Die Hüterin der Quelle
Marie Sternen weiß, dass Veit ihr nie ganz gehören wird. Dennoch heiratet sie den Krippenschnitzer aus Neapel, der nach dem Tod seiner Frau mit den Kindern Simon und Selina in seine Heimatstadt Bamberg zurückkehrte. Als ihre Ehe kinderlos bleibt, hat Marie den Verdacht, dass sich die fast taubstumme Selina darüber freut. Dieses Mädchen ist Marie unheimlich. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an Ava, eine geheimnisvolle, schöne Frau, die in einem Bootshaus wohnt. In Mondnächten schwimmt sie im Fluss manche Bamberger sagen, sie verwandle sich dabei in ein Otterweibchen. Doch Ava kann Marie nicht helfen wie auch, sie liebt Veit, heimlich und verzweifelt. Noch ahnt niemand in Bamberg, dass das, was der Stadt widerfahren wird,seinen Anfang nahm in Avas Haus
DieHüterin der Quelle von BrigitteRiebe
LESEPROBE
Blekas Fiepen drang in ihren Schlaf und ließ sie unruhig werden.Als es immer durchdringender wurde, erwachte sie.
Im Traum war Ava mit ihm zusammen gewesen, wieder einmal.Sie hatte das Aroma von frischem Holz wahrgenommen, das von seinen Kleidernausging, die Hitze seiner Haut. Ohne Forderung oder Ungeduld hatte er sich ihrgenähert, mit wissenden Händen und einem schmerzlichen Zug um den Mund, densie nicht zu enträtseln wusste, bis sie in seiner Umarmung verschwunden war. Obder Krippenschnitzer heute auf den Wochenmarkt kommen würde?
Reka war verstummt. Stattdessen stupste er nun mit seiner Schnauzeso lange gegen die Decke, bis sie die Hand ausstreckte und ihn streichelte.
»Du weißt genau, dass du nicht ins Bett darfst«, sagte sie,da war er schon neben ihr. Über den Winter war er mager geworden. Sie spürtedie Rippen unter der Haut, als sie ihn berührte, betastete die dünnen Flanken,den eingefallenen Bauch. Sein Fell war feucht und verströmte einenunverwechselbaren Geruch. Er war ein Raubtier mit messerscharfen Zähnen, wenngleicher ihr gehorsamer folgte als ein Hündchen. Als Welpen hatte sie ihn gefunden,in einem verlassenen Fuchsbau, unten am Fluss, mit trübem Blick, halbtot vorHunger. Sie hatte gewartet, ob die Fähe nicht doch zurückkam, aber als die Zeitverstrich und nichts geschah, nahm sie den Winzling an sich und trug ihn nachHause.
Sie hatte richtig gehandelt, das wusste sie spätestens am nächstenMorgen, als sie beim Kräutersammeln im Wald entdeckte, was zwei unter Laubversteckte Ottereisen aus seiner Mutter gemacht hatten. Sie gab ihm einen Namenaus ihrer alten Heimat und sorgte dafür, dass er groß und stark wurde.
Die Leute aus der Stadt verstanden nicht, was sie verband.Sie wandten sich ab, wenn sie sie zusammen erblickten, manche voller Scheu,andere mit unverhülltem Widerwillen. Ava machte sich nichts daraus.
Egal, was sie tat, sie bot ohnehin Anlass zu vielerlei Spekulationen.Man munkelte, in mondhellen Nächten steige sie als Menschenfrau in die Regnitz,um anschließend als Otterweibchen das gegenüberliegende Ufer zu erklimmen. Sie trageein Fellkleid, das sie abstreifen könne, sobald es Tag werde, verstünde sichauf die Sprache der Tiere. Mühelos wandere sie zwischen den Welten. Kein Krautsei ihr unbekannt, sogar gegen Impotenz und Unfruchtbarkeit wisse sie denrichtigen Trank. »Die Otterfrau« nannten sie die Leute in Bamberg, und sie warstolz darauf, betrachtete es als Auszeichnung, nicht als Beschimpfung, auchwenn es sie einsam machte.
Sie hatte aufgehört zu widersprechen, lange schon. Im Wald undam Fluss war sie zu Hause. Geschlossene Häuser mit engen, dumpfen Zimmernbereiteten ihr Unbehagen. Und sie liebte diese Tiere, ihre kraftvollen,gedrungenen Körper, die im Wasser heimisch waren, aber sich ebenso schnell anLand bewegen konnten.
Rekas Augen waren schwarz und lagen weit auseinander. Er legteeine Pfote auf ihren Arm, eine auffordernde Geste, die sie jedes Mal rührte.
»Das heißt, ich soll aus dem Bett, um endlich nach den Fischenzu sehen.« Er bekam einen liebevollen Klaps. »Und Recht hast du, ich bin dielangweilige Grütze ebenso leid wie du! «
Sie schob ihn zur Seite und stand auf. Ein Windstoß fegte durchdie Ritzen des Hauses, heulte durch Küche und Kammer. Ava fröstelte, als dieüberraschende Kälte mit kleinen Nadelstichen ihre Haut traf. Gestern Abend nochwar es so mild gewesen, dass sie nackt unter die Decke geschlüpft war, undjetzt konnte es ihr gar nicht schnell genug gehen, das Winterkleid überzustreifen.Zitternd schlang sie zusätzlich ein Tuch um die Schultern.
Reka zwängte sich vor ihr durch die angelehnte Türe. Sie liefihm nach und blieb nach ein paar Schritten stehen.
Ihre Lungenflügel füllten sich mit kalter Luft. Dabei war esschon Ende Mai, einige Tage nach Christi Himmelfahrt. Gestern noch hatte allesgeblüht, war prall, voller Verheißung gewesen. Jetzt hatte Frost das Laubgeschwärzt, mit weißen Linien die Konturen nachgezeichnet. Reif bedeckte dasGras, ließ ihre bloßen Füße taub werden.
Überall Zeichen der Zerstörung, abgestorbene Blumen, geknickteZweige, winzige Schwarzdrosseln, die viel zu früh aus dem Nest gefallen warenund nun leblos am Boden lagen, verkrümmte, dunkle Federknäuel auf dem körnigenEis.
Sie erreichten den Hollerbaum. Nackt reckten sich die Äste inden bleiernen Himmel; all die frischen grünen Blätter waren abgefallen, lagennun schwarz und tot am Boden. Ava lehnte ihre Wange an den Stamm. In seinenZweigen wohnen die Vorfahren, das hatte sie schon als Kind gelernt. Der Lebensbaum,der stets in Menschennähe wächst und zu kümmern beginnt, wenn ein Haus brenntoder eine Kapelle abgerissen wird. Mehr als alles andere war er für sie dieErinnerung an ein verlorenes Zuhause, an einen anderen Garten, in dem siegespielt und gelacht hatten, unter den dunklen Dolden des Holunders.
Das war lange vorbei. (...)
© 2005 by Diana Verlag, München
Interview mit Brigitte Riebe
"Die Hüterinder Quelle" spielt im Bamberg des 17. Jahrhunderts, zur Zeit derHexenprozesse. Wie entstand die Idee, Ihren historischen Roman dortanzusiedeln?
Mit dem Thema Hexenverfolgung habe ich mich auf wissenschaftlicherBasis schon in den späten 70er Jahren beschäftigt, und das Interesse an diesemThema - über das bis heute so viele Missverständnis bestehen - hat mich niemalsverlassen. Als ich während einer Lesereise in Zeil und Lichtenberg war,beschloss ich, einen Zwischentag in Bamberg einzulegen (das ich damals zumeiner Schande noch nicht kannte). An einem wunderschönen Oktobertag, sonnigund klar, hab ich mich spontan in diese Stadt verliebt, wo jeder Schritt, denman tut, "Geschichte atmet". Und da sich Bamberg als Fallstudie fürdas Thema Hexenverfolgung aufgrund der Quellenlage bestens eignet, stieg dieseIdee in mir auf. Außerdem begann schon damals am Ufer der Regnitz, wo ich mitmeinem Cappuccino saß, Ava, die Otterfrau, mit mir zu sprechen. So beginnt esmeistens bei mir: Die Figuren werden lebendig und teilen sich mit...
DerKrippenschnitzer Veit Sternen und seine Familie geraten in den Wirren dieserZeit in große Bedrängnis. Was hat Sie an ihrer Geschichte am meisteninteressiert?
Am spannendsten fand ich, wie sich die Beziehungen der Menschenuntereinander vor dem Hintergrund des Hexenwahns verändern. Wie Angst,Misstrauen und Missgunst wachsen. Wie man mit bekommt, dass ein Nachbar, ein Verwandter,ja vielleicht sogar jemand aus der eigenen Familie in diesen Strudel gerät.Niemand tut etwas richtig "Böses", aber in diesem Klima aus Angst undWahn können auch aus scheinbar harmlosen Dingen sehr schreckliche werden.Außerdem sind alle Sternens ziemliche Einzelgänger. Jeder kocht sein eigenesSüppchen, ohne genau zu schauen, was der andere macht (einzige Ausnahme:Marie!). Sie reden nicht richtig miteinander und deshalb missverstehen sie sichgründlich. Erst als jeder von ihnen die innere Barriere aufgibt, wird einMiteinander möglich, und Marie kann Selina als Tochter annehmen.
Sowohl Ava, dieOtterfrau, als auch Marie sind sehr starke Frauengestalten. Was glauben Sie,haben Frauen mehr Mut?
Mehr Mut weiß ich nicht, aber bestimmt mehr Impulsivität undEmotionalität. Für mich stehen beide für das Leben (während Förner den Todverkörpert), auch wenn die eine schwanger wird, und die andere sich vergeblichnach einem Kind sehnt - bis Marie endlich begreift, dass sie schon eines hat:Selina. Außerdem schaffen sie etwas sehr Wichtiges: Im Moment großer Gefahrenges Denken und kleine Gefühle (Eifersucht, Neid, Besitzdenken) über Bord zuwerfen, sich zusammen zu tun und "groß" zu werden - das können Frauenvielleicht einen Tick besser als Männer. Die beiden gehören für mich auchunbedingt zusammen. In keinem meiner Romane gibt es eine Heldin, die wie"Superwoman" alles weiß, kann, beherrscht, ahnt - solche Frauen gibtes im wirklichen Leben nicht, und ich möchte sie auch nicht zwischen zweiBuchrücken finden.
"Die siebenMonde des Jakobus" und "Straße der Sterne" spielen beide auf demJakobsweg, doch zu unterschiedlichen Zeiten. Haben Sie diesen Pilgerpfad selbsterwandert? Was macht seine Faszination für Sie aus?
Ja, ich war drei Mal auf dem Jakobsweg, das erste Mal übrigens vorfast 30 Jahren, als es noch sehr viel weniger "en vogue" war. Camino,meine männliche Lieblingsfigur aus "Straße der Sterne", sagt dazueinmal: "Nach Jerusalem um Christi willen, nach Rom um des Papstes willen,nach Compostela um meiner selbst willen". Jeder findet auf diesem Weg,wonach er sucht: Für den einen mögen es religiöse Erfahrungen sein, für denanderen sportliches Durchhaltevermögen, für den nächsten die Begegnungen, füreinen vierten vielleicht die lang vergessene Wiederentdeckung der Langsamkeit,das Maß des Gehens als "menschliche Einheit". Für mich ist es amehesten eine Mischung: das Bewusstsein, meine Schritte auf einen Weg zu setzen,den vor mir schon Millionen anderer gegangen sind, durch eine abwechslungsreicheLandschaft, in der die menschliche Hand Kultur vom Feinsten geschaffen hat -und dabei das Alltagsgeschäft ganz hinter mir zu lassen: das kann nur derSternenweg!
Schreiben Sieschon an Ihrem nächsten Buch? Wohin werden Sie Ihre Leser führen?
Ich bin schon mitten drin. 10. Jahrhundert: das, was wir heute alsDeutschland kennen, ist von Wald und Sumpf bedeckt; die sächsischen Kaisernehmen ihren slawischen Nachbarn auf nicht gerade feine Weise das Land weg; dieMagyaren ziehen plündernd und brandschatzend umher; das tägliche Leben ist sehrmühsam und einfach (selbst die Königspfalzen sind eher schäbige Behausungen).Da erhebt sich hell und strahlend aus all dem Chaos die Stimme einer jungenFrau: Roswitha von Gandersheim, die erste deutsche Dichterin. Ich erzähle ihreGeschichte, untrennbar verbunden mit der ihrer Freundin Eila... "Die Liebeist ein Kleid aus Feuer" erscheint im Herbst 2006 im Diana Verlag.
Die Fragenstellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Brigitte Riebe
- 2005, 2, 543 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453290046
- ISBN-13: 9783453290044
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