Der Graf von Monte Christo
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Produktinformationen zu „Der Graf von Monte Christo “
Lese-Probe zu „Der Graf von Monte Christo “
Ein Seemann kehrt heimAm 24. Februar 1815 segelte der Dreimaster Pharao in den Hafen von Marseille. Das Schiff war hier vom Stapel gelaufen, es gehörte einem einheimischen Reeder, und so war es kein Wunder, dass sich bald eine große Menge Neugieriger versammelt hatte. Diese Neugierde wuchs noch, als man feststellte, dass sich die Pharao ihrem Liegeplatz ungewöhnlich langsam näherte. Schon begann die Menge, darüber zu debattieren, ob dem Dreimaster vielleicht ein Unglück zugestoßen war. Doch am Schiff selbst waren keinerlei Beschädigungen zu erkennen. Außerdem wurde es mit großem seemännischem Können geführt. Dieser Widerspruch steigerte noch die Erregung der Menge. Besonders einer der Zuschauer zeigte eine fast hysterische Aufregung. Er wollte offenbar das Anlegen der Pharao nicht tatenlos erwarten. So sprang er in eine Barke und befahl, man möge ihn zum Schiff hinüberrudern.
Drüben an Bord hatte während der ganzen Zeit ein junger Seemann die Segelmanöver überwacht. Er war zwischen achtzehn und zwanzig Jahre alt, groß und schlank, mit dunklen Augen und pechschwarzem Haar. Trotz seiner Jugend drückte seine Persönlichkeit Ruhe und Entschlossenheit aus. Jetzt spähte er gespannt zu der Barke hinüber. Er schien den Besucher zu erkennen, denn er murmelte einen Namen. Als die Barke anlegte, beugte er sich über die Reling.
"Sie führen das Schiff, Dantès?", rief der Mann im Boot. "Was ist passiert, hat es ein Unglück gegeben?"
"Ein sehr großes Unglück, Herr Morrel", erwiderte der junge Mann. "Ein Unglück, das mich auch persönlich sehr getroffen hat. Auf der Höhe von Civitavecchia ist unser guter Kapitän Leclère verstorben ..."
"Was ist mit der Ladung?", unterbrach ihn der Reeder Morrel.
"Damit ist alles in Ordnung. Sie können vollauf zufrieden sein. Doch sollten wir nicht an den armen Kapitän denken?"
"Natürlich, Dantès", antwortete der Reeder. "Wie geschah es denn? Ist der wackere Leclère etwa ertrunken?"
"Nein, Herr Morrel. Der Kapitän starb an
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einer geheimnisvollen Gehirnentzündung. Er litt entsetzliche Schmerzen."
Der junge Mann drehte sich um, rief ein paar Befehle und gleich darauf klatschten die Anker der Pharao ins Wasser. Dann wandte sich Dantès wieder dem Reeder zu und berichtete weiter: "In Neapel führte der Kapitän ein langes Gespräch mit dem Hafenkommandanten. Als wir ausliefen, befand er sich in einem äußerst erregten Zustand. Einen Tag später bekam er hohes Fieber - und weitere drei Tage darauf starb er. Wir haben Kapitän Leclère auf hoher See bestattet. - Es ist eine Schande. Der tapfere Mann hat zehn Jahre Krieg gegen die Engländer geführt, um dann wie ein gewöhnlicher Bürger im Bett zu sterben."
"Wir alle sind sterblich", versetzte der Reeder und schloss damit das Thema ab. "Doch zurück zur Ladung. Es ist wirklich alles in Ordnung, Dantès?"
"Das sagte ich Ihnen bereits, Herr Morrel", erwiderte der junge Seemann. "Wenn Sie an Bord kommen wollen, wird Ihnen Herr Danglars, der Buchhalter, alle nötigen Auskünfte geben. Ich selbst muss mich jetzt um das Schiff kümmern." Damit wandte sich Dantès ab.
Der Reeder kletterte behände über die Reling. Schnell hatte er den Buchhalter Danglars gefunden: einen fünfundzwanzigjährigen Mann mit düsterem Blick, der bei der Mannschaft im Gegensatz zu Dantès keinen guten Ruf genoss. Unterwürfig begrüßte er den Reeder. "Sie wissen bereits von dem Unglück", fuhr er fort. "Schrecklich, nicht wahr?"
"In der Tat, Danglars. Ein großer Verlust für mein Unternehmen. Kapitän Leclère war einer meiner Besten. Er ist in meinen Diensten grau geworden. Doch scheint sich ja bereits ein tüchtiger Nachfolger gefunden zu haben." Damit warf Morrel einen Blick auf den jungen Dantès, der gerade das Bergen der Segel leitete. "Edmond Dantès versteht sein Handwerk."
In Danglars' Augen blitzte es auf wie Hass. "Er ist ein Draufgänger, jung und rücksichtslos. Sofort nach dem Tod des Kapitäns hat er das Kommando an sich gerissen. Und dann vertrödelte er eineinhalb Tage auf Elba, statt sofort nach Marseille zu segeln."
"Das Kommando stand ihm als Leclères Stellvertreter zu", antwortete Morrel. "Doch was hatte er auf Elba zu suchen? War das Schiff beschädigt?"
"Nein. Dantès wollte sich offenbar an Land vergnügen."
"Was?", fragte Morrel erstaunt. Dann sah er sich erneut nach Edmond Dantès um. Er winkte ihm. Der junge Seemann gab das Kommando an den Steuermann weiter und gehorchte. Danglars zog sich ein paar Schritte zurück. "Dantès, was hatten Sie auf Elba zu suchen?", fragte Morrel ohne Umschweife.
Dantès blickte den Reeder offen an und antwortete: "Ich führte den letzten Befehl des toten Kapitäns aus. Auf dem Sterbebett gab er mir ein Paket für den Großmarschall Bertrand, den Vertrauten Napoleons. Ich habe das Paket abgegeben."
"Haben Sie den Kaiser selbst gesehen?", fragte Morrel erregt.
"Sogar mit ihm gesprochen", antwortete Dantès. "Er erkundigte sich nach dem Eigentümer des Schiffes. Als ich ihm Bescheid gab, erzählte er mir, dass Ihr Onkel Policar mit ihm einst im selben Regiment diente."
Morrel lief vor Freude rot an. "Der Kaiser erinnert sich also seiner alten Getreuen!" Er klopfte Dantès auf die Schulter. "Sie haben richtig gehandelt, mein Freund", erklärte er. Und bedeutend leiser fügte er hinzu: "Doch Sie sollten darüber nicht mit jedermann sprechen, Edmond. Es könnte gefährlich werden. Schließlich ist der Kaiser verbannt ..."
Dantès winkte ab. "Wenn Sie an eine Verschwörung denken - ich weiß nicht einmal, was sich in dem Paket befand. Doch entschuldigen Sie mich. Die Zollbeamten kommen an Bord."
"Schon gut, Dantès." Der junge Mann entfernte sich. Danglars trat erneut zu dem Reeder. "Dantès gab die Landung in Elba zu?", fragte er scheinheilig.
"Er führte den letzten Befehl des Kapitäns aus", entgegnete der Reeder kurz. "Sonst noch etwas in dieser Sache?"
"Es geht mich eigentlich nichts an", sagte Danglars zögernd, "aber hat Dantès Ihnen vielleicht einen Brief übergeben?"
"Einen Brief ? Nein." Der Reeder schien verwirrt. "Was für einen Brief ?"
"Ich dachte, der Kapitän hätte ihm neben dem Paket auch einen Brief anvertraut."
"Woher wissen Sie von dem Paket?", fragte Morrel scharf.
Danglars errötete leicht. "Ich sah zufällig, wie er es vom Kapitän erhielt. Die Tür stand offen. Es handelte sich um ein Paket und einen Brief."
"Davon weiß ich nichts", antwortete der Reeder. "Doch wenn Edmond Dantès einen Brief für mich hat, wird er ihn mir geben."
"Bestimmt, Herr Morrel." Schon wollte sich Danglars abwenden. Doch dann sagte er überraschend: "Vielleicht habe ich mich auch getäuscht. Bitte erwähnen Sie die Sache nicht gegenüber Dantès!" Damit verschwand der Buchhalter. Erstaunt blickte Morrel ihm nach.
In diesem Augenblick kehrte Edmond Dantès zurück. "Alles erledigt", meldete er.
"Gut, dann können wir ja gemeinsam zu Mittag essen", schlug der Reeder vor. Als er jedoch das Zögern des jungen Seemanns bemerkte, schlug er sich leicht gegen die Stirn und sagte lächelnd: "Verzeihung, mein Freund. Ich vergaß ganz, dass Ihr erster Weg an Land Sie stets zu Ihrem Vater führt. Und dann wartet ja auch noch die schöne Mercedes auf Sie. Da muss ich natürlich zurückstehen. Sie haben sich eine wunderbare Freundin ausgesucht."
"Eine Braut, Herr Morrel. Mercedes und ich wollen heiraten und ich möchte Sie deswegen um einige Tage Urlaub bitten."
"Sie wollen die Hochzeit so richtig genießen?", scherzte der Reeder.
"Zugegeben", antwortete lachend der junge Seemann.
"Außerdem möchte ich einen kleinen Abstecher nach Paris machen."
Morrel nickte. "Sie haben sich den Urlaub verdient", erklärte er. "Und die Pharao wird ohnedies ein paar Wochen im Hafen liegen. Ach, Edmond, nur eines noch: Hat Ihnen Kapitän Leclère denn keinen Brief für mich gegeben?"
Erstaunt blickte Dantès den Reeder an. "Nein - Leclère hatte hohes Fieber. Er hätte gar nicht schreiben können."
Der Reeder blickte dem jungen Mann in die Augen und nickte. "Gut, Dantès, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Doch dehnen Sie Ihren Urlaub nicht zu lange aus. Denn ohne ihren Kapitän wird die Pharao nicht wieder auslaufen können."
"Soll das heißen, dass ich ..."
"Dass ich Sie bereits als den neuen Kapitän des Schiffes betrachte, ja, mein Freund", bestätigte Morrel. "Ich muss die Sache zwar noch mit meinem Teilhaber besprechen, doch der wird wohl nichts dagegen einzuwenden haben."
"Ich danke Ihnen, Herr Morrel, ich danke Ihnen von Herzen", rief Edmond Dantès gerührt.
"Sie sind ein tüchtiger Mann. Sie haben die Beförderung verdient. Doch nun gehen Sie."
"Soll ich Sie nicht mit an Land nehmen, Herr Morrel?"
Der Reeder winkte ab. "Danke für das Angebot. Aber ich möchte mit Danglars gleich hier die Rechnungsbücher durchgehen. - Wie machte er sich übrigens während der Reise?"
"Wie sich Danglars machte?" Edmond Dantès zögerte etwas, dann antwortete er: "Der beste Kamerad war er gerade nicht. Wir hatten deswegen eine kleine Auseinandersetzung. Doch was seine Buchführung angeht, möchte ich die Hand für ihn ins Feuer legen. Seine Abrechnungen sind tadellos."
"Ich sehe, Sie sind in jeder Beziehung ein aufrechter Mann." Der Reeder lächelte freundlich. "Bis später, Edmond."
"Auf Wiedersehen, Herr Morrel." Nach diesen Worten sprang der junge Seemann ins Boot.
Kurze Zeit später hatte er ein kleines Haus an der Allee de Meilhan erreicht. Die Freude stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er die Treppe bis zum vierten Stock hinaufeilte. Vor einer halb geöffneten Tür blieb er stehen und spähte in den Raum. Drinnen bemühte sich ein weißhaariger Greis, ein paar dürftige Klematisranken rings um das einzige Fenster anzubinden. Die zittrigen Hände bewältigten die Arbeit nur mühsam.
Einen Augenblick stand Dantès noch regungslos da, dann trat er in den Raum. "Vater! Mein lieber Vater, welche Freude, dich wiederzusehen", rief er.
Der Greis fuhr herum. Seine Augen weiteten sich vor Staunen und Freude. Gleich darauf drückte er immer wieder die Hände seines heimgekehrten Sohnes. "Willkommen, willkommen zu Hause, mein Sohn. Du siehst reifer aus. Die Gefahren der See scheinen dich stärker gemacht zu haben. Doch setz dich erst. Und dann musst du mir alles ausführlich erzählen."
Edmond kam dem Wunsch seines Vaters nur zu gern nach. Bald kannte der Alte den Verlauf der Reise und natürlich hatte Edmond auch vom Tod des Kapitäns sowie von seiner eigenen anstehenden Beförderung berichtet. "Ich weiß, man soll sein Glück nicht auf dem Unglück anderer Menschen bauen", schloss Edmond. "Doch ich bin sicher, dass mich Kapitän Leclère dereinst von selbst als seinen Nachfolger vorgeschlagen hätte. Und die hundert Goldstücke Gehalt mehr sollen auch anderen zugutekommen. Zuallererst werde ich dafür sorgen, dass du ein eigenes Häuschen mit Garten bekommst."
Dantès verstummte erschrocken, denn sein Vater war plötzlich kreidebleich geworden und sank nun schwach in seinen Lehnstuhl zurück. Dabei bemühte er sich noch, seinen Sohn zu beruhigen: "Es ist nichts, Edmond ... nur eine kleine Unpässlichkeit. Sie wird gleich vorüber sein."
"Warte, ich bringe dir ein Glas Wein, das wird dich stärken", rief Edmond. "Sage mir nur, wo ich ihn finde."
"Es ist keiner mehr da", ächzte der Alte.
"Wieso? Ich hatte dir doch bei meiner Abreise zweihundert Franken zurückgelassen. Reichte das Geld nicht für deinen Lebensunterhalt aus?", fragte der Sohn ungläubig.
Der alte Dantès hatte sich etwas erholt. "Du hattest die kleine Schuld bei unserem Nachbarn Caderousse vergessen. Nach deiner Abreise forderte er das Geld zurück. Er drohte, zu Herrn Morrel zu gehen, falls ich es ihm nicht geben würde. Nun - ich dachte, das könnte dir schaden, und so gab ich ihm die einhundertvierzig Franken."
"Mein Gott, Vater!", rief Edmond entsetzt. "Dann hast du ja drei Monate lang am Hungertuch genagt. Und ich trage die Schuld. Bitte vergib mir, Vater!"
Der Alte lächelte. "Jetzt bist du zurück, Edmond. Alles ist wieder gut."
"Das stimmt", antwortete Edmond entschlossen. "Jetzt ist alles gut und deine Lebensumstände werden bald noch besser werden." Er entleerte den Inhalt seiner Taschen auf den Tisch. "Wir wollen damit sofort Lebensmittel und Wein besorgen, Vater. Außerdem werde ich dir eine Magd verschaffen. Du sollst nicht länger allein sein, während ich auf See bin. Keine Sorge, Vater! Den kleinen Luxus können wir uns jetzt schon leisten. Ich habe geschmuggelten Kaffee und Tabak im Laderaum versteckt. Gleich morgen hole ich die Sachen. - Aber jetzt genug davon. Ich glaube, es kommt jemand."
Tatsächlich trat gleich darauf ein bärtiger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren in den Raum. Edmonds Augen verengten sich unwillkürlich. Trotzdem begrüßte er den Besucher höflich mit den Worten: "Ah, nett, dass Sie auch einmal bei meinem Vater vorbeischauen, Meister Caderousse. Wie gehen die Geschäfte in Ihrer Schneiderei?"
Der Angesprochene grinste breit. "Kann nicht klagen, Edmond. - Und Sie sind also nicht nur glücklich heimgekehrt, sondern sollen jetzt sogar Kapitän werden." Als Edmond ihn verdutzt anblickte, wurde sein Lächeln noch breiter. "Sie wundern sich, dass ich bereits Bescheid weiß? Nun, das ist schnell geklärt. Mein Freund Danglars sagte es mir. Daraufhin kam ich natürlich sofort her, um Ihnen zu gratulieren."
"Danke", erwiderte Edmond knapp. Der Besuch von Caderousse und die Nennung des Namens Danglars hatten ihn verstimmt.
Der Schneider schien es nicht zu bemerken. "Ja, Edmond, Ihre Freunde freuen sich mit Ihnen. Und da gibt es ja noch jemanden, der über die gute Nachricht jubeln wird. Jemand, der hinter der Festung Saint-Nicolas wohnt."
"Natürlich, Mercedes", warf der Greis ein. "Du sehnst dich sicher nach ihr, Edmond. Und du solltest sie auch nicht länger warten lassen. Geh, begrüße sie. Ich bin ja jetzt versorgt." Er warf einen bezeichnenden Blick auf das Geld.
Edmond stand auf. "Ich werde Mercedes von dir grüßen, Vater. Und jetzt will ich mich beeilen." Er wollte aus dem Raum, doch Caderousse hielt ihn noch zurück. "Sie sollten sich wirklich beeilen, Edmond", sagte er grinsend. "Denn ein schönes Mädchen hat viele Verehrer. Wenn allerdings ein angehender Kapitän auftaucht ..."
"Ach was, Mercedes sieht nicht auf Rang und Titel", unterbrach Edmond den Schneider. "Sie liebt mich - Kapitän hin, Kapitän her. So, jetzt muss ich aber wirklich los. Adieu, Vater! Caderousse!" Der junge Dantès verließ den Raum.
Caderousse plauderte noch eine Weile mit dem Greis, dann ging auch er. Doch nicht zurück an seine Arbeit, sondern zur nächsten Straßenecke, wo seltsamerweise Danglars wartete.
"Na?", fragte der sofort, "Hast du Dantès getroffen?"
Caderousse nickte.
"Wahrscheinlich sonnt er sich bereits in seinem zukünftigen Ruhm als Kapitän, eh?"
"Das scheint mir allerdings der Fall, Freund Danglars."
"Hoffentlich freut er sich nicht zu früh!" Der Neid stand dem Buchhalter deutlich ins Gesicht geschrieben. "Wenn wir nur wollten, dann würde Dantès die Stelle niemals bekommen."
"Wie meinst du das?", fragte Caderousse überrascht.
"Ach, nur so ein Gedanke. Nicht wichtig", lenkte Danglars ab. "Doch sag: Liebt er die schöne Katalanin noch immer?"
"Mehr denn je. Eben jetzt befindet er sich auf dem Weg zu ihr. Allerdings wird er dort eine unangenehme Überraschung erleben, wenn ich mich nicht täusche."
"Das musst du mir genauer erklären, Caderousse."
"Nun, einer ihrer Landsleute scheint sich ebenfalls in sie verliebt zu haben. Jedenfalls begleitet er sie auf Schritt und Tritt."
Danglars grinste. "Wie gern würde ich das Gesicht von Dantès sehen, wenn er von seinem Nebenbuhler erfährt."
"Nichts leichter als das", entgegnete Caderousse, "gehen wir in die Schenke von Pamphile, um dort ein Glas zu trinken. Dantès muss auf dem Rückweg dort vorbeikommen. Dann können wir ihn ja ein wenig aushorchen."
"Eine ausgezeichnete Idee", lobte Danglars. "Komm, wir wollen uns beeilen!"
Die schöne Katalanin
ur unweit von der erwähnten Schenke Pamphiles lag hinter einem felsigen Hügel das Dorf der Katalanen. Zehn oder zwölf geheimnisvolle Schiffe waren eines Tages dort gelandet; die Besatzung schien irgendwo aus Spanien zu stammen. Ihr Anführer, der ein wenig Französisch sprach, hatte die Gemeinde Marseille gebeten, ihnen das unfruchtbare Landstück zu überlassen. Die Bitte wurde gewährt und bald entstand ein kleines Dorf in halb spanischem, halb maurischem Stil. Obwohl seitdem einige Jahrhunderte vergangen waren, hatten die Bewohner ihre Eigenart bewahrt. Nach wie vor behielten sie Sitten und Sprache ihres Mutterlandes bei.
Hier lebte das Mädchen, welches Edmond Dantès liebte. Mercedes war siebzehn Jahre alt, rassig und schlank. Augen und Haare glänzten tiefschwarz.
Im Moment war sie sehr zornig. Denn sie hatte gerade Besuch von einem etwas zwanzigjährigen, großen braun gebrannten Burschen bekommen, der sie in einer Weise bedrängte, die sie nicht mochte.
"Ostern steht vor der Tür, Mercedes", sagte er gerade, "nach unseren alten Bräuchen die beste Zeit, um zu heiraten."
Das Mädchen stampfte unwillig mit dem Fuß auf. "Fernand, ich sagte dir schon hundertmal, dass ich dich als Freund und Vetter mag, dass ich dich aber nicht liebe. Wann wirst du das endlich begreifen?"
"Nie!", stieß Fernand hervor. "Du verstößt gegen das Dorfgesetz, wenn du diesen Dantès heiratest. Er ist kein Katalane."
"Du sprichst von einem alten Brauch, den ich einhalten kann oder nicht", erwiderte Mercedes schroff. "Und wenn bisher kein Mädchen von hier einen Fremden heiratete, dann werde ich das eben ändern."
"Mercedes, ich flehe dich an! Ohne dich kann ich nicht leben. Du bist hart und grausam gegen mich. Und wenn meine Bitten dein Herz nicht erweichen können, wenn du trotz allem diesen Dantès nimmst ..." Fernand knirschte grimmig mit den Zähnen.
Die Augen des Mädchens blitzten. "Aha, dann willst du dich an ihm rächen, wie? - Doch das würde dir nichts nützen. Du könntest dadurch nur meine Freundschaft verlieren, ich würde dich hassen wie die Pest!" Ruhiger fügte Mercedes hinzu: "Versuche doch nicht, gegen das Schicksal anzukämpfen, Fernand!"
Der junge Fischer wollte antworten, doch er kam nicht mehr dazu. Denn die Tür wurde geöffnet, auf der Schwelle stand Edmond Dantès. Fernand verschwand im Hintergrund des Raumes und ließ sich in einen Stuhl fallen. Mercedes beachtete ihn nicht weiter. "Edmond!", rief sie überglücklich - und dann lagen sich die beiden Liebenden in den Armen.
"Meine liebe Mercedes! Wie sehr sehnte ich mich nach dir", flüsterte Edmond. Da bemerkte er plötzlich eine Bewegung, fuhr hoch und blickte in das hassverzerrte Gesicht von Fernand. Die Hand des Katalanen umklammerte den Dolchgriff.
Dantès runzelte die Stirn. "Verzeih, Mercedes, ich wusste nicht, dass wir zu dritt sind. Wer ist dieser Mann?"
Mercedes schmiegte sich an den Geliebten. "Du kannst beruhigt sein, Edmond. Es ist nur Fernand, mein Vetter und Freund. Kennst du ihn denn nicht mehr?"
Edmonds Züge entspannten sich. "Es ist ein wenig düster hier drinnen." Und er streckte Fernand die Hand zur Begrüßung entgegen. Der Katalane jedoch nahm sie nicht. Er starrte Edmond und Mercedes nur wütend an. Edmond begriff in diesem Moment alles. Er wusste, dass Mercedes ihm treu war, und deswegen konnte er sich sehr leicht den Grund für Fernands Wut ausrechnen. "Ich dachte nicht, dass ich in deinem Haus einen Feind antreffen würde, Mercedes", sagte er langsam.
"Einen Feind?", rief Mercedes. "Du täuschst dich, Edmond. Er ist dein Freund!" Und sie warf Fernand einen gebieterischen Blick zu. "Komm her, begrüße Edmond Dantès", forderte sie ihn auf. Der Fischer gehorchte wie unter Zwang. Zögernd reichte er Edmond die Hand. Doch plötzlich begann er, vor Wut zu zittern, riss sich los und rannte nach draußen. Wie ein Rasender stürmte er durch das Dorf.
Mercedes küsste abermals ihren Geliebten, danach bat sie: "Nimm es ihm nicht übel, mein Herz. Er liebt mich - und nun hat er wohl endgültig eingesehen, dass er keine Chance hat. Damit muss er fertig werden."
"Ich kann ihn gut verstehen", antwortete Edmond. "Doch lassen wir uns den Tag nicht verderben. Ich habe gute Nachrichten ..."
Währenddessen hatte Fernand die Weinschänke von Pamphile erreicht. Er wollte vorbeirennen, als er angerufen wurde: "He, Fernand, wohin so eilig?" Der junge Fischer blieb stehen, sah sich um und erkannte Danglars und Caderousse.
"Komm her", rief der Schneider, "setz dich und trink ein Glas mit uns!" Gleich darauf flüsterte er Danglars zu: "Er ist wütend. Offenbar hat ihn Dantès doch bei dem Mädchen ausgestochen."
Fernand hatte sich inzwischen entschieden. Er trat in die Laube und setzte sich. Caderousse schob ihm ein Glas zu und fragte dann mit der Rücksichtslosigkeit des Ungebildeten: "Na, etwa Liebeskummer, Fernand?" - Der junge Katalane antwortete nicht, goss aber seinen Wein auf einmal in die Kehle. Caderousse ließ nicht locker. "Nun gib's schon zu, mein Junge! Dantès hat dich bei der schönen Mercedes ausgestochen."
"Mercedes ist frei. Sie kann heiraten, wen sie will", entgegnete nun der Katalane.
"Ich dachte, ihr Spanier lasst euch niemals von einem Rivalen ausstechen", hetzte der Schneider weiter. "Ja, man sagt sogar, ihr seid furchtbar in eurer Rache."
"Ich muss an das Glück von Mercedes denken", antwortete Fernand leise.
"Armer Junge!", rief Caderousse in gespieltem Mitleid aus. "Deine Liebe ist so groß, dass du bereit bist, auf sie zu verzichten, nur um Mercedes keine Schwierigkeiten zu bereiten." Wie sinnend fuhr er fort: "Es ist schon so: Dieser Dantès hat das Glück gepachtet. Er bekommt Mercedes und wird Kapitän. Wir kleinen Leute dagegen ..." Er legte seine Hand auf Fernands Arm. "Du bist nicht der Einzige, dem Dantès einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Auch unser Freund Danglars könnte sich über ihn beschweren. Doch was nützt es. Trinken wir. Der Wein wird den Kummer schon vertreiben."
Der junge Mann drehte sich um, rief ein paar Befehle und gleich darauf klatschten die Anker der Pharao ins Wasser. Dann wandte sich Dantès wieder dem Reeder zu und berichtete weiter: "In Neapel führte der Kapitän ein langes Gespräch mit dem Hafenkommandanten. Als wir ausliefen, befand er sich in einem äußerst erregten Zustand. Einen Tag später bekam er hohes Fieber - und weitere drei Tage darauf starb er. Wir haben Kapitän Leclère auf hoher See bestattet. - Es ist eine Schande. Der tapfere Mann hat zehn Jahre Krieg gegen die Engländer geführt, um dann wie ein gewöhnlicher Bürger im Bett zu sterben."
"Wir alle sind sterblich", versetzte der Reeder und schloss damit das Thema ab. "Doch zurück zur Ladung. Es ist wirklich alles in Ordnung, Dantès?"
"Das sagte ich Ihnen bereits, Herr Morrel", erwiderte der junge Seemann. "Wenn Sie an Bord kommen wollen, wird Ihnen Herr Danglars, der Buchhalter, alle nötigen Auskünfte geben. Ich selbst muss mich jetzt um das Schiff kümmern." Damit wandte sich Dantès ab.
Der Reeder kletterte behände über die Reling. Schnell hatte er den Buchhalter Danglars gefunden: einen fünfundzwanzigjährigen Mann mit düsterem Blick, der bei der Mannschaft im Gegensatz zu Dantès keinen guten Ruf genoss. Unterwürfig begrüßte er den Reeder. "Sie wissen bereits von dem Unglück", fuhr er fort. "Schrecklich, nicht wahr?"
"In der Tat, Danglars. Ein großer Verlust für mein Unternehmen. Kapitän Leclère war einer meiner Besten. Er ist in meinen Diensten grau geworden. Doch scheint sich ja bereits ein tüchtiger Nachfolger gefunden zu haben." Damit warf Morrel einen Blick auf den jungen Dantès, der gerade das Bergen der Segel leitete. "Edmond Dantès versteht sein Handwerk."
In Danglars' Augen blitzte es auf wie Hass. "Er ist ein Draufgänger, jung und rücksichtslos. Sofort nach dem Tod des Kapitäns hat er das Kommando an sich gerissen. Und dann vertrödelte er eineinhalb Tage auf Elba, statt sofort nach Marseille zu segeln."
"Das Kommando stand ihm als Leclères Stellvertreter zu", antwortete Morrel. "Doch was hatte er auf Elba zu suchen? War das Schiff beschädigt?"
"Nein. Dantès wollte sich offenbar an Land vergnügen."
"Was?", fragte Morrel erstaunt. Dann sah er sich erneut nach Edmond Dantès um. Er winkte ihm. Der junge Seemann gab das Kommando an den Steuermann weiter und gehorchte. Danglars zog sich ein paar Schritte zurück. "Dantès, was hatten Sie auf Elba zu suchen?", fragte Morrel ohne Umschweife.
Dantès blickte den Reeder offen an und antwortete: "Ich führte den letzten Befehl des toten Kapitäns aus. Auf dem Sterbebett gab er mir ein Paket für den Großmarschall Bertrand, den Vertrauten Napoleons. Ich habe das Paket abgegeben."
"Haben Sie den Kaiser selbst gesehen?", fragte Morrel erregt.
"Sogar mit ihm gesprochen", antwortete Dantès. "Er erkundigte sich nach dem Eigentümer des Schiffes. Als ich ihm Bescheid gab, erzählte er mir, dass Ihr Onkel Policar mit ihm einst im selben Regiment diente."
Morrel lief vor Freude rot an. "Der Kaiser erinnert sich also seiner alten Getreuen!" Er klopfte Dantès auf die Schulter. "Sie haben richtig gehandelt, mein Freund", erklärte er. Und bedeutend leiser fügte er hinzu: "Doch Sie sollten darüber nicht mit jedermann sprechen, Edmond. Es könnte gefährlich werden. Schließlich ist der Kaiser verbannt ..."
Dantès winkte ab. "Wenn Sie an eine Verschwörung denken - ich weiß nicht einmal, was sich in dem Paket befand. Doch entschuldigen Sie mich. Die Zollbeamten kommen an Bord."
"Schon gut, Dantès." Der junge Mann entfernte sich. Danglars trat erneut zu dem Reeder. "Dantès gab die Landung in Elba zu?", fragte er scheinheilig.
"Er führte den letzten Befehl des Kapitäns aus", entgegnete der Reeder kurz. "Sonst noch etwas in dieser Sache?"
"Es geht mich eigentlich nichts an", sagte Danglars zögernd, "aber hat Dantès Ihnen vielleicht einen Brief übergeben?"
"Einen Brief ? Nein." Der Reeder schien verwirrt. "Was für einen Brief ?"
"Ich dachte, der Kapitän hätte ihm neben dem Paket auch einen Brief anvertraut."
"Woher wissen Sie von dem Paket?", fragte Morrel scharf.
Danglars errötete leicht. "Ich sah zufällig, wie er es vom Kapitän erhielt. Die Tür stand offen. Es handelte sich um ein Paket und einen Brief."
"Davon weiß ich nichts", antwortete der Reeder. "Doch wenn Edmond Dantès einen Brief für mich hat, wird er ihn mir geben."
"Bestimmt, Herr Morrel." Schon wollte sich Danglars abwenden. Doch dann sagte er überraschend: "Vielleicht habe ich mich auch getäuscht. Bitte erwähnen Sie die Sache nicht gegenüber Dantès!" Damit verschwand der Buchhalter. Erstaunt blickte Morrel ihm nach.
In diesem Augenblick kehrte Edmond Dantès zurück. "Alles erledigt", meldete er.
"Gut, dann können wir ja gemeinsam zu Mittag essen", schlug der Reeder vor. Als er jedoch das Zögern des jungen Seemanns bemerkte, schlug er sich leicht gegen die Stirn und sagte lächelnd: "Verzeihung, mein Freund. Ich vergaß ganz, dass Ihr erster Weg an Land Sie stets zu Ihrem Vater führt. Und dann wartet ja auch noch die schöne Mercedes auf Sie. Da muss ich natürlich zurückstehen. Sie haben sich eine wunderbare Freundin ausgesucht."
"Eine Braut, Herr Morrel. Mercedes und ich wollen heiraten und ich möchte Sie deswegen um einige Tage Urlaub bitten."
"Sie wollen die Hochzeit so richtig genießen?", scherzte der Reeder.
"Zugegeben", antwortete lachend der junge Seemann.
"Außerdem möchte ich einen kleinen Abstecher nach Paris machen."
Morrel nickte. "Sie haben sich den Urlaub verdient", erklärte er. "Und die Pharao wird ohnedies ein paar Wochen im Hafen liegen. Ach, Edmond, nur eines noch: Hat Ihnen Kapitän Leclère denn keinen Brief für mich gegeben?"
Erstaunt blickte Dantès den Reeder an. "Nein - Leclère hatte hohes Fieber. Er hätte gar nicht schreiben können."
Der Reeder blickte dem jungen Mann in die Augen und nickte. "Gut, Dantès, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Doch dehnen Sie Ihren Urlaub nicht zu lange aus. Denn ohne ihren Kapitän wird die Pharao nicht wieder auslaufen können."
"Soll das heißen, dass ich ..."
"Dass ich Sie bereits als den neuen Kapitän des Schiffes betrachte, ja, mein Freund", bestätigte Morrel. "Ich muss die Sache zwar noch mit meinem Teilhaber besprechen, doch der wird wohl nichts dagegen einzuwenden haben."
"Ich danke Ihnen, Herr Morrel, ich danke Ihnen von Herzen", rief Edmond Dantès gerührt.
"Sie sind ein tüchtiger Mann. Sie haben die Beförderung verdient. Doch nun gehen Sie."
"Soll ich Sie nicht mit an Land nehmen, Herr Morrel?"
Der Reeder winkte ab. "Danke für das Angebot. Aber ich möchte mit Danglars gleich hier die Rechnungsbücher durchgehen. - Wie machte er sich übrigens während der Reise?"
"Wie sich Danglars machte?" Edmond Dantès zögerte etwas, dann antwortete er: "Der beste Kamerad war er gerade nicht. Wir hatten deswegen eine kleine Auseinandersetzung. Doch was seine Buchführung angeht, möchte ich die Hand für ihn ins Feuer legen. Seine Abrechnungen sind tadellos."
"Ich sehe, Sie sind in jeder Beziehung ein aufrechter Mann." Der Reeder lächelte freundlich. "Bis später, Edmond."
"Auf Wiedersehen, Herr Morrel." Nach diesen Worten sprang der junge Seemann ins Boot.
Kurze Zeit später hatte er ein kleines Haus an der Allee de Meilhan erreicht. Die Freude stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er die Treppe bis zum vierten Stock hinaufeilte. Vor einer halb geöffneten Tür blieb er stehen und spähte in den Raum. Drinnen bemühte sich ein weißhaariger Greis, ein paar dürftige Klematisranken rings um das einzige Fenster anzubinden. Die zittrigen Hände bewältigten die Arbeit nur mühsam.
Einen Augenblick stand Dantès noch regungslos da, dann trat er in den Raum. "Vater! Mein lieber Vater, welche Freude, dich wiederzusehen", rief er.
Der Greis fuhr herum. Seine Augen weiteten sich vor Staunen und Freude. Gleich darauf drückte er immer wieder die Hände seines heimgekehrten Sohnes. "Willkommen, willkommen zu Hause, mein Sohn. Du siehst reifer aus. Die Gefahren der See scheinen dich stärker gemacht zu haben. Doch setz dich erst. Und dann musst du mir alles ausführlich erzählen."
Edmond kam dem Wunsch seines Vaters nur zu gern nach. Bald kannte der Alte den Verlauf der Reise und natürlich hatte Edmond auch vom Tod des Kapitäns sowie von seiner eigenen anstehenden Beförderung berichtet. "Ich weiß, man soll sein Glück nicht auf dem Unglück anderer Menschen bauen", schloss Edmond. "Doch ich bin sicher, dass mich Kapitän Leclère dereinst von selbst als seinen Nachfolger vorgeschlagen hätte. Und die hundert Goldstücke Gehalt mehr sollen auch anderen zugutekommen. Zuallererst werde ich dafür sorgen, dass du ein eigenes Häuschen mit Garten bekommst."
Dantès verstummte erschrocken, denn sein Vater war plötzlich kreidebleich geworden und sank nun schwach in seinen Lehnstuhl zurück. Dabei bemühte er sich noch, seinen Sohn zu beruhigen: "Es ist nichts, Edmond ... nur eine kleine Unpässlichkeit. Sie wird gleich vorüber sein."
"Warte, ich bringe dir ein Glas Wein, das wird dich stärken", rief Edmond. "Sage mir nur, wo ich ihn finde."
"Es ist keiner mehr da", ächzte der Alte.
"Wieso? Ich hatte dir doch bei meiner Abreise zweihundert Franken zurückgelassen. Reichte das Geld nicht für deinen Lebensunterhalt aus?", fragte der Sohn ungläubig.
Der alte Dantès hatte sich etwas erholt. "Du hattest die kleine Schuld bei unserem Nachbarn Caderousse vergessen. Nach deiner Abreise forderte er das Geld zurück. Er drohte, zu Herrn Morrel zu gehen, falls ich es ihm nicht geben würde. Nun - ich dachte, das könnte dir schaden, und so gab ich ihm die einhundertvierzig Franken."
"Mein Gott, Vater!", rief Edmond entsetzt. "Dann hast du ja drei Monate lang am Hungertuch genagt. Und ich trage die Schuld. Bitte vergib mir, Vater!"
Der Alte lächelte. "Jetzt bist du zurück, Edmond. Alles ist wieder gut."
"Das stimmt", antwortete Edmond entschlossen. "Jetzt ist alles gut und deine Lebensumstände werden bald noch besser werden." Er entleerte den Inhalt seiner Taschen auf den Tisch. "Wir wollen damit sofort Lebensmittel und Wein besorgen, Vater. Außerdem werde ich dir eine Magd verschaffen. Du sollst nicht länger allein sein, während ich auf See bin. Keine Sorge, Vater! Den kleinen Luxus können wir uns jetzt schon leisten. Ich habe geschmuggelten Kaffee und Tabak im Laderaum versteckt. Gleich morgen hole ich die Sachen. - Aber jetzt genug davon. Ich glaube, es kommt jemand."
Tatsächlich trat gleich darauf ein bärtiger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren in den Raum. Edmonds Augen verengten sich unwillkürlich. Trotzdem begrüßte er den Besucher höflich mit den Worten: "Ah, nett, dass Sie auch einmal bei meinem Vater vorbeischauen, Meister Caderousse. Wie gehen die Geschäfte in Ihrer Schneiderei?"
Der Angesprochene grinste breit. "Kann nicht klagen, Edmond. - Und Sie sind also nicht nur glücklich heimgekehrt, sondern sollen jetzt sogar Kapitän werden." Als Edmond ihn verdutzt anblickte, wurde sein Lächeln noch breiter. "Sie wundern sich, dass ich bereits Bescheid weiß? Nun, das ist schnell geklärt. Mein Freund Danglars sagte es mir. Daraufhin kam ich natürlich sofort her, um Ihnen zu gratulieren."
"Danke", erwiderte Edmond knapp. Der Besuch von Caderousse und die Nennung des Namens Danglars hatten ihn verstimmt.
Der Schneider schien es nicht zu bemerken. "Ja, Edmond, Ihre Freunde freuen sich mit Ihnen. Und da gibt es ja noch jemanden, der über die gute Nachricht jubeln wird. Jemand, der hinter der Festung Saint-Nicolas wohnt."
"Natürlich, Mercedes", warf der Greis ein. "Du sehnst dich sicher nach ihr, Edmond. Und du solltest sie auch nicht länger warten lassen. Geh, begrüße sie. Ich bin ja jetzt versorgt." Er warf einen bezeichnenden Blick auf das Geld.
Edmond stand auf. "Ich werde Mercedes von dir grüßen, Vater. Und jetzt will ich mich beeilen." Er wollte aus dem Raum, doch Caderousse hielt ihn noch zurück. "Sie sollten sich wirklich beeilen, Edmond", sagte er grinsend. "Denn ein schönes Mädchen hat viele Verehrer. Wenn allerdings ein angehender Kapitän auftaucht ..."
"Ach was, Mercedes sieht nicht auf Rang und Titel", unterbrach Edmond den Schneider. "Sie liebt mich - Kapitän hin, Kapitän her. So, jetzt muss ich aber wirklich los. Adieu, Vater! Caderousse!" Der junge Dantès verließ den Raum.
Caderousse plauderte noch eine Weile mit dem Greis, dann ging auch er. Doch nicht zurück an seine Arbeit, sondern zur nächsten Straßenecke, wo seltsamerweise Danglars wartete.
"Na?", fragte der sofort, "Hast du Dantès getroffen?"
Caderousse nickte.
"Wahrscheinlich sonnt er sich bereits in seinem zukünftigen Ruhm als Kapitän, eh?"
"Das scheint mir allerdings der Fall, Freund Danglars."
"Hoffentlich freut er sich nicht zu früh!" Der Neid stand dem Buchhalter deutlich ins Gesicht geschrieben. "Wenn wir nur wollten, dann würde Dantès die Stelle niemals bekommen."
"Wie meinst du das?", fragte Caderousse überrascht.
"Ach, nur so ein Gedanke. Nicht wichtig", lenkte Danglars ab. "Doch sag: Liebt er die schöne Katalanin noch immer?"
"Mehr denn je. Eben jetzt befindet er sich auf dem Weg zu ihr. Allerdings wird er dort eine unangenehme Überraschung erleben, wenn ich mich nicht täusche."
"Das musst du mir genauer erklären, Caderousse."
"Nun, einer ihrer Landsleute scheint sich ebenfalls in sie verliebt zu haben. Jedenfalls begleitet er sie auf Schritt und Tritt."
Danglars grinste. "Wie gern würde ich das Gesicht von Dantès sehen, wenn er von seinem Nebenbuhler erfährt."
"Nichts leichter als das", entgegnete Caderousse, "gehen wir in die Schenke von Pamphile, um dort ein Glas zu trinken. Dantès muss auf dem Rückweg dort vorbeikommen. Dann können wir ihn ja ein wenig aushorchen."
"Eine ausgezeichnete Idee", lobte Danglars. "Komm, wir wollen uns beeilen!"
Die schöne Katalanin
ur unweit von der erwähnten Schenke Pamphiles lag hinter einem felsigen Hügel das Dorf der Katalanen. Zehn oder zwölf geheimnisvolle Schiffe waren eines Tages dort gelandet; die Besatzung schien irgendwo aus Spanien zu stammen. Ihr Anführer, der ein wenig Französisch sprach, hatte die Gemeinde Marseille gebeten, ihnen das unfruchtbare Landstück zu überlassen. Die Bitte wurde gewährt und bald entstand ein kleines Dorf in halb spanischem, halb maurischem Stil. Obwohl seitdem einige Jahrhunderte vergangen waren, hatten die Bewohner ihre Eigenart bewahrt. Nach wie vor behielten sie Sitten und Sprache ihres Mutterlandes bei.
Hier lebte das Mädchen, welches Edmond Dantès liebte. Mercedes war siebzehn Jahre alt, rassig und schlank. Augen und Haare glänzten tiefschwarz.
Im Moment war sie sehr zornig. Denn sie hatte gerade Besuch von einem etwas zwanzigjährigen, großen braun gebrannten Burschen bekommen, der sie in einer Weise bedrängte, die sie nicht mochte.
"Ostern steht vor der Tür, Mercedes", sagte er gerade, "nach unseren alten Bräuchen die beste Zeit, um zu heiraten."
Das Mädchen stampfte unwillig mit dem Fuß auf. "Fernand, ich sagte dir schon hundertmal, dass ich dich als Freund und Vetter mag, dass ich dich aber nicht liebe. Wann wirst du das endlich begreifen?"
"Nie!", stieß Fernand hervor. "Du verstößt gegen das Dorfgesetz, wenn du diesen Dantès heiratest. Er ist kein Katalane."
"Du sprichst von einem alten Brauch, den ich einhalten kann oder nicht", erwiderte Mercedes schroff. "Und wenn bisher kein Mädchen von hier einen Fremden heiratete, dann werde ich das eben ändern."
"Mercedes, ich flehe dich an! Ohne dich kann ich nicht leben. Du bist hart und grausam gegen mich. Und wenn meine Bitten dein Herz nicht erweichen können, wenn du trotz allem diesen Dantès nimmst ..." Fernand knirschte grimmig mit den Zähnen.
Die Augen des Mädchens blitzten. "Aha, dann willst du dich an ihm rächen, wie? - Doch das würde dir nichts nützen. Du könntest dadurch nur meine Freundschaft verlieren, ich würde dich hassen wie die Pest!" Ruhiger fügte Mercedes hinzu: "Versuche doch nicht, gegen das Schicksal anzukämpfen, Fernand!"
Der junge Fischer wollte antworten, doch er kam nicht mehr dazu. Denn die Tür wurde geöffnet, auf der Schwelle stand Edmond Dantès. Fernand verschwand im Hintergrund des Raumes und ließ sich in einen Stuhl fallen. Mercedes beachtete ihn nicht weiter. "Edmond!", rief sie überglücklich - und dann lagen sich die beiden Liebenden in den Armen.
"Meine liebe Mercedes! Wie sehr sehnte ich mich nach dir", flüsterte Edmond. Da bemerkte er plötzlich eine Bewegung, fuhr hoch und blickte in das hassverzerrte Gesicht von Fernand. Die Hand des Katalanen umklammerte den Dolchgriff.
Dantès runzelte die Stirn. "Verzeih, Mercedes, ich wusste nicht, dass wir zu dritt sind. Wer ist dieser Mann?"
Mercedes schmiegte sich an den Geliebten. "Du kannst beruhigt sein, Edmond. Es ist nur Fernand, mein Vetter und Freund. Kennst du ihn denn nicht mehr?"
Edmonds Züge entspannten sich. "Es ist ein wenig düster hier drinnen." Und er streckte Fernand die Hand zur Begrüßung entgegen. Der Katalane jedoch nahm sie nicht. Er starrte Edmond und Mercedes nur wütend an. Edmond begriff in diesem Moment alles. Er wusste, dass Mercedes ihm treu war, und deswegen konnte er sich sehr leicht den Grund für Fernands Wut ausrechnen. "Ich dachte nicht, dass ich in deinem Haus einen Feind antreffen würde, Mercedes", sagte er langsam.
"Einen Feind?", rief Mercedes. "Du täuschst dich, Edmond. Er ist dein Freund!" Und sie warf Fernand einen gebieterischen Blick zu. "Komm her, begrüße Edmond Dantès", forderte sie ihn auf. Der Fischer gehorchte wie unter Zwang. Zögernd reichte er Edmond die Hand. Doch plötzlich begann er, vor Wut zu zittern, riss sich los und rannte nach draußen. Wie ein Rasender stürmte er durch das Dorf.
Mercedes küsste abermals ihren Geliebten, danach bat sie: "Nimm es ihm nicht übel, mein Herz. Er liebt mich - und nun hat er wohl endgültig eingesehen, dass er keine Chance hat. Damit muss er fertig werden."
"Ich kann ihn gut verstehen", antwortete Edmond. "Doch lassen wir uns den Tag nicht verderben. Ich habe gute Nachrichten ..."
Währenddessen hatte Fernand die Weinschänke von Pamphile erreicht. Er wollte vorbeirennen, als er angerufen wurde: "He, Fernand, wohin so eilig?" Der junge Fischer blieb stehen, sah sich um und erkannte Danglars und Caderousse.
"Komm her", rief der Schneider, "setz dich und trink ein Glas mit uns!" Gleich darauf flüsterte er Danglars zu: "Er ist wütend. Offenbar hat ihn Dantès doch bei dem Mädchen ausgestochen."
Fernand hatte sich inzwischen entschieden. Er trat in die Laube und setzte sich. Caderousse schob ihm ein Glas zu und fragte dann mit der Rücksichtslosigkeit des Ungebildeten: "Na, etwa Liebeskummer, Fernand?" - Der junge Katalane antwortete nicht, goss aber seinen Wein auf einmal in die Kehle. Caderousse ließ nicht locker. "Nun gib's schon zu, mein Junge! Dantès hat dich bei der schönen Mercedes ausgestochen."
"Mercedes ist frei. Sie kann heiraten, wen sie will", entgegnete nun der Katalane.
"Ich dachte, ihr Spanier lasst euch niemals von einem Rivalen ausstechen", hetzte der Schneider weiter. "Ja, man sagt sogar, ihr seid furchtbar in eurer Rache."
"Ich muss an das Glück von Mercedes denken", antwortete Fernand leise.
"Armer Junge!", rief Caderousse in gespieltem Mitleid aus. "Deine Liebe ist so groß, dass du bereit bist, auf sie zu verzichten, nur um Mercedes keine Schwierigkeiten zu bereiten." Wie sinnend fuhr er fort: "Es ist schon so: Dieser Dantès hat das Glück gepachtet. Er bekommt Mercedes und wird Kapitän. Wir kleinen Leute dagegen ..." Er legte seine Hand auf Fernands Arm. "Du bist nicht der Einzige, dem Dantès einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Auch unser Freund Danglars könnte sich über ihn beschweren. Doch was nützt es. Trinken wir. Der Wein wird den Kummer schon vertreiben."
... weniger
Autoren-Porträt von Alexandre, der Ältere Dumas
Alexandre Dumas der Ältere (1802-70) wächst als Sohn eines napoleonischen Generals in der nordfranzösischen Provinz auf. Früh verwaist und arm, doch von seinen Talenten überzeugt, begibt er sich als Neunzehnjähriger nach Paris, wo er zum Theater will. Sein Kapital: eine schöne Handschrift, ein paar verwilderte Rebhühner und eine schier unerschöpfliche Phantasie. Die Theaterstücke, die er zunächst schreibt, sind heute vergessen. Doch zwanzig Jahre später, 1844, ist er mit 'Der Grafen von Monte Christo' der König des literarischen Feuilletons. Denn Dumas hatte den Nerv des Leserpublikums getroffen. Er bot eine intrigenreiche Handlung, Spannung, Illustion auf einem geschichtlichen Hintergrund, den man in groben Zügen kannte. Er bot historische Wahrheit, phantasievoll aufgefüllt mit Dichtung, und mischte ihr jenen feinen Schuss Ironie bei, der seine Romane bis heute so lesenswert macht.Manfred Böckl, geb. 1948 in Landau/Isar. Zunächst Redakteur einer bayerischen Tageszeitung, seit 1976 freier Schriftsteller. Veröffentlichung zahlreicher historischer Romane und Sachbücher. Der international bekannte Autor ist Experte für keltische Mythologie. Der Autor lebt in Salzberg im Bayerischen Wald.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alexandre, der Ältere Dumas
- Altersempfehlung: 10 - 12 Jahre
- 2006, 1, 205 Seiten, Maße: 14 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Bearbeitung: Böckl, Manfred
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570132528
- ISBN-13: 9783570132524
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