Die dunkle Allee
"Lemony Snicket ist Amerikas Antwort auf Joanne K. Rowling und Harry Potter." Buchreport
"Lemony Snicket gelingt es mit viel Humor, dramatischer Ironie und literarischen Kniffen, noch die haarsträubendsten Missgeschicke glaubhaft zu machen. Sein eleganter Stil und sein ausgefallener Wortschatz mögen eine Herausforderung für junge Leser sein, aber weil er schwierige Wörter und Redewendungen auf höchst unterhaltsame Weise erklärt, werden die Kinder begeistert von ihm lernen." Library Journal
"Suchtgefährdend!" Neue Zürcher Zeitung
Die dunkle Allee von Lemony Snicket
LESEPROBEEins
DasBuch, das du gerade in beiden Händen hältst - vorausgesetzt, du hältst es tatsächlich und hast nicht mehr als zwei Hände -, isteines von nur zwei Büchern auf der Welt, die dir den Unterschied zwischen nervös und aufgeregt erklären. Das andere Buch istselbstverständlich das Lexikon, und wenn ich du wäre, würde ich lieber das Lexikon lesen.
DasLexikon sagt dir, wie dieses Buch hier auch, dass jemand, der nervös ist, irgendetwas fürchtet. Zum Beispiel bist du nervös, wenn du weißt, dass es zum Nachtisch Pflaumeneisgibt, und du dir Sorgen machst, dass es vielleichtganz grässlich schmeckt. Aufgeregt dagegen bist du, wenn du nicht einschätzen kannst, was auf dich zukommt. Das könntepassieren, wenn du erfährst, dass zum Nachtisch ein lebendiges Krokodilserviert wird, und du die Ungewissheit kaum aushalten kannst, ob du dich gleichüber dein Dessert hermachst oder das Dessert sich über dich.
Aberanders als in dem Buch, das du jetzt aufgeschlagen hast, erklärt dir dasLexikon auch Wörter, über die man viel lieber nachdenkt. Seifenblase steht drin oder Kolibri oder Ferien. Du findest auch die Wörter die, Hinrichtung, des, Autors, wurde,ausgesetzt - zusammengesetztergeben sie einen Satz, den man immer gern hört. Wenn du also beschließt, dasLexikon zu lesen und nicht dieses Buch,dann überspring doch einfach nervös und aufgeregt und lies stattdessen solche Sachen, beidenen du dir garantiertnicht die Haareraufst und vor lauter Schluchzen nicht schlafen kannst.
Aberleider ist dieses Buch kein Lexikon, und wenn du hier alle Abschnitte auslassenwolltest, in denen die Wörter nervös oder aufgeregt vorkommen, dann würden dirdie angenehmsten Teile des Buches entgehen.Im ganzen Buch wirst du kein einziges Mal dieWörter Seifenblase, Kolibri oder Ferien finden und, zu meinem Leidwesen, auch nichts über eine ausgesetzteHinrichtung. Stattdessen begegnen dir Wörter wie Kummer, Verzweiflung verabscheuungswürdig, Ausdrücke wie finsterer Gang, Graf Olaf in einer Verkleidung oder auch dieBaudelaires saßen in der Falle, und außerdem noch ein ganzes Sortiment so fürchterlicher Wörter, dass ich es nicht über mich bringenkann, sie niederzuschreiben. Kurz, wenn du ein Lexikon liest, wirst duvielleicht nervös, weil du dir Sorgen machst, dass dir langweilig wird, aberwenn du dieses Buch liest, bist du vermutlich sehr aufgeregt, weil du es kaumertragen kannst, in welcher Ungewissheit die Baudelaires leben. Wenn ich duwäre, dann würde ich dieses Buch jetzt sofort aus meinen zwei oder mehr Händenfallen lassen und es mir mit einem Lexikon gemütlich machen, und zwar wegenall der fürchterlichen Wörter, die ich verwenden muss, um die schaurigenErlebnisse zu beschreiben, die sich jetzt gleich vor deinen Augen abspielenwerden.
»Ihrseid sicher ziemlich nervös«, meinte Mr. Poe. Mr. Poe war ein Bankangestellter,der seit dem Brand, bei dem die Eltern der Baudelaires ums Leben kamen, damitbetraut war, sich um die Kinder zu kümmern. Leider hatte er sich dabei bishernicht sonderlich geschickt angestellt, und das Einzige, worauf die Waisen sichabsolut verlassen konnten, so viel wussten sie inzwischen, war sein ständigerHusten. Und richtig, kaum hatte er diesen Satz beendet, nahm er sein weißesTaschentuch und hustete hinein.
Außerdem Aufblitzen des weißen Tuchs sahen die Baudelaire-Waisen so gut wie nichts.Violet, Klaus und Sunny standen mit Mr. Poe vor einem riesigen Apartmenthausin der Dunklen Allee, einer Straße in einem der elegantesten Viertel der Stadt.Obwohl die Dunkle Allee nur wenige Blocks von der ehemaligen Villa der Baudelairesentfernt war, waren die drei doch nie in dieser Straße gewesen. Sie hattenangenommen, die Dunkle Allee hieß einfach so, ebenso wie der George-Washington-Boulevardnicht etwa deswegen so heißt, weil George Washington dort lebt.
Dochan diesem Nachmittag war den Kindern auf einmal klar, dass Dunkle Allee mehrwar als nur ein Name. Es war eine treffende Beschreibung. Anstelle von Straßenlaternenstanden auf dem Bürgersteig in regelmäßigen Abständen riesige Bäume, wie dieKinder sie nie zuvor gesehen hatten und wie sie sie eigentlich auch jetzt nichtsehen konnten. Von hoch oben an den breiten, stachligen Stämmen neigten sichdie Äste hinunter, und es sah gerade so aus, als hätte jemand Wäsche zum Trocknenrausgehängt. In alle Richtungen breiteten sich die großen Blätter wie einniedriges Dach über den Köpfen der Baudelaires aus. Dieses Dach ließ absolutkein Licht hindurch, und so kam es, dass es am helllichten Nachmittag in derStraße so dunkel war wie am Abend - wenn auch vielleicht ein bisschen grüner.Für drei Waisen auf dem Weg in ihr neues Zuhause war das wohl kaum der freundlichsteEmpfang.
©Verlagsgruppe Random House
Übersetzung:Birgitt Kollmann
- Autor: Lemony Snicket
- 2005, 1, 228 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13 x 19 cm, Deutsch
- Übersetzung: Kollmann, Birgitt
- Übersetzer: Birgitt Kollmann
- Verlag: MANHATTAN
- ISBN-10: 3442545897
- ISBN-13: 9783442545896
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