Der Heckenschütze
DerHeckenschütze von Felix Huby
LESEPROBE
Der U-Bahnhof zog sich von der einen nachtschwarzenÖffnung zur anderen lang hin. Mindestens zweihundert Meter, schätzte PeterHeiland. Ein diffuses gelbes Licht erhellte diesen Teil des unterirdischen Röhrensystems.Er war gleich neben der Treppe stehen geblieben, die von der südlichen Seitedes Heidelberger Platzes herunterführte, und wartete auf die letzte Bahndieser Nacht. Bei ihm zu Hause nannte man so einen Zug den Lumpensammler. Derfuhr allerdings schon um 22 Uhr ab Tübingen und war zwanzig Minuten später inMössingen, wo Peter Heilands Fahrrad auf ihn wartete. Als er daran dachte, spürteer einen kleinen Stich in der Herzgegend.
Ganz am anderen Ende stand eine schmale Gestalt, die mitdrei Bällen jonglierte und dazu eine Melodie pfiff, die Peter Heiland noch niegehört hatte, die ihn aber seltsam anzog. Langsam ging er auf die Gestalt zu.Jetzt, da sie sich, immer weiter die Bälle hochwerfend und wieder auffangend,ein wenig zur Seite unter eine Lampe bewegte, erkannte er, dass es ein Schwarzerwar. Auf dem Kopf trug er eine bunte gestrickte Mütze. Die Bälle warenebenfalls bunt. Die Melodie, die der Schwarze pfiff, schien für sein Jonglieren komponiert worden zusein.
Plötzlichwurde sie rüde überschrien. Die hart und rhythmisch gebrüllten Wörter kamen auseinem Ghettoblaster, den ein junger Mann auf der Schulter trug. Mit ihm kamenzwei weitere junge Männer die Treppe herunter. Unwillkürlich schaute PeterHeiland auf die Uhr über dem Aufgang zur Straße. Es war zwanzig Minuten nachMitternacht.
DerSchwarze fing den letzten Ball auf und steckte ihn zu den beiden anderen ineinen formlosen Rucksack, der an einem Riemen über seiner rechten Schulter hing.
Die jungenMänner umringten den Farbigen. Der Ghettoblaster stand jetzt auf einer Bank ausGitterstahl und plärrte weiter durch den U-Bahnhof. Peter Heiland verstandunter der stampfenden dröhnenden Musik nur Wortfetzen. »Nur Dreck« und »Raus,raus aus unserem Land«. Die jungen Männer trugen Jeans und Lederjacken, dazuhohe Schnürstiefel, und sie hatten ihre Köpfe kahl geschoren.
Einer vonihnen trat hinter den Schwarzen. »Du willst doch lieber laufen, Nigger«, sagteer und stieß ihn so heftig in den Rücken, dass der Junge bis zur Bahnsteigkantetorkelte und nur mühsam das Gleichgewicht wieder fand. »Bitte!«, sagte derSchwarze leise. Ein anderer riss ihm den Rucksack von der Schulter und kickteihn - wie ein Fußballtorwart den Ball beim Abschlag - über die Gleise hinwegauf den gegenüberliegenden Bahnsteig.
PeterHeiland ging auf die Gruppe zu. Den Kopf hatte er, wie man es oft bei langenMenschen beobachten kann, ein wenig zwischen die Schultern gezogen. Heilandwar fast zwei Meter groß.
Die drei Kerle schienen jetzt mit dem Schwarzen Ball zuspielen. Sie stießen ihn einander zu, fingen ihn kurz auf, um ihn sofort wiedermit einem heftigen, ruckartigen Stoß einem ihrer Kumpane zuzuwerfen. Siesprachen nicht dabei. Sie lachten nur.
PeterHeiland hörte sich sagen: »Würden Sie das, bitte, unterlassen?« Sie schienenihn nicht wahrzunehmen. Heiland drückte den Stopp-Knopf an dem Ghettoblaster.Die Jungen hielten inne. Es war, als ob man einen Film angehalten hätte. Dannwandten sie sich in einer synchronen Drehung Peter Heiland zu. Der Schwarzeduckte sich in einer katzenhaften Bewegung weg. Peter Heiland sah aus denAugenwinkeln, wie er die Treppe hinaufhastete.
»Was bistdenn du für einer?« Der Anführer des Trios starrte Peter Heiland an. Er musstezu ihm aufschauen, und unwillkürlich reckte sich Heiland und wirkte dadurchnoch ein wenig größer.
»Der hateuch doch nichts getan!«, sagte Heiland.
»Hör ma',schon dass es den gibt, ist 'ne Beleidigung.« (...)
© S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2005
- Autor: Felix Huby
- 2005, 1, 382 Seiten, Maße: 12 x 18,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3502102864
- ISBN-13: 9783502102861
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