Die Hebammen-Saga
5 Bände im Schuber
Eine der erfolgreichsten Reihen im historischen Roman: alle Bände im hochwertigen Schuber!
Die Geschichte der Hebamme Marthe vor dem historischen Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa, den...
Die Geschichte der Hebamme Marthe vor dem historischen Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa, den...
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Produktinformationen zu „Die Hebammen-Saga “
Eine der erfolgreichsten Reihen im historischen Roman: alle Bände im hochwertigen Schuber!
Die Geschichte der Hebamme Marthe vor dem historischen Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa, den sächsischen Fürsten und Herzog Heinrich dem Löwen:
Die Geschichte der Hebamme Marthe vor dem historischen Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa, den sächsischen Fürsten und Herzog Heinrich dem Löwen:
- Das Geheimnis der Hebamme: Weil sein Sohn tot geboren wurde, will ein Burgherr der jungen Hebamme Marthe Hände und Füße abschlagen lassen. Sie flieht und schließt sich einer Gruppe fränkischer Siedler an, die ostwärts in die Mark Meißen ziehen, um in noch unerschlossenem Land ein besseres Leben aufzubauen. Ihr Anführer ist Ritter Christian, den Marthes Heilwissen beeindruckt. Das erregt die Aufmerksamkeit seines ärgsten Feindes. Da wird in Christians Dorf Silber gefunden.
- Die Spur der Hebamme: Mark Meißen 1173: Schlimme Neuigkeiten für Marthe und Christian. Heinrich der Löwe ist aus dem Heiligen Land zurückgekehrt - und mit ihm ihr ärgster Feind. Erneut ist der Markgraf von Meißen in die Kämpfe gegen den mächtigen Herzog von Sachsen und Bayern verwickelt. Und er ernennt ausgerechnet Christians Feind zum Vogt des Silberdorfes. Kurz darauf wird Marthe von einem fanatischen Medicus denunziert und muss sich vor einem Kirchengericht verantworten. Verzweifelt sucht Christian nach ihr, aber sie ist verschwunden ohne jede Spur.
- Die Entscheidung der Hebamme: Hoftag in Magdeburg 1179: Kaiser Friedrich Barbarossa ist entschlossen, Heinrich dem Löwen den Prozess zu machen. Das bedeutet Krieg. Markgraf Otto von Wettin nimmt Christian mit in den Kampf. Auch Marthe steht vor einer Herausforderung: Otto hat für die Zeit des Kriegszuges seinem machtbesessenen ältesten Sohn das Kommando über die Christiansdorfer Burg übertragen. Mit Mut und Schläue versuchen die Dorfbewohner, gegen den gnadenlosen Albrecht zu bestehen. Doch es kostet Blut, bis Christians Traum wahr wird und aus dem Dorf eine Stadt: Freiberg.
- Der Fluch der Hebamme: Freiberg 1189: Fast fünf Jahre sind seit Christians Tod vergangen, und Marthe und Lukas leiden immer noch unter dem Verlust des Geliebten und Freundes. Außerdem naht unaufhaltsam der Tag, an dem der grausame Albrecht, der älteste Sohn des Markgrafen Otto, die Regentschaft über die Mark Meißen übernehmen wird. Trotz der Gefahr wollen Marthe und Lukas nicht fliehen, denn sie müssen Christians Vermächtnis erfüllen und sich um die mittlerweile fast erwachsenen Kinder kümmern: Clara soll heiraten, obwohl sie heimlich in den jüngeren Sohn des Markgrafen verliebt ist, und Thomas träumt davon, sich Kaiser Barbarossas Kreuzzug ins Heilige Land anzuschließen, ohne zu ahnen, was ihn dort erwarten wird.
- Der Traum der Hebamme: Seiner Illusionen beraubt kehrt Marthes Sohn Thomas im Herbst 1191 vom Kreuzzug zurück. Doch auch in der Heimat findet er keinen Frieden, denn dort herrscht der grausame Albrecht über die Mark Meißen. Als dieser seinen Bruder Dietrich, an dessen Seite Thomas im Heiligen Land gekämpft hat, angreift, bleibt beiden keine andere Wahl, als erneut zu den Waffen zu greifen. Die Lage scheint aussichtslos, deshalb muss Dietrich ein Zweckbündnis mit dem Landgrafen von Thüringen eingehen. Dafür fordert dieser die Verlobung Dietrichs mit seiner Tochter. Ein hoher Preis, denn Dietrich liebt seit langem heimlich Marthes Tochter Clara.
Lese-Probe zu „Die Hebammen-Saga “
Das Geheimnis der Hebamme von Sabine EbertProlog
Vor vielen hundert Jahren schien das Leben fest gefügt. Jeder hatte von Geburt an seinen
Platz auf Erden. Doch plötzlich gerieten die Dinge in Bewegung. Wer sich den Siedlerzügen in den Osten anschloss, hatte die Chance auf ein neues, besseres Leben.
Der Preis dafür war hoch. Die Wagemutigen, die mit wenig Habe aufbrachen, mussten alle Brücken hinter sich abbrechen und ins Ungewisse ziehen. Durch dunkle Wälder, in unbekannte Lande, weiter weg, als sie das Ende der Welt wähnten. Was sie am Ziel erwartete, wussten sie nicht. Nur eines: Nicht jeder würde es erreichen. Doch viele Tausende wagten es. Und Unerwartetes geschah.
ERSTER TEIL
Der Siedlerzug
1167 in Franken
... mehr
Mach schon, prügle sie, bis sie Gehorsam gelernt hat«, forderte Ludolf wutschnaubend seinen älteren Begleiter auf. Oswald, der Anführer der schwer bewaffneten Knechte von der Burg, hatte bereits die rechte Faust geballt. Doch noch musterte er eher mit Staunen und grimmiger Belustigung das zierliche Mädchen mit dem kastanienbraunen Zopf, das vor ihm stand.
Noch nie hatte es jemand gewagt, sich ihnen zu widersetzen - und schon gar kein Weibsbild. Die hier war ja außerdem noch fast ein Kind und reichte ihm nicht einmal bis an die Schulter. Er hätte ihr mit einem einzigen Hieb seiner mächtigen Faust das Kinn zerschmettern oder die Nase zertrümmern können. Nur würde er damit seinem Herrn schlecht dienen. Der brauchte das aufsässige Weibsstück unversehrt - vorerst.
Marthe, um die sich der ganze Ärger drehte, war so verzweifelt, dass sie vollkommen vergaß, wie gefährlich es war, sich mit den zwei im ganzen Dorf gefürchteten Raufbolden anzulegen. »Seht ihr nicht, dass sie stirbt? Ich kann jetzt nicht weg«, rief sie außer sich und wandte sich ab, um in der Kate wieder nach der todkranken Serafine zu sehen, ihrer Ziehmutter und weisen Frau des Dorfes.
Nun flammte auch in Oswald Zorn auf. Wenn dieses dreiste Oswald stieß Marthe vom Pferd und saß ab. Er warf die Zügel einem Stallburschen zu und schickte Ludolf auf die Suche nach dem Verwalter.
Mit einem Blick erfasste das Mädchen das übliche Durcheinander auf dem schlammigen Burghof. Schweine suhlten sich in einer Lache, gleich neben den Ställen lag ein riesiger Mist-haufen, aus der Küche drang lautes Geschrei, neben dem verwitterten Brunnen lagen herausgebrochene Steine.
Am Schandpfahl hing ein Mann bewusstlos in Stricken. Sein Rücken war von Peitschenhieben zerfetzt und blutverkrustet. Marthe wusste, wer der Unglückliche war. Im Dorf hatte sich am Vortag in Windeseile herumgesprochen, dass der Burgherr einen der armen Bauern für ein Strafgericht auf die Burg schaffen ließ. Oswalds Werk, erkannte sie beklommen angesichts des blutig geschlagenen Rückens. Jeder im Ort wusste, dass der Narbengesichtige ein krankes Vergnügen dabei empfand, die Peitsche zu schwingen. Seine Grausamkeit wurde nur von der des Burgherrn übertroffen.
Als ob die Bauern ihre Schulden schneller zahlen könnten, wenn er sie zu Tode prügelt, dachte sie bitter.
Sie unterdrückte den Impuls, zu dem Unglücklichen zu laufen und ihm zu helfen. So etwas wurde auf der Burg nicht geduldet. Wenn die Dunkelheit hereinbrach, würde sie versuchen, ihm wenigstens etwas Wasser zu bringen.
Ein Schmerzensschrei gellte aus den oberen Fensterluken des Bergfrieds.
»Hörst du, die Herrin braucht deine Hilfe«, knurrte Oswald.
Marthe schwieg.
Sie war nicht nur deshalb besorgt, weil dies ihre erste Entbindung ohne Serafines Hilfe sein würde. Ihre Lehrmeisterin hatte angesichts der fortschreitenden Krankheit darauf bestanden, dass Marthe auch allein Kranke behandelte und Kinder auf die Welt holte. Aber bisher war Fine immer dabei gewesen und hatte darauf geachtet, dass ihre junge Nachfolgerin alles richtig machte.
Doch Irmhild, die junge Frau des Burgherrn, hatte noch nie ein gesundes Kind geboren. Bei einer Fehlgeburt und einer Totgeburt waren Serafine und Marthe schon an ihrer Seite gewesen. Jetzt kam sie vor der Zeit nieder, drei Monate zu früh nach Marthes Rechnung.
Wieder gellte ein Schrei über den Burghof.
Der Verwalter näherte sich Marthe und Oswald. Er war ein übellauniger Mann, dessen Augen in dem aufgedunsenen Gesicht fast verschwanden. Sein dunkelbraunes Übergewand war aus feinem Stoff, aber verschlissen und verschmutzt.
»Was bringt ihr da? Wo ist die alte Wehmutter?«, fragte er den Reisigen unwirsch.
»Die liegt im Sterben - nichts zu machen.« Bedauernd hob Oswald die Arme. »Da haben wir die junge mitgebracht.« Der Verwalter musterte die zierliche Marthe.
»Du hast doch selbst noch kein Kind geboren - wie willst du da eines auf die Welt holen?«, fragte er abfällig.
»Ich werde mich bemühen, Herr«, antwortete sie so ruhig sie konnte. »Aber es ist noch viel zu früh für die Geburt eines gesunden Kindes. Vielleicht wäre es besser, eine erfahrene Hebamme von weiter her zu holen.«
»Hat dir niemand Benehmen beigebracht?«, fauchte der Verwalter. »Auf die Knie! Die Frau hat zu schweigen und den Blick zu senken.«
Wie soll ich erkennen, was den Menschen fehlt, wenn ich sie nicht einmal anschauen darf?, dachte Marthe grimmig, während sie gehorchte. Dabei könnte ich schwören, dass deine Galle bald überläuft. Du solltest weniger üppig essen! Doch sie schwieg wohlweislich. Widerworte wurden nicht geduldet. Für ihren Rat hätte sie statt Dank nur Prügel bekommen. Kalt betrachtete der Verwalter das kniende Mädchen, bis er ihr schließlich mit einem Wink bedeutete, aufzustehen und ihm zu folgen.
Die Halle war düster, eiskalt und rußgeschwärzt. In einer Ecke rauften ein paar Hunde. Burgherr Wulfhart saß allein am Tisch, vor sich Becher und Krug. Den Kopf auf einem Arm gestützt, blickte er nur kurz auf und starrte dann wieder ins Leere.
»Mein Herr, dieses junge Ding hier wird Eurer Gemahlin beistehen«, sagte der Verwalter ehrerbietig.
Schnell schob er Marthe nach vorn, die pflichtgemäß vor dem Ritter auf die Knie sank.
Wulfhart starrte sie aus glasigen Augen an.
Er ist schon am frühen Morgen betrunken, erkannte Marthe sofort und blickte schaudernd zu Boden. Ihr war, als könnte sie das Böse, das von Wulfhart ausging, um ihn wabern sehen.
»Du willst dich aufs Kinderholen verstehen? Wie alt bist du?«, raunzte Wulfhart.
»Beinahe vierzehn, Herr«, sagte Marthe und hielt den Blick starr nach unten auf die verdreckten Binsen gerichtet, die den Boden der Halle bedeckten. Genau wusste sie ihr Alter nicht; sie war eine Waise. Vor zehn Jahren hatte ein Haufen Gesetzloser Marthes Eltern totgeschlagen und die Schafe geraubt, die sie für den Burgherrn hüteten. Serafine, die bei der Schäfersfrau frische Kräuter hatte eintauschen wollen, entdeckte die Bluttat und fand die völlig verstörte Marthe in einem Gebüsch versteckt. Sie nahm sie bei sich auf und brachte ihr mit der Zeit alles bei, was sie selbst als Heilkundige wusste.
»Verzeiht, mein Herr, in der Kürze der Zeit konnten wir keine andere Wehmutter auftreiben«, beeilte sich der Verwalter hinzuzufügen und breitete bedauernd die Arme aus.
Aus den Räumen über ihnen hallte erneut ein Schrei. Wulfhart blickte träge auf. »Mach, dass das Gejammer ein Ende hat, und verhilf mir endlich zu einem Sohn«, sagte er mit befehlsgewohnter Stimme. Dann plötzlich beugte er sich vor und brüllte: »Und sieh zu, dass es diesmal einer wird und nicht wieder so eine tote Missgeburt! Sonst lasse ich dir Hände und Füße abschlagen!«
Der Verwalter zerrte Marthe hoch und schob sie hinaus.
»Du hast gehört, was der Herr gesagt hat. Er pflegt seine Versprechen zu halten.«
»Ja, Herr«, antwortete Marthe kreidebleich.
Daran hatte sie keinen Zweifel.
Beklommen kletterte Marthe die Stufen zum Zimmer der jungen Burgfrau hinauf.
Die Kammer war abgedunkelt, wie bei einer Entbindung üblich, stickig und voller Rauch.
Irmhild lag wimmernd unter dicken Decken und Fellen auf ihrer Bettstatt, umgeben von mehreren Frauen, die Marthe ebenso skeptisch wie neugierig ansahen. Am Fenster stand der verlegen dreinblickende Burgkaplan, ein hagerer alter Mann mit eisgrauem Haar.
Rasch entschied Marthe, was zu tun war.
»Dies hier ist Frauensache. Seid so gut und lasst die Herrin nun allein, Vater. Aber ich bitte Euch, helft ihr mit Euren Gebeten«, sagte sie. Der Kaplan nickte, murmelte einen Segensspruch und verließ sichtlich erleichtert die Kammer.
»Wie geht es Euch?«, fragte das Mädchen freundlich die zarte junge Frau mit dem aschgrauen Gesicht.
»Hilf mir - es zerreißt mich fast! Wo ist Serafine?«, stöhnte Irmhild.
Marthe überging die Frage. Sie sprach ein kurzes Gebet, dann schob sie die Felle beiseite, mit denen die Kreißende zugedeckt war, und untersuchte sie mit sanften, aber geschickten Händen. Serafine hatte ihr beigebracht, den geschwollenen Leib genau von außen zu erkunden. »Nur mit äußerster Vorsicht darf man mit der Hand in den Leib der Gebärenden gehen«, hatte sie ihr immer wieder eingeschärft. »Das meiste, was du als Wehmutter wissen musst, kannst du auch so erkennen.« Wenn sie unter sich waren und Heiltränke brauten, hatte die alte Fine oft von Hebammen berichtet, die den Frauen schlimme Verletzungen zufügten, indem sie die Hand zu tief in den Unterleib bohrten oder die Scheidenöffnung auseinander rissen, um dem Kind den Weg zu öffnen. Serafine gehörte zu den Kundigen, die auch von außen ein Kind im Mutterleib drehen konnten, wenn es nicht richtig lag, und hatte dieses Wissen an Marthe weitergegeben.
»Das Kind will vor der Zeit kommen. Die Geburt ist nicht mehr aufzuhalten«, sagte Marthe schließlich leise. Sie deutete auf die frischen Blutergüsse, mit denen Irmhilds Gesicht und Körper übersät waren. »Was ist Euch zugestoßen?«
Wulfharts Frau ließ den Kopf sinken. »Ich bin gestürzt.« Marthe sprach nicht aus, was offensichtlich war. Sie durch-suchte den Korb, den Ludolf ihr gebracht hatte, und schickte eine Magd nach frischem Wasser und reinem Gänsefett. Dann führte sie mit einer der Frauen Irmhild zum Gebärstuhl.
»Ihr werdet es schaffen«, versuchte sie die verängstigte Burg-herrin zu beruhigen, die nur wenige Jahre älter war als sie. Unter den misstrauischen Blicken der Frauen wusch sie sich Hände und Arme.
Schnell war ihr klar geworden, dass Wulfhart auch diesmal vergeblich auf einen Erben hoffte. Das Kind kam viel zu früh. Wahrscheinlich war es bereits tot. Verdorbenes Fruchtwasser hatte das Laken verfärbt.
Doch sie sagte Irmhild vorerst nichts davon, um sie nicht noch mehr zu ängstigen. Dass sie wieder keinen Erben zur Welt brachte, würde der jungen Frau nur neue Schläge einbringen. Vielleicht verstieß Wulfhart sie auch und schickte sie in ein Kloster. Aber vermutlich würde Irmhild lieber dort leben als weiterhin ihrem gewalttätigen Mann ausgeliefert zu sein.
Wie sie sich allerdings selbst vor dessen Zorn retten sollte, da-von hatte Marthe keine Ahnung.
Es würde noch mindestens einen halben Tag dauern, bis das Kind kam. Die Frauen in Irmhilds Kammer - ein paar ältere Gevatterinnen, die Marthe nicht kannte, die Kammermägde und die Frau des Burgverwalters - genossen das Ereignis mit der dafür üblichen Mischung aus Aufregung, Sorge und Mit-gefühl. Eine Geburt bedeutete eine willkommene Abwechslung im eintönigen Leben der Frauen. Nur die Frau des Verwalters betrachtete Irmhild in unbeobachteten Momenten mit offenkundiger Häme. Bald kam auch die Amme, die so unplanmäßig früh aufgetrieben werden musste, und setzte sich stumm in eine Ecke.
Marthe machte der Kreißenden Umschläge aus Frauenmantel-kraut und Gundelrebe, rieb ihr sanft Rücken, Bauch und Schenkel und sprach ihr immer wieder Mut zu.
»Es kommt zu früh, nicht wahr?«, flüsterte die Burgfrau zwischen den Wehen. »Dabei habe ich doch alles getan, was möglich war. Immer wieder gebetet und das hier getragen.«
Mit fahriger Bewegung holte sie einen Beutel unter dem Kissen hervor. »Die Kranichkralle hat mir meine Mutter für eine leichte Entbindung vererbt. Und die Maulwurfspfote soll Glück bringen und den künftigen Erben schützen. Ein sehr heiliger Mann hat sie mir verkauft.«
Marthe erinnerte sich noch genau an den Händler, der im vorigen Sommer durchs Dorf gezogen war und den Bauersfrauen wortreich seine Waren angepriesen hatte: Liebestränke, unfehlbare Mittel gegen Herzenskummer, Frauenleiden und Unfruchtbarkeit. Wahrscheinlich hatte er auf der Burg bessere Geschäfte gemacht. Sie hegte starke Zweifel an der Wirksamkeit von Maulwurfspfoten und getrockneten Käfern, aber das sagte sie nicht. Irmhild brauchte jetzt alle Kraft, die sie aufbringen konnte.
»Ihr seid noch jung und werdet starke Söhne bekommen«, versuchte Marthe die verängstigte Frau zu trösten, während sie ihr mit einem feuchten Tuch die Stirn kühlte. »Ihr müsst nur Eurem Herrn zu verstehen geben, dass er Euch mehr schonen muss, wenn Ihr guter Hoffnung seid.«
Irmhild senkte den Blick und blieb stumm.
Nachdem ein halber Tag verstrichen war, stieß die Burgherrin einen handgroßen Fötus aus, der offensichtlich schon einige Zeit tot war. Es war ein Junge. Irmhild sank kraftlos zurück und begann am ganzen Leib zu zittern.
Mitleid durchflutete Marthe, aber noch mehr Angst. Wulfhart würde ihr die Schuld geben und seine Drohung wahr machen. Von der zu Tode verängstigten Irmhild war kein Beistand zu erwarten. Wenn Wulfhart kam, um einen Schuldigen zu suchen, würde nichts und niemand Marthe vor ihm schützen. Die Vorstellung, wie Oswalds Axt niederfuhr und ihr Hände und Füße abschlug, wurde auf einmal übermächtig.
Herr, vergib mir, flehte Marthe stumm, während sie das Totgeborene wusch und in ein Leinentuch wickelte. Ich muss hier weg - so schnell wie möglich.
Doch zuerst musste sie etwas Zeit gewinnen. Noch konnte sie Irmhild nicht im Stich lassen.
»Es ist noch nicht vorbei. Die Herrin braucht eure Gebete. Jetzt sofort«, herrschte sie die wehklagenden Frauen an, die zu ihrer Überraschung und Erleichterung niederknieten und zu beten begannen.
Gebete können nicht schaden, dachte Marthe. Vor allem aber halten sie vorerst die Frauen davon ab, die schlechte Nachricht von dem tot geborenen Erben aus dem Raum zu tragen.
»Ich werde den Kaplan holen«, sagte sie, nachdem sie Irmhild von der Nachgeburt entbunden und versorgt hatte.
Noch ehe jemand etwas sagen konnte, war sie bereits zur Tür hinausgehuscht. Sie lief die Stufen hinunter, überquerte den Burghof und fand schließlich den hageren Geistlichen, der ihr besorgt entgegensah. »Die Herrin bittet Euch, zu ihr zu kommen. Sie braucht Eure Hilfe«, sagte sie.
Der Kaplan eilte sofort los.
Seine Gegenwart wird Irmhild vor Schlägen bewahren, hoffte Marthe. Dem Vernehmen nach war der Kaplan der Einzige, der es gelegentlich wagte, dem jähzornigen Wulfhart Einhalt zu gebieten.
Sie lief über den Burghof zum Tor, so schnell sie konnte, ohne aufzufallen. Der Pfahl war inzwischen leer. Wahrscheinlich steckte der Geschundene jetzt im Verlies. Oder war er tot? »Was ist los, wohin so eilig?«, fragte der Wachsoldat, der missmutig am Tor lümmelte. Aus dem Wachhaus drangen klappernde Geräusche und das laute Gejohle seiner Kameraden beim Würfelspiel.
Marthe blickte kurz hoch zu der schmalen Fensterluke, hinter der Irmhilds Kammer lag. Jeden Moment konnte von dort jemand brüllen: »Haltet die Hexe fest und werft sie ins Verlies!«
Mit so viel Munterkeit in der Stimme, wie sie aufbringen konnte, wies Marthe ihren Korb vor. »Ich gehe ein paar Kräuter pflücken, um der Herrin die Geburt zu erleichtern. Frisch wirken sie am besten.«
Mit hämmerndem Herzen wartete sie auf die Reaktion des Wachpostens. Würde er sie passieren lassen? Nur ein paar Schritte noch, und sie wäre vorerst in Sicherheit. Oder sie würde Wulfharts blutiger Rache ausgeliefert sein und sterben. Doch der Soldat wedelte nur mit der Hand. »Dann beeil dich! Unser Herr erwartet seinen Sohn schon ungeduldig.«
Marthe huschte aus dem Tor und ging schnell, aber ohne zu rennen, auf den Wald zu, der zweihundert Schritte vor der Burg begann.
Mit jedem Augenblick wuchs ihre Angst. Bitte lass sie noch nichts merken, flüsterte sie vor sich hin, während ihre Bewegungen immer steifer wurden. Sie atmete stockend, in der Er-wartung, einen todbringenden Pfeil sirren zu hören, der sich zwischen ihre Schulterblätter bohrte.
Als sie endlich außer Sichtweite der Torwache war, rannte sie im Schutz der Bäume Richtung Dorf und versteckte sich in einem Gebüsch am Weg.
...
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Mach schon, prügle sie, bis sie Gehorsam gelernt hat«, forderte Ludolf wutschnaubend seinen älteren Begleiter auf. Oswald, der Anführer der schwer bewaffneten Knechte von der Burg, hatte bereits die rechte Faust geballt. Doch noch musterte er eher mit Staunen und grimmiger Belustigung das zierliche Mädchen mit dem kastanienbraunen Zopf, das vor ihm stand.
Noch nie hatte es jemand gewagt, sich ihnen zu widersetzen - und schon gar kein Weibsbild. Die hier war ja außerdem noch fast ein Kind und reichte ihm nicht einmal bis an die Schulter. Er hätte ihr mit einem einzigen Hieb seiner mächtigen Faust das Kinn zerschmettern oder die Nase zertrümmern können. Nur würde er damit seinem Herrn schlecht dienen. Der brauchte das aufsässige Weibsstück unversehrt - vorerst.
Marthe, um die sich der ganze Ärger drehte, war so verzweifelt, dass sie vollkommen vergaß, wie gefährlich es war, sich mit den zwei im ganzen Dorf gefürchteten Raufbolden anzulegen. »Seht ihr nicht, dass sie stirbt? Ich kann jetzt nicht weg«, rief sie außer sich und wandte sich ab, um in der Kate wieder nach der todkranken Serafine zu sehen, ihrer Ziehmutter und weisen Frau des Dorfes.
Nun flammte auch in Oswald Zorn auf. Wenn dieses dreiste Oswald stieß Marthe vom Pferd und saß ab. Er warf die Zügel einem Stallburschen zu und schickte Ludolf auf die Suche nach dem Verwalter.
Mit einem Blick erfasste das Mädchen das übliche Durcheinander auf dem schlammigen Burghof. Schweine suhlten sich in einer Lache, gleich neben den Ställen lag ein riesiger Mist-haufen, aus der Küche drang lautes Geschrei, neben dem verwitterten Brunnen lagen herausgebrochene Steine.
Am Schandpfahl hing ein Mann bewusstlos in Stricken. Sein Rücken war von Peitschenhieben zerfetzt und blutverkrustet. Marthe wusste, wer der Unglückliche war. Im Dorf hatte sich am Vortag in Windeseile herumgesprochen, dass der Burgherr einen der armen Bauern für ein Strafgericht auf die Burg schaffen ließ. Oswalds Werk, erkannte sie beklommen angesichts des blutig geschlagenen Rückens. Jeder im Ort wusste, dass der Narbengesichtige ein krankes Vergnügen dabei empfand, die Peitsche zu schwingen. Seine Grausamkeit wurde nur von der des Burgherrn übertroffen.
Als ob die Bauern ihre Schulden schneller zahlen könnten, wenn er sie zu Tode prügelt, dachte sie bitter.
Sie unterdrückte den Impuls, zu dem Unglücklichen zu laufen und ihm zu helfen. So etwas wurde auf der Burg nicht geduldet. Wenn die Dunkelheit hereinbrach, würde sie versuchen, ihm wenigstens etwas Wasser zu bringen.
Ein Schmerzensschrei gellte aus den oberen Fensterluken des Bergfrieds.
»Hörst du, die Herrin braucht deine Hilfe«, knurrte Oswald.
Marthe schwieg.
Sie war nicht nur deshalb besorgt, weil dies ihre erste Entbindung ohne Serafines Hilfe sein würde. Ihre Lehrmeisterin hatte angesichts der fortschreitenden Krankheit darauf bestanden, dass Marthe auch allein Kranke behandelte und Kinder auf die Welt holte. Aber bisher war Fine immer dabei gewesen und hatte darauf geachtet, dass ihre junge Nachfolgerin alles richtig machte.
Doch Irmhild, die junge Frau des Burgherrn, hatte noch nie ein gesundes Kind geboren. Bei einer Fehlgeburt und einer Totgeburt waren Serafine und Marthe schon an ihrer Seite gewesen. Jetzt kam sie vor der Zeit nieder, drei Monate zu früh nach Marthes Rechnung.
Wieder gellte ein Schrei über den Burghof.
Der Verwalter näherte sich Marthe und Oswald. Er war ein übellauniger Mann, dessen Augen in dem aufgedunsenen Gesicht fast verschwanden. Sein dunkelbraunes Übergewand war aus feinem Stoff, aber verschlissen und verschmutzt.
»Was bringt ihr da? Wo ist die alte Wehmutter?«, fragte er den Reisigen unwirsch.
»Die liegt im Sterben - nichts zu machen.« Bedauernd hob Oswald die Arme. »Da haben wir die junge mitgebracht.« Der Verwalter musterte die zierliche Marthe.
»Du hast doch selbst noch kein Kind geboren - wie willst du da eines auf die Welt holen?«, fragte er abfällig.
»Ich werde mich bemühen, Herr«, antwortete sie so ruhig sie konnte. »Aber es ist noch viel zu früh für die Geburt eines gesunden Kindes. Vielleicht wäre es besser, eine erfahrene Hebamme von weiter her zu holen.«
»Hat dir niemand Benehmen beigebracht?«, fauchte der Verwalter. »Auf die Knie! Die Frau hat zu schweigen und den Blick zu senken.«
Wie soll ich erkennen, was den Menschen fehlt, wenn ich sie nicht einmal anschauen darf?, dachte Marthe grimmig, während sie gehorchte. Dabei könnte ich schwören, dass deine Galle bald überläuft. Du solltest weniger üppig essen! Doch sie schwieg wohlweislich. Widerworte wurden nicht geduldet. Für ihren Rat hätte sie statt Dank nur Prügel bekommen. Kalt betrachtete der Verwalter das kniende Mädchen, bis er ihr schließlich mit einem Wink bedeutete, aufzustehen und ihm zu folgen.
Die Halle war düster, eiskalt und rußgeschwärzt. In einer Ecke rauften ein paar Hunde. Burgherr Wulfhart saß allein am Tisch, vor sich Becher und Krug. Den Kopf auf einem Arm gestützt, blickte er nur kurz auf und starrte dann wieder ins Leere.
»Mein Herr, dieses junge Ding hier wird Eurer Gemahlin beistehen«, sagte der Verwalter ehrerbietig.
Schnell schob er Marthe nach vorn, die pflichtgemäß vor dem Ritter auf die Knie sank.
Wulfhart starrte sie aus glasigen Augen an.
Er ist schon am frühen Morgen betrunken, erkannte Marthe sofort und blickte schaudernd zu Boden. Ihr war, als könnte sie das Böse, das von Wulfhart ausging, um ihn wabern sehen.
»Du willst dich aufs Kinderholen verstehen? Wie alt bist du?«, raunzte Wulfhart.
»Beinahe vierzehn, Herr«, sagte Marthe und hielt den Blick starr nach unten auf die verdreckten Binsen gerichtet, die den Boden der Halle bedeckten. Genau wusste sie ihr Alter nicht; sie war eine Waise. Vor zehn Jahren hatte ein Haufen Gesetzloser Marthes Eltern totgeschlagen und die Schafe geraubt, die sie für den Burgherrn hüteten. Serafine, die bei der Schäfersfrau frische Kräuter hatte eintauschen wollen, entdeckte die Bluttat und fand die völlig verstörte Marthe in einem Gebüsch versteckt. Sie nahm sie bei sich auf und brachte ihr mit der Zeit alles bei, was sie selbst als Heilkundige wusste.
»Verzeiht, mein Herr, in der Kürze der Zeit konnten wir keine andere Wehmutter auftreiben«, beeilte sich der Verwalter hinzuzufügen und breitete bedauernd die Arme aus.
Aus den Räumen über ihnen hallte erneut ein Schrei. Wulfhart blickte träge auf. »Mach, dass das Gejammer ein Ende hat, und verhilf mir endlich zu einem Sohn«, sagte er mit befehlsgewohnter Stimme. Dann plötzlich beugte er sich vor und brüllte: »Und sieh zu, dass es diesmal einer wird und nicht wieder so eine tote Missgeburt! Sonst lasse ich dir Hände und Füße abschlagen!«
Der Verwalter zerrte Marthe hoch und schob sie hinaus.
»Du hast gehört, was der Herr gesagt hat. Er pflegt seine Versprechen zu halten.«
»Ja, Herr«, antwortete Marthe kreidebleich.
Daran hatte sie keinen Zweifel.
Beklommen kletterte Marthe die Stufen zum Zimmer der jungen Burgfrau hinauf.
Die Kammer war abgedunkelt, wie bei einer Entbindung üblich, stickig und voller Rauch.
Irmhild lag wimmernd unter dicken Decken und Fellen auf ihrer Bettstatt, umgeben von mehreren Frauen, die Marthe ebenso skeptisch wie neugierig ansahen. Am Fenster stand der verlegen dreinblickende Burgkaplan, ein hagerer alter Mann mit eisgrauem Haar.
Rasch entschied Marthe, was zu tun war.
»Dies hier ist Frauensache. Seid so gut und lasst die Herrin nun allein, Vater. Aber ich bitte Euch, helft ihr mit Euren Gebeten«, sagte sie. Der Kaplan nickte, murmelte einen Segensspruch und verließ sichtlich erleichtert die Kammer.
»Wie geht es Euch?«, fragte das Mädchen freundlich die zarte junge Frau mit dem aschgrauen Gesicht.
»Hilf mir - es zerreißt mich fast! Wo ist Serafine?«, stöhnte Irmhild.
Marthe überging die Frage. Sie sprach ein kurzes Gebet, dann schob sie die Felle beiseite, mit denen die Kreißende zugedeckt war, und untersuchte sie mit sanften, aber geschickten Händen. Serafine hatte ihr beigebracht, den geschwollenen Leib genau von außen zu erkunden. »Nur mit äußerster Vorsicht darf man mit der Hand in den Leib der Gebärenden gehen«, hatte sie ihr immer wieder eingeschärft. »Das meiste, was du als Wehmutter wissen musst, kannst du auch so erkennen.« Wenn sie unter sich waren und Heiltränke brauten, hatte die alte Fine oft von Hebammen berichtet, die den Frauen schlimme Verletzungen zufügten, indem sie die Hand zu tief in den Unterleib bohrten oder die Scheidenöffnung auseinander rissen, um dem Kind den Weg zu öffnen. Serafine gehörte zu den Kundigen, die auch von außen ein Kind im Mutterleib drehen konnten, wenn es nicht richtig lag, und hatte dieses Wissen an Marthe weitergegeben.
»Das Kind will vor der Zeit kommen. Die Geburt ist nicht mehr aufzuhalten«, sagte Marthe schließlich leise. Sie deutete auf die frischen Blutergüsse, mit denen Irmhilds Gesicht und Körper übersät waren. »Was ist Euch zugestoßen?«
Wulfharts Frau ließ den Kopf sinken. »Ich bin gestürzt.« Marthe sprach nicht aus, was offensichtlich war. Sie durch-suchte den Korb, den Ludolf ihr gebracht hatte, und schickte eine Magd nach frischem Wasser und reinem Gänsefett. Dann führte sie mit einer der Frauen Irmhild zum Gebärstuhl.
»Ihr werdet es schaffen«, versuchte sie die verängstigte Burg-herrin zu beruhigen, die nur wenige Jahre älter war als sie. Unter den misstrauischen Blicken der Frauen wusch sie sich Hände und Arme.
Schnell war ihr klar geworden, dass Wulfhart auch diesmal vergeblich auf einen Erben hoffte. Das Kind kam viel zu früh. Wahrscheinlich war es bereits tot. Verdorbenes Fruchtwasser hatte das Laken verfärbt.
Doch sie sagte Irmhild vorerst nichts davon, um sie nicht noch mehr zu ängstigen. Dass sie wieder keinen Erben zur Welt brachte, würde der jungen Frau nur neue Schläge einbringen. Vielleicht verstieß Wulfhart sie auch und schickte sie in ein Kloster. Aber vermutlich würde Irmhild lieber dort leben als weiterhin ihrem gewalttätigen Mann ausgeliefert zu sein.
Wie sie sich allerdings selbst vor dessen Zorn retten sollte, da-von hatte Marthe keine Ahnung.
Es würde noch mindestens einen halben Tag dauern, bis das Kind kam. Die Frauen in Irmhilds Kammer - ein paar ältere Gevatterinnen, die Marthe nicht kannte, die Kammermägde und die Frau des Burgverwalters - genossen das Ereignis mit der dafür üblichen Mischung aus Aufregung, Sorge und Mit-gefühl. Eine Geburt bedeutete eine willkommene Abwechslung im eintönigen Leben der Frauen. Nur die Frau des Verwalters betrachtete Irmhild in unbeobachteten Momenten mit offenkundiger Häme. Bald kam auch die Amme, die so unplanmäßig früh aufgetrieben werden musste, und setzte sich stumm in eine Ecke.
Marthe machte der Kreißenden Umschläge aus Frauenmantel-kraut und Gundelrebe, rieb ihr sanft Rücken, Bauch und Schenkel und sprach ihr immer wieder Mut zu.
»Es kommt zu früh, nicht wahr?«, flüsterte die Burgfrau zwischen den Wehen. »Dabei habe ich doch alles getan, was möglich war. Immer wieder gebetet und das hier getragen.«
Mit fahriger Bewegung holte sie einen Beutel unter dem Kissen hervor. »Die Kranichkralle hat mir meine Mutter für eine leichte Entbindung vererbt. Und die Maulwurfspfote soll Glück bringen und den künftigen Erben schützen. Ein sehr heiliger Mann hat sie mir verkauft.«
Marthe erinnerte sich noch genau an den Händler, der im vorigen Sommer durchs Dorf gezogen war und den Bauersfrauen wortreich seine Waren angepriesen hatte: Liebestränke, unfehlbare Mittel gegen Herzenskummer, Frauenleiden und Unfruchtbarkeit. Wahrscheinlich hatte er auf der Burg bessere Geschäfte gemacht. Sie hegte starke Zweifel an der Wirksamkeit von Maulwurfspfoten und getrockneten Käfern, aber das sagte sie nicht. Irmhild brauchte jetzt alle Kraft, die sie aufbringen konnte.
»Ihr seid noch jung und werdet starke Söhne bekommen«, versuchte Marthe die verängstigte Frau zu trösten, während sie ihr mit einem feuchten Tuch die Stirn kühlte. »Ihr müsst nur Eurem Herrn zu verstehen geben, dass er Euch mehr schonen muss, wenn Ihr guter Hoffnung seid.«
Irmhild senkte den Blick und blieb stumm.
Nachdem ein halber Tag verstrichen war, stieß die Burgherrin einen handgroßen Fötus aus, der offensichtlich schon einige Zeit tot war. Es war ein Junge. Irmhild sank kraftlos zurück und begann am ganzen Leib zu zittern.
Mitleid durchflutete Marthe, aber noch mehr Angst. Wulfhart würde ihr die Schuld geben und seine Drohung wahr machen. Von der zu Tode verängstigten Irmhild war kein Beistand zu erwarten. Wenn Wulfhart kam, um einen Schuldigen zu suchen, würde nichts und niemand Marthe vor ihm schützen. Die Vorstellung, wie Oswalds Axt niederfuhr und ihr Hände und Füße abschlug, wurde auf einmal übermächtig.
Herr, vergib mir, flehte Marthe stumm, während sie das Totgeborene wusch und in ein Leinentuch wickelte. Ich muss hier weg - so schnell wie möglich.
Doch zuerst musste sie etwas Zeit gewinnen. Noch konnte sie Irmhild nicht im Stich lassen.
»Es ist noch nicht vorbei. Die Herrin braucht eure Gebete. Jetzt sofort«, herrschte sie die wehklagenden Frauen an, die zu ihrer Überraschung und Erleichterung niederknieten und zu beten begannen.
Gebete können nicht schaden, dachte Marthe. Vor allem aber halten sie vorerst die Frauen davon ab, die schlechte Nachricht von dem tot geborenen Erben aus dem Raum zu tragen.
»Ich werde den Kaplan holen«, sagte sie, nachdem sie Irmhild von der Nachgeburt entbunden und versorgt hatte.
Noch ehe jemand etwas sagen konnte, war sie bereits zur Tür hinausgehuscht. Sie lief die Stufen hinunter, überquerte den Burghof und fand schließlich den hageren Geistlichen, der ihr besorgt entgegensah. »Die Herrin bittet Euch, zu ihr zu kommen. Sie braucht Eure Hilfe«, sagte sie.
Der Kaplan eilte sofort los.
Seine Gegenwart wird Irmhild vor Schlägen bewahren, hoffte Marthe. Dem Vernehmen nach war der Kaplan der Einzige, der es gelegentlich wagte, dem jähzornigen Wulfhart Einhalt zu gebieten.
Sie lief über den Burghof zum Tor, so schnell sie konnte, ohne aufzufallen. Der Pfahl war inzwischen leer. Wahrscheinlich steckte der Geschundene jetzt im Verlies. Oder war er tot? »Was ist los, wohin so eilig?«, fragte der Wachsoldat, der missmutig am Tor lümmelte. Aus dem Wachhaus drangen klappernde Geräusche und das laute Gejohle seiner Kameraden beim Würfelspiel.
Marthe blickte kurz hoch zu der schmalen Fensterluke, hinter der Irmhilds Kammer lag. Jeden Moment konnte von dort jemand brüllen: »Haltet die Hexe fest und werft sie ins Verlies!«
Mit so viel Munterkeit in der Stimme, wie sie aufbringen konnte, wies Marthe ihren Korb vor. »Ich gehe ein paar Kräuter pflücken, um der Herrin die Geburt zu erleichtern. Frisch wirken sie am besten.«
Mit hämmerndem Herzen wartete sie auf die Reaktion des Wachpostens. Würde er sie passieren lassen? Nur ein paar Schritte noch, und sie wäre vorerst in Sicherheit. Oder sie würde Wulfharts blutiger Rache ausgeliefert sein und sterben. Doch der Soldat wedelte nur mit der Hand. »Dann beeil dich! Unser Herr erwartet seinen Sohn schon ungeduldig.«
Marthe huschte aus dem Tor und ging schnell, aber ohne zu rennen, auf den Wald zu, der zweihundert Schritte vor der Burg begann.
Mit jedem Augenblick wuchs ihre Angst. Bitte lass sie noch nichts merken, flüsterte sie vor sich hin, während ihre Bewegungen immer steifer wurden. Sie atmete stockend, in der Er-wartung, einen todbringenden Pfeil sirren zu hören, der sich zwischen ihre Schulterblätter bohrte.
Als sie endlich außer Sichtweite der Torwache war, rannte sie im Schutz der Bäume Richtung Dorf und versteckte sich in einem Gebüsch am Weg.
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Sabine Ebert
Sabine Ebert wurde in Aschersleben geboren, ist in Berlin aufgewachsen und hat in Rostock Sprach- und Lateinamerikawissenschaften studiert. In ihrer Wahlheimat Freiberg arbeitet sie als Journalistin für Presse, Funk und Fernsehen. Sie schrieb einige Sachbücher zur Freiberger Regionalgeschichte, doch berühmt wurde sie mit ihren historischen Romanen, die alle zu Bestsellern wurden. Besuchen Sie Sabine Ebert auch auf ihrer Website: www.sabine-ebert.de
Bibliographische Angaben
- Autor: Sabine Ebert
- 3456 Seiten, Maße: 13,8 x 19,5 cm, Geb. im Schuber
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 386365126X
- ISBN-13: 9783863651268
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