Die Straße nach Cape Breton
Hierhin kehrt Innis Corbett zurück, ein junger Mann, der wegen einer Serie von Autodiebstählen in Boston nach...
Hierhin kehrt Innis Corbett zurück, ein junger Mann, der wegen einer Serie von Autodiebstählen in Boston nach Kanada, seinem Geburtsland, ausgewiesen wird. Sein Onkel Starr, ein wortkarger Mann, der in einem kleinen Nest Fernseher repariert und allein in einem Haus voller Erinnerungsstücke lebt, ist nicht gerade erbaut von dieser Einquartierung.
Innis sucht Zuflucht in den undurchdringlichen Wäldern: An einem versteckten Ort legt er eine Marihuana-Pflanzung und hofft mit dem Gewinn irgendwo im Westen neu anfangen zu können. Doch dann taucht Claire auf, eine attraktive Frau Ende Dreißig, die ebenfalls in Cape Breton gestrandet ist.
Eine perfekte Mischung aus ''Erotik, Schuld und unterkühlter Spannung''.
Scott Turow
Die Straße nach Cape Breton von D.R. MacDonald
LESEPROBE
Die Überlandleitung durchschnitt denbewaldeten Kamm wie eine Feuerschneise, und Innisfand ihn jetzt ohne weiteres, seinen geheimen Weg, konnte sich über die Grenzeseines Onkels weit hinauswagen und hier im Oberland anderer Leute Wälderungesehen durchqueren, auch nach unten abschweifen, wenn ihm etwas ins Augefiel. Der Nachmittag wurde unter dem gemächlich fallenden Schnee immer kälter,und Innis fing sich auf der Zunge eine Daunenflockemit ihrem kühlen Geschmack. In der einen Hand trug er lässig eine Spannsäge,in der anderen hielt er seinen Wanderstock, der Wechten von Zweigen schlug, ihmtiefen Schnee zeigte, dünnes Eis, Wasser, das nur zu hören, aber nicht zu sehenwar, und wenn er merkte, dass der Stock weg war, ging er gebückt zurück, bis erentdeckte, wo er ihn vergessen hatte - abgelenkt von etwas, das er untersuchenwollte, Spuren, ein Dickicht, ein Loch im Schnee, das ihm sagte, hier haust einTier. Drüben im Wald seines Onkels hatte er junge Fichten gerodet und eineLichtung angelegt, oberhalb der Stromleitung, eine Stelle, die er sich imHerbst für seine eigenen Sämlinge ausgesucht hatte. Starr ging sowieso nie mehrin den Wald hoch, würde gar nicht merken, was da lief. Die Sommersonne auf derLichtung reichte bestimmt für das, was Innisvorhatte. Und das brachte ihn dann im Herbst endlich von hier weg, obwohl es imMoment schwer fiel, sich vorzustellen, wie die Marias in der Sonne wogten.
Seine Fußstapfen füllten sich so rasch, dass er kaumerkennen konnte, wie er sich an der Schneise entlanggeschlängelthatte. Er mochte es, wenn seine Stapfen sich hinunter zu den Bäumen verloren,dann wieder auftauchten, eine Schlangenlinie, der vielleicht jemand folgte, umherauszubekommen, was für ein Geschöpf am Ende solcher Spuren sein mochte, überihm schwangen sich zwei weit auseinander hängende Stromkabel in einereleganten Kurve zu einem hölzernen Mast auf der nächsten Anhöhe undverschwanden dann in der schneegrauen Luft. Wenn er der Überlandleitung indieser Richtung folgte, ungefähr eine Stunde lang nach Osten, konnte er es zum Trans-Canada-Highway schaffen und ein Auto oder einenSattelschlepper anhalten wie im vergangenen Oktober. In diesem Teil der Weltfuhren die Leute noch per Anhalter, sogar Frauen. Aber er war noch nicht soweit. Zwar war er kein Gefängnisinsasse, außer in seinen eigenen Augen, aber erwusste jetzt, die Fahrt nach draußen dauerte lange, immer in Richtung Westen.Er hatte noch nicht den Mumm, sich in diesem Land ganz allein auf den Weg zumachen, obwohl er das Starr gegenüber nie zugeben würde, nicht eine Sekundelang. Wenn er sich früher nach etwas gesehnt hatte, dann danach, wieder in denStraßen von Watertown zu sein, oder besser noch indenen von Boston, aber diese Stadt, das ganze Land da unten war ihm jetztverschlossen, verboten - ein Schmerz, von dem er an manchen Tagen aufwachtewie von einer Quetschung in der Brust. Mit etwas Kohle in der Tasche, sagte ersich immer wieder, würde er sich vielleicht nach Montreal oder Toronto durchfinden,sogar bis nach Vancouver, Städte, die groß genug waren, um dort von vornanzufangen. Aber gestern Abend, als er sich eine Karte in Starrsaltem Atlas angesehen hatte, war er von Kanadas ungeheurer Größe entmutigtworden, verloren in den unendlichen Weiten, ohne Halt und ohne Freunde, einNiemand.
Jetzt wirbelte dichter Schnee herab, nahmihm die Sicht im grauen Licht, und er hatte diese beinharte Jahreszeitgründlich satt. Ein Hass auf North St. Aubin packteihn so stark, dass er fast auf die Knie fiel. Ringsherum nichts als Fichten,wohin man auch sah, ansonsten ein einziger kleiner Laden mit einer Zapfsäule.Der März in Watertown konnte scheußlich sein, sicher,aber der Winter biss sich nicht so fest wie hier. In diesen Wäldern solltenMarihuanapflanzen gedeihen? Hirnverbrannt. In der breiten Waldmauer unterhalbsah er ein paar andere Nadelbäume, stattlicher, dichter, und als er nach einemZweig griff, den Schnee herunterschüttelte und die langen Nadeln in die Handnahm, die sich anfühlten wie raues Fell, wusste er, das war eine Kiefer, undzwar eine Föhre. Ein sanfter Windstoß rauschte durch ihre Zweige, ein Geräusch,das er in den anderen Nadelbäumen nie gehört hatte. Auf all seinen Wanderungenwar er nur auf eine einzige Kiefer gestoßen, eine inmitten von Fichtenversteckte Weymouthskiefer, so alt, dass ihre Kronenicht zu sehen war. Weihnachtsgeschenke hatten diesen Geruch an sich gehabt,als er noch klein war und seine Mutter ihn drängte, sie aufzureißen, wo ersich doch solche Mühe gab, das schöne Papier zu bewahren, ach, weg damit,kommt nicht drauf an, sagte sie dann, aber er mochte die Figuren auf demEinwickelpapier, die Muster. Sie hatten Weihnachten nicht gefeiert, er und seinOnkel, Starr sagte, das wäre Gefühlsduselei, der ganze sentimentale Kram, undverbrachte Weihnachten Tag und Nacht in Sydney mit einer Frau, kümmerte sichgar nicht um seinen bei ihm einquartierten Neffen. Innis'Mutter hatte zu Weihnachten immer eine Föhre haben wollen. Wie wär's mit diesemFünf-Meter-Baum, Mom? Ich schick ihn dir, du kannstihn dir fürs nächste Jahr aufheben, ich werd nicht da sein, um ihn die Trepperaufzuschleppen, aber das kann ja dein Freund übernehmen. Er kroch unter dieZweige der Föhre, Schnee tröpfelte ihm in den Nacken, als die Säge sich in dieRinde fraß, ihre Zähne rochen stark nach Harz, Sägemehl rieselte in denwolligen Schnee wie Maismehl, und als der Baum zischend fiel, trat er zurück undsog den Terpentingeruch ein. Harz. Mann, das machte ihn high, wie das andereHarz, das er so gern rauchte. Er stand keuchend da, Schnee auf den Wimpern, imHaar. Seine Rückenmuskeln brannten, Wasser rann erst kühl, dann warm die Wirbelsäulehinunter, über den kalten Schweiß. Die Föhre lag besiegt im Schnee. Aber seinzorniger Überschwang verging mit jedem rauchigen Atemzug, die Befriedigungbrannte sich so rasch in ihm aus, dass er gar nicht mehr wusste, wieso er dasgetan hatte, die Föhre einfach so zu fallen. Als er das leise Quietschen vonSchritten hinter sich hörte, dachte er im ersten Moment, es wird kälter, derSchnee knarrt, dann überlegte er sich fieberhaft eine Lüge.
© byFischerverlage
Übersetzung: Heidi Zeming
- Autor: David R. MacDonald
- 2004, 351 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Heidi Zerning
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596153719
- ISBN-13: 9783596153718
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