Das Landei
Roman
Man kann seine Herkunft verneinen? Papperlapapp.
Zumindest nicht, wenn es um die Liebe geht. Ein wunderbar humorvoller und sehr lebenskluger Roman, der eines weiß: Die Sehnsucht nach Heimat und Liebe schlummert in jedem von...
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Produktinformationen zu „Das Landei “
Man kann seine Herkunft verneinen? Papperlapapp.
Zumindest nicht, wenn es um die Liebe geht. Ein wunderbar humorvoller und sehr lebenskluger Roman, der eines weiß: Die Sehnsucht nach Heimat und Liebe schlummert in jedem von uns.
Rob ist schon lange weg aus seinem Heimatort in der Pampa. Er lebt jetzt in der Stadt, macht Karriere und hat eigentlich alles erreicht. Nur eine Frau fehlt ihm. Aber wie findet man seine Traumfrau? Und was ist das Geheimnis einer Beziehung? Der Wirt Willi sagt ihm immer: Man muss sich eine Frau von derselben Scholle angeln. Aber ein Landei? Das ist ja so gar nichts für den chicen Städter Rob. Aber dann trifft er Gabi wieder, die Tochter seines ehemaligen Mathelehrers. Und Gabi kommt aus demselben Stall wie er: aus Robs Heimatort. Traumfrau? Nicht wirklich. Wobei - auf den zweiten Blick sieht das schon wieder ganz anders aus.
Lese-Probe zu „Das Landei “
Das Landei von Florian Beckerhoff 1.
»Ja«, lächelte Marietta. »Du warst großartig.«
Arm in Arm standen sie auf dem Vorplatz des Kongresszentrums
und warteten auf ihr Taxi. Neben ihnen klappte eine
letzte Hostess den Aufsteller zusammen, der den Weg zu seinem
Vortrag gewiesen hatte. Das Foto zeigte Robert glattrasiert
mit offenem Hemd und glänzend angelegtem Haar. Darunter
standen Datum und Uhrzeit, Buchstaben und Ziffern des Raumes,
in dem er wieder einmal in viele erstaunte Gesichter geblickt
hatte. Man musste die einfachen Wahrheiten aussprechen,
um zu überraschen, und das war wieder einmal bestens
gelaufen. Robert war zufrieden mit sich, auch wenn es ihn immer
anstrengte, nach einem Tag in der Agentur noch vor Publikum
erklären zu müssen, wie einfach das alles wirklich funktionierte,
der Mensch und seine Bedürfnisse, wenn man nur
wusste, wie.
Marietta hatte sicher recht. Sie musste recht haben. Sie war
so schön, diese Frau an seiner Seite, die er sich nicht perfekter
hätte ausdenken können. Er spürte ihre Schulter durch die Wolle
seines Mantels, roch das teure Parfum. Den Kopf im Nacken
zwinkerte sie ihm zu, ließ den Blick frei auf die zarte goldene
Kette, das kleine Herz am Ansatz ihres makellosen Busens. Früher
hätte er nicht zu träumen gewagt, von einer solchen Frau
überhaupt wahrgenommen zu werden, und doch hatte er genau
das gewollt. Und geschafft.
»Sollen wir nicht gleich nach Hause?«, fragte er.
»Wie bitte?«
»Ich bin müde.«
»Ist das dein Ernst?«
»Natürlich. Warum denn nicht?«
»Warum nicht, Rob? Es ist Freitagabend.«
»Und?«
... mehr
Ungläubig sah sie ihn an.
»Wer geht denn bitte Freitagabend um diese Uhrzeit nach
Hause?«
»Wir, wir beide. Komm Marietta, ich hab einfach keine Lust
mehr. Was soll das Ganze?«
»Das meinst du ja nicht wirklich. Du bist nur ein bisschen erschöpft
und denkst jetzt, tiefsinnig zu sein. Glaub mir, ein guter
Drink, und du bist wieder du.«
Vermutlich hatte sie schon wieder recht. Ganz sicher sogar.
Zu oft verwechselte er in letzter Zeit Erschöpfung mit Nachdenklichkeit,
dachte, dass etwas nicht ganz stimmte. Ja, da war es
wieder, dieses unsinnige Gefühl, dass er seine Sache leider in
einem falschen Leben sehr gut machte. Dass er sich selbst betrog
mit seinem nach außen hin so makellosen Auftritt. Der naivdumme
Junge vom Lande, der sehnsüchtig Suchende in ihm war
noch immer nicht ganz besiegt, meldete sich zu Wort, wenn er
nicht aufpasste. Robert wusste, es wäre Unsinn, seinen sentimentalen
Grübeleien nachzugeben, anstatt die Belohnung für all die
Arbeit zu genießen. Es wäre ge fähr lich. Man musste sich zusammenreißen.
Man hatte schließlich nur ein Leben.
»Entschuldigen Sie bitte«, hörte er da eine ältere Frauen-
stimme.
Gleich neben sich entdeckte er eine kaum anderthalb Meter
große Alte mit ein paar Zetteln in der Hand. Marietta wandte sich
ab.
»Würden Sie bitte unterschreiben, gegen die Zerstörung unserer
Gärten?«
Er hatte den Moment verpasst, sie einfach zu ignorieren. Man
musste hellwach sein, um unangreifbar zu bleiben. Selbst hier
draußen vor den Toren der Stadt. Jetzt hatte die Alte ihn gestellt,
sah ihn mit glänzenden Augen an.
»Gärten?«, fragte er.
»Unsere ganze Kolonie. Sie wollen dort schicke Büros bauen,
wo doch die Vögel sich so wohlfühlen. Wir haben unseren Garten
seit zweiundsechzig Jahren.«
Langsam begriff Robert, worum es ging. Anwohner versuchten
ein Immobilienprojekt zu verhindern. Das Ganze war keine
ganz saubere Geschichte, doch er unterstützte die Pressearbeit
als Berater. Er konnte unmöglich gegen sich selbst unterschreiben.
Schnell fingerte er einen Schein aus der Hosentasche.
»Hier, nehmen Sie.«
»Junger Mann, bitte, ich brauche kein Geld, nur eine Unterschrift
für meinen Garten. Nur Ihren Namen.«
Da stand sie vor ihm, mitten in der Nacht in dieser gottverlassenen
Gegend, in der zitternden Hand diese Zettel, die ohnehin
nichts verhindern würden. Und plötzlich griff Robert nach dem
Füller in der Innentasche seines Mantels, füllte die ganze Zeile
wahrheitsgemäß aus, zögerte dann kurz und schloss mit einer falschen
Unterschrift. So würde er sich notfalls herausreden können.
Hoffentlich.
»Gott segne Sie, junger Mann«, sagte die Alte und lächelte.
»Genießen Sie Ihr Leben und lassen Sie Ihre Frau nicht warten!«
Erst jetzt bemerkte Robert das Taxi am Straßenrand. Marietta
saß längst im Fond und winkte hektisch. Als er sich noch einmal
umblickte, war die Alte verschwunden. Gott segne Sie!
Im Taxi unterwegs ins Zentrum der Stadt schwiegen sie. Doch
schon die Lichter am Boulevard vertrieben die Erinnerung an
diese seltsame Begegnung, die ganze Tristesse des Kongresszentrums
und so auch Roberts überflüssige Gedanken. Natürlich
war es das richtige Leben! Mit dieser Frau! Hier in der Stadt! Seiner
Stadt! Selbst jetzt noch tummelten sich die Menschen auf den
breiten Bürgersteigen, genossen teils in Decken gehüllt ihre Getränke
im Freien, sahen und wurden gesehen, jeder auf seine Art,
allesamt glückliche Teile des großartigen Treibens. Natürlich ging
man da nicht nach Hause!
»Was wollte denn die Hutzlige vorhin?«, fragte Marietta
schließlich.
»Nichts. Den Weg zurück ins Heim.«
»Scheint ja nicht gleich um die Ecke gewesen zu sein.«
»Was meinst du?«
»Das Heim. So lange, wie du gebraucht hast.«
»Sie war schließlich alt.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so ein Typ bist.«
»Was bin ich denn für ein Typ?«
»Einer, der alten Frauen über die Straße hilft.«
»Marietta, sie hat mich nach dem Weg gefragt, verdammt!«
Als sie vor dem Olymp aus dem Taxi stiegen, zog sich die
Schlange der vergeblich Wartenden schon bis zur nächsten Straßenecke.
Noch schützte eine strenge Tür die Bar vor der von Woche
zu Woche stärker andrängenden Masse, und bei aller Müdigkeit
und trotz Mariettas schlechter Laune genoss es Robert, seine
Frau auf direktem Weg zum Fahrstuhl zu führen. Sie brauchten
jetzt dringend einen Drink. Beide. Schnell.
Am Ende der Schlange grüßte der Empfangschef höflich.
Dann schlossen sich auch schon die Türen hinter ihnen und der
gläserne Kubus nahm Fahrt auf. Kurz darauf lag die Stadt als glitzerndes
Meer zu ihren Füßen. Ein Glücksversprechen, fast bis
zum Horizont. Wie konnte er nur denken, dass dieses Leben
nicht das richtige war?
Der Tresen der Bar im siebzehnten Stock zog sich als Kasten
aus poliertem Mahagoni von Glasfront zu Glasfront durch den
ganzen Raum, hob sich dunkel ab vom sanften Cremeweiß des
leicht unter den Schuhen nachgebenden Schaumstoffbodens. Silbern
glänzten die Metallgestänge der mit indigofarbenem Fell bezogenen
Sessel. An den Wänden aus Gussbeton hingen abstrakte
Gemälde in Übergröße. Robert entdeckte die Freunde am anderen
Ende des Tresens, hinter ihnen das Panoramafenster, dahinter
die Lichter der Stadt. Noch weiter in Richtung Horizont, wo
in Dunkelheit das Land lag, reflektierte die Scheibe das Innere
der Bar. Da sah er sich selbst, größer als die meisten anderen
Gäste, schlank und in perfekt sitzendem Anzug, sah sich, wie er
dieser wunderschönen Frau aus dem Mantel half. Auch er legte
ab und gab der Garderobiere großzügig Trinkgeld.
Marietta zog ihn in Richtung der Freunde. Laut und fröhlich
grüßte sie, platzierte ihn auf einem Barhocker, von dem aus er lächelnd
in die Runde nickte. Schon nach dem ersten Schluck von
seinem Manhattan fühlte er endlich die Zufriedenheit in sich,
wieder etwas geschafft zu haben. Achtlos folgte er der Unterhaltung
seiner Freunde, trank immer weiter und, ja, er hatte wirklich
das Gefühl, dass es ihm gutging.
»Auf das verdiente Wochenende!«, sagte nach einigen Drinks
ein etwas jüngerer Typ neben Robert und hob das Glas in seine
Richtung.
»Und wer meinst du, melkt dann die Kühe?«, fragte Robert.
»Kühe?«
»Na, am Wochenende. Wer melkt die Kühe, wenn der Bauer
saufen geht?«
»Keine Ahnung. Wie ein Bauer siehst du jedenfalls nicht gerade
aus.«
»Nicht äußerlich, aber hier«, sagte Robert und zeigte auf sein
Herz. »Hier bin ich Bauer geblieben. Eins mit mir und meiner
Scholle, auch am Wochenende, immer.«
Sein Gegenüber musterte ihn, auf der Suche nach einem Einstieg
in diese ernsthafte Unernsthaftigkeit, die ihn aus dem Konzept
brachte, zumal die anderen in der Runde ihnen amüsiert zuhörten.
»Du meinst von wegen keine Entfremdung der Arbeit? Weil
du deinen eigenen Laden hast?«
»Ach, vergiss es«, winkte Robert ab, der sich schon jetzt über
seine Bemerkung ärgerte.
»Du hast ja recht. Natürlich ist das irgendwie krank, das
ganze Spiel mitzuspielen, aber was ist denn die Alternative? Ich
meine, das ist doch alles Mist heute, und dann ist es wirklich ehrenwert,
den Mist ganz gut zu machen.«
»Weißt du was?«, fragte Robert da wie von selbst und ignorierte
Mariettas Hand auf seinem Bein. »Wegen Typen wie dir,
nur wegen so falscher Typen wie dir ist das alles Mist. Verlogene,
zynische Abstauber, die an nichts glauben als an sich selbst,
Menschen, die die Ober fläche verachten, weil sie meinen, etwas
Besseres zu sein.«
Plötzlich schwiegen sie alle. Verwirrt sahen sie ihn an, taten
aber so, als lauschten sie der Musik, dem Geplapper der anderen
Gäste, dem Klackern und Schmatzen des Cocktailshakers. Das
waren seine Freunde, alle samt erfolgreiche Spieler auf den besseren
Plätzen der Stadt, in den höheren Etagen oder auf dem Weg
dorthin, und er war aus der Rolle gefallen. Einfach so, und unan-
genehm war ihm das nicht, sie dumm gucken zu sehen, regelrecht
schockiert wegen seines kleinen Scherzes. Er war gespannt,
was jetzt passieren würde, doch leider zerstörte Marietta mit ihrem
spitzen Kichern das schöne Schweigen viel zu schnell. Erleichtert
stimmten sie einer nach dem anderen ein in das etwas
zu laute Lachen. Man klopfte ihm kumpelhaft etwas zu fest auf
die Schulter und bestellte etwas zu souverän weitere Runden. Ja,
er war wirklich gut in Form heute.
»Du bist schon einer!«, lachte dieser Typ. »Ganz oben dabei
und trotzdem drüber Späßchen machen. Und das mit dem Bauer
ist ja mal hammermäßig. Das klau ich dir irgendwann noch für irgendeine
Kampagne von wegen verkaufsoffener Sonntag.«
Einige Stunden und viele Manhattans später, zurück in seinem
Penthouse im Zentrum der Stadt, liebte Robert Marietta mit
einer Perfektion, die ihn selbst beeindruckte. Der große Spiegelschrank
reflektierte sie auf dem schwarz glänzenden Seidenlaken,
er selbst aufrecht, Marietta vor ihm, entrückt und makellos.
Sie zeigte ihm, was er wirklich wollte. Mit ihr lebte er seinen
Traum, doch während sie anschließend zufrieden einschlief,
blieb er wach liegen, fragte sich, was ihn da vorhin in der Bar getrieben
hatte. Glaubte er denn wirklich an das, was er tat? Was
hieß überhaupt glauben? Was sollte er denn sonst tun? Natürlich
glaubte er an sich. Allein der Gedanke an sein altes Leben, seine
spießigen Eltern auf dem Land, seine peinlichen Auftritte als
Kleinkünstler, die einsamen Nächte, allein das sollte doch reichen,
ihn jetzt zufrieden einschlafen zu lassen. Er hatte allen
Grund, stolz auf sich zu sein. Und doch war da plötzlich eine Art
Sehnsucht nach damals, nach diesem erfolg losen Leben als zielloser
Tagedieb, das er so glücklich überwunden hatte, eine Sehnsucht,
die ihn schließlich aufstehen, seinen weißen Seidenbademantel
anziehen und ins Wohnzimmer gehen ließ.
Die Kiste mit den alten Kassetten fand er ganz hinten im
Schrank. Ohne jedes System waren die klobigen schwarzen
Klötze in den unterschiedlichsten Farben beschriftet, teils mehrere
Filme auf einem Band, die Etiketten schmutzig, nachlässig
wie sein vergangenes Leben. Ein für alle Mal musste geklärt werden,
was ihn daran noch reizen konnte. Schließlich fand er die
Kassette, die er gesucht hatte.
Nach einigen Sekunden schwarzweißen Schneegestöbers erschien
grobkörnig eine Bühne auf dem Flachbildschirm, spärlich
beleuchtet mit wenigen Kerzen. Im Rücken der Kamera wurde
geredet, ungeduldige Rufe, gespielt hysterisches Kreischen einzelner
Mädchen. Dann trat ein hagerer Kerl ganz in Schwarz ins
Bild, die dunklen Haare halblang bis über die traurigen Augen,
eine akustische Gitarre in der einen, eine Zigarette in der anderen
Hand, und setzte sich auf den bereitstehenden Barhocker.
Das Publikum verstummte, und ohne jede Begrüßung legte er
los, hieb plötzlich auf die Saiten ein und schrie pathetisches wie
sinnloses Zeug in den Raum hinein.
When one and one is three
One minus one leads to eternity
The world is what we try
And what we want to beeeee ...
Die schlaksigen Gliedmaßen des Sängers zuckten um den Barhocker
herum wie die Tentakel eines betrunkenen Kraken, er schaukelte
bedenklich hin und her, brüllte sich die Seele aus dem Leib.
Ja, das war er, so hatte er wirklich ausgesehen, so hatte er sich
aufgeführt, und er war ganz eindeutig überzeugt von dem, was
er von sich gab. Damals hatte er wirklich geglaubt.
Ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, griff Robert ne-
ben sich in die Hausbar, nahm irgendeine der vielen Flaschen,
fummelte den Korken aus dem Hals und gönnte sich einen tiefen
Schluck. Doch auch der Cognac versöhnte ihn nicht mit dem, was
er sah. Nicht ein Hauch von Stil lag in der verrauchten Luft des
Studentenkellers. Immer wieder meinte er sogar, im Publikum leises
Kichern zu hören, auch wenn das gar nicht passte. Und dann,
plötzlich, lachte jemand klar und deutlich, laut und spitz, direkt
hier, in seinem Wohnzimmer. Erschrocken drehte er sich um, erblickte
im Türrahmen Marietta, nackt bis auf das Goldkettchen.
»Bist du das?«
»Was?«, fragte er und drückte hektisch die Fernbedienung.
»Lass doch! Der komische Junge, bist du das?«
»Quatsch.«
»Ach komm, Rob. Wer soll das denn sonst sein?«
»Ein Idiot. Irgendein lächerlicher Idiot.«
»Doch, doch, das bist du, Darling«, lachte sie. »Zeig bitte noch
einmal.«
»Hör auf, Marietta!«
»Ich wusste gar nicht, dass du ein Künstler bist.«
»Vergiss es einfach.«
»Ach, Darling«, seufzte sie und massierte seinen Nacken, fuhr
ihm mit der Rechten in den Bademantel. »Vor mir musst du nicht
den starken Mann spielen. Ich mag es doch auch, wenn du alten
Frauen hilfst. Wirklich. Du musst dich nicht schämen!«
»Warum sollte ich mich schämen?«, fragte er und machte den
Fernseher aus. »Das bin ja nicht ich.«
»Ja, ich ist manchmal ein anderer«, lächelte sie. »Aber das
musst du selber wissen.«
Dann zog sie ihn hoch und hinter sich her zurück ins Schlafzimmer.
Sie hatte recht, und trotzdem wäre er lieber sitzen geblieben,
alleine vor dem Fernseher mit seiner Vergangenheit.
Ungläubig sah sie ihn an.
»Wer geht denn bitte Freitagabend um diese Uhrzeit nach
Hause?«
»Wir, wir beide. Komm Marietta, ich hab einfach keine Lust
mehr. Was soll das Ganze?«
»Das meinst du ja nicht wirklich. Du bist nur ein bisschen erschöpft
und denkst jetzt, tiefsinnig zu sein. Glaub mir, ein guter
Drink, und du bist wieder du.«
Vermutlich hatte sie schon wieder recht. Ganz sicher sogar.
Zu oft verwechselte er in letzter Zeit Erschöpfung mit Nachdenklichkeit,
dachte, dass etwas nicht ganz stimmte. Ja, da war es
wieder, dieses unsinnige Gefühl, dass er seine Sache leider in
einem falschen Leben sehr gut machte. Dass er sich selbst betrog
mit seinem nach außen hin so makellosen Auftritt. Der naivdumme
Junge vom Lande, der sehnsüchtig Suchende in ihm war
noch immer nicht ganz besiegt, meldete sich zu Wort, wenn er
nicht aufpasste. Robert wusste, es wäre Unsinn, seinen sentimentalen
Grübeleien nachzugeben, anstatt die Belohnung für all die
Arbeit zu genießen. Es wäre ge fähr lich. Man musste sich zusammenreißen.
Man hatte schließlich nur ein Leben.
»Entschuldigen Sie bitte«, hörte er da eine ältere Frauen-
stimme.
Gleich neben sich entdeckte er eine kaum anderthalb Meter
große Alte mit ein paar Zetteln in der Hand. Marietta wandte sich
ab.
»Würden Sie bitte unterschreiben, gegen die Zerstörung unserer
Gärten?«
Er hatte den Moment verpasst, sie einfach zu ignorieren. Man
musste hellwach sein, um unangreifbar zu bleiben. Selbst hier
draußen vor den Toren der Stadt. Jetzt hatte die Alte ihn gestellt,
sah ihn mit glänzenden Augen an.
»Gärten?«, fragte er.
»Unsere ganze Kolonie. Sie wollen dort schicke Büros bauen,
wo doch die Vögel sich so wohlfühlen. Wir haben unseren Garten
seit zweiundsechzig Jahren.«
Langsam begriff Robert, worum es ging. Anwohner versuchten
ein Immobilienprojekt zu verhindern. Das Ganze war keine
ganz saubere Geschichte, doch er unterstützte die Pressearbeit
als Berater. Er konnte unmöglich gegen sich selbst unterschreiben.
Schnell fingerte er einen Schein aus der Hosentasche.
»Hier, nehmen Sie.«
»Junger Mann, bitte, ich brauche kein Geld, nur eine Unterschrift
für meinen Garten. Nur Ihren Namen.«
Da stand sie vor ihm, mitten in der Nacht in dieser gottverlassenen
Gegend, in der zitternden Hand diese Zettel, die ohnehin
nichts verhindern würden. Und plötzlich griff Robert nach dem
Füller in der Innentasche seines Mantels, füllte die ganze Zeile
wahrheitsgemäß aus, zögerte dann kurz und schloss mit einer falschen
Unterschrift. So würde er sich notfalls herausreden können.
Hoffentlich.
»Gott segne Sie, junger Mann«, sagte die Alte und lächelte.
»Genießen Sie Ihr Leben und lassen Sie Ihre Frau nicht warten!«
Erst jetzt bemerkte Robert das Taxi am Straßenrand. Marietta
saß längst im Fond und winkte hektisch. Als er sich noch einmal
umblickte, war die Alte verschwunden. Gott segne Sie!
Im Taxi unterwegs ins Zentrum der Stadt schwiegen sie. Doch
schon die Lichter am Boulevard vertrieben die Erinnerung an
diese seltsame Begegnung, die ganze Tristesse des Kongresszentrums
und so auch Roberts überflüssige Gedanken. Natürlich
war es das richtige Leben! Mit dieser Frau! Hier in der Stadt! Seiner
Stadt! Selbst jetzt noch tummelten sich die Menschen auf den
breiten Bürgersteigen, genossen teils in Decken gehüllt ihre Getränke
im Freien, sahen und wurden gesehen, jeder auf seine Art,
allesamt glückliche Teile des großartigen Treibens. Natürlich ging
man da nicht nach Hause!
»Was wollte denn die Hutzlige vorhin?«, fragte Marietta
schließlich.
»Nichts. Den Weg zurück ins Heim.«
»Scheint ja nicht gleich um die Ecke gewesen zu sein.«
»Was meinst du?«
»Das Heim. So lange, wie du gebraucht hast.«
»Sie war schließlich alt.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so ein Typ bist.«
»Was bin ich denn für ein Typ?«
»Einer, der alten Frauen über die Straße hilft.«
»Marietta, sie hat mich nach dem Weg gefragt, verdammt!«
Als sie vor dem Olymp aus dem Taxi stiegen, zog sich die
Schlange der vergeblich Wartenden schon bis zur nächsten Straßenecke.
Noch schützte eine strenge Tür die Bar vor der von Woche
zu Woche stärker andrängenden Masse, und bei aller Müdigkeit
und trotz Mariettas schlechter Laune genoss es Robert, seine
Frau auf direktem Weg zum Fahrstuhl zu führen. Sie brauchten
jetzt dringend einen Drink. Beide. Schnell.
Am Ende der Schlange grüßte der Empfangschef höflich.
Dann schlossen sich auch schon die Türen hinter ihnen und der
gläserne Kubus nahm Fahrt auf. Kurz darauf lag die Stadt als glitzerndes
Meer zu ihren Füßen. Ein Glücksversprechen, fast bis
zum Horizont. Wie konnte er nur denken, dass dieses Leben
nicht das richtige war?
Der Tresen der Bar im siebzehnten Stock zog sich als Kasten
aus poliertem Mahagoni von Glasfront zu Glasfront durch den
ganzen Raum, hob sich dunkel ab vom sanften Cremeweiß des
leicht unter den Schuhen nachgebenden Schaumstoffbodens. Silbern
glänzten die Metallgestänge der mit indigofarbenem Fell bezogenen
Sessel. An den Wänden aus Gussbeton hingen abstrakte
Gemälde in Übergröße. Robert entdeckte die Freunde am anderen
Ende des Tresens, hinter ihnen das Panoramafenster, dahinter
die Lichter der Stadt. Noch weiter in Richtung Horizont, wo
in Dunkelheit das Land lag, reflektierte die Scheibe das Innere
der Bar. Da sah er sich selbst, größer als die meisten anderen
Gäste, schlank und in perfekt sitzendem Anzug, sah sich, wie er
dieser wunderschönen Frau aus dem Mantel half. Auch er legte
ab und gab der Garderobiere großzügig Trinkgeld.
Marietta zog ihn in Richtung der Freunde. Laut und fröhlich
grüßte sie, platzierte ihn auf einem Barhocker, von dem aus er lächelnd
in die Runde nickte. Schon nach dem ersten Schluck von
seinem Manhattan fühlte er endlich die Zufriedenheit in sich,
wieder etwas geschafft zu haben. Achtlos folgte er der Unterhaltung
seiner Freunde, trank immer weiter und, ja, er hatte wirklich
das Gefühl, dass es ihm gutging.
»Auf das verdiente Wochenende!«, sagte nach einigen Drinks
ein etwas jüngerer Typ neben Robert und hob das Glas in seine
Richtung.
»Und wer meinst du, melkt dann die Kühe?«, fragte Robert.
»Kühe?«
»Na, am Wochenende. Wer melkt die Kühe, wenn der Bauer
saufen geht?«
»Keine Ahnung. Wie ein Bauer siehst du jedenfalls nicht gerade
aus.«
»Nicht äußerlich, aber hier«, sagte Robert und zeigte auf sein
Herz. »Hier bin ich Bauer geblieben. Eins mit mir und meiner
Scholle, auch am Wochenende, immer.«
Sein Gegenüber musterte ihn, auf der Suche nach einem Einstieg
in diese ernsthafte Unernsthaftigkeit, die ihn aus dem Konzept
brachte, zumal die anderen in der Runde ihnen amüsiert zuhörten.
»Du meinst von wegen keine Entfremdung der Arbeit? Weil
du deinen eigenen Laden hast?«
»Ach, vergiss es«, winkte Robert ab, der sich schon jetzt über
seine Bemerkung ärgerte.
»Du hast ja recht. Natürlich ist das irgendwie krank, das
ganze Spiel mitzuspielen, aber was ist denn die Alternative? Ich
meine, das ist doch alles Mist heute, und dann ist es wirklich ehrenwert,
den Mist ganz gut zu machen.«
»Weißt du was?«, fragte Robert da wie von selbst und ignorierte
Mariettas Hand auf seinem Bein. »Wegen Typen wie dir,
nur wegen so falscher Typen wie dir ist das alles Mist. Verlogene,
zynische Abstauber, die an nichts glauben als an sich selbst,
Menschen, die die Ober fläche verachten, weil sie meinen, etwas
Besseres zu sein.«
Plötzlich schwiegen sie alle. Verwirrt sahen sie ihn an, taten
aber so, als lauschten sie der Musik, dem Geplapper der anderen
Gäste, dem Klackern und Schmatzen des Cocktailshakers. Das
waren seine Freunde, alle samt erfolgreiche Spieler auf den besseren
Plätzen der Stadt, in den höheren Etagen oder auf dem Weg
dorthin, und er war aus der Rolle gefallen. Einfach so, und unan-
genehm war ihm das nicht, sie dumm gucken zu sehen, regelrecht
schockiert wegen seines kleinen Scherzes. Er war gespannt,
was jetzt passieren würde, doch leider zerstörte Marietta mit ihrem
spitzen Kichern das schöne Schweigen viel zu schnell. Erleichtert
stimmten sie einer nach dem anderen ein in das etwas
zu laute Lachen. Man klopfte ihm kumpelhaft etwas zu fest auf
die Schulter und bestellte etwas zu souverän weitere Runden. Ja,
er war wirklich gut in Form heute.
»Du bist schon einer!«, lachte dieser Typ. »Ganz oben dabei
und trotzdem drüber Späßchen machen. Und das mit dem Bauer
ist ja mal hammermäßig. Das klau ich dir irgendwann noch für irgendeine
Kampagne von wegen verkaufsoffener Sonntag.«
Einige Stunden und viele Manhattans später, zurück in seinem
Penthouse im Zentrum der Stadt, liebte Robert Marietta mit
einer Perfektion, die ihn selbst beeindruckte. Der große Spiegelschrank
reflektierte sie auf dem schwarz glänzenden Seidenlaken,
er selbst aufrecht, Marietta vor ihm, entrückt und makellos.
Sie zeigte ihm, was er wirklich wollte. Mit ihr lebte er seinen
Traum, doch während sie anschließend zufrieden einschlief,
blieb er wach liegen, fragte sich, was ihn da vorhin in der Bar getrieben
hatte. Glaubte er denn wirklich an das, was er tat? Was
hieß überhaupt glauben? Was sollte er denn sonst tun? Natürlich
glaubte er an sich. Allein der Gedanke an sein altes Leben, seine
spießigen Eltern auf dem Land, seine peinlichen Auftritte als
Kleinkünstler, die einsamen Nächte, allein das sollte doch reichen,
ihn jetzt zufrieden einschlafen zu lassen. Er hatte allen
Grund, stolz auf sich zu sein. Und doch war da plötzlich eine Art
Sehnsucht nach damals, nach diesem erfolg losen Leben als zielloser
Tagedieb, das er so glücklich überwunden hatte, eine Sehnsucht,
die ihn schließlich aufstehen, seinen weißen Seidenbademantel
anziehen und ins Wohnzimmer gehen ließ.
Die Kiste mit den alten Kassetten fand er ganz hinten im
Schrank. Ohne jedes System waren die klobigen schwarzen
Klötze in den unterschiedlichsten Farben beschriftet, teils mehrere
Filme auf einem Band, die Etiketten schmutzig, nachlässig
wie sein vergangenes Leben. Ein für alle Mal musste geklärt werden,
was ihn daran noch reizen konnte. Schließlich fand er die
Kassette, die er gesucht hatte.
Nach einigen Sekunden schwarzweißen Schneegestöbers erschien
grobkörnig eine Bühne auf dem Flachbildschirm, spärlich
beleuchtet mit wenigen Kerzen. Im Rücken der Kamera wurde
geredet, ungeduldige Rufe, gespielt hysterisches Kreischen einzelner
Mädchen. Dann trat ein hagerer Kerl ganz in Schwarz ins
Bild, die dunklen Haare halblang bis über die traurigen Augen,
eine akustische Gitarre in der einen, eine Zigarette in der anderen
Hand, und setzte sich auf den bereitstehenden Barhocker.
Das Publikum verstummte, und ohne jede Begrüßung legte er
los, hieb plötzlich auf die Saiten ein und schrie pathetisches wie
sinnloses Zeug in den Raum hinein.
When one and one is three
One minus one leads to eternity
The world is what we try
And what we want to beeeee ...
Die schlaksigen Gliedmaßen des Sängers zuckten um den Barhocker
herum wie die Tentakel eines betrunkenen Kraken, er schaukelte
bedenklich hin und her, brüllte sich die Seele aus dem Leib.
Ja, das war er, so hatte er wirklich ausgesehen, so hatte er sich
aufgeführt, und er war ganz eindeutig überzeugt von dem, was
er von sich gab. Damals hatte er wirklich geglaubt.
Ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, griff Robert ne-
ben sich in die Hausbar, nahm irgendeine der vielen Flaschen,
fummelte den Korken aus dem Hals und gönnte sich einen tiefen
Schluck. Doch auch der Cognac versöhnte ihn nicht mit dem, was
er sah. Nicht ein Hauch von Stil lag in der verrauchten Luft des
Studentenkellers. Immer wieder meinte er sogar, im Publikum leises
Kichern zu hören, auch wenn das gar nicht passte. Und dann,
plötzlich, lachte jemand klar und deutlich, laut und spitz, direkt
hier, in seinem Wohnzimmer. Erschrocken drehte er sich um, erblickte
im Türrahmen Marietta, nackt bis auf das Goldkettchen.
»Bist du das?«
»Was?«, fragte er und drückte hektisch die Fernbedienung.
»Lass doch! Der komische Junge, bist du das?«
»Quatsch.«
»Ach komm, Rob. Wer soll das denn sonst sein?«
»Ein Idiot. Irgendein lächerlicher Idiot.«
»Doch, doch, das bist du, Darling«, lachte sie. »Zeig bitte noch
einmal.«
»Hör auf, Marietta!«
»Ich wusste gar nicht, dass du ein Künstler bist.«
»Vergiss es einfach.«
»Ach, Darling«, seufzte sie und massierte seinen Nacken, fuhr
ihm mit der Rechten in den Bademantel. »Vor mir musst du nicht
den starken Mann spielen. Ich mag es doch auch, wenn du alten
Frauen hilfst. Wirklich. Du musst dich nicht schämen!«
»Warum sollte ich mich schämen?«, fragte er und machte den
Fernseher aus. »Das bin ja nicht ich.«
»Ja, ich ist manchmal ein anderer«, lächelte sie. »Aber das
musst du selber wissen.«
Dann zog sie ihn hoch und hinter sich her zurück ins Schlafzimmer.
Sie hatte recht, und trotzdem wäre er lieber sitzen geblieben,
alleine vor dem Fernseher mit seiner Vergangenheit.
... weniger
Autoren-Porträt von Florian Beckerhoff
Florian Beckerhoff, geboren 1976 in Zürich, aufgewachsen in Bonn, lebt und schreibt in Berlin. Der promovierte Literaturwissenschaftler veröffentlichte bereits einige Sachbücher und literarische Anthologien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Florian Beckerhoff
- 2011, 251 Seiten, Maße: 13,6 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: List Hardcover
- ISBN-10: 3471350446
- ISBN-13: 9783471350447
Rezension zu „Das Landei “
» Florian Beckerhoffs Roman ist klassische Sommerlektüre, bestens geeignet für entspannte Stunden am Strand. Leichtfüßig und mit einer kleinen Portion Tiefgang und Wehmut ... passt!« Neues Volksblatt am Wochenende, 16.07.2011 »Eine herrlich zu lesende Geschichte für den Sommer« TV Gesund & leben, 16/11 »Erstaunlich kluge und analytisch feinsinnige ...Seiten« Main-Echo. Susanne von Mach, 16.07.11
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