Die Goldmacherin
Historischer Roman. Originalausgabe
Das Geheimnis des Goldmachens: ein Frauenschicksal aus dem Mittelalter
Mainz 1461: Die junge Aurelia erlernt von ihrem Vater, dem Alchemisten Meliorus, endlich die letzten Geheimnisse der Metallurgie und Giftkunst. Ihr Glück ist perfekt, als der...
Mainz 1461: Die junge Aurelia erlernt von ihrem Vater, dem Alchemisten Meliorus, endlich die letzten Geheimnisse der Metallurgie und Giftkunst. Ihr Glück ist perfekt, als der...
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Produktinformationen zu „Die Goldmacherin “
Das Geheimnis des Goldmachens: ein Frauenschicksal aus dem Mittelalter
Mainz 1461: Die junge Aurelia erlernt von ihrem Vater, dem Alchemisten Meliorus, endlich die letzten Geheimnisse der Metallurgie und Giftkunst. Ihr Glück ist perfekt, als der Geselle Romuald aus der einflussreichen Schriftsetzerzunft um sie werben darf. Doch während der Verlobungsfeier wird die Stadt von feindlichen Truppen überfallen. Ihr Vater wird getötet und Aurelia aus der Stadt verstoßen. Das Einzige, was sie noch hat, ist das geistige Erbe ihres Vaters: das Wissen um das Goldmachen.
Eine große Liebe, die Faszination des Goldes und eine mutige, kluge, starke Heldin.
Mainz 1461: Die junge Aurelia erlernt von ihrem Vater, dem Alchemisten Meliorus, endlich die letzten Geheimnisse der Metallurgie und Giftkunst. Ihr Glück ist perfekt, als der Geselle Romuald aus der einflussreichen Schriftsetzerzunft um sie werben darf. Doch während der Verlobungsfeier wird die Stadt von feindlichen Truppen überfallen. Ihr Vater wird getötet und Aurelia aus der Stadt verstoßen. Das Einzige, was sie noch hat, ist das geistige Erbe ihres Vaters: das Wissen um das Goldmachen.
Eine große Liebe, die Faszination des Goldes und eine mutige, kluge, starke Heldin.
Klappentext zu „Die Goldmacherin “
Das Geheimnis des Goldmachens: ein Frauenschicksal aus dem MittelalterMainz 1461: Die junge Aurelia erlernt von ihrem Vater, dem Alchemisten Meliorus, endlich die letzten Geheimnisse der Metallurgie und Giftkunst. Ihr Glück ist perfekt, als der Geselle Romuald aus der einflussreichen Schriftsetzerzunft um sie werben darf. Doch während der Verlobungsfeier wird die Stadt von feindlichen Truppen überfallen. Ihr Vater wird getötet und Aurelia aus der Stadt verstoßen. Das Einzige, was sie noch hat, ist das geistige Erbe ihres Vaters: das Wissen um das Goldmachen.
Eine große Liebe, die Faszination des Goldes und eine mutige, kluge, starke Heldin.
Lese-Probe zu „Die Goldmacherin “
Die Goldmacherin von Sybille Conrad 1
Wie eine Schatzkammer glänzte die Werkstatt im Lichte der vier Öllampen. Ein Stück Metall spiegelte einen Lichtfleck auf die rußigen Mauern. Aurelia mochte die seltsamen Gerätschaften und Gerüche der Laugen, zu gern verbrachte sie ihre Zeit zwischen den Schmelztiegeln und Steinbechern in der Werkstatt ihres Vaters. Lieber jedenfalls als drüben am Herd. Schon als kleines Mädchen hatte sie staunend zugesehen, wenn Vater Erden und Pulver auf der Glut verflüssigte.
Schnell tauschte Aurelia ihre Schürze gegen den Überwurf, der am Haken neben der Tür für sie bereithing. Sie freute sich, dass sie die Küchenarbeit jetzt endlich sein lassen konnte, doch sorgte sie sich auch, weil Vater sie in der Werkstatt immer häufiger brauchte, so viel sie auch dabei lernte.
Ein feiner Duft von Honig, Ingwer und Minze hing in der Luft. Sie bemerkte ihn, kaum wahrnehmbar zwar, im Geruch der vielen Salzlaugen der Metallurgie. »Du hast gerufen?«
Im grauen Mantel stand Vater über einen Steintrog auf dem Tisch gebeugt. Er wandte sich nicht einmal zu ihr um. »Mein Elixier läuft über.«
Aurelia erschrak. Schon wieder hatte er sein Elixier brauen müssen! Unter den Fenstern war der Athanor, der kleine Herd der Alchemisten, aufgemauert worden. Über den zum Fünfeck gefügten Ziegeln ruhte eine große Schnabelkugel in einem Metallgestell. Darin sprudelte der Sud heftig auf.
»Es gurgelt schon, beeile dich«, rief Vater ihr über den Rücken zu.
»Keine Sorge, ich stelle gerade ein Fläschchen unter.« Aurelia fing die träge Flüssigkeit auf. Kein Zweifel, wenn es so rotgolden schimmerte, war das Elixier fertig. »Es ist fast so dick wie Öl«, sagte sie.
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Sie sah dem trägen Rest beim Fallen zu und musste dabei ein wenig lächeln. Manch einen, der bei ihnen kaufte, plagten sicher Zweifel, ob er beim alten Meliorus und seiner Tochter nicht in eine Teufelsküche geraten sei.
»Gib mir fünf Tropfen. Gleich!«
Aurelia erschrak über Vaters heiseren Ton. Hastig griff sie nach dem venezianischenTrinkglas und der Karaffe voll Brunnenwasser. »Erschöpft dich das Kleine Werk so sehr?«
»Nein, nein«, flüsterte Vater und schloss die Augen.
Selbst im weichen Licht der vier Öllampen an den Wänden sah sie, wie tief eingesunken seine Wangen waren.
»Die Wandlung fällt mir nicht schwerer als sonst.« Er stützte sich mit der einen Hand schwer auf die Tischkante, mit der anderen fasste er den Kragen seines grauen Mantels vor der Brust.
Noch immer schenkten ihm die Frauen der Ratsherren glühende Blicke,wenn er sie mit seiner gespielten Treuherzigkeit umgarnte, doch Aurelia ließ sich nicht täuschen. Vaters Bart war im letzten Jahr auf einmal schütter und grau geworden, obwohl er noch keine fünfzig Lenze zählte. Da konnte er noch so viel schwarzes Fett hineinreiben, damit der Bart lang und spitz vor seinem Bauch zulief. Er färbte auch sein Haar, machte es glänzend wie bei einem Mann im besten Alter. Er log, sie wusste es.
Sie wandte sich vom ausglühenden Athanor ab.Am liebsten hätte sie Vaters schmalen Kopf zwischen ihre Hände genommen und ihn geherzt. Stattdessen träufelte sie schnell fünf Tropfen Elixier in ein Wasserglas. Langsam vergingen sie zu farbigen Schlieren, dann waren sie im Wasser nicht mehr zu sehen. Ihr zuliebe log der Vater, wie er auch ihr zuliebe überhaupt nur die Wandlung der Erden in Silber gewagt hatte. Ob das Steinmehl, das sie in Mainz hatten beschaffen können, überhaupt etwas taugte, war zweifelhaft. Aber Vaters Künste waren ihr letzter Trumpf im Kampf mit dem Zunftmeister um dessen Gesellen Romuald.
»Was starrst du so in das Trinkglas, mein Kind?«
Aurelia reichte es ihm mit einem verlegenen Lächeln. »Das Elixier ist rotgolden wie mein Haar. Hast du es deshalb nach mir benannt?« Das hatte sie schon lange fragen wollen.
Ein seltsamer Zug erfasste Vaters dünne Lippen, die unter dem schwarzen Spitzbart fast verschwanden. »Deinen Namen trägt das Elixier, weil es mich so stärkt wie du es tust.«
»Ich lese dir nur vor und schreibe deine Briefe«, wehrte sie ab.Vater konnte kleine Schrift nur noch mit großer Mühe entziffern. Und den Haushalt für sie zwei zu führen, die Aufsicht über die Magd - was war das schon?
Wie so oft in letzter Zeit überkam Vater plötzlich eine Schwäche. Unsicher setzte er sich auf den Schemel neben die Steinwannen voller Säure. Sie wusste nicht, woran er litt, sonst hätte sie in den Schriften nach einem Heilmittel forschen können.
»Ohne dich, meinen Augenstern, fände ich mich längst nicht mehr zurecht in der Chymeia«, sagte er müde. Er stand langsam auf,kam um den Tisch herum und ergriff ihre Hände. »Ohne deine flinken Finger, die Ordnung in meinen Pulvern halten.« Er nickte zum Schaff hin, das gegenüber an der Steinmauer stand.Aurelia hatte die Tiegelchen sorgsam beschriftet. »Ohne deine Augen, die mir die Rezepturen vorlesen, würde ich nur noch Pechwerk zustande bringen.« Er lächelte schwach. »Und schon gar nicht das Kleine Werk, das die Gier des Zunftmeisters hoffentlich befriedigen wird.«
Ihr Romuald gehörte der Zunft der Schriftsetzer an. Erst gut ein Jahr war er Geselle gewesen, als Aurelia und er sich ineinander verliebt hatten. Trotz der Widerstände, die seine Familie und die Zunft ihnen in den Weg gelegt hatten, war Romualds Willen immer fester geworden:Er wollte Aurelia zu seiner Frau zu machen.Es war ihm gleich,dass die Tochter des Alchemisten Meliorus als wenig ehrbar galt. Leider konnte nur Romualds Meister eine Ausnahme von den strengen Regeln der Zunft gewähren. Und diese wollte der sich teuer bezahlen lassen.
Vater entfuhr ein Seufzer, als er sich aus der Wasserkaraffe nachschenkte. Aurelia hätte auch so aufstöhnen mögen, so schwer war ihr das Herz vom Warten und vom Heimlichtun. An manchen Tagen zermürbte sie die Sehnsucht nach Romuald.
Hätte Vater nicht einen einflussreichen Kirchenmann gekannt, und hätte er nicht schon für die Zunft selbst Gutes getan mit seiner Löschlauge gegen den Tintenfraß, dann hätte er als Alchemist niemals den richtigen Heiratsvermittler finden können. Nun wollte er es wagen, mit seinen geheimen Künsten dem Zunftmeister das Silber zu liefern, das dieser so sehr begehrte.
Aber selbst wenn der Zunftmeister sich auf den Handel einlassen würde, war noch nichts erreicht. Denn Vater hatte das Alchemistenkunststück noch nicht vollbracht. Misslang das Kleine Werk heute, war Romuald für Aurelia verloren. Sie stöpselte das Fläschchen zu und suchte in der Lade unter dem Tisch nach einem Korken.
Sie mochte nicht daran denken, was geschehen würde, wenn das Vorhaben misslang. War Vater nicht auch ein guter Astrologe? Zwei Wochen lang hatte er die Sterne erforscht, um herauszufinden, wann der richtige Zeitpunkt wäre. Heute schien ihr Einfluss endlich günstig.
Aurelia sah seine Hand zittern. Oh Gott! Obwohl er fünf Tropfen des Elixiers genommen hatte, war er noch so schwach. »Wenn du krank bist, solltest du warten ...«, sagte sie leise. Um den Preis von Vaters Gesundheit wollte sie ihr Glück nicht erkaufen.
»Wir können nicht warten.« Vater fuhr mit den Armen durch die Luft wie ein Gaukler, der fünf Bälle gleichzeitig schweben ließ. »Nicht jetzt, wo die Sterne mir in deinem zwanzigsten Jahr endlich einen günstigen Tag gezeigt haben. Ich bin nur ein wenig müde, weil ich schon seit Stunden hier stehe.« Er goss Wasser aus der Karaffe nach und trank das Glas in einem Zug leer.
»Warum verdünnst du damit die Essenz in deinem Magen, Vater?«
»Je dichter, desto mächtiger.« Seufzend blickte er zu Boden. »Unverdünnt vergiftet das Elixier die Ratten, wenn sie nur einmal dran lecken.«
Manchmal sprach Vater in Rätseln. »Vergiften? Wie soll das gehen?« Aurelia verschränkte die Arme über ihrem braunen Leinenumhang.
»Immer ein Wie, ein Wo oder ein Wann.Wissbegierig wie deine Mutter.« Er lachte und strich ihr mit beiden Daumen die gerunzelte Stirn glatt. Seine Augen funkelten so blau und heiter wie in Aurelias Kinderzeit, wenn Vater für ihre Mutter in den Hügeln über Marseille die Mandoline gespielt hatte. »Mein Goldgesicht, was ziehst du die Stirn kraus wie ein alter Griesgram, dem die Milch sauer geworden ist?«
Er sollte sie nicht immer verspotten. »Ich muss dich fragen, weil ich mir nicht alles abschauen kann.« Aurelia hatte die Zubereitung der Speisen von Mutter gelernt, indem sie sich Zutaten und Handreichungen merkte. Und so war es eben auch hier zwischen all den Kolben,Tiegeln und Pulvern,dass sie die Rezepturen im Kopf behielt. »In den Schriften steht nichts davon, dass das Elixier Ratten töten kann.«
»Wenn dort jede Wirkung verzeichnet wäre, hätte uns das dummeVolk längst als Giftmischer gehängt.« Er hob die Hand, so dass der Ärmel seines grauen Mantels herabglitt und seine weiße Haut entblößte. Die Blässe hatte Aurelia von ihm geerbt, von Mutter hatte sie die grünen Augen; nur von wem die rotgoldenen Haare stammten, wussten beide Eltern nicht zu sagen.
»Beim Elixier ist der Grat zwischen Heilwirkung und Schaden schmal.« Sein Lächeln verschwamm im Halblicht der Öllampen. »Stark verdünnt vertreibt es sogar die Wanzen aus den Wänden.«
»Das geht?«, fragte Aurelia erstaunt.
»Jeder Sud taugt zu mehr als einem Ding.«
Das würde Aurelia sich merken. Sie verabscheute Getier, alles, was krabbelte, biss und stach, war ihr zuwider.
Vater nahm ihre Hand. »Wir müssen auf unseren Leumund achten, selbst hier in Mainz, wo der Bischof uns gewogen ist. Nichts begreifen die Leute von der Dosis, die erst das Gift macht. Du weißt doch, wie schnell sie uns die Schuld für ihre eigenen Sünden anhängen.«
Oh ja, das wusste Aurelia nur zu gut. Drei Herzschläge lang versank sie in der grenzenlosen Angst, die sie erfasst hatte, als die Schergen von Marseille ihre Mutter holten. Sie sah wieder die Tarotkarten durch die gleißende Sommerluft fliegen, die Karten, aus denen Mutter den Leuten die Zukunft gelesen hatte. Sie hörte wieder den endlos gellenden Schrei, als die Schergen ihre Mutter von der Sitzbank vor dem Haus wegschleppten. Tränen stiegen Aurelia in die Augen. Noch in jener Nacht, als man Mutter als Hexe erschlug, war sie mit ihrem Vater unter einer Fuhre Eselsmist verborgen geflohen.
»Verzeih.« Vater strich ihr über die Wange. »Wir wollten es ruhen lassen.«
»Schon gut«, sagte Aurelia. Aber es würde niemals wieder wirklich gut werden. Mutter fehlte ihr, gerade jetzt, wo sie vielleicht bald Romualds Frau werden würde.
»Hilf mir«,sagte Vater mit einem Blick zu dem Steintrog auf dem großen Tisch. »Das Kleine Werk wird noch Kraft fordern. « Er hielt ihr das Glas hin. »Mach es halbvoll - und gib mir besser gleich noch drei Tropfen von der Aqua aureliana.« Seine Bitte klang nicht so leichthin, wie sie es wohl sollte.
»Warum ...?«, begann Aurelia, dochVater zog sie an sich und wiegte sie einen kurzen Augenblick in seinen Armen.
»Wir müssen kämpfen«,brummte er.»Für dich.Eine Verlobung mit Romuald hebt dich in den ehrbaren Bürgerstand. Bist du erst einmal mit der mächtigen Zunft der Schriftsetzer verbunden, wird uns niemand mehr aus Mainz vertreiben können. So kurz vor dem Ziel ist mir jedes Mittel recht.«
Er wandte sich zum Trog, schob die Ärmel seines grauen Mantels zurück und tauchte die Hände in die blaugraue Flüssigkeit. Kräftig bewegte er seine Arme darin, als spüle er Wäsche im Bach. »Ach, aptal kafa yo cretino!«, rief Vater aus. Ein lautes Schwappen mischte sich in seinen Fluch.
Dann hob er das Kinn, so dass der lange Spitzbart zitterte. »Du darfst nicht zu hastig vorgehen, darauf musst du beim Kleinen Werk achten.«
Aurelia fühlte ihreWangen warm werden.Endlich weihte er sie in die Geheimnisse der Metallurgie ein, auch wenn sie genau wusste, dass er es nur tat, weil er es allein nicht mehr schaffte.
Draußen hörten sie die Kirchenglocke zwölf schlagen.Aurelia erschrak,dochVater lächelte nur.Er hatte ihr kleines Haus vor drei Jahren mit Bedacht ausgewählt,weil es mit dem Rücken an der Stadtmauer stand. Nicht alle hier in Mainz ängstigten sich vor der Alchemie. Die Nachbarn in der Gasse waren alle Waffenmacher, die fürchteten sich nicht vor dem bisschen Feuer in der Werkstatt. In jeder Schmiede zischte und klirrte es metallisch im Hof, und so wunderte sich niemand, wenn ein mal roter oder gelber Rauch aus dem Schornstein stieg.
Die Glockenschläge verklangen.
»Die Zeit ist reif.« Vater wischte die Hände am Rand des Steintrogs ab.
Ein paar träge Wellen kräuselten die Oberfläche der Apfelessigbrühe, die sauer, aber nicht faulig roch. Dabei hatte Vater schon gestern früh ein ganzes Fass aus der Küche hinausgerollt und hier hineingekippt. »Warum stinkt die Brühe eigentlich nicht?«, fragte Aurelia.
Im stillen Spiegel der blaugrauen Flüssigkeit sah Aurelia Vaters Schatten. Es schien ihr, als ob dieser sprach.
»Die Metalle stammen aus den Tiefen. Mit ihnen entreißt man Mutter Erde viele ihrer Geheimnisse.«
Vater zog sich die gewachsten Lederhandschuhe über und räusperte sich. »Silber ist das Metall der Nacht, sein Schein gleicht dem Licht des Mondes.« Langsam tauchte er die Hände in die wellenschlagende Flüssigkeit. »Aber Silber ist auch das Metall des Todes, deshalb fault es selbst und wird schwarz. Und es reißt auch alles, was Fäulnis bringt, mit in den Tod.«
Deshalb also roch der Essig hier im Trog noch wie frisch hineingegossen.
Vater deutete mit dem Kinn zur Lade in der anderen Ecke. »Nimm dir deine Handschuhe.«
Aurelia schlüpfte eilig in die dicken Lederhandschuhe.
»Ich hebe nun die Kanne und die beiden Becher heraus. Du tränkst den Schwamm dort im Zuber«, befahl Vater.
Der Schwamm war eines der wenigen Überbleibsel aus ihrem reichen Besitz in Marseille. Aurelia tauchte ihn in das Wasser, das sehr kalt war.Vater musste vorhin die Magd zum Brunnen geschickt haben, als er Aurelia zum Backen an den Herd befohlen hatte. Sie sammelte ihren Geist.Alles war wichtig bei denWandlungen,die Hitze des Feuers war zu beachten, die genaue Menge der Pulver bis aufs Gran galt es einzuhalten. Ja, sogar die Richtung, in der der Alchemicus in den Tiegeln rührte, konnte bedeutsam sein.
Vater zog die Kanne heraus und hielt sie mit dem linken Arm über dem Trog. Blaugraue Brühe troff herab. Aurelia wrang rasch den Schwamm überVaters Händen und der Kanne aus.
»Drücke ihn ganz aus.«
Das Wasser spülte die Brühe weg, bis die Kanne glänzte.
»Sie ist silberweiß!«, rief Aurelia aus. Alles, selbst die feinen Gitterzeichnungen in der Kanne und das Bild der Heiligen Barbara auf der Bauchseite, alles war gewandelt.
»Hast du etwa an meinen Künsten gezweifelt?«
Unter dem Licht der Öllampe besahen sie sich die Kanne genau. »Das Zinn ist Silber geworden«, hauchte Aurelia.
Ihr Vater lachte leise. »Was macht dich so sicher,Tochter?«
Aurelia blickte ihn an. Seine Haut schien ihr glatter als noch vorhin, ein wenig saß wieder ein spöttischer Schalk in seinem Nacken,so wie er das eineAuge zukniff.»Der Glanz ist silbern. Alles ist verwandelt, sogar innen«, sagte sie.
Er wiegte den Kopf. »Sei die Tochter eines großen Alchemisten, sei Meliorus' würdige Erbin und schaue hinter die Spiegelungen der eitlen Welt.« Seine Stimme klang auf einmal wie verzweifelt. »Glaube gerade du nicht wie die tumben Leute an den äußeren Schein.«
Aurelia ließ den Blick über die Kanne in Vaters Hand gleiten. Der Glanz war rein und frisch. Trieb er etwa nur einen Spaß mit ihr? Sie zog die Brauen zusammen.
»Sieh genauer hin,Tochter. Sei ganz unvoreingenommen.« Er drehte die Kanne vor ihren Augen, hielt sie mit der Öffnung nach unten.
Nun doch verwirrt sagte Aurelia: »Sie ist makellos.«
»Gut. Aber was bedeutet das wirklich?« Sein Blick fraß sie fast auf, so sehr brannte er darauf, dass sie den verborgenen Sinn alleine erkannte.
Aurelia fühlte ihre Wangen glühen. Sie starrte auf den mondgleichen Glanz der Kanne und vergaß einen Augenblick, wo sie war, fühlte nur eine Schwere im Leib. Dann erfasste sie ein Gefühl, als würde sie ganz leicht. »Wäre sie wirklich gewandelt und wäre alles Zinn zu Silber geworden, dann müsste die Kanne alle Makel der Zinnkanne zeigen.«
»Heureka!« Er küsste sie auf die Stirn. »Du hast es schon fast ganz verstanden.« Das schwarze Fett glitzerte in seinem spitzen Bart.
»Die Kanne ist neu überzogen«, sagte Aurelia. Der Bauch der Kanne war ebenso glatt wie ein Fleischkuchen, den man mit Gänsefett bestrichen hatte.»Nur einTeil des Zinns hat sich gewandelt und liegt wie ein spiegelndes Tuch auf dem alten darunter.«
»Genauso ist es. Und eben das darf der Zunftmeister der Schriftsetzer nie herausfinden. Dass wir ihm eine versilberte Kanne und keine gediegene schenken.«
Aurelia griff sich an die Stirn. »Deshalb hast du niemals Teller oder Fleischplatten wandeln wollen, wenn die Kaufleute sie dir aufdrängten.« Denn irgendwann hätten die Messer die Silberschicht durchschnitten und das Zinn darunter wäre sichtbar gewesen.
»Eine tiefere Wandlung ist nicht möglich.« Ihr Vater stellte die Kanne vor den Athanor auf dem Tisch ab.»Die Brühe hier habe ich nach der Rezeptur des berühmten Hermes Trismestigos bereitet. Sie sorgt dafür, dass das Silber von den Münzen, die ich dazugelegt habe, auf das Zinn übergeht und sich dort anverwandelt.« Er lachte wieder leise. »Ich habe lernen müssen, dass für die meisten Menschen wahrer ist, was sie zu sehen glauben als das, was sie wirklich sehen.« Vorsichtig hob er die beiden Becher aus dem Trog.
Aurelia beeilte sich mit dem Schwamm und wusch sie mit dem kalten Wasser ab.
»Als wir noch in Italien über die Landstraßen zogen,Tochter, da war ich es leid, dass sich die Kaufherren, Nonnen und Adelsfrauen nur nach den Giften erkundigten, die ich zu bereiten wüsste. Gifte für die Lust, Gifte dagegen, Gifte für den alten Mann oder die treulose Frau. Die Metalle, glaubte ich junger Tor, seien fest und ihr Gebrauch ohne Fluch.« Er wendete die Becher unter dem Licht.»Doch kaum beherrschte ich das Kleine und das Große Werk der Alchemie, wollten alle Kaufleute, Grafen, selbst Bauern nur noch Eisen in Silber und Gold gewandelt sehen.« Er sah sie ernst an. »Tochter, vergiss niemals: Schlimmer als die Lüsternheit ist die Gier des Menschen nach der Macht, die das Gold verleiht.«
Vater stellte den einen Becher zur Seite und prüfte den zweiten.Sein Blick glitt langsam über jede Kerbe des Heiligenbildes im Metall. »Selten ist es mir so gleichmäßig gelungen. Gewiss bewirkt es der heraufziehende Stern eures Tages.« Er prostete ihr mit dem Becher zu. Dann fuhr er fort: »Alles Irdische hat zwei Seiten, das lehren uns die alten Schriften. Des einen Schwäche ist des anderen Glück. Und die Schwäche des Zunftmeisters für Silber und Gold ist dein und Romualds Glück.Er wird nun in die Heirat einwilligen,daran zweifle ich nicht mehr. - Reibe die Becher trocken.«
Aurelia nahm ein weiches Wolltuch aus der Lade am Schaff. Sie wollte den Worten des Vaters so gern glauben.Aber konnte ein Silbergeschirr bei den Mainzer Bürgern wirklich ihre Herkunft als verachtete AlchemistenTochter aufwiegen?
Vater räumte die Silberkanne und die beiden Becher auf den freienTisch unter dem Fenster.»Sind das nicht die schönsten Becher, die man sich denken kann? Wie geschaffen für eine zünftige Verlobungsfeier.«
»Man wird sich dennoch hinter unserem Rücken bekreuzigen.«Aurelia wünschte sich in RomualdsArme,als sie dieAngst überkam, dass der Zunftmeister den Betrug entdecken könnte.
»Die Missgunst zwischen den Mainzer Zünften wird durch mein Geschenk nicht kleiner werden.« Der Vater wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Aber das soll jetzt nicht mehr unsere Sorge sein. Wenn du erst mit Romuald verlobt bist, wird keiner in der Stadt es mehr wagen, mit den Fingern auf dich zu zeigen. Gegen die Schriftsetzergesellen hebt sich so schnell keine Faust.«
Wenn der Zunftmeister einwilligte.Und wenn nicht? Vater hatte bis jetzt nicht einmal von Mann zu Mann mit ihm sprechen dürfen.Alle Zusagen hörten sie nur aus dem Munde des Vermittlers.Was, wenn sie einmal mehr verraten und vertrieben würden? Eine lange Wanderschaft von Stadt zu Stadt oder gar den Rückfall in Armut und Unsicherheit - das könnte Vater kaum mehr ertragen. Noch vor sechs Monaten hatte Aurelia gefürchtet, dass sie ihr Glück niemals finden würde. Damals hatte der Zunftmeister Romuald für sein Werben in den Schandkäfig gesteckt.
Doch der herrliche Silberglanz der Kanne ließ Aurelia hoffen. War die Macht der Metalle nicht groß? »Die Leute werden sich fragen, warum du kein Gold gemacht hast.« Als Meister dieser Kunst wurde der Name Meliorus bereits den Rhein hinauf und hinab geflüstert.Aurelia wusste gut, welche Herren ihre Boten inzwischen in ihr Haus schickten.
Ihr Vater richtete sich auf und sah wie in weite Ferne an ihr vorbei. »Gold, alle wollen immer nur Gold«, seufzte er. »Das Große Werk,meine Tochter,so sagen es mir die Sterne voraus, soll erst vollbracht werden, wenn Romuald dich wirklich heiraten darf.«
Aurelia erschauderte.So sehr fürchtete sie um dieVerlobung, dass ihr die Hochzeit unwirklich fern erschien.
»Mercurius und Sol und Venus stehen im Dreieck...« Vaters Blick sah durch sie hindurch. »Erst du als Braut wirst das Gold als Mitgift bringen. Doch bis dahin muss ich die dreizehn Arten Steinmehl und die sieben sauren Erden zusammentragen.« Er stand schon vor den Schriften und holte den wertvollsten Pergamentband aus dem Schaff, den er als junger Alchemist von einem alten spanischen Zwerg in Granada erhalten hatte. Der hatte ihn in die Geheimnisse der Ungläubigen eingeweiht.
Aurelia hatte gerade das komplizierte Goldmachen in seinen Bann geschlagen. Leider fehlte in dem Band die Seite mit dem dreizehnten Steinmehl. So blieb diese Zutat ein Geheimnis, das Vater streng hütete.
Er hob den Zeigefinger. »Wenn's mich nicht täuscht, Kind, riecht es vom Hausherd drüben gerade herrlich nach Nussauflauf. «
Sie roch es auch. »Herrlich sagst du? Du magst doch gar keine Nüsse.« Die ganze Zeit schon hatte sie Vater fragen wollen, warum sie hatte einen Nusskuchen backen sollen.
»Ich nicht,das stimmt.Aber dein Romuald ist verrückt danach. Und einen Vorwand muss es doch geben,unter dem ich dich zum Zunftmeister in die Schriftsetzergasse schicke, damit niemand Verdacht schöpft.« Vater winkte sie hinaus. »Lass nur nichts anbrennen. Der Kuchen ist das vereinbarte Zeichen für das gelungene Werk.«
Aurelia hängte ihren Überwurf an den Haken an der Tür. Ihr umsichtiger Vater hatte an alles gedacht. Und dennoch konnte sie die Sorge um ihn nicht abschütteln. Er war so schwach geworden. Aus tiefstem Herzen hoffte sie, dass sein Plan aufgehen würde.
2
Schnell steckte Aurelia die Strähne, die sich beim Laufen gelöst hatte, unter den Rand ihrer weißen Jungfernhaube. In Mainz durften sich erst Frauen im Ehestand mit roten und grünen Tüchern oder gar aufwändiger Stickerei schmücken. Nur ein fingerbreites Band war ihr erlaubt, um das Haar zu bändigen. Aurelia seufzte. Wie lebenslustig war es doch im Süden zugegangen, wo die jungen Frauen sogar die Haare offen im Wind flattern lassen durften.
Sie zog den Korb auf ihrem Arm höher. Es war klüger, keinen Anlass zu bösem Gerede zu bieten, deshalb hatte sie das schlichte grüne Kleid angezogen. An den Marktständen verfolgten die Frauen der Schriftsetzerfamilien sie oft mit gemeinem Gezischel. Da seht ihr die Hex', die sich in Romualds Locken verguckt hat, die wird sie ihm bald mit den Zähnen glattziehen.Hoffentlich vermochten sie gegen den Zunftmeister nichts auszurichten. Denn die Weiber wussten verborgene Wege, ihren Willen durchzusetzen.
Aurelia bog vom Markt an den Auslagen der Häfner vorbei in die kleine Gasse, die hinunter zu den Häusern der Schriftsetzer führte.
Sie hörte Romuald schon, bevor sie durch das kleine Gassenfenster in die Druckerei hineinblickte. Sie liebte sein klares Lachen, das klang wie eine schnell angeschlagene Zymbel in der Kirche.
Jetzt stand er an einem Pult, das kräftige Bein vorgestreckt, ein baumlanger Kerl mit dem Kreuz eines Schiffers, und packte Lettern mit dem Winkelhaken auf das Zeileneisen.
Aurelia hielt sich ganz still vor dem Fenster. Die vielen schwarzen Locken fielen leicht um seinen Kopf, tanzten jetzt geradezu, weil Romuald die Lettern so flink in die Zeilen setzte, dass Aurelia kaum seinen Bewegungen mit den Augen folgen konnte. Sie war gebannt davon, dass solch starke Finger so feinfühlig sein konnten, als wären sie schmal wie die eines Seidenstickers.
»Bring das Setzschiff«, rief Romuald in eine Ecke, die Aurelia nicht einsehen konnte. »Wird's bald?«
Ein Lehrling in Holzschuhen und fleckiger Lederschürze schleppte auf dem Rücken einen Kasten heran. Er duckte sich am Pult wie vor einem Schlag.Aber Romuald nahm ihm nur das Setzschiff von den Schultern und legte es auf demTisch ab. Aurelia hörte Leute vom Markt kommen, wandte sich vom Fenster ab und ging rasch weiter ums Eck. Die Eingangstür zur Setzerei stand offen.
»Teufelsarsch und Himmelsdreck, wer von euch hat die fl Ligatur verrecken lassen?«, schrie eine Stimme heiser aus der Ecke. Das war Hans, Romualds Vetter, der schon seit drei Jahren Geselle war.Sein runder Kopf glänzte verschwitzt,seine Lederschürze spannte über dem Bauch. »Wie oft soll ich euch noch predigen, dass ihr kein dibusdabus setzen sollt?«
Was auch immer das war. Aurelia hatte keine Ahnung, was ein dibus-dabus sein sollte. Sie lehnte sich an den Pfosten der Eingangstür. Wenn Romuald bei der Arbeit war, bog er den langen Rücken wie ein Adler über der erlegten Beute.Aurelia biss sich auf die Lippen vor heimlichem Vergnügen.Ihr war es ganz recht, dass sie so seine Rückenansicht vom Nacken bis zu den groben Stiefeln betrachten konnte. So fest waren seine Waden und Schenkel, auf denen sie so gern saß, wenn sie sich auf einer Bank in den Weinbergen an Romuald lehnte und er über ihren Kopf strich.
Hans und der Lehrling entdeckten sie gleichzeitig. Aurelia führte schnell den Zeigefinger zum Mund.Sie hob den Rocksaum etwas an, schlich auf Zehenspitzen, auch wenn Hans nun ihre Knöchel sehen konnte, um einen Bottich mit Druckerschwärze herum und an einem Stapel Papierbögen vorbei.
Sie stand fast hinter Romuald und stellte den Korb lautlos auf die Bodendielen. Noch einen Sprung nach vorn ... Sie fuhr mit den Händen von den Seiten in seine Schürze und umschlang seinen Leib. »Hab ich dich!«
Romuald entfuhr ein Schreckenslaut. Das Winkeleisen flog in hohem Bogen auf die Dielen, ein kurzer Regen eiserner Lettern ging auf sie hernieder. »Du«, keuchte er.
Aurelia drückte ihn mit aller Kraft, dann trat sie einen Schritt zurück. Länger so umschlungen zu verharren wäre nicht schicklich gewesen.
Romuald wandte sich zu ihr um. »Sammle die Lettern ein«, sagte er dabei zum Lehrling, der unter seinen ungekämmten Stirnfransen hervor Aurelia auf die Brust linste.
»Jetzt gibt's lauter Hurenkinder«,rief Hans von seinemTisch her. »Das fehlt uns noch.«
Aurelia fühlte Wut aufsteigen. Sie hatte die Anspielung genau verstanden. Romuald hatte ihr viele der zweideutigen Bezeichnungen für falsch gesetzte Buchstaben erklärt.
Die anderen Gesellen lachten. Aurelia griff ihren Korb am Henkel und schluckte den Ärger herunter. Sie durfte niemanden mit Widerworten reizen.
Hinten in der Druckerei teilte eine Bretterwand die Stube ab. Dort lagen die bedruckten Papierbögen auf Holzgittern zum Trocknen aus. Romuald zog Aurelia aus der Sichtweite der anderen.
»Nichts gönnst du uns«, rief sein Vetter hinter ihm her. Ein Stück Holz schlitterte an Romualds Ferse vorbei über die Dielen. »Aurelia, warum verbirgst du dein schönes Gesicht vor uns?«,fragte Hans vorwurfsvoll.»Wir haben hier ältere Rechte.«
Dazu durfte sie nicht einfach schweigen. »An den Lettern vielleicht«, rief Aurelia in die Werkstatt zurück. »Aber an mir hat noch keiner ein Recht.«
Hinter den Brettern umfing Romuald mit den Händen ihre Hüfte. »Ich habe dich vermisst«, flüsterte er. »Das Warten wird einfach zu lange.« Seine Finger wanderten sanft ihren Rücken hoch, wobei seine dunklen Augen glänzten und sich weiteten.
Manchmal schien es Aurelia, als ob sie von ihm gar nichts wüsste, als läge hinter seiner Fröhlichkeit, seiner Wissbegier etwas Wildes, Unbekanntes verborgen. Sie fühlte ihren Atem schneller gehen, als er seinen festen Leib an sie schmiegte.
Aber seine Lippen waren weich, sanft küsste er sie wie ein Kind ein Küken, das es im Stall gefunden hat. Die Wärme, die Aurelia überströmte, war so süß wie es die Frühlingslieder besangen. Sie küsste ihn wieder, spürte die rauen Stoppeln auf seinem Kinn.
Romuald hielt sie bei den Schultern und sah sie ernst an. »Ist dein Vater endlich vorangekommen?«
Aurelia hob das Tuch über dem Korb. »Deswegen bin ich hier.Ich soll dem Zunftmeister diese Gabe von meinem Vater bringen.«
»Nusskuchen?« Romuald fasste schon ein Stück. »Aber wieso? Heute ist doch kein Erntedank.«
»Vater hat mir nur gesagt,dein Meister werde den geschenkten Kuchen schon zu deuten wissen.«
»Du meinst ...« Romualds Miene hellte sich auf. »Wenn der Meister den Kuchen annimmt, dann gilt das auch für ... euer anderes Geschenk?«
Aurelia durfte Romuald nicht alles sagen, das hatte sie Vater versprechen müssen. Zu deinem eigenen Schutz, hatte er ihr eingeschärft. So küsste sie Romuald als Antwort auf den Mund.
»Ich habe auch etwas für dich.« Er schlug den Ärmel seines weiten Hemdes zurück.Um seinen Ellenbogen war ein schmales blaues Band gewunden. »Wickele es ab.«
Aurelia strich über seinen braunen Unterarm, so sanft, dass sich die Haare aufstellten. Romuald seufzte wohlig. Sie knotete das Band auf. Es war wunderbar glatt. »Es ist ja aus Seide!« Was mochte ihn das gekostet haben? »Viel zu teuer für mich«, flüsterte sie.Auf Zehenspitzen stehend gab sie ihm noch einen, noch zwei, drei Küsse.
»Für dich ist mir nichts zu teuer«, gab Romuald zurück.
In der Druckerei schepperten Lettern in den Fächern, jemand hatte hart aufs Holz des großen Setzkastens geschlagen. Aurelia sah den Schreck in Romualds Gesicht.
»Warum ist der Aushang noch nicht fertig, Hans?«, schrie eine von Bier erhitzte Stimme vom Eingang her.
»Der Meister!« Romuald schob Aurelia an den Schultern weg.
Sie hatte ganz vergessen, wo sie sich umarmten und küssten. Rasch machte sie drei Schritt zum Holzgitter hin. Betrefflich die Handeley mit Gewürz und Safran ... Mehr konnte sie auf dem Andruck nicht lesen, da stand schon der Zunftmeister vor ihr. Ein grauer Haarkranz umsäumte seinen Kopf. Niemand sonst durfte bei den Schriftsetzern eine Lederschürze und einen Schulterschutz in Schwarz über dem Hemd tragen.
»Aha! Die goldhaarige Tochter von Meliorus ist im Haus. Kein Wunder, dass keiner seine Arbeit tut.« Schweißperlen standen auf seiner geröteten Stirn. »Was willst du hier?«
Aurelia durfte Romuald nicht einfach besuchen, zumal sie noch nicht seine Verlobte war.»Mein Vater schickt euch durch mich einen Gruß.« Sie schlug die Augen sittsam nieder.
Der Zunftmeister stieß mit dem Fuß an den Korb, der auf den Dielen stand. »Wein oder Nusskuchen?«, presste er hervor.
Aurelia tat lieber so, als ob ihr der merkwürdige Tonfall nicht auffiele.Sie wusste nicht,welche Zeichen der Vermittler vereinbart hatte. »Nusskuchen soll ich euch ...«
»Na endlich!«,fiel ihr der Zunftmeister insWort.Sein Mund wurde breit wie über einem Ostermahl. Da fing er Romualds erfreuten Blick auf.»Hast du nichts Besseres zu tun,Geselle,als Jungfrauen auf die Brust zu glotzen? Was ist mit dem Stadtbefehl des Bischofs?«
Romuald straffte die Schultern. »Gleich gesetzt, Meister.«
»Das heißt also: nicht fertig.« Der Meister deutete mit dem Daumen zur Werkstatt. »Wird's bald, Faulpelz?« Er strich sich über das Kinn und sah dabei Aurelia an. »Warum lässt dein Vater dich aus der Werkstatt und schickt nicht die Magd? Silbermachen soll ein schwieriges Geschäft sein. Er hat keinen Lehrling und keinen Gesell. Braucht er da nicht jede Hand im Haus, und sei's die feine Frauenhand?«
Romuald stellte sich schützend vor Aurelia. »Lasst sie in Frieden, Meister, ich bitt euch.«
Der Zunftmeister mit der schwarzen Lederschürze zeigte nur mit dem Kinn zurWerkstatt,so dass Romuald nichts übrig blieb, als zu gehorchen. Er ging zu seinem Pult.
Aurelia setzte ein Lächeln auf, das unbedarft wirken sollte. Vater hatte es ihr eingeschärft: Stelle dich dumm. »Ich verstehe nichts von seinem Handwerk. Fragt ihn selber. Ich habe nur den Kuchen gebacken.«
Der Zunftmeister nahm den Korb hoch und roch daran. »Wie der duftet! Hoffentlich versteht dein Vater so viel vom Silbermachen wie du vom Backen.« Ohne das Tuch zu lüften, stellte er ihn wieder ab und ging hinter Romuald her zu den Setztischen.
Der Meister musste den Kuchen doch annehmen, sonst galt der Handel mit ihrem Vater nicht.
Er stand schon bei Romuald am Setzschiff. »Der Meier des Bischofs wartet schon drüben in der Grünen Eiche. Zehnfach will er den Aushang sehen, damit er noch heute an die Tore kommt.«
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Sie sah dem trägen Rest beim Fallen zu und musste dabei ein wenig lächeln. Manch einen, der bei ihnen kaufte, plagten sicher Zweifel, ob er beim alten Meliorus und seiner Tochter nicht in eine Teufelsküche geraten sei.
»Gib mir fünf Tropfen. Gleich!«
Aurelia erschrak über Vaters heiseren Ton. Hastig griff sie nach dem venezianischenTrinkglas und der Karaffe voll Brunnenwasser. »Erschöpft dich das Kleine Werk so sehr?«
»Nein, nein«, flüsterte Vater und schloss die Augen.
Selbst im weichen Licht der vier Öllampen an den Wänden sah sie, wie tief eingesunken seine Wangen waren.
»Die Wandlung fällt mir nicht schwerer als sonst.« Er stützte sich mit der einen Hand schwer auf die Tischkante, mit der anderen fasste er den Kragen seines grauen Mantels vor der Brust.
Noch immer schenkten ihm die Frauen der Ratsherren glühende Blicke,wenn er sie mit seiner gespielten Treuherzigkeit umgarnte, doch Aurelia ließ sich nicht täuschen. Vaters Bart war im letzten Jahr auf einmal schütter und grau geworden, obwohl er noch keine fünfzig Lenze zählte. Da konnte er noch so viel schwarzes Fett hineinreiben, damit der Bart lang und spitz vor seinem Bauch zulief. Er färbte auch sein Haar, machte es glänzend wie bei einem Mann im besten Alter. Er log, sie wusste es.
Sie wandte sich vom ausglühenden Athanor ab.Am liebsten hätte sie Vaters schmalen Kopf zwischen ihre Hände genommen und ihn geherzt. Stattdessen träufelte sie schnell fünf Tropfen Elixier in ein Wasserglas. Langsam vergingen sie zu farbigen Schlieren, dann waren sie im Wasser nicht mehr zu sehen. Ihr zuliebe log der Vater, wie er auch ihr zuliebe überhaupt nur die Wandlung der Erden in Silber gewagt hatte. Ob das Steinmehl, das sie in Mainz hatten beschaffen können, überhaupt etwas taugte, war zweifelhaft. Aber Vaters Künste waren ihr letzter Trumpf im Kampf mit dem Zunftmeister um dessen Gesellen Romuald.
»Was starrst du so in das Trinkglas, mein Kind?«
Aurelia reichte es ihm mit einem verlegenen Lächeln. »Das Elixier ist rotgolden wie mein Haar. Hast du es deshalb nach mir benannt?« Das hatte sie schon lange fragen wollen.
Ein seltsamer Zug erfasste Vaters dünne Lippen, die unter dem schwarzen Spitzbart fast verschwanden. »Deinen Namen trägt das Elixier, weil es mich so stärkt wie du es tust.«
»Ich lese dir nur vor und schreibe deine Briefe«, wehrte sie ab.Vater konnte kleine Schrift nur noch mit großer Mühe entziffern. Und den Haushalt für sie zwei zu führen, die Aufsicht über die Magd - was war das schon?
Wie so oft in letzter Zeit überkam Vater plötzlich eine Schwäche. Unsicher setzte er sich auf den Schemel neben die Steinwannen voller Säure. Sie wusste nicht, woran er litt, sonst hätte sie in den Schriften nach einem Heilmittel forschen können.
»Ohne dich, meinen Augenstern, fände ich mich längst nicht mehr zurecht in der Chymeia«, sagte er müde. Er stand langsam auf,kam um den Tisch herum und ergriff ihre Hände. »Ohne deine flinken Finger, die Ordnung in meinen Pulvern halten.« Er nickte zum Schaff hin, das gegenüber an der Steinmauer stand.Aurelia hatte die Tiegelchen sorgsam beschriftet. »Ohne deine Augen, die mir die Rezepturen vorlesen, würde ich nur noch Pechwerk zustande bringen.« Er lächelte schwach. »Und schon gar nicht das Kleine Werk, das die Gier des Zunftmeisters hoffentlich befriedigen wird.«
Ihr Romuald gehörte der Zunft der Schriftsetzer an. Erst gut ein Jahr war er Geselle gewesen, als Aurelia und er sich ineinander verliebt hatten. Trotz der Widerstände, die seine Familie und die Zunft ihnen in den Weg gelegt hatten, war Romualds Willen immer fester geworden:Er wollte Aurelia zu seiner Frau zu machen.Es war ihm gleich,dass die Tochter des Alchemisten Meliorus als wenig ehrbar galt. Leider konnte nur Romualds Meister eine Ausnahme von den strengen Regeln der Zunft gewähren. Und diese wollte der sich teuer bezahlen lassen.
Vater entfuhr ein Seufzer, als er sich aus der Wasserkaraffe nachschenkte. Aurelia hätte auch so aufstöhnen mögen, so schwer war ihr das Herz vom Warten und vom Heimlichtun. An manchen Tagen zermürbte sie die Sehnsucht nach Romuald.
Hätte Vater nicht einen einflussreichen Kirchenmann gekannt, und hätte er nicht schon für die Zunft selbst Gutes getan mit seiner Löschlauge gegen den Tintenfraß, dann hätte er als Alchemist niemals den richtigen Heiratsvermittler finden können. Nun wollte er es wagen, mit seinen geheimen Künsten dem Zunftmeister das Silber zu liefern, das dieser so sehr begehrte.
Aber selbst wenn der Zunftmeister sich auf den Handel einlassen würde, war noch nichts erreicht. Denn Vater hatte das Alchemistenkunststück noch nicht vollbracht. Misslang das Kleine Werk heute, war Romuald für Aurelia verloren. Sie stöpselte das Fläschchen zu und suchte in der Lade unter dem Tisch nach einem Korken.
Sie mochte nicht daran denken, was geschehen würde, wenn das Vorhaben misslang. War Vater nicht auch ein guter Astrologe? Zwei Wochen lang hatte er die Sterne erforscht, um herauszufinden, wann der richtige Zeitpunkt wäre. Heute schien ihr Einfluss endlich günstig.
Aurelia sah seine Hand zittern. Oh Gott! Obwohl er fünf Tropfen des Elixiers genommen hatte, war er noch so schwach. »Wenn du krank bist, solltest du warten ...«, sagte sie leise. Um den Preis von Vaters Gesundheit wollte sie ihr Glück nicht erkaufen.
»Wir können nicht warten.« Vater fuhr mit den Armen durch die Luft wie ein Gaukler, der fünf Bälle gleichzeitig schweben ließ. »Nicht jetzt, wo die Sterne mir in deinem zwanzigsten Jahr endlich einen günstigen Tag gezeigt haben. Ich bin nur ein wenig müde, weil ich schon seit Stunden hier stehe.« Er goss Wasser aus der Karaffe nach und trank das Glas in einem Zug leer.
»Warum verdünnst du damit die Essenz in deinem Magen, Vater?«
»Je dichter, desto mächtiger.« Seufzend blickte er zu Boden. »Unverdünnt vergiftet das Elixier die Ratten, wenn sie nur einmal dran lecken.«
Manchmal sprach Vater in Rätseln. »Vergiften? Wie soll das gehen?« Aurelia verschränkte die Arme über ihrem braunen Leinenumhang.
»Immer ein Wie, ein Wo oder ein Wann.Wissbegierig wie deine Mutter.« Er lachte und strich ihr mit beiden Daumen die gerunzelte Stirn glatt. Seine Augen funkelten so blau und heiter wie in Aurelias Kinderzeit, wenn Vater für ihre Mutter in den Hügeln über Marseille die Mandoline gespielt hatte. »Mein Goldgesicht, was ziehst du die Stirn kraus wie ein alter Griesgram, dem die Milch sauer geworden ist?«
Er sollte sie nicht immer verspotten. »Ich muss dich fragen, weil ich mir nicht alles abschauen kann.« Aurelia hatte die Zubereitung der Speisen von Mutter gelernt, indem sie sich Zutaten und Handreichungen merkte. Und so war es eben auch hier zwischen all den Kolben,Tiegeln und Pulvern,dass sie die Rezepturen im Kopf behielt. »In den Schriften steht nichts davon, dass das Elixier Ratten töten kann.«
»Wenn dort jede Wirkung verzeichnet wäre, hätte uns das dummeVolk längst als Giftmischer gehängt.« Er hob die Hand, so dass der Ärmel seines grauen Mantels herabglitt und seine weiße Haut entblößte. Die Blässe hatte Aurelia von ihm geerbt, von Mutter hatte sie die grünen Augen; nur von wem die rotgoldenen Haare stammten, wussten beide Eltern nicht zu sagen.
»Beim Elixier ist der Grat zwischen Heilwirkung und Schaden schmal.« Sein Lächeln verschwamm im Halblicht der Öllampen. »Stark verdünnt vertreibt es sogar die Wanzen aus den Wänden.«
»Das geht?«, fragte Aurelia erstaunt.
»Jeder Sud taugt zu mehr als einem Ding.«
Das würde Aurelia sich merken. Sie verabscheute Getier, alles, was krabbelte, biss und stach, war ihr zuwider.
Vater nahm ihre Hand. »Wir müssen auf unseren Leumund achten, selbst hier in Mainz, wo der Bischof uns gewogen ist. Nichts begreifen die Leute von der Dosis, die erst das Gift macht. Du weißt doch, wie schnell sie uns die Schuld für ihre eigenen Sünden anhängen.«
Oh ja, das wusste Aurelia nur zu gut. Drei Herzschläge lang versank sie in der grenzenlosen Angst, die sie erfasst hatte, als die Schergen von Marseille ihre Mutter holten. Sie sah wieder die Tarotkarten durch die gleißende Sommerluft fliegen, die Karten, aus denen Mutter den Leuten die Zukunft gelesen hatte. Sie hörte wieder den endlos gellenden Schrei, als die Schergen ihre Mutter von der Sitzbank vor dem Haus wegschleppten. Tränen stiegen Aurelia in die Augen. Noch in jener Nacht, als man Mutter als Hexe erschlug, war sie mit ihrem Vater unter einer Fuhre Eselsmist verborgen geflohen.
»Verzeih.« Vater strich ihr über die Wange. »Wir wollten es ruhen lassen.«
»Schon gut«, sagte Aurelia. Aber es würde niemals wieder wirklich gut werden. Mutter fehlte ihr, gerade jetzt, wo sie vielleicht bald Romualds Frau werden würde.
»Hilf mir«,sagte Vater mit einem Blick zu dem Steintrog auf dem großen Tisch. »Das Kleine Werk wird noch Kraft fordern. « Er hielt ihr das Glas hin. »Mach es halbvoll - und gib mir besser gleich noch drei Tropfen von der Aqua aureliana.« Seine Bitte klang nicht so leichthin, wie sie es wohl sollte.
»Warum ...?«, begann Aurelia, dochVater zog sie an sich und wiegte sie einen kurzen Augenblick in seinen Armen.
»Wir müssen kämpfen«,brummte er.»Für dich.Eine Verlobung mit Romuald hebt dich in den ehrbaren Bürgerstand. Bist du erst einmal mit der mächtigen Zunft der Schriftsetzer verbunden, wird uns niemand mehr aus Mainz vertreiben können. So kurz vor dem Ziel ist mir jedes Mittel recht.«
Er wandte sich zum Trog, schob die Ärmel seines grauen Mantels zurück und tauchte die Hände in die blaugraue Flüssigkeit. Kräftig bewegte er seine Arme darin, als spüle er Wäsche im Bach. »Ach, aptal kafa yo cretino!«, rief Vater aus. Ein lautes Schwappen mischte sich in seinen Fluch.
Dann hob er das Kinn, so dass der lange Spitzbart zitterte. »Du darfst nicht zu hastig vorgehen, darauf musst du beim Kleinen Werk achten.«
Aurelia fühlte ihreWangen warm werden.Endlich weihte er sie in die Geheimnisse der Metallurgie ein, auch wenn sie genau wusste, dass er es nur tat, weil er es allein nicht mehr schaffte.
Draußen hörten sie die Kirchenglocke zwölf schlagen.Aurelia erschrak,dochVater lächelte nur.Er hatte ihr kleines Haus vor drei Jahren mit Bedacht ausgewählt,weil es mit dem Rücken an der Stadtmauer stand. Nicht alle hier in Mainz ängstigten sich vor der Alchemie. Die Nachbarn in der Gasse waren alle Waffenmacher, die fürchteten sich nicht vor dem bisschen Feuer in der Werkstatt. In jeder Schmiede zischte und klirrte es metallisch im Hof, und so wunderte sich niemand, wenn ein mal roter oder gelber Rauch aus dem Schornstein stieg.
Die Glockenschläge verklangen.
»Die Zeit ist reif.« Vater wischte die Hände am Rand des Steintrogs ab.
Ein paar träge Wellen kräuselten die Oberfläche der Apfelessigbrühe, die sauer, aber nicht faulig roch. Dabei hatte Vater schon gestern früh ein ganzes Fass aus der Küche hinausgerollt und hier hineingekippt. »Warum stinkt die Brühe eigentlich nicht?«, fragte Aurelia.
Im stillen Spiegel der blaugrauen Flüssigkeit sah Aurelia Vaters Schatten. Es schien ihr, als ob dieser sprach.
»Die Metalle stammen aus den Tiefen. Mit ihnen entreißt man Mutter Erde viele ihrer Geheimnisse.«
Vater zog sich die gewachsten Lederhandschuhe über und räusperte sich. »Silber ist das Metall der Nacht, sein Schein gleicht dem Licht des Mondes.« Langsam tauchte er die Hände in die wellenschlagende Flüssigkeit. »Aber Silber ist auch das Metall des Todes, deshalb fault es selbst und wird schwarz. Und es reißt auch alles, was Fäulnis bringt, mit in den Tod.«
Deshalb also roch der Essig hier im Trog noch wie frisch hineingegossen.
Vater deutete mit dem Kinn zur Lade in der anderen Ecke. »Nimm dir deine Handschuhe.«
Aurelia schlüpfte eilig in die dicken Lederhandschuhe.
»Ich hebe nun die Kanne und die beiden Becher heraus. Du tränkst den Schwamm dort im Zuber«, befahl Vater.
Der Schwamm war eines der wenigen Überbleibsel aus ihrem reichen Besitz in Marseille. Aurelia tauchte ihn in das Wasser, das sehr kalt war.Vater musste vorhin die Magd zum Brunnen geschickt haben, als er Aurelia zum Backen an den Herd befohlen hatte. Sie sammelte ihren Geist.Alles war wichtig bei denWandlungen,die Hitze des Feuers war zu beachten, die genaue Menge der Pulver bis aufs Gran galt es einzuhalten. Ja, sogar die Richtung, in der der Alchemicus in den Tiegeln rührte, konnte bedeutsam sein.
Vater zog die Kanne heraus und hielt sie mit dem linken Arm über dem Trog. Blaugraue Brühe troff herab. Aurelia wrang rasch den Schwamm überVaters Händen und der Kanne aus.
»Drücke ihn ganz aus.«
Das Wasser spülte die Brühe weg, bis die Kanne glänzte.
»Sie ist silberweiß!«, rief Aurelia aus. Alles, selbst die feinen Gitterzeichnungen in der Kanne und das Bild der Heiligen Barbara auf der Bauchseite, alles war gewandelt.
»Hast du etwa an meinen Künsten gezweifelt?«
Unter dem Licht der Öllampe besahen sie sich die Kanne genau. »Das Zinn ist Silber geworden«, hauchte Aurelia.
Ihr Vater lachte leise. »Was macht dich so sicher,Tochter?«
Aurelia blickte ihn an. Seine Haut schien ihr glatter als noch vorhin, ein wenig saß wieder ein spöttischer Schalk in seinem Nacken,so wie er das eineAuge zukniff.»Der Glanz ist silbern. Alles ist verwandelt, sogar innen«, sagte sie.
Er wiegte den Kopf. »Sei die Tochter eines großen Alchemisten, sei Meliorus' würdige Erbin und schaue hinter die Spiegelungen der eitlen Welt.« Seine Stimme klang auf einmal wie verzweifelt. »Glaube gerade du nicht wie die tumben Leute an den äußeren Schein.«
Aurelia ließ den Blick über die Kanne in Vaters Hand gleiten. Der Glanz war rein und frisch. Trieb er etwa nur einen Spaß mit ihr? Sie zog die Brauen zusammen.
»Sieh genauer hin,Tochter. Sei ganz unvoreingenommen.« Er drehte die Kanne vor ihren Augen, hielt sie mit der Öffnung nach unten.
Nun doch verwirrt sagte Aurelia: »Sie ist makellos.«
»Gut. Aber was bedeutet das wirklich?« Sein Blick fraß sie fast auf, so sehr brannte er darauf, dass sie den verborgenen Sinn alleine erkannte.
Aurelia fühlte ihre Wangen glühen. Sie starrte auf den mondgleichen Glanz der Kanne und vergaß einen Augenblick, wo sie war, fühlte nur eine Schwere im Leib. Dann erfasste sie ein Gefühl, als würde sie ganz leicht. »Wäre sie wirklich gewandelt und wäre alles Zinn zu Silber geworden, dann müsste die Kanne alle Makel der Zinnkanne zeigen.«
»Heureka!« Er küsste sie auf die Stirn. »Du hast es schon fast ganz verstanden.« Das schwarze Fett glitzerte in seinem spitzen Bart.
»Die Kanne ist neu überzogen«, sagte Aurelia. Der Bauch der Kanne war ebenso glatt wie ein Fleischkuchen, den man mit Gänsefett bestrichen hatte.»Nur einTeil des Zinns hat sich gewandelt und liegt wie ein spiegelndes Tuch auf dem alten darunter.«
»Genauso ist es. Und eben das darf der Zunftmeister der Schriftsetzer nie herausfinden. Dass wir ihm eine versilberte Kanne und keine gediegene schenken.«
Aurelia griff sich an die Stirn. »Deshalb hast du niemals Teller oder Fleischplatten wandeln wollen, wenn die Kaufleute sie dir aufdrängten.« Denn irgendwann hätten die Messer die Silberschicht durchschnitten und das Zinn darunter wäre sichtbar gewesen.
»Eine tiefere Wandlung ist nicht möglich.« Ihr Vater stellte die Kanne vor den Athanor auf dem Tisch ab.»Die Brühe hier habe ich nach der Rezeptur des berühmten Hermes Trismestigos bereitet. Sie sorgt dafür, dass das Silber von den Münzen, die ich dazugelegt habe, auf das Zinn übergeht und sich dort anverwandelt.« Er lachte wieder leise. »Ich habe lernen müssen, dass für die meisten Menschen wahrer ist, was sie zu sehen glauben als das, was sie wirklich sehen.« Vorsichtig hob er die beiden Becher aus dem Trog.
Aurelia beeilte sich mit dem Schwamm und wusch sie mit dem kalten Wasser ab.
»Als wir noch in Italien über die Landstraßen zogen,Tochter, da war ich es leid, dass sich die Kaufherren, Nonnen und Adelsfrauen nur nach den Giften erkundigten, die ich zu bereiten wüsste. Gifte für die Lust, Gifte dagegen, Gifte für den alten Mann oder die treulose Frau. Die Metalle, glaubte ich junger Tor, seien fest und ihr Gebrauch ohne Fluch.« Er wendete die Becher unter dem Licht.»Doch kaum beherrschte ich das Kleine und das Große Werk der Alchemie, wollten alle Kaufleute, Grafen, selbst Bauern nur noch Eisen in Silber und Gold gewandelt sehen.« Er sah sie ernst an. »Tochter, vergiss niemals: Schlimmer als die Lüsternheit ist die Gier des Menschen nach der Macht, die das Gold verleiht.«
Vater stellte den einen Becher zur Seite und prüfte den zweiten.Sein Blick glitt langsam über jede Kerbe des Heiligenbildes im Metall. »Selten ist es mir so gleichmäßig gelungen. Gewiss bewirkt es der heraufziehende Stern eures Tages.« Er prostete ihr mit dem Becher zu. Dann fuhr er fort: »Alles Irdische hat zwei Seiten, das lehren uns die alten Schriften. Des einen Schwäche ist des anderen Glück. Und die Schwäche des Zunftmeisters für Silber und Gold ist dein und Romualds Glück.Er wird nun in die Heirat einwilligen,daran zweifle ich nicht mehr. - Reibe die Becher trocken.«
Aurelia nahm ein weiches Wolltuch aus der Lade am Schaff. Sie wollte den Worten des Vaters so gern glauben.Aber konnte ein Silbergeschirr bei den Mainzer Bürgern wirklich ihre Herkunft als verachtete AlchemistenTochter aufwiegen?
Vater räumte die Silberkanne und die beiden Becher auf den freienTisch unter dem Fenster.»Sind das nicht die schönsten Becher, die man sich denken kann? Wie geschaffen für eine zünftige Verlobungsfeier.«
»Man wird sich dennoch hinter unserem Rücken bekreuzigen.«Aurelia wünschte sich in RomualdsArme,als sie dieAngst überkam, dass der Zunftmeister den Betrug entdecken könnte.
»Die Missgunst zwischen den Mainzer Zünften wird durch mein Geschenk nicht kleiner werden.« Der Vater wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Aber das soll jetzt nicht mehr unsere Sorge sein. Wenn du erst mit Romuald verlobt bist, wird keiner in der Stadt es mehr wagen, mit den Fingern auf dich zu zeigen. Gegen die Schriftsetzergesellen hebt sich so schnell keine Faust.«
Wenn der Zunftmeister einwilligte.Und wenn nicht? Vater hatte bis jetzt nicht einmal von Mann zu Mann mit ihm sprechen dürfen.Alle Zusagen hörten sie nur aus dem Munde des Vermittlers.Was, wenn sie einmal mehr verraten und vertrieben würden? Eine lange Wanderschaft von Stadt zu Stadt oder gar den Rückfall in Armut und Unsicherheit - das könnte Vater kaum mehr ertragen. Noch vor sechs Monaten hatte Aurelia gefürchtet, dass sie ihr Glück niemals finden würde. Damals hatte der Zunftmeister Romuald für sein Werben in den Schandkäfig gesteckt.
Doch der herrliche Silberglanz der Kanne ließ Aurelia hoffen. War die Macht der Metalle nicht groß? »Die Leute werden sich fragen, warum du kein Gold gemacht hast.« Als Meister dieser Kunst wurde der Name Meliorus bereits den Rhein hinauf und hinab geflüstert.Aurelia wusste gut, welche Herren ihre Boten inzwischen in ihr Haus schickten.
Ihr Vater richtete sich auf und sah wie in weite Ferne an ihr vorbei. »Gold, alle wollen immer nur Gold«, seufzte er. »Das Große Werk,meine Tochter,so sagen es mir die Sterne voraus, soll erst vollbracht werden, wenn Romuald dich wirklich heiraten darf.«
Aurelia erschauderte.So sehr fürchtete sie um dieVerlobung, dass ihr die Hochzeit unwirklich fern erschien.
»Mercurius und Sol und Venus stehen im Dreieck...« Vaters Blick sah durch sie hindurch. »Erst du als Braut wirst das Gold als Mitgift bringen. Doch bis dahin muss ich die dreizehn Arten Steinmehl und die sieben sauren Erden zusammentragen.« Er stand schon vor den Schriften und holte den wertvollsten Pergamentband aus dem Schaff, den er als junger Alchemist von einem alten spanischen Zwerg in Granada erhalten hatte. Der hatte ihn in die Geheimnisse der Ungläubigen eingeweiht.
Aurelia hatte gerade das komplizierte Goldmachen in seinen Bann geschlagen. Leider fehlte in dem Band die Seite mit dem dreizehnten Steinmehl. So blieb diese Zutat ein Geheimnis, das Vater streng hütete.
Er hob den Zeigefinger. »Wenn's mich nicht täuscht, Kind, riecht es vom Hausherd drüben gerade herrlich nach Nussauflauf. «
Sie roch es auch. »Herrlich sagst du? Du magst doch gar keine Nüsse.« Die ganze Zeit schon hatte sie Vater fragen wollen, warum sie hatte einen Nusskuchen backen sollen.
»Ich nicht,das stimmt.Aber dein Romuald ist verrückt danach. Und einen Vorwand muss es doch geben,unter dem ich dich zum Zunftmeister in die Schriftsetzergasse schicke, damit niemand Verdacht schöpft.« Vater winkte sie hinaus. »Lass nur nichts anbrennen. Der Kuchen ist das vereinbarte Zeichen für das gelungene Werk.«
Aurelia hängte ihren Überwurf an den Haken an der Tür. Ihr umsichtiger Vater hatte an alles gedacht. Und dennoch konnte sie die Sorge um ihn nicht abschütteln. Er war so schwach geworden. Aus tiefstem Herzen hoffte sie, dass sein Plan aufgehen würde.
2
Schnell steckte Aurelia die Strähne, die sich beim Laufen gelöst hatte, unter den Rand ihrer weißen Jungfernhaube. In Mainz durften sich erst Frauen im Ehestand mit roten und grünen Tüchern oder gar aufwändiger Stickerei schmücken. Nur ein fingerbreites Band war ihr erlaubt, um das Haar zu bändigen. Aurelia seufzte. Wie lebenslustig war es doch im Süden zugegangen, wo die jungen Frauen sogar die Haare offen im Wind flattern lassen durften.
Sie zog den Korb auf ihrem Arm höher. Es war klüger, keinen Anlass zu bösem Gerede zu bieten, deshalb hatte sie das schlichte grüne Kleid angezogen. An den Marktständen verfolgten die Frauen der Schriftsetzerfamilien sie oft mit gemeinem Gezischel. Da seht ihr die Hex', die sich in Romualds Locken verguckt hat, die wird sie ihm bald mit den Zähnen glattziehen.Hoffentlich vermochten sie gegen den Zunftmeister nichts auszurichten. Denn die Weiber wussten verborgene Wege, ihren Willen durchzusetzen.
Aurelia bog vom Markt an den Auslagen der Häfner vorbei in die kleine Gasse, die hinunter zu den Häusern der Schriftsetzer führte.
Sie hörte Romuald schon, bevor sie durch das kleine Gassenfenster in die Druckerei hineinblickte. Sie liebte sein klares Lachen, das klang wie eine schnell angeschlagene Zymbel in der Kirche.
Jetzt stand er an einem Pult, das kräftige Bein vorgestreckt, ein baumlanger Kerl mit dem Kreuz eines Schiffers, und packte Lettern mit dem Winkelhaken auf das Zeileneisen.
Aurelia hielt sich ganz still vor dem Fenster. Die vielen schwarzen Locken fielen leicht um seinen Kopf, tanzten jetzt geradezu, weil Romuald die Lettern so flink in die Zeilen setzte, dass Aurelia kaum seinen Bewegungen mit den Augen folgen konnte. Sie war gebannt davon, dass solch starke Finger so feinfühlig sein konnten, als wären sie schmal wie die eines Seidenstickers.
»Bring das Setzschiff«, rief Romuald in eine Ecke, die Aurelia nicht einsehen konnte. »Wird's bald?«
Ein Lehrling in Holzschuhen und fleckiger Lederschürze schleppte auf dem Rücken einen Kasten heran. Er duckte sich am Pult wie vor einem Schlag.Aber Romuald nahm ihm nur das Setzschiff von den Schultern und legte es auf demTisch ab. Aurelia hörte Leute vom Markt kommen, wandte sich vom Fenster ab und ging rasch weiter ums Eck. Die Eingangstür zur Setzerei stand offen.
»Teufelsarsch und Himmelsdreck, wer von euch hat die fl Ligatur verrecken lassen?«, schrie eine Stimme heiser aus der Ecke. Das war Hans, Romualds Vetter, der schon seit drei Jahren Geselle war.Sein runder Kopf glänzte verschwitzt,seine Lederschürze spannte über dem Bauch. »Wie oft soll ich euch noch predigen, dass ihr kein dibusdabus setzen sollt?«
Was auch immer das war. Aurelia hatte keine Ahnung, was ein dibus-dabus sein sollte. Sie lehnte sich an den Pfosten der Eingangstür. Wenn Romuald bei der Arbeit war, bog er den langen Rücken wie ein Adler über der erlegten Beute.Aurelia biss sich auf die Lippen vor heimlichem Vergnügen.Ihr war es ganz recht, dass sie so seine Rückenansicht vom Nacken bis zu den groben Stiefeln betrachten konnte. So fest waren seine Waden und Schenkel, auf denen sie so gern saß, wenn sie sich auf einer Bank in den Weinbergen an Romuald lehnte und er über ihren Kopf strich.
Hans und der Lehrling entdeckten sie gleichzeitig. Aurelia führte schnell den Zeigefinger zum Mund.Sie hob den Rocksaum etwas an, schlich auf Zehenspitzen, auch wenn Hans nun ihre Knöchel sehen konnte, um einen Bottich mit Druckerschwärze herum und an einem Stapel Papierbögen vorbei.
Sie stand fast hinter Romuald und stellte den Korb lautlos auf die Bodendielen. Noch einen Sprung nach vorn ... Sie fuhr mit den Händen von den Seiten in seine Schürze und umschlang seinen Leib. »Hab ich dich!«
Romuald entfuhr ein Schreckenslaut. Das Winkeleisen flog in hohem Bogen auf die Dielen, ein kurzer Regen eiserner Lettern ging auf sie hernieder. »Du«, keuchte er.
Aurelia drückte ihn mit aller Kraft, dann trat sie einen Schritt zurück. Länger so umschlungen zu verharren wäre nicht schicklich gewesen.
Romuald wandte sich zu ihr um. »Sammle die Lettern ein«, sagte er dabei zum Lehrling, der unter seinen ungekämmten Stirnfransen hervor Aurelia auf die Brust linste.
»Jetzt gibt's lauter Hurenkinder«,rief Hans von seinemTisch her. »Das fehlt uns noch.«
Aurelia fühlte Wut aufsteigen. Sie hatte die Anspielung genau verstanden. Romuald hatte ihr viele der zweideutigen Bezeichnungen für falsch gesetzte Buchstaben erklärt.
Die anderen Gesellen lachten. Aurelia griff ihren Korb am Henkel und schluckte den Ärger herunter. Sie durfte niemanden mit Widerworten reizen.
Hinten in der Druckerei teilte eine Bretterwand die Stube ab. Dort lagen die bedruckten Papierbögen auf Holzgittern zum Trocknen aus. Romuald zog Aurelia aus der Sichtweite der anderen.
»Nichts gönnst du uns«, rief sein Vetter hinter ihm her. Ein Stück Holz schlitterte an Romualds Ferse vorbei über die Dielen. »Aurelia, warum verbirgst du dein schönes Gesicht vor uns?«,fragte Hans vorwurfsvoll.»Wir haben hier ältere Rechte.«
Dazu durfte sie nicht einfach schweigen. »An den Lettern vielleicht«, rief Aurelia in die Werkstatt zurück. »Aber an mir hat noch keiner ein Recht.«
Hinter den Brettern umfing Romuald mit den Händen ihre Hüfte. »Ich habe dich vermisst«, flüsterte er. »Das Warten wird einfach zu lange.« Seine Finger wanderten sanft ihren Rücken hoch, wobei seine dunklen Augen glänzten und sich weiteten.
Manchmal schien es Aurelia, als ob sie von ihm gar nichts wüsste, als läge hinter seiner Fröhlichkeit, seiner Wissbegier etwas Wildes, Unbekanntes verborgen. Sie fühlte ihren Atem schneller gehen, als er seinen festen Leib an sie schmiegte.
Aber seine Lippen waren weich, sanft küsste er sie wie ein Kind ein Küken, das es im Stall gefunden hat. Die Wärme, die Aurelia überströmte, war so süß wie es die Frühlingslieder besangen. Sie küsste ihn wieder, spürte die rauen Stoppeln auf seinem Kinn.
Romuald hielt sie bei den Schultern und sah sie ernst an. »Ist dein Vater endlich vorangekommen?«
Aurelia hob das Tuch über dem Korb. »Deswegen bin ich hier.Ich soll dem Zunftmeister diese Gabe von meinem Vater bringen.«
»Nusskuchen?« Romuald fasste schon ein Stück. »Aber wieso? Heute ist doch kein Erntedank.«
»Vater hat mir nur gesagt,dein Meister werde den geschenkten Kuchen schon zu deuten wissen.«
»Du meinst ...« Romualds Miene hellte sich auf. »Wenn der Meister den Kuchen annimmt, dann gilt das auch für ... euer anderes Geschenk?«
Aurelia durfte Romuald nicht alles sagen, das hatte sie Vater versprechen müssen. Zu deinem eigenen Schutz, hatte er ihr eingeschärft. So küsste sie Romuald als Antwort auf den Mund.
»Ich habe auch etwas für dich.« Er schlug den Ärmel seines weiten Hemdes zurück.Um seinen Ellenbogen war ein schmales blaues Band gewunden. »Wickele es ab.«
Aurelia strich über seinen braunen Unterarm, so sanft, dass sich die Haare aufstellten. Romuald seufzte wohlig. Sie knotete das Band auf. Es war wunderbar glatt. »Es ist ja aus Seide!« Was mochte ihn das gekostet haben? »Viel zu teuer für mich«, flüsterte sie.Auf Zehenspitzen stehend gab sie ihm noch einen, noch zwei, drei Küsse.
»Für dich ist mir nichts zu teuer«, gab Romuald zurück.
In der Druckerei schepperten Lettern in den Fächern, jemand hatte hart aufs Holz des großen Setzkastens geschlagen. Aurelia sah den Schreck in Romualds Gesicht.
»Warum ist der Aushang noch nicht fertig, Hans?«, schrie eine von Bier erhitzte Stimme vom Eingang her.
»Der Meister!« Romuald schob Aurelia an den Schultern weg.
Sie hatte ganz vergessen, wo sie sich umarmten und küssten. Rasch machte sie drei Schritt zum Holzgitter hin. Betrefflich die Handeley mit Gewürz und Safran ... Mehr konnte sie auf dem Andruck nicht lesen, da stand schon der Zunftmeister vor ihr. Ein grauer Haarkranz umsäumte seinen Kopf. Niemand sonst durfte bei den Schriftsetzern eine Lederschürze und einen Schulterschutz in Schwarz über dem Hemd tragen.
»Aha! Die goldhaarige Tochter von Meliorus ist im Haus. Kein Wunder, dass keiner seine Arbeit tut.« Schweißperlen standen auf seiner geröteten Stirn. »Was willst du hier?«
Aurelia durfte Romuald nicht einfach besuchen, zumal sie noch nicht seine Verlobte war.»Mein Vater schickt euch durch mich einen Gruß.« Sie schlug die Augen sittsam nieder.
Der Zunftmeister stieß mit dem Fuß an den Korb, der auf den Dielen stand. »Wein oder Nusskuchen?«, presste er hervor.
Aurelia tat lieber so, als ob ihr der merkwürdige Tonfall nicht auffiele.Sie wusste nicht,welche Zeichen der Vermittler vereinbart hatte. »Nusskuchen soll ich euch ...«
»Na endlich!«,fiel ihr der Zunftmeister insWort.Sein Mund wurde breit wie über einem Ostermahl. Da fing er Romualds erfreuten Blick auf.»Hast du nichts Besseres zu tun,Geselle,als Jungfrauen auf die Brust zu glotzen? Was ist mit dem Stadtbefehl des Bischofs?«
Romuald straffte die Schultern. »Gleich gesetzt, Meister.«
»Das heißt also: nicht fertig.« Der Meister deutete mit dem Daumen zur Werkstatt. »Wird's bald, Faulpelz?« Er strich sich über das Kinn und sah dabei Aurelia an. »Warum lässt dein Vater dich aus der Werkstatt und schickt nicht die Magd? Silbermachen soll ein schwieriges Geschäft sein. Er hat keinen Lehrling und keinen Gesell. Braucht er da nicht jede Hand im Haus, und sei's die feine Frauenhand?«
Romuald stellte sich schützend vor Aurelia. »Lasst sie in Frieden, Meister, ich bitt euch.«
Der Zunftmeister mit der schwarzen Lederschürze zeigte nur mit dem Kinn zurWerkstatt,so dass Romuald nichts übrig blieb, als zu gehorchen. Er ging zu seinem Pult.
Aurelia setzte ein Lächeln auf, das unbedarft wirken sollte. Vater hatte es ihr eingeschärft: Stelle dich dumm. »Ich verstehe nichts von seinem Handwerk. Fragt ihn selber. Ich habe nur den Kuchen gebacken.«
Der Zunftmeister nahm den Korb hoch und roch daran. »Wie der duftet! Hoffentlich versteht dein Vater so viel vom Silbermachen wie du vom Backen.« Ohne das Tuch zu lüften, stellte er ihn wieder ab und ging hinter Romuald her zu den Setztischen.
Der Meister musste den Kuchen doch annehmen, sonst galt der Handel mit ihrem Vater nicht.
Er stand schon bei Romuald am Setzschiff. »Der Meier des Bischofs wartet schon drüben in der Grünen Eiche. Zehnfach will er den Aushang sehen, damit er noch heute an die Tore kommt.«
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Autoren-Porträt von Sybille Conrad
Sybille Conrad, geboren 1969, studierte Pharmazie in Heidelberg und Lyon. Sie erforscht natürliche Pflanzenwirkstoffe für die Arbeit im Weinberg. Die geschichtsträchtige Burgen- und Rebenlandschaft an der Weinstraße, wo sie heute mit ihrem Mann lebt, inspirieren sie zu ihren Büchern.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sybille Conrad
- 2010, 511 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453471059
- ISBN-13: 9783453471054
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