Das Hexen-Amulett
England im 17. Jahrhundert: Die junge Dorcas wächst in einem so frommen wie strengen Elternhaus auf. Als sie heimlich nackt ein Bad im Fluss nimmt, wird sie von dem jungen Adeligen Toby Lazen überrascht. Doch auch ihr missgünstiger Bruder Ebenezer hat alles mitverfolgt. Als Dorcas daraufhin an einen ältlichen Glaubensbruder verheiratet werden soll, sucht sie ihr Heil in der Flucht. Im Studierzimmer des Vaters hat sie zuvor ein seltsames Amulett gefunden. Und einen Brief: Das Schmuckstück sei Schlüssel zu ihrer Vergangenheit. Als sie Toby wieder trifft, brennt ihr Herz bald lichterloh für ihn. So lichterloh wie die Scheiterhaufen vor dem Tower in London ...
Das Hexen-Amulett von Susannah Kells
LESEPROBE
2
DerLedergurt klatschte auf ihren Rücken. Matthew Slythe warf einen monströsenSchatten auf die Schlafzimmerwand. Er hatte zwei Kerzen auf das Nachttischchengestellt und seinen Gürtel abgeschnallt. Sein massiges Gesicht spiegelte denZorn Gottes.
«Dirne!»Wieder schnellte sein Arm herab, wieder traf sie das Leder. Goodwife Baggerliehielt Campion, die auf dem Bett lag, bei den Haaren gepackt und lieferte sieden Peitschenhieben aus.
«Hure!» Erwar ein Hüne von Mann, größer als jeder einzelne seiner Knechte, und er rastevor Wut. Seine Tochter, unverhüllt in einem Bach! Nackt! Und das im Beiseineines jungen Mannes! «Wer war er?»
«Ich weißes nicht», schluchzte sie.
«Wer warer?»
«Ich weißes nicht.»
«Lügnerin!»Er schlug wieder mit dem Gürtel zu. Sie schrie vor Schmerzen, was aber seinenJähzorn nur zu schüren schien. Er drosch auf sie ein und bezichtigte sie lauthalsder Sünde. Blind vor Wut, schwang er den Gürtel und sah nicht, wohin er schlug.Ihre Schreie verstummten. Zu hören war nur noch hilfloses Wimmern. Sie lageingerollt auf dem Kissen am Kopfende des Bettes. Von der Schnalle getroffen,blutete das Handgelenk. Die Haushälterin hielt sie immer noch bei den Haarengefasst. Sie blickte zu ihrem Herrn auf. «Geht's weiter, Sir?»
MatthewSlythe schnappte nach Luft. Die Haare standen ihm zu Berge, sein Gesicht warrot angelaufen und verzerrt. Seine Wut hatte sich immer noch nicht gelegt.«Dirne! Hure! Schamlose!»
Campionweinte. Sie litt schreckliche Schmerzen. Ihr Rücken war geschunden und blutetean etlichen Stellen, so auch die Beine, der Bauch und die Arme, die getroffenworden waren, als sie versucht hatte sich wegzuducken. Sie sagte nichts, konnteihren Vater kaum hören.
Dass sienicht antwortete, brachte ihn nur noch mehr in Rage. Wieder sauste der Gürtelherab und knallte auf ihre Hüfte. Sie schrie auf. Das schwarze Kleid nahm denSchlägen nichts von ihrer Wucht.
MatthewSlythe keuchte heiser. Er war jetzt vierundfünfzig Jahre alt, aber immer nochungemein kräftig. «Nackt! Das Weib brachte die Sünde in die Welt. SeineNacktheit gereicht ihm zur Schande. Dies ist ein christliches Haus!» Er belltedie letzten Worte und schlug ein weiteres Mal zu. «Ein christliches Haus!»
Draußenschrie eine Eule. Der Nachtwind bauschte die Vorhänge. Die Kerzen flackertenund ließen den großen Schatten an der Wand beben.
MatthewSlythe zitterte. Seine Wut klang ab. Er schnallte sich den Gürtel um denHosenbund und achtete nicht darauf, dass er sich selbst an der Hand verletzthatte. Mit Blick auf Goodwife Baggerlie sagte er: «Bring sie runter, wenn siesich zurechtgemacht hat.»
«Ja, Sir.»
Es warnicht das erste Mal, dass sie von ihm geschlagen wurde. Schon oft hatte er dieHand gegen sie erhoben. Sie schluchzte, betäubt von Schmerzen. Die Haushälterinschlug ihr ins Gesicht. «Steh auf!»
ElizabethBaggerlie, der Matthew Slythe nach dem Tod seiner Frau den Titel Goodwifeverliehen hatte, war eine gedrungene Frau mit breiten Hüften, einem groben,zänkischen Gesicht und kleinen, stets geröteten Augen. Sie herrschte über dieDienerschaft von Werlatton Hall, sorgte für Sauberkeit und Ordnung und widmetesich diesem Amt mit der gleichen Entschlossenheit, die auch ihr Herr an den Taglegte, wenn es darum ging, Lasterhaftigkeit und Sünde von Werlattonfernzuhalten. Mit ihrer schrillen Stimme scheuchte sie die Dienstboten umherund hielt, von Matthew Slythe dazu angehalten, ein wachsames Auge auf dessenTochter.
Sie warfCampion die Haube zu. «Du solltest dich schämen, Mädchen! In Grund und Boden.In dir steckt ein Teufel! Wenn deine liebe Mutter wüsste ... Los, beeil dich.»
Campionsetzte mit tauben Fingern die Haube auf. Sie schluchzte und rang nach Luft.
«Beeilung!»
Es warbedrückend still im Haus. Die Dienstboten wussten genau, was geschehen war. Siehatten die Schläge gehört, die Schreie und das fürchterliche Gebrüll ihresHerrn. Aber sie ließen sich nichts anmerken. Auch ihnen drohten jederzeitPrügel.
«Steh auf!»
Campionzitterte vor Schmerzen. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie die nächsten dreioder vier Nächte nicht auf dem Rücken schlafen können würde. Sie wusste auch,was ihr nun bevorstand, und erhob sich wie von Fäden gezogen. Der Gewalt ihresVaters war nicht zu entrinnen.
«Runter mitdir, Mädchen!»
Ebenezer,der um ein Jahr jüngere Bruder, saß im großen Wohnzimmer vor seiner Bibel. DasParkett glänzte. Die Möbel glänzten. Seine Augen, so schwarz wie die Kleiderder Puritaner, waren auf die Schwester gerichtet und ließen keinerlei Mitgefühlerkennen. Sein von Geburt an verkrüppeltes linkes Bein stand seitlich etwas ab.Er hatte seinem Vater mitgeteilt, was ihm zu Gesicht gekommen war, und mitstiller Genugtuung dem Klatschen des Ledergürtels gelauscht. Ebenezer selbstwurde nie geschlagen. Gehorsam und unermüdlich im Gebet und im Studium derBibel, stand er in der Gunst seines Vaters.
Campionweinte immer noch, als sie die Treppe herunterkam. Tränen rannen über ihrschönes Gesicht. Die Augen waren gerötet, die Lippen aufeinandergepresst.
Ebenezer,dessen schwarze Haare nach dem Brauch geschnitten waren, der den Puritanernden Spitznamen «Rundköpfe» eingebracht hatte, beobachtete jeden ihrerSchritte. Zum Zeichen ihrer Anerkennung nickte Goodwife Baggerlie ihm zu, waser mit einer angedeuteten Verbeugung quittierte. Obwohl erst neunzehn Jahrealt, machte er einen sehr viel älteren Eindruck. Er war verbittert wie seinVater und voller Neid auf seine Schwester.
Campionging auf das Arbeitszimmer ihres Vaters zu. Vor der Tür legte ihr GoodwifeBaggerlie die Hand auf die Schulter und zwang sie in die Knie, wie immer heisolchen Anlässen. Dann klopfte sie an.
«Herein!»
Der Ablauffolgte stets demselben Ritual. Nach der Strafe kam Vergebung, nach dem Schmerzdas Gebet. Wie vom Vater befohlen, kroch sie auf Händen und Knien ins Zimmer.Goodwife Baggerlie schloss die Tür hinter ihr.
«Komm her,Dorcas.»
Sie krochauf seinen Stuhl zu. Sie fügte sich ihrem Vater, obwohl sie voller Hass auf ihnwar, ihr blieb keine andere Wahl.
Er legteihr seine großen Hände auf die enge Haube. Sie erschauderte.
«HimmlischerVater! Allmächtiger Gott!» Er hielt weiter ihren Kopf fest. Seine Stimmeschwoll an, als er Gott darum
bat, dass erihm seine Tochter verzeihen möge, dass er sie läutere und von ihren Sündenbefreie. Mit jedem Wort drückte er mit den Fingern fester zu. Er schüttelteihren Kopf und versuchte mit krampfhaftem Eifer Gott davon zu überzeugen, dassDorcas seiner Gnade bedürfe. Als er sein Gebet gesprochen hatte, lehnte er sicherschöpft zurück und hieß sie aufstehen.
Er hatteein kräftiges, knochiges Gesicht, das voller Ingrimm und Abscheu war. «Du bisteine große Enttäuschung für mich, Tochter», knurrte er mit tiefer Stimme.
«ja,Vater.» Sie stand auf und senkte den Kopf. Sie hasste ihn. Weder er noch ihreMutter hatten sie jemals in den Arm genommen, geschweige denn liebkost. Siehatten sie geschlagen und um sie gebetet, von elterlicher Zuneigung abernichts erkennen lassen.
MatthewSlythe legte seine rechte Hand auf die Bibel. Er atmete schwer. «Durch die Frauist die Sünde in die Welt gekommen, Dorcas, und an dieser Schuld hat sie zutragen. Die Blöße einer Frau ist ihre Schande und ein Ärgernis Gottes.»
«Ja, Vater.»
«Sieh michan!»
Sie hob denBlick. Sein Gesicht war von Abscheu entstellt. «Wie konntest du nur?»
Siefürchtete, wieder geschlagen zu werden, hielt aber still.
Er öffnetedie Bibel und schlug die Sprüche Salomos auf. «<Denn um einer Hure willenkommt ein Mann herunter bis auf einen Laib Brot.>» Er blätterte um. «<IhrHaus ist der Weg in die Hölle, da man hinunterfährt in des Todes Kammern.» Ersah sie an.
«Ja,Vater.»
Er grollte.Sooft er sie auch geschlagen hatte, es war ihm nicht gelungen, sie zu bändigen,und das wusste er. ( )
© RowohltVerlag
Übersetzung:Michael Windgassen
- Autor: Susannah Kells
- 2009, 5. Aufl., Maße: 11,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Dtsch. v. Michael Windgassen
- Übersetzer: Michael Windgassen
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499246503
- ISBN-13: 9783499246500
- Erscheinungsdatum: 01.02.2008
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