Die Odyssee der Kinder
Auf der Flucht aus dem Dritten Reich ins Gelobte Land. Mit e. Vorw. v. Guido Knopp u. Stefan Brauburger
Die dramatische Odyssee jüdischer Kinder aus Nazi-Deutschland nach Palästina: Fünf Zeitzeugen berichten, wie es ihnen ergangen ist.
Ein fast vergessenes Kapitel aus den Jahren des Holocaust: 1942 erreicht ein Treck...
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Produktinformationen zu „Die Odyssee der Kinder “
Die dramatische Odyssee jüdischer Kinder aus Nazi-Deutschland nach Palästina: Fünf Zeitzeugen berichten, wie es ihnen ergangen ist.
Ein fast vergessenes Kapitel aus den Jahren des Holocaust: 1942 erreicht ein Treck jüdischer Kinder Palästina heimlich ins Land geschmuggelt von der Untergrundorganisation Haganah. Seit 1938 waren Sie, oft ohne ihre Eltern oder Verwandten, auf der Flucht vor dem Naziterror über zwei Kontinente geirrt: von Deutschland nach Polen, Sibirien und in den Iran, über Indien und Ägypten schließlich ins Gelobte Land. Zum ersten Mal erzählen Überlebende ihre einzigartige Geschichte: Jahre zwischen Hunger, Todesangst und Hoffnung.
Mit einem Vorwort von Guido Knopp und Stefan Brauburger.
Klappentext zu „Die Odyssee der Kinder “
Das erste Buch über die dramatische Flucht jüdischer Kinder aus Deutschland nach Palästina Authentisch, bewegend, schockierend: Fünf Zeitzeugen berichten, wie sie als Kinder über zwei Kontinente den Nazis entkommen konnten. Was sie erlebt und wie sie überlebt haben, schildert dieses außergewöhnliche Buch.
1942 erreicht ein Treck jüdischer Kinder Palästina, heimlich ins Land geschmuggelt von der Untergrundorganisation Haganah. Unter ihnen sind auch der elfjährige Josef Rosenbaum, Lydia Granoth, Rachel Gera, Uri Gefen und Avraham Nencel. Gemeinsam mit tausenden anderen jüdischen Kindern haben sie eine abenteuerliche Odyssee hinter sich. Seit 1938 waren sie auf der Flucht vor dem Terror der Nationalsozialisten. Teilweise ohne Eltern oder andere Verwandte schlugen sie sich von Deutschland über Polen und Sibirien bis in den Iran. Erst in Teheran nimmt sich die Haganah ihrer an und bringt sie über Indien und Ägypten ins Gelobte Land. Nur knapp tausend Kinder erreichen Palästina, wo viele bis heute geblieben sind.
Zum ersten Mal erzählen die Überlebenden die einzigartige Geschichte ihrer Odyssee. Sie berichten von Hunger, Kälte, Ungewissheit, Angst und dem Tod ihrer Familienangehörigen oder anderer Kinder des Trecks. Sie erzählen aber auch von Solidarität und Hilfe durch die Bevölkerung, Anteilnahme der anderen Kinder und unverhofftem Wiedersehen mit tot geglaubten Vätern oder Müttern. Und sie berichten von dem zwiespältigen Glück, selbst überlebt zu haben, während viele andere den Tod fanden.
Das erste Buch über die dramatische Flucht jüdischer Kinder aus Deutschland nach Palästina
Authentisch, bewegend, schockierend: Fünf Zeitzeugen berichten, wie sie als Kinder über zwei Kontinente den Nazis entkommen konnten. Was sie erlebt und wie sie überlebt haben, schildert dieses außergewöhnliche Buch.
1942 erreicht ein Treck jüdischer Kinder Palästina, heimlich ins Land geschmuggelt von der Untergrundorganisation Haganah. Unter ihnen sind auch der elfjährige Josef Rosenbaum, Lydia Granoth, Rachel Gera, Uri Gefen und Avraham Nencel. Gemeinsam mit tausenden anderen jüdischen Kindern haben sie eine abenteuerliche Odyssee hinter sich. Seit 1938 waren sie auf der Flucht vor dem Terror der Nationalsozialisten. Teilweise ohne Eltern oder andere Verwandte schlugen sie sich von Deutschland über Polen und Sibirien bis in den Iran. Erst in Teheran nimmt sich die Haganah ihrer an und bringt sie über Indien und Ägypten ins Gelobte Land. Nur knapp tausend Kinder erreichen Palästina, wo viele bis heute geblieben sind.
Zum ersten Mal erzählen die Überlebenden die einzigartige Geschichte ihrer Odyssee. Sie berichten von Hunger, Kälte, Ungewissheit, Angst und dem Tod ihrer Familienangehörigen oder anderer Kinder des Trecks. Sie erzählen aber auch von Solidarität und Hilfe durch die Bevölkerung, Anteilnahme der anderen Kinder und unverhofftem Wiedersehen mit tot geglaubten Vätern oder Müttern. Und sie berichten von dem zwiespältigen Glück, selbst überlebt zu haben, während viele andere den Tod fanden.
Authentisch, bewegend, schockierend: Fünf Zeitzeugen berichten, wie sie als Kinder über zwei Kontinente den Nazis entkommen konnten. Was sie erlebt und wie sie überlebt haben, schildert dieses außergewöhnliche Buch.
1942 erreicht ein Treck jüdischer Kinder Palästina, heimlich ins Land geschmuggelt von der Untergrundorganisation Haganah. Unter ihnen sind auch der elfjährige Josef Rosenbaum, Lydia Granoth, Rachel Gera, Uri Gefen und Avraham Nencel. Gemeinsam mit tausenden anderen jüdischen Kindern haben sie eine abenteuerliche Odyssee hinter sich. Seit 1938 waren sie auf der Flucht vor dem Terror der Nationalsozialisten. Teilweise ohne Eltern oder andere Verwandte schlugen sie sich von Deutschland über Polen und Sibirien bis in den Iran. Erst in Teheran nimmt sich die Haganah ihrer an und bringt sie über Indien und Ägypten ins Gelobte Land. Nur knapp tausend Kinder erreichen Palästina, wo viele bis heute geblieben sind.
Zum ersten Mal erzählen die Überlebenden die einzigartige Geschichte ihrer Odyssee. Sie berichten von Hunger, Kälte, Ungewissheit, Angst und dem Tod ihrer Familienangehörigen oder anderer Kinder des Trecks. Sie erzählen aber auch von Solidarität und Hilfe durch die Bevölkerung, Anteilnahme der anderen Kinder und unverhofftem Wiedersehen mit tot geglaubten Vätern oder Müttern. Und sie berichten von dem zwiespältigen Glück, selbst überlebt zu haben, während viele andere den Tod fanden.
Lese-Probe zu „Die Odyssee der Kinder “
Die Odyssee der Kinder von Jutta VogelNach dem Überfall der Deutschen auf Russland: Frei – Aber wohin?
Josef: Auf sich allein gestellt
Josef und Nelly haben die Mutter verloren und sind nun ganz auf sich allein gestellt: »Niemand aus der Familie hat sich richtig um uns gekümmert. Mit neun Jahren kam ich mir vor wie 30 – es war eine sehr schwere Zeit für Nelly und mich.« Zu den Mahlzeiten im Lager – soweit man die kleinen Rationen als solche bezeichnen kann – geht er mit Nelly abwechselnd zu den Großeltern und zur Tante. Einmal sind sie nach dem Essen bei der Tante noch so hungrig, dass sie sich bei den Großeltern eine weitere Ration erschwindeln. Natürlich fliegt die Lüge rasch auf und bringt beiden Kindern eine ordentliche Tracht Prügel ein! »Es war für mich eine Lektion fürs Leben«, sagt Josef rückblickend. »Obwohl es für mich sehr schwer zu akzeptieren war, habe ich gelernt, dass man alles fürs Überleben tun muss und sich dabei aber keinesfalls erwischen lassen darf.«
Wenige Wochen nach dem Tod von Mutter Rosenbaum werden die Lagerinsassen entlassen. Wieder geht es auf eine lange Zugfahrt, tagelang dauert der Transport und wird nur von ganz kurzen Stopps unterbrochen. Beim ersten längeren Halt fragt Josef, der die Schriftzeichen am Bahnhof nicht lesen kann: »Wo sind wir denn jetzt eigentlich?« Der Sammeltransport ist in Taschkent angekommen, seit 1930 Hauptstadt der Sowjetrepublik Usbekistan und mehr als 4000 Kilometer südöstlich von Archangelsk gelegen. Josef erinnert sich bis heute:
»Die Stadt war übervölkert von Tausenden, vielleicht Hunderttausenden Menschen. Es war ein Gedränge, dass man kaum stehen konnte – Menschen, Menschen, Menschen – wohin das Auge sah.« Für Josefs erwachsene Verwandte ist
... mehr
schnell klar: Hier können wir nicht bleiben. Die Gruppe macht sich auf eigene Faust auf den Weg. Ausgelaugt, hungrig und verzweifelt schleppen sie sich bis nach Türkistan, im südlichsten Teil Kasachstans und etwa 300 Kilometer von Taschkent entfernt. Vorübergehend richten sie sich in der Kolchose Kaganowitsch in der Nähe der Stadt ein. Ihre Situation wird nicht leichter: Die Bauern der Kolchose lehnen die Flüchtlinge ab – die Zeiten sind hart, warum sollen sie von dem wenigen, was sie selbst haben, noch an Fremde abgeben? So bekommen die Flüchtenden nicht einmal Brot, nur Getreidekörner überlässt man ihnen. Josef, für Nelly ganz allein verantwortlich, wird erfinderisch. Zwischen zwei großen Steinen zermahlt er das Getreide, setzt es dann mit Wasser zu einer »Suppe« an. Wenn Josef irgendwo etwas Essbares stehlen kann, greift er ohne Skrupel zu. Er bettelt gemeinsam mit Nelly und er wühlt im Müll – für jedes verdorbene Restchen Nahrung ist er dankbar und glücklich, auch wenn beide Kinder inzwischen von Krankheiten ausgezehrt sind. »Typhus grassierte und jeder von uns hatte Durchfall.« Nachts nimmt Josef Nelly fest in den Arm und hofft, ihrem kleinen, knochigen Körper ein wenig Wärme abgeben zu können. Eines Nachts weckt Nelly ihn: »Josef, ich hab solchen Hunger. Wir haben doch noch ein Stück hartes Brot …« Vor Entkräftung ist ihr leises Stimmchen kaum noch zu verstehen. Ihr Flehen bricht Josef fast das Herz, aber er zwingt sich zur Vernunft: »Wenn Du jetzt das Brot isst, Nelly, werden wir morgen den ganzen Tag hungern. Warum schläfst Du nicht einfach noch ein bisschen? Jetzt ist ja noch tiefe Nacht, aber gleich morgen früh koche ich Dir etwas.« Seufzend kuschelt sich die kleine Nelly an den großen Bruder, sie schläft ein… und am nächsten Morgen findet Josef seine Schwester leblos auf dem kalten Lager in der Baracke. »Sie ist nie mehr aufgewacht, sie war tot.« Verzweifelt wirft sich Josef auf den toten Körper, schluchzend fleht er wieder und wieder vergeblich: »Nelly, wach doch auf, bitte, Nelly! Nelly!« Trauer und Schuldgefühle drohen ihn zu zerreißen. Seine Einsamkeit ist unendlich. Von den Erwachsenen ist niemand in der Lage, den unter Schock stehenden Zehnjährigen aufzufangen und zu trösten. Vielmehr beraten sie leise, wie man den Leichnam unbeobachtet von den Bauern der Kolchose beseitigen kann, um die Getreideration nicht zu verlieren. »Sie haben sie nicht beerdigt, sondern haben sie einfach irgendwo weggeworfen. Und irgendjemand hat danach ihre wenigen Getreidekörner bekommen.«
Seine Mutter ist tot, Nelly ist tot. Der Vater ist im fernen Amerika unerreichbar und Josef kennt nicht einmal seine Adresse. Die große Schwester Ines lebt vielleicht noch beim Onkel in Belgien, aber wer kann das wissen? Josef Rosenbaum steht mit seinen zehn Jahren ganz allein da. Und er weiß nicht, wie viel Hilfe er von Familienangehörigen noch erwarten darf, denn kurz nacheinander sterben zuerst die Großeltern und dann auch Tante Jettchen. Die anderen verlassen fluchtartig die Kolchose: Sie wollen sich in der Stadt durchschlagen und ihnen Hilfe bringen, sagen sie. Allein mit einem Onkel bleibt Josef zurück und beide vegetieren nur noch mut- und kraftlos durch die Tage. »Ich war sicher, dass die anderen niemals wiederkommen werden. Aber eines Tages kamen sie doch und holten uns ab.« Für den Onkel kommt jede Hilfe zu spät, er stirbt wenig später, aber Josef wird in ein Hospital in Türkistan gebracht, wo er seit Ewigkeiten endlich wieder einmal in einem Bett schlafen kann und für damalige Verhältnisse sogar anständig ernährt wird. Medikamente, Schlaf, Essen… er erholt sich so schnell, dass ihm der Arzt bald seine Entlassung ankündigt. Aber er will doch gar nicht fort von hier, wo er sich endlich wieder einmal geborgen und sicher fühlt! »Ich will noch bleiben«, vertraut er im Flüsterton den Jungen an, mit denen er das Krankenzimmer teilt und die inzwischen zu seinen Freunden geworden sind. »Hat einer eine Idee, wie ich das anstellen kann?« Die Jungen mischen ihm ein Gebräu, das er zügig trinkt: »Danach wird Dir zwar todschlecht, aber Du kannst bestimmt noch bleiben!« Josef ahnt nicht, dass er unter anderem aufgelöste Zigarettenasche zu sich nimmt und an dieser Mixtur hätte sterben können. Aber er hat einen Schutzengel, der ihm tatsächlich nur fürchterliche Bauchkrämpfe mit hohem Fieber und den Ärzten einen völlig unerklärlichen Rückfall beschert. Weitere Tage in der wohltuenden Pflege des Krankenhauses sind ihm sicher!
Rachel: Die Mutter wird kleiner und kleiner…
Wie viele dieser heimatlosen Menschen schließt sich auch Judit Steinberg mit ihrer Tochter dem nicht endenden Flüchtlingsstrom gen Süden an, als sie das russische Arbeitslager verlassen darf. Nur weg von den Deutschen, die sie jetzt auch in Russland bedrohen und mit ihrem Vernichtungsfeldzug immer näher rücken. Die beiden landen in Taschkent, wo sie in einem der typischen Lehmhäuser bei einer Bauersfrau unterkommen. Wie auch Josefs Angehörige hat Judit Steinberg in den letzten Wochen viel von Taschkent gehört – vor allem das angenehme Klima mit einem Jahresmittelwert von 13,5 Grad Celsius hat sich nach den mörderischen Temperaturen in Sibirien unter den Flüchtlingen schnell herumgesprochen. Jetzt, wo der Herbst näher kommt, fühlt Judit Steinberg sich in einer Region sicherer, wo das Thermometer nur selten unter die Null-Grad-Grenze fällt. Tüchtig, wie sie ist, macht sie sich bald mit Näharbeiten nützlich und arbeitet fast ohne Pause, um bei den Bauersfrauen ringsum ein paar Lebensmittel zu verdienen. Rachel will der Mutter helfen: Sie sammelt die ersten trockenen Blätter, die der Herbstwind von den Bäumen geweht hat, und rollt sie zu »Tabak «, so wie sie es bei den Männern ringsum beobachtet hat.
Dann nimmt sie allen Mut zusammen und spricht auf der Straße einen russischen Soldaten an: »Ich habe hier sehr guten Tabak! Möchten Sie ihn kaufen?« Hat sich der Soldat tatsächlich vom Herbstlaub täuschen lassen? Oder will er dem blonden Mädchen eine Freude machen, indem er zum Schein auf ihren Schwindel hereinfällt? Rachel hat es nie erfahren, denn sobald er ihr ein paar Münzen in die Hand gedrückt hat, rennt sie um ihr Leben: »Ich hatte furchtbare Angst, dass er mich erschießt, sobald er feststellt, dass ich ihm Blätter verkauft habe.« Tagelang hält sie sich in der kleinen Lehmhütte versteckt, bei jedem Geräusch fährt sie zusammen…
Bei aller Tüchtigkeit und allem Erfindungsreichtum: Die Kraft der Flüchtlinge lässt mehr und mehr nach. Plötzlich bricht Rachels Mutter zusammen, wird von mitleidigen Menschen ins nächstgelegene Krankenhaus geschafft. Mit einer schweren Hepatitis ist sie zehn Tage ans Bett gefesselt und dem Tod näher als dem Leben. Rachel verlässt die Mutter in dieser Zeit nicht einen einzigen Moment, zum Schlafen rollt sie sich unter ihrem Krankenbett zusammen. Das Pflegepersonal und die Ärzte sind gerührt von der Sorge des Kindes um die kranke Mutter und sorgen dafür, dass Rachel pro Tag mindestens einen Teller Suppe und ein Stück Brot bekommt. Wenn sie ihr die Mahlzeit geben, spielt Rachel ihnen genussvollen Heißhunger vor: »Aber sobald sie aus dem Zimmer waren, habe ich meine Mutter damit gefüttert – sie sollte schließlich so schnell wie möglich wieder gesund werden!« Obwohl durch die schwere Krankheit gezeichnet, schafft Rachels Mutter es, sich und ihr Kind erneut durch einen Winter zu bringen. Sie nimmt jede Arbeit an, die sie kriegen kann, sie teilt die wenigen Lebensmittel, die sie ergattern kann, strengstens ein, gönnt sich keine Ruhepause… Mit gnadenloser Selbstdisziplin sichert sie ihrem Kind und sich selbst das Überleben. Aber der Kampf zehrt an ihren Kräften und ihren Nerven und fordert schließlich seinen Tribut.
Seit Wochen schon quält sich Judit Steinberg mit der Furcht, wie lange sie wohl noch für Rachels Sicherheit sorgen kann. Sie ist spürbar angeschlagen, das muss sie sich eingestehen. Was, wenn die nächste Krankheit nicht so glimpflich verläuft? Wenn sie kein gutes Ende nimmt? Wer soll dann für Rachel sorgen und sie zum Vater nach Palästina bringen? Zwar trifft sie tagtäglich unzählige Frauen in ähnlicher Situation – Frauen, die aus den unterschiedlichsten Gründen unterwegs sind und schwer an der Verantwortung für ihre Kinder tragen. Trotzdem schließt man in diesen Tagen nur schwer eine Freundschaft, die so tief geht, dass man sein Kind bei einem fremden Menschen gut aufgehoben wüsste, wenn die eigenen Stunden gezählt sind.
© Eichborn Verlag
Seine Mutter ist tot, Nelly ist tot. Der Vater ist im fernen Amerika unerreichbar und Josef kennt nicht einmal seine Adresse. Die große Schwester Ines lebt vielleicht noch beim Onkel in Belgien, aber wer kann das wissen? Josef Rosenbaum steht mit seinen zehn Jahren ganz allein da. Und er weiß nicht, wie viel Hilfe er von Familienangehörigen noch erwarten darf, denn kurz nacheinander sterben zuerst die Großeltern und dann auch Tante Jettchen. Die anderen verlassen fluchtartig die Kolchose: Sie wollen sich in der Stadt durchschlagen und ihnen Hilfe bringen, sagen sie. Allein mit einem Onkel bleibt Josef zurück und beide vegetieren nur noch mut- und kraftlos durch die Tage. »Ich war sicher, dass die anderen niemals wiederkommen werden. Aber eines Tages kamen sie doch und holten uns ab.« Für den Onkel kommt jede Hilfe zu spät, er stirbt wenig später, aber Josef wird in ein Hospital in Türkistan gebracht, wo er seit Ewigkeiten endlich wieder einmal in einem Bett schlafen kann und für damalige Verhältnisse sogar anständig ernährt wird. Medikamente, Schlaf, Essen… er erholt sich so schnell, dass ihm der Arzt bald seine Entlassung ankündigt. Aber er will doch gar nicht fort von hier, wo er sich endlich wieder einmal geborgen und sicher fühlt! »Ich will noch bleiben«, vertraut er im Flüsterton den Jungen an, mit denen er das Krankenzimmer teilt und die inzwischen zu seinen Freunden geworden sind. »Hat einer eine Idee, wie ich das anstellen kann?« Die Jungen mischen ihm ein Gebräu, das er zügig trinkt: »Danach wird Dir zwar todschlecht, aber Du kannst bestimmt noch bleiben!« Josef ahnt nicht, dass er unter anderem aufgelöste Zigarettenasche zu sich nimmt und an dieser Mixtur hätte sterben können. Aber er hat einen Schutzengel, der ihm tatsächlich nur fürchterliche Bauchkrämpfe mit hohem Fieber und den Ärzten einen völlig unerklärlichen Rückfall beschert. Weitere Tage in der wohltuenden Pflege des Krankenhauses sind ihm sicher!
Rachel: Die Mutter wird kleiner und kleiner…
Wie viele dieser heimatlosen Menschen schließt sich auch Judit Steinberg mit ihrer Tochter dem nicht endenden Flüchtlingsstrom gen Süden an, als sie das russische Arbeitslager verlassen darf. Nur weg von den Deutschen, die sie jetzt auch in Russland bedrohen und mit ihrem Vernichtungsfeldzug immer näher rücken. Die beiden landen in Taschkent, wo sie in einem der typischen Lehmhäuser bei einer Bauersfrau unterkommen. Wie auch Josefs Angehörige hat Judit Steinberg in den letzten Wochen viel von Taschkent gehört – vor allem das angenehme Klima mit einem Jahresmittelwert von 13,5 Grad Celsius hat sich nach den mörderischen Temperaturen in Sibirien unter den Flüchtlingen schnell herumgesprochen. Jetzt, wo der Herbst näher kommt, fühlt Judit Steinberg sich in einer Region sicherer, wo das Thermometer nur selten unter die Null-Grad-Grenze fällt. Tüchtig, wie sie ist, macht sie sich bald mit Näharbeiten nützlich und arbeitet fast ohne Pause, um bei den Bauersfrauen ringsum ein paar Lebensmittel zu verdienen. Rachel will der Mutter helfen: Sie sammelt die ersten trockenen Blätter, die der Herbstwind von den Bäumen geweht hat, und rollt sie zu »Tabak «, so wie sie es bei den Männern ringsum beobachtet hat.
Dann nimmt sie allen Mut zusammen und spricht auf der Straße einen russischen Soldaten an: »Ich habe hier sehr guten Tabak! Möchten Sie ihn kaufen?« Hat sich der Soldat tatsächlich vom Herbstlaub täuschen lassen? Oder will er dem blonden Mädchen eine Freude machen, indem er zum Schein auf ihren Schwindel hereinfällt? Rachel hat es nie erfahren, denn sobald er ihr ein paar Münzen in die Hand gedrückt hat, rennt sie um ihr Leben: »Ich hatte furchtbare Angst, dass er mich erschießt, sobald er feststellt, dass ich ihm Blätter verkauft habe.« Tagelang hält sie sich in der kleinen Lehmhütte versteckt, bei jedem Geräusch fährt sie zusammen…
Bei aller Tüchtigkeit und allem Erfindungsreichtum: Die Kraft der Flüchtlinge lässt mehr und mehr nach. Plötzlich bricht Rachels Mutter zusammen, wird von mitleidigen Menschen ins nächstgelegene Krankenhaus geschafft. Mit einer schweren Hepatitis ist sie zehn Tage ans Bett gefesselt und dem Tod näher als dem Leben. Rachel verlässt die Mutter in dieser Zeit nicht einen einzigen Moment, zum Schlafen rollt sie sich unter ihrem Krankenbett zusammen. Das Pflegepersonal und die Ärzte sind gerührt von der Sorge des Kindes um die kranke Mutter und sorgen dafür, dass Rachel pro Tag mindestens einen Teller Suppe und ein Stück Brot bekommt. Wenn sie ihr die Mahlzeit geben, spielt Rachel ihnen genussvollen Heißhunger vor: »Aber sobald sie aus dem Zimmer waren, habe ich meine Mutter damit gefüttert – sie sollte schließlich so schnell wie möglich wieder gesund werden!« Obwohl durch die schwere Krankheit gezeichnet, schafft Rachels Mutter es, sich und ihr Kind erneut durch einen Winter zu bringen. Sie nimmt jede Arbeit an, die sie kriegen kann, sie teilt die wenigen Lebensmittel, die sie ergattern kann, strengstens ein, gönnt sich keine Ruhepause… Mit gnadenloser Selbstdisziplin sichert sie ihrem Kind und sich selbst das Überleben. Aber der Kampf zehrt an ihren Kräften und ihren Nerven und fordert schließlich seinen Tribut.
Seit Wochen schon quält sich Judit Steinberg mit der Furcht, wie lange sie wohl noch für Rachels Sicherheit sorgen kann. Sie ist spürbar angeschlagen, das muss sie sich eingestehen. Was, wenn die nächste Krankheit nicht so glimpflich verläuft? Wenn sie kein gutes Ende nimmt? Wer soll dann für Rachel sorgen und sie zum Vater nach Palästina bringen? Zwar trifft sie tagtäglich unzählige Frauen in ähnlicher Situation – Frauen, die aus den unterschiedlichsten Gründen unterwegs sind und schwer an der Verantwortung für ihre Kinder tragen. Trotzdem schließt man in diesen Tagen nur schwer eine Freundschaft, die so tief geht, dass man sein Kind bei einem fremden Menschen gut aufgehoben wüsste, wenn die eigenen Stunden gezählt sind.
© Eichborn Verlag
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Bibliographische Angaben
- Autor: Jutta Vogel
- 2008, 217 Seiten, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Eichborn
- ISBN-10: 3821873140
- ISBN-13: 9783821873145
Rezension zu „Die Odyssee der Kinder “
'Die Berliner Autorin Jutta Vogel hat das Martyrium der Kinder jetzt aus der Vergangenheit und dem Vergessen geholt. Ein intensives Buch ...“ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Rolf Potthoff, 13. Oktober 2008) 'Die Dokumentarfilmerin Jutta Vogel hat ein erfreulich leicht zugängliches Buch geschrieben, das insbesondere auch für junge Leser und für die Schullektüre geeignet erscheint, da hier ein packendes, kollektives Abenteuer menschlichen Überlebens unter schwierigsten Bedingungen auf sehr umsichtige und verantwortungsvolle, ja mutmachende Art und Weise in seinen historischen Zusammenhang eingeordnet wird.“ (Jüdische Zeitung, Florian Hunger, November 2008) 'Fünf exemplarische Lebensgeschichten werden in diesem Buch erzählt: Sie machen den Leser staunen über den Mut und die Kraft dieser Kinder.“ (tachles, Esther Müller, 24. Oktober 2008)
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