Das gestohlene Kind
Eine mitrei ende Geschichte ber das Abenteuer, erwachsen zu werden, ein eindringlicher Entwicklungsroman - an der hauchd nnen Trennwand zwischen Wunsch und Wirklichkeit: ein M rchen f r Erwachsene.
"Donohue siedelt seine phantastische Geschichte im ganz gew hnlichen Alltag an und l t uns so an die Magie glauben." Kirkus Reviews
"Keith Donohues Roman wird ein Klassiker!" The New York Times
"Der amerikanische Autor Keith Donohue verkn pft in seinem Romandeb t 'Das gestohlene Kind' kunstvoll Motive aus M rchen und Psychologie." Dpa
Das gestohlene Kind von Keith Donohue
LESEPROBE
Kapitel1
Bezeichnetmich nicht als Feenwesen. Wir wollen nicht mehr als Feenwesen bezeichnet werden. Vor langer Zeit war das einvollkommen akzeptabler Sammelbegriff, aber heute hat er zu viele Bedeutungen angenommen.Etymologisch betrachtet sind wir verwandt mit denNajaden oder Wassernymphen, und was das Geschlecht angeht, sind wir von ganzeigener Art. Das Wort Fee ist abgeleitet vom altfranzösischen fée, das wiederum vom lateinischen fata, Schicksalsgöttin, abstammt. Die Feen lebtenin Gruppen in einem Reich, Feenland genannt, zwischen den himmlischen undirdischen Sphären.
Indieser Welt existiert eine ganze Reihe sublunarerTeufel oder Geister, die carminibus coelo possunt deducerelunam [durch ihre Beschwörungen können sie denMond vom Himmel herabhexen].
SeitVorzeiten unterteilt man sie in sechs Arten: in feurige, luftige, erdige,wässrige und unterirdische Teufel, wozu noch die Feen und Nymphen kommen. Vonden Feuer-, Wasser- und Luftgeistern weiß ich so gut wie nichts. Aber dieirdischen und unterirdischen Teufel kenne ich nur allzu gut, sie gibt es inunendlicher Vielfalt, ebenso wie die mit ihnen einhergehenden Sagen über ihrVerhalten, ihre Gebräuche und ihre Kultur. Auf der ganzen Welt kennt man sieunter verschiedensten Namen - Laren, Genien, Faune, Satyrn, foliots,Elben, Pucks, Wichtelmännchen, Pukas,Sídhe, Trolle -, und die wenigen, die es heute nochgibt, leben so versteckt in den Wäldern, dass der Mensch ihnen nur seltenbegegnet. Wenn ihr mir denn unbedingt einen Namen geben müsst, so nennt micheinen Kobold.
Oderbesser noch: Ich bin ein Wechselbalg, ein Changeling- ein Wort, das erklärt, wozu wir gezwungen sind, was wir beabsichtigen zu tun.Der Kobold wird zum Kind, und das Kind wird zum Kobold. Nicht jeder Junge oderjedes Mädchen kommt für diesen Austausch in Frage, sondern nur die einsamenSeelen, die ratlos vor ihrem jungen Leben stehen oder auf die Welt als Jammertaleingestimmt sind. Die Wechselbälger wählen sorgfältig aus, denn eine solcheGelegenheit bietet sich ihnen vielleicht nur ein einziges Mal im Laufe einesJahrzehnts. Ein Kind, das Teil unserer Gemeinschaft geworden ist, mussvielleicht ein ganzes Jahrhundert warten, ehe es im Kreislauf unserer Ordnungan ihm ist, uns zu verlassen und wieder in die menschliche Welt einzutreten.
DieVorbereitungen sind aufwändig, sie fordern eine genaue Beobachtung des Kindessowie seiner Freunde und Familie. Dies muss selbstverständlich unbemerktvonstatten gehen, und am besten wählt man das Kind aus, ehe es zur Schule geht.Später wird es komplizierter, da man über die engste Familie hinaus sich unendlichviele Informationen einprägen und diese verarbeiten muss. Zudem muss man fähigsein, sich nicht nur die Persönlichkeit und Geschichte des Kindes anzueignen,sondern auch seinen Körperbau und seine Gesichtszüge. Mit Säuglingen geht dasam leichtesten, doch für sie zu sorgen, ist für die Kobolde ein Problem. Ambesten sollten die Kinder sechs oder sieben Jahre alt sein. Ist das Kind älter,hat es bereits ein stärker entwickeltes Ich-Gefühl. Doch gleichgültig, wie altoder jung es ist, das Ziel besteht darin, die Eltern so zu täuschen, dass sieglauben, der Wechselbalg sei ihr Kind. Was leichter ist, als es sich diemeisten vorstellen.
Nein, die Schwierigkeit liegt nicht darin, sich die Geschichte einesKindes zu eigen zu machen, sondern im schmerzhaften körperlichenVorgang des Wechsels. Zuerst dehnt man seine Knochen und die Haut, bis manzitternd bei der annähernd richtigen Größe und Körperform einrastet. Dannbeginnen die anderen mit der Arbeit am neuen Kopf und Gesicht, was ihnen dieFähigkeiten eines Bildhauers abverlangt. Da ist beträchtliches Zerren undZiehen am Knorpel vonnöten, als wäre der Schädel ein weicher Lehm- oder Karamellklumpen,und dann die tückische Sache mit den Zähnen, das Entfernen der Haare und das mühsameEinweben der neuen. Die gesamte Prozedur verläuft ohne ein Gramm Schmerzmittel,nur einige wenige trinken widerlichen Alkohol aus vergorenem Eichelbrei. Einscheußliches, aber äußerst lohnendes Unterfangen, wobei mir die komplizierte Umgestaltungder Genitalien erspart blieb. Am Ende ist man die exakte Kopie eines Kindes.Vor dreißig Jahren, 1949, war ich ein Wechselbalg, der wieder ein menschlichesWesen wurde.
Ichhabe mit Henry Day das Leben getauscht, einem Jun - gen, der außerhalb derStadt auf einem Bauernhof lebte. An einem Spätsommernachmittag lief dersiebenjährige Henry von zu Hause weg und versteckte sich in einer hohlenKastanie. Die Spione unter uns Wechselbälgern folgten ihm und gaben Alarm, undich verwandelte mich in sein perfektes Faksimile. Wir packten ihn, und ichschlüpfte in den hohlen Stamm, um mein Leben gegen seins auszutauschen. Als derSuchtrupp mich in dieser Nacht fand, waren alle glücklich, erleichtert undstolz - gar nicht wütend, wie ich erwartet hatte. »Henry«, sprach mich ein rothaarigerMann in einer Feuerwehruniform an, als ich in meinem Versteck so tat, alsschliefe ich. Ich schlug die Augen auf und schenkte ihm ein strahlendesLächeln. Der Mann wickelte mich in eine dünne Decke und trug mich aus dem Wald biszu einer gepflasterten Straße, wo ein Feuerwehrwagen wartete, dessen rotesLicht wie ein Herzschlag pulsierte. Die Feuerwehrmänner brachten mich nachHause zu Henrys Eltern, zu meinem neuen Vater und meiner neuen Mutter. Als wirin jener Nacht über die Straße fuhren, war mein steter Gedanke: Sollte ichdiese erste Prüfung bestehen, würde die Welt wieder mir gehören.
Eineweit verbreitete Legende besagt, in der Tierwelt erkenne die Mutter ihr Jungesund lehne ein fremdes, das sich in den Bau oder ins Nest drängt, ab. Das stimmtnicht. Der Kuckuck legt seine Eier immer in fremde Nester, und obwohl dasKuckucksjunge auffallend groß ist und einen unbändigen Appetit zeigt, bekommtes genauso viel, nein, tatsächlich noch mehr mütterliche Zuwendung, die oftsogar so weit geht, dass sie die anderen Jungen aus ihrem luftigen Heim stößt.Manchmal lässt die Vogelmutter ihre eigene Brut wegen der unersättlichenAnsprüche des Kuckucks darben. Meine erste Aufgabe bestand darin, den Anschein zuerwecken, ich wäre Henry Day. Leider sind Menschen gegenüber Eindringlingen inihr Nest viel misstrauischer und weniger tolerant.
DieRettungsleute wussten nur, dass sie nach einem kleinen Jungen suchten, der sichim Wald verirrt hatte, also konnte ich stumm bleiben. Schließlich hatten sie einengefunden und waren darüber sehr froh. Als der Feuerwehrwagen in dieAuffahrt zum Haus der Days schlingerte, erbrach ich ein buntes Gemisch aus Eichelbrei,Brunnenkresse und kleinen Insektenpanzern gegen die leuchtend rote Tür. DerFeuerwehrmann tätschelte mir den Kopf und hob mich mitsamt der Decke hoch, alswäre ich nichts weiter als ein gerettetes Kätzchen oder ein ausgesetztes Baby. HenrysVater sprang von der Veranda, um mich in die Arme zu schließen, und mit einerkräftigen Umarmung und liebevollen, nach Rauch und Alkohol riechenden Küssenhieß er mich als seinen einzigen Sohn zu Hause willkommen. Die Mutter würde sehrviel schwerer zu täuschen sein. ( )
©Verlag C. Bertelsmann
Übersetzung:Sabine Herting
- Autor: Keith Donohue
- 2007, 2, 445 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Dtsch. v. Sabine Herting
- Übersetzer: Sabine Herting
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 357000936X
- ISBN-13: 9783570009369
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