Der kleine Wal
Für die Extremschwimmerin Lynne Cox war es eine magische Zeit im Meer. Und eine Reise durch Mutlosigkeit, Zuversicht und Glück hin zu ihrem eigenen, ganz persönlichen Lebenstraum. Eine wahre Geschichte...
Für die Extremschwimmerin Lynne Cox war es eine magische Zeit im Meer. Und eine Reise durch Mutlosigkeit, Zuversicht und Glück hin zu ihrem eigenen, ganz persönlichen Lebenstraum. Eine wahre Geschichte - und ein Buch über die Kraft, die wir finden können, wenn wir mit dem Herzen sehen, träumen und hoffen!
Himmel und Erde sind so tintenschwarz, dass sie verschmelzen, als die 17-jährige Lynne Cox ihr frühmorgendliches Training vor der Küste von Los Angeles aufnimmt. Es wird eine der existenziellsten Erfahrungen im Leben der Schwimmerin.
Denn ohne es zu merken, hat Lynne an diesem Tag einen einzigartigen Begleiter - ein Grauwal-Baby, das auf dem langen Weg in die Arktis seine Mutter verloren hat. Mit Hilfe von Küstenwache und Fischern nimmt Lynne die Suche nach der Mutter auf, ohne die der kleine Wal verloren wäre. Mehrmals durchschwimmt sie mit ihrem ungewöhnlichen Begleiter die Bucht, immer auf der Suche nach einer Stelle, wo Mutter und Kind Kontakt aufnehmen können. Schwierige, zutiefst bewegende Stunden zwischen Zuversicht und Angst, Verzweiflung und purer Glückseligkeit. Und dann der magische Moment, als Walmutter und Baby schließlich wieder vereint sind - bis heute eine Quelle der Kraft und Inspiration fürdie junge Schwimmerin.
Derkleine Wal von Lynne Cox
LESEPROBE
Es ist eineeinschüchternde, aber auch absolut faszinierende Erfahrung, auf dem offenen Meerzu sein, sich zwischen Himmel und Erde zu bewegen und zu wissen, dass manjederzeit dem Unbekannten begegnen kann.
Die Sternewaren untergegangen, Wasser und Himmel tiefschwarz; so schwarz, dass ich meine Händenicht mehr sehen konnte, die vor meinem Gesicht immer wieder vorstießen undmich weiterzogen, so schwarz, dass es keine Trennungmehr zwischen Meer und Himmel gab, dass sie miteinander verschmolzen.
Es warAnfang März, und ich war siebzehn. Seal Beach, von wo ich aufgebrochen war,liegt an der kalifornischen Küste. Ich war zweihundert Meter vom Strandentfernt. Das Wasser war kalt, dreizehn Grad, und so glatt wie schwarzes Eis.Ich schwamm mit regelmäßigen Kraulzügen, etwa sechzig pro Minute, und pflügteeine schmale, silbrige Furche in die unabsehbare Fläche des schwarzen Ozeans. MeinMorgentraining begann gewöhnlich um sechs Uhr, aber an diesem Tag wollte ichfrüher fertig sein, damit ich schnell wieder nach Hause kam, ein paarHausaufgaben erledigen und dann Freundinnen treffen konnte. Wir wollten den Taggemeinsam verbringen. Deshalb hatte ich ausnahmsweise schon um fünf mit demTraining begonnen. Ich spürte die gewaltigen Kräfte der Natur, die still ihrWerk taten, die starken Strömungen unter Wasser, geschaffen von weit entferntenWinden und den großen Wogen des Pazifiks im Zusammenspiel mit Mond und Sonneund der Erdumdrehung. Diese Strömungen umhüllten mich wie lange Fäden ausweichem, schwarzem Lakritz, und ich versuchte, sie durch den Zug meiner Armeimmer wieder zu durchschneiden.
Ich hörtenichts außer dem Geräusch der Wellen, die sich aufbauten und an der Küstebrandeten, dem regelmäßigen Klatschen meiner Hände und meinen eigenen starkenAtemzügen beim Schwimmen. Manchmal kam mir auch das leise Plätschern und Murmelndes silbrigen Wellenschaums um mich herum zu Bewusstsein. Wieder und wiedertauchten meine Arme ins Wasser, und dann spürte ich plötzlich etwas wie einErschauern in der Tiefe.
Es warweder eine Strömung noch eine unvorhergesehene große Welle. Es fühlte sichvöllig anders an.
Es kamnäher. Unter mir bewegte sich das Wasser, wogte, flutete, immer stärker.
Plötzlichkam ich mir winzig klein und verloren vor auf dem tiefen, dunklen, weitenOzean. Dann hörte ich einen Ton. Dieser Ton, so kam es mir vor, stieg direktaus der Tiefsee zu mir auf. Zuerst schien es nur ein Wispern zu sein, dann wurdees lauter, gewann an Umfang und Intensität; es war, als ob jemand versuchte, umHilfe zu schreien, ohne die Worte dafür formen zu können. Ich schwamm weiterund versuchte herauszubekommen, was dort unten geschah.
Der Tonveränderte sich. Er wurde immer sonderbarer. Jetzt klang es wie ein hoher,verzerrter Schrei.
Unwillkürlichverglich ich den Ton mit einer Reihe von Meeresgeräuschen, die ich kannte und einereindeutigen Ursache zuordnen konnte. Aber nein, dieser hier war anders alsalles, was mir vertraut war.
Die Härchenauf meinen Armen stellten sich auf. Was immer es war - es kam näher.
Das Meerlud sich mit einer geheimnisvollen Energie auf. Ungewissheit, aber auchErwartung machte sich in mir breit, ähnlich wie an Land, wenn sich im Sommerein Gewitter zusammenbraut. Das Wasser schien unter Strom zu stehen.
Vielleichtwar meine Empfindung richtig. Vielleicht zeigte die seltsame Beschaffenheit desWassers tatsächlich das Herannahen eines Sturms. Vielleicht übertrug sich dieEnergie weit entfernter Winde und Regenströme durch das Wasser bis hierher. Ichprüfte den Himmel über mir. Mein Blick schweifte bis zur Linie des Horizonts.
Doch es warnichts Besonderes zu sehen. Alles war tiefschwarz, und am Himmel konnte ichkeine Wolke erkennen.
Ich hob denKopf, um die Höhe der Wellen zu prüfen. Die Brandung war nicht höher als sonst,und davor zeigten sich auch keine weißen Schaumkronen, die sonst dasAuffrischen des Windes ankündigten. Keinerlei Unregelmäßigkeiten. KeinAnzeichen eines herannahenden Sturms.
Es warverwirrend. Die Energie, die ich im Wasser spürte, nahm immer mehr zu. Ichhatte das Gefühl, mich in nächster Nähe eines aufgeregt summenden Hummelschwarmszu befinden.
Auf einmalbrach etwas durch die Oberfläche des Meeres. Ganz in meiner Nähe hörte ich einbrodelndes, sprudelndes Geräusch.
Es war wieein auf das Wasser prasselnder Regenschauer. Doch es fiel kein Tropfen vomHimmel.
Es mussteetwas anderes sein.
Etwas ganzanderes.
Aus derDunkelheit schlugen mir irgendwelche Dinge ins Gesicht und prallten von meinenArmen, meinem Kopf ab. Ich fühlte mich, als würde ich durch ein Meer vonHeuschrecken schwimmen, und jedes Mal, wenn mich wieder etwas traf, verhärtetensich meine Muskeln. Angst stieg in mir auf. Mein ganzer Körper kribbelte vorAngst. Ich wollte nur noch umkehren und so schnell wie möglich festen Bodenunter die Füße bekommen. Aber ich sagte mir: Du musst ruhig bleiben. Warte ab!Sieh genau hin! Du musst herausfinden, was hier eigentlich vor sich geht.
Also holteich tief Luft und tauchte, um zu sehen, was im Meer unter mir los war.
Tausendevon glitzernden jungen Sardellen schossen durch das Wasser. Es sah aus, alshätte jemand im Umkreis von einem Kilometer Wunderkerzen angezündet.
In hellerPanik lösten sie sich aus ihrem Schwarm und sprangen aus dem Meer wie Popcorn,das in einer heißen Pfanne geröstet wird. Offenbar versuchten sie, vor etwasGrößerem zu fliehen.
Um michherum sah es aus, als würden Hunderte von winzigen blauen Lämpchen zuckendaufleuchten. Wie bei einem Blitzlichtgewitter.
Als ichwieder auftauchte, um zu atmen, sprang etwas in meinen Mund, glitt über meineZunge und blieb zappelnd zwischen meinen Zähnen hängen. Es war größer als dieWasserspinne, die ich als Kind einmal in einem See in Maine eingeatmet hatte,und auch größer als eine Sardelle.
Ohne zudenken, spuckte ich es aus. Ich sah noch, dass es helle, silberne Flanken hatteund etwa doppelt so lang wie eine junge Sardelle war. Es war ein Ährenfisch.Die Ährenfische jagten die Sardellen, schnappten sie, wenn sie nach ihrenSprüngen wieder ins Wasser eintauchten, und verschluckten sie. Immer mehrÄhrenfische sammelten sich um mich, stießen an meine Oberschenkel und strichen mitihren spitzen Flossen über meine Schultern. Aber ich war ihnen nicht böse. ImGegenteil. Mit einer gewissen Genugtuung stellte ich fest: Die Ährenfische sindalso wieder da. Jedes Jahr kehren sie im Frühjahr und Sommer in die BuchtenKaliforniens zurück. Sie warten im offenen Meer auf den nächsten Voll- oderNeumond, der die Brandung anschwellen lässt, so dass sie zum Strand schwimmen unddort ihre Eier ablegen können. Es ist immer wieder ein Wunder, dass sie jedesJahr zurückkehren und genau zu wissen scheinen, wann und wo sie an den Strandschwimmen müssen, um für die Entwicklung ihrer Nachkommen die besten Bedingungenzu finden.
Eineinzelner männlicher Ährenfisch setzt sich an die Spitze des Schwarms, und wenner alles zu seiner Zufriedenheit vorfindet, folgen ihm Hunderte von Weibchenmit jeweils bis zu acht Männchen an ihrer Seite, die alle zusammen auf dieKüste zuschwimmen. Bei Ebbe wählen sie sich einebesondere Welle aus, die sie weit auf den Strand trägt, so dass die von denWeibchen abgelegten Eier später nicht ins Meer zurückgerissen werden. ( )
© Blanvalet Verlag
Übersetzung:Anne Spielmann
- Autor: Lynne Cox
- 2006, 1, 188 Seiten, Maße: 11 x 18 cm, Gebunden, Deutsch
- Dtsch. v. Anne Spielmann
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3764502339
- ISBN-13: 9783764502331
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