Das Versprechen der Wölfe
Die Wolfs-Chroniken
Das große mythische Abenteuer von Mensch und Wolf!
"Lass dich niemals mit den Menschen ein. Töte niemals einen Menschen - grundlos. Jeder Wolfsmischling muss getötet werden." Das ist das, woran die Wölfe...
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Produktinformationen zu „Das Versprechen der Wölfe “
Das große mythische Abenteuer von Mensch und Wolf!
"Lass dich niemals mit den Menschen ein. Töte niemals einen Menschen - grundlos. Jeder Wolfsmischling muss getötet werden." Das ist das, woran die Wölfe des Großen Tals glauben. Doch dann entlarvt eine junge Wölfin die Lüge, die sich hinter diesen Grundsätzen verbirgt.
Lese-Probe zu „Das Versprechen der Wölfe “
Das Versprechen der Wölfe von Dorothy Hearth PrologVor 40 000 Jahren
Es wurde kalt. Es wurde so kalt, sagt die Legende, dass sich die Hasen monatelang unter die Erde verkrochen, die Elche sich an das Leben in Höhlen gewöhnten und die Vögel vom Himmel fielen, weil ihre Flügel mitten im Flug zu Eis gefroren. Es wurde so kalt, dass die Luft vor den Schnauzen der jagenden Wölfe des Großen Tales zu Kristallen erstarrte. Jeder Atemzug versengte ihre Lungen und selbst ihr dichtes Unterfell konnte sie nicht schützen. Wölfe sind für den Winter gemacht, doch dies war ein Winter, der selbst für die Wölfe zu weit ging. Die Sonne hatte sich von dieser Seite der Erde und dem Mond abgewandt. Früher war sie ein lebendiges Leuchtfeuer gewesen, jetzt war sie zu schwarzer Dämmerung verkühlt.
Der Rabenkönig sagte, dies sei der Winter, der das Ende der Welt brächte. Dass er drei volle Jahre dauern würde und dass er gekommen sei, um diejenigen zu strafen, die den Willen der Ahnen missachtet hatten. Alles was Lydda wusste, war, dass sie hungrig war und dass ihr Rudel nicht jagen konnte.
... mehr
Lydda zog es fort von ihrer Familie, sie scherte sich nicht einmal darum, ob sie irgendeine Fährte einer Maus oder eines Hasen entlang des Weges erschnüffeln konnte. Tachiim, der Leitwolf, hatte dem Rudel verkündet, die Jagd sei ein für alle Mal zu Ende, dass die Elche im Großen Tal zu selten seien und das Rudel zu schwach, um die wenigen, die noch übrig waren, zu fangen. Jetzt warteten sie nur noch ergeben darauf, dass die frostige Kälte des Todes die Kälte in der Luft ersetzte. Lydda würde nicht warten. Sie hatte ihre Rudelgefährten verlassen, und vor allem die Welpen, deren Knochen so deutlich sichtbar unter ihrem Fell hervortraten und aus deren Augen der Hunger blickte. Es war die Pflicht eines jeden Wolfs im Rudel — selbst eines Jungwolfs wie Lydda —, die Jungen zu ernähren, und wenn Lydda das nicht konnte, war sie es nicht wert, Wolf genannt zu werden.
Selbst die leichtere äußere Schicht ihres Felles schien schwer auf Lydda zu lasten, während sie sich durch die tiefen Schneewehen kämpfte. Sie wusste jetzt, dass der lange Winter, länger als je ein Wolf ihn kennengelernt hatte, niemals enden würde. Raben flogen über ihrem Kopf, und sie sehnte sich nach Flügeln, die sie zur Jagd auf die Ebene hätten tragen können. Lydda hielt Ausschau nach dem größten und stärksten Elch, den sie finden konnte, und sie würde ihn herausfordern und bis zum Tod bekämpfen. So schwach wie sie war, würde das ihren Tod bedeuten, das wusste sie. Lydda erreichte den Kamm des schneebedeckten Hügels von dem aus man die Jagdebene überblicken konnte und ließ sich schwer atmend auf ihren Bauch fallen. Unvermittelt erhob sie sich wieder, ihr hellbraunes Fell sträubte sich. Sie roch einen Menschen, und sie wusste, dass sie sich fernhalten musste, denn ein uraltes Gesetz verbot es Wölfen und Menschen, sich einander zu nähern. Ihr Herz schlug schnell, sie begann sich rückwärts zu bewegen. Doch dann musste sie über sich selbst lachen. Was hatte sie schon zu befürchten? Sie suchte den Tod. Vielleicht würde der Mensch ihr den Weg dorthin zeigen.
Sie war enttäuscht, als sie den Menschen fand, weinend, mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt. Er war wie sie gerade eben erwachsen. Er sah so wenig furchterregend aus wie ein Fuchswelpe. Er war dünn und hungrig wie der Rest der Lebewesen im Tal, und der lange todbringende Stab, den er, wie alle seine Leute, bei sich trug, lag harmlos an seiner Seite. Der Mensch blickte auf, als sie sich näherte, und Lydda erkannte zuerst Furcht, dann Ergebenheit und schließlich Willkommen in seinen Augen.
»Kommst du mich holen, Wolf?«, fragte er. »Dann nimm mich. Ich kann meinen hungrigen Schwestern und Brüdern keine Nahrung mehr bringen, denn ich bin zu schwach, um den fliehenden Elch zu jagen. Ich kann nicht schon wieder mit leeren Händen zu meiner Familie zurückkehren. Nimm mich.«
Die Augen des Menschen waren von einem dunklen Braun, und Lydda sah, wie sich in ihnen ihre eigene Verzweiflung spiegelte. Er wollte genau wie sie die Jungen seines Volkes füttern. Die Wärme seines Körpers zog sie an, und sie merkte, wie sie langsam Schritt für Schritt zu ihm ging. Er warf seinen spitzen Stecken weit von sich und öffnete seine Arme, gestattete ihr einen Sprung, der für ihn den Tod bedeuten konnte. Lydda hatte nie lange einen Menschen betrachtet. Sie war davor gewarnt worden.
»Jeder Wolf, der sich mit den Menschen einlässt, wird vom Rudel verstoßen«, hatte Tachiim erklärt, als sie und ihre Wurfgefährten noch Welpen waren. »Sie sind uns ebenbürtig in der Jagd, und sie sehen uns als Beute. Ihr werdet euch mit einer Kraft zu ihnen hingezogen fühlen, die ebenso stark ist wie der Drang zur Jagd. Haltet euch fern, oder ihr seid nicht länger Wölfe.«
Lydda blickte auf den jungen Menschen und fühlte die Anziehung, die Tachiim erwähnt hatte, genauso wie sie die Anziehung eines der jungen Welpen im Rudel gefühlt hätte oder die eines Wolfes, mit dem sie sich hätte paaren können. Verwirrung ergriff sie und beutelte sie wie ein gerade gefangenes Kaninchen. Ihr Verstand ermahnte sie, davonzulaufen oder vielleicht das Fleisch des Menschen zu reißen. Ihr war, als würde das Herz ihre Brust verlassen, um zu ihm zu kommen. Sie stellte sich vor, wie es wäre, an seiner Seite zu liegen, um die Kälte aus ihren Knochen zu vertreiben. Sie schüttelte sich und trat zurück, doch sie konnte seinen Augen nicht entkommen. Ein kalter Windstoß erfasste sie von hinten und schob sie einen Schritt näher an den Jungen heran. Er hatte seine Arme gesenkt, doch nun hob er sie wieder zögernd.
Sie lief in seine geöffneten Arme und streckte ihren Körper über seine Beine, ruhte mit ihrem behaarten Kopf auf seiner Brust. Der Junge trug mehrere Schichten von erbeutetem Fell, um die Kälte von seinem kaum behaarten Körper fernzuhalten, dennoch konnte sie die von ihm ausgehende Wärme spüren. Nach einem Augenblick der Überraschung schlossen sich seine Arme um sie. Sie konnte ihren Blick nicht von seinem Gesicht wenden.
Tausend Herzschläge lang lagen sie beieinander, das Herz des Wolfes verlangsamte sich, um den Herzschlag des Jungen aufzunehmen, und das des Jungen beschleunigte, um den Puls des Wolfes zu finden. Lydda fühlte, wie die Kraft in ihr zunahm, und der Menschenjunge musste es auch gefühlt haben, denn sie erhoben sich gleichzeitig und wandten sich den Jagdgefilden zu.
Zusammen überquerten sie die Ebene in Richtung der Beute und wählten wortlos einen Bock aus der Herde. Der Elch schüttelte nervös seinen Kopf, als sie näher kamen und ließ sie seine Verletzlichkeit erkennen. Wie ein Sonnenstrahl schoss Lydda hinter den Elch, verflogen war die Müdigkeit in ihren Läufen. Sie jagte den Elch und jagte ihn weiter, machte ihn verwirrt und erschöpft. Dann, mit plötzlich zunehmender Geschwindigkeit, trieb sie ihn in die Richtung des wartenden Menschenjungen. Der spitze Stecken des Jungen flog, drang tief in die Brust des Elches ein, und als das Tier stürzte, riss ihm Lydda das Leben aus dem Leib.
Während Lydda, schwindelig von dem Geruch und Geschmack der lang entbehrten Nahrung, am Fleisch des Elches zerrte, stieß etwas Schweres sie beiseite. Der Junge hatte sich herangedrängt, um seinen Anteil zu holen. Knurrend verteidigte sie ihren Platz, und beide zogen sie nun an dem Kadaver. Bevor sie zu voll war, um sich noch bewegen zu können, erinnerte Lydda sich an ihre Pflichten, und sie begann, an einer Keule des Viehs für ihre hungrige Familie zu zerren. Als sie die Keule schließlich gelöst hatte, war es dem Menschen ebenfalls gelungen, mit einem scharfen Stein die andere Keule abzutrennen: Jetzt arbeitete er weiter an der Beute. Sie nahm das schwere Bein in ihr Maul, froh, nicht allzu weit entfernt von zu Hause zu sein. Gestärkt durch das frische Fleisch in ihrem Magen, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Rudel.
Sie war so beschäftigt mit ihrem vollen Bauch und dem Geschmack des guten, frischen Fleisches, dass sie den Menschen für einen Augenblick ganz vergessen hatte. Doch sie drehte sich um, als sie den Waldrand erreichte und sah nach ihm. Er hielt ebenfalls inne, das schwere Bein des Elches über seine Schultern gelegt und eine Elchrippe in der Hand. Er hob seinen anderen Arm zum Gruß. Sie ließ ihre Keule fallen und neigte den Kopf zum Zeichen des Erkennens.
Ihre Rudelgefährten rochen das gute Fleisch, schon bevor sie die geschützte Lichtung erreichte. Als Lydda näher kam, blickten die erwachsenen Wölfe ungläubig auf das Fleisch, das sie trug. Vorsichtig legte sie es nieder.
Es war wenig Fleisch für so viele Wölfe, doch es war Fleisch, und das bedeutete Hoffnung. Es war schon länger als drei Wochen her, dass das Rudel eine richtige Mahlzeit zu fressen bekommen hatte. Sobald die Wölfe begriffen hatten, dass dieses Fleisch tatsächlich vor ihnen lag und nicht etwa ein Todestraum sie narrte, umringten sie Lydda und vergaßen ihre Schwäche über der frohen Begrüßung. Lydda trat zur Seite, verbeugte sich vor Tachiim und bot ihm das Fleisch an. Er berührte sie zärtlich mit seiner Nase und bedeutete dem Rudel, das Fleisch zu teilen. Zusammen mit den anderen Wölfen, die noch stark genug waren zu laufen, machte er sich auf den Weg, um der Fährte zu folgen, die zu Lyddas Fang führte.
Lydda wandte sich den Welpen zu, die beim Geruch des frischen Fleisches zu wimmern begonnen hatten. Sie beugte ihren Kopf zu ihnen hinunter, und als einer von ihnen sie schwach an ihrer Schnauze stupste, würgte sie ihr Fleisch für die Welpen heraus. Obwohl ihr ausgehungerter Körper nach der Nahrung verlangte, die sie für die Welpen hergab, war es die Freude wert, ihnen beim Fressen zuzusehen. Die Welpen des Großen Tales würden nicht länger hungern.
Lydda sprang Tachiim und den anderen nach, um aufzuteilen, was noch von der Beute übrig war. Sie war so überwältigt vom Erfolg ihrer Jagd, so erleichtert in ihrer Sorge um das Rudel, so verwirrt von ihrer Begegnung mit dem Menschenjungen, dass sie den neuen, langsam stärker werdenden Hauch von Wärme in der Luft nicht spürte. Er war so leicht, dass man ihn ohne weiteres für einen Traum hätte halten können.
Lydda und ihr Menschenjunge ruhten gegen einen Felsen gelehnt, nicht weit von der Stelle, an der sie einander das erste Mal getroffen hatten. Der schmelzende Schnee hatte einen Flecken der warmen Erde entblößt. Einen ganzen vollen Mondlauf lang hatten die Wölfe aus Lyddas Rudel gemeinsam mit den Menschen gejagt. Einen ganzen Mondlauf lang hatten sie das Fleisch mit den Menschen geteilt, mit ihren Jungen gespielt und waren mit ihnen im Licht der Morgen-und Abenddämmerung umhergestreift. Lydda verbrachte jeden möglichen Augenblick mit ihrem Menschen, denn sie fühlte, als habe sie in ihm etwas gefunden, von dem sie nicht gewusst hatte, dass es ihr verlorengegangen war.
Sie saßen zusammen an ihren Felsen gelehnt, Lydda schlang ihren Körper um die starken Beine des Jungen, und er ließ seine Finger in ihr Fell gleiten. Die Sonne schien auf sie, und die Erde ließ Grashalme wachsen, um sie zu grüßen.
Der Mond wartete eifersüchtig darauf, sie sehen zu können. Und der Himmel — der Himmel spannte sich schützend um sie.
Denn die Ahnen hatten gewartet. Gewartet und gehofft. Sie hatten das Ende aller Geschöpfe nicht gewollt. 1
Vor 14 000 Jahren
Wenn sich das Blut der Wölfe des Großen Tales mit dem Blut der Wölfe außerhalb des Tales mischt, wird der Weissagung nach der Wolf, der dieses Blut in sich trägt, für immer zwischen zwei Welten stehen. Laut dieser Legende wird ein solcher Wolf nicht nur seinem ganzen Rudel Verderben bringen, sondern allen anderen Wölfen ebenso. Das ist der wahre Grund, aus dem Ruuqo im dämmrigen Licht eines frühen Morgens, vier Wochen nachdem wir geboren waren, kam, um meinen Bruder, meine Schwestern und mich zu töten.
Wölfe hassen es, Welpen zu töten. Es ist unnatürlich und ekelhaft, und die meisten Wölfe würden eher ihre eigenen Pfoten abnagen, als einem Welpen wehzutun. Doch meine Mutter hätte uns niemals säugen dürfen. Sie gehörte nicht zu den älteren Wölfen und hatte daher kein Recht, Junge zu haben. Aber das wäre noch verzeihlich gewesen.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild gmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2008 by Dorothy Hearst
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am main
Übersetzung:»Ane Dahm«
Selbst die leichtere äußere Schicht ihres Felles schien schwer auf Lydda zu lasten, während sie sich durch die tiefen Schneewehen kämpfte. Sie wusste jetzt, dass der lange Winter, länger als je ein Wolf ihn kennengelernt hatte, niemals enden würde. Raben flogen über ihrem Kopf, und sie sehnte sich nach Flügeln, die sie zur Jagd auf die Ebene hätten tragen können. Lydda hielt Ausschau nach dem größten und stärksten Elch, den sie finden konnte, und sie würde ihn herausfordern und bis zum Tod bekämpfen. So schwach wie sie war, würde das ihren Tod bedeuten, das wusste sie. Lydda erreichte den Kamm des schneebedeckten Hügels von dem aus man die Jagdebene überblicken konnte und ließ sich schwer atmend auf ihren Bauch fallen. Unvermittelt erhob sie sich wieder, ihr hellbraunes Fell sträubte sich. Sie roch einen Menschen, und sie wusste, dass sie sich fernhalten musste, denn ein uraltes Gesetz verbot es Wölfen und Menschen, sich einander zu nähern. Ihr Herz schlug schnell, sie begann sich rückwärts zu bewegen. Doch dann musste sie über sich selbst lachen. Was hatte sie schon zu befürchten? Sie suchte den Tod. Vielleicht würde der Mensch ihr den Weg dorthin zeigen.
Sie war enttäuscht, als sie den Menschen fand, weinend, mit dem Rücken gegen einen Felsen gelehnt. Er war wie sie gerade eben erwachsen. Er sah so wenig furchterregend aus wie ein Fuchswelpe. Er war dünn und hungrig wie der Rest der Lebewesen im Tal, und der lange todbringende Stab, den er, wie alle seine Leute, bei sich trug, lag harmlos an seiner Seite. Der Mensch blickte auf, als sie sich näherte, und Lydda erkannte zuerst Furcht, dann Ergebenheit und schließlich Willkommen in seinen Augen.
»Kommst du mich holen, Wolf?«, fragte er. »Dann nimm mich. Ich kann meinen hungrigen Schwestern und Brüdern keine Nahrung mehr bringen, denn ich bin zu schwach, um den fliehenden Elch zu jagen. Ich kann nicht schon wieder mit leeren Händen zu meiner Familie zurückkehren. Nimm mich.«
Die Augen des Menschen waren von einem dunklen Braun, und Lydda sah, wie sich in ihnen ihre eigene Verzweiflung spiegelte. Er wollte genau wie sie die Jungen seines Volkes füttern. Die Wärme seines Körpers zog sie an, und sie merkte, wie sie langsam Schritt für Schritt zu ihm ging. Er warf seinen spitzen Stecken weit von sich und öffnete seine Arme, gestattete ihr einen Sprung, der für ihn den Tod bedeuten konnte. Lydda hatte nie lange einen Menschen betrachtet. Sie war davor gewarnt worden.
»Jeder Wolf, der sich mit den Menschen einlässt, wird vom Rudel verstoßen«, hatte Tachiim erklärt, als sie und ihre Wurfgefährten noch Welpen waren. »Sie sind uns ebenbürtig in der Jagd, und sie sehen uns als Beute. Ihr werdet euch mit einer Kraft zu ihnen hingezogen fühlen, die ebenso stark ist wie der Drang zur Jagd. Haltet euch fern, oder ihr seid nicht länger Wölfe.«
Lydda blickte auf den jungen Menschen und fühlte die Anziehung, die Tachiim erwähnt hatte, genauso wie sie die Anziehung eines der jungen Welpen im Rudel gefühlt hätte oder die eines Wolfes, mit dem sie sich hätte paaren können. Verwirrung ergriff sie und beutelte sie wie ein gerade gefangenes Kaninchen. Ihr Verstand ermahnte sie, davonzulaufen oder vielleicht das Fleisch des Menschen zu reißen. Ihr war, als würde das Herz ihre Brust verlassen, um zu ihm zu kommen. Sie stellte sich vor, wie es wäre, an seiner Seite zu liegen, um die Kälte aus ihren Knochen zu vertreiben. Sie schüttelte sich und trat zurück, doch sie konnte seinen Augen nicht entkommen. Ein kalter Windstoß erfasste sie von hinten und schob sie einen Schritt näher an den Jungen heran. Er hatte seine Arme gesenkt, doch nun hob er sie wieder zögernd.
Sie lief in seine geöffneten Arme und streckte ihren Körper über seine Beine, ruhte mit ihrem behaarten Kopf auf seiner Brust. Der Junge trug mehrere Schichten von erbeutetem Fell, um die Kälte von seinem kaum behaarten Körper fernzuhalten, dennoch konnte sie die von ihm ausgehende Wärme spüren. Nach einem Augenblick der Überraschung schlossen sich seine Arme um sie. Sie konnte ihren Blick nicht von seinem Gesicht wenden.
Tausend Herzschläge lang lagen sie beieinander, das Herz des Wolfes verlangsamte sich, um den Herzschlag des Jungen aufzunehmen, und das des Jungen beschleunigte, um den Puls des Wolfes zu finden. Lydda fühlte, wie die Kraft in ihr zunahm, und der Menschenjunge musste es auch gefühlt haben, denn sie erhoben sich gleichzeitig und wandten sich den Jagdgefilden zu.
Zusammen überquerten sie die Ebene in Richtung der Beute und wählten wortlos einen Bock aus der Herde. Der Elch schüttelte nervös seinen Kopf, als sie näher kamen und ließ sie seine Verletzlichkeit erkennen. Wie ein Sonnenstrahl schoss Lydda hinter den Elch, verflogen war die Müdigkeit in ihren Läufen. Sie jagte den Elch und jagte ihn weiter, machte ihn verwirrt und erschöpft. Dann, mit plötzlich zunehmender Geschwindigkeit, trieb sie ihn in die Richtung des wartenden Menschenjungen. Der spitze Stecken des Jungen flog, drang tief in die Brust des Elches ein, und als das Tier stürzte, riss ihm Lydda das Leben aus dem Leib.
Während Lydda, schwindelig von dem Geruch und Geschmack der lang entbehrten Nahrung, am Fleisch des Elches zerrte, stieß etwas Schweres sie beiseite. Der Junge hatte sich herangedrängt, um seinen Anteil zu holen. Knurrend verteidigte sie ihren Platz, und beide zogen sie nun an dem Kadaver. Bevor sie zu voll war, um sich noch bewegen zu können, erinnerte Lydda sich an ihre Pflichten, und sie begann, an einer Keule des Viehs für ihre hungrige Familie zu zerren. Als sie die Keule schließlich gelöst hatte, war es dem Menschen ebenfalls gelungen, mit einem scharfen Stein die andere Keule abzutrennen: Jetzt arbeitete er weiter an der Beute. Sie nahm das schwere Bein in ihr Maul, froh, nicht allzu weit entfernt von zu Hause zu sein. Gestärkt durch das frische Fleisch in ihrem Magen, machte sie sich auf den Weg zu ihrem Rudel.
Sie war so beschäftigt mit ihrem vollen Bauch und dem Geschmack des guten, frischen Fleisches, dass sie den Menschen für einen Augenblick ganz vergessen hatte. Doch sie drehte sich um, als sie den Waldrand erreichte und sah nach ihm. Er hielt ebenfalls inne, das schwere Bein des Elches über seine Schultern gelegt und eine Elchrippe in der Hand. Er hob seinen anderen Arm zum Gruß. Sie ließ ihre Keule fallen und neigte den Kopf zum Zeichen des Erkennens.
Ihre Rudelgefährten rochen das gute Fleisch, schon bevor sie die geschützte Lichtung erreichte. Als Lydda näher kam, blickten die erwachsenen Wölfe ungläubig auf das Fleisch, das sie trug. Vorsichtig legte sie es nieder.
Es war wenig Fleisch für so viele Wölfe, doch es war Fleisch, und das bedeutete Hoffnung. Es war schon länger als drei Wochen her, dass das Rudel eine richtige Mahlzeit zu fressen bekommen hatte. Sobald die Wölfe begriffen hatten, dass dieses Fleisch tatsächlich vor ihnen lag und nicht etwa ein Todestraum sie narrte, umringten sie Lydda und vergaßen ihre Schwäche über der frohen Begrüßung. Lydda trat zur Seite, verbeugte sich vor Tachiim und bot ihm das Fleisch an. Er berührte sie zärtlich mit seiner Nase und bedeutete dem Rudel, das Fleisch zu teilen. Zusammen mit den anderen Wölfen, die noch stark genug waren zu laufen, machte er sich auf den Weg, um der Fährte zu folgen, die zu Lyddas Fang führte.
Lydda wandte sich den Welpen zu, die beim Geruch des frischen Fleisches zu wimmern begonnen hatten. Sie beugte ihren Kopf zu ihnen hinunter, und als einer von ihnen sie schwach an ihrer Schnauze stupste, würgte sie ihr Fleisch für die Welpen heraus. Obwohl ihr ausgehungerter Körper nach der Nahrung verlangte, die sie für die Welpen hergab, war es die Freude wert, ihnen beim Fressen zuzusehen. Die Welpen des Großen Tales würden nicht länger hungern.
Lydda sprang Tachiim und den anderen nach, um aufzuteilen, was noch von der Beute übrig war. Sie war so überwältigt vom Erfolg ihrer Jagd, so erleichtert in ihrer Sorge um das Rudel, so verwirrt von ihrer Begegnung mit dem Menschenjungen, dass sie den neuen, langsam stärker werdenden Hauch von Wärme in der Luft nicht spürte. Er war so leicht, dass man ihn ohne weiteres für einen Traum hätte halten können.
Lydda und ihr Menschenjunge ruhten gegen einen Felsen gelehnt, nicht weit von der Stelle, an der sie einander das erste Mal getroffen hatten. Der schmelzende Schnee hatte einen Flecken der warmen Erde entblößt. Einen ganzen vollen Mondlauf lang hatten die Wölfe aus Lyddas Rudel gemeinsam mit den Menschen gejagt. Einen ganzen Mondlauf lang hatten sie das Fleisch mit den Menschen geteilt, mit ihren Jungen gespielt und waren mit ihnen im Licht der Morgen-und Abenddämmerung umhergestreift. Lydda verbrachte jeden möglichen Augenblick mit ihrem Menschen, denn sie fühlte, als habe sie in ihm etwas gefunden, von dem sie nicht gewusst hatte, dass es ihr verlorengegangen war.
Sie saßen zusammen an ihren Felsen gelehnt, Lydda schlang ihren Körper um die starken Beine des Jungen, und er ließ seine Finger in ihr Fell gleiten. Die Sonne schien auf sie, und die Erde ließ Grashalme wachsen, um sie zu grüßen.
Der Mond wartete eifersüchtig darauf, sie sehen zu können. Und der Himmel — der Himmel spannte sich schützend um sie.
Denn die Ahnen hatten gewartet. Gewartet und gehofft. Sie hatten das Ende aller Geschöpfe nicht gewollt. 1
Vor 14 000 Jahren
Wenn sich das Blut der Wölfe des Großen Tales mit dem Blut der Wölfe außerhalb des Tales mischt, wird der Weissagung nach der Wolf, der dieses Blut in sich trägt, für immer zwischen zwei Welten stehen. Laut dieser Legende wird ein solcher Wolf nicht nur seinem ganzen Rudel Verderben bringen, sondern allen anderen Wölfen ebenso. Das ist der wahre Grund, aus dem Ruuqo im dämmrigen Licht eines frühen Morgens, vier Wochen nachdem wir geboren waren, kam, um meinen Bruder, meine Schwestern und mich zu töten.
Wölfe hassen es, Welpen zu töten. Es ist unnatürlich und ekelhaft, und die meisten Wölfe würden eher ihre eigenen Pfoten abnagen, als einem Welpen wehzutun. Doch meine Mutter hätte uns niemals säugen dürfen. Sie gehörte nicht zu den älteren Wölfen und hatte daher kein Recht, Junge zu haben. Aber das wäre noch verzeihlich gewesen.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild gmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2008 by Dorothy Hearst
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am main
Übersetzung:»Ane Dahm«
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Bibliographische Angaben
- Autor: Dorothy Hearst
- 442 Seiten, Maße: 13,4 x 19,2 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828994075
- ISBN-13: 9783828994072
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