohn hatten seine Eltern ihn eigentlich Gott weihen wollen, dann aber aus dem Kloster zurückbeordert, als seine beiden älteren Brüder kurz nacheinander starben. Die Gebete, so hatte Gerlin ihn einmal scherzen hören, habe er danach nie vermisst, wohl aber das Studium der theologischen und philosophischen Schriften.
Inzwischen hatte man das Burgtor geöffnet, und vom Gang zu ihrer Kemenate aus erhaschte Gerlin einen kurzen Blick auf die Ankömmlinge. Der Mundschenk hatte sie im Burghof in Empfang genommen, und eben nahmen ihnen die Knechte die Pferde ab. Salomon von Kronach reiste mit einer Eskorte von vier Rittern, was ihn als wichtigen Mann auswies. Reich gekleidet war er nicht - die meisten Juden beschränkten sich zumindest in der Öffentlichkeit auf schlichte dunkle Kleidung, während die Ritter gern mit farbigen Roben prunkten. Allerdings war er weitaus jünger, als Gerlin gedacht hatte. Er war groß und hielt sich aufrecht, volles dunkles Haar umrahmte ein schmales Gesicht.
Während die Männer dem Mundschenk jetzt in die Halle folgten, konnte Gerlin noch kurz ihre Pferde in Augenschein nehmen. Die Ritter hatten schwere Hengste mitgebracht, wie nicht anders zu erwarten war. Große, wohlgenährte Tiere - der Herr von Ornemünde hatte seine Leute standesgemäß ausgestattet. Der jüdische Medikus ritt ein Maultier, das allerdings vielen Pferden in Adel kaum nachstand. Eine milchweiße Stute, zweifellos ein Zelter. Sie mochte den Preis von zwei Streitrossen wert sein.
Gerlin riss sich jetzt los und stieg hinauf in ihr Gemach - nicht ohne vorher noch kurz bei ihren Brüdern vorbeigeschaut zu haben. Beide waren bereits angekleidet für das abendliche Bankett, schimpften allerdings über die sicher langweilige Gesellschaft.
»Was will Vater nur von diesem alten Juden!«, erregte sich Rüdiger, mit zwölf Lenzen der ältere der beiden. »Er sollte lieber junge Ritter an den Hof holen. Im nächsten Jahr werde ich meine Schwertleite feiern. Mit wem soll ich da kämpfen? Mit dem alten Adalbert?«
Adalbert von Uslar war der älteste Ritter, und Peregrin behielt ihn mehr aus Mitleid am Hof denn als Verteidiger seines Lehens. Nur wenige Fahrende Ritter wurden in Ehren alt, die meisten starben jung bei irgendwelchen Turnieren oder Scharmützeln. Aber Adalbert lebte seit Jahren auf Falkenberg. Peregrin konnte ihm kein Lehen geben, weshalb er auch nie um ein Mädchen hatte freien können. Aber immerhin fand er einen Schlafplatz in der Halle, musste nicht hungern und konnte abends dem Wein zusprechen, wie es ihm beliebte.
»Du wirst an einen anderen Hof gehen, das haben wir doch schon besprochen!«, beschied Gerlin ihren Bruder, einen hübschen, hochgewachsenen Jungen mit lebhaften blauen Augen und ungebärdigem rotblondem Haarschopf.
Allerdings erwies sich Peregrin von Falkenberg hier als ebenso wählerisch wie bei der Verheiratung seiner Tochter. Rüdiger sollte nicht an irgendeinen unbedeutenden Hof, aber die großen Fürstenhaushalte rissen sich nicht gerade um einen Knappen aus unbedeutender Familie. Dennoch wurde es jetzt Zeit. Rüdiger musste in die Welt hinaus - möglichst an eine Burg, deren Erbe im gleichen Alter war. Dann konnte er seine Schwertleite mit diesem Jungen zusammen feiern, und dessen Vater würde das Fest ausrichten. An großen Höfen wurden oft Hunderte von Knappen gemeinsam mit dem Erben zum Ritter geschlagen - es erhöhte das Renommee eines Burgherrn, sie fürstlich zu beschenken. Peregrin von Falkenberg fehlte dagegen das Geld für eine standesgemäße Einführung seines Sohnes in die Ritterschaft. Es war überaus teuer, das damit verbundene Turnier auszurichten. Wenn überhaupt, so lohnte sich das nur, wenn gleich zwei Söhne zum Ritter geschlagen wurden. Und Wolfgang, der jüngere Bruder, war erst acht. Rüdiger hatte sicher keine Lust, noch fünf Jahre auf seine Erhebung in den Ritterstand zu warten.
»Vielleicht ergibt sich ja gerade heute etwas für dich!«, ermutigte Gerlin ihren Bruder. »Der Jude kommt aus Lauenstein, vielleicht kannst du da als Knappe unterkommen. Vater wird euch den Rittern vorstellen, die ihn begleiten. Sei höflich, lausche ihren Reden - vielleicht kannst du ihnen aufwarten ... Und vor allem: Untersteh dich, den Juden herablassend zu behandeln! Wenn du einen guten Eindruck machst, setzt er sich vielleicht für dich ein, falls es zu Verhandlungen kommt.«
Gerlin hoffte, dass ihr Vater Rüdigers Schwertleite und die damit verbundenen Komplikationen nicht aus den Augen verlor. Der Sohn des verstorbenen Ornemünders durfte in Rüdigers Alter sein, man musste ihn irgendwann zum Ritter schlagen, und bestimmt geschah das im Rahmen einer aufwändigen Zeremonie. Ein Knappe mehr oder weniger machte da sicher keinen Unterschied, und der jüdische Medikus mochte Einfluss haben. Gerlin ärgerte sich, nicht früher auf den Gedanken gekommen zu sein. Sie hätte Erkundigungen über Lauenstein einziehen und ihren Vater vorbereiten können.
Aber jetzt hatte sie immerhin Rüdiger besänftigt. Er zog hoffnungsvoll ab, gefolgt von seinem jüngeren Bruder, der ihn vergötterte. Ihr Waffenmeister würde die Jungen in der Halle in Empfang nehmen - oder der alte HerrAdalbert, falls sich Leon von Gingst zu gut war, um gemeinsam mit einem Juden zu speisen. Gerlin hatte die Ritter über den seltsamen Besucher ihres Burgherrn reden hören, und auch Rüdigers Bemerkungen zeugten davon, dass Herr Leon auf die Hebräer nicht allzu gut zu sprechen war.
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Unter dem Autorennamen Sarah Lark schreibt sie mitreißende Neuseelandschmöker (Im Land der weißen Wolke, Das Lied der Maori, Der Ruf des Kiwis), die Dauerbrenner auf der Taschenbuch-Bestsellerliste sind.
- Autor: Ricarda Jordan
- 558 Seiten, Maße: 14,6 x 21,9 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828997198
- ISBN-13: 9783828997196
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