Die bezaubernde Florentinerin
Roman
1572: In den Palast Akbars im indischen Fatehpur Sikri kommt ein junger Mann, der behauptet, er sei aus Florenz angereist. Er heiße Vespucci und sei Akbars Onkel. Der verblüffte, aber von der Neugier gepackte Moguln-Herrscher gewährt ihm Gastfreundschaft....
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Produktinformationen zu „Die bezaubernde Florentinerin “
1572: In den Palast Akbars im indischen Fatehpur Sikri kommt ein junger Mann, der behauptet, er sei aus Florenz angereist. Er heiße Vespucci und sei Akbars Onkel. Der verblüffte, aber von der Neugier gepackte Moguln-Herrscher gewährt ihm Gastfreundschaft. Und lässt sich in dämmrigen Abendstunden vom fernen Europa erzählen. So erfährt er von Machiavelli, Botticelli, dem Admiral Andrea Doria, Dracula u.v.a. Die Schauplätze von Vespuccis Bericht reichen vom indischen Subkontinent über das Italien der Renaissance und den Nahen Osten bis nach Amerika. Ein wahres Füllhorn!
Klappentext zu „Die bezaubernde Florentinerin “
1572: Ein blonder Reisender aus Europa kommt an den Hof des Moguln-Kaisers Akbar im indischen Fatehpur Sikri und behauptet, dessen Onkel zu sein. In der Tat: Verbunden scheinen die beiden durch eine geheimnisvolle Florentinerin, die schönste Frau der damals bekannten Welt ...Der große Epiker Salman Rushdie lädt ein zu einer Kontinente und Zeiten umspannenden Reise zwischen Ost und West, zu einem Erzähl-Fest, das sich mit "Tausendundeine Nacht" messen kann.
"In 'Die bezaubernde Florentinerin' atmet, zittert und bebt alles. Jeder Charakter packt einen. Kommt der Leser einmal einen Augenblick zur Ruhe, wird er im nächsten Augenblick geschüttelt, beiseitegerissen und in die nächste Verwicklung gezerrt. Rushdie hat wieder ein Buch für Drogenabhängige geschrieben. Wer es liebt, immer tiefer einzusinken in fremde Welten und Ansichten, wer den Schauder ersehnt, der ihn überrieselt, wenn er im Fremdesten das Vertrauteste entdeckt, der wird das Buch nicht aus der Hand legen, bis ihn endlich der Schlaf einholt."
Arno Widmann, FRANKFURTER RUNDSCHAU
Lese-Probe zu „Die bezaubernde Florentinerin “
Die bezaubernde Florentinerin von Salman Rushdie ... mehr
An Bord des schottischen Piratenschiffes Scathath, benannt nach einer sagenhaften Kriegergöttin der Insel Skye, einem Schiff, dessen Mannschaft sich mitsamt ihrem Kapitän, einem schottischen Lord, viele Jahre lang fröhlich überall in der Karibik herumgetrieben hatte, um zu rauben und zu plündern, das sich gegenwärtig aber in Staatsgeschäften unterwegs nach Indien befand, war es dem blinden Passagier, jenem lässigen Florentiner, nur mit Mühe gelungen, nicht Hals über Kopf in die schaumigen Fluten vor Südafrika geworfen zu werden, indem er eine lebende Wasserschlange aus dem Ohr des erschrockenen Bootsmannes zog und sie an seiner statt über Bord schleuderte. Sieben Tage nachdem man Cape Agulhas an der Spitze des afrikanischen Kontinents umrundet hatte, war er unter einer Koje in der Back des Schiffes gefunden worden, mit senffarbenem Wams, einer Hose gleicher Farbe und einem langen Harlekinmantel aus leuchtend bunten Flicken, im Arm eine kleine Reisetasche; so lag er fest schlafend und laut schnarchend da, als kümmerte es ihn nicht in Mindesten, ob er entdeckt würde. Er schien sogar durchaus willens, sich auffinden zu lassen, und legte ein verblüffendes Vertrauen in seine Fähigkeit an den Tag, alle Welt zu betören, zu blenden und für sich einzunehmen. Immerhin hatten sie ihn bereits ein weites Stück des Wegs mitgenommen. Und tatsächlich erwies er sich als wahrhafter Zauberer, verwandelte er doch Goldmünzen in Rauch und gelben Rauch zurück in Gold. Ein Krug mit frischem Wasser wurde umgekippt, und es ergoss sich ein Strom Nun Seidentüchern. Mit einigen schwungvollen Handbewegungen vervielfachte er die Zahl der Fische und Brotlaibe, was frag- los gotteslästerlich war, doch hatten ihm die hungrigen Seeleute bald vergeben. Hastig bekreuzigten sie sich, um sich vorsichtshalber gegen den Zorn Jesu Christi zu wappnen, dem es nicht gefallen mochte, dass ihm dieser neuartige Wundertäter seinen Platz streitig machte, um dann das unerwartet üppige, wenn auch theologisch nicht ganz einwandfreie Mittagsmahl zu verzehren.
Auch George Louis Hauksbank, der schottische Lord höchst- persönlich – genauer, nach schottischer Sitte, Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens, nicht zu verwechseln mit weniger edlen Trägern dieses Titels von weit unedlerer Herkunft –, faszinierte alsbald dieser harlekineske Eindringling, den man in seine Kabine gebracht hatte, auf dass er sein Urteil über ihn ver- künde. Zum damaligen Zeitpunkt nannte sich der junge Schlingel «Uccello»: «Uccello di Firenze, Zauberer und Gelehrter, zu Euren Diensten», verkündete er in perfektem Englisch mit tiefer, weit ausladender Verbeugung von nahezu aristokratischer An- mut, und Lord Hauksbank lächelte und schnüffelte an seinem parfümierten Taschentuch. «Was ich Euch fast geglaubt hätte, Gaukler», erwiderte er, «würde ich nicht zufällig den Maler Paolo gleichen Namens und gleicher Herkunft kennen, der im Duomo Eurer Stadt ein trompe-l’œl-Fresko zu Ehren von Sir John Hauksbank geschaffen hat, einem meiner Vorfahren, bekannt als Giovanni Milano, ein Glücksritter und einstmals General von Florenz, Sieger in der Schlacht von Polpetto – und wäre dieser Maler unglückseligerweise nicht bereits seit vielen Jahren tot.» Der junge Schlingel erzeugte mit seiner Zunge einen frechen, glucksenden Schnalzlaut des Protests. «Ganz offensichtlich bin ich nicht der verstorbene Xünstler», bekannte er und warf sich zugleich in Pose. «Ich habe mir dieses pseudonimo di viaggio gewählt, weil das Wort in meiner Sprache <Vogel> bedeutet, und Vögel sind unter allen Lebewesen die eifrigsten Weltenbummler.»
Hier pflückte er einen Kapuze tragenden Falken aus seiner Rittst, griff sich aus leerer Luft einen Beizhandschuh und reichte beides dem erstaunten Herrn. «Einen Falken für Lord Hauksbank», sagte er mit vollendeter Höflichkeit, um, kaum hatte sich Lord Hauksbank den Handschuh mit darauf hockendem Vogel übergestreift, laut «Uccello» zu rufen und wie eine Frau, die einem Mann ihre Liebe entzieht, mit den Fingern zu schnippen, woraufhin zu des schottischen Lords beträchtlichem Missfallen beide wieder verschwanden, Handschuh wie Kapuzenvogel. «Außerdem», hob der Magier erneut an, sich über seinen Namen aus- zulassen, «gilt dieses verschleiernde Wort, dieser verborgene Vogel, in meiner Stadt als ein auf delikateste Weise euphemistischer Ausdruck fürs männliche Glied, und ich bin stolz auf das, was mir diesbezüglich zu Eigen ist, wenn auch nicht so taktlos, Besagtes hier zur Schau zu stellen.»
«Haha!», rief Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens, der mit beachtlicher Behändigkeit seine Fassung wiedererlangte. «Na, da haben wir beide ja etwas gemeinsam.»
Weit gereist war er, dieser Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens, und älter, als er aussah. Seine Augen strahlten, die Haut war rein, doch lag sein vierzigster Geburtstag bereits sieben Jahre oder länger zurück. Seine Fechtkunst galt als legendär; er war stark wie ein weißer Bulle und auf einem Floß den Gelben Fluss bis zur Quelle im Kar-Qu-See hinabgeschifft, wo er aus goldener Schale geschmorten Tigerpenis verspeist hatte; .mich jagte er im Ngorongoro-Krater das weiße Nashorn und hatte alle zweihundertvierundachtzig Gipfel der schottischen Munros bestiegen, vom Ben Nevis bis zum Inaccessible Pinnacle des Sgurr Dearg auf der Insel Skye, der Heimat von Scathath, der Schrecklichen. Lang war es her, da hatte er sich im Schlosse Hauksbank so sehr mit seiner Frau gestritten, einem kleinen, kläffenden Weib mit lockig rotem Haar und einer Kieferlade, so
mächtig wie die eines holländischen Nussknackers, dass er sie in den Highlands zurückließ, wo sie fortan schwarze Schafe hütete, während er selbst sich wie seine Vorfahren aufmachte, das Glück in der Ferne zu suchen und Kapitän eines Schiffes im Dienste von Francis Drake zu werden, mit dem er in der Karibik die Spanier um das Gold der Amerikas erleichterte. Zur Belohnung war ihm von seiner dankbaren Königin jene diplomatische Mission anvertraut worden, auf der er sich gegenwärtig befand; er sollte nach Hindustan fahren, wo er alle Reichtümer einsammeln und behalten dürfe, die er auffinden könne, seien es Geschmeide, Opium oder Gold, solange er dem Herrscher einen persönlichen Brief der Gloriana überreiche und die Antwort des Moguls heim- bringe.
«In Italien wird er Mogor genannt», sagte ihm der junge Prestidigitateur. «Aber wer weiß schon», erwiderte Lord Hauksbank, «wie das Wort in den unaussprechlichen Zungen des Landes selbst entstellt, verzerrt und verdreht wird.»
Ein Buch besiegelte ihre Freundschaft: der Canzoniere von Petrarch, denn wie stets lag ein Exemplar dieses Werkes in Reich- weite von des schottischen Lords Hand auf einem kleinen Tisch aus pietra dura. «Ach, der prächtige Petrarca», rief «Uccello». «Das ist nun wahrlich ein echter Zauberer.» Und in der Rednerpose ei- nes römischen Senators begann er zu deklamieren:«Benedetto sia giorno, et 'l mese, et l'anno,
et la stagione, e '1 tempo, et l'ora, e 'l punto,e 'l bel paese, e 'loco ov'io fui giunto
da' duo begli occhi che legato m'dnno ...»
Woraufhin Lord Hauksbarl den Faden aufgriff und in der Übersetzung fortfuhr:
«Gepriesen sei die erste süße Qual
der Strahlen ihres Blicks, die mich bezwangen,
die Pfeile Amors, die mein Herz durchdrangen,
die Herzenswunden tief und ohne Zahl.»
«Wer immer dieses Gedicht so liebt wie ich, dem will ich untertan sein», sagte «Uccello» und verbeugte sich.
«Und wer immer bei diesen Worten empfindet, was ich empfinde, muss mein Trinkkumpan werden», gab der Schotte zurück. «Ihr habt den Schlüssel zu meinem Herzen gefunden. Also muss ich Euch jetzt ein Geheimnis anvertrauen, das Ihr niemals verraten dürft. Kommt mit.»
In einem hölzernen Kästchen, verborgen hinter einem Gleitfach im Schlafquartier, verwahrte Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens eine Kollektion «tugendsamer Pretiosen», herrlichste kleine Kostbarkeiten, ohne die ein ständig auf Reisen befindlicher Mensch rasch die Orientierung verlieren mochte, konnte sich doch, wie Lord Hauksbank sehr wohl wusste, durch zu viele Reisen, durch zu viel Fremdheit und Neuartigkeit, die Seele aus ihrer Verankerung lösen. «Diese Dinge gehören mir nicht», gestand er seinem neuen florentinischen Freund, «aber sie erinnern mich daran, wer ich bin. Eine Zeitlang bin ich ihr Hüter, und wenn diese Zeit vorüber ist, lasse ich sie weiterziehen.» Er entnahm dem Kästchen eine Anzahl Juwelen von staunenswerter Größe und Reinheit, die er jedoch mit einem abschätzigen Schulterzucken beiseitelegte, dann einen Barren spanischen Goldes, der es jedem Menschen, der ihn fand, erlauben würde, bis ans Ende seiner Tage in Glanz und Reichtum zu leben – «Tand ist das, nichts als Tand», murmelte er –, um erst dann seine wahren Schätze hervorzuholen, ein jeglicher sorgsam in ein Tuch gewickelt und in ein Nest aus Papierknäueln und Lumpenfetzen gebettet: das seidene Tuch einer heidnischen Göttin des alten Sogdien, einstmals das Pfand ihrer Liebe für einen längst vergessenen Helden; ein Walknochen mit dem herrlichen Schnitzbild einer Hirschjagd; ein Medaillon mit dem Porträt Ihrer Majestät, der Königin; ein in Leder gebundenes, hexagonales Buch aus dem Heiligen Land, auf dessen winzigen Seiten, verziert mit außergewöhnlicher Kalligraphie, der gesamte Koran in Miniaturschrift zu lesen war; ein Steinkopf aus Mazedonien mit gebrochener Nase, vorgeblich eine Büste, die Alexander den Großen darstellte; eines der kryptischen «Siegel» einer uralten Zivilisation aus dem Tal des Indus, in Ägypten gefunden, verziert mit dem Bild eines Bullen und einer Reihe von Hieroglyphen, die nie entschlüsselt worden waren, ein Gegenstand, dessen Verwendungszweck kein Mensch kannte; ein flacher, blankpolierter Stein aus China mit einem scharlachroten I-Ging-Hexagramm und einer dunklen, natürlichen Markierung, die einem Bergrelief im Dämmerlicht glich; ein bemaltes Porzellanei; ein Schrumpf- kopf von den Bewohnern des Regenwaldes am Amazonas; und ein Wörterbuch der verlorenen Sprache jenes Volkes an der Land- enge von Panama, dessen Sprecher allesamt ausgestorben waren, eine alte Frau ausgenommen, die wegen fehlender Zähne kein Wort mehr verständlich hervorzubringen vermochte.
© Rowohlt Verlag
Übersetzung: Bernhard Robben
Auch George Louis Hauksbank, der schottische Lord höchst- persönlich – genauer, nach schottischer Sitte, Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens, nicht zu verwechseln mit weniger edlen Trägern dieses Titels von weit unedlerer Herkunft –, faszinierte alsbald dieser harlekineske Eindringling, den man in seine Kabine gebracht hatte, auf dass er sein Urteil über ihn ver- künde. Zum damaligen Zeitpunkt nannte sich der junge Schlingel «Uccello»: «Uccello di Firenze, Zauberer und Gelehrter, zu Euren Diensten», verkündete er in perfektem Englisch mit tiefer, weit ausladender Verbeugung von nahezu aristokratischer An- mut, und Lord Hauksbank lächelte und schnüffelte an seinem parfümierten Taschentuch. «Was ich Euch fast geglaubt hätte, Gaukler», erwiderte er, «würde ich nicht zufällig den Maler Paolo gleichen Namens und gleicher Herkunft kennen, der im Duomo Eurer Stadt ein trompe-l’œl-Fresko zu Ehren von Sir John Hauksbank geschaffen hat, einem meiner Vorfahren, bekannt als Giovanni Milano, ein Glücksritter und einstmals General von Florenz, Sieger in der Schlacht von Polpetto – und wäre dieser Maler unglückseligerweise nicht bereits seit vielen Jahren tot.» Der junge Schlingel erzeugte mit seiner Zunge einen frechen, glucksenden Schnalzlaut des Protests. «Ganz offensichtlich bin ich nicht der verstorbene Xünstler», bekannte er und warf sich zugleich in Pose. «Ich habe mir dieses pseudonimo di viaggio gewählt, weil das Wort in meiner Sprache <Vogel> bedeutet, und Vögel sind unter allen Lebewesen die eifrigsten Weltenbummler.»
Hier pflückte er einen Kapuze tragenden Falken aus seiner Rittst, griff sich aus leerer Luft einen Beizhandschuh und reichte beides dem erstaunten Herrn. «Einen Falken für Lord Hauksbank», sagte er mit vollendeter Höflichkeit, um, kaum hatte sich Lord Hauksbank den Handschuh mit darauf hockendem Vogel übergestreift, laut «Uccello» zu rufen und wie eine Frau, die einem Mann ihre Liebe entzieht, mit den Fingern zu schnippen, woraufhin zu des schottischen Lords beträchtlichem Missfallen beide wieder verschwanden, Handschuh wie Kapuzenvogel. «Außerdem», hob der Magier erneut an, sich über seinen Namen aus- zulassen, «gilt dieses verschleiernde Wort, dieser verborgene Vogel, in meiner Stadt als ein auf delikateste Weise euphemistischer Ausdruck fürs männliche Glied, und ich bin stolz auf das, was mir diesbezüglich zu Eigen ist, wenn auch nicht so taktlos, Besagtes hier zur Schau zu stellen.»
«Haha!», rief Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens, der mit beachtlicher Behändigkeit seine Fassung wiedererlangte. «Na, da haben wir beide ja etwas gemeinsam.»
Weit gereist war er, dieser Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens, und älter, als er aussah. Seine Augen strahlten, die Haut war rein, doch lag sein vierzigster Geburtstag bereits sieben Jahre oder länger zurück. Seine Fechtkunst galt als legendär; er war stark wie ein weißer Bulle und auf einem Floß den Gelben Fluss bis zur Quelle im Kar-Qu-See hinabgeschifft, wo er aus goldener Schale geschmorten Tigerpenis verspeist hatte; .mich jagte er im Ngorongoro-Krater das weiße Nashorn und hatte alle zweihundertvierundachtzig Gipfel der schottischen Munros bestiegen, vom Ben Nevis bis zum Inaccessible Pinnacle des Sgurr Dearg auf der Insel Skye, der Heimat von Scathath, der Schrecklichen. Lang war es her, da hatte er sich im Schlosse Hauksbank so sehr mit seiner Frau gestritten, einem kleinen, kläffenden Weib mit lockig rotem Haar und einer Kieferlade, so
mächtig wie die eines holländischen Nussknackers, dass er sie in den Highlands zurückließ, wo sie fortan schwarze Schafe hütete, während er selbst sich wie seine Vorfahren aufmachte, das Glück in der Ferne zu suchen und Kapitän eines Schiffes im Dienste von Francis Drake zu werden, mit dem er in der Karibik die Spanier um das Gold der Amerikas erleichterte. Zur Belohnung war ihm von seiner dankbaren Königin jene diplomatische Mission anvertraut worden, auf der er sich gegenwärtig befand; er sollte nach Hindustan fahren, wo er alle Reichtümer einsammeln und behalten dürfe, die er auffinden könne, seien es Geschmeide, Opium oder Gold, solange er dem Herrscher einen persönlichen Brief der Gloriana überreiche und die Antwort des Moguls heim- bringe.
«In Italien wird er Mogor genannt», sagte ihm der junge Prestidigitateur. «Aber wer weiß schon», erwiderte Lord Hauksbank, «wie das Wort in den unaussprechlichen Zungen des Landes selbst entstellt, verzerrt und verdreht wird.»
Ein Buch besiegelte ihre Freundschaft: der Canzoniere von Petrarch, denn wie stets lag ein Exemplar dieses Werkes in Reich- weite von des schottischen Lords Hand auf einem kleinen Tisch aus pietra dura. «Ach, der prächtige Petrarca», rief «Uccello». «Das ist nun wahrlich ein echter Zauberer.» Und in der Rednerpose ei- nes römischen Senators begann er zu deklamieren:«Benedetto sia giorno, et 'l mese, et l'anno,
et la stagione, e '1 tempo, et l'ora, e 'l punto,e 'l bel paese, e 'loco ov'io fui giunto
da' duo begli occhi che legato m'dnno ...»
Woraufhin Lord Hauksbarl den Faden aufgriff und in der Übersetzung fortfuhr:
«Gepriesen sei die erste süße Qual
der Strahlen ihres Blicks, die mich bezwangen,
die Pfeile Amors, die mein Herz durchdrangen,
die Herzenswunden tief und ohne Zahl.»
«Wer immer dieses Gedicht so liebt wie ich, dem will ich untertan sein», sagte «Uccello» und verbeugte sich.
«Und wer immer bei diesen Worten empfindet, was ich empfinde, muss mein Trinkkumpan werden», gab der Schotte zurück. «Ihr habt den Schlüssel zu meinem Herzen gefunden. Also muss ich Euch jetzt ein Geheimnis anvertrauen, das Ihr niemals verraten dürft. Kommt mit.»
In einem hölzernen Kästchen, verborgen hinter einem Gleitfach im Schlafquartier, verwahrte Lord Hauksbank vom Orte gleichen Namens eine Kollektion «tugendsamer Pretiosen», herrlichste kleine Kostbarkeiten, ohne die ein ständig auf Reisen befindlicher Mensch rasch die Orientierung verlieren mochte, konnte sich doch, wie Lord Hauksbank sehr wohl wusste, durch zu viele Reisen, durch zu viel Fremdheit und Neuartigkeit, die Seele aus ihrer Verankerung lösen. «Diese Dinge gehören mir nicht», gestand er seinem neuen florentinischen Freund, «aber sie erinnern mich daran, wer ich bin. Eine Zeitlang bin ich ihr Hüter, und wenn diese Zeit vorüber ist, lasse ich sie weiterziehen.» Er entnahm dem Kästchen eine Anzahl Juwelen von staunenswerter Größe und Reinheit, die er jedoch mit einem abschätzigen Schulterzucken beiseitelegte, dann einen Barren spanischen Goldes, der es jedem Menschen, der ihn fand, erlauben würde, bis ans Ende seiner Tage in Glanz und Reichtum zu leben – «Tand ist das, nichts als Tand», murmelte er –, um erst dann seine wahren Schätze hervorzuholen, ein jeglicher sorgsam in ein Tuch gewickelt und in ein Nest aus Papierknäueln und Lumpenfetzen gebettet: das seidene Tuch einer heidnischen Göttin des alten Sogdien, einstmals das Pfand ihrer Liebe für einen längst vergessenen Helden; ein Walknochen mit dem herrlichen Schnitzbild einer Hirschjagd; ein Medaillon mit dem Porträt Ihrer Majestät, der Königin; ein in Leder gebundenes, hexagonales Buch aus dem Heiligen Land, auf dessen winzigen Seiten, verziert mit außergewöhnlicher Kalligraphie, der gesamte Koran in Miniaturschrift zu lesen war; ein Steinkopf aus Mazedonien mit gebrochener Nase, vorgeblich eine Büste, die Alexander den Großen darstellte; eines der kryptischen «Siegel» einer uralten Zivilisation aus dem Tal des Indus, in Ägypten gefunden, verziert mit dem Bild eines Bullen und einer Reihe von Hieroglyphen, die nie entschlüsselt worden waren, ein Gegenstand, dessen Verwendungszweck kein Mensch kannte; ein flacher, blankpolierter Stein aus China mit einem scharlachroten I-Ging-Hexagramm und einer dunklen, natürlichen Markierung, die einem Bergrelief im Dämmerlicht glich; ein bemaltes Porzellanei; ein Schrumpf- kopf von den Bewohnern des Regenwaldes am Amazonas; und ein Wörterbuch der verlorenen Sprache jenes Volkes an der Land- enge von Panama, dessen Sprecher allesamt ausgestorben waren, eine alte Frau ausgenommen, die wegen fehlender Zähne kein Wort mehr verständlich hervorzubringen vermochte.
© Rowohlt Verlag
Übersetzung: Bernhard Robben
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Autoren-Porträt von Salman Rushdie
Salman Rushdie, geboren 1947 in Bombay, studierte in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman 'Mitternachtskinder' wurde er weltberühmt. Seine Bücher erhielten renommierte internationale Auszeichnungen, u.a. den Booker Prize, und sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2008 schlug ihn die Queen zum Ritter. Salman Rushdie erhielt 2014 den Hans Christian Andersen Award und den PEN/Pinter Prize.Bernhard Robben, geboren 1955, war nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie als Deutschlehrer in Nordirland tätig. Seit 1986 arbeitet der Spezialist für irische und angelsächsische Literatur als freier Übersetzer und Journalist. Nebenbei ist er ehrenamtlicher Bürgermeister von Brunne, wo er seit 1992 mit seiner Familie lebt. 2003 wurde er für die Übersetzung des Romans "Abbitte" von Ian McEwan und für sein Lebenswerk mit dem Übersetzerpreis der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW ausgezeichnet. 2013 wurde Bernhard Robben mit dem "Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis" für sein literarisches Lebenswerk auf dem Gebiet der Übersetzung aus dem Englischen gewürdigt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Salman Rushdie
- 2009, 2, 448 Seiten, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Robben, Bernhard
- Übersetzer: Bernhard Robben
- Verlag: Rowohlt
- ISBN-10: 3498057839
- ISBN-13: 9783498057831
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