Das Glasauge
Neue Kille Kille Geschichten
In "Das Glasauge" hat E.W. Heine ein Bündel aus fünfzehn seiner schönsten makabren Kille Kille Geschichten geschnürt, mit denen er sich als Schriftsteller einen Namen machte.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Glasauge “
In "Das Glasauge" hat E.W. Heine ein Bündel aus fünfzehn seiner schönsten makabren Kille Kille Geschichten geschnürt, mit denen er sich als Schriftsteller einen Namen machte.
Klappentext zu „Das Glasauge “
Ein Augenarzt, der fremde Augen stiehlt, eine einsame Biologin, die einen riskanten Selbstversuch startet, ein Lastwagenfahrer, der durch seine Hilfsbereitschaft ein Ehepaar in den grausamen Tod treibt ... Fünfzehnmal beweist E.W. Heine im vorliegenden »Kille Kille«- Band seine Meisterschaft im Erzählen kurzer, sprachlich eleganter und anfangs scheinbar ganz harmloser Geschichten deren makabre und hinterhältige Pointe den Leser am Ende unvorhersehbar niedermäht. Wie Heine seine treffsicher charakterisierten Figuren nach wenigen Seiten ins offene Messer laufen lässt, fasziniert fast wider Willen und lässt mit wohligem Schauer gespannt auf die nächste Pointe warten. Geschickt variiert der Autor dabei seine Themen, vom einsamen Sandstrand bis zur Weltraumkapsel reichen seine Schauplätze. »Das Schlimmste, das mir mit meinen Geschichten passieren könnte, ist die Vorstellung, dass ich jemanden langweilen würde«, meintder Autor. Eine Befürchtung, die jede dieser 15 Geschichten aufs Trefflichste zu widerlegen versteht ...
Lese-Probe zu „Das Glasauge “
Der November ist in Schottland ein trauriger Monat, ein Monat voller Regen, Nebel und Hoffnungslosigkeit. In solch einer Novembernacht quälte sich eine alte Fordlimousine durch den endlos rauschenden Regen, der alles umhüllte, sogar die Gedanken. Monoton zerrissen die Scheibenwischer den bleigrauen Wasserschleier. Das kalte Licht der Scheinwerfer huschte suchend über blankes Kopfsteinpflaster und sprang schemenhaft von Stamm zu Stamm der schlafenden Chausseebäume.Der Mann hinter dem Steuerrad hatte sich wie eine Schnecke in den Schutz seines Mantels zurückgezogen. Der hochgeschlagene Kragen und der weiche Filzhut gaben nur die Nase, eine Hornbrille und den Schnurrbart frei. Während Hände und Füße den Wagen mechanisch und selbständig wie Roboter bedienten, leuchteten hinter der Stirn farbige Gedankenbilder. Eine unendliche Welt aus Gefühlen, Gedanken und Träumen fuhr durch eine von Nebel und Dunkelheit eng begrenzte Umwelt. Beide Welten waren für den Mann am Steuer Wirklichkeit. Aber was war schon wirklich?
Daß es nicht die Dinge waren, die man mit seinen fünf Sinnen erlebte, wußte der Mann aus eigener Erfahrung. Er war Augenarzt, genauer gesagt Professor für Augenheilkunde. In Fachkreisen war sein Name weltweit bekannt, denn niemand hatte so viele Blinde sehend gemacht wie er. Er transplantierte Augen, wie andere Blinddärme entfernten. Er wußte, daß Blinde Dinge sahen, die Sehende nicht wahrzunehmen vermochten. Die Welt außerhalb der fünf Sinne war eine Realität, an der nur Narren zweifeln konnten. Er wußte von diesen Dingen nicht nur als Arzt. Er war selber blind gewesen.
Die Landstraße führte über einen Berg. Der Wind ergriff das Auto und schüttelte es wie ein Spielzeug. Der Regen peitschte gegen das Blech, als haßte er das synthetische Monster, das sich mit dröhnendem Motor durch die Novembernacht fraß, in der sich alles natürliche Leben in sich selbst zurückgezogen hatte und erstarrt zu sein schien.
Die tiefe pessimistische Müdigkeit, die über dem
... mehr
Land lag, hatte keine Gewalt über den Mann hinter dem Steuer. Er hatte das Wochenende in seinem Landhaus in der Einsamkeit der Berge verbracht und befand sich jetzt auf dem Weg nach U., wo er eine private Augenklinik leitete, deren Patienten aus aller Welt zusammenströmten.
Da er wie viele Gelehrte ein Nachtmensch war und an chronischen Schlafstörungen litt, reiste er in seiner alten Fordlimousine grundsätzlich nur nachts. Er liebte die Nachtfahrten, die nur ihm gehörten. Kein Telefon störte seine Gedankengänge.
Er sah auf die Uhr. Es lagen noch gut zwei Stunden Fahrt vor ihm. Nach seiner Ankunft würde er ein heißes Bad nehmen. Dann standen ihm noch vier Stunden Schlaf zur Verfügung. Mehr schlief er nie. Professor Wilson wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, da sah er im Rückspiegel die Lichter. Das Auto näherte sich mit großer Geschwindigkeit. Die Scheinwerfer lagen sehr tief wie bei einem Sportwagen. Es war ein Porsche, der zum Überholen ansetzte, ins Schleudern kam und mit der linken Seite einen Chausseebaum streifte. Er überschlug sich mehrere Male auf dem Kopfsteinpflaster, brach Funken stiebend in mehrere Teile auseinander und stürzte seitlich der Straße in den dunklen Straßengraben. Professor Wilson stoppte und lief zurück zu dem Wagen. Er lag mit dem Dach nach unten, die Räder drehten sich noch in voller Fahrt. Es roch nach Benzin und verbranntem Gummi. Der Fahrersitz war leer.
Der Professor wendete seinen Wagen und parkte ihn so, daß das Licht der Scheinwerfer auf dem Autowrack lag. Ein paar Schritte neben dem Wagen lag in einer unnatürlich verdrehten Haltung ein Mann. Er hatte sich das Rückgrat gebrochen. Seine sterbenden Beine bewegten sich, als wollte er davonlaufen. Der Fremde war bei dem Aufprall durch die Windschutzscheibe geschleudert worden. Sein Gesicht war zerschnitten und blutete aus zahllosen Wunden.
Oberhalb der Stirn am Haaransatz klaffte ein tiefer, sichelförmiger Einschnitt. Die Kopfhaut war bis zur Mitte des Schädels zurückgeschoben, so als hätte man den Mann skalpiert. Seine Augen standen weit offen. Sie waren auf einen Gegenstand gerichtet, der sich in der Unendlichkeit zu befinden schien. Beide Augen waren unverletzt.
Professor Wilson blickte in das blutige Gesicht. Seine Gedanken liefen zurück bis in längst vergangene Tage. Das zerschnittene Gesicht war sein eigenes. Die toten Augen gehörten ihm. Er hörte wieder die Stimme seiner Mutter, die auf der Gartenterrasse nach ihm rief. Er lag im Haus auf dem Teppich und las in einer Indianergeschichte. Er klappte das Buch zu, stand auf und rannte durch den Wohnraum dem Sonnenlicht entgegen. Er sah den gedeckten Tisch unter dem bunten Sonnenschirm und dahinter den Garten, der unter dem strahlenden Sommerhimmel seine üppig blühende Pracht entfaltete. Mit einem fürchterlichen Klirren zerbrach das Bild in tausend Scherben. Dahinter lag grenzenlose Dunkelheit. Er hörte den Schrei seiner Mutter und spürte das warme Blut auf den Wangen. Bevor er ohnmächtig wurde, wußte er, daß er durch die Glasscheibe der geschlossenen Terrassentür gerannt war. Er dachte an die vielen Operationen, mit denen sie die Sehkraft seines linken Auges gerettet hatten. Für das rechte kam jede Hilfe zu spät. Er trug seit seinem elften Lebensjahr ein Glasauge. Zwischen den Operationen lag er wochenlang mit verbundenen Augen in abgrundtiefer Dunkelheit. Er hatte nie gewußt, daß die Welt so voll von Geräuschen und Tönen war. Jedes Auto, das unter seinem Fenster vorüberfuhr, hatte seinen eigenen, unaustauschbaren, individuellen Klang. Er erkannte am Tonfall der Schritte die Schwestern und Ärzte, bevor sie sein Zimmer im Krankenhaus betraten. Der Wind in den Bäumen, das Bellen eines Hundes in der Nacht, der Duft eines Apfels, die Luft nach dem Regen. Es gab farbige Bilder, die er mit verbundenen Augen sah.
Damals war der Wunsch in ihm wach geworden, Augenarzt zu werden und in die leuchtenden Geheimnisse des Sehens einzudringen. Inzwischen wußte er mehr vom Auge als die meisten lebenden Ärzte. Aber war es wirklich Wissen oder war es höchste Vollendung handwerklichen Könnens? Er war wie ein Uhrmacher, der alle Uhren der Welt kannte und doch nichts über das Wesen der Zeit wußte, das wie ein großer stetiger Strom durch diese Uhren floß.
Die Beine des Toten hatten aufgehört zu zucken. In ein paar Stunden würde die Totenstarre eintreten. Wilson untersuchte die Taschen und das Handschuhfach des Mannes. Er fand keine Papiere, aus denen der Name ersichtlich gewesen wäre. Das Gesicht des Toten war eine einzige blutverkrustete Masse. Wilson schrieb die Nummer des Autokennzeichens auf die Rückseite einer Zigarettenschachtel. Es gab nichts mehr, was er für den Fremden noch tun konnte, außer - er sah in die toten Augen - ihm die Augen zu schließen. Er beugte sich über ihn und bemerkte dabei, daß die toten Augen die gleiche Farbe hatten wie seine eigenen. Sie waren graugrün.
Der Tote war noch jung, Anfang zwanzig vielleicht. Wilson sah wieder sich selbst, die Gartenterrasse, das Glas und das Blut. Der Mann hier war tot, sein Gesicht und sein Körper waren zerstört. Nur seine Augen waren heil geblieben. Bei ihm war es genau umgekehrt gewesen. Etwas Schicksalhaftes verband ihn mit dem Toten. Obwohl er ihm niemals lebend begegnet war, gab es eine starke Anziehungskraft zwischen ihnen, es waren die Augen.
Der junge Mann war zwar tot. Die Todesursache stand einwandfrei fest: Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang auf einer einsamen Landstraße. Es würde eine flüchtige routinemäßige Untersuchung der Polizei geben. In spätestens einer Woche lag der Mann unter der Erde. Seine sterblichen Überreste waren ein Abfallprodukt der Natur. Man würde die Leiche beerdigen oder verbrennen, und das war der Punkt, wo Wilsons Überlegungen einsetzten. Noch lebten die Augen des Mannes. Es würde mehrere Stunden dauern, bis auch sie starben.
Er lief zurück zu seinem Wagen und holte seinen Arztkoffer, den er stets für den Notfall mit sich führte. Er wußte, er handelte gegen die bestehenden Gesetze, aber diese Gesetze waren seiner Meinung nach sentimental, dumm und überholt. Die Leiche war für die Gesellschaft ohne Wert. In wenigen Stunden waren die Augen tot. Eine seltsame Anziehungskraft ging von diesen Augen aus. Er kniete auf dem feuchten Laub nieder und griff mit geübten Fingern dem Toten in das rechte Auge. Er spürte die gallertartige feuchte Masse, als er den Augapfel aus dem Schädel zog. Es gab ein schmatzendes Geräusch. Wie eine reife Tomate lag das Auge auf seiner Hand. Er durchtrennte den Sehnerv mit dem Skalpell und wickelte das zarte Sehorgan in ein Gazetuch, das er mit seinem eigenen Speichel anfeuchtete. Dann holte er sein eigenes Glasauge aus der Aughöhle und drückte es dem Toten in das zerstörte Gesicht. Es war starr und tot wie das andere. Niemand würde den Unterschied bemerken. Was machte es schon aus, ob man den Fremden mit seinem eigenen oder mit einem Glasauge beerdigen würde. Trotzdem kam er sich wie ein Dieb vor, als er zu seinem Wagen zurückging.
Zu Hause legte er das Auge wie eine kostbare Perle in die für die Transplantate vorgesehene Nährlösung und verschloß es in seinem Tresor. Während der nächsten Tage verbrachte er viele Stunden vor dem gläsernen Reagenzgefäß in Betrachtung seines zukünftigen Auges. Es war kraftvoll, jung und lebte, während sein Träger bereits in Verwesung übergegangen war. "Ich bin der einzige Mensch, der sein eigenes Auge sieht", sagte er zu sich selbst, und er kam sich vor wie ein Schöpfer, der sich selbst aus eigener Kraft erschafft.
Er besprach jede Einzelheit der Operation mit seinem ersten Assistenten, einem jungen Chirurgen, der besessen war von dem Wunsch, seinen Meister zu überflügeln. Als Professor Wilson auf dem Operationstisch lag, war er Chirurg und Patient zugleich, Meister und Werkstoff.
Nach einer bangen Woche stand fest, daß der Körper das artfremde Gewebe nicht abgestoßen hatte. Wilson zählte die Stunden bis zur Abnahme des Verbandes. Man hatte ihm, wie das bei solchen Operationen üblich ist, beide Augen verbunden, um jede Bewegung des transplantierten Auges zu verhindern. Wieder lag er in abgrundtiefer Dunkelheit und wartete. Wieder erlebte er die fremdartige, farbige Welt der Geräusche. Er lauschte seinem Pulsschlag in dem fremden Auge, dem Rauschen des Blutes in den Schläfen und seinem Atem. Ein Flugzeug zog seine einsame Bahn über den Wolken, eine Stubenfliege brummte ihren Zorn gegen das Glas des Fensters. Die Vögel verkündeten den Tag, und die Hunde verbellten den Mond. Am lautesten aber sprach die Stille.
Am 1. Dezember wurde der Verband abgenommen. Obwohl das Zimmer abgedunkelt war, erlebte Wilson die Helligkeit wie eine ungeheure Explosion. Nach einer Weile erkannte er die einzelnen Gegenstände des Raumes wie hinter einer Milchglasscheibe. Als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, wurden Konturen schärfer und schärfer, bis sie klar und greifbar vor ihm standen. Zum ersten Mal seit seiner Kindheit sah er seine Umwelt plastisch mit zwei Augen. Er stand da und schaute mit grenzenlosem Erstaunen auf die nebensächlichsten Dinge. Niemand sprach. Schließlich bat er um einen Spiegel. Er betrachtete sich lange. In dieser Nacht schlief er nicht. Der Verband wurde jeden Tag ein wenig länger abgenommen. Bereits nach ein paar Tagen trug der Professor nur noch eine starke Sonnenbrille. Die Operation war ein voller Erfolg gewesen.
Aber jedesmal, wenn er in den Spiegel schaute, und das tat er oft, dachte er an den unbekannten Toten, der ihn mit seinem Auge anstarrte. Alles, was er von dem Fremden wußte, war eine Autonummer auf der Rückseite einer leeren Zigarettenschachtel. Aber allmählich verblaßte auch diese Erinnerung immer mehr.
Kurz vor Weihnachten meldete die Sekretärin des Professors einen älteren Herrn, der sich als Kriminalinspektor Carter von Scotland Yard vorstellte. Carter war kein Mann von langen Floskeln. Er kam sofort zur Sache:
"Herr Professor, wir haben da ein Problem, bei dem wir auf Ihre Mithilfe angewiesen sind." Er holte einen Aktenordner aus seiner Tasche, schlug ihn auf und fuhrt fort: "In der Nacht vom 4. zum 5. November dieses Jahres ereignete sich auf der Landstraße R 236 nicht weit von der Abzweigung nach G. ein tödlicher Unfall. Ein weißer Porsche geriet auf dem nassen Kopfsteinpflaster bei hoher Geschwindigkeit ins Schleudern und zerschellte an einem Chausseebaum. Der Fahrer war auf der Stelle tot."
Professor Wilson spürte den kalten Angstschweiß auf seiner Stirn. Er zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an. "Den gerichtsmedizinischen Befund finden Sie in diesem Ordner. Der Porsche war eine Woche vorher in London gestohlen worden. Der Fahrer des Wagens war uns zunächst unbekannt. Anhand der Fingerabdrücke gelang es uns, den Toten vor ein paar Tagen einwandfrei zu identifizieren. Es handelt sich um den mehrfach vorbestraften Westdeutschen Helmut Korff. Er trug als unveränderliches Kennzeichen ein Glasauge. Diese Tatsache war der Ortspolizei bedauerlicherweise entgangen. Eine vor zwei Tagen nachträglich durchgeführte Exhumination der Leiche ergab, Sie werden es nicht glauben, daß Helmut Korff zwei Glasaugen hatte. Wie aber, zum Teufel, kann ein Mensch mit zwei Glasaugen einen Wagen fahren? Können Sie mir diese Frage beantworten?"
Professor Wilson dachte: "Ja, das kann ich." Dann verlor er die Nerven und lachte, daß es wie das tierische Heulen einer lachenden Hyäne durch die Gänge der Klinik schallte.
Die Flut
Die Wellen schlugen gegen die Felsen, stark und gleichmäßig. Das Haar der jungen Frau wehte im Wind, der vom Meer kam und nach Salz schmeckte. Die junge Frau stand auf dem oberen Rand der Steilküste. So weit der Blick reichte, gab es nur Wasser, Himmel und weißen Sand. Sie kletterte hinunter zum Meer und lief mit nackten Füßen den schmalen Brandungsstreifen entlang, der sich mit jeder Welle näher an die Steilküste heranschaukelte. Die steigende Flut verschluckte den Strand wie einen großen Sandkuchen. Die Wolken, die unter der Sonne vorbeiflogen, jagten als schwarze Schatten über den weißen Sand.
Die junge Frau bückte sich nach einer Muschel. Als sie sich aufrichtete, sah sie einen dunklen Gegenstand auf dem nassen Strand. Hundert Meter entfernt lag er oberhalb der Brandung wie ein großer Fisch.
Die Felsenküste stieß dort besonders dicht ans Meer. Der Strand war schmal und mit mächtigen herabgestürzten Steinen, die die Brandung rund gewaschen hatte, bedeckt. Dazwischen staken Baumstämme, vom Meer geschält und von der Sonne gebleicht, wie Knochen von riesigen Ungeheuern.
Der Körper oberhalb der Brandung aber war schwarz wie ein Fisch. Als sie näher kam, sah sie, daß es ein Mensch war.
Der Mann lag auf der linken Seite mit dem Gesicht im Sand. Seine Arme waren ausgestreckt, so als wäre er im Sprung gestürzt. Das blonde Haar war naß und blutig. Das linke Bein steckte unter dem Stein. Neben dem Mann lagen eine Säge und ein Strick. Die Küste stürzte hier fast senkrecht ins Meer. Eine vom Sturm zerzauste Kiefer hing wie eine Drohung in der Wand. Darüber leuchtete frisches rostrotes Gestein. Es hatte die gleiche Farbe wie der Felsblock auf dem Bein des Mannes. Vermutlich hatte der Fremde sich zu dicht an den Steilhang gewagt und war mit dem verwitterten Gestein abgestürzt.
Ein tiefes Stöhnen kam aus der Brust des Mannes. Die junge Frau stemmte sich gegen den Stein, aber sie bewegte ihn nicht von der Stelle. Sie versuchte es mehrere Male. Der Stein gab nicht nach. Es war totenstill. Nur die Brandung rauschte. Sogar die Möwen waren davongeflogen. Der Fremde lag wie tot im Sand, aber er atmete. Die junge Frau beschloß, zu ihrem Wagen zurückzulaufen, der irgendwo hinter den Dünen parkte. Sie hatte einen langen Spaziergang hinter sich, aber wenn sie sich beeilte, könnte sie die Strecke in einer halben Stunde schaffen. Sie mußte versuchen, Menschen zu finden, die stark genug waren, den Stein zu bewegen. Die Landschaft hier im Umkreis war das einsamste Stück Erde, dem sie je begegnet war. Sie hatte dieses Land wegen seiner unbewohnten Weite geliebt, aber jetzt erfüllte die Einsamkeit sie mit Grauen. Wie weit würde sie fahren müssen, um Hilfe zu finden? Sie sah zur Sonne hoch. Es war später Nachmittag. Wie lange der Fremde hier wohl schon lag? Wenn der Mann kein Fahrzeug besaß, mußte er hier in der Nähe wohnen. Vielleicht hatte er sein Haus irgendwo hinter der Küste und wohnte dort nicht allein. Hoffentlich befand sich ein Telefon im Haus.Sie lief den Strand entlang, bis die Steilküste flacher wurde. Sand, Gras und Kiefern, so weit der Blick reichte. War da nicht Rauch am Himmel? Aber es war nur Dünensand, den der Wind aufgewirbelt hatte. Die Brombeeren und Sanddornsträucher zerrissen ihr die nackten Beine. Ein brütender Vogel flog schreiend auf. Dann lastete wieder die unheimliche Stille über dem Land. Sie war allein. Obwohl sie wußte, daß sie den Stein nicht bewegen konnte, ging sie zurück. Sie glaubte, daß der Fremde in der Brandung sterben würde, wenn sie nicht zu ihm ginge.
Da er wie viele Gelehrte ein Nachtmensch war und an chronischen Schlafstörungen litt, reiste er in seiner alten Fordlimousine grundsätzlich nur nachts. Er liebte die Nachtfahrten, die nur ihm gehörten. Kein Telefon störte seine Gedankengänge.
Er sah auf die Uhr. Es lagen noch gut zwei Stunden Fahrt vor ihm. Nach seiner Ankunft würde er ein heißes Bad nehmen. Dann standen ihm noch vier Stunden Schlaf zur Verfügung. Mehr schlief er nie. Professor Wilson wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, da sah er im Rückspiegel die Lichter. Das Auto näherte sich mit großer Geschwindigkeit. Die Scheinwerfer lagen sehr tief wie bei einem Sportwagen. Es war ein Porsche, der zum Überholen ansetzte, ins Schleudern kam und mit der linken Seite einen Chausseebaum streifte. Er überschlug sich mehrere Male auf dem Kopfsteinpflaster, brach Funken stiebend in mehrere Teile auseinander und stürzte seitlich der Straße in den dunklen Straßengraben. Professor Wilson stoppte und lief zurück zu dem Wagen. Er lag mit dem Dach nach unten, die Räder drehten sich noch in voller Fahrt. Es roch nach Benzin und verbranntem Gummi. Der Fahrersitz war leer.
Der Professor wendete seinen Wagen und parkte ihn so, daß das Licht der Scheinwerfer auf dem Autowrack lag. Ein paar Schritte neben dem Wagen lag in einer unnatürlich verdrehten Haltung ein Mann. Er hatte sich das Rückgrat gebrochen. Seine sterbenden Beine bewegten sich, als wollte er davonlaufen. Der Fremde war bei dem Aufprall durch die Windschutzscheibe geschleudert worden. Sein Gesicht war zerschnitten und blutete aus zahllosen Wunden.
Oberhalb der Stirn am Haaransatz klaffte ein tiefer, sichelförmiger Einschnitt. Die Kopfhaut war bis zur Mitte des Schädels zurückgeschoben, so als hätte man den Mann skalpiert. Seine Augen standen weit offen. Sie waren auf einen Gegenstand gerichtet, der sich in der Unendlichkeit zu befinden schien. Beide Augen waren unverletzt.
Professor Wilson blickte in das blutige Gesicht. Seine Gedanken liefen zurück bis in längst vergangene Tage. Das zerschnittene Gesicht war sein eigenes. Die toten Augen gehörten ihm. Er hörte wieder die Stimme seiner Mutter, die auf der Gartenterrasse nach ihm rief. Er lag im Haus auf dem Teppich und las in einer Indianergeschichte. Er klappte das Buch zu, stand auf und rannte durch den Wohnraum dem Sonnenlicht entgegen. Er sah den gedeckten Tisch unter dem bunten Sonnenschirm und dahinter den Garten, der unter dem strahlenden Sommerhimmel seine üppig blühende Pracht entfaltete. Mit einem fürchterlichen Klirren zerbrach das Bild in tausend Scherben. Dahinter lag grenzenlose Dunkelheit. Er hörte den Schrei seiner Mutter und spürte das warme Blut auf den Wangen. Bevor er ohnmächtig wurde, wußte er, daß er durch die Glasscheibe der geschlossenen Terrassentür gerannt war. Er dachte an die vielen Operationen, mit denen sie die Sehkraft seines linken Auges gerettet hatten. Für das rechte kam jede Hilfe zu spät. Er trug seit seinem elften Lebensjahr ein Glasauge. Zwischen den Operationen lag er wochenlang mit verbundenen Augen in abgrundtiefer Dunkelheit. Er hatte nie gewußt, daß die Welt so voll von Geräuschen und Tönen war. Jedes Auto, das unter seinem Fenster vorüberfuhr, hatte seinen eigenen, unaustauschbaren, individuellen Klang. Er erkannte am Tonfall der Schritte die Schwestern und Ärzte, bevor sie sein Zimmer im Krankenhaus betraten. Der Wind in den Bäumen, das Bellen eines Hundes in der Nacht, der Duft eines Apfels, die Luft nach dem Regen. Es gab farbige Bilder, die er mit verbundenen Augen sah.
Damals war der Wunsch in ihm wach geworden, Augenarzt zu werden und in die leuchtenden Geheimnisse des Sehens einzudringen. Inzwischen wußte er mehr vom Auge als die meisten lebenden Ärzte. Aber war es wirklich Wissen oder war es höchste Vollendung handwerklichen Könnens? Er war wie ein Uhrmacher, der alle Uhren der Welt kannte und doch nichts über das Wesen der Zeit wußte, das wie ein großer stetiger Strom durch diese Uhren floß.
Die Beine des Toten hatten aufgehört zu zucken. In ein paar Stunden würde die Totenstarre eintreten. Wilson untersuchte die Taschen und das Handschuhfach des Mannes. Er fand keine Papiere, aus denen der Name ersichtlich gewesen wäre. Das Gesicht des Toten war eine einzige blutverkrustete Masse. Wilson schrieb die Nummer des Autokennzeichens auf die Rückseite einer Zigarettenschachtel. Es gab nichts mehr, was er für den Fremden noch tun konnte, außer - er sah in die toten Augen - ihm die Augen zu schließen. Er beugte sich über ihn und bemerkte dabei, daß die toten Augen die gleiche Farbe hatten wie seine eigenen. Sie waren graugrün.
Der Tote war noch jung, Anfang zwanzig vielleicht. Wilson sah wieder sich selbst, die Gartenterrasse, das Glas und das Blut. Der Mann hier war tot, sein Gesicht und sein Körper waren zerstört. Nur seine Augen waren heil geblieben. Bei ihm war es genau umgekehrt gewesen. Etwas Schicksalhaftes verband ihn mit dem Toten. Obwohl er ihm niemals lebend begegnet war, gab es eine starke Anziehungskraft zwischen ihnen, es waren die Augen.
Der junge Mann war zwar tot. Die Todesursache stand einwandfrei fest: Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang auf einer einsamen Landstraße. Es würde eine flüchtige routinemäßige Untersuchung der Polizei geben. In spätestens einer Woche lag der Mann unter der Erde. Seine sterblichen Überreste waren ein Abfallprodukt der Natur. Man würde die Leiche beerdigen oder verbrennen, und das war der Punkt, wo Wilsons Überlegungen einsetzten. Noch lebten die Augen des Mannes. Es würde mehrere Stunden dauern, bis auch sie starben.
Er lief zurück zu seinem Wagen und holte seinen Arztkoffer, den er stets für den Notfall mit sich führte. Er wußte, er handelte gegen die bestehenden Gesetze, aber diese Gesetze waren seiner Meinung nach sentimental, dumm und überholt. Die Leiche war für die Gesellschaft ohne Wert. In wenigen Stunden waren die Augen tot. Eine seltsame Anziehungskraft ging von diesen Augen aus. Er kniete auf dem feuchten Laub nieder und griff mit geübten Fingern dem Toten in das rechte Auge. Er spürte die gallertartige feuchte Masse, als er den Augapfel aus dem Schädel zog. Es gab ein schmatzendes Geräusch. Wie eine reife Tomate lag das Auge auf seiner Hand. Er durchtrennte den Sehnerv mit dem Skalpell und wickelte das zarte Sehorgan in ein Gazetuch, das er mit seinem eigenen Speichel anfeuchtete. Dann holte er sein eigenes Glasauge aus der Aughöhle und drückte es dem Toten in das zerstörte Gesicht. Es war starr und tot wie das andere. Niemand würde den Unterschied bemerken. Was machte es schon aus, ob man den Fremden mit seinem eigenen oder mit einem Glasauge beerdigen würde. Trotzdem kam er sich wie ein Dieb vor, als er zu seinem Wagen zurückging.
Zu Hause legte er das Auge wie eine kostbare Perle in die für die Transplantate vorgesehene Nährlösung und verschloß es in seinem Tresor. Während der nächsten Tage verbrachte er viele Stunden vor dem gläsernen Reagenzgefäß in Betrachtung seines zukünftigen Auges. Es war kraftvoll, jung und lebte, während sein Träger bereits in Verwesung übergegangen war. "Ich bin der einzige Mensch, der sein eigenes Auge sieht", sagte er zu sich selbst, und er kam sich vor wie ein Schöpfer, der sich selbst aus eigener Kraft erschafft.
Er besprach jede Einzelheit der Operation mit seinem ersten Assistenten, einem jungen Chirurgen, der besessen war von dem Wunsch, seinen Meister zu überflügeln. Als Professor Wilson auf dem Operationstisch lag, war er Chirurg und Patient zugleich, Meister und Werkstoff.
Nach einer bangen Woche stand fest, daß der Körper das artfremde Gewebe nicht abgestoßen hatte. Wilson zählte die Stunden bis zur Abnahme des Verbandes. Man hatte ihm, wie das bei solchen Operationen üblich ist, beide Augen verbunden, um jede Bewegung des transplantierten Auges zu verhindern. Wieder lag er in abgrundtiefer Dunkelheit und wartete. Wieder erlebte er die fremdartige, farbige Welt der Geräusche. Er lauschte seinem Pulsschlag in dem fremden Auge, dem Rauschen des Blutes in den Schläfen und seinem Atem. Ein Flugzeug zog seine einsame Bahn über den Wolken, eine Stubenfliege brummte ihren Zorn gegen das Glas des Fensters. Die Vögel verkündeten den Tag, und die Hunde verbellten den Mond. Am lautesten aber sprach die Stille.
Am 1. Dezember wurde der Verband abgenommen. Obwohl das Zimmer abgedunkelt war, erlebte Wilson die Helligkeit wie eine ungeheure Explosion. Nach einer Weile erkannte er die einzelnen Gegenstände des Raumes wie hinter einer Milchglasscheibe. Als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, wurden Konturen schärfer und schärfer, bis sie klar und greifbar vor ihm standen. Zum ersten Mal seit seiner Kindheit sah er seine Umwelt plastisch mit zwei Augen. Er stand da und schaute mit grenzenlosem Erstaunen auf die nebensächlichsten Dinge. Niemand sprach. Schließlich bat er um einen Spiegel. Er betrachtete sich lange. In dieser Nacht schlief er nicht. Der Verband wurde jeden Tag ein wenig länger abgenommen. Bereits nach ein paar Tagen trug der Professor nur noch eine starke Sonnenbrille. Die Operation war ein voller Erfolg gewesen.
Aber jedesmal, wenn er in den Spiegel schaute, und das tat er oft, dachte er an den unbekannten Toten, der ihn mit seinem Auge anstarrte. Alles, was er von dem Fremden wußte, war eine Autonummer auf der Rückseite einer leeren Zigarettenschachtel. Aber allmählich verblaßte auch diese Erinnerung immer mehr.
Kurz vor Weihnachten meldete die Sekretärin des Professors einen älteren Herrn, der sich als Kriminalinspektor Carter von Scotland Yard vorstellte. Carter war kein Mann von langen Floskeln. Er kam sofort zur Sache:
"Herr Professor, wir haben da ein Problem, bei dem wir auf Ihre Mithilfe angewiesen sind." Er holte einen Aktenordner aus seiner Tasche, schlug ihn auf und fuhrt fort: "In der Nacht vom 4. zum 5. November dieses Jahres ereignete sich auf der Landstraße R 236 nicht weit von der Abzweigung nach G. ein tödlicher Unfall. Ein weißer Porsche geriet auf dem nassen Kopfsteinpflaster bei hoher Geschwindigkeit ins Schleudern und zerschellte an einem Chausseebaum. Der Fahrer war auf der Stelle tot."
Professor Wilson spürte den kalten Angstschweiß auf seiner Stirn. Er zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an. "Den gerichtsmedizinischen Befund finden Sie in diesem Ordner. Der Porsche war eine Woche vorher in London gestohlen worden. Der Fahrer des Wagens war uns zunächst unbekannt. Anhand der Fingerabdrücke gelang es uns, den Toten vor ein paar Tagen einwandfrei zu identifizieren. Es handelt sich um den mehrfach vorbestraften Westdeutschen Helmut Korff. Er trug als unveränderliches Kennzeichen ein Glasauge. Diese Tatsache war der Ortspolizei bedauerlicherweise entgangen. Eine vor zwei Tagen nachträglich durchgeführte Exhumination der Leiche ergab, Sie werden es nicht glauben, daß Helmut Korff zwei Glasaugen hatte. Wie aber, zum Teufel, kann ein Mensch mit zwei Glasaugen einen Wagen fahren? Können Sie mir diese Frage beantworten?"
Professor Wilson dachte: "Ja, das kann ich." Dann verlor er die Nerven und lachte, daß es wie das tierische Heulen einer lachenden Hyäne durch die Gänge der Klinik schallte.
Die Flut
Die Wellen schlugen gegen die Felsen, stark und gleichmäßig. Das Haar der jungen Frau wehte im Wind, der vom Meer kam und nach Salz schmeckte. Die junge Frau stand auf dem oberen Rand der Steilküste. So weit der Blick reichte, gab es nur Wasser, Himmel und weißen Sand. Sie kletterte hinunter zum Meer und lief mit nackten Füßen den schmalen Brandungsstreifen entlang, der sich mit jeder Welle näher an die Steilküste heranschaukelte. Die steigende Flut verschluckte den Strand wie einen großen Sandkuchen. Die Wolken, die unter der Sonne vorbeiflogen, jagten als schwarze Schatten über den weißen Sand.
Die junge Frau bückte sich nach einer Muschel. Als sie sich aufrichtete, sah sie einen dunklen Gegenstand auf dem nassen Strand. Hundert Meter entfernt lag er oberhalb der Brandung wie ein großer Fisch.
Die Felsenküste stieß dort besonders dicht ans Meer. Der Strand war schmal und mit mächtigen herabgestürzten Steinen, die die Brandung rund gewaschen hatte, bedeckt. Dazwischen staken Baumstämme, vom Meer geschält und von der Sonne gebleicht, wie Knochen von riesigen Ungeheuern.
Der Körper oberhalb der Brandung aber war schwarz wie ein Fisch. Als sie näher kam, sah sie, daß es ein Mensch war.
Der Mann lag auf der linken Seite mit dem Gesicht im Sand. Seine Arme waren ausgestreckt, so als wäre er im Sprung gestürzt. Das blonde Haar war naß und blutig. Das linke Bein steckte unter dem Stein. Neben dem Mann lagen eine Säge und ein Strick. Die Küste stürzte hier fast senkrecht ins Meer. Eine vom Sturm zerzauste Kiefer hing wie eine Drohung in der Wand. Darüber leuchtete frisches rostrotes Gestein. Es hatte die gleiche Farbe wie der Felsblock auf dem Bein des Mannes. Vermutlich hatte der Fremde sich zu dicht an den Steilhang gewagt und war mit dem verwitterten Gestein abgestürzt.
Ein tiefes Stöhnen kam aus der Brust des Mannes. Die junge Frau stemmte sich gegen den Stein, aber sie bewegte ihn nicht von der Stelle. Sie versuchte es mehrere Male. Der Stein gab nicht nach. Es war totenstill. Nur die Brandung rauschte. Sogar die Möwen waren davongeflogen. Der Fremde lag wie tot im Sand, aber er atmete. Die junge Frau beschloß, zu ihrem Wagen zurückzulaufen, der irgendwo hinter den Dünen parkte. Sie hatte einen langen Spaziergang hinter sich, aber wenn sie sich beeilte, könnte sie die Strecke in einer halben Stunde schaffen. Sie mußte versuchen, Menschen zu finden, die stark genug waren, den Stein zu bewegen. Die Landschaft hier im Umkreis war das einsamste Stück Erde, dem sie je begegnet war. Sie hatte dieses Land wegen seiner unbewohnten Weite geliebt, aber jetzt erfüllte die Einsamkeit sie mit Grauen. Wie weit würde sie fahren müssen, um Hilfe zu finden? Sie sah zur Sonne hoch. Es war später Nachmittag. Wie lange der Fremde hier wohl schon lag? Wenn der Mann kein Fahrzeug besaß, mußte er hier in der Nähe wohnen. Vielleicht hatte er sein Haus irgendwo hinter der Küste und wohnte dort nicht allein. Hoffentlich befand sich ein Telefon im Haus.Sie lief den Strand entlang, bis die Steilküste flacher wurde. Sand, Gras und Kiefern, so weit der Blick reichte. War da nicht Rauch am Himmel? Aber es war nur Dünensand, den der Wind aufgewirbelt hatte. Die Brombeeren und Sanddornsträucher zerrissen ihr die nackten Beine. Ein brütender Vogel flog schreiend auf. Dann lastete wieder die unheimliche Stille über dem Land. Sie war allein. Obwohl sie wußte, daß sie den Stein nicht bewegen konnte, ging sie zurück. Sie glaubte, daß der Fremde in der Brandung sterben würde, wenn sie nicht zu ihm ginge.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Ernst W. Heine
- 2001, 186 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442728053
- ISBN-13: 9783442728053
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