Die Nacht der Raben / Shetland-Serie Bd.1
Winter auf den Shetland-Inseln. Still ruht die Welt unter einer weißen Decke. Das Mädchen im Schnee trägt einen roten Schal um den Hals. Um sie herum sitzen Raben.
Als Fran Hunter die Leiche der sechzehnjährigen Catherine...
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Winter auf den Shetland-Inseln. Still ruht die Welt unter einer weißen Decke. Das Mädchen im Schnee trägt einen roten Schal um den Hals. Um sie herum sitzen Raben.
Als Fran Hunter die Leiche der sechzehnjährigen Catherine findet, ist es um die Dorfidylle geschehen. Kommissar Jimmy Perez will in alle Richtungen ermitteln, doch ein Verdächtiger ist schnell gefunden. Die Polizei verhaftet Magnus Tait: einen menschenscheuen Sonderling, der vor Jahren schon einmal mit dem Verschwinden eines Mädchens in Verbindung gebracht wurde. Dann verschwindet während des traditionellen Wikingerfestivals «Up Helly Aa» Frans kleine Tochter Cassie ...
Die Nacht der Raben von Ann Cleeves
LESEPROBE
Eins
Es warzwanzig nach eins am Neujahrsmorgen. Magnus wusste, wie spät es war, das sagteihm die große Uhr auf dem Sims über dem Kamin, die Uhr seiner Mutter. In einer Eckesaß der Rabe in seinem Käfig aus Korbgeflecht und krächzte leise im Schlaf.Magnus wartete. Das Zimmer war fertig, die Gäste konnten kommen: Das Torffeuerprasselte, auf dem Tisch standen eine Flasche Whisky und der Ingwerkuchen, dener bei seiner letzten Fahrt nach Lerwick bei Safeway's gekauft hatte. Ermerkte, dass er immer wieder einnickte, wollte aber nicht ins Bett gehen,falls doch noch jemand vorbeikam. Wenn hinter dem Fenster Licht brannte, würdevielleicht jemand kommen, lachend, beschwipst und voller Geschichten. Seit achtJahren war keiner mehr da gewesen, um ihm ein frohes neues Jahr zu wünschen,doch er wartete trotzdem, für den Fall, dass es diesmal anders wäre.
Draußen wares vollkommen still. Nicht einmal der Wind war zu hören. Wenn in Shetlandeinmal kein Wind wehte, erschrak man regelrecht. Dann lauschten die Leuteangestrengt, versuchten herauszufinden, was ihnen fehlte. Am Nachmittag warleichter Schnee gefallen, über den sich mit der Dämmerung eine dünne Eisschichtgelegt hatte: Die hartgefrorenen Schneekristalle glitzerten wie Diamanten imletzten Tageslicht, und als es schon dunkel war, sah man sie wieder im Scheindes Leuchtturms.
Magnuswollte auch wegen der Kälte bleiben, wo er war. Im Schlafzimmer hatte sichjetzt sicher eine dicke Lage Eis innen an der Scheibe gebildet, und die Lakenfühlten sich feucht und klamm an.
Er musstewohl eingeschlafen sein. Wäre er wach gewesen, hätte er sie kommen hören, dennsie näherten sich alles andere als leise. Man konnte wirklich nicht behaupten,sie hätten sich angeschlichen. Er hätte ihr Lachen hören müssen, ihrestolpernden Schritte, hätte den schlingernden Strahl der Taschenlampe vor demgardinenlosen Fenster gesehen. Jetzt erwachte er von lautem Klopfen an der Türund schreckte hoch. Er hatte einen Albtraum gehabt, konnte sich aber nicht mehrklar daran erinnern.
«Herein»,rief er. «Immer herein.» Magnus erhob sich mühsam, mit steifen, schmerzendenGliedern. Offenbar waren sie schon auf der Veranda. Er hörte sie zischelndmiteinander flüstern.
Dann gingdie Tür auf und ließ einen Schwall eiskalter Luft und zwei junge Mädchenherein, so bunt und schillernd wie exotische Vögel. Er merkte gleich, dass diebeiden betrunken waren. Sie blieben stehen und klammerten sich aneinander.Obwohl sie für das Wetter viel zu leicht angezogen waren, hatten sie roteWangen, und er spürte ihre Lebenskraft, wie eine Welle von Hitze. Eine warblond, die andere dunkelhaarig. Die Blonde war hübscher, weich und rundlich,doch Magnus bemerkte die Dunkelhaarige zuerst. Ihr schwarzes Haar war vonleuchtend blauen Strähnen durchzogen. Wie gern hätte er die Hand ausgestrecktund dieses Haar berührt, aber er hielt sich zurück. Das würde sie nurerschrecken und vertreiben.
«Immerherein», sagte er noch einmal, obwohl sie ja schon im Zimmer standen. Bestimmthörte er sich an wie ein schwachsinniger alter Mann, der immer dasselbe sagte,nur sinnloses Zeug daherredete. Die Leute hatten ihn schon immer ausgelacht.Sie hielten ihn für zurückgeblieben und hatten damit vielleicht sogar recht.Er spürte, wie sich sein Mund zu einem Lächeln verzog, und hörte im Geiste dieStimme seiner Mutter: «Wisch dir das alberne Grinsen vorn Gesicht. Sollen dichdie Leute für noch blöder halten, als du bist?»
Die Mädchenkicherten und kamen weiter ins Zimmer herein. Magnus schloss beide Türen hinterihnen, die Verandatür, die von Wind und Wetter schon ganz verzogen war, unddie Tür zum Haus. Er wollte die Kälte aussperren und hatte außerdem Angst, siekönnten entkommen. Er konnte es kaum fassen, zwei so hübsche Geschöpfe inseinem Haus zu haben.
«Setzteuch», sagte er. Er hatte nur einen Sessel, aber am Tisch standen noch zweiStühle, die sein Onkel aus Treibholz gezimmert hatte. Die rückte er ihnenzurecht. «Trinkt etwas mit mir, um das neue Jahr zu begrüßen.»
Wiederkicherten sie, flatterten heran und landeten auf den Stühlen. Sie hattenFlitter im Haar, ihre Kleider waren aus Samt, Seide und Pelz. Die Blonde trugStiefeletten aus Leder, das glänzte wie feuchter Teer, mit silbernen Schnallenund kleinen Ketten daran. Sie hatten hohe Absätze und waren vorne sehr spitz.Solche Schuhe hatte Magnus noch nie gesehen, er konnte den Blick kaum abwenden.Die Dunkelhaarige hatte rote Schuhe an. Er blieb am Kopfende des Tischesstehen.
«Wir kennenuns nicht, oder?», fragte er, obwohl er bei näherem Hinsehen merkte, dass sieschon oft an seinem Haus vorbeigegangen waren. Magnus gab sich Mühe, langsam zureden, damit sie ihn auch verstanden. Manchmal sprach er zu undeutlich. Seineeigenen Worte klangen ihm seltsam in den Ohren, wie das Krächzen des Raben. Erhatte dem Raben ein paar Wörter beigebracht. Oft hatte er sonst wochenlangniemanden zum Reden. Er wagte einen weiteren Satz. «Wo kommt ihr her?»
«Wir warenin Lerwick.» Die Stühle waren niedrig, und das blonde Mädchen musste den Kopfin den Nacken legen, um zu ihm hochzuschauen. Er sah ihre Zunge, ihre rosigeKehle. Das kurze Seidentop war ihr aus dem Rockbund gerutscht, er sah einenStreifen Haut, so seidig wie der Stoff ihrer Bluse, und ihren Nabel. «Wir habenHogmanay gefeiert. Dann hat uns jemand bis oben an die Straße gebracht. Wirwollten schon nach Hause, aber dann haben wir noch Licht bei Ihnen gesehen.»
«Sollen wiretwas trinken?», fragte er eifrig. «Ja?» Er schaute die Dunkelhaarige an, diesich aufmerksam umsah, den Blick langsam schweifen ließ und alles genaubetrachtete. Doch auch diesmal antwortete die Blonde.
«Wir habenselbst was dabei», sagte sie und zog eine Flasche aus der geflochtenenSchultertasche, die sie die ganze Zeit fest auf dem Schoß hielt. Die Flaschewar zugekorkt und gut drei viertel voll. Vermutlich Weißwein, aber da war ersich nicht sicher. Wein hatte er noch nie getrunken. Sie zog den Korken mitihren scharfen weißen Zähnen aus der Flasche. Das schockierte ihn. Als ermerkte, was sie vorhatte, wollte er lauthals protestieren, sie daran hindern,aus Angst, sie könne sich die Zähne abbrechen. Eigentlich hätte er anbietensollen, die Fla bei näherem Hinsehen merkte, dass sie schon oft an seinem Hausvorbeigegangen waren. Magnus gab sich Mühe, langsam zu reden, damit sie ihnauch verstanden. Manchmal sprach er zu undeutlich. Seine eigenen Worte klangenihm seltsam in den Ohren, wie das Krächzen des Raben. Er hatte dem Raben einpaar Wörter beigebracht. Oft hatte er sonst wochenlang niemanden zum Reden. Erwagte einen weiteren Satz. «Wo kommt ihr her?»
«Wir warenin Lerwick.» Die Stühle waren niedrig, und das blonde Mädchen musste den Kopfin den Nacken legen, um zu ihm hochzuschauen. Er sah ihre Zunge, ihre rosige Kehle.Das kurze Seidentop war ihr aus dem Rockbund gerutscht, er sah einen StreifenHaut, so seidig wie der Stoff ihrer Bluse, und ihren Nabel. «Wir haben Hogmanaygefeiert. Dann hat uns jemand bis oben an die Straße gebracht. Wir wolltenschon nach Hause, aber dann haben wir noch Licht bei Ihnen gesehen.»
«Sollen wiretwas trinken?», fragte er eifrig. «Ja?» Er schaute die Dunkelhaarige an, diesich aufmerksam umsah, den Blick langsam schweifen ließ und alles genaubetrachtete. Doch auch diesmal antwortete die Blonde.
«Wir habenselbst was dabei», sagte sie und zog eine Flasche aus der geflochtenenSchultertasche, die sie die ganze Zeit fest auf dem Schoß hielt. Die Flaschewar zugekorkt und gut drei viertel voll. Vermutlich Weißwein, aber da war ersich nicht sicher. Wein hatte er noch nie getrunken. Sie zog den Korken mitihren scharfen weißen Zähnen aus der Flasche. Das schockierte ihn. Als ermerkte, was sie vorhatte, wollte er lauthals protestieren, sie daran hindern,aus Angst, sie könne sich die Zähne abbrechen. Eigentlich hätte er anbietensollen, die Flasche für sie zu öffnen, das wäre ritterlich gewesen. Stattdessensah er ihr wie gebannt zu. Das Mädchen nahm einen Schluck, wischte den Rand derFlasche mit der Hand ab und reichte sie an ihre Freundin weiter. Magnus griffnach dem Whisky. Ihm zitterten die Hände, und als er sich ein Glas eingoss,landeten ein paar Tropfen auf der Wachstuchdecke. Er hob das Glas, und dieDunkelhaarige stieß mit der Weinflasche an. Sie hatte schmale,schwarzumrandete Augen. Die Lider waren blaugrau geschminkt.
«Ich heißeSally», sagte die Blonde. Sie besaß kein solches Talent zum Schweigen wie dieDunkelhaarige. Wahrscheinlich, dachte er, hatte sie es gern, wenn es laut war,mochte sie Musik und Plaudereien. «Sally Henry.»
«Henry»,wiederholte er. Der Name kam ihm bekannt vor, er konnte ihn aber nicht gleicheinordnen. Er war aus der Übung. Besonders schnell war er nie gewesen, dochjetzt kostete es ihn große Mühe, überhaupt nachzudenken. Magnus fühlte sichwie von dichtem Nebel umhüllt, erkannte Umrisse, schemenhafte Gedanken, doch esfiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. «Wo wohnst du?»
«In demHaus unten an der Bucht», sagte sie. «Gleich neben der Schule.»
«Dann istdeine Mutter die Lehrerin?»
Jetztkonnte er sie einordnen. Die Mutter war ein zierliches Persönchen. Sie stammtevon einer der nördlichen Inseln, Unst vielleicht oder Yell, und war mit einemMann aus Bressay verheiratet, der für die Regierung arbeitete. Magnus hatte ihnschon oft in seinem großen Geländewagen vorbeifahren sehen.
«Ja»,antwortete sie mit einem Seufzer.
«Und du?»,wandte er sich an die Dunkelhaarige, die ihn viel mehr interessierte, so sehr,dass sein Blick immer wieder zu ihr zurückwanderte. «Wie heißt du?»
«Ich binCatherine Ross.» Es war das Erste, was sie sagte. Sie hatte eine tiefe Stimmefür ein so junges Mädchen. Weich und dunkel. Eine Stimme wie schwarzer Sirup.Für einen Augenblick vergaß er, wo er war, und sah seine Mutter vor sich, wiesie Sirup in den Teig für den Ingwerkuchen gab. Sie drehte den Löffel über demTopf, um auch die letzten klebrigen Fäden einzufangen, und später gab sie ihmden Löffel zum Abschlecken. Er leckte sich die Lippen, dann merkte er peinlichberührt, dass Catherine ihn anstarrte. Sie konnte einen unverwandt anschauen,ohne zu blinzeln.
«Du bistnicht von hier.» Er hörte es an ihrem Akzent. «Kommst du aus England?»
«Ich wohneseit einem Jahr hier.»
«Und ihrseid befreundet?» Der Gedanke an Freundschaft war ihm neu. Hatte er selbst jemalsFreunde gehabt? Er dachte einen Moment darüber nach. «Ihr seid Freundinnen.Stimmt's?»
«Klar»,erwiderte Sally. «Allerbeste Freundinnen.» Und sie fingen wieder an zu lachen,ließen die Flasche hin und her gehen und legten zum Trinken den Kopf in denNacken, und ihre Hälse waren weiß wie Kreide im Schein der nackten Glühbirneüber dem Tisch.
© Rowohlt Verlag
Übersetzung:Tanja Handels
Interviewmit Ann Cleeves
InDeutschland wurden Sie den meisten Lesern erst durch "Die Nacht der Raben"bekannt. Woran liegt es, dass Sie erst jetzt für den deutschen Markt entdecktwurden?
Bevor "Die Nachtder Raben" erschien, habe ich schon 20 Jahre lang in Großbritannien Bücherpubliziert. Es gab gute Besprechungen und sehr treue Leser, aber eben keineriesigen Verkaufszahlen. Die Lizenz für "Die Nacht der Raben" hatte sichRowohlt gesichert, noch bevor ich auf der Shortlist des "Duncan Lawrie DaggerAward" landete. Ich war natürlich begeistert von der Aussicht, auch inDeutschland verlegt zu werden.
Siesagten einmal, dass selbst Agatha Christie im heutigen Südengland keine Krimisschreiben könnte. Inwieweit haben die Landschaften des Nordens Ihre Geschichtenbeeinflusst?
Der SüdenEnglands wurde geradezu von Berufspendlern und reichen Leuten annektiert, diesich Wochenendhäuschen leisten können. Und sie wissen sehr wenig über dieAlteingesessenen. Ein Charakter wie Miss Marple, der praktisch alles über seineNachbarschaft weiß, würde heute nicht mehr glaubwürdig sein. Ich mag es, überkleine, abgeschlossene Orte und Gesellschaften zu schreiben. Das liegt zumeinen daran, dass ich sehr gerne in der Tradition klassischerDetektiv-Geschichten schreibe, zum anderen interessiert es mich, wie dieseGemeinschaften funktionieren und überleben.
Währenddes "Jahr des Lesens" in England sind Sie als Vorleserin aufgetreten,beispielsweise in Büchereien und Gefängnissen, und engagieren sich noch heutein dieser Sache. Können Sie ein wenig über diese Tätigkeit erzählen?
Bis zu demgroßen Erfolg von "Die Nacht der Raben" war ich vor allem in Büchereien tätigund fand es toll. Stellen Sie sich vor, man wird dafür bezahlt, dass man mitLeuten über Bücher redet! In Großbritannien haben Büchereien ein sehrschlechtes Image: Die Leute halten sie einfach für langweilig. Tatsächlichfindet man dort mehr Bücher als in den meisten Buchhandlungen - zu ganzunterschiedlichen Themen. Sie müssten eigentlich das kulturelle Zentrum desOrtes sein. Ich habe auch Lesekreise in Gefängnissen ins Leben gerufen - auchdas war sehr faszinierend.
Siehaben selbst nicht für längere Zeit auf den Shetland-Inseln gelebt, vermittelnaber dem Leser viel Wissen über die Inseln, die Menschen und die Atmosphäre.Wie ist es Ihnen gelungen, das Verhalten der Menschen in dieserInselgemeinschaft so authentisch zu beschreiben?
Immerhinhabe ich habe für kurze Zeit auf den Shetlands gelebt, auf Fair Isle, wo JimmyPerez geboren und aufgewachsen ist. Außerdem habe ich eine Menge Freunde aufden Shetlands, und die haben das Buch geprüft, bevor es veröffentlicht wurde.Und natürlich besuche ich auch oft die Inseln.
Sieplanen, eine Shetland-Tetralogie zu schreiben, einen Roman für jede Jahreszeit.Ist die zweite Geschichte schon fertig und wird sie ins Deutsche übersetzt?Können Sie etwas über den Inhalt verraten?
Alles, wasich bislang verraten kann, ist: Sie wird zur Mittsommerzeit spielen, wenn esfast die ganze Nacht hindurch hell ist. Und Jimmy Perez wird wieder mitspielen.Für alles Weitere muss man dann das Buch lesen.
PlanenSie einen Roman vorab bis ins kleinste Detail oder gehen Sie eher intuitiv vor?
Nein, ichstrukturiere die Geschichte nicht im Vorhinein. Es existiert eine ArtZusammenfassung der Bände der Tetralogie, aber jeder steht auch für sichallein.
Die Fragen stellte Carsten Hansen,Literaturtest.
- Autor: Ann Cleeves
- 2007, 8. Aufl., 432 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Tanja Handels
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499244772
- ISBN-13: 9783499244773
- Erscheinungsdatum: 01.12.2007
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