Die Eisfestung
Ein Mädchen und zwei Jungen in einer halb verfallenen Burg. Verrückte und düstere Geschichten werden erzählt. Eine schaurig-schöne Nacht. Doch einige Tage später ist Marcus, der älteste der Jugendlichen, wieder in der Burg: entschlossen, sich dort zu verschanzen.
Packend!
Ein Mädchen und zwei Jungen in einer halb verfallenen Burg. Verrückte und düstere Geschichten werden erzählt. Eine schaurig-schöne Nacht. Doch einige Tage später ist Marcus, der älteste der Jugendlichen, wieder in der Burg: entschlossen, sich dort zu verschanzen.
Packend!
Die Eisfestung von Jonathan Stroud
LESEPROBE
Emilys erstes Verbrechen war kleinund hatte mit dem Schnee zu tun.
Wurzeln versperrten ihr den Weg,ihre Stiefel versanken tief im Boden. Winzige Lawinen aus Pulverschneedonnerten ihr auf die Mütze, die Stirn und die Schultern herunter. Sie spürtedie Kälte. Mit vorsichtigen Bewegungen quetschte sie sich durch das Loch in derdicken Hecke. Die schneebedeckten Zweige schlugen und kratzten gegen ihrenAnorak. Schneeflocken fielen ihr in die Augen und machten sie blind. Hinter ihrblieb der Schlitten irgendwo hängen. Sie zerrte heftig an dem Seil und miteinem Ruck kam er wieder frei.
Noch ein Schritt und sie hatte esauf das Gelände der Burg geschafft. Mit klopfendem Herzen spähte sie umher, ob Gefahrdrohte. So weit, so gut. Es war niemand zu sehen. Sie stand bis zu den Knien ineiner niedrigen Schneeverwehung, die sich an der Hecke gebildet hatte. Rechtsin der Ferne flog ein Schwarm Vögel in den grauen Himmel über dem Wald hoch.Die Hecke hob sich als unregelmäßiger schwarzer Strich von dem Weiß ab. Der Schneehatte alles geglättet, nur ein dunkler Schatten weiter vorne ließ erkennen, dassdort die Biegung des Burggrabens sein musste. Auf der gegenüberliegenden Seitedes Grabens erhoben sich Reste eingestürzter Mauern.
Im Hintergrund ragte die eigentlicheBurg wie ein schwarzer Fels empor.
Emily drehte sich noch einmal um undzerrte an dem Seil. Der Schlitten tauchte ruckartig auf. Dann klemmte er wiederin dem Dickicht aus Zweigen und dornigen Ranken fest. Sie beugte sich hinunter,hob den gelben Plastikschlitten hoch und drehte ihn so, dass er freikam. Dannbugsierte sie ihn aus der Hecke heraus und ließ ihn in den Schnee fallen. Sielauschte. Vom Burggraben hallte Gelächter herüber, abgedämpft durch dieEntfernung und die Schneedecke. Das war gut, andere waren schon vor ihr hiereingedrungen und niemand hatte sie verjagt. Sie konnte ruhig bleiben. Siestapfte durch den Schnee. Bei jedem Schritt versanken ihre Beine in dem weißenPulver. Die Kälte stach durch ihre Jeans. Später würde es nass und ungemütlichwerden, aber jetzt fühlte sie sich stark und lebendig. Jeder Schritt eineiskalter Nadelstich, aber die stickige Langeweile der letzten Tage, immer nurim Zimmer, hatte ein Ende.
Es ging einen leichten Abhanghinunter. Sie konnte die Burg jetzt nicht mehr sehen, nur noch einen Teil deräußeren Ringmauer, grau und mit Eis überzogen. Der Himmel war dick und schwer,bald würde es wieder schneien. Ihr Atem stieg in zottigen kleinen Wolken empor.Die Stimmen kamen von da, wo der Burggraben am tiefsten war. Emily bahnte sichlangsam ihren Weg dorthin. Es kam ganz darauf an, wer es war. Karen hattegesagt, dass sie in der Woche vielleicht mal hingehen würde, und Emily mochte Kareneigentlich ganz gern. Wenn sie da war, würde Emily bleiben. Wenn nicht
Mehrere Gestalten kletterten aus demsteilen Graben hoch, eine zog einen kleinen roten Schlitten hinter sich her.Zwei Mädchen und vier Jungs - alle rutschten immer wieder ab und keuchten undfluchten. An ihren Anoraks und Hosen klebte der Schnee. Karen war nicht dabei.
Als sie alle oben angekommen waren,fingen drei der Jungs sofort an, sich zu stoßen und zu schubsen. Sie johlten undbrüllten, während sie miteinander rauften, alles nur, um die Aufmerksamkeit derbeiden Mädchen auf sich zu lenken. Aber die beachteten sie überhaupt nicht undschauten dem vierten (und größten) Jungen zu, der den Schlitten in die richtigePosition brachte. Dann ließ sich das eine Mädchen mit einem Plumpserdarauffallen, das andere Mädchen quetschte sich mühsam dahinter und der größteJunge schmiss sich noch vorne quer darüber. Die Mädchen kreischten entzückt.Der Schlitten ächzte langsam ein Stück abwärts und blieb dann stehen, einWirrwarr aus Armen und Beinen ragte auf beiden Seiten heraus. Mit einem Malkippten der Junge und das vordere Mädchen zur Seite, und das zweite Mädchenraste allein auf dem Schlitten den steilen Abhang hinunter, vor Schreck lautaufschreiend, bis sie unten im Graben durch die Schneeverwehung gebremst wurde.Sie landete kopfüber im Schnee. Die anderen Jungs hatten noch etwasweitergekämpft, aber ohne große Begeisterung, jetzt hörten sie ganz auf,schauten auf den großen Kerl, der mitten am Hang ausgestreckt auf dem Mädchenlag, und lachten neidisch.
Deirdre Pollard, Katie Fern und dieAllen-Brüder. Emily verzog das Gesicht und kehrte um. Sie würde lieber allein Schlittenfahren. Deirdre und Katie waren blöde Hühner und mit den Allen-Brüdern wolltesie nichts zu tun haben. Nur Simon, der Jüngste, ging noch auf die Schule; diean- deren machten nichts anderes, als irgendwo rumzuhängen und die Zeittotzuschlagen. Martin Allen, der Älteste, war ein richtiger Schlägertyp, aberman hatte ihn im Dorf schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Emily hattegehört, dass er im Gefängnis war.
Als sie sich von der Gruppe wiederein gutes Stück entfernt hatte, hielt sie an. Sie drehte den Schlitten in dierichtige Stellung, auf den oberen Rand des Burggrabens, und setzte sich darauf.Unter ihr fiel der Boden steil ab, ein trügerisches, weiches Weiß, das alleFelsvorsprünge und Löcher verdeckte. Emily hielt kurz inne, biss die Zähnezusammen und stieß sich ab.
Aufstäubender Pulverschnee,eiskalter Fahrtwind, ein weißer Wirbel. Dann verlangsamte sich der Schlittenund kam mit einem Ruck auf der gegenüberliegenden Seite, wo der Graben wiederanstieg, zum Stillstand, ihr Körper schnellte nach vorne, und ihreausgestreckten Stiefel bohrten sich in den Schnee.
Reglose Stille. Das alles hatte nurdrei Sekunden gedauert. Emily saß da, schnappte nach Luft, spürte das Adrenalinim Blut. Lächelte.
Dann traf sie etwas im Gesicht.
Es stieß ihren Kopf zur Seite undließ sie aufschreien, als ihr der spitze kalte Schmerz in die Wange fuhr. Dassdas so plötzlich kam, verwirrte sie. Sie wusste, dass es ein Schneeball war,aber er fühlte sich an wie ein Faustschlag.
Lautes Gelächter. Vor ihrem Gesichtflog pfeifend noch ein Schneeball vorbei. Ein weiteres Wurfgeschoss pralltegegen ihr Bein, zersplitterte in Schneescherben, ein paar davon trafen sie indie Augen.
Emily kämpfte sich auf die Füßehoch, verhedderte sich in der Schlittenleine, halb blind von den Tränen, dieihr bei dem ersten Treffer in die Augen geschossen waren. Wie durch regennasseScheiben sah sie die Angreifer auf dem Grund des Wassergrabens stehen, nichtweit weg von ihr. Noch mehr Schneebälle sausten durch die Luft, einer trafihren Brustkorb, ein anderer ihren Magen. Sie bückte sich nach dem Seil, drehtesich um und begann, durch den tiefen Schnee davonzustapfen.
Sie rutschte aus, wäre fasthingefallen, richtete sich wieder auf - und dann bekam sie einen fürchterlichenSchlag auf den Hinterkopf, dass es ihre Mütze herunterriss, Eisstückchen prasseltenherab, und sie spürte, dass sie jetzt gleich losheulen würde.
Sie stapfte tapfer weiter und ließdie Mütze einfach liegen. Davonrennen war nicht möglich, dafür waren dieSchneeverwehungen viel zu hoch, aber allmählich wurde der Kugelhagel spärlicher,und das Hohngelächter wurde schwächer. Noch einmal traf sie ein Wurfgeschoss amBein, ein anderes zischte an ihrem Ohr vorbei, dann war der Angriff vorbei. Emilysetzte ihren Weg in der Senke des Burggrabens fort, vor Zorn und Verzweiflungliefen ihr Tränen die Wangen herunter. Endlich wagte sie es, einen Blick nachhinten zu werfen, und merkte, dass sie längst um die Kurve des Burggrabens gebogenwar und die anderen sie nicht mehr sehen konnten.
Sie trottete langsam vor sich hin.Der Graben war auf beiden Seiten zu steil, um hochklettern zu können, aber sie wusste,wenn sie weiterging, würde sie bald zu der Stelle kommen, wo Stufen zur Brückehinaufführten. Danach konnte sie oben zu dem Loch in der Hecke zurück und dann nachHause. ( )
© cbj Verlag
Übersetzung: Bernadette Ott
- Autor: Jonathan Stroud
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2007, 281 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Bernadette Ott
- Übersetzer: Bernadette Ott
- Verlag: cbj
- ISBN-10:
- ISBN-13: 2000000048963
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