Der Krieg der Goblins
Der Krieg der Goblins von C. Hines
LESEPROBE
Kapitel 1
Sternenlicht glitzerte in silbernem Mörtel, als Tymalous Herbststern seine Finger über die Mauern seines Tempels wandern ließ. Der schwarze Stein fühlte sich warm an und veränderte sich ständig, um die Gebete und Gaben seiner Anhänger aufzuzeichnen.
Jedes Bild und jede Huldigung, die je zu seinen Ehren erschaffen worden waren, befanden sich hier, bewahrt im Fels. Zu seiner Rechten glänzten die Blutgemälde der Kriegerelben Xantocks im Licht, nach Tausenden von Jahren immer noch feucht. Über ihm formten sich die verschlungenen Schnitzereien des Clans der Unterbergzwerge zu langen, gewundenen Gebeten.
Das Bild war zwei Jahrhunderte alt, und das Mädchen war schon vor Langem seiner Oma gefolgt. Herbststerns Stirn legte sich in Falten. Er hatte vergessen, sich um den jungen Hund zu kümmern. Das war ziemlich genau zu der Zeit gewesen, als der Krieg begonnen hatte, also konnte man ihm wahrscheinlich eine Nachlässigkeit oder zwei vergeben, aber es ärgerte ihn dennoch.
Der Tempel erbebte, als hätte jemand den Mond selbst genommen und gegen Herbststerns Dach geschmettert.
Herbststerns Bewegungen waren langsam, fast zerstreut, als er einen schwarzen Schild über seinen Kopf hob. Der zweite Schlag ließ die Decke bröckeln und gab den Blick auf die tiefere Dunkelheit dahinter frei. Mörtel fiel in glitzernden Wolken herab, als sich Risse in den Mauern bildeten. Steine prasselten auf Herbststerns Schild nieder, Jahrhunderte der Verehrung und Anbetung in Schutt verwandelt.
Oben brannte rot der Herbststern und verströmte einen blutigen Schein über die Ruine des Tempels. Als die Heftigkeit des Angriffs nachließ, reichten die Überreste der Mauern nicht mehr höher als bis zu Herbststerns Knien. Er senkte den Schild und fegte mit dem Fuß etwas Schutt auf eine Seite. Er hatte sein Zuhause gern ordentlich.
Das Licht des Herbststerns verschwand, als die drohend aufragende Gestalt eines anderen Gottes die Sicht darauf versperrte. Noc, ein neu ermächtigter Todesgott, bückte sich, umein herabgefallenes Stück Stein anzufassen. Unter seiner Berührung löste sich der Stein in Rauch auf.
»Angeber«, murmelte Herbststern.
Noc trat über die eingefallene Mauer und zog ein Schwert aus weißem Licht.
»Weißt du«, sagte Herbststern langsam, »mein Tempel hatte eine Tür.«
Die Kriegstrommeln der Goblins wären gar nicht so schlimm, stellte Jig fest, wenn die Trommler sich nur an einen einheitlichen Takt halten würden.
Er zwängte sich zwischen eine Kieferngruppe. Schnee fiel von den Ästen herab. Der größte Teil davon rutschte ihm hinten am Umhang herunter; der Rest landete in seinem linken Ohr.
Jig jaulte auf und stocherte mit einer Klaue in seinem Ohr herum, um den ärgsten Schnee herauszupulen.
»Wir sollten leise sein«, sagte hinter ihm Relka.
Mit viel Mühe hielt sich Jig davon ab, sie niederzustechen. Er wischte sich die Naseam Ärmel ab und versuchte, seine Mitgoblin zu ignorieren.
Relka bürstete ihm Schnee vom Rücken. »Magst du den Umhang nicht, den ich dir geschenkt habe? Warum ziehst du die Kapuze nicht über?« Bevor Jig sie warnen konnte, hatte sie die Kapuze ergriffen. Einen Augenblick darauf war sie am Fluchen und steckte ihre angesengten Finger in den Schnee.
»Weil ich Klecks darin transportiere«, antwortete Jig, dessen Ärger so schnell verraucht war, wie er gekommen war. Er grinste, als er nach hinten griff, um seine zahme Feuerspinne zu streicheln. Klecks war immer noch warm, aber unter Jigs Berührung beruhigte er sich.
»Aber der Umhang gefällt dir doch, oder? Ich habe ihn letzten Monat von einem Abenteurer bekommen.« Nervös saugte Relka an ihrer Unterlippe, wobei sie sie zwischen die gekrümmten Fangzähne ihres Unterkiefers zog. Das tat sie häufig, wenn sie in Jigs Nähe war. Deshalb und wegen der bitteren Kälte waren ihre Lippen fast immer rissig und blutig.
Relka war eine der jüngeren Goblins und rackerte sich normalerweise in der Küche bei Golaka, der Küchenchefin, ab. Ihre Fangzähne waren noch klein für eine Goblin und ihr Gesicht meistens verschwitzt und rußverschmiert von den Kochfeuern. Mithilfe eines alten Tunnelkatzenknochens hatte sie eine Decke über ihren Kleidern festgemacht, um sich zu wärmen.
Jig befingerte das Loch in der Vorderseite seines Umhangs. Altes Blut verlieh den ausgefransten Rändern die Farbe von Rost, wo ein Goblin einen Glückstreffer mit seinem Speer gelandet hatte. Doch immerhin hielt der Umhang warm, selbst mit Loch. Lavendel war zwar nicht direkt Jigs Lieblingsfarbe, und er hätte auch ganz gut ohne die aufgestickten Blumen und Kletterpflanzen auskommen können, die sich um die Säume rankten, aber er wollte sich nicht beklagen. Der Umhang war warm, und was noch besser war, das Material war äußerst schwer entflammbar. Auch wenn es leicht nach Blut roch.
»Du hasst ihn, stimmt’s?« Relka sackte in sich zusammen. Selbst ihre großen, spitzen Ohren hingen herab.
»Er ist nicht übel«, gab Jig widerwillig zu. »Ich find die Taschen gut.«
Relka strahlte. Bevor sie etwas sagen konnte, fragte Jig schnell: »Solltest du mich nicht eigentlich zu Grell bringen, statt so viel Aufhebens um einen Umhang zu machen?«
Relka zwängte sich an ihm vorbei, so dicht, dass ihre Halskette sich in Jigs Ärmel verfing. Sie zerrte daran, um sie zu befreien, erreichte damit aber nur, dass sie Jig in den Arm stach.
»Entschuldigung«,murmelte sie, während ihr Gesicht einen helleren Blauton annahm.
Ihre Halskette sollte ihre Hingabe an Jigs Gott, Tymalous Schattenstern, symbolisieren. Rattenknochen waren so zusammengebunden, dass sie einen plumpen Strahlenkranz bildeten. Stücke eines zerbrochenen Küchenmessers formten einen Blitzstrahl, dessen untere Spitze gegenwärtig in Jigs Unterarm steckte.
Relkas Besessenheit von Jig und Schattenstern hatte ihren Anfang genommen, als sie versucht hatte, Jig von hinten niederzustechen. Stattdessen hatte Jig sie durchbohrt und mit einer üblen Bauchwunde zurückgelassen, während er die übrigen Goblins fortführte, um gegen die Kobolde zu kämpfen. Relka war weggekrochen, um sich zu verstecken, und hatte entsetzliche Angst gehabt, Jig würde zurückkommen und sie endgültig fertigmachen.
Was er vielleicht auch getan hätte, wäre da nicht Tymalous Schattensterns seltsame fixe Idee von Gnade und Vergebung gewesen. Außerdem machte Relka auch wirklich gute Schlangeneieromeletts.
Jig presste die Kiefer zusammen und vergrub die Fangzähne in den Wangen, während er darauf wartete, dass Relka ihre Kette losbekam. Was hatte Grell überhaupt draußen zu suchen? In Zeiten eines Kampfes hielt sich ein Goblinhäuptling traditionell im Hintergrund, wo es sicher war. Erst recht, wenn es sich um Feinde wie diese handelte.
Der Angriff hatte an diesem Morgen begonnen, und nach dem, was Jig von den wenigen Goblins gehört hatte, die ins Lager zurückgehumpelt kamen, war das nicht nur einfach eine Gruppe von Abenteurern.
»Grell?« Er versuchte, so laut zu sprechen, dass die alternde Anführerin ihn hören konnte, und gleichzeitig so leise, dass er keine menschliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Was dabei herauskam, konnte am besten als zitterndes Stammeln beschrieben werden.
»Sie hat gesagt, sie würde sich um die Trommler kümmern«, meinte Relka.
Oh. Einen Moment lang hatte Jig Mitleid mit den Goblintrommlern. Wenn sie die Schuld daran trugen, dass Grells Mittagsschläfchen ausgefallen war, dann wäre sie noch schlechter gelaunt als sonst.
Der Bereich unmittelbar vor dem Eingang zu dem Tunnel, der ins Innere des Berges und zur Goblinhöhle führte, war eben und mit kleinen Kiefern bestanden. Wenn man in gerader Linie von der Öffnung wegging, konnte man ungefähr fünfzehn Schritte machen, bevor man einen steilen, mit Steinen übersäten Abhang hinunterstürzte.
Die Trommler hatten vermutlich den linken Pfad genommen, der am Felsrand entlang und hoch zum See führte: Je weiter sie nach oben kletterten, desto mehr Leuten konnten sie mit ihren Trommeln auf die Nerven gehen.
Sie näherten sich dem Fluss, an dessen Ufer die Bäume dichter zusammenstanden. Ihre Äste schienen entschlossen zu sein, Schnee und Nadeln auf Jigs Rücken herabrieseln zu lassen. Festgetrampelter Schnee zeigte an, wo Goblinkrieger vorbeigestürmt waren, auf der Suche nach Menschen zum Bekämpfen. (…)
© Verlagsgruppe Lübbe
Übersetzung: Axel Franken
- Autor: Jim C. Hines
- 2008, 412 Seiten, Maße: 13,3 x 21,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Axel Franken
- Übersetzer: Axel Franken
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404285182
- ISBN-13: 9783404285181
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