Die entführte Prinzessin
Doch halt: So einfach ist das in Karen Duves neuem Roman nicht - denn der stets schwarz gekleidete baskarische Prinz Diego will die bettelarme Prinzessin anfangs nur, um seine prestigesüchtige Mutter damit zu kasteien. Und gleich bei seiner Ankunft geraten die Baskarier und Prinzessin Lisvanas Landsleute in Streit. Aus der romantischen Brautwerbung wird eine echte Entführung, die entführte Prinzessin verweigert die Heirat - und im Nordreich sinnt man fortan finster brütend auf Rache ...
Erdrückende Väter, lieblose Mütter, Trotzreaktionen, Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle treiben die Helden ihres Buches um - und Karen Duve gelingt ein kleines Wunder: 'Die entführte Prinzessin' ist ein phantastischer wie realistischer Roman, voll mit historischen und weltliterarischen Verweisen, komisch, grausam und packend.
Die entführte Prinzessin von Karen Duve
LESEPROBE
SCHNEE UNDEIS
Es wareinmal ein Königreich, das hieß Snögglinduralthorma oder so ähnlich, genau weißdas heute keiner mehr. Es wurde schon damals überall bloß >das Nordland<genannt, weil es hoch, hoch im Norden lag - dahinter wohnten eigentlich nur nochEisbären und Robben - und weil niemand den offiziellen Namen richtigaussprechen konnte. König Rothafur herrschte über das Nordland. Er hatte eineKönigin, die ihm als einzige zu widersprechen wagte, einen Sohn, der den Thronerben sollte, und eine Tochter, die verheiratet werden mußte. Die Prinzessinhieß Lisvana und war wunderbar schön. Sie hatte Haare aus lauterem Gold undlilienweiß schimmernde Haut, veilchenblaue, mandelförmige Augen undseidenweiche Brauen und unzählige weitere Vorzüge, aber trotzdem wollte kein Prinzum sie anhalten.
»Was,Lisvana vom Nordland«, sagten die Prinzen, wenn sie die aktuelle Listeheiratsfähiger Königs- und Fürstentöchter durchgingen, »ist das nicht die mitdem goldenen Haar und der popeligen Mitgift? Laß mal sehen!« Und dann blättertensie weiter zur Mitgift-Seite und da stand unter Nordland-Mitgift: sieheSnögglinduralthorma-Mitgift, und unter Snögglinduralthorma-Mitgift: ein Streifenfaulig riechendes Moorgebiet am nördlichsten Ende des Reiches, wo sowieso niejemand hinkommt, vier kleine Truhen voller Silberlöffel zweiter Wahl und zwanzigder einheimischen, gelben Pferde, deren Plumpheit das dazugehörige gepunzteund kupferbeschlagene Zaumzeug auch nicht wettmachen kann. Die Pferde habeneinfach zu kurze Beine. Außerdem der übliche Wäschekrempel, Handtücher und soweiter. Prinzessin ist allerdings ziemlich hübsch, Goldhaar und so weiter.
Der Verbandder fahrenden Sänger, der die Liste herausgab, ließ es sich trotz wiederholtenProtests nicht nehmen, die Prinzessinnen und ihre Mitgift zu kommentieren.
»Vierkleine Truhen, zwanzig schlechte Pferde und praktisch kein Land ... - so hübsch kann eine Prinzessin ja garnicht sein, um das auszugleichen«, sagten die Prinzen dann und blätterten zurNamensliste zurück.
Es lagnicht daran, daß König Rothafur geizig gewesen wäre. Er gönnte seiner Tochteralle Schätze der Welt, aber mehr hatte er nicht erübrigen können. Das Nordlandbesaß äußerst geringfügige Silbervorkommen und noch geringfügigereKupfervorkommen. Große Vorkommen gab es bloß an blutsaugenden Insekten. Das Landesinnerewar voller Geröllfelder, auf denen nichts wuchs. Immer wieder brach irgendwoein Vulkan aus und verschüttete ein Dorf oder eine der letzten fruchtbarenWeiden. Die Sommer waren kurz und feucht. Sämtliche Nordländer trugen das ganze Jahr über eine langärmeligeOberbekleidung aus gelbem Ponyfell, die sie >Jacki< nannten. Zwar gab eseine Küste und einen Hafen, aber das Meer vor der Küste war bodenlos und tückisch.Es wimmelte nur so von bösartigen Seeungeheuern, solchen mit Wildschweinhauernund solchen mit siebenundzwanzig Fangarmen. Dazu kamen noch unberechenbareStrömungen und Strudel. Das war der eine Grund, warum sich nur wenige Schiffehier heraufwagten. Der zweite war, daß niemand so recht wußte,
warum erdie gefährliche Seestraße nach Snögglinduralthorma überhaupt nehmen sollte.Die Nordländer freilich hielten ihr Königreich für das schönste der Welt. Manreiste damals aber auch nicht besonders viel. Immerhin lag zu Weihnachtengarantiert Schnee. Und zwar richtiger Schnee, nicht nur so ein bißchen Puderzuckerauf den Wegen und weiße Haufen in den Ecken. Er fiel bereits Ende Oktober inweißen, flauschigen Flocken vom Himmel, Flocken, die man in der Hand fangen undlange betrachten konnte, bevor sie schmolzen. In kürzester Zeit trugen alleHäuser, alle Kirchen, Zaunpfähle und Bäume weiße Mützen, und die kleinen gelbenPferde versanken bis zu den Bäuchen und schnaubten mißmutig auf dieSchneedecke. Ihr Atem fror, und an ihren Nüstern bildeten sich Eiszapfen.Eiszapfen hingen von den Dächern sämtlicher Hütten herunter, Eiszapfenklirrten in den Bärten der Nordlandritter, und wenn sie im Rittersaal vor denKaminfeuern saßen, tropfte das Schmelzwasser in ihre Trinkbecher. Mit Schnee undKälte kam die Dunkelheit, schon der November war ein finsteres Loch, das füllteman mit knusprigem Schafsschinken, gebackenen Schweinepfoten und triefendenKapaunen. Im Schloß mußte der Hofzwerg Pedsi täglich seine Purzelbäumeschlagen, auf ein Tanzvergnügen folgte das nächste, Honigbier floß in Strömen,der König erzählte Rentierwitze und die Ritter von ihren Ehrenhändeln. Wie diemeisten Länder ohne bedeutende Vorkommen an Bodenschätzen hielt sich das Nordlandviel auf seinen Stolz und seine Ehre zugute, davon konnte man fördern undfördern, es wurde doch nicht weniger. (...)
© EichbornAG, Frankfurt am Main 2005
Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt trotz Wolfgang Herrndorfs Diktum - »Karen Duve ist Gott« - ganz irdisch mit ihrer englischen Bulldogge, zwei Hühnern und einem Maultier auf dem Lande. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, ihre Romane waren Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt.
Veröffentlichungen:
1995 erschien eine Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel "Im tiefen Schnee ein stilles Heim", 1997 der Comic "Bruno Orso fliegt ins Weltall" und 1999 das "Lexikon berühmter Pflanzen" sowie nach einem Stipendium in Schöppingen ihr Kurzgeschichtenband "Keine Ahnung".
Im Eichborn Verlag gab sie 1997 - zusammen mit Thies Völker - "Das Lexikon berühmter Tiere" heraus, in dem vom Bismarck-Hering bis zum Ikea-Elch die ganze Tierprominenz versammelt ist. Der "Regenroman" (1999) ist Karen Duves erster Roman, mit dem sie deutschlandweit Aufsehen erregte: Voller Obsessionen und Skurrilitäten, mit einem Tempo, das nirgends ins Leere läuft" (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt) - "nur selten sind böse Blumen so bunt" (Badische Zeitung).
2002 erschien bei Eichborn ihr Roman "Dies ist kein Liebeslied" und 2005 "Die entführte Prinzessin". Ihre Weihnachtsgeschichten »Weihnachten mit Thomas Müller« und »Thomas Müller und der Zirkusbär« sind inzwischen Klassiker.
Die Presse feiert die Erzählerin als "Ausnahmetalent unter den Autoren ihrer Generation" (Stuttgarter Zeitung) und als "ungewöhnliche Sprachakrobatin, die Metaphern zielsicher setzt und komische Effekte am Fließband produziert" (Neue Züricher Zeitung), bei der "Witz und Schärfe ganz nah beieinander liegen" (WDR 2).
Interview mit Karen Duve
Es war einmal einKönigreich, das hieß Snögglinduralthorma oder so ähnlich..." so beginnt Karen Duves neuerRoman Die entführtePrinzessin". Märchenhaft, witzig und klug ist das neue Werk der jungendeutschen Bestsellerautorin ( Regenroman", Dies ist kein Liebeslied"). Wirhaben sie persönlich getroffen und mit ihr über schöne Prinzen undfleischfressende Pferde gesprochen.
Ihrneuer Roman Die entführte Prinzessin" ist ein Märchen. Warum der Genrewechsel?
Die entführte Prinzessin" ist nicht mein erstes Märchen.Vor fast zwanzig Jahren habe ich schon mal Märchen geschrieben, die allerdingsnie veröffentlicht wurden. Die Arbeit an meinem Buch Dies ist kein Liebeslied"hat irgendwann ganz schön auf die Stimmung gedrückt, hat mich so ein bisschentraurig gemacht, dass ich irgendwann eine Pause haben musste. Und da habe ichmir dann tatsächlich eins von meinen alten Manuskripten vorgenommen, habe michabgelenkt und habe den Anfang von Die entführte Prinzessin" konzipiert.
Sie sagen Die entführte Prinzessin" sei einpsychologisierender Roman. Was haben Sie vom klassischen Märchen übernommen undwas ist neu hinzugekommen?
Ich habe die Figuren des Märchens übernommen: Es gibteinen Ritter, die Prinzessin, einen König, einen Zauberer, eine Fee, einenDrachen, nur dass die nicht unbedingt märchenhaft funktionieren. Im klassischenMärchen sind das ja immer Archetypen. Schneewittchen ist am Ende des Märchenseigentlich immer genau das gleiche Schneewittchen, das es am Anfang war. Bei mirmachen die Figuren Entwicklungen durch, stellen ihre eigenen Werte in Frage. Unddas Ganze hätte auch in einer Wohngemeinschaft oder einem Büro spielen können.Ich habe etwas von der Dekoration genommen, die Requisiten, ich habe dasPersonal genommen, manchmal eine märchenhafte Sprache, aber sonst gleicht dieGeschichte mehr einem psychologischen Roman des 20. Jahrhunderts.
Was fasziniert die Menschen Ihrer Meinung nach seit Jahrhundertenan Märchen?
Es ist schon ein Entwurf von einer anderen Welt,und man lebt in einer Parallelwelt während man liest. Weltflucht würde ich esnicht nennen, aber eine kleine Reise machen in ein anderes Land. Warum man dasgerne macht? Für mich hat eigentlich jedes Buch diese Funktion gehabt. Selbstwenn es ein Sachbuch ist, ein wissenschaftliches Buch. Selbst dann lebt man jain der Welt der Elementarteilchen, Neutronen und Neuronen und Kaulquappen oderwas auch immer man gerade liest.
Die entführtePrinzessin" sprüht vor Witz. Wie lustig sind Sie privat?
Ich bin eher der Trauerkloß. Der Fetenmuffel. Ich binjetzt nicht so ein Possenreißer, Hofnarr oder Witzerzähler. Bei mir ist daseher eine Sache von Geduld. Wenn ich zweieinhalb Jahre an einem Buch sitze,dann kann ich auch ganz lange überlegen. Vielleicht ist das ja auch ein Grund,warum man Schriftsteller wird, wenn einem immer nicht im richtigen Moment dierichtige Antwort einfällt und man abends im Bett liegt und überlegt: als er dasund das gesagt hat, da hätte ich sagen sollen
Eine Ihrer Figurenist Ihnen besonders ans Herz gewachsen und es ist nicht die Prinzessin. Werdann?
Ich dachte immer, wenn man sich mit irgendeiner Figuridentifiziert, dann natürlich mit der Prinzessin. Diesen Ritter Bredur hatteich eigentlich nur entwickelt, um einen Gegenspieler für den Prinzen Diego zuhaben. Und plötzlich hat das so ein Eigenleben entwickelt im Laufe derGeschichte und am Ende wusste ich gar nicht mehr, wer sie jetzt kriegen sollte!Da habe ich wirklich gedacht, wie lasse ich den armen Bredur jetzt auch nochwieder gut rauskommen? Und da habe ich gemerkt, das ist meine eigentlicheHauptfigur und der steht mir von allen auch am nächsten.
Was hat Bredur fürEigenschaften, die Ihnen sympathisch sind?
Was Ritter Bredur auf dem Weg zur Prinzessin so alleserlebt, da habe ich gemerkt, dass da plötzlich eigene Erlebnisse rein gekommensind. Natürlich völlig symbolhaft entstellt. Was ihn für mich sehr wichtigmacht, ist, dass er jemand ist, der seine Werte in Frage stellen muss, der eineEntscheidung fällen muss, der herausfinden muss, wo sind eigentlich meinewahren Freunde, wessen Meinung ist mir wichtig. Ist mir die Meinung meinesblöden Vaters, der sowieso meinen Tod will, wichtig oder sind es nichtvielleicht andere Leute, deren Meinung für mich zählt? Und der mit seinem bisherigenLeben abbrechen und abrechnen muss und so ganz neu startet. Als ich angefangenhabe zu schreiben, hat sich auch mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt.
Wie haben IhreEltern damals reagiert, als Sie Ihren bodenständigen Job aufgegeben haben?
Ich hatte nie einen bodenständigen Job. Dieses Gerüchtkursiert immer. Ich war nur ein halbes Jahr lang Steuerinspektorin. InWirklichkeit habe ich 13 Jahre lang Taxi gefahren. Und meine Eltern warenhellauf begeistert, als ich nicht mehr Taxi gefahren bin und plötzlich ein Buchvon mir verlegt worden ist. Da waren die schon sehr froh, dass ist ja sehr vielseriöser und bodenständiger als Taxifahren.
Gibt es eigentlich ein Vorbild für Prinzessin Lisvana?
Das ganze Märchen an sich hat ein Vorbild, nämlich dieGudrun-Sage. Hier ist die Anfangskonstellation ganz ähnlich: Eine Prinzessin wirdentführt und ein Ritter und ihr Vater sind unterwegs, um sie wieder zubefreien. In meinem Sagenbuch gab es so eine Illustration vom Entführer, derwar sehr schön. Aber die Prinzessin bleibt die ganze Zeit standhaft. Und nachzwanzig Jahren wird sie dann wieder gerettet und ich fand das immer sehrunbefriedigend, dass sie nicht den Schönen genommen hat, sondern diesenehrbaren, tollen Ritter. Das ist sozusagen jetzt die Richtigstellung.
Sie recherchieren angeblichfast lieber als Sie schreiben. Was recherchiert man für ein Märchen?
Also, ich habe Biographien gelesen, Lieselotte von derPfalz zum Beispiel, ich habe Dinosaurierfilme angeguckt, um einen vernünftigenDrachenkampf herzukriegen. Ich habe über Hofzwerge alles aus dem Internetgeholt, was es irgendwie über Hofzwerge gab. Insgesamt habe ich wohl 20, 30Bücher zu dem Thema gelesen. Und die ganze Zeit hatte ich dieses Buch imHinterkopf und alles, was ich gesehen habe, worüber ich mich unterhalten habe,was mir im Fernsehen begegnete, was in einem Comic auftauchte wurde daraufabgeklopft, ob ich es verwenden konnte. Zum Beispiel habe ich einePferdezeitschrift gehabt und da war ein Leserbrief drin, in dem stand, dassPferd auf der Wiese einen Hasen erlegt hätte und in Stücke gerissen hätte, woich gleich dachte, großartig, das nehme ich. Jetzt gibt es eben einfleischfressendes Pferd in diesem Roman.
Gibt es zurzeitetwas, wofür Sie Dinge abklopfen? Haben Sie ein aktuelles Projekt?
Überhaupt nicht. Ich fühle mich auch ganz komisch. Ichhätte so viel Lust etwas zu machen, aber eigentlich bin ich auch noch nicht soweit. Ich habe so vier, fünf Sachen im Kopf und weiß noch nicht, für was ichmich entscheiden möchte.
Mal ernsterRealismus, mal lustiges Märchen - Was steckt noch alles in Ihnen? Vielleichtein Krimi?
Ja, ein Hundekrimi. Ich schreibe als nächstes einenHundekrimi. Aber die beiden Sachen, die mich am meisten interessieren, sind dasPhantastische, Märchenhafte und eben noch dieses Realistische, was viel mitBeziehungen, mit menschlichem Miteinander zu tun hat. Mit Liebe eben auch, wasLiebe bedeutet, wie es auch Falle sein kann. Dass jetzt etwas völlig andereskommt, kann ich nicht ausschließen, aber ich habe jetzt erstmal nichts im Kopf.
Was passiert, wenn SieMessetrubel und Lesereise hinter sich lassen und nach Hause fahren. Wie ist IhrZuhause, was macht Sie privat glücklich?
Das wichtigste ist vor allem mein Hund, Bully, den icherst mal in Hamburg abhole und dann ins Auto lade und dann fahren wir zusammenlos und dann sitzt er neben mir und wir fahren dann wieder zurück nach Hause.Das ist eigentlich das, was für mich das Zuhause ausmacht. Das ist jetzt auchnicht so unbedingt an einem Haus festgemacht, aber so dass ich meine Tierewieder um mich habe, zwei Hühner, zwei Pferde. Und solange die bei mir sind,meine Bücher und meine Tiere, fühle ich mich zuhause. Die Fragen stellten Nicole Brunner und Michaela Hopf / lorenzspringermedien
- Autor: Karen Duve
- 2005, 400 Seiten, Maße: 13 x 21,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Eichborn
- ISBN-10: 3821809523
- ISBN-13: 9783821809526
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