Die Damen von St. Petersburg
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Die Damen von St. Petersburg vonJelena Chorwatowa
LESEPROBE
Dauerregen,schon den dritten Tag. Alles, auch die Luft
unddie Erde, triefte vor Nässe. Und wo es feucht ist,
daist es auch dreckig. Das, was verharmlosend als »Besonderheiten
desPetersburger Klimas« beschrieben wird,
bekamich im Übermaß zu spüren.
Freilicherinnert das Ostseewetter selten an die Subtropen,
undals mein Mann und ich uns entschlossen, den
Sommerin Petersburg zu verbringen, hätten wir darauf
eingestelltsein sollen, gleichwohl erhofften wir mehr.
Dawir uns so oder so in den Sommermonaten in der
Hauptstadteinquartieren mussten, hatte Zetern und Lamentieren
jetztwenig Sinn, besser, sich mit den Wetterkapriolen
abzufinden.Mein Gatte Michail (wir waren frisch
verheiratet,weshalb ich immer noch glaubte, er sei der
idealeMann) brauchte ärztliche Behandlung. Nach einer
schwerenPockenerkrankung war sein Gesicht derart entstellt,
dassnicht einmal die engsten Verwandten ihn erkannten.
DiesenUmstand und Michails langen Auslandsaufenthalt
hatteein ausgekochter Gauner genutzt, um
sichseinen Namen und seinen Besitz anzueignen. Zwar
entlarvtenwir ihn und seine Machenschaften, doch wie
vielKraft uns das kostete! Dessen ungeachtet litt Mischa
argdarunter, ein Ausbund an Hässlichkeit zu sein, vor
demalle entsetzt zurückwichen.
ZumGlück fanden wir einen Arzt, der Mischa mit dem
Skalpellein durchaus einnehmendes Gesicht verpasste.
DerMedikus schuf ein wahres Meisterwerk, bei dessen
Betrachtungdie gelehrten Kollegen anerkennend mit der
Zungeschnalzten.
Nachdemder Chirurg Fedossjew meinen Mann zweimal
operierthatte, zog er nach Petersburg, obwohl noch
letzteGesichtskorrekturen erforderlich waren. Bevor wir
riskierten,in Moskau an einen Halsabschneider zu geraten,
reistenwir ihm an die Newa nach.
WenigeTage in einem Petersburger Hotel brachten uns
schnellzu der Einsicht, lieber eine Datscha zu mieten.
Unerträglich,in einer Straße zu wohnen, wo man vergeblich
nachGrün sucht, wo kein einziger Grashalm durch
dasKopfsteinpflaster dringt. Obendrein wurde eifrig gebaut,
injeder Straße entstanden neue Häuser. Kalkstaub
undFarbgeruch hingen in der Luft. Hämmern und Sägen
überall,beim Einrammen der Pfähle wankte der Boden
unterden Füßen
Inihrem typisch snobistischen Ton behaupten manche
Petersburger,Moskau sei ein großes Dorf. Ich finde nichts
Herabwürdigendesdaran, wenn man bedenkt, dass ganze
Viertelmeiner Heimatstadt aus anheimelnden, in Gärten
undBlumenrabatten versinkenden Villen bestehen, die an
altehrwürdigeGutshäuser erinnern.
Beimir zu Hause auf dem Arbat öffne ich das Fenster
undhöre Vogelgezwitscher, sehe grünes Laub, in Petersburg
mussich dafür Gott weiß wie weit fahren. Freilich
gibtes auch hier herrliche Parkanlagen und Gärten, die
zusammenmit ihren vollendeten Skulpturen ein Gesamtkunstwerk
bilden.
Wirbeschlossen, eine Datscha zu mieten, wo ich während
MischasKlinikaufenthalt frische Luft, Grün und Blumen
genießenkonnte.
Daswar allerdings schwieriger als gedacht. Die Sommersaison
begann,die besseren Datschen waren allesamt
vergeben,und es sah ganz danach aus, als müsste ich den
Sommerinmitten des hochgelobten Petersburger Granits
undStraßenstaubs ausharren. Wahrlich keine schöne Aussicht,
daskönnen Sie mir glauben.
Hilfekam wie meist von unerwarteter Seite. Im Gespräch
mitdem Arzt meines Mannes erwähnte ich die
Schwierigkeitenmit dem Sommerhaus, da mischte sich
einKollege ein, der von einer frei stehenden Datscha neben
seinereigenen wusste.
Eshandelte sich um ein geräumiges zweistöckiges Haus
inLessnoi auf dem Murinsker Prospekt (die Petersburger
bezeichnenmit Vorliebe alles als Prospekt, selbst die kleinen
Wegein den Sommerhaussiedlungen).
Wiedas große Petersburg war auch das kleine Lessnoi
geometrischgegliedert, dicht an dicht mit Datschen bebaut.
Dasnoch freie Haus mit acht Zimmern, Küche, Möbeln
undGeschirr sowie einem Holzschuppen wurde für
vierhundertRubel pro Saison angeboten.
Daich nicht an übermäßiger Sparsamkeit litt und der
»Dämonder Ökonomie«, wie unser großer Schriftsteller
AntonTschechow es ausdrückte, mich noch nicht gepackt
hatte,hielt ich vierhundert Rubel für angemessen. Gern
hätteich mehr ausgegeben für eine komfortablere Bleibe
ineinem schöneren Ort, aber Wir nahmen die Murinsker
Datscha,schließlich sollten wir sie nur wenige Monate
bewohnen.
Wiemalen sich Städter ein Leben in der Sommerfrische
aus?Vor allem als Müßiggang - faul im schattigen Garten
inder Hängematte liegen, still vor sich hin schaukeln, in
einemrührseligen Roman mit traurigem Ausgang schmökern
unddie Tränen abwischen.
Inder Realität sah alles prosaischer aus. Der neu angelegte
Gartenmachte einen für Petersburg typischen, kärglichen
Eindruck(die kleinen Ruten, die aus dem Modder
ragten,konnte man beileibe nicht als Obstbäume bezeichnen).
DasWetter ließ von Anfang an zu wünschen übrig,
ach,was sage ich, Sauwetter war es, und die morastige
Umgebungwirkte alles andere als aufheiternd.
Undmal ehrlich, Müßiggang ist nur dann ein Genuss,
wennman bis zum Hals in Arbeit steckt. Hat man aber
nichtszu tun, verwandelt sich Muße in Eintönigkeit. Zermürbend
langsamkriecht die Zeit dahin an solchen Tagen!
DieKrankenbesuche bei meinem Mann gestaltete ich
kurz,um die Behandlung nicht zu stören. Meine wenigen
PetersburgerBekannten hatten den Sommer über die
Stadtverlassen
Selbstdie Empfehlungsschreiben an die Petersburger
Niederlassungder Frauenrechtsliga, die ich als Aktivistin
derMoskauer Zweigstelle mitbrachte, konnte ich niemandem
aushändigen.Die Petersburger Feministinnen legten
geradeeine Kampfpause ein.
ImPark von Lessnoi wurden Tanzabende und Laienspiele
geboten- Zeitvertreib für Gymnasiastinnen und
jungeMädchen auf der Suche nach einer guten Partie,
nichtsfür eine Frau in meinem Alter. Auch die in den Weißen
Nächtenbeliebten Kutschfahrten auf der Insel Jelagin
reiztenmich wenig. Ich liebe Abenteuer, aber andere als
solche,die man nachts auf Inseln sucht
Überhauptist Petersburg verschlossen, abweisend und
ungastlichgegenüber Fremden. Man lässt sie spüren, dass
sieüberflüssig sind. Nur wer in Petersburg geboren ist
oderlange hier lebt, dem zeigt die Stadt nicht ihr offiziöses,
abweisend-imperiales,sondern ihr trauliches, joviales
Gesicht.
Sofand ich mich gewissermaßen in einer Wüste wieder
undhätte allen Grund zur Übellaunigkeit, stünde ich
nichtüber so würdelosen Emotionen. Melancholie wäre
romantischund irgendwie originell, aber einfach schlechte
Launehaben, vor Langeweile vergehen, Köchin und
Zofemit Vorwürfen tyrannisieren, das steht einer Dame
vonWelt nicht zu Gesicht. Man muss das Leben philosophisch
nehmen,schon in der Antike hieß es, der ist einäugig,
dernur die Schattenseite der Dinge sieht. Immerhin
befandich mich in Petersburg und nicht in einem gottverdammten
Nest.
Mitdem Stadtführer bewaffnet, nahm ich mir Besichtigungstouren,
langeSpaziergänge und Fahrradausflüge
vor.
DieNewastadt, die kürzlich ihren zweihundertsten
Geburtstagfeierte, hat eine Vielzahl geschichtsträchtiger
Orte.Für einen kleinen Obolus oder gar umsonst erfährt
manvon jeder gefälligen Person, was sich an dieser oder
jenerStelle bei der Stadtgründung abspielte, welche große
Persönlichkeitwelche Kirche besuchte, wer für seine Geliebte
diesesoder jenes Schloss bauen ließ, wer inkognito
indie schlichte Schenke einzukehren pflegte, die sich vor
fünfzigJahren noch an ihrem angestammten Platz befand.
Besondersviele Spuren hinterließen die Angehörigen
desZarenhauses in der Hauptstadt, allen voran der Stadtgründer
Peterder Erste und Katharina die Zweite.
AufSchritt und Tritt wird man an die beiden Monarchen
erinnert,hier steht eines ihrer Schlösser, dort eines
ihrerFavoriten, ein Denkmal oder etwas anderes, das sich
anihre Namen knüpft. Unsere Herrscher lebten auf großem
Fuß,prunkvoll und verschwenderisch ist alles, was
siein Petersburg und seiner Umgebung erbauen ließen.
EinLiebhaber der russischen Geschichte und ihrer Denk-
mälerfindet hier ein schier unübersehbares Betätigungsfeld.
Hinzukommen Pawlowsk, Peterhof, Gatschina,
ZarskojeSelo
Petersburgwirkt ungemein anregend auf die Fantasie.
Wiein einer Laterna magica tauchen Bilder aus der Vergangenheit
auf,versetzt mit der Gegenwart, da kann man
sichSachen einbilden, sag ich Ihnen!
Wasmeine Fahrradtouren betrifft, so hielten die überwiegend
älterenDamen aus der Nachbarschaft, die auf
denBalkonen ihren Tee genossen, und die jungen unverheirateten
Frauen,die im Garten Tennis spielten, diese
Kurzweilvermutlich für sehr frivol.
Undin der Tat hätte es bis vor einigen Jahren keine auf
ihrenRuf bedachte verheiratete Frau, geschweige denn
einauf eine gute Partie hoffendes junges Mädchen gewagt,
voraller Augen ein Fahrrad zu besteigen.
Mittlerweileradeln unzählige Frauen mutig durchs
Land,und ich als Feministin kann diesen Fortschritt nur
begrüßen- zuerst tritt die Frau die Radpedale, nimmt das
Takelwerkauf der Jacht in die Hand, und womöglich erwacht
inihr der Ehrgeiz, am öffentlichen oder gar staatlichen
Geschehenteilzuhaben.
Manwird verstehen, dass ich nach passender Gesellschaft
fürmeine Unternehmungen suchte.
Wohloder übel schloss ich Bekanntschaft mit einer jungen
Dame,der Gattin des Doktors vom Nachbargrundstück,
dermir die Datscha hier empfahl.
Dasich die Arztfrau auch sehr allein fühlte, nahm sie
meineFreundschaft gern an, nach einer Woche duzten wir
uns.So manches Plauderstündchen verbrachten wir gemeinsam,
immerhinetwas.
NataliaArkadjewna, oder Natascha, wie ich sie bald
nannte,erwies sich als eine nette junge Dame, die viele Tugenden
besaß,nur dass sie in ständiger, froher Erwartung
irgendeinesUnglücks verharrte. Selten trifft man einen
Menschen,der mit solcher Vorfreude das hereinbrechende
Unheilgenießt.
Malglaubte sie, ihr Kind sei schwer krank, obwohl das
Mädchennur einen leichten Schnupfen hatte, dann wieder
meintesie, das Haus könne mitsamt seinen Bewohnern
abbrennen,oder sie bildete sich ein, durch die Tür, die einer
vonihnen zuzuschließen vergaß, dringen bewaffnete
Banditen.Wenn ihr Mann sich eine halbe Stunde verspätete,
wähntesie ihn unter einer Kutsche oder Straßenbahn,
inden Händen von Strolchen oder sie glaubte, er hätte
sichbei der Obduktion eines Toten mit Leichengift infiziert
Nataschabesaß eine reiche Fantasie, die ihr stets eingab,
dassihr oder ihrer Familie etwas Schlimmes zustoßen
muss.Und sie nahm sich alle diese Hirngespinste so zu
Herzen,dass ihr fast unaufhörlich die Tränen wie Hagelkörner
ausden Augen kugelten
Ichbin nicht sonderlich abergläubisch, aber zutiefst davon
überzeugt,dass man überhaupt keine Gedanken an
einmögliches Unglück verschwenden darf. Wenn man
sichdie Katastrophe ausmalt, lockt man sie gewissermaßen
an,und sie stellt sich wirklich ein. Orientalische Weise
behauptennicht ohne Grund, dass das, was du befürchtest,
geschieht. ( )
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Rita Schick
- Autor: Jelena Chorwatowa
- 2006, 286 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Russ. v. Rita Schick
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442459036
- ISBN-13: 9783442459032
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