Das siebte Einhorn
Liebe, Intrigen und das Rätsel um ein verschollenes Meisterwerk.
In einem Kloster entdeckt die Kunsthistorikerin Alexandra Pellier eine Skizze für einen Wandteppich aus der Renaissance. Auf der Suche nach dem verschollenen Gobelin kommt sie einem alten...
In einem Kloster entdeckt die Kunsthistorikerin Alexandra Pellier eine Skizze für einen Wandteppich aus der Renaissance. Auf der Suche nach dem verschollenen Gobelin kommt sie einem alten...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das siebte Einhorn “
Liebe, Intrigen und das Rätsel um ein verschollenes Meisterwerk.
In einem Kloster entdeckt die Kunsthistorikerin Alexandra Pellier eine Skizze für einen Wandteppich aus der Renaissance. Auf der Suche nach dem verschollenen Gobelin kommt sie einem alten Geheimnis auf die Spur ...
In der Bibliothek des Klosters Sainte Blondine entdeckt Alexandra Pellier vom Pariser Cluny-Museum eine Skizze für einen alten Wandteppich. Die Zeichnung weist eine frappierende Ähnlichkeit mit der sechsteiligen Tapisserieserie »Die Dame mit dem Einhorn« auf, dem bekanntesten Kunstschatz des Cluny-Museums. Gibt es also einen siebten Teppich? Als Alex mit ihren Nachforschungen beginnt, kommt ihr Dr. Martinson in die Quere. Der Kollege aus New York scheint ihr stets eine Spur voraus zu sein - und ausgerechnet von Alex' Chefin unterstützt zu werden.
Gemeinsam mit dem Maler Jake, für den Alex mehr als nur Freundschaft empfindet, versucht sie die Geschichte des siebten Gobelins zu ergründen und kommt so einem alten Geheimnis auf die Spur - einem Geheimnis um heimliche Kunst und verbotene Liebe
Auf faszinierende Weise verwebt Kelly Jones die Geschichte eines Gobelins aus der Renaissance mit einer dramatischen Gegenwartshandlung.
In einem Kloster entdeckt die Kunsthistorikerin Alexandra Pellier eine Skizze für einen Wandteppich aus der Renaissance. Auf der Suche nach dem verschollenen Gobelin kommt sie einem alten Geheimnis auf die Spur ...
In der Bibliothek des Klosters Sainte Blondine entdeckt Alexandra Pellier vom Pariser Cluny-Museum eine Skizze für einen alten Wandteppich. Die Zeichnung weist eine frappierende Ähnlichkeit mit der sechsteiligen Tapisserieserie »Die Dame mit dem Einhorn« auf, dem bekanntesten Kunstschatz des Cluny-Museums. Gibt es also einen siebten Teppich? Als Alex mit ihren Nachforschungen beginnt, kommt ihr Dr. Martinson in die Quere. Der Kollege aus New York scheint ihr stets eine Spur voraus zu sein - und ausgerechnet von Alex' Chefin unterstützt zu werden.
Gemeinsam mit dem Maler Jake, für den Alex mehr als nur Freundschaft empfindet, versucht sie die Geschichte des siebten Gobelins zu ergründen und kommt so einem alten Geheimnis auf die Spur - einem Geheimnis um heimliche Kunst und verbotene Liebe
Auf faszinierende Weise verwebt Kelly Jones die Geschichte eines Gobelins aus der Renaissance mit einer dramatischen Gegenwartshandlung.
Klappentext zu „Das siebte Einhorn “
Liebe, Intrigen und das Rätsel um ein verschollenes Meisterwerk.In einem Kloster entdeckt die Kunsthistorikerin Alexandra Pellier eine Skizze für einen Wandteppich aus der Renaissance. Auf der Suche nach dem verschollenen Gobelin kommt sie einem alten Geheimnis auf die Spur ...
In der Bibliothek des Klosters Sainte Blondine entdeckt Alexandra Pellier vom Pariser Cluny-Museum eine Skizze für einen alten Wandteppich. Die Zeichnung weist eine frappierende Ähnlichkeit mit der sechsteiligen Tapisserieserie »Die Dame mit dem Einhorn« auf, dem bekanntesten Kunstschatz des Cluny-Museums. Gibt es also einen siebten Teppich? Als Alex mit ihren Nachforschungen beginnt, kommt ihr Dr. Martinson in die Quere. Der Kollege aus New York scheint ihr stets eine Spur voraus zu sein - und ausgerechnet von Alex' Chefin unterstützt zu werden.
Gemeinsam mit dem Maler Jake, für den Alex mehr als nur Freundschaft empfindet, versucht sie die Geschichte des siebten Gobelins zu ergründen und kommt so einem alten Geheimnis auf die Spur - einem Geheimnis um heimliche Kunst und verbotene LiebeAuf faszinierende Weise verwebt Kelly Jones die Geschichte eines Gobelins aus der Renaissance mit einer dramatischen Gegenwartshandlung.
Lese-Probe zu „Das siebte Einhorn “
PROLOGDER Schmerz kam in der Nacht, so wie es die alte Nonne vorausgesagt hatte. Ad le richtete sich auf und legte die Hand auf die W lbung ihres Leibes. Sie war ver ngstigt und unsicher, obwohl der Schmerz selbst kaum schlimmer war als die Kr mpfe, die ihre monatliche Blutung begleiteten. Dann ebbte er wieder ab. Sie legte sich aufs Bett zur ck, und nur das gleichm ige Atmen der jungen Novizin, mit der sie sich die winzige Zelle teilte, war zu h ren. "Noch nicht", fl sterte sich Ad le zu. "Warte noch."
SIE versuchte, wieder einzuschlafen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Sie hatte getr umt. Es war der Traum gewesen, den sie seit ihrer Ankunft jede Nacht gehabt hatte, Bilder, die ihr mittlerweile so vertraut waren, dass sie sie jederzeit heraufbeschw ren konnte; es war ein Traum, f r den Schlaf nicht n tig war. Jede Einzelheit stand ihr so klar und deutlich vor Augen wie die Zeichnungen, die sie an jenem Tag, in ihrem Gebetbuch verborgen, in den Garten mitgenommen hatte.
DIE Luft ist erf llt von dem Duft nach Nelken, nach den Bl ten der Orangenb ume, nach feuchter Erde. Ad le ist in den Garten gekommen, um zu zeichnen. Das tut sie oft unter dem Vorwand, zu beten und Zwiesprache mit Gott zu halten. Sie zieht eine der Zeichnungen, die sie bei ihrem letzten Besuch begonnen hat, aus dem Gebetbuch. Es ist ein Bild ihrer Schwester Claude an einer Hausorgel, unterst tzt von einer Zofe, die die Blaseb lge bedient. Mit Feder und Tinte hat Ad le die feine Beschaffenheit ihrer Kleidung, den seidigen Stoff, die Bord ren aus Samt dargestellt. Zur Rechten der Dame hat sie ein Einhorn gezeichnet, Symbol ihrer jungfr ulichen Reinheit, denn es ist ein Gesch pf, das nur eine Jungfrau zu z hmen vermag. Links von ihr ist ein L we abgebildet, Sinnbild der Kraft. Das Familienwappen, ROT, MIT DREI SILBERNEN MONDEN AUF EINEM SCHR GEN BLAUEN BAND, ist auf die Banner appliziert und wird von den beiden Tieren gehalten.
AD LE nimmt Feder und Tinte und l sst rund um die
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abgebildeten Figuren mit ge bten Strichen einen Garten entstehen, der an eine Insel erinnert. Sie bev lkert das Eiland mit Hasen und einem Hund und f gt schlie lich im Hintergrund noch einige andere kleine Gesch pfe hinzu, auch einen Fuchs und ein Schaf. Sie sehen aus, als schwebten sie in der Luft. Einen Moment lang betrachtet sie, recht zufrieden, ihr Werk, dann legt sie die Zeichnung auf die sonnenwarme Bank zum Trocknen, um ein paar Blumen zu pfl cken, mit denen sie ihr Bild vollenden wird.
ALS sie zur ckkehrt, steht ein Mann neben der Bank. Er hat die Zeichnung in die Hand genommen und schaut sie sich mit gro em Interesse an.
SIE wei , dass er der Teppichwirker ist. An diesem Morgen ist er zusammen mit einem lteren Mann eingetroffen. Ob die Besprechungen mit ihrem Vater wohl beendet sind?
PL TZLICH f hlt sie sich sehr k hn. "Ihr seid der tapissier aus Br ssel?"
SIE hat ihn berrascht, denn er f hrt erschrocken herum. "Ja, der bin ich."
"BITTE", sagt sie und streckt die Hand nach der Zeichnung aus. Er gibt das Bild zur ck, und ein paar Momente lang stehen sie schweigend da.
"IHR seid eine K nstlerin von erstaunlicher Begabung", sagt der Mann. Sie l chelt, erwidert aber nichts, obwohl sie sehen kann, wie beeindruckt er ist.
"DIE Frau auf dem Bild", f hrt er fort, "ist sie ein Wesen aus Eurer Vorstellungskraft?"
"ES ist meine lteste Schwester Claude."
"EURE Schwester ist sehr sch n."
"JA."
"UND sie musiziert?"
"MEIN Vater hat ihr musikalisches Talent gef rdert, damit sie dereinst einen jungen Ritter, einen Edelmann oder vielleicht sogar einen F rsten mit ihrem Spiel unterhalten und f r sich gewinnen kann. Unsere Familie ist von bescheidener Herkunft. Kaufleute, Tuchh ndler aus Lyon."
DER Teppichwirker nickt, als h tte er diese Geschichte schon vernommen, doch es scheint ihn auch zu berraschen, dass Ad le ber solch private Belange mit ihm spricht. Ist es nicht wohlbekannt, dass die Familie Le Viste in Lyon gro en Reichtum und Besitz erlangt hat, dass sie ihre gute Stellung in Paris ausgebaut und durch g nstige Heirat noch verbessert hat? Und wei nicht fast jeder, dass Jean Le Viste zwar ein schneller Aufstieg in der Verwaltung und sogar bis in die Dienste des K nigs gelungen ist, ihm jedoch der Status eines Edelmannes und ein k niglicher Titel, die er so sehr begehrte, versagt blieben? Denn ihr Vater, denkt Ad le, ist letztlich ebenso wenig ein Edelmann oder Ritter wie ein einfacher tapissier aus Br ssel. Dennoch wei sie, dass ihr Vater die Innigkeit, mit der die beiden miteinander plaudern, nicht guthei en w rde.
"WIRD denn mein Vater", fragt sie, "einen K nstler aus Paris kommen lassen, damit er das Bild f r den Wandteppich entwirft?"
"DAS ist sein Wunsch, ja. Es gibt zahlreiche ausgezeichnete Maler in Paris."
SIE zupft ein Ma liebchen aus ihrem Strau und schnuppert einen Moment lang daran, um es dann genau zu betrachten. "Aber gibt es nicht in Br ssel die besten Werkst tten, die besten Teppichwirker?"
"JA", antwortet er. "Die besten tapissiers gibt es in Br ssel."
"WURDE denn schon ein Motiv gew hlt?"
"DAR BER wurde viel gesprochen, ja. Euer Vater ist ein Mann, der es gew hnt ist, in gro en Zusammenh ngen zu denken. Er m chte den Leistungen der Familie Rechnung tragen und seine Ernennung zum Pr sidenten des Finanzgerichtshofes feiern, doch auch der Jahrestag seiner Verm hlung mit Eurer Mutter soll gew rdigt werden."
"POLITIK", sagt sie und sch ttelt langsam den Kopf, w hrend sie die Blumen, die sie gepfl ckt hat, ringsum auf dem Boden verstreut. Sie nimmt Platz, zieht unter der Bank ein gro es Buch hervor und legt es sich als Unterlage f r das Pergament, auf dem sie zeichnet, auf den Scho . Dann beginnt sie die Bl ten abzuzeichnen und f gt sie in den Hintergrund des Bildes, zwischen die Tiere, ein. "Und wie viele Teppiche wird mein Vater in Auftrag geben?", fragt sie. "M chte er alle W nde des Schlosses damit bedecken? Oder wird es nur ein einziges chambre?"
"ES war von sieben Wandbildern die Rede."
"SIEBEN ist eine gute Zahl." Sie wirft ihr langes Haar in den Nacken, von dem ihr eine Str hne ber die Wange gefallen ist.
DER tapissier sieht ihr dabei zu, wie sie den Bildhintergrund mit Blumen ausf llt. "Mille-fleurs", sagt er, und sie l chelt, denn sie wei , dass dieser Malstil bei der Gestaltung von Wandteppichen zur Zeit sehr beliebt ist. Als sie fertig ist, beugt sie sich hinab, zieht eine h lzerne Schachtel unter der Bank hervor und nimmt ein weiches Tuch heraus. Damit wischt sie die Tinte von der Spitze ihrer Zeichenfeder. Als sie die Feder, das Tintenfass und das Tuch zur ck in die Schachtel legt, fragt der tapissier: "Darf ich?" Er hat das Gebetbuch zu ihren F en und die anderen Zeichnungen bemerkt, die sie zwischen die Seiten geschoben hat.
"IHR d rft." Sie hebt das Gebetbuch hoch, reicht es ihm. Und dann fegt sie, mit einer schamlosen Geste, die sie beide berrascht, die Blumen auf den Boden und fordert ihn auf, neben ihr Platz zu nehmen. Er z gert einen Moment und setzt sich.
ES sind vier weitere Zeichnungen, insgesamt also f nf, und jede von ihnen zeigt eine Frau auf einem Garten-Eiland mit einem Einhorn und einem L wen. Er betrachtet die Bilder mit gro em Interesse.
SCHLIE LICH h lt er die Zeichnung einer Frau hoch, die sich einen Kranz aus Bl ten flicht.
"MEINE Schwester Jeanne", sagt sie.
"AUCH Eure Schwester Jeanne ist sehr sch n."
"JA."
ER betrachtet das Bild, auf dem ein Jagdvogel auf der behandschuhten Hand der jungen Frau sitzt.
"MEINE Schwester Genevi ve", sagt sie. "Und ja, auch sie ist sehr sch n. Und eine ausgezeichnete J gerin noch dazu."
ER sieht die Zeichnung an, auf der eine Frau einen Spiegel in der Hand h lt; darin ist das Bild eines Einhorns zu sehen, das sich auf ihrem Scho zusammengerollt hat. Der L we zur Rechten der Frau h lt ein Banner, das mit dem Wappen der Familie Le Viste geschm ckt ist.
"MEINE Mutter", sagt das M dchen.
"IN ihren Augen ist gro e Traurigkeit", erwidert der tapissier nachdenklich.
"O JA, aber gibt es denn anderes als Traurigkeit im Leben einer Frau, die keine S hne zur Welt bringt?"
"EINER Frau, die vier T chtern das Leben geschenkt hat?", sagt er mit einem L cheln. "Vier sch nen T chtern." Und selbst in diesem Moment sp rt sie noch, wie sie l chelt, wie W rme in ihr aufsteigt, und dann ... einen gro en Schmerz, w hrend das Bild langsam verblasst.
SIE ist wieder in ihrer winzigen Zelle, der trockene Geruch nach Stein ist an die Stelle der Gartend fte getreten. Die Kr mpfe haben wieder eingesetzt, dieses Mal st rker, heftiger. Und doch, denkt sie, ist es noch nicht an der Zeit. Noch einmal beschw rt sie die Erinnerung herauf, jenes letzte Bild, das der Teppichwirker so sorgsam betrachtet.
DIE Frau auf diesem Bild besitzt nicht die zarte Anmut der anderen; ihr Gesicht ist hager und von Kummer gezeichnet. Sie steht aufrecht und h lt eine Lanze in ihrer rechten Hand. Mit der Linken ber hrt sie z rtlich das Horn des Einhorns, das, aus der N he betrachtet, mehr einer Ziege hnelt als den eleganten Wesen auf den anderen Bildern. Die kleinen Tiere im Hintergrund tragen Halsb nder oder sind angekettet.
"UND die junge Frau auf dieser Zeichnung hier?", fragt er, und seine Augen wandern von dem Pergament zu Ad les Gesicht. Er zieht die Brauen hoch und kneift die Augen zusammen, zeigt Verwirrung, als h tte er zwar erkannt, dass sie sich selbst abgebildet hat, k nnte aber keine hnlichkeit entdecken. Vielleicht fragt er sich, warum sie ausgerechnet dieses Motiv gew hlt hat, um sich selbst darzustellen.
UND dann wieder der Schmerz. Sie sp rt, wie das Wasser ihr die Beine hinabl uft, wie ihr Laken feucht wird. Es riecht nach Blut. Sie ruft den Namen der jungen Nonne, die aufwacht. "Jetzt", fl stert Ad le.
DIE alte Nonne ist rasch bei ihr. Nun kommen die Wehen in k rzeren Abst nden, und sie sind heftiger. Ad le sieht das Entsetzen in den Augen der jungen Nonne. Und das Blut, tiefrot. Dann schreit Ad le auf.
SIE sieht die Wandteppiche, wie sie aus der Werkstatt in Br ssel geliefert werden. Es sind bereits sechs an der Zahl, und ihr ungeduldiger Vater kann es kaum erwarten, die Serie in Vollendung zu sehen. Auch Ad le hat den siebten noch nicht zu Gesicht bekommen.
SIE kann die Bilder nicht l nger in sich am Leben erhalten. Der Schmerz hat sie jetzt fest im Griff und ist so stark, dass ihr ganzer K rper und ihre ganze Seele gefordert sind.
SOWOHL die alte Frau als auch die junge Nonne bleiben bei ihr, obwohl schon bald die morgendlichen Gebete aus der Kapelle her berdringen, und auch am Mittag und Abend weichen sie ihr nicht von der Seite. Ad le sieht die Ersch pfung in den Augen der alten Frau. Nur wenige Zoll von ihrem Gesicht entfernt bewegen sich die Lippen der Klosterfrau in stillem Gebet, doch in Ad le ist nur ein einziges Flehen: dass sie die Kraft haben wird, dieses unschuldige Kind zur Welt zu bringen. Der Schmerz setzt ihr so sehr zu, dass sie nicht mehr richtig beten kann. Die Worte kommen ihr einfach nicht in den Sinn. Wieder ist es Nacht geworden, und das einzige Licht ist das Flackern der Kerzen in der Zelle. Ad le versp rt den Drang zu pressen, mit aller Kraft, die sie noch hat.
"NOCH nicht, meine Tochter", sagt die alte Frau, und selbst das klingt aus ihrem Mund wie ein Gebet. Sie benetzt Ad les Gesicht mit einem feuchten Tuch, massiert ihr die Beine, die Arme, den Leib mit warmem l und spricht dabei mit leiser, steter Stimme auf sie ein. Sie h lt einen Becher an ihre Lippen. Es ist Wein mit Kr utern, die den Schmerz stillen sollen.
SCHLIE LICH ruft die Frau gebieterisch: "Jetzt, Ad le, jetzt pressen." Es sind andere Frauen im Zimmer, die ihre Arme und Beine festhalten und sie hochziehen, als w re dieses Kind eine reife Frucht, die jeden Moment zur Erde herabfallen wird. "Pressen", fl stert die alte Nonne, und Ad le tut es, wieder und wieder, bis die Frau ruft: "Deo gratias, Deo gratias!"
MIT einer Kraft, die aus dem tiefsten Inneren ihres Leibes zu kommen scheint, schaut Ad le auf das Kind hinab. Der Knabe ist so winzig, doch als er einen herzhaften Schrei von sich gibt, macht ihr Herz einen Satz, und sie fl stert ein Dankgebet.
DIE alte Nonne badet ihn. Das Licht des fr hen Morgens, das in die Zelle str mt, f llt auf Blut. Es ist berall - auf dem Kind, den Bettlaken, dem Binsenteppich, der auf dem Boden liegt, an Ad les Beinen, auf ihren F en. Die Frau h llt ihn in eine warme Decke, und als sie ihn der jungen Nonne reicht, die ihn aus dem Zimmer tr gt, schreit Ad le noch einmal auf.
"RUH dich aus, meine Tochter, ruh dich aus", sagt die alte Nonne, und Ad le schlie t die Augen. Wieder erblickt sie das Purpurrot. Zuerst ist es Blut, aber dann ... sieht sie, wie erfreut ihr Vater ist, als er den ersten Blick auf die Wandteppiche wirft, auf die dicken Str nge in Rot, in Blau, in Gold. Dann seine Entdeckung, seine Wut. Doch jetzt ist das alles nicht mehr da. Sie sp rt keinen Zorn und auch keinen Schmerz mehr. Nur eine friedliche Ruhe ist in ihr, und noch einmal wandelt sie durch einen Garten.
DAS Kloster Sainte Blandine, ein zweigeschossiges Geb ude aus grobem Stein, wirkte verlassen. Unkraut und wilde Str ucher wuchsen auf beiden Seiten eines schmalen, unbefestigten Weges, der bis ans Eingangstor reichte, und erstreckten sich zu einem kleinen Garten mit unbeschnittenen Obstb umen. Reihen von verwitterten Spalieren lagen, berwuchert von Weinreben, neben ausrangierten Holzkisten auf der anderen Seite des Pfades. Die Nordseite des Geb udes war mit Efeu bewachsen, der sich bis an den Ziegelschornstein hinaufgewunden hatte; dieser war offensichtlich eine neuere Errungenschaft, weil er nicht zum Baustil des brigen Geb udes passte. Mehrere Ziegelsteine hatten sich gel st und lagen in einem Haufen am Boden. Auch die Luft, die bis auf eine leichte Brise, die durch die B ume strich, ganz still war, gab keinen Hinweis darauf, ob das Geb ude in letzter Zeit bewohnt oder auch nur von Menschen betreten worden war.
ALEX Pellier stand am Wegrand und studierte noch einmal die Karte. Sie war den Anweisungen genau gefolgt: von Lyon aus nach S den, an dem Dorf Vienne vorbei. Die Autobahnstrecke von Lyon her war exakt beschrieben gewesen, einschlie lich der Abzweigungen und der unwegsamen oder holprigen Abschnitte auf Schotterpisten und Feldwegen. Die Karte selbst war zusammen mit dem Brief der Mutter Oberin gekommen.
BERRASCHT von der scheinbaren Verlassenheit sowohl des Geb udes als auch des Grundst cks, ging Alex auf das gro e Holztor zu. Sie klopfte und wartete. Keine Reaktion. Sie klopfte noch einmal.
GANZ bestimmt w rde jemand kommen; sie hatte einen Termin.
DER Brief der Mutter Oberin, in einer etwas unsicheren, aber doch anmutigen Handschrift mit einem altmodischen F llfederhalter verfasst, war an das Cluny geschickt worden, adressiert an Madame Demy, die Direktorin des Museums. Die Sprache des Briefes war ebenso geziert und verschn rkelt wie die Schrift selbst: "Wundersch ne bestickte Altarleinen mit wertvollen Einfassungen aus feinster handgekl ppelter Spitze, kostbare Wandteppiche bester Qualit t aus den Gr nderjahren des Klosters im dreizehnten Jahrhundert, eine weitr umige Bibliothek, best ckt mit zahlreichen mittelalterlichen Handschriften von gr tem Wert." Laut der Ehrw rdigen Mutter Alv re w nsche das Kloster, sich vor seinem Umzug nach Lyon seiner weltlichen Besitzt mer zu entledigen. Alle Objekte seien am letzten Maiwochenende zu besichtigen.
ALEX klopfte noch einmal, aber niemand kam zur T r. Hatten sich die Nonnen bereits nach Lyon begeben, um dort in einem kl sterlichen Pflegeheim ihren Lebensabend zu verbringen? Es war erst zwei Tage her, dass Alex einen zweiten Brief von der Mutter Oberin erhalten hatte, eine Antwort auf Alex' Bitte um einen Besuchstermin. Darin hatte sie f r heute ein Treffen um f nf Uhr vorgeschlagen. Mittlerweile war es zehn nach f nf.
SIE klopfte wieder. War sie den ganzen Weg von Paris hierher umsonst gefahren?
SIE wartete noch ein paar Minuten, ging dann um das Geb ude herum und dr ckte das Gesicht an ein Fenster, das von innen mit Brettern vernagelt war, um zwischen den Ritzen der Balken hindurchzuschauen. Au er einem schwachen silbrigen Lichtschein auf einer dunklen Wand war nichts zu erkennen.
SIE kehrte zum Haupteingang zur ck und klopfte noch einmal, jetzt etwas energischer. Immer noch nichts. Gerade wollte sie es noch einmal an der T r versuchen, als in deren oberer H lfte ein Fensterchen aufging. Das Gesicht einer alten Frau tauchte auf, klein und verhutzelt, eingerahmt von einer steifen wei en Haube und einem Brusttuch.
EIN paar Momente lang schaute die Frau sie nur an, dann sagte sie mit heiserer, ver rgerter Stimme: "Bonjour."
"BONJOUR", erwiderte Alex. Sie stellte sich vor, erkl rte, dass sie vom Mus e National du Moyen Age, dem Cluny in Paris, komme und einen Termin mit der Mutter Oberin habe.
"ELLE est malade", gab die alte Frau knapp zur Antwort. Nichts deutete darauf hin, dass die Nonne Alex hereinbitten w rde. Es war deutlich zu verstehen gewesen, dass sie nicht mit der Mutter Oberin sprechen konnte, da diese krank sei.
ALEX klappte ihre Aktentasche auf und zog den ersten Brief von Mutter Alv re heraus. Sie reichte der Nonne den Brief durch das kleine Fenster. W hrend die Frau las, die Augenlider vor Anstrengung zu schmalen Schlitzen zusammengepresst, erkl rte Alex, sie w rde die Nacht in Lyon verbringen, und das sei hin und zur ck jeweils eine Fahrt von ber zwei Stunden. Ob sie nicht hineinkommen und einen kurzen Blick auf die angebotenen Kunstsch tze werfen k nne?
DIE alte Nonne erwiderte nichts, w hrend ihre Augen langsam ber die Seite wanderten. Ihre d nnen Lippen waren verkniffen. Einmal schaute sie zu Alex hoch, dann richtete sie den Blick wieder auf den Brief, als enthielte er einen geheimen Kode oder eine verborgene Bedeutung, die es zu entschl sseln galt.
"MADAME Demy?", fragte die Frau.
"MADAME Pellier", korrigierte Alex. Vielleicht w re es ja besser gewesen, ihr gleich den zweiten Brief zu zeigen, der an Alexandra Pellier gerichtet war.
SIE zog auch dieses Schreiben aus der Aktentasche. Die alte Frau nahm den zweiten Brief entgegen, ohne den ersten zur ckzugeben. Noch immer zeigten ihre Mundwinkel nach unten.
ALEX stand da und wartete. Sie sp rte, wie ihr vor rger langsam die Hitze ins Gesicht stieg, w hrend die alte Klosterfrau den zweiten Brief genauso sorgf ltig las wie den ersten.
SCHLIE LICH reichte die Nonne Alex die Briefe, schaute sie einen Moment lang an, sagte dann leise: "Madame Pellier" und winkte ihr mit einer gichtigen Hand.DIE T r ffnete sich, Alex trat ein und folgte der buckligen kleinen Gestalt, die sich berraschend schnell bewegte, durch ein Vestib l und einen dunklen Gang entlang.
ALS sie zur ckkehrt, steht ein Mann neben der Bank. Er hat die Zeichnung in die Hand genommen und schaut sie sich mit gro em Interesse an.
SIE wei , dass er der Teppichwirker ist. An diesem Morgen ist er zusammen mit einem lteren Mann eingetroffen. Ob die Besprechungen mit ihrem Vater wohl beendet sind?
PL TZLICH f hlt sie sich sehr k hn. "Ihr seid der tapissier aus Br ssel?"
SIE hat ihn berrascht, denn er f hrt erschrocken herum. "Ja, der bin ich."
"BITTE", sagt sie und streckt die Hand nach der Zeichnung aus. Er gibt das Bild zur ck, und ein paar Momente lang stehen sie schweigend da.
"IHR seid eine K nstlerin von erstaunlicher Begabung", sagt der Mann. Sie l chelt, erwidert aber nichts, obwohl sie sehen kann, wie beeindruckt er ist.
"DIE Frau auf dem Bild", f hrt er fort, "ist sie ein Wesen aus Eurer Vorstellungskraft?"
"ES ist meine lteste Schwester Claude."
"EURE Schwester ist sehr sch n."
"JA."
"UND sie musiziert?"
"MEIN Vater hat ihr musikalisches Talent gef rdert, damit sie dereinst einen jungen Ritter, einen Edelmann oder vielleicht sogar einen F rsten mit ihrem Spiel unterhalten und f r sich gewinnen kann. Unsere Familie ist von bescheidener Herkunft. Kaufleute, Tuchh ndler aus Lyon."
DER Teppichwirker nickt, als h tte er diese Geschichte schon vernommen, doch es scheint ihn auch zu berraschen, dass Ad le ber solch private Belange mit ihm spricht. Ist es nicht wohlbekannt, dass die Familie Le Viste in Lyon gro en Reichtum und Besitz erlangt hat, dass sie ihre gute Stellung in Paris ausgebaut und durch g nstige Heirat noch verbessert hat? Und wei nicht fast jeder, dass Jean Le Viste zwar ein schneller Aufstieg in der Verwaltung und sogar bis in die Dienste des K nigs gelungen ist, ihm jedoch der Status eines Edelmannes und ein k niglicher Titel, die er so sehr begehrte, versagt blieben? Denn ihr Vater, denkt Ad le, ist letztlich ebenso wenig ein Edelmann oder Ritter wie ein einfacher tapissier aus Br ssel. Dennoch wei sie, dass ihr Vater die Innigkeit, mit der die beiden miteinander plaudern, nicht guthei en w rde.
"WIRD denn mein Vater", fragt sie, "einen K nstler aus Paris kommen lassen, damit er das Bild f r den Wandteppich entwirft?"
"DAS ist sein Wunsch, ja. Es gibt zahlreiche ausgezeichnete Maler in Paris."
SIE zupft ein Ma liebchen aus ihrem Strau und schnuppert einen Moment lang daran, um es dann genau zu betrachten. "Aber gibt es nicht in Br ssel die besten Werkst tten, die besten Teppichwirker?"
"JA", antwortet er. "Die besten tapissiers gibt es in Br ssel."
"WURDE denn schon ein Motiv gew hlt?"
"DAR BER wurde viel gesprochen, ja. Euer Vater ist ein Mann, der es gew hnt ist, in gro en Zusammenh ngen zu denken. Er m chte den Leistungen der Familie Rechnung tragen und seine Ernennung zum Pr sidenten des Finanzgerichtshofes feiern, doch auch der Jahrestag seiner Verm hlung mit Eurer Mutter soll gew rdigt werden."
"POLITIK", sagt sie und sch ttelt langsam den Kopf, w hrend sie die Blumen, die sie gepfl ckt hat, ringsum auf dem Boden verstreut. Sie nimmt Platz, zieht unter der Bank ein gro es Buch hervor und legt es sich als Unterlage f r das Pergament, auf dem sie zeichnet, auf den Scho . Dann beginnt sie die Bl ten abzuzeichnen und f gt sie in den Hintergrund des Bildes, zwischen die Tiere, ein. "Und wie viele Teppiche wird mein Vater in Auftrag geben?", fragt sie. "M chte er alle W nde des Schlosses damit bedecken? Oder wird es nur ein einziges chambre?"
"ES war von sieben Wandbildern die Rede."
"SIEBEN ist eine gute Zahl." Sie wirft ihr langes Haar in den Nacken, von dem ihr eine Str hne ber die Wange gefallen ist.
DER tapissier sieht ihr dabei zu, wie sie den Bildhintergrund mit Blumen ausf llt. "Mille-fleurs", sagt er, und sie l chelt, denn sie wei , dass dieser Malstil bei der Gestaltung von Wandteppichen zur Zeit sehr beliebt ist. Als sie fertig ist, beugt sie sich hinab, zieht eine h lzerne Schachtel unter der Bank hervor und nimmt ein weiches Tuch heraus. Damit wischt sie die Tinte von der Spitze ihrer Zeichenfeder. Als sie die Feder, das Tintenfass und das Tuch zur ck in die Schachtel legt, fragt der tapissier: "Darf ich?" Er hat das Gebetbuch zu ihren F en und die anderen Zeichnungen bemerkt, die sie zwischen die Seiten geschoben hat.
"IHR d rft." Sie hebt das Gebetbuch hoch, reicht es ihm. Und dann fegt sie, mit einer schamlosen Geste, die sie beide berrascht, die Blumen auf den Boden und fordert ihn auf, neben ihr Platz zu nehmen. Er z gert einen Moment und setzt sich.
ES sind vier weitere Zeichnungen, insgesamt also f nf, und jede von ihnen zeigt eine Frau auf einem Garten-Eiland mit einem Einhorn und einem L wen. Er betrachtet die Bilder mit gro em Interesse.
SCHLIE LICH h lt er die Zeichnung einer Frau hoch, die sich einen Kranz aus Bl ten flicht.
"MEINE Schwester Jeanne", sagt sie.
"AUCH Eure Schwester Jeanne ist sehr sch n."
"JA."
ER betrachtet das Bild, auf dem ein Jagdvogel auf der behandschuhten Hand der jungen Frau sitzt.
"MEINE Schwester Genevi ve", sagt sie. "Und ja, auch sie ist sehr sch n. Und eine ausgezeichnete J gerin noch dazu."
ER sieht die Zeichnung an, auf der eine Frau einen Spiegel in der Hand h lt; darin ist das Bild eines Einhorns zu sehen, das sich auf ihrem Scho zusammengerollt hat. Der L we zur Rechten der Frau h lt ein Banner, das mit dem Wappen der Familie Le Viste geschm ckt ist.
"MEINE Mutter", sagt das M dchen.
"IN ihren Augen ist gro e Traurigkeit", erwidert der tapissier nachdenklich.
"O JA, aber gibt es denn anderes als Traurigkeit im Leben einer Frau, die keine S hne zur Welt bringt?"
"EINER Frau, die vier T chtern das Leben geschenkt hat?", sagt er mit einem L cheln. "Vier sch nen T chtern." Und selbst in diesem Moment sp rt sie noch, wie sie l chelt, wie W rme in ihr aufsteigt, und dann ... einen gro en Schmerz, w hrend das Bild langsam verblasst.
SIE ist wieder in ihrer winzigen Zelle, der trockene Geruch nach Stein ist an die Stelle der Gartend fte getreten. Die Kr mpfe haben wieder eingesetzt, dieses Mal st rker, heftiger. Und doch, denkt sie, ist es noch nicht an der Zeit. Noch einmal beschw rt sie die Erinnerung herauf, jenes letzte Bild, das der Teppichwirker so sorgsam betrachtet.
DIE Frau auf diesem Bild besitzt nicht die zarte Anmut der anderen; ihr Gesicht ist hager und von Kummer gezeichnet. Sie steht aufrecht und h lt eine Lanze in ihrer rechten Hand. Mit der Linken ber hrt sie z rtlich das Horn des Einhorns, das, aus der N he betrachtet, mehr einer Ziege hnelt als den eleganten Wesen auf den anderen Bildern. Die kleinen Tiere im Hintergrund tragen Halsb nder oder sind angekettet.
"UND die junge Frau auf dieser Zeichnung hier?", fragt er, und seine Augen wandern von dem Pergament zu Ad les Gesicht. Er zieht die Brauen hoch und kneift die Augen zusammen, zeigt Verwirrung, als h tte er zwar erkannt, dass sie sich selbst abgebildet hat, k nnte aber keine hnlichkeit entdecken. Vielleicht fragt er sich, warum sie ausgerechnet dieses Motiv gew hlt hat, um sich selbst darzustellen.
UND dann wieder der Schmerz. Sie sp rt, wie das Wasser ihr die Beine hinabl uft, wie ihr Laken feucht wird. Es riecht nach Blut. Sie ruft den Namen der jungen Nonne, die aufwacht. "Jetzt", fl stert Ad le.
DIE alte Nonne ist rasch bei ihr. Nun kommen die Wehen in k rzeren Abst nden, und sie sind heftiger. Ad le sieht das Entsetzen in den Augen der jungen Nonne. Und das Blut, tiefrot. Dann schreit Ad le auf.
SIE sieht die Wandteppiche, wie sie aus der Werkstatt in Br ssel geliefert werden. Es sind bereits sechs an der Zahl, und ihr ungeduldiger Vater kann es kaum erwarten, die Serie in Vollendung zu sehen. Auch Ad le hat den siebten noch nicht zu Gesicht bekommen.
SIE kann die Bilder nicht l nger in sich am Leben erhalten. Der Schmerz hat sie jetzt fest im Griff und ist so stark, dass ihr ganzer K rper und ihre ganze Seele gefordert sind.
SOWOHL die alte Frau als auch die junge Nonne bleiben bei ihr, obwohl schon bald die morgendlichen Gebete aus der Kapelle her berdringen, und auch am Mittag und Abend weichen sie ihr nicht von der Seite. Ad le sieht die Ersch pfung in den Augen der alten Frau. Nur wenige Zoll von ihrem Gesicht entfernt bewegen sich die Lippen der Klosterfrau in stillem Gebet, doch in Ad le ist nur ein einziges Flehen: dass sie die Kraft haben wird, dieses unschuldige Kind zur Welt zu bringen. Der Schmerz setzt ihr so sehr zu, dass sie nicht mehr richtig beten kann. Die Worte kommen ihr einfach nicht in den Sinn. Wieder ist es Nacht geworden, und das einzige Licht ist das Flackern der Kerzen in der Zelle. Ad le versp rt den Drang zu pressen, mit aller Kraft, die sie noch hat.
"NOCH nicht, meine Tochter", sagt die alte Frau, und selbst das klingt aus ihrem Mund wie ein Gebet. Sie benetzt Ad les Gesicht mit einem feuchten Tuch, massiert ihr die Beine, die Arme, den Leib mit warmem l und spricht dabei mit leiser, steter Stimme auf sie ein. Sie h lt einen Becher an ihre Lippen. Es ist Wein mit Kr utern, die den Schmerz stillen sollen.
SCHLIE LICH ruft die Frau gebieterisch: "Jetzt, Ad le, jetzt pressen." Es sind andere Frauen im Zimmer, die ihre Arme und Beine festhalten und sie hochziehen, als w re dieses Kind eine reife Frucht, die jeden Moment zur Erde herabfallen wird. "Pressen", fl stert die alte Nonne, und Ad le tut es, wieder und wieder, bis die Frau ruft: "Deo gratias, Deo gratias!"
MIT einer Kraft, die aus dem tiefsten Inneren ihres Leibes zu kommen scheint, schaut Ad le auf das Kind hinab. Der Knabe ist so winzig, doch als er einen herzhaften Schrei von sich gibt, macht ihr Herz einen Satz, und sie fl stert ein Dankgebet.
DIE alte Nonne badet ihn. Das Licht des fr hen Morgens, das in die Zelle str mt, f llt auf Blut. Es ist berall - auf dem Kind, den Bettlaken, dem Binsenteppich, der auf dem Boden liegt, an Ad les Beinen, auf ihren F en. Die Frau h llt ihn in eine warme Decke, und als sie ihn der jungen Nonne reicht, die ihn aus dem Zimmer tr gt, schreit Ad le noch einmal auf.
"RUH dich aus, meine Tochter, ruh dich aus", sagt die alte Nonne, und Ad le schlie t die Augen. Wieder erblickt sie das Purpurrot. Zuerst ist es Blut, aber dann ... sieht sie, wie erfreut ihr Vater ist, als er den ersten Blick auf die Wandteppiche wirft, auf die dicken Str nge in Rot, in Blau, in Gold. Dann seine Entdeckung, seine Wut. Doch jetzt ist das alles nicht mehr da. Sie sp rt keinen Zorn und auch keinen Schmerz mehr. Nur eine friedliche Ruhe ist in ihr, und noch einmal wandelt sie durch einen Garten.
DAS Kloster Sainte Blandine, ein zweigeschossiges Geb ude aus grobem Stein, wirkte verlassen. Unkraut und wilde Str ucher wuchsen auf beiden Seiten eines schmalen, unbefestigten Weges, der bis ans Eingangstor reichte, und erstreckten sich zu einem kleinen Garten mit unbeschnittenen Obstb umen. Reihen von verwitterten Spalieren lagen, berwuchert von Weinreben, neben ausrangierten Holzkisten auf der anderen Seite des Pfades. Die Nordseite des Geb udes war mit Efeu bewachsen, der sich bis an den Ziegelschornstein hinaufgewunden hatte; dieser war offensichtlich eine neuere Errungenschaft, weil er nicht zum Baustil des brigen Geb udes passte. Mehrere Ziegelsteine hatten sich gel st und lagen in einem Haufen am Boden. Auch die Luft, die bis auf eine leichte Brise, die durch die B ume strich, ganz still war, gab keinen Hinweis darauf, ob das Geb ude in letzter Zeit bewohnt oder auch nur von Menschen betreten worden war.
ALEX Pellier stand am Wegrand und studierte noch einmal die Karte. Sie war den Anweisungen genau gefolgt: von Lyon aus nach S den, an dem Dorf Vienne vorbei. Die Autobahnstrecke von Lyon her war exakt beschrieben gewesen, einschlie lich der Abzweigungen und der unwegsamen oder holprigen Abschnitte auf Schotterpisten und Feldwegen. Die Karte selbst war zusammen mit dem Brief der Mutter Oberin gekommen.
BERRASCHT von der scheinbaren Verlassenheit sowohl des Geb udes als auch des Grundst cks, ging Alex auf das gro e Holztor zu. Sie klopfte und wartete. Keine Reaktion. Sie klopfte noch einmal.
GANZ bestimmt w rde jemand kommen; sie hatte einen Termin.
DER Brief der Mutter Oberin, in einer etwas unsicheren, aber doch anmutigen Handschrift mit einem altmodischen F llfederhalter verfasst, war an das Cluny geschickt worden, adressiert an Madame Demy, die Direktorin des Museums. Die Sprache des Briefes war ebenso geziert und verschn rkelt wie die Schrift selbst: "Wundersch ne bestickte Altarleinen mit wertvollen Einfassungen aus feinster handgekl ppelter Spitze, kostbare Wandteppiche bester Qualit t aus den Gr nderjahren des Klosters im dreizehnten Jahrhundert, eine weitr umige Bibliothek, best ckt mit zahlreichen mittelalterlichen Handschriften von gr tem Wert." Laut der Ehrw rdigen Mutter Alv re w nsche das Kloster, sich vor seinem Umzug nach Lyon seiner weltlichen Besitzt mer zu entledigen. Alle Objekte seien am letzten Maiwochenende zu besichtigen.
ALEX klopfte noch einmal, aber niemand kam zur T r. Hatten sich die Nonnen bereits nach Lyon begeben, um dort in einem kl sterlichen Pflegeheim ihren Lebensabend zu verbringen? Es war erst zwei Tage her, dass Alex einen zweiten Brief von der Mutter Oberin erhalten hatte, eine Antwort auf Alex' Bitte um einen Besuchstermin. Darin hatte sie f r heute ein Treffen um f nf Uhr vorgeschlagen. Mittlerweile war es zehn nach f nf.
SIE klopfte wieder. War sie den ganzen Weg von Paris hierher umsonst gefahren?
SIE wartete noch ein paar Minuten, ging dann um das Geb ude herum und dr ckte das Gesicht an ein Fenster, das von innen mit Brettern vernagelt war, um zwischen den Ritzen der Balken hindurchzuschauen. Au er einem schwachen silbrigen Lichtschein auf einer dunklen Wand war nichts zu erkennen.
SIE kehrte zum Haupteingang zur ck und klopfte noch einmal, jetzt etwas energischer. Immer noch nichts. Gerade wollte sie es noch einmal an der T r versuchen, als in deren oberer H lfte ein Fensterchen aufging. Das Gesicht einer alten Frau tauchte auf, klein und verhutzelt, eingerahmt von einer steifen wei en Haube und einem Brusttuch.
EIN paar Momente lang schaute die Frau sie nur an, dann sagte sie mit heiserer, ver rgerter Stimme: "Bonjour."
"BONJOUR", erwiderte Alex. Sie stellte sich vor, erkl rte, dass sie vom Mus e National du Moyen Age, dem Cluny in Paris, komme und einen Termin mit der Mutter Oberin habe.
"ELLE est malade", gab die alte Frau knapp zur Antwort. Nichts deutete darauf hin, dass die Nonne Alex hereinbitten w rde. Es war deutlich zu verstehen gewesen, dass sie nicht mit der Mutter Oberin sprechen konnte, da diese krank sei.
ALEX klappte ihre Aktentasche auf und zog den ersten Brief von Mutter Alv re heraus. Sie reichte der Nonne den Brief durch das kleine Fenster. W hrend die Frau las, die Augenlider vor Anstrengung zu schmalen Schlitzen zusammengepresst, erkl rte Alex, sie w rde die Nacht in Lyon verbringen, und das sei hin und zur ck jeweils eine Fahrt von ber zwei Stunden. Ob sie nicht hineinkommen und einen kurzen Blick auf die angebotenen Kunstsch tze werfen k nne?
DIE alte Nonne erwiderte nichts, w hrend ihre Augen langsam ber die Seite wanderten. Ihre d nnen Lippen waren verkniffen. Einmal schaute sie zu Alex hoch, dann richtete sie den Blick wieder auf den Brief, als enthielte er einen geheimen Kode oder eine verborgene Bedeutung, die es zu entschl sseln galt.
"MADAME Demy?", fragte die Frau.
"MADAME Pellier", korrigierte Alex. Vielleicht w re es ja besser gewesen, ihr gleich den zweiten Brief zu zeigen, der an Alexandra Pellier gerichtet war.
SIE zog auch dieses Schreiben aus der Aktentasche. Die alte Frau nahm den zweiten Brief entgegen, ohne den ersten zur ckzugeben. Noch immer zeigten ihre Mundwinkel nach unten.
ALEX stand da und wartete. Sie sp rte, wie ihr vor rger langsam die Hitze ins Gesicht stieg, w hrend die alte Klosterfrau den zweiten Brief genauso sorgf ltig las wie den ersten.
SCHLIE LICH reichte die Nonne Alex die Briefe, schaute sie einen Moment lang an, sagte dann leise: "Madame Pellier" und winkte ihr mit einer gichtigen Hand.DIE T r ffnete sich, Alex trat ein und folgte der buckligen kleinen Gestalt, die sich berraschend schnell bewegte, durch ein Vestib l und einen dunklen Gang entlang.
... weniger
Autoren-Porträt von Kelly Jones
Kelly Jones studierte englische Literatur und Kunstgeschichte in Washington und Florenz. Die Mutter von drei Kindern ist mit dem ehemaligen Justizminister von Idaho verheiratet. Sie gab ihre Arbeit im dortigen Finanzministerium auf, um sich ganz dem Schreiben widmen zu können.Judith Schwaab, geb. 1960 in Grünstadt, studierte Italienischen Philologie. Sie ist Lektorin und Übersetzerin von u.a. Debra Dean, Fernanda Eberstadt, Anthony Doerr.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kelly Jones
- 2005, 1, 445 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Judith Schwaab
- Verlag: Page & Turner
- ISBN-10: 3442202957
- ISBN-13: 9783442202959
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