Der Sinn des Gebens
Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiter kommen
Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen. Bestsellerautor Stefan Klein zeigt so anschaulich wie fundiert, warum selbstlose Menschen zufriedener, erfolgreicher und gesünder sind.
Leider schon ausverkauft
Buch
4.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Sinn des Gebens “
Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen. Bestsellerautor Stefan Klein zeigt so anschaulich wie fundiert, warum selbstlose Menschen zufriedener, erfolgreicher und gesünder sind.
Klappentext zu „Der Sinn des Gebens “
Selbstlos siegt! Welche Gesetze über Erfolg und Misserfolg in unserem Leben bestimmen.Den Selbstlosen gehört die Zukunft: Das ist die erstaunliche Quintessenz des neuen Buches von Stefan Klein, das unser Denken und Handeln verändern wird. Denn die neueste Forschung lässt die Ehrlichen keineswegs als die Dummen dastehen. Entgegen unserem Alltagsglauben schneiden Egoisten nämlich nur kurzfristig besser ab. Auf längere Sicht haben diejenigen Menschen Erfolg, die sich um das Wohl anderer bemühen.
Denn nicht nur Wettbewerb, sondern auch Kooperation ist eine Triebkraft der Evolution. Ein Sinn für Gut und Böse ist uns angeboren. Stefan Klein zieht einen faszinierenden Querschnitt durch die aktuellen Ergebnisse der Hirnforschung und der Genetik, der Wirtschaftswissenschaften und der Sozialpsychologie. Er zeigt, welche Gesetze über Erfolg und Misserfolg in unserem Leben bestimmen. Und er stellt dar, warum menschliches Miteinander und das Wohlergehen anderer zu unseren tiefsten Bedürfnissen gehören. Für andere zu sorgen schützt uns nicht nur vor Einsamkeit und Depression. Vielmehr macht uns Selbstlosigkeit glücklicher und erfolgreicher und beschert uns nachweislich sogar ein längeres Leben.
Lese-Probe zu „Der Sinn des Gebens “
Der Sinn des Lebens von Stefan KleinEINLEITUNG
Wie gute Freunde, so können uns Texte jahrzehntelang begleiten, sogar faszinieren, ohne dass wir sie wirklich verstehen. Mir ging das so mit den folgenden Zeilen:
An meiner Wand hängt ein japanisches Holzwerk Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack Mitfühlend sehe ich
Die geschwollenen Stirnadern, andeutend Wie anstrengend es ist, böse zu sein.
... mehr
Sie stammen von Bertolt Brecht und stehen unter dem Titel »Die Maske des Bösen«. Ich begegnete dem kurzen Gedicht mit 17 Jahren, als ich wie so viele Heranwachsende sehr böse auf die Welt und voll Sehnsucht nach einer besseren war. Natürlich leuchtete mir der vordergründige Sinn ein; wie viel Kraft es kostet zu hadern, spürte ich ja selbst zur Genüge. Welch eine Energieverschwendung der Zorn sein kann! Schlimmer noch als das unangenehme Gefühl an sich ist, dass es uns von anderen trennt. Wut ist ein Gefängnis. Jede ihrer Zielscheiben ist ein Mensch weniger, mit dem wir gemeinsame Sache machen können.
Aber »böse« bezeichnet nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein moralisches Urteil. Fast sicher hatte Brecht diese Bedeutung gemeint: »Die Maske des Bösen« entstand im September 1942, als der Feldzug der Nazis seinen Höhepunkt erreichte und Hitlers Truppen vom Nordkap bis nach Nordafrika, von der Krim bis zum Atlantik Schrecken verbreiteten. Diese Lesart jedoch irritierte mich zornigen jungen Mann tief: Konnte es sein, dass Menschen, die andere ausnutzen, verletzen, sogar umbringen
und einen Vorteil daraus ziehen, selbst unter ihrem Tun leiden?
Verdienen am Ende gar Himmler und Hitler unser Bedauern?
Viel später begriff ich, dass sich der Gedanke auch umkehren lässt. Wenn wir frei von Bosheit bleiben und uns fair und großzügig zeigen, so tun wir es möglicherweise nicht nur aus Angst vor Strafen und weil es uns die Erziehung so eingebläut hat. Menschlichkeit im Umgang mit anderen könnte uns vielmehr selbst nutzen, weil sie das eigene Wohlbefinden erhöht. Die uralte Frage, ob man sich um andere oder lieber um das eigene Glück kümmern soll, fände dann von selbst ihre Antwort: Um beides - weil es das eine ohne das andere nicht gibt.
Aus dieser Überlegung heraus entstand das vorliegende Buch. Es will allen Ermahnungen zur Anständigkeit widersprechen, übrigens auch den jahrhundertealten Lehren der Philosophie, wonach wir die süße egoistische Neigung bekämpfen müssen, da die bittere moralische Pflicht es verlangt. Wenn eigenes und fremdes Wohlbefinden so eng verknüpft sind, so würde dies zugleich erklären, warum so viele Menschen ihrem privaten Glück hinterherjagen und es trotzdem nicht finden: Vielleicht haben sich diese Glückssucher die falschen Ziele gesetzt.
Dass ein glückliches Leben das Wohl anderer im Blick hat, vermutete der Philosoph Aristoteles schon vor mehr als 2500 Jahren. Aber der griechische Denker konnte seine Spekulation nicht beweisen. Auch darum setzte sich die Vorstellung durch, dass moralisches Handeln nur um den Preis des Verzichts zu bekommen sei. Heute geben empirische Untersuchungen Aristoteles recht: Menschen, die sich für andere einsetzen, sind in aller Regel zufriedener, oft erfolgreicher und sogar gesünder als Zeitgenossen, die nur an ihr eigenes Wohl denken. »Eines weiß ich«, bekannte Albert Schweitzer einmal, »wirklich glücklich werden nur die, die entdeckt haben, wie sie für andere da sein können.« In diesem Sinn setzt dieses Buch mein früheres Werk »Die Glücksformel« fort.
Kommen Altruisten wirklich besser durchs Leben? Dagegen wehrt sich der Alltagsverstand. Wer etwas hergibt, hat hinterher weniger; wer dagegen seine Zeit, seine Kraft oder auch sein Geld für die eigenen Ziele einsetzt, ist auf den ersten Blick im Vorteil. Schon ein Blick auf die Natur scheint nahezulegen, die eigenen Güter zusammenzuhalten: Denn Menschen wie Tiere ringen um knappe Ressourcen. Wer hat, setzt sich durch, wer nicht hat, geht unter.
Mit diesem Buch will ich den Nachweis erbringen, dass und warum sich der Alltagsverstand irrt: Unser Zusammenleben verläuft nach sehr viel komplizierteren Regeln als denen des Dschungels. Die kommenden Seiten werden einige der Gesetze, die über Erfolg und Misserfolg in unserem Leben tatsächlich entscheiden, erklären. Eine zentrale Erkenntnis dabei ist, dass Egoisten nur kurzfristig besser abschneiden, auf lange Sicht aber meist Menschen weiterkommen, die sich auch für das Wohl anderer einsetzen. Weil »meist« natürlich nicht »immer« bedeutet, wird es auch darum gehen, wann die eine, wann die andere Strategie sich besser bewährt.
Wenn erfolgreicher ist, wer sich für seine Mitmenschen einsetzt, würde die Evolution solches Verhalten befördern. Damit steht eine faszinierende Hypothese im Raum: Ist es uns angeboren, für andere zu sorgen? Gibt es Gene für Altruismus?
Dass die Welt von Egoisten nur so wimmelt, spricht nicht dagegen. Denn sicher sind Menschen nicht nur darauf programmiert, selbstlos zu sein. Möglicherweise sind unsere Anlagen, erst auf den eigenen Vorteil zu achten, sogar stärker. Darum fruchten bloße Ermahnungen und Vorsätze, ein besserer Mensch zu sein, so wenig. Interessant ist aber nicht die Frage, ob ein gewisses Maß an Egoismus nun einmal zum menschlichen Wesen gehört. Viel mehr kommt es darauf an, ob wir darüber hinaus noch andere und weniger sattsam bekannte Regungen haben.
Menschen sind so widersprüchlich in ihren Motiven wie kein anderes Geschöpf. Auch sind wir ungewöhnlich frei, gegen unsere Instinkte zu handeln. Die Bandbreite, innerhalb derer wir unsere Talente einsetzen können, ist enorm. Die Evolution hat den Menschen als Läufer konstruiert, weshalb jede gesunde Person nach entsprechendem Training einen Marathon bewältigen kann. Andere legen selbst kurze Wege im Auto zurück, so dass ihre Beinmuskulatur völlig verkümmert. Genauso können wir unsere Anlagen zum Altruismus vernachlässigen - oder sie kultivieren.
Allerdings hat die Natur ein raffiniertes Mittel erfunden, mit dem sie uns dazu bringt, was sie von uns will - sie verführt uns mit guten Gefühlen. Sex ist aufregend und angenehm, denn er dient der Vermehrung. Wirkungsvoller, als vielen lieb ist, sind auch die Lustgefühle beim Essen, damit wir Fettpolster für schwere Zeiten anlegen. Auf ganz ähnliche Weise belohnt uns die Natur für Fairness und Hilfsbereitschaft: Es fühlt sich gut an, großherzig zu sein. Tatsächlich zeigt die Hirnforschung, dass Altruismus im Kopf dieselben Schaltungen aktiviert wie der Genuss einer Tafel Schokolade oder auch Sex.
»Wie traurig es ist, ein Egoist zu sein«, möchte man in Anlehnung an Brecht voll Mitgefühl feststellen - und wie gefährlich. Gar nicht so sehr für die Mitmenschen, denn entwickelte Gesellschaften zumindest halten allzu wilden Egoismus mit Gesetzen und Gerichten im Zaum. Doch wer schützt die Egoisten vor sich selbst? Schwere Depressionen verbreiten sich in Deutschland wie in den meisten Ländern in furchterregendem Tempo. Innerhalb nur eines Jahrzehnts hat sich das Risiko für junge Menschen, krankhaft schwermütig zu werden, mehr als verdreifacht. Und in weiteren zehn Jahren werden Depressionen laut der Weltgesundheitsorganisation bei Frauen die verheerendste Krankheit sein, bei Männern nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch mehr Schaden anrichten. Viele Fachleute erklären diese erschreckenden Zahlen damit, dass Bindungen an die Familie, an Freunde und Kollegen sich aufgelöst haben und dass in der heutigen Gesellschaft vor allem das Individuum zählt. Sicher ist, dass Einsatz für andere der krankhaften Traurigkeit vorbeugen kann.2
Was hindert uns eigentlich daran, zu unserem eigenen Besten mehr für andere zu sorgen? Wer es versucht, stellt fest, wie tief wir dem eigenen Wunsch, großzügig zu sein, misstrauen. Zwar spüren wir oft den Impuls, etwas für andere zu tun, aber dann unterdrücken wir ihn. Denn Altruismus ist fast immer riskanter, als nur auf eigene Rechnung zu handeln.
Da ist zum einen die Angst, uns lächerlich zu machen. Großherzigkeit genießt in unserer Gesellschaft einen seltsamen Ruf: Öffentlich lobt jeder selbstlose Menschen, doch hinter vorgehaltener Hand gedeiht der Zynismus. Bewunderung genießt, wer cool und durchsetzungsstark wirkt. Mitgefühl hingegen gilt als ein Zeichen von Schwäche. Man zweifelt am Verstand derer, die ihre Interessen bisweilen zurückstellen; allzu oft fällt der Begriff des naiven »Gutmenschen«. Dabei sind selbst - und gerade - die größten Spötter im Grund ihres Herzens von der Sehnsucht nach dem Guten erfüllt. Sarkasmus ist schließlich der beste Schutz gegen Enttäuschung.
So sind wir in Sachen Selbstlosigkeit rettungslos ambivalent: Wir wollen daran glauben, können es aber nicht, und wenn wir es könnten, würden wir es nicht zugeben. Nur auf einen Gedanken scheint niemand zu kommen: Dass die Bereitschaft zur Hingabe auf die Stärke eines Menschen hindeuten könnte.
Noch tiefer als die Furcht vor Spott sitzt die Angst, ausgenutzt zu werden. Sie plagt uns völlig zu Recht. Denn solange Menschen ihren eigenen Vorteil anstreben, werden Einzelne von der Gutwilligkeit der anderen profitieren wollen. Dies war die Tragödie jeder von Idealisten angezettelten Revolution.
So erzählt dieses Buch von Geben und Nehmen, von Vertrauen und Verrat, von Mitgefühl und Rücksichtslosigkeit, von Liebe und Hass. Aber die Frage wird nicht sein, ob Menschen gut oder böse sind. Darüber haben einige der größten Philosophen lange genug gerätselt. Was hierzu geschrieben wurde, erinnert manchmal an eine Diskussion darüber, ob Kino an sich lustig oder beunruhigend ist: Natürlich hängt es vom Film ab, der gerade läuft. Auch geht es nicht darum, wie wir uns verhalten sollen. Überzeugende Entwürfe einer Moralphilosophie gibt es mehr als genug. Die Frage ist allerdings, warum wir ihnen so selten folgen.
Vielmehr versuche ich zu klären, unter welchen Umständen Menschen fair und großzügig sind - und wann skrupellos und egoistisch. Dabei gilt es, zwei Fragen zu unterscheiden: Erstens, wie ist Uneigennützigkeit überhaupt möglich? Zweitens, was bewegt uns dazu, etwas für andere zu tun? Und warum sind manche Menschen so viel hilfsbereiter als andere?
Im ersten Teil dieses Buches steht die übersichtlichste, aber keineswegs einfachste Form des Zusammenlebens im Vordergrund: Ich und du. Untersucht wird die Neigung zu teilen, aber auch zu betrügen. Denn kooperatives Handeln lohnt sich zwar, den anderen zu prellen jedoch zumindest kurzfristig noch mehr. Wenn aber auf Dauer meist doch besser fährt, wer großzügig ist, anderen gute Absichten unterstellt und ihnen verzeiht: Wie entscheiden wir dann, wann wir vertrauen und wann wir uns besser zurückziehen sollten? Die Vernunft ist damit oft überfordert. Ihr zur Hilfe kommt ein Hirnsystem der Empathie, das ganz anders funktioniert als das gewohnte strategische Denken. Wenn wir andere Menschen in Freude oder Schmerz erleben, spiegeln wir ihre Gefühle in unserem eigenen Kopf wider. Als löste sich die Grenze zwischen »dir« und »mir« auf, schwingen dann beide Gehirne im Gleichtakt. Ähnliche Mechanismen sorgen dafür, dass Vertrauen und gegenseitiges Verständnis entstehen.
Das empathische Hirnsystem hat außerordentlich viele Facetten: Mitgefühl alleine etwa macht uns weder großzügig noch hilfsbereit, anders als häufig behauptet. Einsatz für andere setzt voraus, dass wir nachvollziehen können, was den anderen bewegt. Und schließlich haben Hirnforscher jüngst auf beeindruckende Weise sogar sichtbar gemacht, wie Freundschaft und Liebe in unseren Köpfen entstehen.
Thema des zweiten Teils ist die Gemeinschaft. Er beginnt mit einer Zeitreise in die ferne Vergangenheit: Wie haben unsere Vorfahren gelernt, miteinander zu teilen? Dies ist noch immer eines der größten Rätsel der Evolutionstheorie. Oft genug wurde der Mensch als das grausamste aller Geschöpfe gescholten; tatsächlich aber sind wir von einer einzigartigen Großherzigkeit. Nach heutigem Wissen der Forscher gibt kein Tier einem anderen freiwillig etwas ab, allenfalls der eigene Nachwuchs bekommt Futter. Menschen überall auf der Welt hingegen sorgen für ihre Nahrung gemeinsam, und schon kleine Mädchen und Jungen machen spontane Geschenke. Viel spricht dafür, dass unsere Vorfahren erst die freundlichsten Affen werden mussten, bevor sie eine Chance hatten, auch die klügsten Affen zu sein. Wir verdanken unsere Intelligenz unserer Bereitschaft zu geben.
Aber wir geben nicht wahllos. Gerechtigkeit gehört zu unseren stärksten Bedürfnissen überhaupt, und sie ist lebensnotwendig. Eine Gemeinschaft, die keinen fairen Umgang unter ihren Mitgliedern durchsetzt, geht über kurz oder lang unter. Gerechtigkeit ermöglicht erst Altruismus, doch der Hunger nach ihr beschert uns Rache und Neid. Und diese sind noch nicht einmal die dunkelsten Seiten der Selbstlosigkeit: Jede Gruppe hält umso besser zusammen, je stärker sie im Wettbewerb mit anderen Gemeinschaften steht. Deshalb sind Abgrenzung und Hass auf »die Anderen« die düsteren Schwestern des Altruismus. Ihren Anlagen, für andere zu sorgen, verdanken Menschen also nicht nur
ihre edelsten, sondern auch einige ihre hässlichsten Züge. So bestätigt die moderne Forschung einen Zusammenhang, von dem Mythen zu allen Zeiten erzählten - beginnend mit Luzifer, dem gefallenen Engel, bis hin zu Darth Vader, der sich im Hollywoodepos »Star Wars« von der Lichtgestalt in einen finsteren Tyrannen verwandelt.
Können wir die guten Seiten des Altruismus ohne die schlechten ausleben? Nicht zuletzt davon hängt die Zukunft der Menschheit ab. Solange Unternehmen, Völker und Nationen die eigenen Interessen auf Kosten des Wohls aller verfolgen, wird es kaum möglich sein, die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten zu schützen.
Die Geschichte der Menschheit begann mit einer altruistischen Revolution - unsere Vorfahren fingen an, für ihre Nächsten zu sorgen. Nur gemeinsam hatten sie eine Chance in einer Welt, in der Nahrung knapp wurde, weil das Klima sich wandelte. Heute stehen wir vor einer ähnlichen Schwelle: Die Herausforderung ist, Zusammenarbeit in viel größeren Maßstäben zu lernen. Es ist Zeit für eine zweite altruistische Revolution.
Wir haben durchaus Grund, optimistisch zu sein. Durch elektronische Netze, müheloses Reisen und globalen Handel rücken entlegene Gegenden der Welt näher, wachsen Kulturen in atemberaubendem Tempo zusammen. In diesem Buch möchte ich zeigen, wie die Vernetzung auch die Antriebe unseres Verhaltens verschiebt. Es kostet uns zunehmend weniger, selbstlos zu sein, während Egoismus immer riskanter wird.
Die Zukunft gehört den Altruisten. Mit den nötigen Anlagen, sich darin zu behaupten, sind wir geboren. Doch während uns das berechtigte Streben nach dem eigenen Vorteil vertraut ist, fremdeln wir noch mit den Regungen, die uns das eigene Glück im Glück anderer finden lassen. Dieses Buch ist eine Einladung, die freundliche Seite unseres Wesens zu erkunden.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurtam Main
Sie stammen von Bertolt Brecht und stehen unter dem Titel »Die Maske des Bösen«. Ich begegnete dem kurzen Gedicht mit 17 Jahren, als ich wie so viele Heranwachsende sehr böse auf die Welt und voll Sehnsucht nach einer besseren war. Natürlich leuchtete mir der vordergründige Sinn ein; wie viel Kraft es kostet zu hadern, spürte ich ja selbst zur Genüge. Welch eine Energieverschwendung der Zorn sein kann! Schlimmer noch als das unangenehme Gefühl an sich ist, dass es uns von anderen trennt. Wut ist ein Gefängnis. Jede ihrer Zielscheiben ist ein Mensch weniger, mit dem wir gemeinsame Sache machen können.
Aber »böse« bezeichnet nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein moralisches Urteil. Fast sicher hatte Brecht diese Bedeutung gemeint: »Die Maske des Bösen« entstand im September 1942, als der Feldzug der Nazis seinen Höhepunkt erreichte und Hitlers Truppen vom Nordkap bis nach Nordafrika, von der Krim bis zum Atlantik Schrecken verbreiteten. Diese Lesart jedoch irritierte mich zornigen jungen Mann tief: Konnte es sein, dass Menschen, die andere ausnutzen, verletzen, sogar umbringen
und einen Vorteil daraus ziehen, selbst unter ihrem Tun leiden?
Verdienen am Ende gar Himmler und Hitler unser Bedauern?
Viel später begriff ich, dass sich der Gedanke auch umkehren lässt. Wenn wir frei von Bosheit bleiben und uns fair und großzügig zeigen, so tun wir es möglicherweise nicht nur aus Angst vor Strafen und weil es uns die Erziehung so eingebläut hat. Menschlichkeit im Umgang mit anderen könnte uns vielmehr selbst nutzen, weil sie das eigene Wohlbefinden erhöht. Die uralte Frage, ob man sich um andere oder lieber um das eigene Glück kümmern soll, fände dann von selbst ihre Antwort: Um beides - weil es das eine ohne das andere nicht gibt.
Aus dieser Überlegung heraus entstand das vorliegende Buch. Es will allen Ermahnungen zur Anständigkeit widersprechen, übrigens auch den jahrhundertealten Lehren der Philosophie, wonach wir die süße egoistische Neigung bekämpfen müssen, da die bittere moralische Pflicht es verlangt. Wenn eigenes und fremdes Wohlbefinden so eng verknüpft sind, so würde dies zugleich erklären, warum so viele Menschen ihrem privaten Glück hinterherjagen und es trotzdem nicht finden: Vielleicht haben sich diese Glückssucher die falschen Ziele gesetzt.
Dass ein glückliches Leben das Wohl anderer im Blick hat, vermutete der Philosoph Aristoteles schon vor mehr als 2500 Jahren. Aber der griechische Denker konnte seine Spekulation nicht beweisen. Auch darum setzte sich die Vorstellung durch, dass moralisches Handeln nur um den Preis des Verzichts zu bekommen sei. Heute geben empirische Untersuchungen Aristoteles recht: Menschen, die sich für andere einsetzen, sind in aller Regel zufriedener, oft erfolgreicher und sogar gesünder als Zeitgenossen, die nur an ihr eigenes Wohl denken. »Eines weiß ich«, bekannte Albert Schweitzer einmal, »wirklich glücklich werden nur die, die entdeckt haben, wie sie für andere da sein können.« In diesem Sinn setzt dieses Buch mein früheres Werk »Die Glücksformel« fort.
Kommen Altruisten wirklich besser durchs Leben? Dagegen wehrt sich der Alltagsverstand. Wer etwas hergibt, hat hinterher weniger; wer dagegen seine Zeit, seine Kraft oder auch sein Geld für die eigenen Ziele einsetzt, ist auf den ersten Blick im Vorteil. Schon ein Blick auf die Natur scheint nahezulegen, die eigenen Güter zusammenzuhalten: Denn Menschen wie Tiere ringen um knappe Ressourcen. Wer hat, setzt sich durch, wer nicht hat, geht unter.
Mit diesem Buch will ich den Nachweis erbringen, dass und warum sich der Alltagsverstand irrt: Unser Zusammenleben verläuft nach sehr viel komplizierteren Regeln als denen des Dschungels. Die kommenden Seiten werden einige der Gesetze, die über Erfolg und Misserfolg in unserem Leben tatsächlich entscheiden, erklären. Eine zentrale Erkenntnis dabei ist, dass Egoisten nur kurzfristig besser abschneiden, auf lange Sicht aber meist Menschen weiterkommen, die sich auch für das Wohl anderer einsetzen. Weil »meist« natürlich nicht »immer« bedeutet, wird es auch darum gehen, wann die eine, wann die andere Strategie sich besser bewährt.
Wenn erfolgreicher ist, wer sich für seine Mitmenschen einsetzt, würde die Evolution solches Verhalten befördern. Damit steht eine faszinierende Hypothese im Raum: Ist es uns angeboren, für andere zu sorgen? Gibt es Gene für Altruismus?
Dass die Welt von Egoisten nur so wimmelt, spricht nicht dagegen. Denn sicher sind Menschen nicht nur darauf programmiert, selbstlos zu sein. Möglicherweise sind unsere Anlagen, erst auf den eigenen Vorteil zu achten, sogar stärker. Darum fruchten bloße Ermahnungen und Vorsätze, ein besserer Mensch zu sein, so wenig. Interessant ist aber nicht die Frage, ob ein gewisses Maß an Egoismus nun einmal zum menschlichen Wesen gehört. Viel mehr kommt es darauf an, ob wir darüber hinaus noch andere und weniger sattsam bekannte Regungen haben.
Menschen sind so widersprüchlich in ihren Motiven wie kein anderes Geschöpf. Auch sind wir ungewöhnlich frei, gegen unsere Instinkte zu handeln. Die Bandbreite, innerhalb derer wir unsere Talente einsetzen können, ist enorm. Die Evolution hat den Menschen als Läufer konstruiert, weshalb jede gesunde Person nach entsprechendem Training einen Marathon bewältigen kann. Andere legen selbst kurze Wege im Auto zurück, so dass ihre Beinmuskulatur völlig verkümmert. Genauso können wir unsere Anlagen zum Altruismus vernachlässigen - oder sie kultivieren.
Allerdings hat die Natur ein raffiniertes Mittel erfunden, mit dem sie uns dazu bringt, was sie von uns will - sie verführt uns mit guten Gefühlen. Sex ist aufregend und angenehm, denn er dient der Vermehrung. Wirkungsvoller, als vielen lieb ist, sind auch die Lustgefühle beim Essen, damit wir Fettpolster für schwere Zeiten anlegen. Auf ganz ähnliche Weise belohnt uns die Natur für Fairness und Hilfsbereitschaft: Es fühlt sich gut an, großherzig zu sein. Tatsächlich zeigt die Hirnforschung, dass Altruismus im Kopf dieselben Schaltungen aktiviert wie der Genuss einer Tafel Schokolade oder auch Sex.
»Wie traurig es ist, ein Egoist zu sein«, möchte man in Anlehnung an Brecht voll Mitgefühl feststellen - und wie gefährlich. Gar nicht so sehr für die Mitmenschen, denn entwickelte Gesellschaften zumindest halten allzu wilden Egoismus mit Gesetzen und Gerichten im Zaum. Doch wer schützt die Egoisten vor sich selbst? Schwere Depressionen verbreiten sich in Deutschland wie in den meisten Ländern in furchterregendem Tempo. Innerhalb nur eines Jahrzehnts hat sich das Risiko für junge Menschen, krankhaft schwermütig zu werden, mehr als verdreifacht. Und in weiteren zehn Jahren werden Depressionen laut der Weltgesundheitsorganisation bei Frauen die verheerendste Krankheit sein, bei Männern nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch mehr Schaden anrichten. Viele Fachleute erklären diese erschreckenden Zahlen damit, dass Bindungen an die Familie, an Freunde und Kollegen sich aufgelöst haben und dass in der heutigen Gesellschaft vor allem das Individuum zählt. Sicher ist, dass Einsatz für andere der krankhaften Traurigkeit vorbeugen kann.2
Was hindert uns eigentlich daran, zu unserem eigenen Besten mehr für andere zu sorgen? Wer es versucht, stellt fest, wie tief wir dem eigenen Wunsch, großzügig zu sein, misstrauen. Zwar spüren wir oft den Impuls, etwas für andere zu tun, aber dann unterdrücken wir ihn. Denn Altruismus ist fast immer riskanter, als nur auf eigene Rechnung zu handeln.
Da ist zum einen die Angst, uns lächerlich zu machen. Großherzigkeit genießt in unserer Gesellschaft einen seltsamen Ruf: Öffentlich lobt jeder selbstlose Menschen, doch hinter vorgehaltener Hand gedeiht der Zynismus. Bewunderung genießt, wer cool und durchsetzungsstark wirkt. Mitgefühl hingegen gilt als ein Zeichen von Schwäche. Man zweifelt am Verstand derer, die ihre Interessen bisweilen zurückstellen; allzu oft fällt der Begriff des naiven »Gutmenschen«. Dabei sind selbst - und gerade - die größten Spötter im Grund ihres Herzens von der Sehnsucht nach dem Guten erfüllt. Sarkasmus ist schließlich der beste Schutz gegen Enttäuschung.
So sind wir in Sachen Selbstlosigkeit rettungslos ambivalent: Wir wollen daran glauben, können es aber nicht, und wenn wir es könnten, würden wir es nicht zugeben. Nur auf einen Gedanken scheint niemand zu kommen: Dass die Bereitschaft zur Hingabe auf die Stärke eines Menschen hindeuten könnte.
Noch tiefer als die Furcht vor Spott sitzt die Angst, ausgenutzt zu werden. Sie plagt uns völlig zu Recht. Denn solange Menschen ihren eigenen Vorteil anstreben, werden Einzelne von der Gutwilligkeit der anderen profitieren wollen. Dies war die Tragödie jeder von Idealisten angezettelten Revolution.
So erzählt dieses Buch von Geben und Nehmen, von Vertrauen und Verrat, von Mitgefühl und Rücksichtslosigkeit, von Liebe und Hass. Aber die Frage wird nicht sein, ob Menschen gut oder böse sind. Darüber haben einige der größten Philosophen lange genug gerätselt. Was hierzu geschrieben wurde, erinnert manchmal an eine Diskussion darüber, ob Kino an sich lustig oder beunruhigend ist: Natürlich hängt es vom Film ab, der gerade läuft. Auch geht es nicht darum, wie wir uns verhalten sollen. Überzeugende Entwürfe einer Moralphilosophie gibt es mehr als genug. Die Frage ist allerdings, warum wir ihnen so selten folgen.
Vielmehr versuche ich zu klären, unter welchen Umständen Menschen fair und großzügig sind - und wann skrupellos und egoistisch. Dabei gilt es, zwei Fragen zu unterscheiden: Erstens, wie ist Uneigennützigkeit überhaupt möglich? Zweitens, was bewegt uns dazu, etwas für andere zu tun? Und warum sind manche Menschen so viel hilfsbereiter als andere?
Im ersten Teil dieses Buches steht die übersichtlichste, aber keineswegs einfachste Form des Zusammenlebens im Vordergrund: Ich und du. Untersucht wird die Neigung zu teilen, aber auch zu betrügen. Denn kooperatives Handeln lohnt sich zwar, den anderen zu prellen jedoch zumindest kurzfristig noch mehr. Wenn aber auf Dauer meist doch besser fährt, wer großzügig ist, anderen gute Absichten unterstellt und ihnen verzeiht: Wie entscheiden wir dann, wann wir vertrauen und wann wir uns besser zurückziehen sollten? Die Vernunft ist damit oft überfordert. Ihr zur Hilfe kommt ein Hirnsystem der Empathie, das ganz anders funktioniert als das gewohnte strategische Denken. Wenn wir andere Menschen in Freude oder Schmerz erleben, spiegeln wir ihre Gefühle in unserem eigenen Kopf wider. Als löste sich die Grenze zwischen »dir« und »mir« auf, schwingen dann beide Gehirne im Gleichtakt. Ähnliche Mechanismen sorgen dafür, dass Vertrauen und gegenseitiges Verständnis entstehen.
Das empathische Hirnsystem hat außerordentlich viele Facetten: Mitgefühl alleine etwa macht uns weder großzügig noch hilfsbereit, anders als häufig behauptet. Einsatz für andere setzt voraus, dass wir nachvollziehen können, was den anderen bewegt. Und schließlich haben Hirnforscher jüngst auf beeindruckende Weise sogar sichtbar gemacht, wie Freundschaft und Liebe in unseren Köpfen entstehen.
Thema des zweiten Teils ist die Gemeinschaft. Er beginnt mit einer Zeitreise in die ferne Vergangenheit: Wie haben unsere Vorfahren gelernt, miteinander zu teilen? Dies ist noch immer eines der größten Rätsel der Evolutionstheorie. Oft genug wurde der Mensch als das grausamste aller Geschöpfe gescholten; tatsächlich aber sind wir von einer einzigartigen Großherzigkeit. Nach heutigem Wissen der Forscher gibt kein Tier einem anderen freiwillig etwas ab, allenfalls der eigene Nachwuchs bekommt Futter. Menschen überall auf der Welt hingegen sorgen für ihre Nahrung gemeinsam, und schon kleine Mädchen und Jungen machen spontane Geschenke. Viel spricht dafür, dass unsere Vorfahren erst die freundlichsten Affen werden mussten, bevor sie eine Chance hatten, auch die klügsten Affen zu sein. Wir verdanken unsere Intelligenz unserer Bereitschaft zu geben.
Aber wir geben nicht wahllos. Gerechtigkeit gehört zu unseren stärksten Bedürfnissen überhaupt, und sie ist lebensnotwendig. Eine Gemeinschaft, die keinen fairen Umgang unter ihren Mitgliedern durchsetzt, geht über kurz oder lang unter. Gerechtigkeit ermöglicht erst Altruismus, doch der Hunger nach ihr beschert uns Rache und Neid. Und diese sind noch nicht einmal die dunkelsten Seiten der Selbstlosigkeit: Jede Gruppe hält umso besser zusammen, je stärker sie im Wettbewerb mit anderen Gemeinschaften steht. Deshalb sind Abgrenzung und Hass auf »die Anderen« die düsteren Schwestern des Altruismus. Ihren Anlagen, für andere zu sorgen, verdanken Menschen also nicht nur
ihre edelsten, sondern auch einige ihre hässlichsten Züge. So bestätigt die moderne Forschung einen Zusammenhang, von dem Mythen zu allen Zeiten erzählten - beginnend mit Luzifer, dem gefallenen Engel, bis hin zu Darth Vader, der sich im Hollywoodepos »Star Wars« von der Lichtgestalt in einen finsteren Tyrannen verwandelt.
Können wir die guten Seiten des Altruismus ohne die schlechten ausleben? Nicht zuletzt davon hängt die Zukunft der Menschheit ab. Solange Unternehmen, Völker und Nationen die eigenen Interessen auf Kosten des Wohls aller verfolgen, wird es kaum möglich sein, die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten zu schützen.
Die Geschichte der Menschheit begann mit einer altruistischen Revolution - unsere Vorfahren fingen an, für ihre Nächsten zu sorgen. Nur gemeinsam hatten sie eine Chance in einer Welt, in der Nahrung knapp wurde, weil das Klima sich wandelte. Heute stehen wir vor einer ähnlichen Schwelle: Die Herausforderung ist, Zusammenarbeit in viel größeren Maßstäben zu lernen. Es ist Zeit für eine zweite altruistische Revolution.
Wir haben durchaus Grund, optimistisch zu sein. Durch elektronische Netze, müheloses Reisen und globalen Handel rücken entlegene Gegenden der Welt näher, wachsen Kulturen in atemberaubendem Tempo zusammen. In diesem Buch möchte ich zeigen, wie die Vernetzung auch die Antriebe unseres Verhaltens verschiebt. Es kostet uns zunehmend weniger, selbstlos zu sein, während Egoismus immer riskanter wird.
Die Zukunft gehört den Altruisten. Mit den nötigen Anlagen, sich darin zu behaupten, sind wir geboren. Doch während uns das berechtigte Streben nach dem eigenen Vorteil vertraut ist, fremdeln wir noch mit den Regungen, die uns das eigene Glück im Glück anderer finden lassen. Dieses Buch ist eine Einladung, die freundliche Seite unseres Wesens zu erkunden.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurtam Main
... weniger
Autoren-Porträt von Stefan Klein
Stefan Klein, geboren 1965 in München, ist der erfolgreichste Wissenschaftsautor deutscher Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg und forschte auf dem Gebiet der theoretischen Biophysik. Er wandte sich dem Schreiben zu, weil er "die Menschen begeistern wollte für eine Wirklichkeit, die aufregender ist als jeder Krimi". Kleins Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in 25 Sprachen übersetzt. Stefan Klein lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stefan Klein
- 2010, 2. Auflage, 334 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100396146
- ISBN-13: 9783100396143
Kommentar zu "Der Sinn des Gebens"
0 Gebrauchte Artikel zu „Der Sinn des Gebens“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Der Sinn des Gebens".
Kommentar verfassen