Die Brut
Roman. Originalausgabe
Tessa Simon hat es geschafft: Die Quoten ihrer Fernsehsendung steigen und sie wohnt zusammen mit Sebastian in einem Luxusloft. Ein kleiner Wermutstropfen trübt ihr Glück: Es gibt Gerüchte, dass Sebastian sich noch mit seiner Exfreundin trifft. Doch Tessa...
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Buch
4.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Brut “
Tessa Simon hat es geschafft: Die Quoten ihrer Fernsehsendung steigen und sie wohnt zusammen mit Sebastian in einem Luxusloft. Ein kleiner Wermutstropfen trübt ihr Glück: Es gibt Gerüchte, dass Sebastian sich noch mit seiner Exfreundin trifft. Doch Tessa wird schwanger. Auch Sebastian freut sich und ist außer Rand und Band. Nach der Geburt des kleinen Victor scheint alles o.k. zu sein scheinbar... »Der von Thea Dorn repräsentierte Autorentypus intelligent und unterhaltsam ist in der deutschen Literatur selten anzutreffen« (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Klappentext zu „Die Brut “
Tessa Simon steht ganz oben: schön und erfolgreich, das Leben fest im Griff. Und sie hat alles: den Traumjob als Talk-Show-Moderatorin, die Titelgeschichten in Lifestyle-Magazinen, und die Liebe ihres Lebens ist noch ganz frisch. Ein Kind passt da ausgezeichnet ins Bild. Auch wenn das Mutterglück nicht frei von Schönheitsfehlern ist - Baby Victor schreit Tag und Nacht, der Vater ist weniger enthusiastisch als versprochen, und ein kleiner Quotenknick macht die Produzenten nervös - steckt Tessa das, wie gewohnt, kompetent und souverän weg. Als Victor allerdings von der Dachterrasse stürzt, vielleicht sogar durch ihre Schuld, droht ihr Leben von einer Schmutzkampagne der Boulevardpresse zerstört zu werden. Doch so leicht lässt Tessa sich von dem hart erkämpften Platz im Rampenlicht nicht verdrängen. Nach einer kurzen Zeit der Verzweiflung trifft sie eine folgenschwere Entscheidung ...
Lese-Probe zu „Die Brut “
Der Bildschirm blieb schwarz. Sie war nur fünf Minuten auf die Dachterrasse gegangen, um eine Zigarette zu rauchen. Als sie in ihr Arbeitszimmer zurückkam, war der Laptop abgestürzt. Ganz gleich, welche Tasten sie drückte, der Bildschirm blieb schwarz. Sie griff nach dem Branchenverzeichnis, um die Panik zu bekämpfen, die ihren Magen zusammenzog.Computerspiele. Computerschulen. Computerreparaturen. Siehe Datenverarbeitungsanlagenreparaturen und -wartung.
Sie blätterte.
Dachdeckereien. Dachziegel. Datenverarbeitung, Programmierung.
Da. Datenverarbeitungsanlagenreparaturen und -wartung.
Computernotdienst. 24-Stunden Hotline.
Sie entschied sich für die Anzeige mit dem roten Stern. Nach dem zehnten oder elften Klingeln meldete sich eine müde Stimme.
"Computernotdienst Schäfer."
"Hier ist Tessa Simon." Sie wartete. Am anderen Ende der Leitung gab es keine Reaktion. "Mein Laptop ist abgestürzt." Ihr Magen krampfte sich weiter zusammen. Warum reagierte der Mann nicht? Ach, Sie sind's Frau Simon. Was kann ich für Sie tun? Das sollte er sagen.
"Welches Fabrikat?", fragte der Mann und klang noch müder.
"Macintosh."
"Macintosh sind wir nicht mehr zuständig."
"Halt. Hören Sie." Tessa spürte, dass der Mann das Gespräch beenden wollte. "Ich habe morgen eine wichtige Sendung. Ich brauche meinen Laptop."
"Der Techniker kommt um sieben."
Tessa schaute auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht.
"Ich brauche jemanden, der sich jetzt um meinen Laptop kümmert. Morgen früh ist es zu spät."
"Tut mir Leid. Kann ich nichts machen."
"In Ihrer Anzeige steht 24-Stunden Hotline!"
"Bin ich nicht ans Telefon gegangen?"
"Bitte! Ich kann meine Sendung morgen nicht moderieren, wenn ich heute Nacht nicht an das Material herankomme, das mir meine Redaktion noch mailen wollte."
"Ich sag Ihnen aber gleich, das kostet erst mal hundertfünfzig Euro für die Anreise. Plus fünfzig Euro Nachtzuschlag. Und wie gesagt: Macintosh sind wir nicht mehr
... mehr
zuständig."
Tessa legte auf, obwohl das kleine Mädchen in ihr weiter bitte, bitte rufen wollte. Mit dreiunddreißig war sie zu alt, um dem kleinen Mädchen den Hörer zu überlassen. Sie betrachtete ihre schlanken, leicht gebräunten Knie, die sie durch die Glasplatte des Schreibtischs hindurch sehen konnte. Sie moderierte Auf der Couch, eine der angesagtesten Talkshows, die es im deutschen Fernsehen gab. Zwar nur auf einem Regionalsender, aber dies hier war das Sendegebiet.
Der Nagellack an ihrem rechten großen Zeh blätterte. Obwohl sie erst vorgestern bei der Pediküre gewesen war. Sie musste mit der Kosmetikerin reden.
Tessa versuchte einen weiteren Neustart. Der Bildschirm flackerte kurz, dann wurde er wieder schwarz. Der Laptop begann sonderbare Geräusche zu machen. Selbstverdauung, dachte Tessa.
Mein Computer frisst sich selbst.
Sie fuhr zusammen, als das Telefon klingelte. Unbekannte Nummer, sagte das Display. Es musste der Computernotdienst sein. Frau Simon, das ist mir schrecklich unangenehm, ich hatte Ihren Namen nicht richtig verstanden, und deshalb, also, na ja ... Selbstverständlich schicke ich gleich unseren besten Techniker vorbei. Ich verspreche Ihnen: In einer Stunde ist Ihr Laptop wieder flott.
Der Anrufbeantworter sprang an. Hastig griff Tessa nach dem schnurlosen Telefon.
"Ja?"
"Kommst du gerade vom Joggen?" Die Stimme am anderen Ende der Leitung gluckste.
"Ach, du bist's."
"Klingt das enttäuscht?"
"Mein verdammter Laptop ist abgestürzt."
"Hast du ihn nicht richtig festgehalten." Die Stimme gluckste wieder.
"Sebastian. Es ist nicht lustig." Tessa legte den rechten Fuß auf ihr linkes Knie und begann an dem Nagellack herumzupulen. "Ich habe morgen die Behrens in der Sendung. Die wollten mir noch das große Interview schicken, das im Magazin erscheint."
"Hast du schon versucht, den Laptop mit dieser Taste, wo man eine Büroklammer reinstecken muss, neu zu starten?"
"Ich habe die Reset-Taste ungefähr hundert Mal gedrückt."
"Gibt es nicht so Rund-um-die-Uhr-Notdienste?"
"Da arbeiten bloß Idioten."
Es entstand eine Pause.
"Wartest du nur auf eine Mail oder brauchst du auch Sachen, die auf deinem Computer gespeichert sind", fragte Sebastian schließlich.
"Das ist doch egal. Hin ist hin."
"Wenn es nur um das Interview geht, kannst du denen in der Redaktion sagen, sie sollen es an meine Adresse schicken."
"Und? Dann liest du es mir am Telefon vor?"
"Mein Laptop steht in meinem Zimmer."
"Was?" Tessa ließ ihren rechten Fuß auf den Boden zurückplumpsen. Der große Zeh war fast geschält.
"Ich hatte keine Lust, ihn diesmal mitzuschleppen."
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. "You saved my night."
"Immer."
Tessas Gesichtszüge entspannten sich. Kein Lachen der Welt kroch ihr tiefer unter die Haut als das von Sebastian. "Weißt du schon, ob du es morgen schaffst?"
"Ich denke, dass ich den letzten Flieger noch erwische."
"Prima. Ich mach dann nach der Sendung auch nicht so lang."
"Wer's glaubt."
"Ich vermiss dich so."
"Ich dich auch."
Sie wollte gerade auflegen, das Ohr noch warm, das Lächeln auf den Lippen, als ihr einfiel: "Halt. Wenn ich an die Mail ran will, brauche ich dein Password."
"Oh ja", sagte Sebastian. "Tasso."
"Tasso? I hate you."
"Wenn ich zurück bin, mach ich Tessa draus."
"Versprochen?"
"Versprochen."
"Schlaf schön."
"Du auch. Ciao."
"Ciao."
Tessa hatte noch immer ein Lächeln auf den Lippen, als sie die Treppe ins untere Stockwerk hinunterging. Vor zwei Monaten erst war sie mit Sebastian in das dreihundert-Quadratmeter-Loft eingezogen. Ich liebe diese Wohnung, dachte Tessa, als sie durch den dunklen Wohnbereich ging, an dem schlichten hellgrauen Filzsofa vorbei, das so breit und tief war, dass man zu zweit darauf liegen konnte. Schon als Studentin hatte sie vor diesem Sofa gestanden. Ein Klassiker, hatte die Verkäuferin damals gesagt und hinterhältig gelächelt, als habe sie längst erkannt, dass in Tessas Budget nicht einmal die linke Armlehne dieses Sofas vorgesehen war.
Sebastians Arbeitszimmer lag schräg unter dem von Tessa. Er hatte ihr das hellere, größere Zimmer mit dem Zugang zur Dachterrasse kampflos überlassen, nicht nur, weil er sie liebte, sondern weil er streng genommen gar kein Arbeitszimmer brauchte. Sebastian Waldenfels war Schauspieler. Ein berühmter. Bis vor kurzem hatte er nur auf der Bühne gestanden. Jetzt drehte er seinen zweiten Kinofilm. Herbstsommer. Er spielte einen Schriftsteller, der begeistert in den ersten Weltkrieg zieht und Jahre später desillusioniert zurückkehrt.
Sie musste lächeln, als sie das Licht anknipste und die vielen Ordner und Schachteln sah, die sich in den deckenhohen Regalen stapelten. Als sie Sebastian beim Einzug gefragt hatte, was da um Gottes Willen drin sei, hatte er gelacht und frag mich lieber nicht gesagt.
Der Laptop stand tatsächlich auf dem Empire-Schreibtisch. Und obwohl er selbst ein antikes Modell war, sah er aus, als wolle er sich dafür entschuldigen, dieses geerbte Prachtstück zu entweihen. Tessa setzte sich und fuhr über die gepolsterten Armlehnen des Stuhls.
Von Sebastians Telefon aus - jeder von ihnen hatte seinen eigenen Anschluss - rief sie bei ihrer Produktionsfirma an. Sie erreichte Ben, den jüngsten der drei Redakteure, der so dankbar für seine Festanstellung war, dass er jede Nacht als Letzter aus dem Büro ging. Er versprach ihr, das Interview mit Gabriele Behrens an Sebastians Adresse zu schicken. Tessa sagte Ciao und legte auf.
Neben dem Schreibtisch hing ein gerahmtes Foto. Es war ihr noch nie aufgefallen. Sebastian auf der Bühne. Er trug eine tief geschlitzte Bluse mit bauschigen Ärmeln, um die Stirn herum einen Lorbeerkranz. Sein Blick war auf etwas außerhalb des Bildes gerichtet. Eine Mischung aus Triumph, Wut und Hohn. Warum ausgerechnet dieses Bild? Sie sollte öfter ins Theater gehen.
Obwohl sie Germanistik im Nebenfach studiert hatte, kannte sie sich nicht gut aus. Früher, als die Liebe noch ein unsicheres Spiel gewesen war, hatte sie sich nächtelang hingesetzt und Wagner gehört, wenn der Mann, in den sie sich verliebt hatte, Wagnerianer war. Sie hatte die verschiedenen Hubräume von Formel-1-Wagen auswendig gelernt. Einmal hatte sie begonnen ungarisch zu lernen. Sich alle sechs Monate in einen neuen Mann zu verlieben, hatte unglaublichen Bildungswert. Die Liebe des Lebens gefunden zu haben, war einfach nur großartig.
Tessa hatte Sebastian vor einem knappen Jahr kennen gelernt. Er war Gast in ihrer Sendung gewesen. Meistens lagen Politiker auf der Couch, aber manchmal machten sie eine Ausnahme und luden Schauspieler, Sportler oder Sänger ein. Tessa hatte sich geschworen, nie mit einem Gast zu schlafen. Host und Herbergsmutter sind eins. Schläfst du mit einem, wollen alle anderen auch mit dir schlafen. In dem Moment, in dem Sebastian von der roten Couch aufgestanden war, hatte Tessa gewusst, dass sie mit diesem Mann schlafen würde. Als die Champagnervorräte in der Lobby des Senders aufgebraucht waren, hatten sie in der Stammbar nebenan weiter getrunken, schließlich waren sie endlos durch die Stadt gelaufen, um das, was nicht mehr aufzuhalten war, aufzuhalten.
Im Morgengrauen waren sie am Ufer des Flusses gelandet, der hinter dem Sendegebäude entlangfließt. Das Gras war nass, die Männer auf den vorbeifahrenden Lastkähnen johlten. Als es endgültig hell wurde, trennten sie sich, ohne etwas zu sagen. Tessa war nach Hause gefahren, um ihren zweitausend-Mark-Anzug in den Müll zu werfen. Sebastian war nach Hause gefahren, um seiner Lebensgefährtin zu erklären, dass er sie verlassen würde.
Der Laptop erwachte summend. Im blaugrauen Rahmen bauten sich die Dokumente auf.
Neugier ist ein eigenwilliges Tier. Als Mädchen hatte Tessa manchmal mit dem Hund der Nachbarn Gassi gehen müssen. Und obwohl sie irgendwie verstand, dass er an jeder Ecke stehenbleiben und schnüffeln wollte, hatte sie ihn stets weiter gezerrt. So ging es ihr jetzt mit der Neugier. Sie überflog die Namen der Dokumente, die Sebastian auf der Festplatte gespeichert hatte. Geschäftsbriefe. Rechnungen. Steuerkram. Alles langweilig. Keine Tagebücher. Keine Gedanken.
Sebastian war nicht der Mann, der sein Inneres auf der Festplatte präsentierte. Zufrieden startete Tessa das altmodische E-Mail-Programm und loggte sich ein. Tasso. Wenn sie sich recht erinnerte, der Titel eines Theaterstücks.
Begleitet von einer kurzen elektronischen Fanfare landete Bens Mail im Posteingang. Zusammen mit drei weiteren Mails.
Die Neugier richtete ihre Ohren auf.
Abovetheline: "Anfrage"
KHerz: "unser termin nächste woche"
ColumbiaTriStar: "Ihre Flugdaten"
Post von der Agentur. Von einem Journalisten, der ein Portrait über Sebastian schreiben wollte.
Von der Filmproduktionsfirma, für die Sebastian gerade drehte.
Die Neugier kreuzte die Pfoten und ließ sich unter dem Schreibtisch nieder.
Der Computer begann, das Interview mit Gabriele Behrens herunter zu laden. Gabriele Behrens war seit einem Monat Kanzlerkandidatin. Die erste Kanzlerkandidatin, die die Sozialdemokraten aufgestellt hatten. Die erste Kanzlerkandidatin überhaupt. Das Volk wusste noch nicht, ob es Gabriele Behrens lieben sollte. Und Gabriele Behrens schien noch nicht zu wissen, ob sie das Volk lieben sollte. Es würde eine gute Sendung werden morgen.
Nein, ich glaube nicht, dass die bisherige Regierung begriffen hat, was Familienpolitik im 21. Jahrhundert bedeutet, las Tessa. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs. Wir müssen den Blick nach vorn richten. Aber trotzdem und gerade deshalb muss uns bewusst bleiben, welches die traditionellen Werte sind, von denen wir herkommen, und die das Fundament auch eines jeden neuen Modells bleiben müssen.
Ihr Blick wanderte zu dem Foto zurück. Es war unheimlich, wie sehr Sebastian auf der Bühne schwitzte. Im Bett tat er das nicht. Tessa druckte das Interview aus, um es in ihr Arbeitszimmer mitzunehmen, und löschte die Mail, die Ben ihr geschickt hatte. Sie war bereits aufgestanden, da fiel ihr ein, dass dieses Programm, mit dem sie früher selbst gearbeitet hatte, die Mails nicht wirklich vernichtete, sondern zunächst bloß zwischenlagerte. Auch wenn sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Mann Bett und Tisch teilte, bedeutete dies nicht, die Trennung der Laptops aufzugeben. Sie öffnete den Ordner Gelöschte Mails. Und entdeckte außer der Nachricht von Ben eine zweite.
"Warnung." Absender: CDembruch.
Die Neugier war mit einem Satz auf den Beinen und kläffte. CDembruch. Carola Dembruch.
Sebastians Ex. Tessa starrte auf den Bildschirm. Die Neugier zerrte, aber Tessa hielt sie fest an der Leine. Warnung. Was sollte das schon für eine Warnung sein? Sicher eine von diesen lächerlichen Viruswarnungen, die unterbeschäftigte Computerfreaks in die Welt setzten, weil sie Pickel hatten und keinen hochkriegten. Carola hatte Sebastians Mail-Adresse sicher immer noch in ihrem Adressbuch gespeichert und eine Viruswarnung an alle weitergeleitet. So musste es sein.
Tessa atmete aus und rieb sich die Augen. Es hatte nichts zu bedeuten. Deshalb hatte Sebastian die Nachricht auch einfach bei den Gelöschten Mails herumliegen lassen.
Sie stand auf und begann, im Zimmer umherzugehen. Im Regal vor ihr war eine Schachtel, auf der Platonow stand. Daneben Nathan. Daneben Stuttgart 1976/77. Ihre Hände zuckten. Es war lächerlich.
Geh zum Schreibtisch zurück, mach den verdammten Laptop aus, nimm das Interview und arbeite.
Sebastian höhnte noch immer unter dem Lorbeerkranz hervor. Er hätte ihr doch nicht angeboten, seinen Laptop zu benutzen, wenn dort eine verfängliche Mail von Carola herumliegen würde.
Die Neugier jaulte.
Sebastian hatte Carola wegen ihr verlassen. Endgültig. Es gab keinen Grund ihm zu misstrauen.
Carola hatte verloren, ein Jahr lang jedes Selbsterniedrigungsregister gezogen und trotzdem verloren. Sebastian war mit ihr, Tesssa, in diese Wohnung gezogen. Ein Mann, der sich den Rückzug offenhalten wollte, zog nicht mit seiner neuen Liebe in eine solche Wohnung.
Die Neugier presste sich winselnd auf den Boden.
Dieser Lorbeerkranz ist doch nur lächerlich, dachte Tessa. Und öffnete die Mail.
Mein Lieber,
man tut nichts ungestraft auf dieser Welt. Gestern Morgen fing bei mir das altbekannte Jucken an, und mein Arzt bestätigte, dass ich eine Candida habe. Da sich meine erotische Versorgung in den letzten Monaten auf das Gnadenbrot beläuft, das Du mir zuteil werden lässt, kann ich es nur von Dir haben. Bei wem Du Dir wiederum die Candida eingefangen hast, ist mir allerdings ein Rätsel, denn dass Dein Astralweib die Brutstätte einer ordinären Pilzkrankheit ist, kann ja unmöglich sein.
Kuss Carola
Der Bildschirm begann vor Tessas Augen zu verschwimmen. Die Buchstaben wurden unscharf, die Zeilen zerflossen, wurden immer länger, immer breiter, bis sie als zähe schwarze Masse über den Bildschirm liefen.
Candidus. Candida. Candidum. Glänzend weiß. Setzen. Eins. Lustig, wie die Sprache häßliche Dinge mit schönen Wörtern überzog. Candidamycose. Das klang nach Jahrmarkt und roten Äpfeln am Stiel.
Tessa war siebzehn gewesen. Und er Drummer in der einzigen Rockband, die es an ihrem Kleinstadtgymnasium gab. Sie hatten es nach einem Open-Air-Konzert am Ufer des Baggersees getrieben. Zwei Tage später hatte es zu brennen begonnen. Vulvovaginitis candidomycetica, sagte das medizinische Wörterbuch, und es klang nicht mehr ganz so nach Jahrmarkt. Starke entzündliche Rötung und typischerweise (jedoch nicht immer) rasenartige grauweißliche Beläge im Bereich von Vulva und Vaginalwand einschließlich Portio, bei deren Entfernung Blutungen auftreten können. Es hatte geblutet, als Tessa mit Fingernägeln in sich herumkratzte. Als sie Feli, ihrer jüngeren Schwester, davon erzählte, lachte diese. Welcome to the Club, Schwesterchen, ist doch schön, wenn die Geschlechtskrankheiten in der Familie bleiben. Tessa hängte sämtliche Kamillenteebeutel, die sie in der Küche finden konnte, in die Badewanne und schloss sich die ganze Nacht zum Sitzbad ein. Das bringt doch nix, rief Feli durch die Tür, nimm lieber den Rest von meinem Pilz-Ex. Am nächsten Morgen erklärte Tessa, dass sie den Frauenarzt wechseln würde.
Aber du warst doch immer so froh, dass du mit Feli zusammen zu Doktor Prätsch gehen konntest, sagte die Stiefmutter. Feli lachte und ließ den Frühstücksjoghurt aus ihrem Mund in die Müslischale zurücktropfen. Es war der letzte Morgen gewesen, an dem Tessa einen Joghurt gegessen hatte.
Sebastian. Was soll das?
Tessa starrte auf den Bildschirm, auf dem jetzt wieder Buchstaben und Wörter und Sätze waren.
Tessa legte auf, obwohl das kleine Mädchen in ihr weiter bitte, bitte rufen wollte. Mit dreiunddreißig war sie zu alt, um dem kleinen Mädchen den Hörer zu überlassen. Sie betrachtete ihre schlanken, leicht gebräunten Knie, die sie durch die Glasplatte des Schreibtischs hindurch sehen konnte. Sie moderierte Auf der Couch, eine der angesagtesten Talkshows, die es im deutschen Fernsehen gab. Zwar nur auf einem Regionalsender, aber dies hier war das Sendegebiet.
Der Nagellack an ihrem rechten großen Zeh blätterte. Obwohl sie erst vorgestern bei der Pediküre gewesen war. Sie musste mit der Kosmetikerin reden.
Tessa versuchte einen weiteren Neustart. Der Bildschirm flackerte kurz, dann wurde er wieder schwarz. Der Laptop begann sonderbare Geräusche zu machen. Selbstverdauung, dachte Tessa.
Mein Computer frisst sich selbst.
Sie fuhr zusammen, als das Telefon klingelte. Unbekannte Nummer, sagte das Display. Es musste der Computernotdienst sein. Frau Simon, das ist mir schrecklich unangenehm, ich hatte Ihren Namen nicht richtig verstanden, und deshalb, also, na ja ... Selbstverständlich schicke ich gleich unseren besten Techniker vorbei. Ich verspreche Ihnen: In einer Stunde ist Ihr Laptop wieder flott.
Der Anrufbeantworter sprang an. Hastig griff Tessa nach dem schnurlosen Telefon.
"Ja?"
"Kommst du gerade vom Joggen?" Die Stimme am anderen Ende der Leitung gluckste.
"Ach, du bist's."
"Klingt das enttäuscht?"
"Mein verdammter Laptop ist abgestürzt."
"Hast du ihn nicht richtig festgehalten." Die Stimme gluckste wieder.
"Sebastian. Es ist nicht lustig." Tessa legte den rechten Fuß auf ihr linkes Knie und begann an dem Nagellack herumzupulen. "Ich habe morgen die Behrens in der Sendung. Die wollten mir noch das große Interview schicken, das im Magazin erscheint."
"Hast du schon versucht, den Laptop mit dieser Taste, wo man eine Büroklammer reinstecken muss, neu zu starten?"
"Ich habe die Reset-Taste ungefähr hundert Mal gedrückt."
"Gibt es nicht so Rund-um-die-Uhr-Notdienste?"
"Da arbeiten bloß Idioten."
Es entstand eine Pause.
"Wartest du nur auf eine Mail oder brauchst du auch Sachen, die auf deinem Computer gespeichert sind", fragte Sebastian schließlich.
"Das ist doch egal. Hin ist hin."
"Wenn es nur um das Interview geht, kannst du denen in der Redaktion sagen, sie sollen es an meine Adresse schicken."
"Und? Dann liest du es mir am Telefon vor?"
"Mein Laptop steht in meinem Zimmer."
"Was?" Tessa ließ ihren rechten Fuß auf den Boden zurückplumpsen. Der große Zeh war fast geschält.
"Ich hatte keine Lust, ihn diesmal mitzuschleppen."
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. "You saved my night."
"Immer."
Tessas Gesichtszüge entspannten sich. Kein Lachen der Welt kroch ihr tiefer unter die Haut als das von Sebastian. "Weißt du schon, ob du es morgen schaffst?"
"Ich denke, dass ich den letzten Flieger noch erwische."
"Prima. Ich mach dann nach der Sendung auch nicht so lang."
"Wer's glaubt."
"Ich vermiss dich so."
"Ich dich auch."
Sie wollte gerade auflegen, das Ohr noch warm, das Lächeln auf den Lippen, als ihr einfiel: "Halt. Wenn ich an die Mail ran will, brauche ich dein Password."
"Oh ja", sagte Sebastian. "Tasso."
"Tasso? I hate you."
"Wenn ich zurück bin, mach ich Tessa draus."
"Versprochen?"
"Versprochen."
"Schlaf schön."
"Du auch. Ciao."
"Ciao."
Tessa hatte noch immer ein Lächeln auf den Lippen, als sie die Treppe ins untere Stockwerk hinunterging. Vor zwei Monaten erst war sie mit Sebastian in das dreihundert-Quadratmeter-Loft eingezogen. Ich liebe diese Wohnung, dachte Tessa, als sie durch den dunklen Wohnbereich ging, an dem schlichten hellgrauen Filzsofa vorbei, das so breit und tief war, dass man zu zweit darauf liegen konnte. Schon als Studentin hatte sie vor diesem Sofa gestanden. Ein Klassiker, hatte die Verkäuferin damals gesagt und hinterhältig gelächelt, als habe sie längst erkannt, dass in Tessas Budget nicht einmal die linke Armlehne dieses Sofas vorgesehen war.
Sebastians Arbeitszimmer lag schräg unter dem von Tessa. Er hatte ihr das hellere, größere Zimmer mit dem Zugang zur Dachterrasse kampflos überlassen, nicht nur, weil er sie liebte, sondern weil er streng genommen gar kein Arbeitszimmer brauchte. Sebastian Waldenfels war Schauspieler. Ein berühmter. Bis vor kurzem hatte er nur auf der Bühne gestanden. Jetzt drehte er seinen zweiten Kinofilm. Herbstsommer. Er spielte einen Schriftsteller, der begeistert in den ersten Weltkrieg zieht und Jahre später desillusioniert zurückkehrt.
Sie musste lächeln, als sie das Licht anknipste und die vielen Ordner und Schachteln sah, die sich in den deckenhohen Regalen stapelten. Als sie Sebastian beim Einzug gefragt hatte, was da um Gottes Willen drin sei, hatte er gelacht und frag mich lieber nicht gesagt.
Der Laptop stand tatsächlich auf dem Empire-Schreibtisch. Und obwohl er selbst ein antikes Modell war, sah er aus, als wolle er sich dafür entschuldigen, dieses geerbte Prachtstück zu entweihen. Tessa setzte sich und fuhr über die gepolsterten Armlehnen des Stuhls.
Von Sebastians Telefon aus - jeder von ihnen hatte seinen eigenen Anschluss - rief sie bei ihrer Produktionsfirma an. Sie erreichte Ben, den jüngsten der drei Redakteure, der so dankbar für seine Festanstellung war, dass er jede Nacht als Letzter aus dem Büro ging. Er versprach ihr, das Interview mit Gabriele Behrens an Sebastians Adresse zu schicken. Tessa sagte Ciao und legte auf.
Neben dem Schreibtisch hing ein gerahmtes Foto. Es war ihr noch nie aufgefallen. Sebastian auf der Bühne. Er trug eine tief geschlitzte Bluse mit bauschigen Ärmeln, um die Stirn herum einen Lorbeerkranz. Sein Blick war auf etwas außerhalb des Bildes gerichtet. Eine Mischung aus Triumph, Wut und Hohn. Warum ausgerechnet dieses Bild? Sie sollte öfter ins Theater gehen.
Obwohl sie Germanistik im Nebenfach studiert hatte, kannte sie sich nicht gut aus. Früher, als die Liebe noch ein unsicheres Spiel gewesen war, hatte sie sich nächtelang hingesetzt und Wagner gehört, wenn der Mann, in den sie sich verliebt hatte, Wagnerianer war. Sie hatte die verschiedenen Hubräume von Formel-1-Wagen auswendig gelernt. Einmal hatte sie begonnen ungarisch zu lernen. Sich alle sechs Monate in einen neuen Mann zu verlieben, hatte unglaublichen Bildungswert. Die Liebe des Lebens gefunden zu haben, war einfach nur großartig.
Tessa hatte Sebastian vor einem knappen Jahr kennen gelernt. Er war Gast in ihrer Sendung gewesen. Meistens lagen Politiker auf der Couch, aber manchmal machten sie eine Ausnahme und luden Schauspieler, Sportler oder Sänger ein. Tessa hatte sich geschworen, nie mit einem Gast zu schlafen. Host und Herbergsmutter sind eins. Schläfst du mit einem, wollen alle anderen auch mit dir schlafen. In dem Moment, in dem Sebastian von der roten Couch aufgestanden war, hatte Tessa gewusst, dass sie mit diesem Mann schlafen würde. Als die Champagnervorräte in der Lobby des Senders aufgebraucht waren, hatten sie in der Stammbar nebenan weiter getrunken, schließlich waren sie endlos durch die Stadt gelaufen, um das, was nicht mehr aufzuhalten war, aufzuhalten.
Im Morgengrauen waren sie am Ufer des Flusses gelandet, der hinter dem Sendegebäude entlangfließt. Das Gras war nass, die Männer auf den vorbeifahrenden Lastkähnen johlten. Als es endgültig hell wurde, trennten sie sich, ohne etwas zu sagen. Tessa war nach Hause gefahren, um ihren zweitausend-Mark-Anzug in den Müll zu werfen. Sebastian war nach Hause gefahren, um seiner Lebensgefährtin zu erklären, dass er sie verlassen würde.
Der Laptop erwachte summend. Im blaugrauen Rahmen bauten sich die Dokumente auf.
Neugier ist ein eigenwilliges Tier. Als Mädchen hatte Tessa manchmal mit dem Hund der Nachbarn Gassi gehen müssen. Und obwohl sie irgendwie verstand, dass er an jeder Ecke stehenbleiben und schnüffeln wollte, hatte sie ihn stets weiter gezerrt. So ging es ihr jetzt mit der Neugier. Sie überflog die Namen der Dokumente, die Sebastian auf der Festplatte gespeichert hatte. Geschäftsbriefe. Rechnungen. Steuerkram. Alles langweilig. Keine Tagebücher. Keine Gedanken.
Sebastian war nicht der Mann, der sein Inneres auf der Festplatte präsentierte. Zufrieden startete Tessa das altmodische E-Mail-Programm und loggte sich ein. Tasso. Wenn sie sich recht erinnerte, der Titel eines Theaterstücks.
Begleitet von einer kurzen elektronischen Fanfare landete Bens Mail im Posteingang. Zusammen mit drei weiteren Mails.
Die Neugier richtete ihre Ohren auf.
Abovetheline: "Anfrage"
KHerz: "unser termin nächste woche"
ColumbiaTriStar: "Ihre Flugdaten"
Post von der Agentur. Von einem Journalisten, der ein Portrait über Sebastian schreiben wollte.
Von der Filmproduktionsfirma, für die Sebastian gerade drehte.
Die Neugier kreuzte die Pfoten und ließ sich unter dem Schreibtisch nieder.
Der Computer begann, das Interview mit Gabriele Behrens herunter zu laden. Gabriele Behrens war seit einem Monat Kanzlerkandidatin. Die erste Kanzlerkandidatin, die die Sozialdemokraten aufgestellt hatten. Die erste Kanzlerkandidatin überhaupt. Das Volk wusste noch nicht, ob es Gabriele Behrens lieben sollte. Und Gabriele Behrens schien noch nicht zu wissen, ob sie das Volk lieben sollte. Es würde eine gute Sendung werden morgen.
Nein, ich glaube nicht, dass die bisherige Regierung begriffen hat, was Familienpolitik im 21. Jahrhundert bedeutet, las Tessa. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs. Wir müssen den Blick nach vorn richten. Aber trotzdem und gerade deshalb muss uns bewusst bleiben, welches die traditionellen Werte sind, von denen wir herkommen, und die das Fundament auch eines jeden neuen Modells bleiben müssen.
Ihr Blick wanderte zu dem Foto zurück. Es war unheimlich, wie sehr Sebastian auf der Bühne schwitzte. Im Bett tat er das nicht. Tessa druckte das Interview aus, um es in ihr Arbeitszimmer mitzunehmen, und löschte die Mail, die Ben ihr geschickt hatte. Sie war bereits aufgestanden, da fiel ihr ein, dass dieses Programm, mit dem sie früher selbst gearbeitet hatte, die Mails nicht wirklich vernichtete, sondern zunächst bloß zwischenlagerte. Auch wenn sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Mann Bett und Tisch teilte, bedeutete dies nicht, die Trennung der Laptops aufzugeben. Sie öffnete den Ordner Gelöschte Mails. Und entdeckte außer der Nachricht von Ben eine zweite.
"Warnung." Absender: CDembruch.
Die Neugier war mit einem Satz auf den Beinen und kläffte. CDembruch. Carola Dembruch.
Sebastians Ex. Tessa starrte auf den Bildschirm. Die Neugier zerrte, aber Tessa hielt sie fest an der Leine. Warnung. Was sollte das schon für eine Warnung sein? Sicher eine von diesen lächerlichen Viruswarnungen, die unterbeschäftigte Computerfreaks in die Welt setzten, weil sie Pickel hatten und keinen hochkriegten. Carola hatte Sebastians Mail-Adresse sicher immer noch in ihrem Adressbuch gespeichert und eine Viruswarnung an alle weitergeleitet. So musste es sein.
Tessa atmete aus und rieb sich die Augen. Es hatte nichts zu bedeuten. Deshalb hatte Sebastian die Nachricht auch einfach bei den Gelöschten Mails herumliegen lassen.
Sie stand auf und begann, im Zimmer umherzugehen. Im Regal vor ihr war eine Schachtel, auf der Platonow stand. Daneben Nathan. Daneben Stuttgart 1976/77. Ihre Hände zuckten. Es war lächerlich.
Geh zum Schreibtisch zurück, mach den verdammten Laptop aus, nimm das Interview und arbeite.
Sebastian höhnte noch immer unter dem Lorbeerkranz hervor. Er hätte ihr doch nicht angeboten, seinen Laptop zu benutzen, wenn dort eine verfängliche Mail von Carola herumliegen würde.
Die Neugier jaulte.
Sebastian hatte Carola wegen ihr verlassen. Endgültig. Es gab keinen Grund ihm zu misstrauen.
Carola hatte verloren, ein Jahr lang jedes Selbsterniedrigungsregister gezogen und trotzdem verloren. Sebastian war mit ihr, Tesssa, in diese Wohnung gezogen. Ein Mann, der sich den Rückzug offenhalten wollte, zog nicht mit seiner neuen Liebe in eine solche Wohnung.
Die Neugier presste sich winselnd auf den Boden.
Dieser Lorbeerkranz ist doch nur lächerlich, dachte Tessa. Und öffnete die Mail.
Mein Lieber,
man tut nichts ungestraft auf dieser Welt. Gestern Morgen fing bei mir das altbekannte Jucken an, und mein Arzt bestätigte, dass ich eine Candida habe. Da sich meine erotische Versorgung in den letzten Monaten auf das Gnadenbrot beläuft, das Du mir zuteil werden lässt, kann ich es nur von Dir haben. Bei wem Du Dir wiederum die Candida eingefangen hast, ist mir allerdings ein Rätsel, denn dass Dein Astralweib die Brutstätte einer ordinären Pilzkrankheit ist, kann ja unmöglich sein.
Kuss Carola
Der Bildschirm begann vor Tessas Augen zu verschwimmen. Die Buchstaben wurden unscharf, die Zeilen zerflossen, wurden immer länger, immer breiter, bis sie als zähe schwarze Masse über den Bildschirm liefen.
Candidus. Candida. Candidum. Glänzend weiß. Setzen. Eins. Lustig, wie die Sprache häßliche Dinge mit schönen Wörtern überzog. Candidamycose. Das klang nach Jahrmarkt und roten Äpfeln am Stiel.
Tessa war siebzehn gewesen. Und er Drummer in der einzigen Rockband, die es an ihrem Kleinstadtgymnasium gab. Sie hatten es nach einem Open-Air-Konzert am Ufer des Baggersees getrieben. Zwei Tage später hatte es zu brennen begonnen. Vulvovaginitis candidomycetica, sagte das medizinische Wörterbuch, und es klang nicht mehr ganz so nach Jahrmarkt. Starke entzündliche Rötung und typischerweise (jedoch nicht immer) rasenartige grauweißliche Beläge im Bereich von Vulva und Vaginalwand einschließlich Portio, bei deren Entfernung Blutungen auftreten können. Es hatte geblutet, als Tessa mit Fingernägeln in sich herumkratzte. Als sie Feli, ihrer jüngeren Schwester, davon erzählte, lachte diese. Welcome to the Club, Schwesterchen, ist doch schön, wenn die Geschlechtskrankheiten in der Familie bleiben. Tessa hängte sämtliche Kamillenteebeutel, die sie in der Küche finden konnte, in die Badewanne und schloss sich die ganze Nacht zum Sitzbad ein. Das bringt doch nix, rief Feli durch die Tür, nimm lieber den Rest von meinem Pilz-Ex. Am nächsten Morgen erklärte Tessa, dass sie den Frauenarzt wechseln würde.
Aber du warst doch immer so froh, dass du mit Feli zusammen zu Doktor Prätsch gehen konntest, sagte die Stiefmutter. Feli lachte und ließ den Frühstücksjoghurt aus ihrem Mund in die Müslischale zurücktropfen. Es war der letzte Morgen gewesen, an dem Tessa einen Joghurt gegessen hatte.
Sebastian. Was soll das?
Tessa starrte auf den Bildschirm, auf dem jetzt wieder Buchstaben und Wörter und Sätze waren.
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Autoren-Porträt von Thea Dorn
Ursprünglich als Jungfrau geplant, zieht Thea Dorn intuitiv ein doppeltes Feuerzeichen vor und kommt - vier Wochen zu früh - am 23. Juli 1970 in Offenbach zur Welt. Die Löwefrau mit Aszendent Schütze geht nach dem Abitur ins antarktische Südgeorgien, um dort das Verhalten der Kaiserpinguine zu erforschen. Später arbeitet sie als Dozentin für Philosophie an der Freien Universität Berlin und hält Seminare zu Fragen der modernen Ethik und Ästhetik. Veröffentlichungen: Sie veröffentlicht die Kriminalromane 'Berliner Aufklärung', 'Ringkampf' und 'Die Hirnkönigin' und erhält den Raymond-Chandler-Preis. Ihr Theaterstück 'Marleni' wird im Januar 2000 in Hamburg uraufgeführt. Nach einem für Feuerzeichen typischen anfänglichen Skeptizismus nähert sich Dorn durch die intensive Arbeit an den Astrokrimis der Weisheit der Sterne. 'Seit ich weiß, daß fast kein Krimiautor Fische ist, schaue ich bei manchen Menschen genauer hin.'
Bibliographische Angaben
- Autor: Thea Dorn
- 2004, 1, 412 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Thomas Stegers
- Verlag: MANHATTAN
- ISBN-10: 3442545668
- ISBN-13: 9783442545667
Rezension zu „Die Brut “
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