Der Tag danach
Was passiert, wenn ein Einschnitt alle Gewissheiten hinwegfegt und die Lebenspläne durchkreuzt? Zahlreiche Prominente wie Herbert Grönemeyer, Egon Bahr u.v.a.m. haben dem Autor in sehr persönlichen Gesprächen ihren "downfall" geschildert.
Was passiert, wenn ein Einschnitt alle Gewissheiten hinwegfegt und die Lebenspläne durchkreuzt? Zahlreiche Prominente wie Herbert Grönemeyer, Egon Bahr u.v.a.m. haben dem Autor in sehr persönlichen Gesprächen ihren "downfall" geschildert.
Wut. Mut. Wehmut: 35 Geschichten von einem neuen Anfang.
Sie sind dem Tod entkommen, sie stürzten durch historische Umwälzung oder politische Intrige, sie verloren Macht oder einen geliebten Menschen, sie fanden über Nacht ihr Glück, und danach begann ein neues Leben. Am »Tag danach« ist nichts gewesen, wie es am Tag zuvor noch war. Michael Jürgs erkundet am Beispiel biografischer Brüche von Prominenten wie von Normalbürgern Gefühle und Gedanken nach einer lebensverändernden Erfahrung. Namen wie Rudolf Scharping, Rainer Barzel, Gabriele Henkel, Thomas Haffa, Ron Sommer, Katrin Krabbe, Björn Engholm, Joachim Gauck, Lothar de Maizière, Frank Elstner stehen für viele - insgesamt werden es 35 verschiedene Menschen sein -, an deren Beispiel der Autor den Tag danach erzählt. Die Zeit muss vergehen, bevor über solche Zeiten geredet werden kann. Wie lebt es sich mit dem neuen nach dem abrupten Ende des alten Lebens? Ein Buch, das die Gefühle nach entscheidenden Momenten im Leben hinterfragt und dabei unsentimental bleibt.
Michael Jürgs hat mit bekannten Persönlichkeiten über dramatische Brüche in ihrem Leben gesprochen. Gespräche über Macht und Ohnmacht, Liebe und Tod. Ein bewegendes Zeitdokument über Erlebnisse und Emotionen.
Wut. Mut. Wehmut: 35 Geschichten von einem neuen Anfang.
Sie sind dem Tod entkommen, sie stürzten durch historische Umwälzung oder politische Intrige, sie verloren Macht oder einen geliebten Menschen, sie fanden über Nacht ihr Glück, und danach begann ein neues Leben. Am "Tag danach" ist nichts gewesen, wie es am Tag zuvor noch war. Michael Jürgs erkundet am Beispiel biografischer Brüche von Prominenten wie von Normalbürgern Gefühle und Gedanken nach einer lebensverändernden Erfahrung. Namen wie Rudolf Scharping, Rainer Barzel, Gabriele Henkel, Thomas Haffa, Ron Sommer, Katrin Krabbe, Björn Engholm, Joachim Gauck, Lothar de Maizière, Frank Elstner stehen für viele - insgesamt werden es 35 verschiedene Menschen sein -, an deren Beispiel der Autor den Tag danach erzählt. Die Zeit muss vergehen, bevor über solche Zeiten geredet werden kann. Wie lebt es sich mit dem neuen nach dem abrupten Ende des alten Lebens? Ein Buch, das die Gefühle nach entscheidenden Momenten im Leben hinterfragt und dabei unsentimental bleibt.
Michael Jürgs hat mit bekannten Persönlichkeiten über dramatische Brüche in ihrem Leben gesprochen. Gespräche über Macht und Ohnmacht, Liebe und Tod. Ein bewegendes Zeitdokument über Erlebnisse und Emotionen.
"Der hierzulande vielleicht vielseitigste und beste Sachbuchautor." - Süddeutsche Zeitung
"Ein Buch, das sich den Gefühlen ganz besonderer Momente im Leben stellt." - WDR 5
Der Tag danach von Michael Jürgs
LESEPROBE
Örtlichbetäubt
Prolog. Jeder Mensch reagiert auf seine besondere Weise, wenn
auf einmalnichts mehr so ist, wie es gestern noch war. Es gibt für
solcheWendepunkte im Leben keine Formeln, es gibt keine Regeln,
es gibtauch keine Erfahrungen von anderen, denen so etwas
schonpassiert ist, mit denen sich etwas anfangen ließe in dem
Moment, wennes einem selbst passiert.
Die Tagedavor sind einfacher zu beschreiben, denn an denen
ist etwasBestimmtes geschehen, und das lässt sich an Fakten und
Menschenentlang beschreiben: Wenn das Gerüst, das ihre Welt
zusammenhielt,zerbricht und sich ihr Innerstes nach außen
kehrt. Wennsichtbar wird, was bisher verborgen war: Gefühle.
Wunden.Narben. Stimmungen.
Die einennehmen als Zufall, was ihnen widerfährt, und die
anderennur als Unfall. Manche fallen um und stehen nie wieder
auf.Manche stehen danach aufrecht wie noch nie,obwohl sie gebrochen
schienen.Manche schütteln sich nur kurz und machen
ungebrocheneinfach weiter, als sei nichts geschehen. Manche
nutzen dieChance, endlich das zu leben, was sie bislang nur
träumten.
Tage, diedas Leben verändern: Es gibt sie bei allen Menschen,
beiprominenten und bei nicht prominenten. Weil sich an solchen
Tagenetwas Entscheidendes ereignete, bleiben sie unvergesslich.
Die Gründekönnen manchmal an wichtigen, manchmal sogar an
historischenEreignissen festgemacht sein, die bei allen im kollektiven
Bewusstseinverankert sind. Bei Erich Loest war es im Mai
1945 dasKriegsende und bei Marius Müller-Westernhagen der
11. September 2001, als in New York das World TradeCenter in
Flammenaufging. Die Gründe können aber auch so persönlich
und sobanal sein, dass sich die Betroffenen scheuen, darüber zu
reden.
Bei einemMann war es der überraschende Moment, als ihm
nachts inder Hotelbar eine Frau sagte, dass seine Zeit bei ihr abgelaufen
sei. Beieiner Frau war es der Moment, als sie nach einer
kurzenReise erfuhr, dass der Mann ihres Lebens genau während
ihrerAbwesenheit seiner Krankheit erlegen war.
An einemsolchen Tag stirbt eine Liebe, und an einem solchen
Tag endetein Leben. An einem solchen Tag zerbricht eine große
Karriere,und an einem solchen Tag beginnt ein kleines Glück. An
einemsolchen Tag verliert ein Mächtiger sein Amt, und an einem
solchenTag beginnt ein bislang Ohnmächtiger seinen Weg nach
oben. Werso einen Tag erlebt, wird sich bis ans Ende aller Tage
daranerinnern.
Wastatsächlich mit ihnen geschehen ist, wird den Betroffenen
oft erstam Tag danach bewusst. Das ergeht bekannten eben so wie
normalenMenschen - wenn sie der Schock langsam verlässt,
wennTrauer über einen toten Geliebten oder eine geliebte Tote
sieniederdrückt, wenn sie eine große Freude sprachlos macht,
wenn sieaus der alltäglich gewohnten Bahn geworfen sind und
nichtwissen, wohin das, was man Schicksal nennt, sie schleudern
wird, oderwenn sie sich so leicht fühlen wie eine der weißen
Wolken,die sie bislang nicht wahrgenommen haben.
Soverschieden sie auch sind, die Tage danach - was sie auslöste,
lässt sichbeschreiben: Tod, Liebe, Krankheit, Niederlage, Sieg.
Aber jederMensch erlebt sie anders, ein jeder geht anders mit ihnen
um, einjeder verarbeitet und verkraftet sie auf seine ganz eigene
Art.
Ich musstemich bei der Suche nach den Bruchstellen im Leben
vonjedermann bekannten und nur mir bekannten Menschen
auf eineReise ins Ungewisse und ins Ungefähre begeben. Ich
mussteherausfinden, was sie vor mir - und vor sich selbst? - verbargen.
Ich mussteentdecken, wo sie ihre Brüche versteckt hat-
ten. Ichmusste ihnen glauben, was sie mir erzählten, selbst dann,
wenn esmir unglaublich schien - ja: unglaubwürdig. Es ging
nicht wiebei meinen sonstigen Recherchen in deutschen Biografien
darum, wasich für wesentlich hielt. Es ging darum, was die
Befragtenfür wesentlich hielten und was ihnen wichtig war. In
fast allenFällen war deshalb der Tag, von dem mir meine Gesprächspartner
erzählten,ein ganz anderer als der, den ich bei
ihnenvermutet hatte und den ich hinterfragen wollte.
Es gingauch nicht um Schuld oder Sühne, es ging um Gefühle
wie Racheund Versöhnung, Liebe und Lust, Freude .und Trauer,
Wehmut undWut. Die Frage an einst Mächtige zum Beispiel, egal
ob in derWirtschaft oder in der Politik, wer schuld daran war an
dem, wasihnen passierte, und ob es ihre eigene Schuld gewesen
seinkönnte und ob sie hätten verhindern können, was geschah,
oder obsie nichts Besseres verdient hatten als beispielsweise den
Sturz vonder Macht oder die Entlassung, sollen andere beantworten
- oder sieselbst für sich.
Das alleinwäre schon spannend genug, aber ich wollte nicht
nur etwaserfahren von Trauer und von Tod, von Niederlagen und
vonVerlusten. Ich suchte ebenso nach heiteren, nach leichten
Momenten, nachdenen ein neues Leben begann. Ich suchte nicht
nurTragödien, sondern Komödien. Auch absurd und ein bisschen
schrägdurfte der Tag danach gern mal sein.
DerMilliardär Konrad Henkel machte einst in den fünfziger
Jahren desvergangenen Jahrhunderts monatelang der schönen
TochterGabriele des Chefarztes vom Düsseldorfer Marienhospital
ganzaltmodisch den Hof. Es gab prächtigere Kerle als ihn, aber
in seinerscheuen Art hat er ihr Herz berührt, und durch seine
Schüchternheithat er es gewonnen an einem bestimmten Tag. In
Berlinhatten sie eine Ausstellung besucht, Gabriele Hünermann
und KonradHenkel. Sie übernachteten in einer Pension am Kurfürstendamm,
selbstverständlichin getrennten Zimmern. Am
Morgenklopfte er an ihre Tür, und als sie ihn hereinbat, küsste er
sie aufdie Wange. Mehr nicht.
Doch fürihn war der Kuss entscheidend.
Nun müsseer wohl, verkündete er auf dem Rückflug nach
Düsseldorf,mit ihren Eltern reden. Denn in jenen Zeiten hatte
noch alleseine gewisse Ordnung zu haben und so was Irrationales
wie Liebeerst recht. Und tatsächlich, am Tag darauf klingelte er an
ihremElternhaus. In der Aktentasche, die er bei sich trug, hatte er
eineFlasche Champagner, denn er habe ja nicht wissen können,
erzählteer mal, ob in einem Medizinerhaushalt so was vorrätig
war imFalle eines Falles wie diesem. Also für einen Fall, auf den es
anzustoßengalt, falls der Hausherr sein Anliegen hoffentlich absegnete.
DamitDoktor Hünermann außerdem prüfen konnte, ob er in
der Lagesei, Gabriele Hünermann zu ernähren, hatte der Chemiker
sogarseinen Anstellungsvertrag der Firma mitgebracht, die
Henkelhieß wie er, die aber noch sein Bruder Jost leitete und die
er erstübernahm, als der überraschend starb. Gabrieles Vater
nickte undstieß mit Konrad Henkel an, als dieser ihn förmlich
um dieHand seiner Tochter bat.
Sie selbsthat er übrigens nie gefragt.
DieKünstlerin Gabriele Henkel hat einen »privathistorischen
Moment« inErinnerung behalten. Nach einer ihrer Installationen,
für diesie ebenso berühmt ist wie für ihre phantastischen
Tischdekorationen,folgte sie 1991 dem Rat ihres Freundes Bob
Wilson.Der Theatermagier sagte ihr, man müsse am Tag nach einer
Premierestets abreisen, ganz egal wohin. Sie entschied sich für
Venedig.Dort fand ein Kultursymposium statt, und bei Tisch saß
ihr derdamalige Leiter der ZDF-Kultursendung »aspekte«, Johannes
Willms,gegenüber. »Menschen begegnen einander, und
eine niebewusst gesäte Saat geht auf«, erklärte sie mir. Am nächsten
Tagbesuchten Henkel und Willms die Frari-Kirche, wo sie
TiziansAltarbild »Himmelfahrt Mariä« bewunderten. Das sei ihr
Tag danachgewesen, sagt sie, denn »Zufälle gibt es nicht im Leben
«.
DieSpurensuche nach bestimmten Tagen im Leben bestimm-
terMenschen war ein spannendes Abenteuer. Am Ende traf ich
sogar michselbst. Viele haben mir auf meiner Reise in deutsche
Biografienvon ihrem Tag danach erzählt, und alle hatten sie eine
ganzbesondere Geschichte zu erzählen. Eine vom Tod und eine
vomAbschied, eine von Macht und eine vom Machtverlust, eine
vom Glückund eine von der Liebe, eine vom Ruhm und eine
vomErfolg.
Wie eshalt so ist.
Ich hörteihnen zu, und ich fragte nach. Ich hörte auf zu reden,
wenn sieanfingen zu weinen. Ich schrieb auf, was sie erzählten,
und ichlas nach, wie es anderen ergangen war.
In derTraueranzeige von Herbert Grönemeyer für seine Frau,
die vomKrebs besiegt worden war, hatte ich gelesen: »Dein Verlust
sprengtalle Dimensionen, Werte, Phantasien. Der Schmerz ist
Wüste vollbrutalster Wucht«,womit er in hilflos großen Worten
sagte,dass manche Liebe stärker sein kann als der Tod. In einem
»stern«-Gesprächmit Roger Willemsen, der auch an die alles besiegende
Macht derLiebe glaubt, bekannte Grönemeyer Monate
später,seinen Tag danach noch immer nicht gefunden zu haben:
»Ichversuche nach wie vor das Leben zu erkennen, aber es ist alles
auf nullgebracht, wenn nicht auf unter null.«
Die sichin ihren Freuden der Pflicht stets verhaspelnde Heide
Simonisfühlte sich am 18. März 2005, dem Tag nach der verlorenen
Abstimmungim Kieler Landtag, gleichfalls unter null, wenn
auch ausanderen Gründen als Grönemeyer. Sie kam sich vor wie
»durch dieMangel gedreht«.Weil sie aber beseelt war davon, den
zuentlarven, der ihr »das Messer in den Rücken« gestoßen hatte,
fand sieauch vier Wochen danach - wie sie in der »Zeit« bekannte
- nochkeine Zeit, sich mit ihrem Seelenheil zu beschäftigen. Sie
begriffdie Niederlage nicht als Ende einer Dienstfahrt, sondern
als»Schuss aus dem Hinterhalt«.
Sie warörtlich betäubt.
Als siesich noch auf der Seite wähnte, wo die Sieger stehen,
nahm siemögliche Niederlagen in der Theorie gelassen hin.
HeideSimonis gab sich staatstragend, eine Eigenheit, die Teil ihres
Wesensgeworden war, hatte sie doch zwölf Jahre lang als Ministerpräsidentin
vonSchleswig-Holstein den Küstenstaat auf ihren
Schulterngetragen. In einem Beitrag für das Monatsmagazin »Cicero
«,erschienen ein knappes Jahr vor ihrem politischen Aus, fand
sie übereinen in weiter Ferne liegenden Tag danach weise Worte:
»Und danngeht es irgendwann ratzfatz, von jetzt auf gleich, und
wer vorhernie einen Termin freihatte, der steht plötzlich vor einem
großenfreien Kalender mit leeren Tagen und fragt sich: Was
soll ichdenn heute und morgen überhaupt machen?«
Und dannüberfiel sie aus heiterem Himmel der Tag, an dem
sie sichgenau dieser Frage stellen musste. Obwohl sie über andere
ihrerBranche gelästert hatte - Kohl, Teufel, Biedenkopf -, die
man habevom Stuhl kratzen müssen, weil sie so fest an dem klebten,
konnteauch sie nicht loslassen, antwortete in der ARD-Sendung
»Beckmann«auf eine entsprechende Frage empört über die
Zumutung,Carstensen das Amt zu überlassen: »Und was wird
dann ausmir?« Sie hatte sich eben doch nur durch das definiert,
was siedarstellte.
Es ergingihr nicht anders als vielen vor ihr, die sich plötzlich
unter denVerlierern fanden. In solchen Momenten mischen sich,
wie beiHerrn und Frau Jedermann, Wut und Zorn und Rachedurst
undApathie und Depression und Schuldgefühle.
Die Machtsei wie eine Frau, mit der man jede Nacht schlafen
will,beschrieb ein mächtiger Mann seine politische Leidenschaft.
Es warnicht Gerhard Schröder, es war nicht Joschka Fischer, es
war nichtHelmut Kohl. Ein Manager erkannte, ebenso banal, dass
immer dieden tiefsten Fall tun, die von ganz oben kommen.
Trauerndesollten selbst bestimmen, steht in einem der vielen Bücher,
die Hilfeanbieten für Hilflose, wann sie über den erlittenen
Verlust, welcherArt auch immer der war, reden wollen und wie
lange sieschweigen wollen und ob sie überhaupt je darüber reden
wollen.
© Verlagsgruppe Random House
- Autor: Michael Jürgs
- 2005, 4, 365 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 3570008290
- ISBN-13: 9783570008294
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
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