Der Stein der Pharaonen
1799 kann der smarte Abenteuerer Ethan Gage in Ägypten nur knapp den Häschern Napoleons entkommen. Doch den sagenhaften Pharaonenschatz muss er im Wüstensand zurücklassen. Und schon zieht ihn eine mysteriöse Spur in ein neues,...
Leider schon ausverkauft
Weltbild Ausgabe
4.99 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Der Stein der Pharaonen “
1799 kann der smarte Abenteuerer Ethan Gage in Ägypten nur knapp den Häschern Napoleons entkommen. Doch den sagenhaften Pharaonenschatz muss er im Wüstensand zurücklassen. Und schon zieht ihn eine mysteriöse Spur in ein neues, gefährliches Abenteuer - ins Heilige Land. Ethan tut alles, um das legendäre Buch des Thoth wieder zu bekommen. Eine wilde Jagd durch Katakomben und verlassene Städte beginnt.
Lese-Probe zu „Der Stein der Pharaonen “
Der Stein der Pharaonen von William DietrichTeil I
1
... mehr
Wenn tausend Musketenläufe auf die eigene Brust gerichtet
sind, liegt durchaus die Überlegung nahe, ob man
den falschen Weg eingeschlagen hat. Ich dachte also darüber
nach, während jede einzelne Mündung mich so drohend anbleckte
wie das aufgerissene Maul eines streunenden Köters
in Kairo. Doch nein, ich bin zwar ziemlich bescheiden, habe
aber auch meine selbstgerechte Seite - und soweit ich es beurteilen
konnte, war nicht ich, sondern die französische Armee
vom Weg abgekommen. Das hätte ich meinem früheren
Freund Napoleon Bonaparte auch erklären können,
hätte er nicht oben auf den Dünen außer Rufweite gestanden,
unnahbar und unerfreulich unaufmerksam, während
seine Knöpfe und Orden in der mediterranen Sonne glitzerten.
Das erste Mal hatte ich zusammen mit Bonaparte an einem
Strand gestanden, als er im Jahre 1798 mit seiner Armee
in Ägypten landete. Damals sagte er mir, die Ertrunkenen
würden in die Geschichte eingehen. Jetzt, neun Monate
später vor dem palästinensischen Hafen Jaffa, sollte ich in die
Geschichte eingehen. Französische Grenadiere trafen alle
Vorbereitungen, mich und die glücklosen muslimischen Gefangenen
zu erschießen, mit denen man mich zusammenge-
würfelt hatte, und wieder einmal versuchte ich, Ethan Gage,
einen Weg zu finden, dem Schicksal zu entkommen. Es war
eine Massenexekution, müssen Sie wissen. Ich war dem General,
mit dem ich mich einmal anzufreunden versucht hatte,
in die Quere gekommen.
Wie weit hatten wir beide es doch in neun kurzen Monaten gebracht!
Ich schob mich hinter den größten der unglückseligen osmanischen
Gefangenen, einen schwarzen Riesen vom Oberlauf
des Nils, der meinen Berechnungen zufolge gerade dick
genug war, um eine Musketenkugel abzufangen. Wie verwirrtes
Vieh hatte man uns auf einem herrlichen Strand zusammengetrieben
- runde, weiße Augen in den dunkelsten
Gesichtern, die türkischen Uniformen rot, cremefarben,
smaragdgrün und saphirblau, verschmiert von dem Rauch
und Blut einer brutalen Plünderung. Geschmeidige Marokkaner
waren darunter, große, mürrische Sudanesen, wilde,
bleiche Albaner, tscherkessische Kavallerie, griechische Kanoniere,
türkische Sergeanten - das bunt gemischte Aufgebot
eines riesigen Imperiums, allesamt durch die Franzosen
gedemütigt. Und ich, der Amerikaner im Alleingang. Nicht
nur mich verblüffte ihr Kauderwelsch, sie konnten sich auch
oft untereinander nicht verständigen. Die Masse wogte hin
und her, ihre Offiziere waren bereits tot, und das Durcheinander
war ein niederschmetternder Kontrast zu den starren
Linien unserer Vollstrecker, die sich wie zu einer Parade aufgestellt
hatten. Der osmanische Trotz hatte Napoleon erzürnt
- nie sollte man die Köpfe von Emissären auf Pfähle
spießen -, und die hohe Zahl hungriger Gefangener drohte
ein Hemmschuh für seine Invasion zu werden. Daher hatte
man uns durch die Orangenhaine an einen halbmondförmigen
Strand gleich im Süden des eroberten Hafens marschieren
lassen. Das Meer funkelte herrlich grün und an den
seichten Stellen golden, die Stadt auf dem Hügel schwelte.
An den von Einschüssen ramponierten Bäumen sah ich noch
ein paar grüne Früchte hängen. Mein früherer Wohltäter
und neuerlicher Feind, der auf seinem Pferd saß wie ein junger
Alexander, war im Begriff (aus Verzweiflung oder schierer
Berechnung), eine Unbarmherzigkeit an den Tag zu legen,
über die seine eigenen Marschälle noch in vielen
künftigen Feldzügen hinter vorgehaltener Hand flüstern
würden. Er aber besaß nicht einmal die Höflichkeit, Interesse
zu bekunden! Er las wieder einen seiner trübsinnigen Romane
und pflegte dabei die Angewohnheit, die Buchseiten
herauszureißen, nachdem er sie veschlungen hatte, und zurück
an seine Offiziere zu reichen. Ich war barfuß, blutig und
nur vierzig Meilen Luftlinie von der Stelle entfernt, an der
Jesus Christus starb, um die Welt zu retten. Die vergangenen
Tage, in denen ich Verfolgung, Folter und Krieg erlebt
hatte, konnten mich nicht davon überzeugen, dass die Bemühungen
unseres Retters zur Verbesserung der menschlichen
Natur von Erfolg gekrönt waren.
»An die Gewehre!« Tausend Musketenhähne wurden gespannt.
Napoleons Gefolgsleute hatten mich der Spionage und
des Verrats beschuldigt, daher war ich mit den anderen Gefangenen
an den Strand getrieben. Nun ja, diese Beschreibung
enthielt tatsächlich ein Körnchen Wahrheit. Allerdings
war ich nicht von vornherein mit dieser Absicht aufgebrochen,
keineswegs. Ich war nur ein Amerikaner in Paris gewe-
sen, dessen spärliche Kenntnisse in Elektrizität - und die
Not, einer äußerst ungerechten Anklage wegen Mordes zu
entkommen - dazu geführt hatten, dass ich ein Jahr zuvor
in die Gemeinschaft der Wissenschaftler und Gelehrten aufgenommen
wurde, die Napoleon bei seiner verblüffenden
Eroberung Ägyptens begleiteten. Darüber hinaus hatte ich
ein Talent dafür entwickelt, zur falschen Zeit auf der falschen
Seite zu stehen. Ich war von der Kavallerie der Mamelucken
beschossen worden, von der Frau, die ich liebte, von arabischen
Mördern, britischen Kanonen, muslimischen Fanatikern,
französischen Soldaten - und dabei bin ich so ein netter
Mensch!
Zuletzt war mir ein gemeiner Schurke namens Pierre Najac
auf den Fersen, ein Mörder und Dieb, der nicht verwinden
konnte, dass ich ihn einmal auf dem Weg nach Toulon
aus der Deckung, unter einer Kutsche liegend, beschossen
hatte, als er versuchte, mir ein heiliges Amulett zu stehlen.
Das ist eine lange Geschichte, wie der vorangegangene Band
bezeugen kann. Wie die rächende Nemesis war Najac wieder
in mein Leben getreten, hatte mir einen Kavalleriesäbel
in den Rücken gebohrt und mich gezwungen, in den Reihen
der Gefangenen zu bleiben. Er freute sich auf mein bevorstehendes
Hinscheiden wie jemand, der eine besonders
abscheuliche Spinne zermalmt. Ich bereute inzwischen, dass
ich damals nicht ein bisschen höher und zwei Zoll weiter
nach links gezielt hatte.
Wie gesagt, anscheinend ist immer das Glücksspiel
schuld. Damals in Paris war es ein Kartenspiel gewesen, das
mir das mysteriöse Amulett einbrachte. Damit fing der ganze
Ärger an. Diesmal hatte das, was wie ein einfacher Weg
für einen Neuanfang ausgesehen hatte - den verblüfften Seeleuten
der HMS Dangerous jeden Shilling abzuknöpfen, den
sie besaßen, bevor die Briten mich im Heiligen Land am
Ufer absetzten - nichts zur Lösung beigetragen, und stattdessen,
so könnte man meinen, eigentlich erst zu meiner gegenwärtigen
misslichen Lage geführt. Ich kann es nur noch
einmal sagen: Spielen ist ein Laster, und es ist dumm, sich
auf das Glück zu verlassen.
»Legt an!«
Aber ich greife voraus.
Ich, Ethan Gage, habe meine vierunddreißig Lebensjahre
hauptsächlich damit verbracht, mich von zu großen Problemen
und zu viel Arbeit fernzuhalten. Wie mein Mentor und
früherer Dienstherr, der verstorbene große Benjamin Franklin
zweifelsohne feststellen würde, kann man diese beiden
Neigungen so wenig zusammenbringen wie positive und negative
Elektrizität. Das Streben nach Letzterem, Arbeit zu
vermeiden, vereitelt unweigerlich Ersteres, Problemen aus
dem Weg zu gehen. Doch das ist eine Lektion wie die Kopfschmerzen,
die dem Alkoholgenuss folgen, oder die Treulosigkeit
schöner Frauen: Man vergisst sie, kaum hat man sie
gelernt. Meine Abneigung gegen harte Arbeit verstärkte meine
Vorliebe für das Spiel, dem Glücksspiel verdankte ich das
Amulett, dem Amulett verdankte ich meine Fahrt nach
Ägypten mit der Hälfte aller Halunken dieses Planeten auf
den Fersen, und Ägypten verdankte ich meine geliebte, verlorene
Astiza. Sie wiederum hatte mich überzeugt, dass wir
die Welt von Najacs Herrn und Meister, dem franko-italienischen
Grafen und Hexenmeister Alessandro Silano, zu befreien
hätten. Das alles machte mich unerwartet zu Bona-
partes Gegner. Wie das Leben so spielt, verliebte ich mich,
fand einen Geheimgang in die Große Pyramide und machte
die tollsten Entdeckungen überhaupt, nur um alles zu verlieren,
was mir lieb war, als ich gezwungen wurde, im Ballon
zu fliehen.
Ich sagte ja schon, es ist eine lange Geschichte.
Jedenfalls war die hübsche, aufreizende Astiza - meine
Beinahe-Mörderin, Dienerin und ägyptische Priesterin -
mit meinem Feind Silano vom Ballon in den Nil gestürzt.
Seither versuche ich verzweifelt, etwas über ihr Schicksal zu
erfahren, doppelt neugierig geworden, nachdem die letzten
Worte meines Feindes an Astiza lauteten: »Du weißt, dass
ich dich noch immer liebe!« Das ist wahrlich dazu angetan,
nachts in sämtlichen Ecken des Verstandes herumzugeistern.
Wie standen sie nun wirklich zueinander? Um das herauszufinden,
war ich damit einverstanden gewesen, dass der verrückte
Engländer Sir Sidney Smith mich in Palästina an
Land setzte, knapp vor Bonapartes Invasionsarmee, um
Nachforschungen anzustellen. Dann führte eins zum anderen,
und nun stand ich da vor tausend Gewehrmündungen.
»Feuer!«
Doch bevor ich Ihnen erzähle, was passierte, als die Musketen
aufblitzten, sollte ich vielleicht zu der Stelle zurückkehren,
an der meine erste Geschichte aufhörte, Ende Oktober
1798, als ich an Deck der britischen Fregatte Dangerous, die
mit geblähten Segeln und aufschäumender Bugwelle auf das
Heilige Land zupflügte, in der Falle saß. Wie munter das alles
war, englische Banner flatterten, stämmige Matrosen zogen
mit rauen Gesängen an ihren starken Hanfleinen, steife
Offiziere mit Zweispitzen schritten das Achterdeck ab, und
strotzende Kanonen wurden von der Gischt des Mittelmeeres
wie mit Tau überzogen. Kleine Tropfen trockneten zu
Salzsternen aus. Mit anderen Worten, es war genau die Art
militanter, männlicher Raubzug, den ich zu verachten gelernt
hatte, nachdem ich nur knapp dem wirbelnden Angriff
eines Mameluckenkriegers in der Schlacht bei den Pyramiden,
der Explosion der L'Orient in der Schlacht am Nil und
einem heimtückischen arabischen Schlangenanbeter namens
Achmed bin Sadr entkommen war, den ich zu guter
Letzt verdient in die Hölle geschickt hatte. Ich war nach den
flotten Abenteuern etwas außer Atem und wäre nur zu gern
in die Heimat nach New York geeilt, um eine nette Stellung
als Buchhalter oder Textilienhändler anzutreten, oder vielleicht
als Anwalt, der sich mit öden Testamenten in den
Händen schwarz gekleideter Witwen und unreifer, unwürdiger
Nachkommen beschäftigt. Ja, ein Schreibpult und verstaubte
Hauptbücher - das ist das Leben für mich! Doch Sir
Sidney wollte davon nichts wissen. Schlimmer noch, ich hatte
endlich kapiert, was mir in dieser Welt am Herzen lag: Astiza.
Ich konnte wohl kaum eine Passage in die Heimat buchen,
ohne herauszufinden, ob sie ihren Sturz mit dem
Halunken Silano überlebt hatte, und ob ich sie irgendwie retten
konnte.
Das Leben war einfacher, als ich noch keine Prinzipien
hatte.
Smith war aufgeblasen wie ein türkischer Admiral, Pläne
brauten sich in seinem Hirn zusammen wie ein herannahender
Sturm. Man hatte ihm die Aufgabe übertragen, den Türken
und ihrem osmanischen Reich zu helfen, das weitere
Vordringen der Armeen Bonapartes von Ägypten nach
Syrien zu vereiteln. Denn der junge Napoleon hoffte, sich
selbst ein östliches Imperium zu erkämpfen. Sir Sidney
brauchte Verbündete und Spione, und nachdem er mich aus
dem Mittelmeer gefischt hatte, teilte er mir mit, es wäre zu
unser beider Vorteil, wenn ich mich seiner Sache anschlösse.
Zu versuchen, nach Ägypten zurückzukehren und mich
den wütenden Franzosen allein zu stellen, sei verwegen, stellte
er nüchtern fest. Ich könne von Palästina aus Nachforschungen
über Astiza anstellen, während ich gleichzeitig die
unterschiedlichen Sekten einschätzte, die man vielleicht hinter
sich bringen könnte, um Napoleon zu bekämpfen. »Jerusalem!
«, hatte er ausgerufen. War er verrückt? Diese halb
vergessene Stadt, ein osmanisches Provinznest, verkrustet
von Dreck, Geschichte, religiösen Fanatismen und Krankheit,
hatte allen Berichten zufolge nur überlebt, weil es den
gläubigen und leicht zu täuschenden Pilgern dreier Glaubensrichtungen
Pflichttourismus aufgenötigt hatte. Für einen
englischen Ränkeschmied und Krieger wie Smith hatte
Jerusalem jedoch den Vorteil, ein Schmelztiegel der komplizierten
Kultur Syriens zu sein, ein polyglotter Bau mit Muslimen,
Juden, Griechisch-Orthodoxen, Katholiken, Drusen,
Maroniten, Matuwelli, Türken, Beduinen, Kurden und Palästinensern,
und alle erinnerten sich an Kränkungen, die sie
vor vielen Tausend Jahren von den anderen erfahren hatten.
Offen gesagt, ich hätte mich nie näher als hundert Meilen
an den Ort herangewagt, wäre nicht Astiza davon überzeugt
gewesen, dass Moses ein heiliges Buch uralter Weisheit
aus dem Bauch der Großen Pyramide gestohlen und seine
Nachfahren es nach Judäa gebracht hatten. Das bedeutete,
wenn man es suchen wollte, wäre Jerusalem der geeignetste
Ort. Bisher bedeutete dieses Buch des Thoth, vielmehr die
Gerüchte darüber, nichts als Ärger. Doch wenn es wirklich
den Schlüssel zur Unsterblichkeit und zur Herrschaft über
das Universum enthielt, konnte ich es wohl kaum abhaken,
oder? Jerusalem ergab tatsächlich einen abwegigen Sinn.
Smith hielt mich für einen zuverlässigen Komplizen, und
wir hatten tatsächlich eine Art Bündnis geschlossen. Ich hatte
ihn in einem Zigeunerlager kennengelernt, nachdem ich
Najac angeschossen hatte. Der Siegelring, den er mir gegeben
hatte, war meine Rettung vor dem Strick an der Rahnock,
als ich nach dem Spektakel am Nil vor Admiral Nelson
gezerrt wurde. Und Smith war ein echter Held, der
französische Schiffe verbrannt hatte und aus einem Pariser
Gefängnis entkommen war, indem er einer seiner früheren
Bettgenossinnen aus einem vergitterten Fenster ein Zeichen
gegeben hatte. Nachdem ich einen Pharaonenschatz aus der
Großen Pyramide mitgenommen, ihn wieder verloren hatte,
um nicht zu ertrinken, und einen Ballon von meinem
Freund und Gelehrtenkollegen Nicolas-Jacques Conté gestohlen
hatte, war ich ins Meer gestürzt und hatte mich nass
und mittellos auf dem Achterdeck der Dangerous wiedergefunden.
Das Schicksal brachte mich erneut leibhaftig mit Sir
Sidney zusammen, und ich war den Briten ebenso auf Gedeih
und Verderb ausgeliefert wie zuvor den Franzosen. Meine
eigenen Gefühle - dass ich genug hatte von Krieg und
Schatzsuche und gern in die Heimat nach Amerika zurückgekehrt
wäre - wurden unbekümmert ignoriert.
»Während Sie also vom syrischen Palästina aus Nachforschungen
über diese Frau anstellen, an der Sie Gefallen gefunden haben,
Gage, können Sie auch bei den Christen und
Juden vorfühlen, ob sie Widerstand gegen Bonaparte leisten
würden«, sagte Smith. »Es kann sein, dass sie sich auf die Seite
der Franzmänner stellen, und wenn er eine Armee hier
entlang führt, brauchen unsere türkischen Verbündeten jede
Hilfe, die sie kriegen können.« Er legte mir den Arm um die
Schulter. »Sie sind genau der Richtige für diese Arbeit, schätze
ich: klug, umgänglich, entwurzelt, ohne jegliche Skrupel
und ohne Glauben. Die Menschen erzählen Ihnen etwas,
Gage, weil ihnen klar ist, dass es ohne Folgen bleibt.«
»Das liegt nur daran, dass ich Amerikaner bin, kein Brite
oder Franzose ...«
»Genau. Perfekt für unsere Zwecke. Djezzar wird beeindruckt
sein, dass sich sogar ein so oberflächlicher Mann wie
Sie beteiligt.«
Djezzar, dessen Name »der Schlächter« bedeutete, war der
anerkannt grausame und despotische Pascha in Akko, auf
den die Briten angewiesen waren, um Napoleon zu bekämpfen.
Entzückt, dessen war ich mir sicher.
»Aber mein Arabisch beschränkt sich nur auf das Nötigste,
und über Palästina weiß ich nichts«, machte ich ihm klar.
»Kein Problem für einen Agenten mit Verstand und Mut
wie Sie, Ethan. Die Krone hat einen Verbündeten in Jerusalem
mit dem Decknamen Jericho, ein Schmied, der früher
einmal in unserer Marine gedient hat. Er kann Ihnen helfen,
nach dieser Astiza zu suchen und für uns zu arbeiten. Er hat
Kontakte in Ägypten! Sie benötigen nur wenige Tage Ihrer
schlauen Diplomatie, eine Gelegenheit, in die Fußstapfen
von Jesus Christus persönlich zu treten, und schon sind Sie
wieder zurück, nur mit Staub an den Stiefeln und einer heiligen
Reliquie in der Tasche, und Ihre anderen Probleme sind
gelöst. Wirklich ganz vorzüglich, wie sich eins ins andere
fügt. Unterdessen werde ich Djezzar helfen, die Verteidigung
von Akko vorzubereiten, für den Fall, dass Boney, wie Sie
sagten, nach Norden marschiert. Im Nu werden wir beide
strahlende Helden sein, die in London öffentlich gefeiert
werden!«
Sobald man von jemandem Komplimente und Wörter
wie »vorzüglich« hört, ist es höchste Zeit, die Geldbörse in
Sicherheit zu bringen. Aber bei Bunker Hill, ich war neugierig
auf das Buch des Thoth, und die Erinnerung an Astiza
quälte mich. Ihr Opfer, um mich zu retten, war der
schlimmste Augenblick meines Lebens - um ehrlich zu sein,
noch schlimmer als der Moment, in dem meine geliebte
Pennsylvania-Langbüchse explodierte -, und das Loch in
meinem Herzen war so groß, dass man eine Kanonenkugel
hätte hindurchschießen können, ohne etwas zu verletzen.
Ein guter Satz, den man gegenüber einer Frau verwenden
könnte, dachte ich, und ich wollte ihn an Astiza ausprobieren.
Natürlich sagte ich also »Ja«, das gefährlichste Wort in
jeder Sprache.
»Was mir fehlt, sind Kleidung, Waffen und Geld«, stellte
ich fest. Das Einzige, was ich von der Großen Pyramide hatte
behalten können, waren zwei kleine goldene Seraphim,
kniende Engel, von denen Astiza behauptete, sie stammten
von Moses' Stab. Ich hatte sie ziemlich unrühmlich in meine
Unterhose gesteckt. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, sie
zu versetzen, doch sie hatten einen sentimentalen Wert angenommen,
obwohl sie der Grund waren, warum ich michhin und wieder kratzen
musste. Wenigstens waren sie eine Reserve aus kostbarem Metall, die ich lieber nicht offenlegte.
Sollte Smith mir doch einen Zuschuss geben, wenn er so
erpicht darauf war, mich anzuwerben.
»Ihr Geschmack für arabische Lumpen ist perfekt«, sagte
der britische Geschwaderkommandeur. »Und Sie haben eine
ziemlich dunkle Hauttönung angenommen, Gage. Fügen
Sie in Jaffa einen Umhang und einen Turban hinzu, und Sie
werden als Einheimischer durchgehen. Was eine englische
Waffe betrifft, die könnte Ihnen ein türkisches Gefängnis
einbringen, wenn man Sie der Spionage verdächtigt. Ihr Verstand
wird Sie vor Schaden bewahren. Was ich Ihnen leihen
kann, ist ein kleines Fernrohr. Es ist vorzüglich scharf und
genau das Richtige, um Truppenbewegungen auszumachen.«
»Sie vergaßen das Geld.«
»Die Vergütung der Krone wird mehr als angemessen sein.«
Er reichte mir eine Geldbörse mit ein paar Silber-, Messing-
und Kupfermünzen: spanische Reals, osmanische Piaster,
eine russische Kopeke und zwei holländische Rixdollar.
Regierungsbudgetierung.
»Damit kann ich mir kaum ein Frühstück kaufen!«
»Ich kann Ihnen kein Pfund Sterling geben, Gage, das
würde Sie im Nu verraten. Sie sind doch ein Mann mit Einfällen,
oder? Strecken Sie das, was Sie haben! Der Himmel
weiß, dass die Admiralität es auch so hält!«
Schön, sagte ich mir, meinen Einfallsreichtum könnt ihr
sofort haben, und ich fragte mich, ob ich mir mit den Besatzungsmitgliedern,
die gerade keinen Dienst hatten, die Zeit bei einem
freundschaftlichen Kartenspiel vertreiben könnte.
Als ich bei Napoleons Ägyptenfeldzug als Gelehrter noch
hoch im Ansehen stand, hatte ich die Wahrscheinlichkeitsgesetze
gern mit berühmten Mathematikern wie Gaspard
Monge und dem Geografen Edme François Jomard diskutiert.
Sie hatten mich ermutigt, systematischer über Gewinnchancen
und den Hausvorteil nachzudenken und an meiner
spielerischen Geschicklichkeit zu feilen.
»Vielleicht kann ich Ihre Männer für ein Glücksspiel gewinnen?«
»Hach! Seien Sie auf der Hut, dass die Sie nicht völlig ausnehmen!«
Copyright der Originalausgabe © 2008 by William Dietrich
Published by arrangement with HarperCollins Publishers, LLC
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Übersetzung: Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol
Umschlaggestaltung: zeichenpool, München
Umschlagmotiv: © Shutterstock
Druck und Bindung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-890-6
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Ausgabe an.
Wenn tausend Musketenläufe auf die eigene Brust gerichtet
sind, liegt durchaus die Überlegung nahe, ob man
den falschen Weg eingeschlagen hat. Ich dachte also darüber
nach, während jede einzelne Mündung mich so drohend anbleckte
wie das aufgerissene Maul eines streunenden Köters
in Kairo. Doch nein, ich bin zwar ziemlich bescheiden, habe
aber auch meine selbstgerechte Seite - und soweit ich es beurteilen
konnte, war nicht ich, sondern die französische Armee
vom Weg abgekommen. Das hätte ich meinem früheren
Freund Napoleon Bonaparte auch erklären können,
hätte er nicht oben auf den Dünen außer Rufweite gestanden,
unnahbar und unerfreulich unaufmerksam, während
seine Knöpfe und Orden in der mediterranen Sonne glitzerten.
Das erste Mal hatte ich zusammen mit Bonaparte an einem
Strand gestanden, als er im Jahre 1798 mit seiner Armee
in Ägypten landete. Damals sagte er mir, die Ertrunkenen
würden in die Geschichte eingehen. Jetzt, neun Monate
später vor dem palästinensischen Hafen Jaffa, sollte ich in die
Geschichte eingehen. Französische Grenadiere trafen alle
Vorbereitungen, mich und die glücklosen muslimischen Gefangenen
zu erschießen, mit denen man mich zusammenge-
würfelt hatte, und wieder einmal versuchte ich, Ethan Gage,
einen Weg zu finden, dem Schicksal zu entkommen. Es war
eine Massenexekution, müssen Sie wissen. Ich war dem General,
mit dem ich mich einmal anzufreunden versucht hatte,
in die Quere gekommen.
Wie weit hatten wir beide es doch in neun kurzen Monaten gebracht!
Ich schob mich hinter den größten der unglückseligen osmanischen
Gefangenen, einen schwarzen Riesen vom Oberlauf
des Nils, der meinen Berechnungen zufolge gerade dick
genug war, um eine Musketenkugel abzufangen. Wie verwirrtes
Vieh hatte man uns auf einem herrlichen Strand zusammengetrieben
- runde, weiße Augen in den dunkelsten
Gesichtern, die türkischen Uniformen rot, cremefarben,
smaragdgrün und saphirblau, verschmiert von dem Rauch
und Blut einer brutalen Plünderung. Geschmeidige Marokkaner
waren darunter, große, mürrische Sudanesen, wilde,
bleiche Albaner, tscherkessische Kavallerie, griechische Kanoniere,
türkische Sergeanten - das bunt gemischte Aufgebot
eines riesigen Imperiums, allesamt durch die Franzosen
gedemütigt. Und ich, der Amerikaner im Alleingang. Nicht
nur mich verblüffte ihr Kauderwelsch, sie konnten sich auch
oft untereinander nicht verständigen. Die Masse wogte hin
und her, ihre Offiziere waren bereits tot, und das Durcheinander
war ein niederschmetternder Kontrast zu den starren
Linien unserer Vollstrecker, die sich wie zu einer Parade aufgestellt
hatten. Der osmanische Trotz hatte Napoleon erzürnt
- nie sollte man die Köpfe von Emissären auf Pfähle
spießen -, und die hohe Zahl hungriger Gefangener drohte
ein Hemmschuh für seine Invasion zu werden. Daher hatte
man uns durch die Orangenhaine an einen halbmondförmigen
Strand gleich im Süden des eroberten Hafens marschieren
lassen. Das Meer funkelte herrlich grün und an den
seichten Stellen golden, die Stadt auf dem Hügel schwelte.
An den von Einschüssen ramponierten Bäumen sah ich noch
ein paar grüne Früchte hängen. Mein früherer Wohltäter
und neuerlicher Feind, der auf seinem Pferd saß wie ein junger
Alexander, war im Begriff (aus Verzweiflung oder schierer
Berechnung), eine Unbarmherzigkeit an den Tag zu legen,
über die seine eigenen Marschälle noch in vielen
künftigen Feldzügen hinter vorgehaltener Hand flüstern
würden. Er aber besaß nicht einmal die Höflichkeit, Interesse
zu bekunden! Er las wieder einen seiner trübsinnigen Romane
und pflegte dabei die Angewohnheit, die Buchseiten
herauszureißen, nachdem er sie veschlungen hatte, und zurück
an seine Offiziere zu reichen. Ich war barfuß, blutig und
nur vierzig Meilen Luftlinie von der Stelle entfernt, an der
Jesus Christus starb, um die Welt zu retten. Die vergangenen
Tage, in denen ich Verfolgung, Folter und Krieg erlebt
hatte, konnten mich nicht davon überzeugen, dass die Bemühungen
unseres Retters zur Verbesserung der menschlichen
Natur von Erfolg gekrönt waren.
»An die Gewehre!« Tausend Musketenhähne wurden gespannt.
Napoleons Gefolgsleute hatten mich der Spionage und
des Verrats beschuldigt, daher war ich mit den anderen Gefangenen
an den Strand getrieben. Nun ja, diese Beschreibung
enthielt tatsächlich ein Körnchen Wahrheit. Allerdings
war ich nicht von vornherein mit dieser Absicht aufgebrochen,
keineswegs. Ich war nur ein Amerikaner in Paris gewe-
sen, dessen spärliche Kenntnisse in Elektrizität - und die
Not, einer äußerst ungerechten Anklage wegen Mordes zu
entkommen - dazu geführt hatten, dass ich ein Jahr zuvor
in die Gemeinschaft der Wissenschaftler und Gelehrten aufgenommen
wurde, die Napoleon bei seiner verblüffenden
Eroberung Ägyptens begleiteten. Darüber hinaus hatte ich
ein Talent dafür entwickelt, zur falschen Zeit auf der falschen
Seite zu stehen. Ich war von der Kavallerie der Mamelucken
beschossen worden, von der Frau, die ich liebte, von arabischen
Mördern, britischen Kanonen, muslimischen Fanatikern,
französischen Soldaten - und dabei bin ich so ein netter
Mensch!
Zuletzt war mir ein gemeiner Schurke namens Pierre Najac
auf den Fersen, ein Mörder und Dieb, der nicht verwinden
konnte, dass ich ihn einmal auf dem Weg nach Toulon
aus der Deckung, unter einer Kutsche liegend, beschossen
hatte, als er versuchte, mir ein heiliges Amulett zu stehlen.
Das ist eine lange Geschichte, wie der vorangegangene Band
bezeugen kann. Wie die rächende Nemesis war Najac wieder
in mein Leben getreten, hatte mir einen Kavalleriesäbel
in den Rücken gebohrt und mich gezwungen, in den Reihen
der Gefangenen zu bleiben. Er freute sich auf mein bevorstehendes
Hinscheiden wie jemand, der eine besonders
abscheuliche Spinne zermalmt. Ich bereute inzwischen, dass
ich damals nicht ein bisschen höher und zwei Zoll weiter
nach links gezielt hatte.
Wie gesagt, anscheinend ist immer das Glücksspiel
schuld. Damals in Paris war es ein Kartenspiel gewesen, das
mir das mysteriöse Amulett einbrachte. Damit fing der ganze
Ärger an. Diesmal hatte das, was wie ein einfacher Weg
für einen Neuanfang ausgesehen hatte - den verblüfften Seeleuten
der HMS Dangerous jeden Shilling abzuknöpfen, den
sie besaßen, bevor die Briten mich im Heiligen Land am
Ufer absetzten - nichts zur Lösung beigetragen, und stattdessen,
so könnte man meinen, eigentlich erst zu meiner gegenwärtigen
misslichen Lage geführt. Ich kann es nur noch
einmal sagen: Spielen ist ein Laster, und es ist dumm, sich
auf das Glück zu verlassen.
»Legt an!«
Aber ich greife voraus.
Ich, Ethan Gage, habe meine vierunddreißig Lebensjahre
hauptsächlich damit verbracht, mich von zu großen Problemen
und zu viel Arbeit fernzuhalten. Wie mein Mentor und
früherer Dienstherr, der verstorbene große Benjamin Franklin
zweifelsohne feststellen würde, kann man diese beiden
Neigungen so wenig zusammenbringen wie positive und negative
Elektrizität. Das Streben nach Letzterem, Arbeit zu
vermeiden, vereitelt unweigerlich Ersteres, Problemen aus
dem Weg zu gehen. Doch das ist eine Lektion wie die Kopfschmerzen,
die dem Alkoholgenuss folgen, oder die Treulosigkeit
schöner Frauen: Man vergisst sie, kaum hat man sie
gelernt. Meine Abneigung gegen harte Arbeit verstärkte meine
Vorliebe für das Spiel, dem Glücksspiel verdankte ich das
Amulett, dem Amulett verdankte ich meine Fahrt nach
Ägypten mit der Hälfte aller Halunken dieses Planeten auf
den Fersen, und Ägypten verdankte ich meine geliebte, verlorene
Astiza. Sie wiederum hatte mich überzeugt, dass wir
die Welt von Najacs Herrn und Meister, dem franko-italienischen
Grafen und Hexenmeister Alessandro Silano, zu befreien
hätten. Das alles machte mich unerwartet zu Bona-
partes Gegner. Wie das Leben so spielt, verliebte ich mich,
fand einen Geheimgang in die Große Pyramide und machte
die tollsten Entdeckungen überhaupt, nur um alles zu verlieren,
was mir lieb war, als ich gezwungen wurde, im Ballon
zu fliehen.
Ich sagte ja schon, es ist eine lange Geschichte.
Jedenfalls war die hübsche, aufreizende Astiza - meine
Beinahe-Mörderin, Dienerin und ägyptische Priesterin -
mit meinem Feind Silano vom Ballon in den Nil gestürzt.
Seither versuche ich verzweifelt, etwas über ihr Schicksal zu
erfahren, doppelt neugierig geworden, nachdem die letzten
Worte meines Feindes an Astiza lauteten: »Du weißt, dass
ich dich noch immer liebe!« Das ist wahrlich dazu angetan,
nachts in sämtlichen Ecken des Verstandes herumzugeistern.
Wie standen sie nun wirklich zueinander? Um das herauszufinden,
war ich damit einverstanden gewesen, dass der verrückte
Engländer Sir Sidney Smith mich in Palästina an
Land setzte, knapp vor Bonapartes Invasionsarmee, um
Nachforschungen anzustellen. Dann führte eins zum anderen,
und nun stand ich da vor tausend Gewehrmündungen.
»Feuer!«
Doch bevor ich Ihnen erzähle, was passierte, als die Musketen
aufblitzten, sollte ich vielleicht zu der Stelle zurückkehren,
an der meine erste Geschichte aufhörte, Ende Oktober
1798, als ich an Deck der britischen Fregatte Dangerous, die
mit geblähten Segeln und aufschäumender Bugwelle auf das
Heilige Land zupflügte, in der Falle saß. Wie munter das alles
war, englische Banner flatterten, stämmige Matrosen zogen
mit rauen Gesängen an ihren starken Hanfleinen, steife
Offiziere mit Zweispitzen schritten das Achterdeck ab, und
strotzende Kanonen wurden von der Gischt des Mittelmeeres
wie mit Tau überzogen. Kleine Tropfen trockneten zu
Salzsternen aus. Mit anderen Worten, es war genau die Art
militanter, männlicher Raubzug, den ich zu verachten gelernt
hatte, nachdem ich nur knapp dem wirbelnden Angriff
eines Mameluckenkriegers in der Schlacht bei den Pyramiden,
der Explosion der L'Orient in der Schlacht am Nil und
einem heimtückischen arabischen Schlangenanbeter namens
Achmed bin Sadr entkommen war, den ich zu guter
Letzt verdient in die Hölle geschickt hatte. Ich war nach den
flotten Abenteuern etwas außer Atem und wäre nur zu gern
in die Heimat nach New York geeilt, um eine nette Stellung
als Buchhalter oder Textilienhändler anzutreten, oder vielleicht
als Anwalt, der sich mit öden Testamenten in den
Händen schwarz gekleideter Witwen und unreifer, unwürdiger
Nachkommen beschäftigt. Ja, ein Schreibpult und verstaubte
Hauptbücher - das ist das Leben für mich! Doch Sir
Sidney wollte davon nichts wissen. Schlimmer noch, ich hatte
endlich kapiert, was mir in dieser Welt am Herzen lag: Astiza.
Ich konnte wohl kaum eine Passage in die Heimat buchen,
ohne herauszufinden, ob sie ihren Sturz mit dem
Halunken Silano überlebt hatte, und ob ich sie irgendwie retten
konnte.
Das Leben war einfacher, als ich noch keine Prinzipien
hatte.
Smith war aufgeblasen wie ein türkischer Admiral, Pläne
brauten sich in seinem Hirn zusammen wie ein herannahender
Sturm. Man hatte ihm die Aufgabe übertragen, den Türken
und ihrem osmanischen Reich zu helfen, das weitere
Vordringen der Armeen Bonapartes von Ägypten nach
Syrien zu vereiteln. Denn der junge Napoleon hoffte, sich
selbst ein östliches Imperium zu erkämpfen. Sir Sidney
brauchte Verbündete und Spione, und nachdem er mich aus
dem Mittelmeer gefischt hatte, teilte er mir mit, es wäre zu
unser beider Vorteil, wenn ich mich seiner Sache anschlösse.
Zu versuchen, nach Ägypten zurückzukehren und mich
den wütenden Franzosen allein zu stellen, sei verwegen, stellte
er nüchtern fest. Ich könne von Palästina aus Nachforschungen
über Astiza anstellen, während ich gleichzeitig die
unterschiedlichen Sekten einschätzte, die man vielleicht hinter
sich bringen könnte, um Napoleon zu bekämpfen. »Jerusalem!
«, hatte er ausgerufen. War er verrückt? Diese halb
vergessene Stadt, ein osmanisches Provinznest, verkrustet
von Dreck, Geschichte, religiösen Fanatismen und Krankheit,
hatte allen Berichten zufolge nur überlebt, weil es den
gläubigen und leicht zu täuschenden Pilgern dreier Glaubensrichtungen
Pflichttourismus aufgenötigt hatte. Für einen
englischen Ränkeschmied und Krieger wie Smith hatte
Jerusalem jedoch den Vorteil, ein Schmelztiegel der komplizierten
Kultur Syriens zu sein, ein polyglotter Bau mit Muslimen,
Juden, Griechisch-Orthodoxen, Katholiken, Drusen,
Maroniten, Matuwelli, Türken, Beduinen, Kurden und Palästinensern,
und alle erinnerten sich an Kränkungen, die sie
vor vielen Tausend Jahren von den anderen erfahren hatten.
Offen gesagt, ich hätte mich nie näher als hundert Meilen
an den Ort herangewagt, wäre nicht Astiza davon überzeugt
gewesen, dass Moses ein heiliges Buch uralter Weisheit
aus dem Bauch der Großen Pyramide gestohlen und seine
Nachfahren es nach Judäa gebracht hatten. Das bedeutete,
wenn man es suchen wollte, wäre Jerusalem der geeignetste
Ort. Bisher bedeutete dieses Buch des Thoth, vielmehr die
Gerüchte darüber, nichts als Ärger. Doch wenn es wirklich
den Schlüssel zur Unsterblichkeit und zur Herrschaft über
das Universum enthielt, konnte ich es wohl kaum abhaken,
oder? Jerusalem ergab tatsächlich einen abwegigen Sinn.
Smith hielt mich für einen zuverlässigen Komplizen, und
wir hatten tatsächlich eine Art Bündnis geschlossen. Ich hatte
ihn in einem Zigeunerlager kennengelernt, nachdem ich
Najac angeschossen hatte. Der Siegelring, den er mir gegeben
hatte, war meine Rettung vor dem Strick an der Rahnock,
als ich nach dem Spektakel am Nil vor Admiral Nelson
gezerrt wurde. Und Smith war ein echter Held, der
französische Schiffe verbrannt hatte und aus einem Pariser
Gefängnis entkommen war, indem er einer seiner früheren
Bettgenossinnen aus einem vergitterten Fenster ein Zeichen
gegeben hatte. Nachdem ich einen Pharaonenschatz aus der
Großen Pyramide mitgenommen, ihn wieder verloren hatte,
um nicht zu ertrinken, und einen Ballon von meinem
Freund und Gelehrtenkollegen Nicolas-Jacques Conté gestohlen
hatte, war ich ins Meer gestürzt und hatte mich nass
und mittellos auf dem Achterdeck der Dangerous wiedergefunden.
Das Schicksal brachte mich erneut leibhaftig mit Sir
Sidney zusammen, und ich war den Briten ebenso auf Gedeih
und Verderb ausgeliefert wie zuvor den Franzosen. Meine
eigenen Gefühle - dass ich genug hatte von Krieg und
Schatzsuche und gern in die Heimat nach Amerika zurückgekehrt
wäre - wurden unbekümmert ignoriert.
»Während Sie also vom syrischen Palästina aus Nachforschungen
über diese Frau anstellen, an der Sie Gefallen gefunden haben,
Gage, können Sie auch bei den Christen und
Juden vorfühlen, ob sie Widerstand gegen Bonaparte leisten
würden«, sagte Smith. »Es kann sein, dass sie sich auf die Seite
der Franzmänner stellen, und wenn er eine Armee hier
entlang führt, brauchen unsere türkischen Verbündeten jede
Hilfe, die sie kriegen können.« Er legte mir den Arm um die
Schulter. »Sie sind genau der Richtige für diese Arbeit, schätze
ich: klug, umgänglich, entwurzelt, ohne jegliche Skrupel
und ohne Glauben. Die Menschen erzählen Ihnen etwas,
Gage, weil ihnen klar ist, dass es ohne Folgen bleibt.«
»Das liegt nur daran, dass ich Amerikaner bin, kein Brite
oder Franzose ...«
»Genau. Perfekt für unsere Zwecke. Djezzar wird beeindruckt
sein, dass sich sogar ein so oberflächlicher Mann wie
Sie beteiligt.«
Djezzar, dessen Name »der Schlächter« bedeutete, war der
anerkannt grausame und despotische Pascha in Akko, auf
den die Briten angewiesen waren, um Napoleon zu bekämpfen.
Entzückt, dessen war ich mir sicher.
»Aber mein Arabisch beschränkt sich nur auf das Nötigste,
und über Palästina weiß ich nichts«, machte ich ihm klar.
»Kein Problem für einen Agenten mit Verstand und Mut
wie Sie, Ethan. Die Krone hat einen Verbündeten in Jerusalem
mit dem Decknamen Jericho, ein Schmied, der früher
einmal in unserer Marine gedient hat. Er kann Ihnen helfen,
nach dieser Astiza zu suchen und für uns zu arbeiten. Er hat
Kontakte in Ägypten! Sie benötigen nur wenige Tage Ihrer
schlauen Diplomatie, eine Gelegenheit, in die Fußstapfen
von Jesus Christus persönlich zu treten, und schon sind Sie
wieder zurück, nur mit Staub an den Stiefeln und einer heiligen
Reliquie in der Tasche, und Ihre anderen Probleme sind
gelöst. Wirklich ganz vorzüglich, wie sich eins ins andere
fügt. Unterdessen werde ich Djezzar helfen, die Verteidigung
von Akko vorzubereiten, für den Fall, dass Boney, wie Sie
sagten, nach Norden marschiert. Im Nu werden wir beide
strahlende Helden sein, die in London öffentlich gefeiert
werden!«
Sobald man von jemandem Komplimente und Wörter
wie »vorzüglich« hört, ist es höchste Zeit, die Geldbörse in
Sicherheit zu bringen. Aber bei Bunker Hill, ich war neugierig
auf das Buch des Thoth, und die Erinnerung an Astiza
quälte mich. Ihr Opfer, um mich zu retten, war der
schlimmste Augenblick meines Lebens - um ehrlich zu sein,
noch schlimmer als der Moment, in dem meine geliebte
Pennsylvania-Langbüchse explodierte -, und das Loch in
meinem Herzen war so groß, dass man eine Kanonenkugel
hätte hindurchschießen können, ohne etwas zu verletzen.
Ein guter Satz, den man gegenüber einer Frau verwenden
könnte, dachte ich, und ich wollte ihn an Astiza ausprobieren.
Natürlich sagte ich also »Ja«, das gefährlichste Wort in
jeder Sprache.
»Was mir fehlt, sind Kleidung, Waffen und Geld«, stellte
ich fest. Das Einzige, was ich von der Großen Pyramide hatte
behalten können, waren zwei kleine goldene Seraphim,
kniende Engel, von denen Astiza behauptete, sie stammten
von Moses' Stab. Ich hatte sie ziemlich unrühmlich in meine
Unterhose gesteckt. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, sie
zu versetzen, doch sie hatten einen sentimentalen Wert angenommen,
obwohl sie der Grund waren, warum ich michhin und wieder kratzen
musste. Wenigstens waren sie eine Reserve aus kostbarem Metall, die ich lieber nicht offenlegte.
Sollte Smith mir doch einen Zuschuss geben, wenn er so
erpicht darauf war, mich anzuwerben.
»Ihr Geschmack für arabische Lumpen ist perfekt«, sagte
der britische Geschwaderkommandeur. »Und Sie haben eine
ziemlich dunkle Hauttönung angenommen, Gage. Fügen
Sie in Jaffa einen Umhang und einen Turban hinzu, und Sie
werden als Einheimischer durchgehen. Was eine englische
Waffe betrifft, die könnte Ihnen ein türkisches Gefängnis
einbringen, wenn man Sie der Spionage verdächtigt. Ihr Verstand
wird Sie vor Schaden bewahren. Was ich Ihnen leihen
kann, ist ein kleines Fernrohr. Es ist vorzüglich scharf und
genau das Richtige, um Truppenbewegungen auszumachen.«
»Sie vergaßen das Geld.«
»Die Vergütung der Krone wird mehr als angemessen sein.«
Er reichte mir eine Geldbörse mit ein paar Silber-, Messing-
und Kupfermünzen: spanische Reals, osmanische Piaster,
eine russische Kopeke und zwei holländische Rixdollar.
Regierungsbudgetierung.
»Damit kann ich mir kaum ein Frühstück kaufen!«
»Ich kann Ihnen kein Pfund Sterling geben, Gage, das
würde Sie im Nu verraten. Sie sind doch ein Mann mit Einfällen,
oder? Strecken Sie das, was Sie haben! Der Himmel
weiß, dass die Admiralität es auch so hält!«
Schön, sagte ich mir, meinen Einfallsreichtum könnt ihr
sofort haben, und ich fragte mich, ob ich mir mit den Besatzungsmitgliedern,
die gerade keinen Dienst hatten, die Zeit bei einem
freundschaftlichen Kartenspiel vertreiben könnte.
Als ich bei Napoleons Ägyptenfeldzug als Gelehrter noch
hoch im Ansehen stand, hatte ich die Wahrscheinlichkeitsgesetze
gern mit berühmten Mathematikern wie Gaspard
Monge und dem Geografen Edme François Jomard diskutiert.
Sie hatten mich ermutigt, systematischer über Gewinnchancen
und den Hausvorteil nachzudenken und an meiner
spielerischen Geschicklichkeit zu feilen.
»Vielleicht kann ich Ihre Männer für ein Glücksspiel gewinnen?«
»Hach! Seien Sie auf der Hut, dass die Sie nicht völlig ausnehmen!«
Copyright der Originalausgabe © 2008 by William Dietrich
Published by arrangement with HarperCollins Publishers, LLC
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2009 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Übersetzung: Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol
Umschlaggestaltung: zeichenpool, München
Umschlagmotiv: © Shutterstock
Druck und Bindung: CPI Moravia Books s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-86800-890-6
2014 2013 2012 2011
Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Ausgabe an.
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: William Dietrich
- 2011, 1, 527 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386800890X
- ISBN-13: 9783868008906
Kommentar zu "Der Stein der Pharaonen"
0 Gebrauchte Artikel zu „Der Stein der Pharaonen“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Der Stein der Pharaonen".
Kommentar verfassen