Das Leben des Herrn de Moliere
Den Komödiendichter Molière, der von seinen Zeitgenossen gehasst wurde, rettete die Gunst des Sonnenkönigs. Dreihundert Jahre später sieht sich...
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Den Komödiendichter Molière, der von seinen Zeitgenossen gehasst wurde, rettete die Gunst des Sonnenkönigs. Dreihundert Jahre später sieht sich Michail Bulgakow in einer ähnlichen Situation. Auch er ist der verfemte Dichter, den das Wohlwollen des Alleinherrschers Stalin vor Verhaftung und Lager bewahrt.
Das Leben des Herrn Molière von Michail Bulgakow
LESEPROBE
Im Affenhaus
Also, um den 13. Januar 1622 ward inParis dem Herrn
Jean-Baptiste Poquelinund seiner Ehefrau Marie Poquelin-
Cressé ein schwächlicher Erstling geboren.Am 15. Januar
wurde dieser in der St.-Eustache-Kirche zu Ehren seines
Vaters auf den Namen Jean-Baptistegetauft. Die Nachbarn
beglückwünschten Poquelin,und in der Tapeziererinnung
sprach sich herum, daß ein weiterer Tapezierer
und Möbelhändler zur Welt gekommensei.
Jeder Architekt hat seine eigenePhantasie. An den Ekken
des freundlichen zweistöckigenHauses mit dem spitzen
Mansarddach, das in der Rue St.-Honoré,Ecke Rue des
Vielles-Étuves, stand, hatte der Baumeister ausdem
15. Jahrhundert holzgeschnitzteApfelsinenbäume mit
sorgfältig gestutzten Zweigenangebracht. Auf diesen Zweigen
tummelten sich Äffchen und pflücktenFrüchte. Das
Haus hieß bei den Parisern natürlichAffenhaus. Teuer kamen
später die Affen dem Komödianten deMolière zu stehen!
Oft genug versicherten Wohlmeinende,man brauche
sich über die Hanswurst-Karriere desältesten Poquelin-
Sohns gar nicht zu wundern. Waskönne man schon verlangen
von einem Menschen, der inGesellschaft grimassenschneidender
Affen aufgewachsen sei! Allein, derKomödiant
sagte sich auch später nicht von denAffen los, und als
er in vorgerücktem Alter zuirgendwelchen Zwecken sein
Wappen entwarf, stellte er seinegeschwänzten Freunde
dar, die sein Vaterhaus bewachten.
Das Haus befand sich in demlärmenden Hallenviertel
im Zentrum von Paris, unweit des Pont-Neuf. Es gehörte
dem Hoftapezierer und -drapierer Jean-Baptiste senior,
der darin seinen Handel trieb.
Mit der Zeit war der Tapezierer zueinem weiteren Titel
gelangt: Kammerdiener SeinerMajestät des Königs von
Frankreich. Diesen Titel trug ernicht nur in Ehren, sondern
vererbte ihn auch seinemältesten Sohn Jean-Baptiste.
Es ging das Gerücht, Jean-Baptistesenior betreibe außer
dem Handel mit Sesseln und Tapetenauch noch einen
Geldverleih. Ich sehe darin beieinem Kaufmann nichts
Anstößiges. Böse Zungen behauptetenjedoch, Poquelin
senior habe allzu gepfefferte Zinsenverlangt, und der Dramatiker
Molière habe später in demabscheulichen Geizhals
Harpagon seinen leiblichen Vaterdargestellt. Harpagon
ist derselbe, der einem seinerKunden statt Geld allen
möglichen Plunder andrehen will,darunter einen mit Heu
ausgestopften Krokodilsbalg, dernach seiner Meinung als
Wohnungsschmuck an die Decke gehängtwerden könne.
Ich mag diesem Gerede nicht glauben!Der Dramatiker
Molière hat das Andenken seinesVaters nicht in Verruf gebracht,
und auch ich will es nicht tun.
Poquelin senior war ein wirklicher Kaufmann,ein angesehener
und wohlgeachteterVertreter seiner ehrbaren Innung.
Er trieb Handel, und über dem Eingangdes affenumgaukelten
Ladens wehte die ehrliche Fahne, auf der
gleichfalls ein Affe abgebildet war.
In dem dämmerigen Erdgeschoß, wo derLaden gelegen
war, roch es nach Farbe und Wolle,in der Kasse klingelten
die Münzen, und den ganzen Tag überströmte das Volk
herbei, um Teppiche und Tapetenauszusuchen. Zu Poquelin
senior kamen sowohl Bürger wie auchAristokraten. In
der Werkstatt, deren Fenster auf denHof gingen, standen
dicke Staubsäulen, Stühle waren übereinandergetürmt,
Stücke Furnierholz sowie Stoff- undLederballen lagen um-
her, und in diesem Chaoswirtschafteten Poquelins Meister
und Gehilfen, hämmerten undhantierten mit Zuschneiderscheren.
In den Räumen des ersten Stocksoberhalb der Fahne
herrschte die Mutter. Hier hörte manihr dauerndes Hüsteln
und das Rascheln ihrer Röcke ausGros de Naples. Marie
Poquelin war eine wohlhabende Frau. In ihrenSchränken
gab es teure Kleider, florentinischeStoffe und Wäsche
aus feinstem Linnen, ihre Kommodenbargen Kolliers,
Brillantarmbänder, Perlen,Smaragdringe, goldene Uhren
und teures Tafelsilber. Wenn Mariebetete, ließ sie einen
Perlmuttrosenkranz durch die Finger gleiten. Sie las die Bibel
und sogar, woran ich nicht rechtglaube, den griechischen
Autor Plutarchin gekürzter Übersetzung. Sie war
still, liebenswürdig und gebildet.
Ihre Vorfahren hatten zumeist dasTapeziererhandwerk
erlernt, doch gab es unter ihnenauch Leute mit anderen
Berufen, Musikanten etwa undAdvokaten.
In den oberen Räumen des Affenhausesalso stolzierte
ein Knabe mit hellblondem Haar undvollen Lippen umher.
Es war der älteste SohnJean-Baptiste. Manchmal stieg
er hinunter in den Laden oder in dieWerkstatt, störte die
Gesellen bei der Arbeit und löchertesie mit Fragen nach
Gott und der Welt. Die Meisterlachten über sein Stottern,
aber sie mochten ihn gern. Zuzeitensaß er am Fenster und
schaute, die Wangen in die Fäustegestützt, hinaus auf die
schmutzige Straße, durch die dasVolk hastete.
Einmal ging die Mutter an ihm vorbei,gab ihm einen
Klaps auf den Rücken und sagte: »Na,du Beobachter?«
Eines schönen Tages ward derBeobachter in die Pfarrschule
gegeben. Hier lernte er alles, wasman in so einer
Schule lernen konnte, das heißt, ereignete sich die vier Rechenarten
an, lernte ohne Stocken lesen,erwarb die Anfangsgründe
des Lateins und wurde mit vieleninteressanten
Dingen bekannt, die in den»Lebensgeschichten der
Heiligen« dargelegt waren.
So standen die Dinge, friedlich undfreundlich ging es
zu. Poquelinsenior wurde reich und reicher, schon waren
vier Kinder geboren, als plötzlichüber das Affenhaus das
Unglück hereinbrach.
Im Frühjahr 1632 erkrankte die zarteMutter. Ihre Augen
blickten glänzend und unruhig.Binnen eines Monats magerte
sie dermaßen ab, daßsie kaum wiederzuerkennen
war, und auf ihren bleichen Wangenerblühten ungute
Flecke. Dann begann sie Blut zuspucken, und Ärzte mit
unheildrohenden Kappen besuchten,auf Maultieren reitend,
das Affenhaus. Am 15. Mai weinte derpummelige Beobachter
bitterlich und wischte sich mitschmutzigen Fäusten
die Tränen weg, und mit ihmschluchzte das ganze
Haus. Die stille Marie Poquelin lag reglos da, die Hände
auf der Brust gekreuzt.
Nachdem man sie beerdigt hatte, stand gleichsam ununterbrochene
Dämmerung im Haus. Der Vater wurde
schwermütig und zerstreut, und seinÄltester sah ihn mehrmals
an Sommerabenden einsam imHalbdunkel sitzen
und weinen. Dies bekümmerte denBeobachter, er streifte
ziellos durch die Wohnung und wußte nichts mit sich anzufangen.
Aber dann hörte der Vater zu weinenauf und besuchte
oft die Familie Fleurette. Dem elfjährigen Jean-Baptiste
wurde eröffnet, er werde eine neueMutter bekommen.
Und alsbald erschien im AffenhausCatherine Fleurette,
die neue Mutter. Bald danachübrigens verließ die Familie
das Affenhaus, denn der Vater hatteein neues Haus
gekauft.
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© Verlagsgruppe RandomHouse
Übersetzung: Thomas Reschke
- Autor: Michail Bulgakow
- 2006, 235 Seiten, Maße: 11,8 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Thomas Reschke
- Verlag: Luchterhand Literaturverlag
- ISBN-10: 3630620965
- ISBN-13: 9783630620961
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