Die Königsdame
Fatmah kommt als sehr junges Mädchen an den Hof Augustus des Starken in Dresden. Sie ist Zofe von Constantia, einer mächtigen Mätresse des Fürsten. Als der auch ein Auge auf Fatmah wirft, wird es gefährlich für das unbedarfte Mädchen. Auf ihrer Suche nach...
Fatmah kommt als sehr junges Mädchen an den Hof Augustus des Starken in Dresden. Sie ist Zofe von Constantia, einer mächtigen Mätresse des Fürsten. Als der auch ein Auge auf Fatmah wirft, wird es gefährlich für das unbedarfte Mädchen. Auf ihrer Suche nach Scutz gerät die osmanische Schönheit in eine mörderische Intrige.
Die Königsdame von Sabine Weigand
LESEPROBE
Dresden,Oktober 1747
Der GroßeGarten vor den Toren der Stadt lag im warmen Sonnenlicht. Es war einer diesergoldenen Herbsttage, an denen die Natur noch einmal in aller Schönheiterstrahlt, bevor die tristen, düsteren Nebel und kalten Schauer desSpätherbstes den Winter ankündigen. Rote und gelbe Blätter tanzten im Grasunter den alten Bäumen, ein milder Wind trieb das Laub über die Wiesen, und dieEichhörnchen vergruben geschäftig ihre Vorräte. Selbst die Goldfische in denTeichen überwanden noch einmal ihre einsetzende Winterträgheit und schnapptengroßmäulig nach den letzten Wasserläufern. Am hellblauen Himmel war keineinziges Wölkchen zu entdecken.
Dieschwarze Reisekutsche rollte die von Skulpturen gesäumte Hauptallee entlang,vorbei an den herrlichen Vasenplastiken am Eingang, dem heiter plätscherndenMosaikbrunnen und der wilden Kentaurengruppe. Die wenigen Spaziergänger undReiter, die sich im Park verlustierten, sahen dem Gefährt neugierig nach. Estrug ein Wappen an der Seite, das zu Dresden unbekannt war, russisch vielleicht,schwedisch oder gar spanisch. Der König hatte wohl wieder ausländischen Besuch,was zwar nicht mehr so oft vorkam wie zu Zeiten seines seligen Vaters, desstarken August, aber immerhin war die sächsische Hauptstadt für deneuropäischen Adel auch jetzt noch eine Fürstenresidenz von Rang.
InSichtweite des Gartenpalais, das im Zentrum des Parks lag, gabelte sich derWeg, und der alte Kutscher lenkte seine beiden Grauschimmel nach rechts. Beimersten der beiden Kavaliershäuser, die ganz in der Nähe des Lustschlösschenslagen, hielt er sein Gefährt an, sprang etwas steifbeinig ab und öffnete denSchlag. Der Kalesche entstieg eine vornehme Dame von edler Haltung, ganz in einennachtblauen Umhang gehüllt, der mit schimmerndem Nerz verbrämt war. Sie warnicht mehr jung; ihr zu einer kunstvollen Frisur hochgestecktes rabenschwarzesHaar wurde von vielen sil- bergrauen Strähnendurchzogen. Auffälliger noch als die Tatsache, dass sie keine Perücke trug, ja,nicht einmal die Haare gepudert hatte, war der fremdländische Schnitt ihrerZüge: hohe Wangenknochen, mandelförmige Augen, ein schmaler, feiner Mund. Und obwohlsichtbare Fältchen ihr Gesicht durchzogen, trug sie keine Schminke, keinWangenrot, kein Brauenschwarz.
Die Damerichtete ihren Umhang und blieb dann einen Augenblick auf dem Kiesweg stehen.Langsam ließ sie ihren Blick über die Südwestfassade des Gartenpalaisschweifen, schaute dann zum Ententeich hinüber, dessen Wellen sich sanftkräuselten, dann zum muschelförmigen Bau des Parktheaters, über den gerade ein SchwarmSpatzen hinwegflatterte. Sah sie tanzende Gestalten am Ufer, lachende Mädchen,die Arme voller Blumen, Höflinge in Seidenhosen und bunten Überröcken, dieihnen galant zuwinkten, den König gar, wie er auf seinem Lieblingsschimmelverwegen über eine steinerne Bank setzte? Gedankenverloren fuhr sich die Damemit der behandschuhten Hand über die Augen, dann raffte sie ihre Röcke, undwährend der Kutscher bei seinen Pferden wartete, schritt sie über den Rasen zumGartenpalais. Langsam ging sie die kunstvoll gestaltete Mauer entlang, als obsie etwas suchte, und schließlich blieb sie bei einem Rhododendronbuschstehen, schob ein paar Zweige zur Seite und sank in die Knie. Sie klopfte aneinen der Steine im Mauersockel, legte schließlich achtlos die Handschuhe ab,schüttelte und rüttelte so lange, bis sie den Stein aus der Mauer entfernthatte. Dann griff sie mit der Rechten in den dahinter liegenden Hohlraum,tastete, suchte und zog schließlich die geschlossene Faust wieder heraus. Siemachte ein paar Schritte aus dem Schlagschatten des Schlösschens hinaus in dieSonne, und dann öffnete sie die Finger: Auf ihrer Handfläche lag ein schwerer, dunkelangelaufener, silberner Siegelring. Beinahe andächtig nahm die Dame das alteSchmuckstück zwischen Daumen und Zeigefinger und polierte es mit dem Ärmelihres Kleides. Sie drehte den Ring so, dass das Motiv der Stempelfläche imSonnenlicht aufblitzte, ein dräuender Greif mit Krone und Schwert. Ein Lächeln huschteüber ihr Gesicht, und für einen kurzen Augenblick sah sie aus wie das jungeMädchen, das sie einst gewesen war. Dann strich sie sich mit einernachdenklichen Geste eine lose Haarsträhne aus der Stirn, steckte den Ring indie Tasche ihres Umhangs und ging langsam zur Kutsche zurück.
Wie langewar es her? Fünfundzwanzig, dreißig Jahre? Wie die Stadt sich verändert hat,dachte sie, während der Kutscher durch die Gassen fuhr, die ihr einmal sovertraut gewesen waren. Natürlich, das Schloss war noch da, und es sah genausoaus wie früher. So viele Jahre hatte sie darin gelebt, schlimme, einsame Jahre,aber auch glückliche und unbeschwerte. Immer noch wirkte der Renaissancebau vonaußen etwas finster. Von der Spitze des Hausmannturms schlug es gerade zurMittagsstunde; der Klang der großen Glocke war ihr vertraut wie ehedem.
DieAugustusbrücke, die vor der Residenz über die Elbe führte, vorher ein schmalerÜbergang, hatte man erneuert und verbreitert, nun verband ein modernesWunderwerk aus massiven Steinbögen die beiden Stadthälften. Und gleich in derNähe des Schlosses, gegenüber dem Taschenberg-Palais, an das sie so vieleErinnerungen knüpfte, erhob sich etwas Neues, Großartiges, ein jetzt schon weithinberühmtes Meisterwerk der Baukunst, ein Festplatz, wie ihn die Welt noch nichtgesehen hatte: Der Zwinger, dessen Anfänge sie damals noch hatte emporwachsensehen. Sie ließ die Kutsche durch das Kronentor einfahren. Das ist also aus allseinen Plänen geworden, dachte sie. Hier unter freiem Himmel hat er in den letztenJahren rauschende Feste gefeiert, verschwenderische Bälle und große Konzertegegeben. Die Gebäude waren erst halbfertig gewesen, als sie Dresden verlassenhatte - nun bildeten sie einen steingewordenen Traumin ihrem strahlend hellen Weiß mit den sonnenüberfluteten kobaltblauen Dächern.Zusammen mit den vielen Vergoldungen ergab das die drei wettinischenFarben, genau so, wie er es gewollt hatte!
BeimNymphenbad hielt die Kutsche, und wieder stieg die Dame aus. Sie ließ sich amRand des Wasserbeckens nieder und tauchte gedankenverloren eine Hand insWasser. Die aus dem Wasserfall sprühenden Tropfen netzten ihr Gesicht, esstörte sie nicht. Fast schien es ihr, als sei es gestern gewesen, als siezusammen mit ihm das schattige Grottenwerk bewundert hatte, den tropfsteinartigenSchmuck, die Wasser speienden Delphine und Tritonen,die Nymphen in den steinernen Nischen. Wie verzaubert waren sie gewesen von derverwunschenen Atmosphäre, und dabei war damals alles erst im Entstehenbegriffen. Jetzt waren die steinernen Kaskaden grün vom Moos, und uralteKarpfen schwammen im Wasserbecken. Sie ließ eine Weile das Wasser durch ihreFinger rinnen und betrachtete das Spiel des Sonnenlichts auf seiner Oberfläche.Dann kehrte sie zur Kutsche zurück und ließ weiterfahren.
Die altvertraute Frauenkirche stand nicht mehr. An ihrer Stellethronte ein monumentaler neuer Kirchenbau aus Elbsandstein, fast hundert Meterhoch, mit einer prächtigen hohen Kuppel, die hell aufglänzte und beinahe einwenig orientalisch anmutete. Gerüste standen noch an einigen Stellen, und dasvereinzelte Klopfen und Hämmern von Handwerkern verriet, dass der kunstvolleBau trotz seiner Einweihung vor vier Jahren noch immer nicht ganz fertig war.Überwältigt von der Schönheit des grandiosen Kuppelbaus, wies die Dame ihrenKutscher an zu halten und ließ ihren Blick bewundernd über die herrliche Kircheschweifen.
Auch dieNeustadt, die damals noch überall im Aufbau gewesen war, hatte sich prächtigentwickelt. So viele herrschaftliche Häuser mit herrlichen Fassaden, neueStraßen, weite Plätze, alles glänzend sauber und ohne stinkenden Abfall auf denStraßen. Und mitten auf dem Neustädter Markt das Standbild des Königs: derGoldene Reiter, wie man ihn von Anfang an genannt hatte. Sie ließ die Kutsche erneuthalten, blieb aber sitzen und bewunderte das gleißende Ebenbild Augusts desStarken, wie er in stolzer Haltung auf einem kurbettierendenRoss thronte. Genauso saß er immer zu Pferd, dachte sie, den Rückendurchgedrückt, die Schultern tief, den Kopf leicht geneigt. DieLebensähnlichkeit des goldenen Abbilds berührte sie mehr, als sie geglaubthatte, und sie seufzte leise. Wie oft war sie mit ihm geritten, durch blühendeGärten, auf fröhlichen Jagden! Einmal hatte sie ihn sogar im Wettrennenbesiegt, drunten auf den Elbwiesen! Abrupt ließ sie den roten Samtvorhang des Kutschfenstersfallen und lehnte sich wieder zurück. Nachdem sie den Ring aus seinem Versteckgeholt hatte, war es jetzt an der Zeit, das Zweite zu tun, was sie sichvorgenommen hatte. Sie klopfte an die Rückwand zum Kutschbock, und die Kaleschefuhr über die Augustusbrücke zurück bis zum Eingangsportal der Hofkirche. ( )
© KrügerVerlag
- Autor: Sabine Weigand
- 2007, 1, 458 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810526622
- ISBN-13: 9783810526625
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