Die Begabte / Night Academy Bd.1
Dancia Lewis ist alles andere als beliebt, und das liegt nicht daran, dass sie uncoole Kleidung trägt. Dancia will so wenig wie möglich auffallen, um ihr Geheimnis für sich zu bewahren: Immer wenn jemand einen Menschen bedroht, der ihr...
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Produktinformationen zu „Die Begabte / Night Academy Bd.1 “
Dancia Lewis ist alles andere als beliebt, und das liegt nicht daran, dass sie uncoole Kleidung trägt. Dancia will so wenig wie möglich auffallen, um ihr Geheimnis für sich zu bewahren: Immer wenn jemand einen Menschen bedroht, der ihr wichtig ist, passiert es einfach! Autos geraten ins Schleudern, Gebäude brechen zusammen - und meist wird jemand verletzt. Doch als ihr ein Stipendium an der berühmten Delcroix Academy angeboten wird, gerät Dancias Leben völlig aus der Bahn. Was soll sie an dieser Schule für Genies? Und wie kommt es, dass sogar der umschwärmte Cam sich für sie zu interessieren scheint? Aber da ist auch noch Jack, der davon überzeugt ist, dass an der Delcroix Academy nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Er und Dancia versuchen, hinter das Geheimnis der Schule zu kommen.
Klappentext zu „Die Begabte / Night Academy Bd.1 “
Dancia Lewis will so wenig wie möglich auffallen, um ihr Geheimnis für sich zu bewahren: Immer wenn jemand einen Menschen bedroht, der ihr wichtig ist - passiert es einfach! Autos geraten ins Schleudern, Gebäude brechen zusammen - und meist wird jemand verletzt. Als ihr ein Stipendium an der berühmten Night Academy angeboten wird, gerät Dancias Leben völlig aus der Bahn. Was soll sie an dieser Schule für Genies? Und wie kommt es, dass sogar der umschwärmte Cam sich für sie zu interessieren scheint? Aber da ist auch noch Jack, der davon überzeugt ist, dass an der Night Academy nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Er und Dancia versuchen, hinter das Geheimnis der Schule zu kommen -
Lese-Probe zu „Die Begabte / Night Academy Bd.1 “
Night Academy - Die Begabte von Inara ScottProlog
Der Mann hatte schulterlanges, fettiges Haar, um seinen prallen Bauch spannte sich ein fleckiges, weißes T-Shirt. Schon von Weitem roch es nach verfaultem Obst, als er sich dem Aufnahmetresen in einer Ecke des überfüllten Wartebereichs näherte. Etwas an ihm beunruhigte mich, vielleicht der wilde Ausdruck in seinen Augen oder das zitternde Kinn. Ich sah zu meiner Oma, doch die war ganz in ein Gespräch mit jemandem vertieft, der fast genauso alt und blind war wie sie selbst.
»Ihr habt sie umgebracht. Ihr habt sie umgebracht.« Der erste Satz war noch leise und zaghaft, doch dann wurde der Mann immer lauter. Und zog aus einem speckigen Rucksack eine Pistole.
Ich erstarrte. Oma brach mitten im Satz ab und sah fassungslos auf die glänzende Waffe, die sich auf uns richtete. In meinen Ohren begann das Rauschen, übertönte alle anderen Geräusche. Und als ich aufsprang, spürte ich das vertraute Kribbeln bis in die Fingerspitzen.
1
... mehr
»Dancia!«
Ich zog die Kopfhörer runter und lauschte in der Hoffnung, es wäre nur der Fernseher und nicht Oma gewesen. Auf der Uhr war es Viertel nach zehn, eigentlich saß sie um diese Zeit vorm Fernseher, denn da lief Der Preis ist heiß.
Doch beim nächsten Mal war das Rufen noch näher. »Dancia, kannst du bitte mal kommen? Du hast Besuch.«
Noch immer dröhnte die Musik aus den Kopfhörern, ich beugte mich über meinen silbernen Uralt-CD-Player und drosselte die Lautstärke. Bestimmt hatte ich mich bloß verhört. Wer sollte mich schon besuchen? Mich, Dancia Lewis, das unglaublich unsichtbare Mädchen? Ausgeschlossen.
Als ich die Zimmertür aufriss, erwartete ich also eher, dass meine winzige Oma eine der Nachbarkatzen zu Gast hatte. Doch weit gefehlt: Zwei gut gekleidete Fremde saßen auf unserer Wohnzimmercouch, drehten sich völlig synchron nach mir um und erhoben sich dann mit einem Lächeln.
Am liebsten hätte ich die Tür gleich wieder zugeschmissen.
Vor mir stand ein Teenager mit unglaublich dichtem kastanienbraunem Haar, schokoladenfarbenen Augen und einem markanten Kinn - bislang hatte ich ja gedacht, nur die Reklametypen hätten ein Abo darauf. Er trug eine Khakihose und dazu ein weißes Hemd - typische Privatschülerkluft, nur dass es bei ihm einfach total scharf aussah.
Der Mann neben ihm hatte schwarzes Haar, die Schläfen allerdings waren vollkommen weiß und die Augen so unfassbar blau wie das karibische Meer. Nicht, dass ich jemals dort gewesen wäre, aber man hätte seine Augen herausschneiden und direkt in einen Werbeprospekt für die Bahamas kleben können.
Ich hingegen wirkte, als könnte ich nicht mal eine Waschmaschine bedienen. Auf meiner kurzen Sporthose klebte noch die Erdbeermarmelade vom Frühstück, mein verknittertes graues T-Shirt sah aus, als hätte ich darin geschlafen (hatte ich auch), und die Krempe meiner Seattle-Mariners-Baseballkappe zierte ein dunkler Schmutzring.
Oma zuckte förmlich zusammen, als sie mein Outfit in Augenschein nahm. Ihr Geschmack geht in Richtung Samttrainingsanzüge, also kümmere ich mich meist nicht so um ihre Meinung, doch diesmal musste ich ihr recht geben.
Mit einer schnellen Handbewegung riss sie mir die Baseballkappe vom Kopf, sofort sprangen meine Locken in alle Himmelsrichtungen. Automatisch strich ich mir das Haar glatt, dabei hätte ich doch allmählich wissen müssen, dass es hoffnungslos ist. Ich gebe mir die größte Mühe, nicht aufzufallen, aber gegen mein Haar komme ich nicht an. Es ist hellblond und superlockig. Ziemlich auffällig. Marke Blonder Afro, wenn euch das was sagt. Einmal habe ich sogar versucht, es zu färben, aber färbe mal trockenes, krauses Haar. Kein schöner Anblick.
Oma zerrte mich die drei Meter von meinem Zimmer zur Couch. »Das ist meine Enkelin, Dancia Lewis«, sagte sie stolz.
»Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Dancia. Ich bin Richard Judan. Ich bin auf der Night Academy für die Anwerbung von Schülern zuständig.« Der Ältere der beiden trat vor und schüttelte mir die Hand. Er hatte die warme, tiefe Stimme eines Politikers oder Nachrichtensprechers.
»Night Academy?«, plapperte ich wie ein dummer Papagei.
Die Night Academy ist eine stinkvornehme Privatschule am Stadtrand von Danville, wo auch Oma und ich wohnen. Bis nach Seattle sind es circa 130 km; zu weit zum Pendeln, aber angeblich kaufen manche sich ein Haus zwischen Seattle und Danville, nur damit sie in Seattle arbeiten und ihre Kinder auf die Night Academy schicken können. Denn mal im Ernst, wer würde schon freiwillig in Danville wohnen?
Die Schule liegt auf einem Hügel, von dem aus man unsere ganze Stadt überblicken kann. Rings um die ausgedehnten Rasenflächen, die selbst im Sommer noch grün sind, wenn sonst alles in Danville verkümmert, zieht sich ein Zaun aus Schmiedeeisen. Riesige Tore öffnen sich ausschließlich für die Busse, die die Schüler zur Schule bringen und wieder abholen. Man muss den Wagen auf einem gesonderten Parkplatz am Fuß des Hügels abstellen und den Bus hinauf nehmen, selbst die Lehrer. Wohl eine Sicherheitsmaßnahme. Wahrscheinlich stammt die Hälfte der Schüler aus fernen Ländern. Jedenfalls hängen sie nicht in der Stadt ab. An meiner Schule macht man sich über die Schüler der Night Academy lustig, so wie über Filmstars oder den Präsidenten. Berühmtheiten eben, die man aus der Ferne bewundert und bei denen man nicht mal im Traum annimmt, ihnen jemals zu begegnen.
»Ja, die Night Academy.« Karibikblau-Auge schenkte mir ein strahlendes Lächeln und deutete auf seinen Kumpel. »Das ist Cameron Sanders. Im Herbst kommt er in die Oberstufe. Den Sommer über assistiert er mir bei der Suche nach neuen Schülern und der Werbung für die Schule.«
»Kannst mich ruhig Cam nennen.« Der Junge streckte mir die Hand entgegen. Er war groß, viel größer als ich, und ich bin schon gute einsfünfundsiebzig. An meiner alten Schule habe ich immer versucht, mich kleiner zu machen, damit keiner merkt, dass ich das größte Mädchen in der Klasse bin. Klar, dass Oma mich ständig ermahnt, gerade zu stehen.
»Hi, Cam.« Verstohlen wischte ich mir die Hand an den Shorts trocken, denn auf einmal hatte ich ganz schwitzige Hände, und ich wollte auf keinen Fall, dass Cam mich für so eine Schweißhand hielt. Ich konnte seinem Blick nicht ausweichen, also sah ich ihm in die Augen. Sofort flatterte ein ganzer Schmetterlingsschwarm in meiner Brust. Natürlich war mir klar, dass jemand mit Cams Aussehen nie im Leben ein Mädchen wie mich beachten würde, dennoch blickte er mich ganz offen und freundlich an. Er wirkte wie ein Outdoor-Sportler - als könnte er Marathon laufen oder auf einen Felsen klettern und würde dabei immer noch göttlich aussehen.
Zögernd streckte ich ihm die Hand entgegen.
»Schön, dass ich dich endlich kennenlerne, Dancia.« Als sich seine Hand um meine schloss, zuckte ich zusammen, denn mich hatte ein elektrischer Schlag getroffen.
Ich weiß, es klingt merkwürdig, aber ich habe wirklich etwas gespürt, so wie damals, als ich mit fünf den Finger in die Steckdose gesteckt habe. Wahrscheinlich statische Ladung vom Teppich, allerdings fühlte es sich stärker an. Eingebildet haben konnte ich es mir auch nicht, denn es war kein angenehmes Gefühl, und bei Cam wäre meine Fantasie ganz bestimmt in die andere Richtung gegangen.
Erschrocken zog ich die Hand weg. Bevor ich den Blick senkte, erhaschte ich noch sein Lächeln. So als wollte er mir versichern, dass er es auch gespürt hatte und dass alles okay war.
Auch Mr Judan lächelte, nur hatte sein Lächeln nichts Tröstliches, eher etwas Triumphales. Er sah aus, als hätte er gerade im Lotto gewonnen oder so.
Einen Moment lang standen wir schweigend da, verlegen trat ich von einem Bein aufs andere und rieb mir die Hände, bis mir klar wurde, dass die anderen nur darauf warteten, dass ich mich setzte. Ich schnappte mir einen Esszimmerstuhl - auch wenn wir streng genommen überhaupt kein Esszimmer haben und an einem Tisch zwischen Flur und Wohnzimmer essen - und setzte mich neben Cam.
»Womit können wir Ihnen dienen?«, fragte Oma schließlich. Sie lächelte strahlend mit ihren falschen Zähnen, und in dem Moment wusste ich, dass die Ärmste sich Hoffnungen machte. Anwerber ... Night Academy ... Man konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf ratterte. Im Geiste sah sie mich wahrscheinlich schon den Bus zu den magischen Toren nehmen, was absoluter Irrsinn war, denn 1) waren wir nicht reich, 2) war ich nicht außergewöhnlich intelligent und 3) waren wir ja so was von überhaupt nicht reich.
Oma kümmert sich um mich, seit meine Eltern gestorben sind, da war ich erst vier. Wir leben mehr oder minder von ihrer Rente. Ihr gehört das Haus, das ganz in der Nähe meiner Schule liegt, und zu essen haben wir auch genug. Wenn ich mir mal eine neue CD oder ein Buch kaufen will, das die Bücherei nicht hat, babysitte ich Kinder aus unserer Gemeinde. Ein Handy kann ich mir nicht leisten, aber das macht nichts, denn ich habe eh keine Freunde zum Simsen.
Eine Privatschule können wir uns schon gar nicht leisten. »Wir sind hier, um mit Ihnen und Ihrer Enkelin über die Night Academy zu sprechen.«
»Warum?«, fragte ich und bemühte mich, nicht allzu misstrauisch zu klingen. Obwohl ich den Blick fest auf Mr Judan geheftet hatte, sah ich immer wieder heimlich zu Cam hinüber. Selbst im Sitzen wirkte er noch beeindruckend. Seine Hände ruhten auf den Knien, kräftig und braun gebrannt. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, aber irgendetwas an ihm sandte mir ermunternde und superniedliche Signale, als würde es ihm nichts ausmachen, wenn ich ihm gleich mal auf den Schoß spränge.
Mr Judan breitete beim Sprechen die Hände aus. »Dancia, bestimmt kommt das für dich sehr unerwartet, aber das Direktorium hat sich einstimmig für dich entschieden. Wir möchten, dass du diesen Herbst an unserer Schule anfängst.« Er schnurrte geradezu.
Oma hielt die Luft an. »Wirklich? Aber wir können uns das gar nicht ... Wie sollen wir das bloß ...« Sie deutete um sich, und eine leichte Röte stieg in ihre zerknitterten Wangen.
Und da wurde ich dann wütend. Nicht auf Oma natürlich, sondern auf Mr Judan. Denn es war doch wohl ganz offensichtlich, dass wir uns diese Schule nicht leisten konnten. Warum musste er dann meine Oma beschämen? Sollte das ein Witz sein? Die Schüler der Night Academy wohnten in Villen und hatten Personal. Oma und ich hatten weder das eine noch das andere.
»Geld spielt keine Rolle, Mrs Lewis. Viele unserer Schüler haben ein Vollstipendium. Darunter auch Cameron. Dancias Kosten würden vollständig übernommen werden.«
»Du darfst sogar auf dem Campus wohnen«, sagte Cam zu mir. Als sich Omas Wangen daraufhin noch tiefer färbten, sagte er rasch: »Nichts gegen Ihr schönes Haus. Ich dachte nur, dann könnte Dancia die Schulbibliothek und die Computerräume jederzeit nutzen.«
Da hatte er ja gerade noch mal die Kurve gekriegt. Mit zwei winzigen Schlafzimmern, einer Miniküche, einem Bad und einem Wohnzimmer machte das Haus nicht viel her. Man kann das gesamte Haus saugen, ohne auch nur einmal die Steckdose zu wechseln. Das weiß ich so genau, weil ich das Putzen meist übernehme. Oma hat Arthritis und kann den Staubsauger nicht schieben, die Spüle schrubben, den Kühlschrank auswischen oder sonstige körperlich anstrengende Tätigkeiten verrichten.
»Ach so.« Oma tupfte sich die Augen trocken und lehnte sich zurück. Ihre trüben blauen Augen tränen unentwegt, sie muss sie ständig wischen. Trotzdem legt sie viel Wert auf ihr Aussehen. Selbst wenn sie ihre Trainingsanzüge trägt - wie dieses rosa Modell mit den lila Ziernähten - ist ihr Haar perfekt gelegt, und sie ist immer geschminkt.
Irgendwie irritiert es mich schon, dass Oma mehr Zeit vorm Spiegel verbringt als ich.
»Und wenn ich nicht in der Schule wohnen möchte?«, fragte ich. Schließlich konnte ich Oma nicht so einfach im Stich lassen, wo sie kaum die Einkaufstüten vom Auto ins Haus schleppen konnte.
»Unter der Woche halten wir unsere Schüler dazu an, auf dem Campus zu wohnen«, erwiderte Mr Judan. »Das ist ein wichtiger Teil der Ausbildung und für die Schüler eine gute Möglichkeit, einander kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Aber am Wochenende ist es dir freigestellt, nach Hause zu gehen.«
»Am Anfang hat mir das auch Sorgen gemacht«, sagte Cam. »Aber es wird dir gefallen. Man lernt die anderen ganz schnell kennen, weil man so viel Zeit zusammen verbringt. Das Essen ist super, und in der Bibliothek kann man hervorragend arbeiten. Mein Vater wohnt in Seattle, und bis ich in die Night Academy gezogen bin, ist mir nie aufgefallen, wie laut es in unserer Wohnung eigentlich ist. In den Ferien und an langen Wochenenden fahre ich nach Hause, die Kosten werden übernommen. Bei dir natürlich auch.«
Wie offen Cam mit seinem eigenen Stipendium umging, beeindruckte mich. Als wäre es ihm überhaupt nicht peinlich.
»Warum ich?«
»Auf die Night Academy kommt man nur auf Einladung, Dancia«, sagte Mr Judan und strich eine imaginäre Hosenfalte glatt. »Wir wählen jeden Schüler aufgrund seiner besonderen Begabungen aus. Uns ist an einer guten Mischung gelegen. Einige Schüler sind Tänzer, andere haben einen Sinn für Zahlen, wieder andere dichten. So sehr sie sich auch in ihren Fähigkeiten unterscheiden, eine Sache eint sie: Nach dem Ende der Schulzeit erwarten wir, dass sie große Dinge im Dienste der Menschheit leisten, und wir werden nicht enttäuscht. Unsere Schüler werden Senatoren, Vorstandsvorsitzende, Primaballerinas und Nobelpreisträger. Und wir möchten dich gerne auf unserer Schule haben.«
»Wir halten dich für etwas ganz Besonderes, Dancia«, sagte Cam und beugte sich vor, als wollte er mich mit dem ganzen Körper von seiner Aufrichtigkeit überzeugen. »Sonst wären wir nicht hier.«
Ich schnaubte verächtlich. Nicht gerade sehr attraktiv, ich weiß, aber ich konnte nicht anders. Das war einfach total absurd.
»Besonders?«, sagte ich und versuchte ruhig zu bleiben. »Das muss eine Verwechslung sein. Meine Noten bewegen sich höchstens im Zweierbereich, und meine Ballkünste sind eher mittelmäßig.«
Oma funkelte mich wütend an, doch ich ließ mich nicht beirren und warf Mr Judan einen fragenden Blick zu. Niemand war so durchschnittlich wie Dancia Lewis. Dafür hatte ich schon gesorgt. Es sei denn, sie hatten irgendwie ...
Meine Gedanken wurden von Mr Judans Schmeichelstimme unterbrochen, die selbst einen jähzornigen Pitbullterrier besänftigt hätte. »Doch, Dancia, du bist etwas sehr Besonderes.«
Er machte seine Sache nicht schlecht. Gegen meinen Willen entspannte ich mich.
»Aber ehrlich gesagt hätten wir vielleicht nie erfahren, dass es dich gibt, wenn nicht der Danville Chronicle einen Artikel über den Vorfall im Krankenhaus gebracht hätte. Danach haben wir uns dann mit deinen Lehrern unterhalten. Ziemlich schnell war klar, dass du auf die Night Academy gehörst.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich meinen letzten Gedanken im Kopf beendete: Es sei denn, sie hatten irgendwie ... von meinen Kräften erfahren.
2
Ich holte tief Luft. Cam versuchte meinen Blick einzufangen, doch ich hielt die Augen fest auf Mr Judans perfekte weiße Schläfen gerichtet. Er konnte es unmöglich wissen. Manchmal weiß ich ja selbst nicht genau, was ich da eigentlich tue, und nicht einmal im Nachhinein wird es mir klar.
»Sie haben den Artikel gelesen!« Nun lächelte Oma so breit, dass ihr Gesicht praktisch aus zwei Hälften bestand. »War das nicht ganz bemerkenswert? Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn Dancia nicht eingegriffen hätte. Da waren überall Kinder. Der Mann hätte Fürchterliches anrichten können.«
»Gut, dass er gestolpert ist«, sagte ich. »Ich habe eigentlich gar nichts getan.«
»Inmitten einer vollen Wartehalle hast dich auf einen bewaffneten Mann gestürzt, der alle bedrohte. Meiner Meinung nach ist das ziemlich viel«, sagte Mr Judan.
»Das war doch kein großes Ding.« Ich wandte mich ab, damit niemand sah, dass ich rot wurde.
Die Sache ist vor etwa einem Monat passiert, und ich bereue es ganz bestimmt nicht, dass ich auf den Typ losgegangen bin. Schließlich hätte er Oma verletzen können. Auch wenn sie schon hundert ist und ich mich manchmal für sie in der Öffentlichkeit schäme, weil sie gewisse Körperfunktionen nicht mehr ganz im Griff hat, ist sie immer noch meine Oma. Oma ist alles, was ich habe, und da werde ich doch nicht zulassen, dass ihr jemand was antut.
Trotzdem war die ganze Sache furchtbar.
Wir waren wegen Omas Augen im Krankenhaus. Sie lässt ihren Grauen Star regelmäßig untersuchen, danach darf ich uns dann nach Hause fahren, auch wenn das natürlich total verboten ist. Ziemlich cool. Welche Vierzehnjährige darf schon Auto fahren? Jedenfalls saßen wir in dieser Wartehalle und blätterten durch alte Highlight-Magazine, als dieser Typ reinkam. Hat rumgeschrieen, dass das Krankenhaus seine Frau auf dem Gewissen hat und wir nun alle dafür büßen müssten. Seine Worte waren ein einziger Brei aus Schmerz und wirren Gedanken. Ich hatte nur den einen Gedanken, dass er Oma nichts tun darf.
Also bin ich auf ihn los. Und bevor ich michs versah, lag er regungs los auf dem Rücken. Oma meint, ich sei auf ihn zugestürmt, und da ist er einfach umgefallen und hat sich den Kopf aufgeschlagen. Soviel ich weiß, liegt er immer noch im Koma. Es heißt, ich hätte ihn erschreckt, und da sei er dann gestolpert. Natürlich hat keiner bemerkt, wie er mich angesehen hat, als er durch die Luft gesegelt ist: entsetzt, mit blutroten Äderchen in den aufgerissenen Augen.
Und die Lippen haben lautlos Worte geformt, so etwas wie »stopp« oder »bitte«.
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
»Dancia!«
Ich zog die Kopfhörer runter und lauschte in der Hoffnung, es wäre nur der Fernseher und nicht Oma gewesen. Auf der Uhr war es Viertel nach zehn, eigentlich saß sie um diese Zeit vorm Fernseher, denn da lief Der Preis ist heiß.
Doch beim nächsten Mal war das Rufen noch näher. »Dancia, kannst du bitte mal kommen? Du hast Besuch.«
Noch immer dröhnte die Musik aus den Kopfhörern, ich beugte mich über meinen silbernen Uralt-CD-Player und drosselte die Lautstärke. Bestimmt hatte ich mich bloß verhört. Wer sollte mich schon besuchen? Mich, Dancia Lewis, das unglaublich unsichtbare Mädchen? Ausgeschlossen.
Als ich die Zimmertür aufriss, erwartete ich also eher, dass meine winzige Oma eine der Nachbarkatzen zu Gast hatte. Doch weit gefehlt: Zwei gut gekleidete Fremde saßen auf unserer Wohnzimmercouch, drehten sich völlig synchron nach mir um und erhoben sich dann mit einem Lächeln.
Am liebsten hätte ich die Tür gleich wieder zugeschmissen.
Vor mir stand ein Teenager mit unglaublich dichtem kastanienbraunem Haar, schokoladenfarbenen Augen und einem markanten Kinn - bislang hatte ich ja gedacht, nur die Reklametypen hätten ein Abo darauf. Er trug eine Khakihose und dazu ein weißes Hemd - typische Privatschülerkluft, nur dass es bei ihm einfach total scharf aussah.
Der Mann neben ihm hatte schwarzes Haar, die Schläfen allerdings waren vollkommen weiß und die Augen so unfassbar blau wie das karibische Meer. Nicht, dass ich jemals dort gewesen wäre, aber man hätte seine Augen herausschneiden und direkt in einen Werbeprospekt für die Bahamas kleben können.
Ich hingegen wirkte, als könnte ich nicht mal eine Waschmaschine bedienen. Auf meiner kurzen Sporthose klebte noch die Erdbeermarmelade vom Frühstück, mein verknittertes graues T-Shirt sah aus, als hätte ich darin geschlafen (hatte ich auch), und die Krempe meiner Seattle-Mariners-Baseballkappe zierte ein dunkler Schmutzring.
Oma zuckte förmlich zusammen, als sie mein Outfit in Augenschein nahm. Ihr Geschmack geht in Richtung Samttrainingsanzüge, also kümmere ich mich meist nicht so um ihre Meinung, doch diesmal musste ich ihr recht geben.
Mit einer schnellen Handbewegung riss sie mir die Baseballkappe vom Kopf, sofort sprangen meine Locken in alle Himmelsrichtungen. Automatisch strich ich mir das Haar glatt, dabei hätte ich doch allmählich wissen müssen, dass es hoffnungslos ist. Ich gebe mir die größte Mühe, nicht aufzufallen, aber gegen mein Haar komme ich nicht an. Es ist hellblond und superlockig. Ziemlich auffällig. Marke Blonder Afro, wenn euch das was sagt. Einmal habe ich sogar versucht, es zu färben, aber färbe mal trockenes, krauses Haar. Kein schöner Anblick.
Oma zerrte mich die drei Meter von meinem Zimmer zur Couch. »Das ist meine Enkelin, Dancia Lewis«, sagte sie stolz.
»Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Dancia. Ich bin Richard Judan. Ich bin auf der Night Academy für die Anwerbung von Schülern zuständig.« Der Ältere der beiden trat vor und schüttelte mir die Hand. Er hatte die warme, tiefe Stimme eines Politikers oder Nachrichtensprechers.
»Night Academy?«, plapperte ich wie ein dummer Papagei.
Die Night Academy ist eine stinkvornehme Privatschule am Stadtrand von Danville, wo auch Oma und ich wohnen. Bis nach Seattle sind es circa 130 km; zu weit zum Pendeln, aber angeblich kaufen manche sich ein Haus zwischen Seattle und Danville, nur damit sie in Seattle arbeiten und ihre Kinder auf die Night Academy schicken können. Denn mal im Ernst, wer würde schon freiwillig in Danville wohnen?
Die Schule liegt auf einem Hügel, von dem aus man unsere ganze Stadt überblicken kann. Rings um die ausgedehnten Rasenflächen, die selbst im Sommer noch grün sind, wenn sonst alles in Danville verkümmert, zieht sich ein Zaun aus Schmiedeeisen. Riesige Tore öffnen sich ausschließlich für die Busse, die die Schüler zur Schule bringen und wieder abholen. Man muss den Wagen auf einem gesonderten Parkplatz am Fuß des Hügels abstellen und den Bus hinauf nehmen, selbst die Lehrer. Wohl eine Sicherheitsmaßnahme. Wahrscheinlich stammt die Hälfte der Schüler aus fernen Ländern. Jedenfalls hängen sie nicht in der Stadt ab. An meiner Schule macht man sich über die Schüler der Night Academy lustig, so wie über Filmstars oder den Präsidenten. Berühmtheiten eben, die man aus der Ferne bewundert und bei denen man nicht mal im Traum annimmt, ihnen jemals zu begegnen.
»Ja, die Night Academy.« Karibikblau-Auge schenkte mir ein strahlendes Lächeln und deutete auf seinen Kumpel. »Das ist Cameron Sanders. Im Herbst kommt er in die Oberstufe. Den Sommer über assistiert er mir bei der Suche nach neuen Schülern und der Werbung für die Schule.«
»Kannst mich ruhig Cam nennen.« Der Junge streckte mir die Hand entgegen. Er war groß, viel größer als ich, und ich bin schon gute einsfünfundsiebzig. An meiner alten Schule habe ich immer versucht, mich kleiner zu machen, damit keiner merkt, dass ich das größte Mädchen in der Klasse bin. Klar, dass Oma mich ständig ermahnt, gerade zu stehen.
»Hi, Cam.« Verstohlen wischte ich mir die Hand an den Shorts trocken, denn auf einmal hatte ich ganz schwitzige Hände, und ich wollte auf keinen Fall, dass Cam mich für so eine Schweißhand hielt. Ich konnte seinem Blick nicht ausweichen, also sah ich ihm in die Augen. Sofort flatterte ein ganzer Schmetterlingsschwarm in meiner Brust. Natürlich war mir klar, dass jemand mit Cams Aussehen nie im Leben ein Mädchen wie mich beachten würde, dennoch blickte er mich ganz offen und freundlich an. Er wirkte wie ein Outdoor-Sportler - als könnte er Marathon laufen oder auf einen Felsen klettern und würde dabei immer noch göttlich aussehen.
Zögernd streckte ich ihm die Hand entgegen.
»Schön, dass ich dich endlich kennenlerne, Dancia.« Als sich seine Hand um meine schloss, zuckte ich zusammen, denn mich hatte ein elektrischer Schlag getroffen.
Ich weiß, es klingt merkwürdig, aber ich habe wirklich etwas gespürt, so wie damals, als ich mit fünf den Finger in die Steckdose gesteckt habe. Wahrscheinlich statische Ladung vom Teppich, allerdings fühlte es sich stärker an. Eingebildet haben konnte ich es mir auch nicht, denn es war kein angenehmes Gefühl, und bei Cam wäre meine Fantasie ganz bestimmt in die andere Richtung gegangen.
Erschrocken zog ich die Hand weg. Bevor ich den Blick senkte, erhaschte ich noch sein Lächeln. So als wollte er mir versichern, dass er es auch gespürt hatte und dass alles okay war.
Auch Mr Judan lächelte, nur hatte sein Lächeln nichts Tröstliches, eher etwas Triumphales. Er sah aus, als hätte er gerade im Lotto gewonnen oder so.
Einen Moment lang standen wir schweigend da, verlegen trat ich von einem Bein aufs andere und rieb mir die Hände, bis mir klar wurde, dass die anderen nur darauf warteten, dass ich mich setzte. Ich schnappte mir einen Esszimmerstuhl - auch wenn wir streng genommen überhaupt kein Esszimmer haben und an einem Tisch zwischen Flur und Wohnzimmer essen - und setzte mich neben Cam.
»Womit können wir Ihnen dienen?«, fragte Oma schließlich. Sie lächelte strahlend mit ihren falschen Zähnen, und in dem Moment wusste ich, dass die Ärmste sich Hoffnungen machte. Anwerber ... Night Academy ... Man konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Kopf ratterte. Im Geiste sah sie mich wahrscheinlich schon den Bus zu den magischen Toren nehmen, was absoluter Irrsinn war, denn 1) waren wir nicht reich, 2) war ich nicht außergewöhnlich intelligent und 3) waren wir ja so was von überhaupt nicht reich.
Oma kümmert sich um mich, seit meine Eltern gestorben sind, da war ich erst vier. Wir leben mehr oder minder von ihrer Rente. Ihr gehört das Haus, das ganz in der Nähe meiner Schule liegt, und zu essen haben wir auch genug. Wenn ich mir mal eine neue CD oder ein Buch kaufen will, das die Bücherei nicht hat, babysitte ich Kinder aus unserer Gemeinde. Ein Handy kann ich mir nicht leisten, aber das macht nichts, denn ich habe eh keine Freunde zum Simsen.
Eine Privatschule können wir uns schon gar nicht leisten. »Wir sind hier, um mit Ihnen und Ihrer Enkelin über die Night Academy zu sprechen.«
»Warum?«, fragte ich und bemühte mich, nicht allzu misstrauisch zu klingen. Obwohl ich den Blick fest auf Mr Judan geheftet hatte, sah ich immer wieder heimlich zu Cam hinüber. Selbst im Sitzen wirkte er noch beeindruckend. Seine Hände ruhten auf den Knien, kräftig und braun gebrannt. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, aber irgendetwas an ihm sandte mir ermunternde und superniedliche Signale, als würde es ihm nichts ausmachen, wenn ich ihm gleich mal auf den Schoß spränge.
Mr Judan breitete beim Sprechen die Hände aus. »Dancia, bestimmt kommt das für dich sehr unerwartet, aber das Direktorium hat sich einstimmig für dich entschieden. Wir möchten, dass du diesen Herbst an unserer Schule anfängst.« Er schnurrte geradezu.
Oma hielt die Luft an. »Wirklich? Aber wir können uns das gar nicht ... Wie sollen wir das bloß ...« Sie deutete um sich, und eine leichte Röte stieg in ihre zerknitterten Wangen.
Und da wurde ich dann wütend. Nicht auf Oma natürlich, sondern auf Mr Judan. Denn es war doch wohl ganz offensichtlich, dass wir uns diese Schule nicht leisten konnten. Warum musste er dann meine Oma beschämen? Sollte das ein Witz sein? Die Schüler der Night Academy wohnten in Villen und hatten Personal. Oma und ich hatten weder das eine noch das andere.
»Geld spielt keine Rolle, Mrs Lewis. Viele unserer Schüler haben ein Vollstipendium. Darunter auch Cameron. Dancias Kosten würden vollständig übernommen werden.«
»Du darfst sogar auf dem Campus wohnen«, sagte Cam zu mir. Als sich Omas Wangen daraufhin noch tiefer färbten, sagte er rasch: »Nichts gegen Ihr schönes Haus. Ich dachte nur, dann könnte Dancia die Schulbibliothek und die Computerräume jederzeit nutzen.«
Da hatte er ja gerade noch mal die Kurve gekriegt. Mit zwei winzigen Schlafzimmern, einer Miniküche, einem Bad und einem Wohnzimmer machte das Haus nicht viel her. Man kann das gesamte Haus saugen, ohne auch nur einmal die Steckdose zu wechseln. Das weiß ich so genau, weil ich das Putzen meist übernehme. Oma hat Arthritis und kann den Staubsauger nicht schieben, die Spüle schrubben, den Kühlschrank auswischen oder sonstige körperlich anstrengende Tätigkeiten verrichten.
»Ach so.« Oma tupfte sich die Augen trocken und lehnte sich zurück. Ihre trüben blauen Augen tränen unentwegt, sie muss sie ständig wischen. Trotzdem legt sie viel Wert auf ihr Aussehen. Selbst wenn sie ihre Trainingsanzüge trägt - wie dieses rosa Modell mit den lila Ziernähten - ist ihr Haar perfekt gelegt, und sie ist immer geschminkt.
Irgendwie irritiert es mich schon, dass Oma mehr Zeit vorm Spiegel verbringt als ich.
»Und wenn ich nicht in der Schule wohnen möchte?«, fragte ich. Schließlich konnte ich Oma nicht so einfach im Stich lassen, wo sie kaum die Einkaufstüten vom Auto ins Haus schleppen konnte.
»Unter der Woche halten wir unsere Schüler dazu an, auf dem Campus zu wohnen«, erwiderte Mr Judan. »Das ist ein wichtiger Teil der Ausbildung und für die Schüler eine gute Möglichkeit, einander kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Aber am Wochenende ist es dir freigestellt, nach Hause zu gehen.«
»Am Anfang hat mir das auch Sorgen gemacht«, sagte Cam. »Aber es wird dir gefallen. Man lernt die anderen ganz schnell kennen, weil man so viel Zeit zusammen verbringt. Das Essen ist super, und in der Bibliothek kann man hervorragend arbeiten. Mein Vater wohnt in Seattle, und bis ich in die Night Academy gezogen bin, ist mir nie aufgefallen, wie laut es in unserer Wohnung eigentlich ist. In den Ferien und an langen Wochenenden fahre ich nach Hause, die Kosten werden übernommen. Bei dir natürlich auch.«
Wie offen Cam mit seinem eigenen Stipendium umging, beeindruckte mich. Als wäre es ihm überhaupt nicht peinlich.
»Warum ich?«
»Auf die Night Academy kommt man nur auf Einladung, Dancia«, sagte Mr Judan und strich eine imaginäre Hosenfalte glatt. »Wir wählen jeden Schüler aufgrund seiner besonderen Begabungen aus. Uns ist an einer guten Mischung gelegen. Einige Schüler sind Tänzer, andere haben einen Sinn für Zahlen, wieder andere dichten. So sehr sie sich auch in ihren Fähigkeiten unterscheiden, eine Sache eint sie: Nach dem Ende der Schulzeit erwarten wir, dass sie große Dinge im Dienste der Menschheit leisten, und wir werden nicht enttäuscht. Unsere Schüler werden Senatoren, Vorstandsvorsitzende, Primaballerinas und Nobelpreisträger. Und wir möchten dich gerne auf unserer Schule haben.«
»Wir halten dich für etwas ganz Besonderes, Dancia«, sagte Cam und beugte sich vor, als wollte er mich mit dem ganzen Körper von seiner Aufrichtigkeit überzeugen. »Sonst wären wir nicht hier.«
Ich schnaubte verächtlich. Nicht gerade sehr attraktiv, ich weiß, aber ich konnte nicht anders. Das war einfach total absurd.
»Besonders?«, sagte ich und versuchte ruhig zu bleiben. »Das muss eine Verwechslung sein. Meine Noten bewegen sich höchstens im Zweierbereich, und meine Ballkünste sind eher mittelmäßig.«
Oma funkelte mich wütend an, doch ich ließ mich nicht beirren und warf Mr Judan einen fragenden Blick zu. Niemand war so durchschnittlich wie Dancia Lewis. Dafür hatte ich schon gesorgt. Es sei denn, sie hatten irgendwie ...
Meine Gedanken wurden von Mr Judans Schmeichelstimme unterbrochen, die selbst einen jähzornigen Pitbullterrier besänftigt hätte. »Doch, Dancia, du bist etwas sehr Besonderes.«
Er machte seine Sache nicht schlecht. Gegen meinen Willen entspannte ich mich.
»Aber ehrlich gesagt hätten wir vielleicht nie erfahren, dass es dich gibt, wenn nicht der Danville Chronicle einen Artikel über den Vorfall im Krankenhaus gebracht hätte. Danach haben wir uns dann mit deinen Lehrern unterhalten. Ziemlich schnell war klar, dass du auf die Night Academy gehörst.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich meinen letzten Gedanken im Kopf beendete: Es sei denn, sie hatten irgendwie ... von meinen Kräften erfahren.
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Ich holte tief Luft. Cam versuchte meinen Blick einzufangen, doch ich hielt die Augen fest auf Mr Judans perfekte weiße Schläfen gerichtet. Er konnte es unmöglich wissen. Manchmal weiß ich ja selbst nicht genau, was ich da eigentlich tue, und nicht einmal im Nachhinein wird es mir klar.
»Sie haben den Artikel gelesen!« Nun lächelte Oma so breit, dass ihr Gesicht praktisch aus zwei Hälften bestand. »War das nicht ganz bemerkenswert? Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn Dancia nicht eingegriffen hätte. Da waren überall Kinder. Der Mann hätte Fürchterliches anrichten können.«
»Gut, dass er gestolpert ist«, sagte ich. »Ich habe eigentlich gar nichts getan.«
»Inmitten einer vollen Wartehalle hast dich auf einen bewaffneten Mann gestürzt, der alle bedrohte. Meiner Meinung nach ist das ziemlich viel«, sagte Mr Judan.
»Das war doch kein großes Ding.« Ich wandte mich ab, damit niemand sah, dass ich rot wurde.
Die Sache ist vor etwa einem Monat passiert, und ich bereue es ganz bestimmt nicht, dass ich auf den Typ losgegangen bin. Schließlich hätte er Oma verletzen können. Auch wenn sie schon hundert ist und ich mich manchmal für sie in der Öffentlichkeit schäme, weil sie gewisse Körperfunktionen nicht mehr ganz im Griff hat, ist sie immer noch meine Oma. Oma ist alles, was ich habe, und da werde ich doch nicht zulassen, dass ihr jemand was antut.
Trotzdem war die ganze Sache furchtbar.
Wir waren wegen Omas Augen im Krankenhaus. Sie lässt ihren Grauen Star regelmäßig untersuchen, danach darf ich uns dann nach Hause fahren, auch wenn das natürlich total verboten ist. Ziemlich cool. Welche Vierzehnjährige darf schon Auto fahren? Jedenfalls saßen wir in dieser Wartehalle und blätterten durch alte Highlight-Magazine, als dieser Typ reinkam. Hat rumgeschrieen, dass das Krankenhaus seine Frau auf dem Gewissen hat und wir nun alle dafür büßen müssten. Seine Worte waren ein einziger Brei aus Schmerz und wirren Gedanken. Ich hatte nur den einen Gedanken, dass er Oma nichts tun darf.
Also bin ich auf ihn los. Und bevor ich michs versah, lag er regungs los auf dem Rücken. Oma meint, ich sei auf ihn zugestürmt, und da ist er einfach umgefallen und hat sich den Kopf aufgeschlagen. Soviel ich weiß, liegt er immer noch im Koma. Es heißt, ich hätte ihn erschreckt, und da sei er dann gestolpert. Natürlich hat keiner bemerkt, wie er mich angesehen hat, als er durch die Luft gesegelt ist: entsetzt, mit blutroten Äderchen in den aufgerissenen Augen.
Und die Lippen haben lautlos Worte geformt, so etwas wie »stopp« oder »bitte«.
© 2012 INK verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Inara Scott
Inara Scott war Rechtsanwältin, Naturführerin und Lehrerin, aber ihr Herz hing schon immer am Schreiben. Sie liebt Bücher, moosüberwucherte Wälder und Computertastaturen. Inara Scott lebt im regendurchtränkten Nordwesten der USA mit ihrem Ehemann, zwei Kindern und einen kleinen weißen Hund. Inara Scott tauscht sich gerne mit ihren Lesern aus. Mehr Informationen unter: www.inarascott.com
Bibliographische Angaben
- Autor: Inara Scott
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2012, 1. Aufl., 352 Seiten, Maße: 15,8 x 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Knese, Petra
- Übersetzer: Petra Knese
- Verlag: Ink
- ISBN-10: 3863960424
- ISBN-13: 9783863960421
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