Der Judaslohn
Als die Spuren am Tatort nach Eichendorf weisen, wird dies für den Kommissar ein ganz besonderer Fall, denn in diesem kleinen Ort am Rand der Sperrzone hat er seine Kindheit verbracht. Dann wird eine zweite Leiche gefunden, der Tote stammt aus Eichendorf selbst. Die Dorfbevölkerung schweigt. Allmählich beginnt Hennings zu ahnen, dass die Lösung zu diesem Fall weit in die Vergangenheit zurück reichen könnte? Ein ebenso spannender wie poetischer Kriminalroman in der Tradition von Ian Rankin und Peter Robinson. Andree Hesse macht die düstere Schönheit der Heidelandschaft zu einem seiner Hauptakteure und versteht es meisterhaft, seine Leser in einen erzählerischen Strudel aus Schuld und Sühne zu ziehen.
Als die Spuren am Tatort nach Eichendorf weisen, wird dies für den Kommissar ein ganz besonderer Fall, denn in diesem kleinen Ort am Rand der Sperrzone hat er seine Kindheit verbracht. Dann wird eine zweite Leiche gefunden, der Tote stammt aus Eichendorf selbst. Die Dorfbevölkerung schweigt. Allmählich beginnt Hennings zu ahnen, dass die Lösung zu diesem Fall weit in die Vergangenheit zurück reichen könnte? Ein ebenso spannender wie poetischer Kriminalroman in der Tradition von Ian Rankin und Peter Robinson. Andree Hesse macht die düstere Schönheit der Heidelandschaft zu einem seiner Hauptakteure und versteht es meisterhaft, seine Leser in einen erzählerischen Strudel aus Schuld und Sühne zu ziehen.
Der Judaslohn von Andree Hesse
LESEPROBE
Im erstenMoment wußte Arno Hennings nicht, wo er war. Es war totenstill und stockdunkel.Auf dem Nachttisch neben ihm leuchteten die eckigen roten Zahlen derDigitaluhr. Vier Uhr zweiunddreißig. Die Erkenntnis, wo er sich befand, überfielihn, und er spürte ein flaues Gefühl im Magen. Und während er überlegte, warumer aufgewacht war, merkte er, daß er pinkeln mußte. Einen Augenblick blieb ernoch liegen, alles in ihm sträubte sich aufzustehen. Er schloß die Augen, unddie Bilder des Traumes kehrten zurück; der Film in seinem Kopf lief weiter, alshätte er nur einmal für einen kurzen Augenblick den Blick von der Leinwandgewendet. Doch dann wurde der Blasendruck zu stark. Er warf die Decke zurück,stand auf und tastete sich um das Bett herum zur Toilette. An dem niedrigenTürrahmen stieß er sich den Kopf und fluchte. Sich die Stirn reibend, setzte ersich aufs Klo. Sein Harndrang kam ihm endlos vor, gleichzeitig hatte er einenausgetrockneten Mund und einen pelzigen Belag auf der Zunge. Als er endlichfertig gepinkelt hatte, trank er Wasser aus dem Hahn am Waschbecken. Dann ginger vorsichtig zurück ins Bett.
Er kam sich vor wie in einem Hotelzimmer, das Zimmer warihm fremd, die Abmessungen waren ihm unbekannt, und er wußte im Dunkeln nicht,wo die Möbel standen. Die Wege waren ihm noch nicht in Fleisch und Blutübergegangen. Oder besser gesagt, er hatte sie vergessen. Denn er hatte einengroßen Teil seiner Jugend in diesem alten Fachwerkhaus am Stadtrand verbracht.Richtig heimisch hatte er sich in diesem Haus eigentlich nie gefühlt, unddennoch war es, bis er seine Heimatstadt verlassen hatte, einmal sein Zuhause gewesen
Jetzt fielihm auch der Geruch im Haus auf, der nicht sein eigener war. Es roch nicht nurnach Holz und altem Gemäuer, in den niedrigen Zimmern hingen noch Spuren desGeruchs seiner Eltern, der vertraute Geruch eines Waschmittels, desRasierwassers seines Vaters und der Handcreme, die seine Mutter immer benutzthatte. Arno sah seine Mutter vor sich, wie sie nach dem Abwasch aus der Küchekam, ihren goldenen Ehering zwischen die Zähne nahm und sich die trockenen Händeeincremte. Seltsam, dachte er, wie lange sich so ein Geruch hält. Seine Elternwaren nun seit fast einem halben Jahr tot, und obwohl das Haus seitdemunbewohnt gewesen war, roch es immer noch nach ihnen. Unsere Gerüche überdauernuns, dachte er traurig, sie leben länger als wir und schweben noch in der Luft,wenn wir schon längst nicht mehr atmen.
Draußendämmerte es langsam, durch das schmale Fenster drang bläuliches Licht. Dieersten Vögel begannen zu zwitschern, ein anderes Geräusch war aber immer nochnicht zu hören. Diese Stille war er nicht mehr gewöhnt, sie machte ihn nervösund hinderte ihn am Einschlafen. Er schaute auf die Uhr. Die Zeit vergingnicht. Als wollten die roten Leuchtziffern nicht weiter, als verzögerten sieden Augenblick. Erst vier Uhr sechsundvierzig. Keine Zeit, zu der man ins Grübelnkommen sollte. Er starrte die massiven Deckenbalken an und hatte das Gefühl,sie würden jeden Moment über ihm zusammenstürzen und ihn unter sich begraben.Schnell drehte er sich auf die Seite und schloß die Augen. Sofort driftete er wiederin seinen Traum und sah Aglajas trauriges Gesicht vor sich. Ihren fassungslosenBlick an ihrem letzten Abend, als sie gemeinsam bei ihrem Stammitalienergegessen hatten und er erst am Ende gewagt hatte zu sagen, daß er weggehenwürde aus Berlin. Und wie sie später weinte und es ihr unangenehm war und siesagte, daß sie nichts dagegen tun könne, daß die Tränen von ganz allein kämen.
Arnoöffnete die Augen und rieb sich das Gesicht. Er fühlte sich erbärmlich, und wiezur Strafe plagte ihn ein hämmernder Schmerz hinter seiner Stirn. Dabei hatteer gar nicht zuviel getrunken. Und das, obwohl er am Vorabend zum ersten Mal, seiter wieder in Celle war, im Restaurant seines Cousins in der Innenstadtvorbeigeschaut hatte. Als er in das kleine Lokal gekommen war, in dem nur zweiTische besetzt waren, hatte ihn Jutta, die Frau seines Cousins, überschwenglichbegrüßt. Zum letzten Mal hatten sie sich bei der Beerdigung von Arnos Elternvor einem halben Jahr gesehen, und nachdem sie sich gegenseitig nach ihremBefinden erkundigt hatten, war er in die Küche weitergegangen, wo ihn derbekannte Geruch nach Soßen und Bratenfett empfing, von dem er jedesmal sofort Appetitbekam. Sein Cousin Hans, scheinbar noch größer und breiter als vor sechsMonaten und mit seiner mittlerweile etwas schütteren Elvis-Tolle über dempausbäckigen Gesicht, schaute nur kurz von einer Pfanne auf, in der drei dickeKoteletts brutzelten. (...)
© 2005 byRowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
- Autor: Andree Hesse
- 2005, 1, 416 Seiten, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Wunderlich
- ISBN-10: 3805208006
- ISBN-13: 9783805208000
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