Die Markgräfin
DieMarkgräfin von Sabine Weigand
LESEPROBE
Plassenburg, Dezember 2001
Missmutig stapfte der Kastellan durch den frischgefallenen Schnee über den Schönen Hof. Die Aussicht auf morgendliche Schneeräumaktionenließ seine Stimmung auf den Nullpunkt sinken, vor allem weil der Beamte von derBayerischen Schlösserverwaltung ihm gerade eröffnet hatte, dass der beantragteZuschuss für ein Spezialräumgerät heuer wieder nicht zu erwarten war. JedenWinter das gleiche Spiel - Anträge, Formulare, Telefonate, und dann die Ablehnung.
Seit drei Jahren hatte Gregor Haubold nun das Amt des Kastellansauf der Plassenburg inne, und als leidenschaftlicher Heimathistoriker fühlteer sich auf der riesigen Festung wohl. Inzwischen kannte er jeden Gang undjedes verborgene Eckchen, wusste, wo der Putz bröckelte und wo bei starkenRegenfällen das Wasser eindrang. Manchmal kam es ihm so vor, als ob er seit Jahrhundertenhier lebte und ein Teil des alten Gemäuers wäre. Dann stellte er sich vor, ersei herrschaftlicher Schlossvogt, und der Hof der Burg bevölkerte sich inseiner Phantasie mit geschäftig umherlaufender Dienerschaft, Mit Bauern, die inFronfuhren den Kraut- und Rübenzehnt ablieferten, mit Schweinen, Hühnern,Tauben und schwänzelnden Hunden.
Doch heute hatte Haubold keine Zeit für solche Gedanken. Vorder Tür an der Nordostecke des Schönen Hofes warteten bereits die zweiHandwerker. Der Kastellan kramte in seiner ausgebeulten Hosentasche nach demSchlüsselbund und förderte ihn schließlich zusammen mit Bonbonpapierchen undeinem Schokoriegel zutage. Haubold nickte den beiden zu und sperrte eine Zeitlang am rostigen Schloss herum, bis die alte Tür schließlich knarrend aufging.
»Da geht's rein. Vorsicht bei dem Türstock, der ist ziemlichniedrig. Und dann bitte hinter mir bleiben - die Treppe ist schon recht beschädigt.«
Haubold, mit seiner Größe von knapp zwei Metern und über 125 KilogrammLebendgewicht eine imposante Erscheinung, bückte sich mit einerBehändigkeit, die ihm niemand zugetraut hätte, und ging sicheren Schrittesvoraus in die Kellergewölbe. Die Beleuchtung stammte noch aus der Zeit, alsdie Plassenburg als Zuchthaus diente, und spendete mit ihren nackten Glühlampennur spärliches Licht. Die beiden Handwerker folgten dem Kastellan zögernd hinunterin die klammen und kalten Kellerräume unter den Markgrafengemächern.
»Da oben!«
Der Kastellan ließ den Strahl seiner Taschenlampe über einengroßen feuchten Fleck an Decke und Außenwand gleiten.
»Hier verläuft die Wasserleitung von den Besuchertoilettenneben den Markgrafenzimmern herunter und dann weiter an der Mauer entlang inden tieferen Vorhofbereich. Wahrscheinlich ist das Rohr schon längeraufgefroren - ich kontrolliere den Keller hier nicht so häufig. Na ja,jedenfalls muss das hier dringend repariert werden, bevor uns der halbe Kellerzusammenstürzt und die Schlösserverwaltung Ärger macht. Der Stein ist hierüberall brüchig.«
Der ältere der beiden Handwerker seufzte und begutachteteden Wasserfleck.
»Da hilft nichts, wir müssen die Wand aufschlagen.«
Mit einem schicksalsergebenen »Also dann!« machte sich sein Gehilfeans Werk und begann zu klopfen und zu hämmern, bis die Rohrleitung nach einigenMinuten sichtbar wurde. Die ganze Bescherung lag nun offen zutage.
»Kein Rohrbruch, Meister«, stellte der Handwerker fest,»Schauen Sie selber: Die Leitung ist von oben bis unten aufgerostet! Dazu brauchenwir länger! «
Haubold fluchte. Wenn die Leitung hier verrostet war, konnteman davon ausgehen, dass die zweite Wasserleitung, die von der Personaltoiletteaus durch das Gewölbe führte, auch nicht viel besser aussah. Der Kastellanschnappte sich aus dem Werkzeugkasten Hammer und Meißel und machte sich ein Stückweiter an der Wand zu schaffen, um die zweite Leitung zu finden und zukontrollieren. In Brusthöhe fing er zielstrebig an zu klopfen. Hier ungefährmusste die zweite Leitung verlaufen. Haubold schwante, dass er es nun nichtmehr bis zwölf Uhr in die Kastellanswohnung zum Mittagessen schaffen würde,was besonders ärgerlich war. Essenszeiten waren ihm heilig, und er versäumtenie ohne ernsthaften Grund eine Mahlzeit. Er schlug kräftiger zu und legteschnaufend einen Teil der zweiten Leitung frei. Dann kratzte er mit dem Meißelam Rohr entlang und leuchtete mit der Taschenlampe hin. Kein Rost. Gott sei Dank.
Sein Blick fiel auf die Schuttbrocken auf dem Boden.Mittendrin lag ein größeres Stück eines zerborstenen Mauersteins. Ohne recht zuwissen warum, bückte er sich mit einem angestrengten Quietscher, um den Steinaufzuheben. Er suchte nach der fehlenden Stelle in der Mauer und wollte denStein in die Lücke hineindrücken, als ein weiteres kleines Stück aus der Mauerherausfiel. Haubold bemerkte, dass sich dahinter ein Hohlraum befand.Vergeblich versuchte er, mit der Taschenlampe hineinzuleuchten - das Loch war zuklein. Er schob mühsam eine Hand in den Hohlraum und fingerte vorsichtig darinherum. Was er fühlte, waren kleine Steinchen, etwas Glattes, Rundliches unddiverse kleinere und größere Teilchen.
Das Erste, was Haubold dann herauszog, war ein flaches,eckiges Stückchen. Er blies es vom Staub frei und versuchte es notdürftig zu säubern.Beim Ankratzen mit dem Daumennagel erwies sich das Material als hart undirgendwie glatt, jedenfalls war es kein Holz, auch kein Stein, eher Metall.Vergessen waren das Mittagessen und der Wasserschaden - Haubolds Forschergeistwar geweckt. Nachdem kein Pinsel für eine sachgemäße Reinigung des Teilchenszur Hand war, zog der Kastellan ein altväterliches Herrentaschentuch mitdeutlichen Gebrauchsspuren aus der Gesäßtasche, spuckte auf das Metallteil (imGegensatz zu führenden Wissenschaftlern sah er Speichel durchaus nicht alskonservatorische Todsünde an) und putzte das Ding mit aller Sorgfalt. (...)
© Wolfgang Krüger Verlag GmbH, Frankfurt am Main
- Autor: Sabine Weigand
- 2004, 480 Seiten, Maße: 15,2 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810523658
- ISBN-13: 9783810523655
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