Das kalte Gift der Rache
Detective Claire Morgan ermittelt an einer Privatschule. Ein Lehrer wurde tot aufgefunden - in einem Sack voller giftiger Spinnen. Kurz darauf findet man ein weiteres Opfer. Gestorben an tödlichen Skorpionstichen. Welches Geheimnis verbirgt sich...
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Produktinformationen zu „Das kalte Gift der Rache “
Detective Claire Morgan ermittelt an einer Privatschule. Ein Lehrer wurde tot aufgefunden - in einem Sack voller giftiger Spinnen. Kurz darauf findet man ein weiteres Opfer. Gestorben an tödlichen Skorpionstichen. Welches Geheimnis verbirgt sich hinter der Schulfassade?
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Lese-Probe zu „Das kalte Gift der Rache “
Das kalte Gift der Rache von Linda LaddProlog
Der Erzengel Gabriel
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Die Trauerfeier für die drei fand in einer unheimlichen, uralten Kirche in Missouri statt. Von den weißen Holzschindeln blätterte die Farbe, und in die Eingangstür hatte jemand ein großes Kreuz geschnitzt und dann blutrot angemalt. Im Kirchhof hing eine schwarze Glocke an einem Holzgestell. Als eine schwarz gekleidete Gestalt, so dürr wie eine Vogelscheuche, an dem langen Seil zog, wandte der kleine Waisenjunge in der vorderen Bankreihe den Blick zurück durch das offene Portal nach draußen. Das eindringlich langsame Geläut der Totenglocke klang dem Jungen gespenstisch und bedrohlich in den Ohren, und er erschauerte.
Hier war er weit entfernt von dem Ort, an dem er seine ersten zehn Lebensjahre verbracht hatte. Nicht einmal besuchsweise war er in jene entlegene, dicht bewaldete Bergwelt gekommen, in der seine Mama, sein Papa und seine kleine Schwester begraben werden sollten. Die alte Frau neben ihm, die seine Hand streichelte, war angeblich seine Großmutter, und er hatte sie nie zuvor gesehen. Sie roch eigenartig, staubig und muffig wie der dunkle Dachboden in seinem Elternhaus in Pittsburgh, wo weiße, klebrige Spinnweben von den Balken hingen, und sie saß noch dazu in einem alten Rollstuhl, dessen Räder beim Fahren quietschten. Nie wieder würde er nach Hause in diesen roten Backsteinbau zurückkehren. Und niemals mehr würde er seine Mama, seinen Papa und die kleine Katie wiedersehen.
Sein Kopf tat ihm noch entsetzlich weh von dem grausigen Unfall, bei dem seine Familie zu Tode gekommen und er allein zurückgeblieben war. Die tiefe Wunde machte ihm noch immer zu schaffen, und er fasste sich an den weißen Gazeverband an seiner Stirn. Ein stechender Schmerz durchzuckte seine Schläfen bis hin zum Ohr. Er weinte und dachte an die furchtbaren Träume, die ihn seit seinem Erwachen im Hospital heimsuchten. Tränen liefen über seine Wangen. Sie schmeckten bitter und salzig.
Seine Großmutter bemerkte sein Weinen und legte ihm ihren Arm um die Schulter, aber er mochte es nicht, wenn diese merkwürdige alte Frau ihn so eng an sich drückte. Er mochte weder sie noch die grässliche Kirche noch all die schwarz gekleideten Leute um ihn herum, die ihn so anstarrten. Er liebte strahlende Farben und glückliche Menschen wie seine Mama mit ihrem langen rothaarigen Pferdeschwanz, der, wenn sie lief, hin und her baumelte.
Er fürchtete sich. Er war allein. Wäre er doch bloß auch gestorben bei diesem schrecklichen Autounfall. Hätte er doch auch, wie die Eltern, den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Zusammen mit Katie hatte er hinten gesessen, aber ihr Kindersitz hatte versagt, als ein betrunkener Mann in einem schwarzen Pick-up die Interstate 579 auf der Brücke über den Allegheny-Fluss gekreuzt und das Auto seiner Familie voll gerammt hatte. Keinen von ihnen hatte er jemals wiedergesehen.
Wochen später nun waren die beiden großen weißen Särge für alle Zeiten fest verschlossen. Seine kleine Schwester lag angeblich bei der Mutter im Sarg, und seine Großmutter sagte, Mama würde Katie ganz fest in ihren Armen halten, bis eine Engelschar heruntergeflogen käme, um sie heimzuholen in den Himmel. Verstohlen wandte der kleine Junge den Blick nach oben zu den Deckenbalken.
Ein altmodischer Ventilator drehte sich langsam, und der Luftzug ließ die weißen Lilien auf den Särgen erzittern. Süßer Blütenduft wehte heran. Die vor ihm aufgereihten dunkelblauen Gesangbücher rochen alt und muffig, und die Ventilatorblätter quietschten rhythmisch und schwankten, als drohten sie auf den Kopf des alten Priesters herunterzufallen. Er fragte sich, ob sie die Flügel der Engel verletzen könnten, wenn diese seine Familie heimholten, doch nicht einer erschien während der ganzen düsteren Zeremonie.
Vielleicht war ja seine Familie schon im Himmel angekommen, für immer weggeflogen, ohne ihn. Er hätte auch sterben sollen. Könnte er Auto fahren, würde er voll gegen einen Baum rasen und sich beeilen, die hoch in den Wolken fliegenden Engel mit seiner Familie einzuholen.
Der Priester hatte kurze graue Haare und eine blasse Haut mit vielen Runzeln und Falten, besonders um die Augen herum. Als er endlich fertig gepredigt hatte, wuchteten sechs Männer in dunklen Anzügen die beiden Kisten hoch und trugen sie nach draußen. Es war ein sonniger Spätsommertag, der 25. August, doch die Luft war feucht und schwer. Dem Jungen lief der Schweiß über den engen Kragen, und er zog daran. Wie er diese Sachen doch hasste, die seine Großmutter aus einer alten grünen Kleidertruhe im Kinderzimmer seines Papas hervorgekramt hatte.
Der schwarze Anzug roch genau wie die Großmutter, wie die weißen Mottenkugeln auf dem Boden der Truhe. Er hatte noch nie zuvor Mottenkugeln gesehen, und das ganze Haus seiner Großmutter sah aus wie das in Katies Rotkäppchenbuch. Es lag noch tiefer im Wald als die Kirche, und es gab dort Petroleumlampen und eine Handpumpe vor dem Küchenausguss. Alles Neumodische war seiner Großmutter verhasst, wie sie betonte, und sie war auch der Meinung, dass Gott niemals Menschen zu sich nehmen würde, die nur auf der faulen Haut lagen. Abends zündete sie Kerzen an und die Öllampe auf seinem Nachttisch. Sie erinnerte ihn an die Campingurlaube mit seinem Papa. Alles im Haus seiner Großmutter war irgendwie unheimlich, sogar sie selbst, aber sie hatte ihn in die Arme geschlossen, als der Sozialarbeiter ihn eines Abends bei ihr abgeliefert hatte. Sie hatte unablässig geweint und so laut geschluchzt, dass er sich davor fürchtete und verstummte.
Draußen folgten die Menschen auf einem Kiesweg den Särgen dorthin nach, wo sich zwei viereckige Gruben auftaten wie hungrige Münder. Flauschig grünes Moos bedeckte die schrundigen Grabsteine mit den Jahreszahlen 1809, 1896 und 1937 als Sterbedaten. Er fragte sich, wie alt wohl seine Großmutter war. Sie hatte tiefe Furchen im Gesicht, und ihre blauen Augen waren nicht so blau wie die von seinem Papa, sondern blasser, als wäre die Farbe ausgeblichen.
Er stand neben ihrem Rollstuhl und sah nicht hin, als sie die Särge hinunterließen; den Gedanken an seine Familie dort unten, über und über bedeckt mit dieser roten Erde, ertrug er nicht. Stattdessen beobachtete er ein Krabbeln in den schütteren weißen Haaren seiner Großmutter, eine winzig kleine Spinne oder so etwas. Er wollte sie herauszupfen, traute sich aber nicht. Plötzlich fühlte er sich so traurig, dass er nur noch losheulen wollte, fürchtete aber, nie mehr aufhören zu können, wenn er erst einmal anfing. Alle anderen standen schweigend und ernst da, sie wirkten in ihren schwarzen Kleidern wie eine Schar andächtiger Krähen.
»Komm jetzt, Kind, es ist vorbei«, flüsterte seine Großmutter, als der Priester seine große schwarze Bibel schloss. »Die Frauen aus der Gemeinde haben eine Feier anlässlich des Heimgangs deiner Familie zu den Engeln im Himmel vorbereitet. Mach dir keine Sorgen, sie sind an einem wunderbaren Ort, wo es weder Angst gibt noch Not oder Mühsal.«
Er grübelte über das Wort Mühsal nach, während die Menschen durch das Tor unter der großen Eiche defilierten. Ihre Schritte knirschten auf den herabgefallenen Früchten. Sie begannen zu reden und zu lachen, als wäre ein Bann gebrochen. Andere Kinder rannten herum, spielten Fangen oder Verstecken, während die Frauen Essen auftrugen, aber er hatte keinen Hunger und keine
Lust zu spielen. Sie starrten ihn an, und am liebsten wäre er weit weg von ihnen.
Plötzlich vermisste er seine Familie so sehr, besonders Mama, und er wollte Auf Wiedersehen sagen. Er warf einen prüfenden Blick zu seiner Großmutter. Sie war mit den anderen Frauen beschäftigt, und so schlich er sich zurück durch das quietschende Eisentor. Er wollte allein sein und sich in Ruhe ausweinen.
Die Gräber waren noch offen. In den daneben aufgetürmten Erdhaufen steckten Schaufeln. Er schaute hinunter in die dunklen Gruben und fragte sich, wie seine Mutter in ihrem Sarg aussah. Sie war wirklich hübsch gewesen, mit vielen Sommersprossen und einem warmen, schönen Lächeln. Weil niemand sie nach dem Unfall sehen durfte, nahm der an, dass sie jetzt fruchtbar aussah, aber er war froh, dass Katie in ihren Armen lag. Allein in einem Sarg hätte sich die kleine süße Katie nur gefürchtet, bis endlich die Engel kommen würden. Sein Papa fühlte sich sicher auch einsam in seinem Sarg, und er wünschte, er wäre jetzt bei ihm.
»Na, wen haben wir denn da? Was treibst du denn hier, Kleiner?«
Drei Jungen standen hinter ihm. Sie grinsten ihn an, aber nicht so, als wollten sie mit ihm spielen. Sie waren ungefähr so alt wie er, aber größer. Erschrocken entfernte er sich ein paar Schritte und stand zwischen den Gräbern seiner Eltern.
»Los, Freddy, wir schubsen ihn runter! Du willst doch zu deiner Mami, oder?«
Der Junge sah ängstlich in die dunklen Gruben hinunter. »Nein, bitte nicht, ich will nicht.«
»Hast wohl Angst, du feiges Muttersöhnchen!«
Einer der Jungen kam von hinten und gab ihm einen kräftigen Stoß. Er wäre beinahe gestürzt, fing sich aber kurz vor dem Grabrand. Die anderen Buben schubsten ihn feixend herum, während Freddy nach einer Schaufel griff und nach ihm stieß, bis er das Gleichgewicht verlor. Er ruderte verzweifelt mit den Armen, konnte sich jedoch nicht mehr halten, sondern stürzte in die Grube und landete mit einem schweren Schlag rücklings auf dem Sarg seiner Mutter. Ihm stockte der Atem, und er sah nach oben in den blauen Himmel. Die Gesichter der Jungen erschienen. Sie wirkten erschrocken. Dann lachte Freddy. »Los, wir beerdigen ihn! Schnappt euch 'ne Schaufel!«
Rote Erdklumpen prasselten auf ihn hernieder, und er schrie und sprang so hoch, wie er nur konnte, versuchte, irgendwo Halt zu finden. Aber die Erde an den Grabwänden zerbröckelte unter seinen Fingernägeln, und ihm war klar, er würde nie wieder herauskommen. Voller Verzweiflung kniete er auf dem Sarg nieder und legte die Hände über den Kopf, während seine Peiniger ihn mit Erde zuschaufelten, immer schneller und immer mehr, bis er hüfthoch darin steckte. Dann stoppte die Erdlawine abrupt, und ein erschrockener Schrei drang gedämpft herunter. Freddy faselte etwas von einem Engel Gabriel, und sie rannten weg. Dann war alles still.
1
Glauben Sie mir, es gibt nichts Schlimmeres als das Leben einer Zwei-Dollar-Hure zur Weihnachtszeit. Sie wissen schon, das ganze Trallala und Wie wär's mit uns beiden, Baby? Natürlich bin ich nicht wirklich eine Hure. Ich bin Detective im Bezirk Canton am Ozarks-See, Missouri, und arbeite als Undercoverfahnderin im Prostituiertenmilieu, was heißt, ich treibe mich nach Einbruch der Dämmerung auf einem riesigen Lkw-Parkplatz am Stadtrand von Lebanon herum, mit nichts als einem zitronengelben Na - ckenträgertop und einem knappen Jeanshöschen bekleidet. Die in letzter Zeit gehäuft auftretenden Überfälle mit schwerer Körperverletzung auf Truckerhuren entlang der Interstate 44 hatten zur Gründung einer übergreifenden Sondereinheit zwischen sechs Bezirken geführt, um die Burschen zu schnappen, ehe sie noch zu morden anfingen. Da steh ich also nun hier und klappere mit den Zähnen.
Über meinem Outfit trage ich einen bodenlangen Webpelzfummel, so weiß wie frisch gefallener Schnee, was eindeutig ein Witz ist. Es bewahrt mich jedoch vor Unterkühlung, und ich kann meine Reize jederzeit interessierten Passanten präsentieren. Im Moment stakse ich vor einem schäbigen Motel und einer Kaschemme auf und ab, voller Trucker und echter Huren, die alle so aussehen wie ich oder noch schlimmer. Ich muss zudem ständig aufpassen, dass sich meine Beine unter den eleganten schwarzen Netzstrümpfen nicht blau färben. Ganz klar, als Nordstaatenhure musst du aus härterem Holz geschnitzt sein, als ich es bin.
Bis zum heutigen Abend war ich krankgeschrieben, ewig lang, monatelang tatsächlich, denn nach meinem letzten Fall sah ich ganz schön alt aus, und wenn ich das sage, dann meine ich wirklich sehr alt, ur-ur-alt. Rechts an der Schulter habe ich eine sechs Zentimeter lange Wunde von einem Hackmesser zur Erinnerung an jene Zeit, aber sie ist mittlerweile ganz verheilt. Und den Gips an meinem gebrochenen Schienbein habe ich vor zwei Monaten abbekommen, wirklich nicht verfrüht, glauben Sie mir. Das alles passierte letzten Sommer, als ich einem Schreckgespenst aus meiner Vergangenheit begegnete, das eine irgendwie ungesunde Fixierung auf mich hatte.
Aber das ist eine andere Geschichte, an die ich mich ungern erinnere, viel lieber erzähle ich von dem Mann, den ich im Zuge dieser Ermittlungen kennengelernt habe. Er mag mich sehr, und ich mag ihn auch, was nicht heißt, dass ich ihn liebe, aber es handelt sich um ein großgeschriebenes MÖGEN. Eigentlich kommt es mir nicht ganz geheuer vor, dass mein neuer Verehrer, Nicholas Black, auch schon mal stinkreicher Promi-Psychoschwätzer genannt, überhaupt die Zeit hat, sich mit einem normalen Mädchen wie mir abzugeben. Dabei bin ich nicht einmal sein Typ. Ich habe viel zu viele Narben und zu wenig Blondhaar mit Strähnchen, um ins Beuteschema eines Promis zu passen. Tatsächlich sind meine Haare kurz, honigblond und sonnengesträhnt, ich bin obendrein recht groß und hager-muskulös, weil ich Yoga und Kickboxen mache. Außerdem laufe ich täglich, wenn ich nicht gerade mit Schusswunden oder sonst was flachliege.
Nicht dass ich mich über Blacks Aufmerksamkeiten beklage. Immerhin hat er mich vor jenem bereits erwähnten Psychopathen gerettet, aber ich habe ihm zuerst das Leben gerettet, sodass wir jetzt quitt wären. Um ehrlich zu sein, er ist okay, außer dass er versucht, sich ständig in mein Leben einzumischen und meine katastrophale Kindheit zu analysieren, aber es wird schon langsam besser. Sei's drum.
In meinem Ohrknopf ertönte blechern eine männliche Stimme. »Du siehst echt heiß aus in diesem Höschen, Morgan, bis auf die Gänsehautknubbel zwischen den Maschen.«
Budweiser D. Davis ist mein geliebter Kollege, kurz Bud genannt, dieser redegewandte, makellos gekleidete, nach der Lieblingsbiermarke seines Vaters genannte Schlaumeier mit den goldbraunen Haaren und dem Südstaatenakzent. Doch er hat auch zur Rettung meines Lebens beigetragen. Was soll ich sagen? Ich muss mich einfach arrangieren mit diesen Burschen.
Ich sprach, zischte eigentlich mehr in das in meinem Megadekolleté verborgene Mikrofon: »Stell du dich mal hier nachts halb nackt bei Schneetreiben ins Freie; dann wollen wir mal sehen, wie schön blau du anläufst, mein Hübscher.«
Im Hintergrund hörte ich, wie die anderen Polizisten lachten. Meine Beschützer lauerten in dem neutralen Beobachtungswagen auf der anderen Seite des Parkplatzes. Gefilmt wurde ich auch. Wow, der Star des Abends. Hab ich wahrscheinlich der Tatsache zu verdanken, dass ich die einzige Polizistin in unserem Departement bin. Es gibt zwar eine andere Frau, Connie O'Hara, aber sie ist im fünften Monat schwanger und bauchfrei steht ihr zurzeit nicht besonders gut. Deshalb steh ich hier rum und frier mir einen ab mit Eis auf den Wimpern und einer Nase röter als die von Rudolph dem Rentier, aber auf meine ganz eigene verführerische Art.
Andererseits haben meine Männer und ich an diesem Abend aber auch schon achtundzwanzig Trucker, sechs Ehemänner sowie eine Lesbe festgenommen, die alle scharf auf ein schnelles Abenteuer waren. Da rentiert es sich schon mal, sich die Haut blau frieren zu lassen, aber irgendwie sehne ich mich doch zurück in Blacks Strandvilla auf den Bermudas, wo ich mich von meinen Verletzungen erholen durfte. Trotz allem ging mir vor einer Stunde der Gedanke durch den Kopf, dass es allmählich wieder Zeit wäre für einen neuen Mord, das Opfer vielleicht in einem Dampfraum liegend, mit einem beheizten Schwimmbecken und etlichen Whirlpools nebenan. Vielleicht schau ich ja später noch bei Black vorbei, um in seinem Wellness-Center aufzutauen. Zum Glück besitzt er eine Luxusferienanlage am See, Cedar Bend Lodge, mit einem gigantischen Penthouse für sich privat. Dort kann ich sämtliche Einrichtungen benutzen, wann immer ich will.
Bud sprach wieder in mein Ohr. »Hey, weißt du was, Morgan? Vor Kurzem ist eine Vermisstenmeldung eingetrudelt. Du bist doch sicher schon ganz scharf auf den Fall, oder?«
Mein Adrenalinpegel schoss in die Höhe. Hier im ländlichen Missouri galten Vermisstenfälle als ziemlich aufregend. Ich dämpfte meine Begeisterung jedoch, als ein Pick-up heranfuhr und vor mir anhielt. Ich flüsterte unter vorgehaltener Hand: »Klar bin ich das, aber bei mir stehen die Freier gerade Schlange. Einen Moment, bitte. Die muss ich noch abfertigen.«
Bud sagte: »Oki doki, aber beeil dich.«
Ich setzte meine Kommt-schon-ihr-Dumpfbacken-Miene auf, öffnete meinen falschen Trödler-Hermelin und stellte mich in Pose, damit meine steifgefrorenen Beine auch richtig gut zur Geltung kamen. Der nächste Freier würde möglicherweise zu Eis gefrieren, wenn er mich berührte, wie Mr Freeze in Batman. Aber vielleicht hatte er ja einen Heizofen in seinem Auto, an den ich mich anschmiegen könnte. Ach ja, wie heißt es doch in der Bibel so schön: Wenn ihr glaubt, werdet ihr alles bekommen.
Die beiden Typen in dem klapprigen Pick-up entschieden etwas zu spät, dass sie Interesse an mir hatten, und mussten das Lenkrad im letzten Moment herumreißen. Deshalb fuhren sie wohl auch gegen den Laternenpfahl mit dem Weihnachtsstern an der Spitze. Manchmal bringt mich meine Attraktivität in brenzlige Situationen.
Ich sah nach oben in den leichten Flockenwirbel, um zu prüfen, ob mir der Flitterkram nicht im nächsten Moment auf den Kopf fallen würde. Das wäre mal eine Schlagzeile: POLIZEI-PROSTITUIERTE VON WEIHNACHTSSTERN PLATT GEMACHT. Dann warf ich mich geschäftsmäßig in Pose und machte mich an mein forsches, unter der Straßenlampe wartendes Duo heran.
»Na, ihr beiden Hübschen? Habt ihr Lust?« Sexy, kehlig und mit dem gewissen Etwas in der Stimme. Ich hab doch im Fernsehen auf HBO gesehen, wie die Huren das machen.
Der Typ auf dem Beifahrersitz sagte: »Na und ob, du süßes Zuckerschnäuzchen.«
Hä?
Meine Kollegen lachten mir herzlich ins Ohr. Und das wollen Profis sein! Ich hingegen, die einzige ernst zu nehmende Polizistin in diesem Haufen, ignorierte ihr Geflachse einfach und verzog keine Miene, sondern begann heftig mit meinen verschneiten Wimpern zu klimpern. Hoffentlich waren alle meine alten Narben und Schusswunden unter dem knappen Outfit verborgen. Manche Freier werden nervös, wenn sie meine Souvenirs aus früheren Schlachten zu Gesicht bekommen. Black ausgenommen. Er verschreibt einfach Schmerzmittel und rät mir, mich beim nächsten Mal wegzuducken. Er hat auch ein paar beeindruckende Narben aus seiner Armeezeit, könnte ich hinzufügen. Nicht dass wir uns beide Konkurrenz machen, oder so.
Zum Glück sah Billy Joe nicht auf meine Narbe von dem Hackmesser, sondern mehr als ein bisschen besorgt auf meine Beine. Er hatte überall jede Menge schmutzig blonde Haare, außer auf dem Kopf, und einen Rauschebart, in dem ein kleines Stückchen Salat aus einem Big Mac hing. Nicht mehr ganz taufrisch und vielleicht etwas Spezialsauce dran. Das Abendessen, nahm ich an. Ich hütete mich davor, es herauszuzupfen, und fragte mich, ob sein goldener Nasenring seine Nasenlöcher bei dieser Kälte zufrieren ließ. Definitiv mein Typ.
Der Fahrer lehnte sich herüber und meldete sich zu Wort. Meine Güte, noch so ein Traummann! Mit Gel aufgestellte Irokesenfrisur und Tattoos auf den schmutzigen Händen. Rennwagen, aus deren Auspuff Flammen schlugen, um genau zu sein. Ebenso charmant wie sein Kumpel sagte er selbstbewusst: »Willst du mit uns Party machen? Wir haben jede Menge Bier und Chips geladen.«
Mann, davon hab ich doch schon immer geträumt - zwei Prollsäcke, die ihren Knabbervorrat mit mir teilen möchten. Dann dachte ich an die tolle Party in den Zimmern des Motels hinter mir, wo zahlreiche freundliche Polizisten meine anderen Verehrer dieses Abends hüteten. Ich glaube, man kann das wohl als Party bezeichnen, wenn sich zumindest die eine Hälfte davon amüsiert.
»Ganz gewiss, Schätzchen. Was stellt ihr euch denn so vor?«
Der Beau am Beifahrerfenster gluckste gefühlvoll, oder aber ich hatte ihn einfach verlegen gemacht oder er war ein brünstiges Gnu kurz vor dem Ersticken. Ich wartete, bis er sich wieder gefangen hatte, atmete durch und fragte mich, ob seine hitzigen, weihnachtlichen Blicke meine eingefrorenen Kniescheiben erwärmen könnten.
Der Irokese am Steuer war gerade nicht ansprechbar. Er spuckte sich in die Hände und brachte seine leicht derangierte Frisur auf Vordermann. Eitle Männer scheine ich geradezu magisch anzuziehen. Der mit dem Nasenring hätte sich möglicherweise auch aufgehübscht, wenn er nur gewusst hätte wie. Er beantwortete schließlich meine Frage.
»Nun, wir sind beide strunzgeil, und du weißt, was das heißt, Liebling?«
Ich verschwieg, was ich mir darunter vorstellte. Aber stellen Sie sich mal brünftige Bullen vor, Sie wissen schon, diese Stalltiere mit dreckigem Fell und stark riechend und all das.
»Hört mal, Ihr beiden. Ich habe ein nettes warmes Zimmerchen direkt in dem Motel da hinten.« Ich zeigte mit dem Kopf auf unsere provisorische Zelleneinheiten, rappelvoll mit bewaffneten Polizisten, die jeden Neuzugang mit freudiger Erwartung in Empfang nahmen.
Der Wagen schoss derart schnell rückwärts in eine Parklücke, dass er beinahe den Abfallbehälter an der Ecke mitgenommen hätte. Anscheinend waren die Jungs aufgeregt. Vielleicht sehe ich ja wahrhaft aus wie Pamela Anderson mit einer Glock 9 mm in meinem Goldlamétäschchen. Vielleicht bin ich eine Frau, die nicht halb bewusstlos daherkommt, und das ist genau das, was sie brauchen. Wenn ich es mir aber recht überlege, legten die in ihrem Liebesleben keinen Wert besonderen Wert auf eine Frau mit eigenen Empfindungen.
Ich stöckelte so elegant wie möglich auf sie zu. Allerdings trete ich mit Wollsocken und hohen Nikes graziler auf als in Netzstrümpfen und schwarzen Lackstilettos. Der mit dem Nasenring öffnete die Tür und stieg aus, um unter der Straßenlampe mit mir zu verhandeln. »Wie viel müssen wir denn für die warme Bude und diesen heißen Körper hinblättern?«
Kurze Bedenkzeit. Was soll ich nun für diese beiden Volltrottel kosten? Donald Trumps Gesamtbesitz und dazu noch die Paläste von Königin Elisabeth, Prinz Charles und Camilla Parker Bowles sowie sein bestes Polopferd mit inbegriffen. Nicht annähernd genug. Ich beobachtete sie kritisch. Wie Mr Trump sahen sie nicht gerade aus. Um sie nicht abzuschrecken, sagte ich schließlich: »Zwanzig Dollar pro Nase? Wär' das was?«
Beide wirkten sie wie geschockt, und der Fahrer hatte die Zündung nicht abgestellt. Oh! Vielleicht hatte ich meine Reize doch überschätzt. Aber ich wusste, dass alles gut war, als der Nasenringbock über und über zu strahlen begann und ausrief: »Super, toll! Passt!«
Super, toll, und sucht schon mal die Nummer von eurem Anwalt raus. Ich präsentierte meine perlweißen Beißerchen mit einem sexy durchtriebenen Lächeln und ließ meine rechte Hüfte aus meinem weißen Mantel hervortreten, um den soeben gemachten Deal zu besiegeln. Eigentlich lächelte ich deshalb, weil ich gleich reingehen und mich auf den Heizkörper setzen würde,
wo bereits vier grinsende Polizisten mit gezückter Waffe im Badezimmer auf uns warteten. Es war unfair, weil sie allein den ganzen Spaß mit der Festnahme hatten und sich an den fassungslosen Blicken weiden konnten. Ich war nur fürs Stöckeln zuständig. Ich winkte in Richtung Motel. »Also los, Jungs. Der Himmel ist gleich nebenan, und ihr dürft beide mit mir kommen.«
Die geballte Faust von dem Typen landete so plötzlich und mit solcher Wucht in meinem Gesicht, dass ich nicht reagieren konnte. Ich taumelte und hatte Sternchen vor Augen, als er mich vorne am Mantel packte und mit dem Kopf voraus auf den Beifahrersitz beförderte. Dann sprang er hinterher und knallte laut die Tür zu.
Der Typ am Steuer brüllte: »Was zum Teufel soll das denn jetzt, Leroy?«
Leroy sagte: »Halt's Maul und gib Gas, Ethan!« Mich packte er an den Haaren und sagte: »Du kommst jetzt mit uns, Baby. Uns wirst du nie wieder vergessen.«
Das brachte mich blitzschnell zur Besinnung, und ich begann, wie wild um mich zu schlagen, als Ethan bereits das Gaspedal durchtrat und mit kreischenden Reifen losbrauste. Nach kurzer Fahrt packte mich Leroy am Hals und schlug mir ins Gesicht, aber ich wehrte mich nur umso mehr, suchte verzweifelt, an die Waffe in meiner Handtasche zu kommen. Ethan kurvt herum und brüllte: »Warum machst du das, Leroy? Lass sie doch! Sie hat nichts getan!«
Ich landete einen Faustschlag auf Leroys Mund. Er fluchte heftig und versuchte, meinen Kopf gegen das Armaturenbrett zu knallen. Da entdeckte ich den Stiletto, der mir im Eifer des Gefechts vom Fuß gerutscht war. Ich packte ihn und rammte den ZehnZentimeter-Absatz mit aller Gewalt in den Schoß des Fahrers. Ethan schrie auf, mit so hoher Stimme wie Beverley Sills in Aida. Dann verlor er die Kontrolle über den Truck, sich windend und brüllend vor Schmerz, bis wir frontal gegen ein parkendes Auto
Übersetzung: Christian Kennerknecht
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Die Trauerfeier für die drei fand in einer unheimlichen, uralten Kirche in Missouri statt. Von den weißen Holzschindeln blätterte die Farbe, und in die Eingangstür hatte jemand ein großes Kreuz geschnitzt und dann blutrot angemalt. Im Kirchhof hing eine schwarze Glocke an einem Holzgestell. Als eine schwarz gekleidete Gestalt, so dürr wie eine Vogelscheuche, an dem langen Seil zog, wandte der kleine Waisenjunge in der vorderen Bankreihe den Blick zurück durch das offene Portal nach draußen. Das eindringlich langsame Geläut der Totenglocke klang dem Jungen gespenstisch und bedrohlich in den Ohren, und er erschauerte.
Hier war er weit entfernt von dem Ort, an dem er seine ersten zehn Lebensjahre verbracht hatte. Nicht einmal besuchsweise war er in jene entlegene, dicht bewaldete Bergwelt gekommen, in der seine Mama, sein Papa und seine kleine Schwester begraben werden sollten. Die alte Frau neben ihm, die seine Hand streichelte, war angeblich seine Großmutter, und er hatte sie nie zuvor gesehen. Sie roch eigenartig, staubig und muffig wie der dunkle Dachboden in seinem Elternhaus in Pittsburgh, wo weiße, klebrige Spinnweben von den Balken hingen, und sie saß noch dazu in einem alten Rollstuhl, dessen Räder beim Fahren quietschten. Nie wieder würde er nach Hause in diesen roten Backsteinbau zurückkehren. Und niemals mehr würde er seine Mama, seinen Papa und die kleine Katie wiedersehen.
Sein Kopf tat ihm noch entsetzlich weh von dem grausigen Unfall, bei dem seine Familie zu Tode gekommen und er allein zurückgeblieben war. Die tiefe Wunde machte ihm noch immer zu schaffen, und er fasste sich an den weißen Gazeverband an seiner Stirn. Ein stechender Schmerz durchzuckte seine Schläfen bis hin zum Ohr. Er weinte und dachte an die furchtbaren Träume, die ihn seit seinem Erwachen im Hospital heimsuchten. Tränen liefen über seine Wangen. Sie schmeckten bitter und salzig.
Seine Großmutter bemerkte sein Weinen und legte ihm ihren Arm um die Schulter, aber er mochte es nicht, wenn diese merkwürdige alte Frau ihn so eng an sich drückte. Er mochte weder sie noch die grässliche Kirche noch all die schwarz gekleideten Leute um ihn herum, die ihn so anstarrten. Er liebte strahlende Farben und glückliche Menschen wie seine Mama mit ihrem langen rothaarigen Pferdeschwanz, der, wenn sie lief, hin und her baumelte.
Er fürchtete sich. Er war allein. Wäre er doch bloß auch gestorben bei diesem schrecklichen Autounfall. Hätte er doch auch, wie die Eltern, den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Zusammen mit Katie hatte er hinten gesessen, aber ihr Kindersitz hatte versagt, als ein betrunkener Mann in einem schwarzen Pick-up die Interstate 579 auf der Brücke über den Allegheny-Fluss gekreuzt und das Auto seiner Familie voll gerammt hatte. Keinen von ihnen hatte er jemals wiedergesehen.
Wochen später nun waren die beiden großen weißen Särge für alle Zeiten fest verschlossen. Seine kleine Schwester lag angeblich bei der Mutter im Sarg, und seine Großmutter sagte, Mama würde Katie ganz fest in ihren Armen halten, bis eine Engelschar heruntergeflogen käme, um sie heimzuholen in den Himmel. Verstohlen wandte der kleine Junge den Blick nach oben zu den Deckenbalken.
Ein altmodischer Ventilator drehte sich langsam, und der Luftzug ließ die weißen Lilien auf den Särgen erzittern. Süßer Blütenduft wehte heran. Die vor ihm aufgereihten dunkelblauen Gesangbücher rochen alt und muffig, und die Ventilatorblätter quietschten rhythmisch und schwankten, als drohten sie auf den Kopf des alten Priesters herunterzufallen. Er fragte sich, ob sie die Flügel der Engel verletzen könnten, wenn diese seine Familie heimholten, doch nicht einer erschien während der ganzen düsteren Zeremonie.
Vielleicht war ja seine Familie schon im Himmel angekommen, für immer weggeflogen, ohne ihn. Er hätte auch sterben sollen. Könnte er Auto fahren, würde er voll gegen einen Baum rasen und sich beeilen, die hoch in den Wolken fliegenden Engel mit seiner Familie einzuholen.
Der Priester hatte kurze graue Haare und eine blasse Haut mit vielen Runzeln und Falten, besonders um die Augen herum. Als er endlich fertig gepredigt hatte, wuchteten sechs Männer in dunklen Anzügen die beiden Kisten hoch und trugen sie nach draußen. Es war ein sonniger Spätsommertag, der 25. August, doch die Luft war feucht und schwer. Dem Jungen lief der Schweiß über den engen Kragen, und er zog daran. Wie er diese Sachen doch hasste, die seine Großmutter aus einer alten grünen Kleidertruhe im Kinderzimmer seines Papas hervorgekramt hatte.
Der schwarze Anzug roch genau wie die Großmutter, wie die weißen Mottenkugeln auf dem Boden der Truhe. Er hatte noch nie zuvor Mottenkugeln gesehen, und das ganze Haus seiner Großmutter sah aus wie das in Katies Rotkäppchenbuch. Es lag noch tiefer im Wald als die Kirche, und es gab dort Petroleumlampen und eine Handpumpe vor dem Küchenausguss. Alles Neumodische war seiner Großmutter verhasst, wie sie betonte, und sie war auch der Meinung, dass Gott niemals Menschen zu sich nehmen würde, die nur auf der faulen Haut lagen. Abends zündete sie Kerzen an und die Öllampe auf seinem Nachttisch. Sie erinnerte ihn an die Campingurlaube mit seinem Papa. Alles im Haus seiner Großmutter war irgendwie unheimlich, sogar sie selbst, aber sie hatte ihn in die Arme geschlossen, als der Sozialarbeiter ihn eines Abends bei ihr abgeliefert hatte. Sie hatte unablässig geweint und so laut geschluchzt, dass er sich davor fürchtete und verstummte.
Draußen folgten die Menschen auf einem Kiesweg den Särgen dorthin nach, wo sich zwei viereckige Gruben auftaten wie hungrige Münder. Flauschig grünes Moos bedeckte die schrundigen Grabsteine mit den Jahreszahlen 1809, 1896 und 1937 als Sterbedaten. Er fragte sich, wie alt wohl seine Großmutter war. Sie hatte tiefe Furchen im Gesicht, und ihre blauen Augen waren nicht so blau wie die von seinem Papa, sondern blasser, als wäre die Farbe ausgeblichen.
Er stand neben ihrem Rollstuhl und sah nicht hin, als sie die Särge hinunterließen; den Gedanken an seine Familie dort unten, über und über bedeckt mit dieser roten Erde, ertrug er nicht. Stattdessen beobachtete er ein Krabbeln in den schütteren weißen Haaren seiner Großmutter, eine winzig kleine Spinne oder so etwas. Er wollte sie herauszupfen, traute sich aber nicht. Plötzlich fühlte er sich so traurig, dass er nur noch losheulen wollte, fürchtete aber, nie mehr aufhören zu können, wenn er erst einmal anfing. Alle anderen standen schweigend und ernst da, sie wirkten in ihren schwarzen Kleidern wie eine Schar andächtiger Krähen.
»Komm jetzt, Kind, es ist vorbei«, flüsterte seine Großmutter, als der Priester seine große schwarze Bibel schloss. »Die Frauen aus der Gemeinde haben eine Feier anlässlich des Heimgangs deiner Familie zu den Engeln im Himmel vorbereitet. Mach dir keine Sorgen, sie sind an einem wunderbaren Ort, wo es weder Angst gibt noch Not oder Mühsal.«
Er grübelte über das Wort Mühsal nach, während die Menschen durch das Tor unter der großen Eiche defilierten. Ihre Schritte knirschten auf den herabgefallenen Früchten. Sie begannen zu reden und zu lachen, als wäre ein Bann gebrochen. Andere Kinder rannten herum, spielten Fangen oder Verstecken, während die Frauen Essen auftrugen, aber er hatte keinen Hunger und keine
Lust zu spielen. Sie starrten ihn an, und am liebsten wäre er weit weg von ihnen.
Plötzlich vermisste er seine Familie so sehr, besonders Mama, und er wollte Auf Wiedersehen sagen. Er warf einen prüfenden Blick zu seiner Großmutter. Sie war mit den anderen Frauen beschäftigt, und so schlich er sich zurück durch das quietschende Eisentor. Er wollte allein sein und sich in Ruhe ausweinen.
Die Gräber waren noch offen. In den daneben aufgetürmten Erdhaufen steckten Schaufeln. Er schaute hinunter in die dunklen Gruben und fragte sich, wie seine Mutter in ihrem Sarg aussah. Sie war wirklich hübsch gewesen, mit vielen Sommersprossen und einem warmen, schönen Lächeln. Weil niemand sie nach dem Unfall sehen durfte, nahm der an, dass sie jetzt fruchtbar aussah, aber er war froh, dass Katie in ihren Armen lag. Allein in einem Sarg hätte sich die kleine süße Katie nur gefürchtet, bis endlich die Engel kommen würden. Sein Papa fühlte sich sicher auch einsam in seinem Sarg, und er wünschte, er wäre jetzt bei ihm.
»Na, wen haben wir denn da? Was treibst du denn hier, Kleiner?«
Drei Jungen standen hinter ihm. Sie grinsten ihn an, aber nicht so, als wollten sie mit ihm spielen. Sie waren ungefähr so alt wie er, aber größer. Erschrocken entfernte er sich ein paar Schritte und stand zwischen den Gräbern seiner Eltern.
»Los, Freddy, wir schubsen ihn runter! Du willst doch zu deiner Mami, oder?«
Der Junge sah ängstlich in die dunklen Gruben hinunter. »Nein, bitte nicht, ich will nicht.«
»Hast wohl Angst, du feiges Muttersöhnchen!«
Einer der Jungen kam von hinten und gab ihm einen kräftigen Stoß. Er wäre beinahe gestürzt, fing sich aber kurz vor dem Grabrand. Die anderen Buben schubsten ihn feixend herum, während Freddy nach einer Schaufel griff und nach ihm stieß, bis er das Gleichgewicht verlor. Er ruderte verzweifelt mit den Armen, konnte sich jedoch nicht mehr halten, sondern stürzte in die Grube und landete mit einem schweren Schlag rücklings auf dem Sarg seiner Mutter. Ihm stockte der Atem, und er sah nach oben in den blauen Himmel. Die Gesichter der Jungen erschienen. Sie wirkten erschrocken. Dann lachte Freddy. »Los, wir beerdigen ihn! Schnappt euch 'ne Schaufel!«
Rote Erdklumpen prasselten auf ihn hernieder, und er schrie und sprang so hoch, wie er nur konnte, versuchte, irgendwo Halt zu finden. Aber die Erde an den Grabwänden zerbröckelte unter seinen Fingernägeln, und ihm war klar, er würde nie wieder herauskommen. Voller Verzweiflung kniete er auf dem Sarg nieder und legte die Hände über den Kopf, während seine Peiniger ihn mit Erde zuschaufelten, immer schneller und immer mehr, bis er hüfthoch darin steckte. Dann stoppte die Erdlawine abrupt, und ein erschrockener Schrei drang gedämpft herunter. Freddy faselte etwas von einem Engel Gabriel, und sie rannten weg. Dann war alles still.
1
Glauben Sie mir, es gibt nichts Schlimmeres als das Leben einer Zwei-Dollar-Hure zur Weihnachtszeit. Sie wissen schon, das ganze Trallala und Wie wär's mit uns beiden, Baby? Natürlich bin ich nicht wirklich eine Hure. Ich bin Detective im Bezirk Canton am Ozarks-See, Missouri, und arbeite als Undercoverfahnderin im Prostituiertenmilieu, was heißt, ich treibe mich nach Einbruch der Dämmerung auf einem riesigen Lkw-Parkplatz am Stadtrand von Lebanon herum, mit nichts als einem zitronengelben Na - ckenträgertop und einem knappen Jeanshöschen bekleidet. Die in letzter Zeit gehäuft auftretenden Überfälle mit schwerer Körperverletzung auf Truckerhuren entlang der Interstate 44 hatten zur Gründung einer übergreifenden Sondereinheit zwischen sechs Bezirken geführt, um die Burschen zu schnappen, ehe sie noch zu morden anfingen. Da steh ich also nun hier und klappere mit den Zähnen.
Über meinem Outfit trage ich einen bodenlangen Webpelzfummel, so weiß wie frisch gefallener Schnee, was eindeutig ein Witz ist. Es bewahrt mich jedoch vor Unterkühlung, und ich kann meine Reize jederzeit interessierten Passanten präsentieren. Im Moment stakse ich vor einem schäbigen Motel und einer Kaschemme auf und ab, voller Trucker und echter Huren, die alle so aussehen wie ich oder noch schlimmer. Ich muss zudem ständig aufpassen, dass sich meine Beine unter den eleganten schwarzen Netzstrümpfen nicht blau färben. Ganz klar, als Nordstaatenhure musst du aus härterem Holz geschnitzt sein, als ich es bin.
Bis zum heutigen Abend war ich krankgeschrieben, ewig lang, monatelang tatsächlich, denn nach meinem letzten Fall sah ich ganz schön alt aus, und wenn ich das sage, dann meine ich wirklich sehr alt, ur-ur-alt. Rechts an der Schulter habe ich eine sechs Zentimeter lange Wunde von einem Hackmesser zur Erinnerung an jene Zeit, aber sie ist mittlerweile ganz verheilt. Und den Gips an meinem gebrochenen Schienbein habe ich vor zwei Monaten abbekommen, wirklich nicht verfrüht, glauben Sie mir. Das alles passierte letzten Sommer, als ich einem Schreckgespenst aus meiner Vergangenheit begegnete, das eine irgendwie ungesunde Fixierung auf mich hatte.
Aber das ist eine andere Geschichte, an die ich mich ungern erinnere, viel lieber erzähle ich von dem Mann, den ich im Zuge dieser Ermittlungen kennengelernt habe. Er mag mich sehr, und ich mag ihn auch, was nicht heißt, dass ich ihn liebe, aber es handelt sich um ein großgeschriebenes MÖGEN. Eigentlich kommt es mir nicht ganz geheuer vor, dass mein neuer Verehrer, Nicholas Black, auch schon mal stinkreicher Promi-Psychoschwätzer genannt, überhaupt die Zeit hat, sich mit einem normalen Mädchen wie mir abzugeben. Dabei bin ich nicht einmal sein Typ. Ich habe viel zu viele Narben und zu wenig Blondhaar mit Strähnchen, um ins Beuteschema eines Promis zu passen. Tatsächlich sind meine Haare kurz, honigblond und sonnengesträhnt, ich bin obendrein recht groß und hager-muskulös, weil ich Yoga und Kickboxen mache. Außerdem laufe ich täglich, wenn ich nicht gerade mit Schusswunden oder sonst was flachliege.
Nicht dass ich mich über Blacks Aufmerksamkeiten beklage. Immerhin hat er mich vor jenem bereits erwähnten Psychopathen gerettet, aber ich habe ihm zuerst das Leben gerettet, sodass wir jetzt quitt wären. Um ehrlich zu sein, er ist okay, außer dass er versucht, sich ständig in mein Leben einzumischen und meine katastrophale Kindheit zu analysieren, aber es wird schon langsam besser. Sei's drum.
In meinem Ohrknopf ertönte blechern eine männliche Stimme. »Du siehst echt heiß aus in diesem Höschen, Morgan, bis auf die Gänsehautknubbel zwischen den Maschen.«
Budweiser D. Davis ist mein geliebter Kollege, kurz Bud genannt, dieser redegewandte, makellos gekleidete, nach der Lieblingsbiermarke seines Vaters genannte Schlaumeier mit den goldbraunen Haaren und dem Südstaatenakzent. Doch er hat auch zur Rettung meines Lebens beigetragen. Was soll ich sagen? Ich muss mich einfach arrangieren mit diesen Burschen.
Ich sprach, zischte eigentlich mehr in das in meinem Megadekolleté verborgene Mikrofon: »Stell du dich mal hier nachts halb nackt bei Schneetreiben ins Freie; dann wollen wir mal sehen, wie schön blau du anläufst, mein Hübscher.«
Im Hintergrund hörte ich, wie die anderen Polizisten lachten. Meine Beschützer lauerten in dem neutralen Beobachtungswagen auf der anderen Seite des Parkplatzes. Gefilmt wurde ich auch. Wow, der Star des Abends. Hab ich wahrscheinlich der Tatsache zu verdanken, dass ich die einzige Polizistin in unserem Departement bin. Es gibt zwar eine andere Frau, Connie O'Hara, aber sie ist im fünften Monat schwanger und bauchfrei steht ihr zurzeit nicht besonders gut. Deshalb steh ich hier rum und frier mir einen ab mit Eis auf den Wimpern und einer Nase röter als die von Rudolph dem Rentier, aber auf meine ganz eigene verführerische Art.
Andererseits haben meine Männer und ich an diesem Abend aber auch schon achtundzwanzig Trucker, sechs Ehemänner sowie eine Lesbe festgenommen, die alle scharf auf ein schnelles Abenteuer waren. Da rentiert es sich schon mal, sich die Haut blau frieren zu lassen, aber irgendwie sehne ich mich doch zurück in Blacks Strandvilla auf den Bermudas, wo ich mich von meinen Verletzungen erholen durfte. Trotz allem ging mir vor einer Stunde der Gedanke durch den Kopf, dass es allmählich wieder Zeit wäre für einen neuen Mord, das Opfer vielleicht in einem Dampfraum liegend, mit einem beheizten Schwimmbecken und etlichen Whirlpools nebenan. Vielleicht schau ich ja später noch bei Black vorbei, um in seinem Wellness-Center aufzutauen. Zum Glück besitzt er eine Luxusferienanlage am See, Cedar Bend Lodge, mit einem gigantischen Penthouse für sich privat. Dort kann ich sämtliche Einrichtungen benutzen, wann immer ich will.
Bud sprach wieder in mein Ohr. »Hey, weißt du was, Morgan? Vor Kurzem ist eine Vermisstenmeldung eingetrudelt. Du bist doch sicher schon ganz scharf auf den Fall, oder?«
Mein Adrenalinpegel schoss in die Höhe. Hier im ländlichen Missouri galten Vermisstenfälle als ziemlich aufregend. Ich dämpfte meine Begeisterung jedoch, als ein Pick-up heranfuhr und vor mir anhielt. Ich flüsterte unter vorgehaltener Hand: »Klar bin ich das, aber bei mir stehen die Freier gerade Schlange. Einen Moment, bitte. Die muss ich noch abfertigen.«
Bud sagte: »Oki doki, aber beeil dich.«
Ich setzte meine Kommt-schon-ihr-Dumpfbacken-Miene auf, öffnete meinen falschen Trödler-Hermelin und stellte mich in Pose, damit meine steifgefrorenen Beine auch richtig gut zur Geltung kamen. Der nächste Freier würde möglicherweise zu Eis gefrieren, wenn er mich berührte, wie Mr Freeze in Batman. Aber vielleicht hatte er ja einen Heizofen in seinem Auto, an den ich mich anschmiegen könnte. Ach ja, wie heißt es doch in der Bibel so schön: Wenn ihr glaubt, werdet ihr alles bekommen.
Die beiden Typen in dem klapprigen Pick-up entschieden etwas zu spät, dass sie Interesse an mir hatten, und mussten das Lenkrad im letzten Moment herumreißen. Deshalb fuhren sie wohl auch gegen den Laternenpfahl mit dem Weihnachtsstern an der Spitze. Manchmal bringt mich meine Attraktivität in brenzlige Situationen.
Ich sah nach oben in den leichten Flockenwirbel, um zu prüfen, ob mir der Flitterkram nicht im nächsten Moment auf den Kopf fallen würde. Das wäre mal eine Schlagzeile: POLIZEI-PROSTITUIERTE VON WEIHNACHTSSTERN PLATT GEMACHT. Dann warf ich mich geschäftsmäßig in Pose und machte mich an mein forsches, unter der Straßenlampe wartendes Duo heran.
»Na, ihr beiden Hübschen? Habt ihr Lust?« Sexy, kehlig und mit dem gewissen Etwas in der Stimme. Ich hab doch im Fernsehen auf HBO gesehen, wie die Huren das machen.
Der Typ auf dem Beifahrersitz sagte: »Na und ob, du süßes Zuckerschnäuzchen.«
Hä?
Meine Kollegen lachten mir herzlich ins Ohr. Und das wollen Profis sein! Ich hingegen, die einzige ernst zu nehmende Polizistin in diesem Haufen, ignorierte ihr Geflachse einfach und verzog keine Miene, sondern begann heftig mit meinen verschneiten Wimpern zu klimpern. Hoffentlich waren alle meine alten Narben und Schusswunden unter dem knappen Outfit verborgen. Manche Freier werden nervös, wenn sie meine Souvenirs aus früheren Schlachten zu Gesicht bekommen. Black ausgenommen. Er verschreibt einfach Schmerzmittel und rät mir, mich beim nächsten Mal wegzuducken. Er hat auch ein paar beeindruckende Narben aus seiner Armeezeit, könnte ich hinzufügen. Nicht dass wir uns beide Konkurrenz machen, oder so.
Zum Glück sah Billy Joe nicht auf meine Narbe von dem Hackmesser, sondern mehr als ein bisschen besorgt auf meine Beine. Er hatte überall jede Menge schmutzig blonde Haare, außer auf dem Kopf, und einen Rauschebart, in dem ein kleines Stückchen Salat aus einem Big Mac hing. Nicht mehr ganz taufrisch und vielleicht etwas Spezialsauce dran. Das Abendessen, nahm ich an. Ich hütete mich davor, es herauszuzupfen, und fragte mich, ob sein goldener Nasenring seine Nasenlöcher bei dieser Kälte zufrieren ließ. Definitiv mein Typ.
Der Fahrer lehnte sich herüber und meldete sich zu Wort. Meine Güte, noch so ein Traummann! Mit Gel aufgestellte Irokesenfrisur und Tattoos auf den schmutzigen Händen. Rennwagen, aus deren Auspuff Flammen schlugen, um genau zu sein. Ebenso charmant wie sein Kumpel sagte er selbstbewusst: »Willst du mit uns Party machen? Wir haben jede Menge Bier und Chips geladen.«
Mann, davon hab ich doch schon immer geträumt - zwei Prollsäcke, die ihren Knabbervorrat mit mir teilen möchten. Dann dachte ich an die tolle Party in den Zimmern des Motels hinter mir, wo zahlreiche freundliche Polizisten meine anderen Verehrer dieses Abends hüteten. Ich glaube, man kann das wohl als Party bezeichnen, wenn sich zumindest die eine Hälfte davon amüsiert.
»Ganz gewiss, Schätzchen. Was stellt ihr euch denn so vor?«
Der Beau am Beifahrerfenster gluckste gefühlvoll, oder aber ich hatte ihn einfach verlegen gemacht oder er war ein brünstiges Gnu kurz vor dem Ersticken. Ich wartete, bis er sich wieder gefangen hatte, atmete durch und fragte mich, ob seine hitzigen, weihnachtlichen Blicke meine eingefrorenen Kniescheiben erwärmen könnten.
Der Irokese am Steuer war gerade nicht ansprechbar. Er spuckte sich in die Hände und brachte seine leicht derangierte Frisur auf Vordermann. Eitle Männer scheine ich geradezu magisch anzuziehen. Der mit dem Nasenring hätte sich möglicherweise auch aufgehübscht, wenn er nur gewusst hätte wie. Er beantwortete schließlich meine Frage.
»Nun, wir sind beide strunzgeil, und du weißt, was das heißt, Liebling?«
Ich verschwieg, was ich mir darunter vorstellte. Aber stellen Sie sich mal brünftige Bullen vor, Sie wissen schon, diese Stalltiere mit dreckigem Fell und stark riechend und all das.
»Hört mal, Ihr beiden. Ich habe ein nettes warmes Zimmerchen direkt in dem Motel da hinten.« Ich zeigte mit dem Kopf auf unsere provisorische Zelleneinheiten, rappelvoll mit bewaffneten Polizisten, die jeden Neuzugang mit freudiger Erwartung in Empfang nahmen.
Der Wagen schoss derart schnell rückwärts in eine Parklücke, dass er beinahe den Abfallbehälter an der Ecke mitgenommen hätte. Anscheinend waren die Jungs aufgeregt. Vielleicht sehe ich ja wahrhaft aus wie Pamela Anderson mit einer Glock 9 mm in meinem Goldlamétäschchen. Vielleicht bin ich eine Frau, die nicht halb bewusstlos daherkommt, und das ist genau das, was sie brauchen. Wenn ich es mir aber recht überlege, legten die in ihrem Liebesleben keinen Wert besonderen Wert auf eine Frau mit eigenen Empfindungen.
Ich stöckelte so elegant wie möglich auf sie zu. Allerdings trete ich mit Wollsocken und hohen Nikes graziler auf als in Netzstrümpfen und schwarzen Lackstilettos. Der mit dem Nasenring öffnete die Tür und stieg aus, um unter der Straßenlampe mit mir zu verhandeln. »Wie viel müssen wir denn für die warme Bude und diesen heißen Körper hinblättern?«
Kurze Bedenkzeit. Was soll ich nun für diese beiden Volltrottel kosten? Donald Trumps Gesamtbesitz und dazu noch die Paläste von Königin Elisabeth, Prinz Charles und Camilla Parker Bowles sowie sein bestes Polopferd mit inbegriffen. Nicht annähernd genug. Ich beobachtete sie kritisch. Wie Mr Trump sahen sie nicht gerade aus. Um sie nicht abzuschrecken, sagte ich schließlich: »Zwanzig Dollar pro Nase? Wär' das was?«
Beide wirkten sie wie geschockt, und der Fahrer hatte die Zündung nicht abgestellt. Oh! Vielleicht hatte ich meine Reize doch überschätzt. Aber ich wusste, dass alles gut war, als der Nasenringbock über und über zu strahlen begann und ausrief: »Super, toll! Passt!«
Super, toll, und sucht schon mal die Nummer von eurem Anwalt raus. Ich präsentierte meine perlweißen Beißerchen mit einem sexy durchtriebenen Lächeln und ließ meine rechte Hüfte aus meinem weißen Mantel hervortreten, um den soeben gemachten Deal zu besiegeln. Eigentlich lächelte ich deshalb, weil ich gleich reingehen und mich auf den Heizkörper setzen würde,
wo bereits vier grinsende Polizisten mit gezückter Waffe im Badezimmer auf uns warteten. Es war unfair, weil sie allein den ganzen Spaß mit der Festnahme hatten und sich an den fassungslosen Blicken weiden konnten. Ich war nur fürs Stöckeln zuständig. Ich winkte in Richtung Motel. »Also los, Jungs. Der Himmel ist gleich nebenan, und ihr dürft beide mit mir kommen.«
Die geballte Faust von dem Typen landete so plötzlich und mit solcher Wucht in meinem Gesicht, dass ich nicht reagieren konnte. Ich taumelte und hatte Sternchen vor Augen, als er mich vorne am Mantel packte und mit dem Kopf voraus auf den Beifahrersitz beförderte. Dann sprang er hinterher und knallte laut die Tür zu.
Der Typ am Steuer brüllte: »Was zum Teufel soll das denn jetzt, Leroy?«
Leroy sagte: »Halt's Maul und gib Gas, Ethan!« Mich packte er an den Haaren und sagte: »Du kommst jetzt mit uns, Baby. Uns wirst du nie wieder vergessen.«
Das brachte mich blitzschnell zur Besinnung, und ich begann, wie wild um mich zu schlagen, als Ethan bereits das Gaspedal durchtrat und mit kreischenden Reifen losbrauste. Nach kurzer Fahrt packte mich Leroy am Hals und schlug mir ins Gesicht, aber ich wehrte mich nur umso mehr, suchte verzweifelt, an die Waffe in meiner Handtasche zu kommen. Ethan kurvt herum und brüllte: »Warum machst du das, Leroy? Lass sie doch! Sie hat nichts getan!«
Ich landete einen Faustschlag auf Leroys Mund. Er fluchte heftig und versuchte, meinen Kopf gegen das Armaturenbrett zu knallen. Da entdeckte ich den Stiletto, der mir im Eifer des Gefechts vom Fuß gerutscht war. Ich packte ihn und rammte den ZehnZentimeter-Absatz mit aller Gewalt in den Schoß des Fahrers. Ethan schrie auf, mit so hoher Stimme wie Beverley Sills in Aida. Dann verlor er die Kontrolle über den Truck, sich windend und brüllend vor Schmerz, bis wir frontal gegen ein parkendes Auto
Übersetzung: Christian Kennerknecht
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2010 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Linda Ladd
- 2011, 1, 400 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863650646
- ISBN-13: 9783863650643
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