Die hundert Leben der Lilly Cavalconti

Jürgen Seidel wurde 1948 in Berlin geboren. Nach einer handwerklichen Ausbildung lebte er drei Jahre lang in Australien und Südostasien, bevor er nach Deutschland zurückkehrte, das Abitur nachmachte und ein Studium der Germanistik und Anglistik mit der Promotion abschloss. Jürgen Seidel veröffentlichte Erzählungen, Hörspiele, Rundfunkbeiträge, literaturwissenschaftliche Publikationen - und zahlreiche Jugendromane. Er lebt mit seiner Familie in Neuss.

Dieses Buch ist beste Unterhaltung für junge Mädchen, die gerne ein großes Abenteuer erleben möchten. Absolute Spannung sorgt dafür, es nicht mehr aus der Hand zu legen, wenn man die ersten Seiten gelesen hat. Der Autor versteht es, selbst alltägliche Szenen so zu beschreiben, dass man atmosphärisch eintaucht und sich an wunderbare Filme wie "Vom Winde verweht" erinnert fühlt. Die Heldin - und das ist sie wirklich - stellt entsetzt fest, dass sie Tochter eines Sklavenschiffkapitäns ist und sich nicht ganz freiwillig an Bord wieder findet, als das Schiff ablegt. So muss sie miterleben, was sie eigentlich niemals wissen wollte. Diese Haltung, nämlich nicht wissen zu wollen, was eigentlich jeder weiß, kann sich parallel rasch der jungen Leserinnen bemächtigen, allerdings ohne dass sie es dem Autor übel nehmen. Denn Lilly ist eine wunderbare Identifikationsfigur, die vorlebt, dass eine gerechtigkeitsliebende, aufgeklärte junge Frau letztlich immer die richtigen Entscheidungen trifft. Das Intrigenspiel der Offiziere an Bord ist zunächst schwer zu durchschauen. Und als der Vater stirbt - er war schon todkrank, als er die Reise antrat -, stürzt das Lilly in ein totales Gefühlsgewirr. Sicher ist für sie, dass der Vater alles nur getan hat, um auch nach seinem Tod für die eigene Familie zu sorgen. Dass aber dessen unangenehmer Vertrauter Van Loos laut Vermächtnis des Vaters ihr Ehemann werden soll, ist für die junge Frau nicht nur unverständlich, sondern vollkommen inakzeptabel, zumal da noch der sympathische zweite Kommandant Hervé ist, zu dem Lilly sich hingezogen fühlt. Nun kann man leicht annehmen, dass es sich nicht um bewusste moralische Entscheidungen handelt, wenn Lilly sozusagen zur Kämpferin gegen unwürdiges Verhalten den Sklaven gegenüber wird, sondern weil sie sich zum guten Helden hingezogen fühlt. Aber tatsächlich hat