Die Sterndeuterin
Die Sterndeuterin von Peter Dempf
LESEPROBE
Katrinhatte den jungen Burschen längst bemerkt, der sich in der Märzsonne vor demHaus ihres Vaters herumdrückte. Sie strich ihr Horoskopblatt glatt, das sie fürdiese Woche errechnet hatte: Mars und Jupiter standen im Quadranten und verhießengrößere Spannungen.
Durchdie Lamellen der Fensteröffnung spitzelte sie nach draußen und beobachtete, wiesich der Blondschopf mit den leuchtend blauen Augen dem Haus näherte, amKlingelzug vorbeistrich. Dann fuhr er mit der Handüber dessen Kugelgriff, betrachtete ihn verstohlenund zog doch nicht daran.
Alswollte er dessen Temperatur spüren, strich er abermals mit den Fingerspitzendarüber, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand ihn beobachtete, undrichtete sich schließlich auf.
Katrinlächelte. Mit dieser Spannung wäre sie zufrieden. Sie warf einen flüchtigenBlick auf ihre Zeichnung. Venus störte in diesem Bild und brachte eineunbestimmte Unruhe hinein. Rasch wechselte der Junge die Straßenseite, gingzwei Häuser weiter, blieb stehen, machte kehrt und kam auf der gegenüber liegendenSeite zurück. Er schielte erneut zu ihnen hinüber. Katrin hätte am liebstenlaut losgelacht und den Burschen gehänselt, wenn nicht etwas an ihm gewesenwäre, das sie gleichzeitig beunruhigte. Er war kein Augsburger, das warunschwer an der Kleidung zu erkennen. Ein Geselle auf Walz vermutlich, ein Zünftling, der bei ihrem Vater Brot und Übernachtung er- bittenwollte. Die Unsicherheit des Jungen war dennoch nicht die der üblichenGesellen, wenn sie vor der Türschwelle standen. Etwas Lauerndes schwang in derArt mit, mit der er wohl zehnmal auf und ab lief und das Haus in Augenscheinnahm, als suche er darin etwas.
Katrinbeschloss, dem Spiel ein Ende zu bereiten. Dies war kein Haus, das manausspionierte, sondern die Werkstatt eines ehrbaren Instrumentenbauers.Außerdem konnte Mars im aufsteigenden neunten Haus ja auch bedeuten, dass siedie Dinge in die Hand nehmen musste.
Sielegte die Wäsche, die sie falten musste, aus der Hand und band sich ein Tuch umden Kopf, während sie die Treppe hinabeilte und vor die Tür trat. In der engenHäuserschlucht war es heller als im Haus, sodass sie kurz die Augen schließenmusste. Als sie sich an das Licht gewöhnt hatte, das aus Süden direkt in dieZeile einfiel, war der Junge verschwunden.
Siesah die Straße hinauf und hinunter, konnte den blonden Lockenkopf jedochnirgends mehr entdecken. Missgestimmt zog Katrin die Stirn kraus. Wo hatte sichder Kerl versteckt? Katrin ging die beiden Stufen zur Straße hinab und wandte sichnach rechts. Sie hätte gern gesehen, ob die Ebenmäßigkeit seiner Gesichtszügeder Wirklichkeit entsprach oder ob die Entfernung täuschte. Wie oft war sieschon vom garstigen Aussehen der Gesellen enttäuscht gewesen.
»SuchtIhr mich, Jungfer?«
Wieaus dem Boden gewachsen stand der Geselle plötzlich vor ihr. Katrin machteeinen Sprung zurück, weil sie sonst unweigerlich mit ihm zusammengestoßen wäre.Dabei knickte sie um und strauchelte. Eine kräftige Hand packte zu undverhinderte, dass sie in die Gosse fiel.
»Ähja. Nein. Ich meine Danke. Entschuldigt.«
Katrinstotterte vor sich hin, während der Jüngling weiter ihren Arm gefasst hielt,bis sie wieder ihr Gleichgewicht gefunden hatte. Jetzt erst wurde ihr bewusst,was geschehen war.
»Wasfällt Euch ein, so vor mir aufzutauchen, dass ich mich beinahe zu Todeerschrecke?«, fauchte sie. »Lasst endlich los!«
Siebefreite sich mit einer ungestümen Handbewegung von ihm, was ihr sofort leidtat. Schließlich hatte er ihr geholfen. Der Geselleignorierte ihren Wutausbruch.
»Ihrbeobachtet mich schon eine ganze Weile, Jungfer. Und ich frage mich, warum.Weil ich ein Fremder bin?«
Unwillkürlichnickte Katrin. Ihr gefiel die Art, wie der Junge sprach. Es klang weich undmelodisch. Allerdings hörte man deutlich, dass er nicht aus der Gegend stammte.Trotzdem verstand sie beinahe alles, was er sagte.
»Fremdesind Feinde. Man kann nicht vorsichtig genug sein, wenn man ihnen begegnet.«
Jetztlachte der Junge kehlig und wirkte dadurch reifer, als sie gedacht hatte,beinahe erwachsen. In seinem Lachen lagen Erfahrung und Weltklugheit.
»Dannmüssen wir die Fremdheit überwinden. Am besten beginne ich damit, denn ich binhier der Eindringling. Ich bin Florint.« Er streckte ihr seine Hand entgegen, die fein geschnittenund doch kräftig war. »Aus Straßburg. Geselle auf Wanderschaft undInstrumentenbauer.«
»WiePapa!«, sagte Katrin und hielt sich sofort die Handvor den Mund. Sie war zu rasch mit ihrem Mundwerk. Vorsichtig, als berührte sieeine Ofenplatte und wollte testen, ob sie heiß sei, schlug sie in diedargebotene Hand ein.
»Jetztmüsst Ihr mir nur noch sagen, wir Ihr heißt. Das gehört sich so«, grinste Florint sie an.
»Ka-Katrin«, stotterte Katrin, die völlig überrascht war undsich für einen Augenblick ganz vom Zauber seiner weichen Stimme einhüllen ließ.
»Gut«,antwortete er. »Damit wäre das geklärt. Jetzt seid ehrlich zu mir: Ist dies dieWerkstatt Meister Buschmanns?«
Katrin,der plötzlich bewusst wurde, dass sich der Geselle nicht für sie, sondern fürihren Vater interessierte, öffnete be- reits den Mundfür eine spöttische Erwiderung, doch der Ausdruck auf dem Gesicht des Jungenverhinderte dies. Es war ein gespieltes oberflächliches Interesse, dochdahinter lauerte eine gewisse Spannung.
»Waswollt Ihr von Meister Buschmann?«
DieFrage stellte sie, ohne darüber nachgedacht zu haben. Ihre Gedanken gingen ineine ganz andere Richtung. Sie wollte ihn einen Spioniererheißen, einen Herumschleicher, doch sie brachte dieWorte nicht auf die Zunge. Diese war wie gelähmt für ihren Spott.
»Ichwill ich will mich bei ihm verdingen. Als Geselle«, antwortete der Junge.»Wenn er einen braucht.«
Dabeisah er sie auf so eine durchdringende Art an, dass ihr unheimlich zumute wurde.Sein helles Gesicht leuchtete geradezu, und Falschheit und Verschlagenheitkonnte sie in seinen Augen auch nicht finden, eher eine Art Schleier, der sich währendihrer Musterung über seinen Blick legte, als verberge er etwas darunter.
»KönntIhr für mich ein gutes Wort bei ihm einlegen?«
Katrinzuckte unter dem Satz zusammen. Etwas stimmte nicht mit diesem Gesellen. Ermeinte es nicht ehrlich, so viel spürte sie - und doch log er wieder nicht. Erschwindelte oder versuchte zumindest, die Wahrheit hinter seinen Worten zu verbergen,das spürte sie mit aller Macht ihrer weiblichen Intuition. Dabei lehnte er sichbetont lässig gegen die Hauswand und spielte mit der Holzkugel des Klingelzugs,ließ seine Hand darübergleiten, als prüfe er sie.
Dennochnickte sie und sagte: »Das müsst Ihr meinen Vater schon selbst fragen.«
»Dannfrage ich ihn«, sagte der Fremde kurz entschlossen, fasste sie bei denSchultern und drehte sie in Richtung Hauseingang. »Weist Ihr mir den Weg,Jungfer Katrin!«
Katrinwollte so nicht behandelt werden, doch das schöne Gesicht und der angenehmefremde Ton in der Stimme des Gesel- len ließen eine Widerrede nichtzu. Sie griff nach seiner Hand und zog ihn hinter sich her ins Haus.
Katringing in den dunklen Flur voraus, der nach hinten zur Werkstatt führte. DieArbeitsstätte des Vaters lag über dem Hof auf der anderen Seite. So trat Katrinlinks in den Tordurchgang hinaus, weil sie ihn nicht durch die Wohnstube führenwollte, und sie gelangten in den Innenhof, der von drei Wänden umstanden warund nach hinten in einen Garten hinauslief, an dessen Ende eine mannshohe Mauerdas Grundstück zum Nachbarn hin abschloss.
Währendsie noch im Halbdunkel der Durchfahrt standen, trat Meister Buschmann mit einemMann auf den Hof hinaus. Katrin blieb unwillkürlich stehen. Sie wollte nicht,dass der Geselle die Kunden seines Meisters bereits jetzt kennen lernte. Wassie nicht verhindern konnte, war, dass er das Gespräch mithörte.
»Ichsagte es Euch doch, Gaßner, ich habe das Dokumentnicht. Der Kerl hat es mitgenommen!«
DerMann in einem Mantel mit dichtem Pelzbesatz um den Hals und auf der Brust riebsich mit dem abgewinkelten Zeigefinger die Nase und zuckte schließlich mit denSchultern.
»Wennich wüsste, wie weit Ihr seid, Meister Buschmann, wäre mir wohler. Mit dieserMaschine, meine ich diesem ach, ich weiß nicht was.«
»Oh«,nickte Buschmann und legte den Arm um die Schulter des Mannes. »Ein Ich-weiß-nicht-was ist eine gute Umschreibung dessen, wassich darin an Zahnrädern und Scheiben tummelt, Gaßner.«
Gaßner holte tief Atem und gab sich einen Ruck.
»Ichdachte mir nun, Ihr seid ein vorzüglicher Handwerker « Er räusperte sich.
» kurz und gut«, ergänzte Meister Buschmann unbeeindruckt, »Ihr zahlt mir eineerkleckliche Summe dafür, dass ich Euch dieses Gerät baue. Aber ich kann keineWunder vollbringen.« Der Handwerker senkte die Stimme.»Vor allem seit dieser Kerl auf und davon ist.«
»Wunderverlange ich nicht. Aber die Signoria wird ungeduldig.«
»Dieoder Ihr, Gaßner?«, spotteteMeister Buschmann. »Ihr Kaufleute habt keine Ahnung.«
Aufder Stirn des Mannes, den Buschmann Gaßner genannt hatte,hatten sich Schweißperlen gebildet. Mit der flachen Hand wischte er sie fort.
DerInstrumentenbauer hatte den Mann nach hinten in den Garten geführt. ZurHofgrenze hin tummelten sich drei Ziegen in einem Gatter. Kurz davor lehnteeine Leiter. Jetzt nahm er die Leiter von der Wand und ließ den Kaufmann übersie weg in den Nachbarhof hinüberklettern. Katrin wunderte sich über diesesungewöhnliche Verhalten nicht, wusste sie doch, dass sich so mancher Kundeallein aus Angst vor der Inquisition nicht gern hier blicken ließ. Bevor derKopf des Kaufherrn hinter der Mauer verschwunden war, ergriff dieser nocheinmal das Wort.
»Nochmehr Geld? Ihr habt doch schon « »Handelt nicht!«,polterte Buschmann. »Es ist schwierig genug, die Dominikanerbrut aus allemherauszuhalten.« Gaßnerräusperte sich, lächelte, wurde wieder ernst und sagte dann: »Das leidige Geld.Nun ja Ihr bekommt es.« Jetzt lachte MeisterBuschmann spöttisch. »Ich kenne euch Krämer! Um jeden Pfennig muss manfeilschen.« Mittlerweile war der Kaufmann hinter derMauer verschwunden. Buschmann wurde ernst und stieg drei Stufen der Leiter empor.»Kein Geld, keine Maschine«, rief er dem Mann nach, der bereits im Nachbarhofverschwunden war. Meister Buschmann lachte, als er von der Leiter herabstiegund sie wieder zurückstellte. Jetzt erst trat Katrin, Florinthinter sich her führend, aus der Toreinfahrt heraus.
©Verlagsgruppe Lübbe
- Autor: Peter Dempf
- 2007, 479 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3785715919
- ISBN-13: 9783785715918
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