Das schaurige Spital
"So schön der Film von Brad Silberling ist - die Bücher bleiben eine Klasse für sich." Neue Presse
"Die Snicket-Romane sind spannende Krimis. Vor allem aber sind sie eine anspruchsvolle Lektüre, verfasst von einem Autor, der Ironie und tiefere Bedeutung liebt. Obacht, alle Erziehungsberechtigten: Diese Bücher werden den Sprachwitz aller Kinder dramatisch erweitern, allerdings auch das Repertoire an raffinierten Spitzfindigkeiten und altklugen Bonmots!" Stuttgarter Zeitung
"Drei Kinder kämpfen in herrlich verrückten Geschichten gegen böses Zeugs. Lesen und Freude haben!" Bild am Sonntag
Das schaurigeSpital vonLemony Snicket
LESEPROBE
Es gibt zwei Gründe, warum ein Autor einen Satz mit dem Wort»Stopp« ganz in Großbuchstaben abschließen würde STOPP. Der erste Grund ist,dass er ein Telegramm schreibt; das ist eine codierte Botschaft, die über eineelektrische Leitung vermittelt wird STOPP. In einem Telegramm ist das Wort»Stopp« ganz in Großbuchstaben der Code für das Ende eines Satzes STOPP. Aberes gibt noch einen weiteren Grund, weshalb ein Autor einen Satz mit «Stopp«ganz in Großbuchstaben beenden würde, wenn er nämlich seine Leser warnen will,dass das Buch, das sie gerade lesen, so absolut fürchterlich ist, dass es dasBeste wäre, damit sofort wieder aufzuhören STOPP.
Dieses spezielle Buch zum Beispiel schildert eine besondersunglückliche Zeit im Leben von Violet, Klaus und Sunny Baudelaire. Und wenn dunoch bei Verstand bist, wirst du dieses Buch sofort zuschlagen, es einen hohenBerg hinaufschleppen und von seiner höchsten Spitze hinunterschleudern STOPP.Es gibt keinen Grund auf der Welt, warum du auch nur ein einziges weiteres Wortüber das Unglück, den Verrat und das Elend lesen solltest, die die dreiBaudelaire-Kinder erwarten - genauso wenig, wie du auf die Straße laufen unddich vor einen fahrenden Bus werfen solltest STOPP. Dieser mit STOPP endendeSatz ist deine allerletzte Gelegenheit, die STOPP als ein Stoppschild zubetrachten. Indem du das »STOPP« befolgst und aufhörst zu lesen, wirst du dieFlut von Verzweiflung eindämmen können, die in diesem Buch auf dich wartet, undden herzzerreißenden Schrecken, der schon im nächsten Satz beginnt STOPP.
Die Baudelaire-Waisen machten einen Stopp. Es war früh am Morgenund die drei Kinder hatten eine stundenlange Wanderung durch die flache undihnen fremde Landschaft hinter sich. Sie waren durstig und erschöpft undwussten nicht, wo sie sich befanden, was drei gute Gründe sind, eine langeWanderung zu beenden. Andererseits waren sie aber auch ängstlich, verzweifeltund nicht allzu weit von Menschen entfernt, die es auf sie abgesehen hatten,was drei gute Gründe sind, um weiterzumarschieren.
Die Geschwister hatten schon seit Stunden nicht mehr miteinandergeredet, um auch den kleinsten Rest an Energie dafür zu nutzen, einen Fuß vorden anderen zu setzen. Aber nun wussten sie, dass sie anhalten mussten, wennauch nur für einen Augenblick, um darüber zu sprechen, was sie als Nächstes tunsollten.
Die Kinder standen vor dem »Kaufhaus Zur Letzten Gelegenheit«, demeinzigen Gebäude, auf das sie während ihres langen und verzweifeltenNachtmarschs gestoßen waren. Außen war das Geschäft mit verblichenen Plakatenbedeckt, die Reklame machten für das, was hier verkauft wurde. Imgespenstischen Licht des Halbmonds konnten die Baudelaires erkennen, dass indem Kaufhaus frische Limetten, Plastikmesser, Fleischkonserven, weißeBriefumschläge, Bonbons mit Mangogeschmack, Rotwein, lederne Brieftaschen,Modezeitschriften, Goldfischgläser, Schlafsäcke, getrocknete Feigen,Pappkartons, zweifelhafte Vitaminpillen und viele andere Dinge zu erstehenwaren. Nirgendwo war an dem Gebäude allerdings ein Plakat zu sehen, auf demHilfe angeboten wurde, das wäre aber genau das gewesen, was die Baudelaireseigentlich gebraucht hätten.
»Ich denke, wir sollten hineingehen«, sagte Violet und holte einBand aus der Tasche, um ihr Haar zurückzubinden. Violet, die Älteste derBaudelaires, war wahrscheinlich die beste vierzehnjährige Erfinderin der Welt,und sie band immer ihr Haar zurück, wenn sie ein Problem zu lösen hatte. Indiesem Augenblick versuchte sie, für das größte Problem, vor dem sie und ihreGeschwister je gestanden hatten, eine Lösung zu finden. »Vielleicht ist dajemand drin, der uns irgendwie helfen kann.«
»Aber vielleicht ist da auch jemand drin, der uns in der Zeitunggesehen hat«, entgegnete Klaus, der mittlere Baudelaire, der vor kurzem seinendreizehnten Geburtstag in einer dreckigen Gefängniszelle verbracht hatte. Klausbesaß das Talent, sich an fast jedes Wort in fast all den Tausenden von Büchernzu erinnern, die er gelesen hatte. Er runzelte die Stirn, als er sich jetzt aneinige falsche Sätze erinnerte, die kürzlich über ihn selbst in der Zeitunggestanden hatten. »Wenn sie in den Tagespedanten geschaut haben«, fuhr er fort,»glauben sie vielleicht all diese schrecklichen Dinge über uns. Dann werden sieuns überhaupt nicht helfen.«
»Agery!«, sagte Sunny. Sie war noch einKleinkind, und wie bei den meisten Kleinkindern entwickelten sich verschiedeneKörperteile von ihr mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Sie hatte zumBeispiel nur vier Zähne, aber jeder von ihnen war so scharf wie der eines ausgewachsenenLöwen.
Obwohl Sunny vor kurzem laufen gelernt hatte, verfügte sie nochnicht über die Fähigkeit, immer so zu sprechen, dass alle Erwachsenen sieverstehen konnten. Ihre Geschwister jedoch wussten sofort, was sie sagenwollte:
»Nun, wir können nicht ewig weiterlaufen«, und die beiden älterenBaudelaires nickten zustimmend.
»Sunny hat Recht«, sagte Violet. »Es heißt 'Kaufhaus Zur LetztenGelegenheit'. Das klingt so, als ob es meilenweit das einzige Gebäude ist. Eskönnte unsere letzte Chance sein, Hilfe zu bekommen.«
»Schaut nur«, sagte Klaus und deutete auf einen Anschlag, der hochoben an einer Ecke des Gebäudes angeklebt war. »Hier können wir ein Telegrammaufgeben. Vielleicht erhalten wir auf diese Weise Hilfe.«
»Wem sollten wir ein Telegramm schicken?«, fragte Violet. Und nocheinmal mussten die Baudelaires eine Pause einlegen und nachdenken. Wenn es dirwie den meisten Leute geht, dann hast du eine Menge Freunde undFamilienangehörige, an die du dich mit Problemen wenden kannst. Würdest du zumBeispiel mitten in der Nacht aufwachen und sehen, wie eine maskierte Frauversucht, durch dein Schlafzimmerfenster einzusteigen, dann könntest du deineMutter oder deinen Vater rufen, damit sie dir helfen, die Frau wiederhinauszuwerfen. Oder wenn du dich mitten in einer fremden Stadt hoffnungslosverirrt hast, könntest du die Polizei bitten, dich wieder nach Hause zu fahren.Oder wenn du ein Schriftsteller wärst, der in einem italienischen Restauranteingeschlossen ist, das langsam voll Wasser läuft, dann könntest du deineBekannten anrufen, die im Schlosser-, Nudel- und Schwammgewerbe tätig sind,damit sie kommen und dich retten. (...)
© Manhattan Verlag
Übersetzung: Klaus Weimann
- Autor: Lemony Snicket
- 2005, 1, 225 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13 x 19 cm, Deutsch
- Übersetzung: Weimann, Klaus
- Übersetzer: Klaus Weimann
- Verlag: MANHATTAN
- ISBN-10: 3442545919
- ISBN-13: 9783442545919
- Erscheinungsdatum: 17.08.2005
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