Die Stunde der Löwin
Eine schillernde Familiensaga voll abenteuerlicher Einzelschicksale um eine westafrikanische Farm mit dem Namen "omutima ondizira, was in der Eingeborenensprache so viel heißt wie "Herzen mit guten Eigenschaften ruhen an der Quelle".
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Produktinformationen zu „Die Stunde der Löwin “
Eine schillernde Familiensaga voll abenteuerlicher Einzelschicksale um eine westafrikanische Farm mit dem Namen "omutima ondizira, was in der Eingeborenensprache so viel heißt wie "Herzen mit guten Eigenschaften ruhen an der Quelle".
Sie beginnt 1913 mit der schwangeren Frida aus einem Arbeiterdorf im deutschen Mecklenburg-Vorpommern und endet 1990 mit deren Urenkelin Cloe am Unabhängigkeitstag von Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.
"Die Stunde der Löwin" ist mehr als ein Familienroman aus Kolonialzeiten bis hin zur Gegenwart, es ist ein Zeugnis von Pioniergeist und Stärke, beides geprägt von unbeirrbarer Liebe zu Afrika und seinen Menschen.
Sie beginnt 1913 mit der schwangeren Frida aus einem Arbeiterdorf im deutschen Mecklenburg-Vorpommern und endet 1990 mit deren Urenkelin Cloe am Unabhängigkeitstag von Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika.
"Die Stunde der Löwin" ist mehr als ein Familienroman aus Kolonialzeiten bis hin zur Gegenwart, es ist ein Zeugnis von Pioniergeist und Stärke, beides geprägt von unbeirrbarer Liebe zu Afrika und seinen Menschen.
Lese-Probe zu „Die Stunde der Löwin “
Die Stunde der Löwin von Barbara SeelkANMERKUNG
Frida, Constanze, Masha und Cloe hat es tatsächlich nicht gegeben, wohl aber ihre Schicksale.
Mit diesem Roman möchte ich all den Frauen ein Denkmal setzen, die damals, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, den Mut besaßen, Europa zu verlassen, um in einer afrikanischen Kolonie sich, ihren Männern und ihren Kindern die Möglichkeit einer besseren Zukunft zu geben, und das befreit von jeder Obrigkeit.
Keiner hatte ihnen gesagt, dass sie sich nicht nur gegen die Ureinwohner, die Hitze und ständigen Dürren, gegen die Schlangen und wilden Tiere durchzusetzen hatten, sondern in der Hauptsache ihre Kraft benötigten, der gnadenlosen Härte dieser neuen Heimat, die keinen Fehler zulässt, zu begegnen.
Einige wurden besiegt, andere erstarkten. Letzteres war nur möglich, weil sie sich Gesetze bedienten, von deren Existenz sie in der alten Heimat nichts geahnt hatten - denen einer Löwin.
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Die Personen, die aufgrund ihrer bekannten politischen und/oder gesellschaftlichen Präsenz in diesem Roman erwähnt werden, habe ich bewusst voll namentlich erwähnt, da sie Zeitzeugen sind. Die Dialoge mit ihnen sind allerdings fiktiv, beziehungsweise wurden sie von mir verbal den Ereignissen angepasst. Die Lage der Farmen wie auch ihre Namen und die ihrer Besitzer sind frei erfunden, ebenso meine Beschreibungen der familiären Verflechtungen unter der weißen Bevölkerung Namibias. Sie gab es und gibt sie immer noch, aber in anderer Form und somit nicht mit denen in meinem Roman beschriebenen identisch. Ich habe mir erlaubt, einige Ereignisse in der einstigen deutschen Kolonie DEUTSCH-SÜDWESTAFRIKA (seit 1919 Mandatsgebiet unter südafrikanischer Verwaltung, ab 1990 unter dem Namen Namibia unabhängig) zum besseren Verständnis zeitlich etwas zu verschieben.
Trotz aller Recherchen ist es vielleicht möglich, dass das eine oder andere Geschehen in diesem Roman verfälscht wiedergegeben wurde. Hier bitte ich den Leser um Nachsicht. Auch habe ich die Sprache der Nama mit der Herero und Damara oder der Ovambo und Ovahimba unterschiedslos benutzt. Eine jeweilige Festlegung hätte komplizierte Erklärungen nach sich gezogen und gleichzeitig einen Streit über die endgültige Richtigkeit der Wörter und Begriffe entfacht.
Die Bezeichnung für die Schwarzafrikaner wie Nigger, Wog, Nig, Russkerze oder Dunkelgrüne und ähnliche mehr oder weniger abwertende Ausdrücke stammen nicht von mir, sondern sind/waren im kolonialen Ost- und Westafrika allgemein gebräuchlich. Die Bezeichnung Neger war allerdings bis in die 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts im Sprachgebrauch üblich und besaß nicht den heutigen negativen Aspekt. Sie erschien in dieser Schreibweise in Lexika, Reisebeschreibungen, Publikationen, Memoiren oder anderen Veröffentlichungen jener Zeiten.
Inadi hala ive Shilungo, die Bezeichnung der Schwarzen für die Weißen, lautet übersetzt: Gottverdammter weißer Mann.
PROLOG
Mit einem kraftvollen Sprung setzte die Löwin auf ihr Opfer an. Die Gazelle hatte keine Chance. Schwach trommelte sie mit einem ihrer Hufe gegen den muskulösen Körper der Raubkatze, aber schon sprudelte das Blut aus ihrem aufgerissenen Hals, und wenig später trat der erlösende Tod ein.
Fast spielerisch rollte sich Ama mit dem erlegten Wild im Fang zu Boden, und sofort schlug das gelbe Savannengras über Jägerin und Opfer zusammen. Die Löwin erlaubte sich ein zufriedenes Grollen. Die Jagd war heute leicht gewesen und das Fleisch für die drei Welpen ausreichend und zart.
Sie wollte noch einen Moment liegen bleiben, denn die Wintersonne wärmte angenehm ihren noch von der Geburt und den Strapazen der täglichen Nahrungsbeschaffung ausgemergelten Körper. Noch einige Wochen, dann würden die Kleinen unter ihrer Anleitung selbst zur Jagd antreten, und ihr Leben wäre wieder leichter. Als ihr Atem wieder ruhig geworden war, erhob sie sich und packte mit dem Maul die Gazelle am Träger, so, wie sie es mit ihren Jungen in deren erster Lebenszeit gemacht hatte, um sie zu einem neuen Versteck zu bringen, weil ihr das augenblickliche zu unsicher erschien.
Ama blinzelte nach oben. Es war zwar erst früher Nachmittag, aber jetzt, in der Winterzeit, würde die Sonne in weniger als zwei Stunden untergehen. Also musste sie sich mit der Rückkehr beeilen, denn mit dem Tier im Fang würde sie die doppelte Zeit benötigen.
Sie hatte bereits die hochgewachsene Akazie passiert, als der Geruch sie anwehte. Gewalttätig, männlich, böse - keinesfalls der von Kulle, dem Gefährten langer Jahre und Vater ihrer Welpen. Irritiert schritt sie durch das hohe Gras, an den schwarzen Steinen vorbei in Richtung der Stelle, wo sie die Jungen am Mittag verlassen hatte.
Breitbeinig stand der fremde Löwe auf dem Flecken, der ihr Zuhause war. Seine Tatze drückte einen der drei Welpen auf den Boden, und die gewaltigen Zähne gruben sich in den Körper. Sein Kopf schnellte in die Höhe, als Ama vor ihm stand, und sie sah, dass Blut von seinen Lefzen tropfte. Siehst du, ich habe deine Brut gefunden, signalisierten seine Augen triumphierend, und bewusst nachlässig schlugen seine Krallen in den Kopf des zweiten ein. Es war der kleinste aus dem Wurf gewesen. Ganz nah hatte er immer an ihrem Herzen gelegen.
Der dritte Welpe taumelte auf sie zu, wollte an ihr Gesäuge. Ohne seine fahlgelben Auglichter von ihr zu lassen, sprang der Löwe auf ihn und tötete ihn mit einem einzigen Hieb.
Also hat er auch Kulle getötet, dachte Ama, und jetzt vernichtet er dessen Nachwuchs, damit später keine Rache genommen werden kann. Und wenn er damit fertig ist, würde er sie, Ama, gleich hier und jetzt im Blute ihrer Kinder begatten, auf das ein neues Geschlecht, sein Geschlecht, entsteht.
Es ist mein Recht, und du weißt es, bestimmten seine Blicke , und das Geräusch der zermalmenden Knochen in seinem Maul übertönte sogar das Krächzen eines Pfefferfressers, der über ihre Köpfe flog.
Unbeweglich stand die Löwin vor ihm. Die Flüssigkeit bei den Menschen damals war weiß und im Geschmack so völlig anders als der rote Lebenssaft der Tiere, die ich später töten musste, kam ihr plötzlich in den Sinn. Und die Hände, die mich streichelten, waren gut, und es ging keine Gefahr von ihnen aus, und mir war immer bewusst, dass ich geliebt wurde, so, wie ich diese drei Kinder liebte, die letzten, die mir Kulle schenken konnte. Für weitere hätten wir beide keine Kraft mehr gehabt, aber es hätten vielleicht noch einige gute Jahre vor uns gelegen.
Das damals wühlte Ama auf.
Wie kleine spitze Pfeile schossen die Gedanken durch ihren Kopf. Sie bemühte sich unbeteiligt zu erscheinen, mehr noch, zustimmend zu wirken, denn was hier geschah, war Naturgesetz, eingebettet in die Regularien ihrer Rasse. Seit Jahrtausenden, schon immer. Nur: Hatte sie nicht auch ein anderes kennen gelernt - das der Menschen?
Aber welches war rechtens? Und in welches Gesetz hatte sie selbst ihre Wurzeln getrieben?
In keines, durchzuckte es sie plötzlich, und diese Erkenntnis drang wie etwas Kochendes in ihr Inneres, besetzte jeden Platz, machte sie wild und stark, stärker, als sie sich jemals gefühlt hatte.
Mit einem für den Löwen überraschenden Satz sprang sie ihm auf den Rücken. In der gleichen Sekunde, wie ihre Krallen seine Halsschlagader aufrissen, stieß sie ihre Zähne in seinen Nacken. Der Löwe rollte sich auf die Erde, wollte die aufgezwungene Last dadurch abschütteln, verletzen, erdrücken, aber alle Sehnen von Ama hielten ihn in tödlicher Umarmung umklammert. Ungläubig über das Geschehen, rammte er ihren Körper gegen einen Stein, aber Ama ließ nicht los. Seine ausgefahrene Kralle gelangte an ihr Bauchfell, riss es auf -
Ama fühlte keinen Schmerz. Sie hatte nur einen Gedanken: Dies ist mein Gesetz. Er hat alles getötet, was mir wert war. Sein Blut wird bald ausgeflossen sein, er wird sterben, und dann kann ich zurückgehen -
Schleppend zog sich die Löwin durch die Dunkelheit. In der ersten Stunde nach Mitternacht sah sie das Haus vor sich. Zur Vorsicht hatte sie keine Kraft mehr. Als sie vor der vergitterten Küchentüre zusammenbrach, hörte sie die vertraute Stimme: »Um Himmels willen, nicht schießen, es ist Ama -«
Und dann verließen sie ihre Sinne.
ERSTES BUCH - FRIDA 1913
1. Kapitel
Das Arbeiterdorf Rupplin, zum Herrschaftsbereich des Herrn von Zoitzheim gehörend, bestand aus einer rechten und linken Ansammlung niedriger Katen.
Es war ein armes Dorf mit armen Menschen, die für ihr kärgliches Auskommen hart arbeiten mussten. Aus dem Fachwerk der meisten Häuser bröckelte der Lehm, die Strohdächer hatten Löcher und waren vom Kaminrauch dunkel gefärbt. Haustüren und Fenster hingen oft schief in ihren Angeln, und auf den Misthaufen hinter den Gebäuden tummelte sich das Federvieh, kreischend mageren Katzen ausweichend, die von noch magereren Hunden über die schmalen Gemüsebeete gejagt wurden, sowie sie sie bemerkten.
Leise zog Frida die Türe ihres Elternhauses hinter sich zu.
Sie war spät dran und beschleunigte daher ihren Schritt. Dem Vater war es in der Nacht wieder schlecht gegangen, und sie hatte der Mutter helfen müssen. Spärlich begann das beginnende Tageslicht, die verschlammte Dorfgasse zu erhellen. Frida durcheilte sie und lief auf den Wiesenrain zu. Es war eine Abkürzung zu einer Stelle, an der sie sich dann durch das angrenzende Buschwerk zwängen konnte, um auf die Ulmenallee zu kommen, die zum Gutshaus führte.
Etwas sorgenvoll schaute sie nach oben. Die Baumblätter hatten bereits das Licht der frühen Morgenzeit aufgefangen. Bestimmt würde die Köchin schon auf das Wasser warten, das sie, die Innenmagd, aus dem Brunnen zu schöpfen hatte.
Doch trotzdem blieb sie stehen, schaute um sich und lächelte versonnen.
Jetzt, zu dieser Stunde, hielten sich die Dotterblumen noch geschlossen, aber ihre gelbe Farbe schimmerte bereits aus ihren Dolden heraus. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich diese im Morgenlicht des Frühsommers mit den violetten Schleiern des Wiesenschaumkrauts und den dunkelgrünen, hoch aufgerichteten Farnhalmen zu einer Farbe vermischte.
Für Frida war dies der schönste Moment des Tages.
Und dann dieser Geruch von Gras und Kälberkraut -
Beides, Anblick und Geruch, würde sie in ihren Arbeitstag mitnehmen, vielleicht auch Kaspar davon erzählen.
Sie stolperte. Immer diese Träume, dachte sie und setzte hastig ihren Weg fort.
Kurze Zeit später lag das Gutshaus der Herrschaft vor ihr.
Noch eingehüllt in der Stille der frühen Stunde, leuchteten ihr die roten Backsteine wie auch die weiß getünchten Mauern der nach hinten angelegten Scheunen und Ställe in der jetzt aufgegangenen Sonne entgegen.
Vier Fassaden mit jeweils zwei hohen Fenstern stützten ein mächtiges gewölbtes Hausdach. Das trutzige Mauerwerk wurde nur von der in Steinsimsen gerahmten Eichenholztüre unterbrochen. Frida wusste, dass der an ihr montierte schmiedeeiserne Klopfer schwer zu betätigen war und sein Widerhall dumpf und freudlos klang.
Deswegen, oder vielleicht auch weil der zum Osten hin angelegte Eingang nach dem Weiterwandern der Morgensonne für den Rest des Tages im Schatten lag, empfand sie das Haus bedrückend, mehr noch, abweisend. Nur manchmal im Frühsommer, wenn sich die Fliederkronen hinter der Hecke wiegend gen Himmel ausstreckten und sich die leuchtenden Farben der Gartenblumen mit dem Licht des Himmels zusammentaten, empfand sie eine Harmonie, die so nichts mit der steifen Tradition des Hauses zu tun hatte, für diese sich das Geschlecht derer von Zoitzheim seit Generationen verantwortlich zeigte.
Sie sprach mit niemandem über ihre Gedanken, auch nicht mit ihrer Mutter.
Als sie zum ersten Mal den Garten des Herrenhauses betreten durfte, hatte sie ungläubig seine Weite betrachtet. Großzügig war er zu drei Seiten hin angelegt. Rhododendron- und Fliedersträuche, Rosen und die verschiedenartigsten Büsche teilten oder fügten Plätze zusammen. Blumen aller Jahreszeiten wuchsen in Beeten, dazwischen gab es kurz gemähte Rasenflächen, Ansammlungen von unterschiedlichen Steinen und einzelne Figuren in Menschengröße, deren angedeutete fließende Steingewänder fremdländisch und seltsam wirkten. Buchsbaumhecken schirmten diesen Teil des Gartens rundherum ab und bildeten damit eine natürliche Grenze zu dem übrigen parkähnlichen Gelände, das sich bis in die Unendlichkeit auszudehnen schien und erst im fernen Dunst Himmel und Horizont vereinte.
Es ist die gnädige Frau, die junge, die dies alles angeordnet hat, war einmal die abweisende Erklärung der Köchin gewesen, denn sie musste oft Küchenmägde für die Gartenarbeit zur Verfügung stellen, was bedeutete, dass sie und andere doppelt oder sogar dreifach zu arbeiten hatten.
Ein Reiter muss ab der Haustüre dreißig Minuten in der Geraden galoppieren, um die Grenze meines Besitzes zu erreichen, hatte Frida einmal den Hausherrn vor seinen Gästen dröhnen gehört, und sie war verwirrt gewesen, weil sie sich eine solche Entfernung als Eigentum nicht vorstellen konnte. Dreißig Minuten - die Mutter hatte darüber genickt und der Vater die Lippen zusammengepresst, als sie es zu Hause erzählte.
Einer der Jagdhunde kam ihr entgegengelaufen und tänzelte aufgeregt um sie herum.
Sie streichelte ihn, ohne im Lauf innezuhalten, und musste lachen, weil er zu jaulen begann, so, als wollte er mit ihr sprechen.
Wenn Frida lachte, lachte ihr ganzes Gesicht mit. Zwei Grübchen bewegten sich in beiden Mundwinkeln, die Augen strahlten, selbst die Nase zuckte übermütig, und der blonde, eng geflochtene Zopf rutschte dann meistens ausgelassen von ihrer Schulter. Nie war sie schlecht gelaunt, und auch die schwerste Arbeit verrichtete sie ohne jede Klage. Es war ein kleiner Zauber, der ihr anhaftete. Sie selbst wusste nicht darum, aber die anderen wussten um ihn und suchten unbewusst ihre Nähe.
»Es ist gut, Hasso«, rief sie atemlos, »komm mit, wir werden bestimmt etwas für dich finden«, und betrat die Küche durch den Hintereingang.
Die Arbeit, die Frida für die Familie von Zoitzheim zu leisten hatte, war schwer und dauerte oft bis in die Nacht hinein, und es war eine andere Welt als die, in die sie hineingeboren wurde.
Vor etwas mehr als einem Jahr, genau an ihrem vierzehnten Geburtstag, war die Mutter mit ihr hoch in die Villa zur Gnädigen Frau gegangen. Für diesen Anlass hatte sie einen neuen dunkelblauen Filzrock und eine schlichte weiße Bluse bekommen.
Drei Stunden ließ man sie am Hintereingang der Küche warten.
Ich habe ihr die Ordnung beigebracht, auch wie man ein Haus sauber hält, sie ist noch Jungfer und hat nichts mit den Männern zu tun, und Sie können sie züchtigen, wenn sie nicht folgsam ist, hatte die Mutter demütig zu der eleganten Frau gesagt, die plötzlich vor ihnen stand. Sie hatte einen schwarzen Pelzmuff und einen Hut mit Federn getragen, und ihr Gesicht war wegen der frühherbstlichen Kühle mit einem dünnen Schleier bedeckt gewesen.
Frida hatte einen schwachen puderigen Veilchenduft gerochen und nicht gewagt aufzublicken. Die sanfte Stimme der Frau, die Eleganz ihrer Kleidung und die Erhabenheit ihrer Gesten schüchterten sie ein, und sie fürchtete sich, den Eltern Schande zu machen. Erst als die Mutter vor der Dame knickste und ihr einen Schubs gab, es ebenso zu machen, begriff Frida, dass Frau von Zoitzheim eingewilligt hatte, sie in den Dienst zu nehmen.
»Du kommst spät, ich musste das Wasser alleine holen«, warf ihr die Köchin vor, aber Frida sah sofort, dass sie ihr nicht böse war. »Geh staubwischen, bevor die Herrschaft aufsteht, wir bekommen heute Abend Gäste.«
Das bedeutet, dass ich erst nach Mitternacht nach Hause komme, seufzte Frida innerlich und band sich die Schürze fest.
Sie rümpfte die Nase, um dem Staub auszuweichen, der unweigerlich mit dem Wedel aus Gänsefedern aufgewirbelt wurde, wenn sie zwischen die Unmengen von verschrumpelten Rehgehörnen fuhr, die jeweils als Pärchen auf einem Stück Holz genagelt zwischen den gewölbten Hirschgeweihstangen angebracht waren. Summend stellte sie sich auf einen kleinen Hocker und fuhr fort, auch das schwarzglänzende Gefieder der beiden ausgestopften Auerhähne abzustauben, ebenso die Träger der graubraunen Gemsböcke und die düsteren Grannen der Wildschweinköpfe. Alles hing in eigener Ordnung, durcheinander und doch wieder nicht, aber darüber machte sie sich keine Gedanken. Schnell stieg sie ab, verschob mit dem Fuß das Holzgestell einige Meter weiter, um mit der Arbeit bei den nächsten Tieren fortzufahren.
Es sind nur die stärksten und beachtlichsten Wildtrophäen, die in der oberen Galerie hängen dürfen, hatte ihr der Jagdaufseher erklärt und gezeigt, wie man mit dem Wedel hantieren musste, ohne eventuell einen der Knochen zu beschädigen. Ein nicht mehr ganz junger Mann, unverheiratet, der ihr bei diesen Worten leicht über den Arm gestrichen hatte.
Frida hatte vom ersten Tag ihrer Arbeit in diesem Haus nie begriffen, weshalb sich die Herrschaft den Tod an die Wand hängte, aber was verstand sie auch schon von reichen Leuten. Von den anderen Mägden wusste sie, dass die männlichen Mitglieder der letzten drei Generationen passionierte Jäger gewesen waren, wie auch das augenblickliche Familienoberhaupt, Konrad von Zoitzheim, der die Jagd als eine lebendig gewordene Leidenschaft ansah. Das hatte ihr die Köchin mit ängstlich gerollten Augen zugeflüstert.
Aber sein Sohn Kaspar, zwölf Minuten nach seinem Zwillingsbruder Konrad geboren, ist anders, hatte sie gedacht und nichts weiter dazu gesagt.
Endlich war sie mit den Tieren fertig.
Sie klemmte sich den Hocker und den Staubwedel unter die Achsel, raffte den Rock mit der Schürze und lief die Treppe hinunter hin zum Kaminzimmer.
Die hohe Portaltüre bereitete ihr immer Schwierigkeiten, denn der Bronzegriff ließ sich nur schwer herunterdrücken, und hatte sie es geschafft, fiel die schwere Türe jedes Mal mit einem dumpfen Laut hinter ihr zu.
Gleichzeitig als Herrenzimmer genutzt, hing stets eine Tabakwolke im Raum. Vor der Feuerstelle lag ein großer Orientteppich, und darauf standen im lockeren Halbkreis weinrote Sessel. Beides waren Teile der Aussteuer der Jungen Gnädigen, wie die Hausfrau immer noch trotz des Ablebens ihrer Schwiegereltern hieß.
Auch das wusste Frida durch das Gesinde.
Flink wischte sie die Sessellehnen ab, ebenso die hohen Kerzenleuchter, die rechts und links auf dem Kaminsims standen, die kleine Schäferuhr, die Porzellanbonbonniere und schließlich die alte Familienbibel in dem Ledereinband mit den silbernen ziselierten Beschlägen, die alleine auf einem kleinen Tischchen lag. Dann wandte sie sich den beiden an den Wänden hängenden und mit grünem Filz bezogenen Tafeln zu, die mit Gewehren, Flinten und kurzen Revolvern bestückt waren. Hier musste sie besonders vorsichtig sein, wie auch bei dem in weißer Alabasterseide ausgeschlagenen Tableau auf der gegenüberliegenden Wand. In unregelmäßiger Anordnung waren darin Messer befestigt, deren unterschiedliche Klingen jeden Lichtstrahl auffingen und widerspiegelten. Manchmal leuchteten die Knäufe aus Schildpatt oder weißem Büffelhorn magisch hervor - es war ihr nicht angenehm.
Frida stellte den Staubwedel ab, zog sich einen Lappen aus der Schürzentasche und wischte damit vorsichtig über die Gegenstände. Jetzt näherte sie sich dem kleinen geschnitzten Holzkasten. Immer noch hatte sie ein ungutes Gefühl beim Anblick des einfachen Jagdmessers, das unter dem Sichtglas lag und dessen Griff mit einer bräunlichen Kruste überzogen war.
Es ist das Blut meines tödlich verletzten Großvaters, der mit dieser Klinge dem letzten Bären dieser Gegend den Garaus machte, hörte sie in Gedanken die Erklärung des jetzigen Hausherrn, die unweigerlich kam, wenn er mit seinen Gästen vor diesem verglasten Bild zum Stehen kam.
»Sehen wir uns heute Abend?«, flüsterte es plötzlich hinter ihr.
Frida drehte sich um und strahlte Kaspar von Zoitzheim an.
»Ich habe Dienst«, wisperte sie, als ob die Wände Ohren hätten.
»Wir haben Gäste, ich weiß, aber bitte komm doch danach in mein Zimmer«, bettelte der Siebzehnjährige. »Es wird keinem auffallen, denn die Eltern werden nach dem Besuch gleich ins Bett gehen, und Konrad ist doch zum Fechten weg.« Gespannt blickte er sie an. »Ich habe neue Bücher bekommen, eines davon über afrikanische Pflanzen. Du kannst es mit nach Hause nehmen und in Ruhe betrachten. Willst du?«
»Ja, doch«, sagte Frida mit klopfendem Herzen und sprang vom Hocker, direkt vor Kaspar. Der griff nach ihrer Hand und streichelte sie.
»Ich freue mich so sehr, Frida«, flüsterte er wieder, »ich habe dir auch noch so viel zu erzählen. Und ich muss dich etwas ganz Wichtiges fragen -«
Frida schaute ihn verliebt an. Von dem Augenblick, als Kaspar und sein Bruder Urlaub aus der Kadettenanstalt in Plön erhalten hatten und er sie als neue Magd im Hause seiner Eltern angetroffen hatte, war es, als ob sich ein Faden zwischen ihrem und seinem Herzen gesponnen hatte, fest und unzerreißbar. Sie sprachen die gleiche Sprache, hatten die gleichen Gedanken - und verfolgten glühend gemeinsam ein Ziel: Afrika.
Sowie seine Ausbildung beendet war, wollte sich Kaspar als Soldat des Kaisers verpflichten und in die Kolonien gehen. Als Zweitgeborener auf dem Gut seines Vaters hatte er keine Zukunft. Frida sollte nachkommen - als seine Braut. Vor Gott und den Menschen wollten sie in Deutsch-Südwestafrika als Eheleute leben, eine Familie gründen, wollten aufbauen und sich absetzen von dem gesellschaftlichen Diktat der Herkunft. Letzteres war nur in der Ferne möglich, das wussten beide, ohne darüber gesprochen zu haben.
Majestät, wohin sollen wir die zweiten und weiteren Söhne unseres Adels stecken?, hatte der greise Reichskanzler zu Beginn dieses Jahrhunderts seinen Kaiser gefragt und die missratenen dazu, hinterhergemurmelt.
Erleichtert leitete er wenig später die Entscheidung seines Herrn weiter, wonach die deutschen Kaufleute im fernen Afrika durch bewaffnete Freiwillige aus der Heimat gegen das schwarze aufständige Pack zu schützen seien.
Es war das Abenteuer in einem unbekannten Land, das Tausende von jungen Männern aus allen deutschen Landen zu den Waffen greifen ließ und - es war Kaspar von Zoitzheim, der zum ersten Mal mit Frida darüber sprach.
Heimlich begannen sie sich außerhalb des Hauses zu treffen.
Oft wartete Kaspar schon am Ende der Ulmenchaussee auf sie, und dann liefen sie gemeinsam über die Lichtung hin zu den dichten Brombeerhecken, saßen im Gras, hielten sich an den Händen, redeten miteinander. Sie wussten, dass man sie nicht sehen durfte, nur den Bruder hatte Kaspar eingeweiht.
Er ist der Hoferbe und wird mir helfen, damit man mich ziehen lässt, hatte er Frida erklärt, und sie achtete darauf, nicht über ihn bei den Mägden zu sprechen, ihr Strahlen hätte sie sicherlich verraten.
Einmal hatte sie ihn verlegen gebeten, ihr das Lesen näherzubringen - für Afrika.
Die drei Jahre Dorfschule, die einem Mädchen ihres Standes zugebilligt wurden, hatten nur für ein notdürftiges Erkennen von Geschriebenem gereicht, und Kaspar hatte sofort begeistert damit angefangen.
Frida war eine gelehrige Schülerin. Es dauerte nicht lange, und sie konnte ohne seine Hilfe die Texte in den Büchern lesen, die Kaspar ihr jetzt beständig auf ihre Bitte hin auslieh. Die Zeitungen seines Vaters nahm sie heimlich aus dem Korb, wohin sie abgelegt wurden, wenn die Herrschaft sie gelesen hatte, und legte sie einen Tag später wieder hinein.
Langsam reiften ihre Gedanken, und wenn Kaspar am Monatsende für ein Wochenende nach Hause kam und sie sich trafen, sprachen sie sowohl über das Tagesgeschehen wie auch über den Sinn des Buches, das sie gerade las. Nicht selten staunte Kaspar über ihre Fragen und mit welcher Entschiedenheit sie manchmal seine Antworten korrigierte.
Im letzten Monat hatte sie ihn mit der Feststellung verblüfft, dass auch sie dafür wäre, wenn endlich in Deutschland die Frauen das volle Wahlrecht erhalten würden.
Die Frauen in Norwegen haben es auch durchgesetzt, hatte sie etwas zu hitzig gesagt und dabei an den Vater denken müssen, den Polen, wie er überall leicht verächtlich hieß, nur weil er vor vielen Jahren über die polnische Grenze gewandert kam und als durchziehender Tagelöhner in Rupplin Arbeit fand - bis er sesshaft wurde, mit Bertha, ihrer Mutter.
Auch hier gibt es keinen freien Willen, hatte Leo Koslowski am Abend nach einer Wahl gemurmelt und leise erzählt, wie er vor dem Gutsverwalter gestanden und dessen gebieterischer Daumen auf die Stelle gezeigt hatte, wo er sein Kreuz machen sollte.
Frida vergaß auch nicht den ängstlichen Blick ihrer Mutter bei diesen Worten und wie sie sich dabei vorsichtig umgeschaut hatte. Aber darüber wollte sie mit Kaspar von Zoitzheim nicht sprechen, denn sonst hätte sie ihm auch sagen müssen, dass sein eigener Vater, der Gutsherr von Rupplin, mit grimmigem Gesicht die Wahl seiner Männer über den ganzen Tag hinweg von dem holzgeschnitzten Sessel aus verfolgt hatte, der extra zu diesem Anlass in die Diele des Herren hauses gestellt worden war.
Frida spürte in der Ausbildung, die sie sich selbst gab, dass Religion und Politik zwei widersprüchliche Pole waren, dass sie Unfrieden schafften, auch entzweienden Streit, und das wollte sie Kaspar und sich ersparen. So saß sie in ihrer kargen Zweisamkeit am liebsten vor ihm, die Arme um die Knie geschlungen und hörte ihm zu, wenn er von ihrer gemeinsamen Zukunft sprach.
Sie wollte wieder nach dem Wedel greifen, aber Kaspar ließ ihre Hand nicht los.
»Noch vier Monate«, sagte er, »meinst du - kannst du -«
Frida gab ihm einen unbeholfenen zärtlichen Kuss auf die Wange, als Antwort auf seine Frage, die er sich zu stellen nicht traute.
»Es wird alles so geschehen, wie wir es möchten«, raunte sie ihm zu, »aber jetzt musst du mich gehen lassen, sonst werde ich nicht fertig.«
Kaspar trat sofort einen Schritt zurück und verschränkte seine Arme auf den Rücken.
Warum nur immer diese Folgsamkeit, ging es Frida flüchtig durch den Kopf.
Folgsam dem Kaiser, dem Vater, der Herkunft. Etwa auch ihr?
Aber sein bittender Blick rührte sie. »Natürlich komme ich zu dir, schon um das Buch zu holen«, lächelte sie, griff nach dem Hocker, dem Wedel und dem Lappen und lief durch die Tapetentüre in Richtung Küche.
»Frida, du musst mir gleich helfen«, sagte die junge Gnädige, und sofort löste das junge Mädchen die Bändel der Arbeitsschürze. Sie würde sich die weißgerüschte anziehen müssen, eine Anordnung der Gnädigen, wenn man in ihre Räume befohlen wurde.
Für den Abend hatte der Gutsherr die Honoratioren der Stadt zum Essen geladen.
Den Apotheker, den Pfarrer, den Advokaten, den Bürgermeister und den kaiserlichen Bezirksinspektor, alle mit Damen, sogar die Pfarrersfrau, obwohl sie von niedrigem Stand war.
Anlass war das Regierungsjubiläum des deutschen Kaisers Wilhelm II.
Im ganzen Reich würden Punkt acht Uhr die Glocken läuten, und man würde sich mit einem Glas Wein erheben und darauf anstoßen.
»Eines der Seidenkleider«, ordnete Frau von Zoitzheim an, und sofort betrat Frida den großen begehbaren Kleiderschrank, hängte drei der hellen Kleider von ihren Bügeln ab und brachte sie in das Ankleidezimmer.
Die Frau stand vor dem großen Spiegel.
Sie nickte kurz mit dem Kopf und entschied: »Das Fliederfarbene. «
Umsichtig kleidete Frida sie aus und ließ vorsichtig das zarte Stoffgebilde über ihren Kopf fallen, hakte am Rücken die unsichtbaren Verschlüsse zu, rückte den Kragen zurecht und zupfte an den Ärmeln, bis sie richtig fielen. Dann erlaubte sie sich, ihre Herrschaft für einen Moment fragend anzuschauen, und wieder nickte die Frau.
»Die beigen -«, und als sie die langen fein gehäkelten Handschuhe überzog, die Frida ihr reichte, murmelte sie fast entschuldigend: »- diese vielen Hände, schrecklich -«
Frida wusste, dass sie nun die passenden Leinenschuhe bereitzustellen hatte.
Der Schuhschrank war in der Wand eingelassen, sie öffnete ihn und zog beide Türen auseinander.
Es war ein Anblick wie aus einer anderen Welt.
Unmengen von Schuhen in allen Farben hingen an ihren Absätzen an Metallstangen. Die meisten unter ihnen waren ungeeignet dafür, andere Böden als blankgeputzte Parketts oder Terrassen mit glatten Steinen zu betreten. Es gab aber auch Straßenschuhe, in Schwarz und Braun, mit gesteppten Nähten, knöchelhoch gearbeitet und mit blanken Ösen, an denen die Bänder befestigt werden konnten, und zwei Stiefel- paare aus feinstem hellbraunem und dunkelrotem Leder. Letztere trug die Gnädige nur, wenn sie mit dem Herrn ausritt.
Schnell griff Frida nach dem bestickten Paar und stellte es der Frau hin. Die Schuhe waren erst vor einer Woche aus Berlin gekommen, von einem Schuhhersteller, der auch für die Kaiserin arbeitete.
Die Frau schlüpfte hinein und hielt sich dabei an Frida fest. Mit Wohlgefallen betrachtete sie sich im Spiegel.
»Geh jetzt«, sagte sie kurz. Frida knickste und verließ das Zimmer.
Sie wusste, dass die Gnädige nun ihre Schmuckschatulle hervorholen würde.
»Vierundzwanzigtausend Begnadigungen, nur wegen des Jubiläums, ich bitte Sie, jetzt laufen die Kretins, die wir hinter Schloss und Riegel gebracht haben, wieder frei herum. Musste das sein? Warum macht man es uns nur so schwer, die Ordnung aufrechtzuerhalten?«
Der Gutsherr hatte ein hochrotes Gesicht.
Zusammen mit seinen Gästen saß er in einer Wolke von Tabak vor dem Kamin, während die Damen unter Führung Frau von Zoitzheims im Damenzimmer ihren Likör nahmen. Später würde man sich wieder treffen, in der Garderobe, um sich gegenseitig zu verabschieden.
»August Bebel ist in der Schweiz gestorben«, bemerkte der Bürgermeister und schnippte sich die heruntergefallene Asche vom Ärmel.
»Er war über achtzig und -«, sinnierte der Apotheker.
»- ein verdammter Sozi ist er gewesen -«, unterbrach ihn Konrad von Zoitzheim. »Einer dieser verdammten Männer, die seit einiger Zeit das verdammte Proletariat mit verdammten Ideen und verdammten Forderungen nach unmöglichen Rechten aufwiegeln.«
Unwillig nahm er das letzte Glas von dem Tablett, das ihm Frida reichte.
»Nun, eines ist sicher, hier werden seine Ideen gar nicht erst aufkommen, dafür sorge ich persönlich.«
»Wann beginnt das Kaisermanöver?«, versuchte der Bürgermeister zu beschwichtigen.
»Im Herbst«, fuhr der Gutsherr etwas beruhigter fort. »Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien haben vor einer Woche eine militärische Zusammenarbeit beschlossen. Das ist richtig, wenn Sie mich fragen, glauben Sie mir, der Russe sitzt uns schon nahe genug.«
Frida stand an der Anrichte und wartete auf weitere Anweisungen. Sie war müde. Es war spät am Abend, und die Gespräche der Männer wollten nicht enden. Diese Politik, dachte sie, und lief in den Damensalon.
»Darf ich -«, wollte sie beginnen, aber Frau von Zoitzheim kam ihr bereits entgegen, und erleichtert sah Frida, wie sie zu ihrem Mann ging, sich über ihn beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Vorsichtig huschte Frida die Treppe hoch.
Es war weit nach Mitternacht, fast zwei Uhr. Sie hatte die Küche aufräumen und das gesamte gute Geschirr alleine spülen müssen, denn dem zweiten Mädchen war nicht gut gewesen. Eigentlich wollte sie nicht mehr zu Kaspar, aber sie hatte es ihm versprochen und wusste, er würde auf sie warten.
Unter dem Türspalt zu seinem Zimmer sah sie einen schwachen Lichtstrahl und trat leise ein.
»Hier, das wollte ich dir zeigen«, flüsterte er, nahm ihren Finger und führte ihn über eine Landkarte, die ausgebreitet auf seinem Bett lag. »Dort wirst du landen. In Swakopmund. Und genau da werde ich auf dich warten und dann schon wissen, wo das Land liegt -«, er blickte sie strahlend an, »unser Land, Frida.«
Aufgeregt wickelte er sich die blonde Haarsträhne um den Finger. Immer und immer wieder, bis sie sich wie eine Spirale hinter sein Ohr legte.
Diese Angewohnheit liebe ich an ihm, ging Frida flüchtig durch den Kopf, und sie setzte sich vorsichtig neben die Karte.
Das Kerzenlicht tanzte über ihren Köpfen und malte zitternde Schatten auf die Wand.
»Und was wolltest du mich Wichtiges fragen?«, lächelte Frida. Sie war müde, ja, aber das Ziel Kaspars und ihres, so nahe vor Augen, machte sie wach und aufgeregt, ließ sie spüren, dass mit ihnen etwas Wunderbares passierte.
»Wir können schon in Swakopmund heiraten, alle Schutztruppler dürfen das. Man hat es mir in Plön gesagt«, seine Stimme war jetzt heiser, »und ich wollte - möchte dich fragen -«, er nahm sie in den Arm, »Frida, ist es dir recht, wenn wir es auch machen, ich meine in der Stunde deiner Ankunft heiraten und dann sofort aufbrechen?«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg.
Die Personen, die aufgrund ihrer bekannten politischen und/oder gesellschaftlichen Präsenz in diesem Roman erwähnt werden, habe ich bewusst voll namentlich erwähnt, da sie Zeitzeugen sind. Die Dialoge mit ihnen sind allerdings fiktiv, beziehungsweise wurden sie von mir verbal den Ereignissen angepasst. Die Lage der Farmen wie auch ihre Namen und die ihrer Besitzer sind frei erfunden, ebenso meine Beschreibungen der familiären Verflechtungen unter der weißen Bevölkerung Namibias. Sie gab es und gibt sie immer noch, aber in anderer Form und somit nicht mit denen in meinem Roman beschriebenen identisch. Ich habe mir erlaubt, einige Ereignisse in der einstigen deutschen Kolonie DEUTSCH-SÜDWESTAFRIKA (seit 1919 Mandatsgebiet unter südafrikanischer Verwaltung, ab 1990 unter dem Namen Namibia unabhängig) zum besseren Verständnis zeitlich etwas zu verschieben.
Trotz aller Recherchen ist es vielleicht möglich, dass das eine oder andere Geschehen in diesem Roman verfälscht wiedergegeben wurde. Hier bitte ich den Leser um Nachsicht. Auch habe ich die Sprache der Nama mit der Herero und Damara oder der Ovambo und Ovahimba unterschiedslos benutzt. Eine jeweilige Festlegung hätte komplizierte Erklärungen nach sich gezogen und gleichzeitig einen Streit über die endgültige Richtigkeit der Wörter und Begriffe entfacht.
Die Bezeichnung für die Schwarzafrikaner wie Nigger, Wog, Nig, Russkerze oder Dunkelgrüne und ähnliche mehr oder weniger abwertende Ausdrücke stammen nicht von mir, sondern sind/waren im kolonialen Ost- und Westafrika allgemein gebräuchlich. Die Bezeichnung Neger war allerdings bis in die 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts im Sprachgebrauch üblich und besaß nicht den heutigen negativen Aspekt. Sie erschien in dieser Schreibweise in Lexika, Reisebeschreibungen, Publikationen, Memoiren oder anderen Veröffentlichungen jener Zeiten.
Inadi hala ive Shilungo, die Bezeichnung der Schwarzen für die Weißen, lautet übersetzt: Gottverdammter weißer Mann.
PROLOG
Mit einem kraftvollen Sprung setzte die Löwin auf ihr Opfer an. Die Gazelle hatte keine Chance. Schwach trommelte sie mit einem ihrer Hufe gegen den muskulösen Körper der Raubkatze, aber schon sprudelte das Blut aus ihrem aufgerissenen Hals, und wenig später trat der erlösende Tod ein.
Fast spielerisch rollte sich Ama mit dem erlegten Wild im Fang zu Boden, und sofort schlug das gelbe Savannengras über Jägerin und Opfer zusammen. Die Löwin erlaubte sich ein zufriedenes Grollen. Die Jagd war heute leicht gewesen und das Fleisch für die drei Welpen ausreichend und zart.
Sie wollte noch einen Moment liegen bleiben, denn die Wintersonne wärmte angenehm ihren noch von der Geburt und den Strapazen der täglichen Nahrungsbeschaffung ausgemergelten Körper. Noch einige Wochen, dann würden die Kleinen unter ihrer Anleitung selbst zur Jagd antreten, und ihr Leben wäre wieder leichter. Als ihr Atem wieder ruhig geworden war, erhob sie sich und packte mit dem Maul die Gazelle am Träger, so, wie sie es mit ihren Jungen in deren erster Lebenszeit gemacht hatte, um sie zu einem neuen Versteck zu bringen, weil ihr das augenblickliche zu unsicher erschien.
Ama blinzelte nach oben. Es war zwar erst früher Nachmittag, aber jetzt, in der Winterzeit, würde die Sonne in weniger als zwei Stunden untergehen. Also musste sie sich mit der Rückkehr beeilen, denn mit dem Tier im Fang würde sie die doppelte Zeit benötigen.
Sie hatte bereits die hochgewachsene Akazie passiert, als der Geruch sie anwehte. Gewalttätig, männlich, böse - keinesfalls der von Kulle, dem Gefährten langer Jahre und Vater ihrer Welpen. Irritiert schritt sie durch das hohe Gras, an den schwarzen Steinen vorbei in Richtung der Stelle, wo sie die Jungen am Mittag verlassen hatte.
Breitbeinig stand der fremde Löwe auf dem Flecken, der ihr Zuhause war. Seine Tatze drückte einen der drei Welpen auf den Boden, und die gewaltigen Zähne gruben sich in den Körper. Sein Kopf schnellte in die Höhe, als Ama vor ihm stand, und sie sah, dass Blut von seinen Lefzen tropfte. Siehst du, ich habe deine Brut gefunden, signalisierten seine Augen triumphierend, und bewusst nachlässig schlugen seine Krallen in den Kopf des zweiten ein. Es war der kleinste aus dem Wurf gewesen. Ganz nah hatte er immer an ihrem Herzen gelegen.
Der dritte Welpe taumelte auf sie zu, wollte an ihr Gesäuge. Ohne seine fahlgelben Auglichter von ihr zu lassen, sprang der Löwe auf ihn und tötete ihn mit einem einzigen Hieb.
Also hat er auch Kulle getötet, dachte Ama, und jetzt vernichtet er dessen Nachwuchs, damit später keine Rache genommen werden kann. Und wenn er damit fertig ist, würde er sie, Ama, gleich hier und jetzt im Blute ihrer Kinder begatten, auf das ein neues Geschlecht, sein Geschlecht, entsteht.
Es ist mein Recht, und du weißt es, bestimmten seine Blicke , und das Geräusch der zermalmenden Knochen in seinem Maul übertönte sogar das Krächzen eines Pfefferfressers, der über ihre Köpfe flog.
Unbeweglich stand die Löwin vor ihm. Die Flüssigkeit bei den Menschen damals war weiß und im Geschmack so völlig anders als der rote Lebenssaft der Tiere, die ich später töten musste, kam ihr plötzlich in den Sinn. Und die Hände, die mich streichelten, waren gut, und es ging keine Gefahr von ihnen aus, und mir war immer bewusst, dass ich geliebt wurde, so, wie ich diese drei Kinder liebte, die letzten, die mir Kulle schenken konnte. Für weitere hätten wir beide keine Kraft mehr gehabt, aber es hätten vielleicht noch einige gute Jahre vor uns gelegen.
Das damals wühlte Ama auf.
Wie kleine spitze Pfeile schossen die Gedanken durch ihren Kopf. Sie bemühte sich unbeteiligt zu erscheinen, mehr noch, zustimmend zu wirken, denn was hier geschah, war Naturgesetz, eingebettet in die Regularien ihrer Rasse. Seit Jahrtausenden, schon immer. Nur: Hatte sie nicht auch ein anderes kennen gelernt - das der Menschen?
Aber welches war rechtens? Und in welches Gesetz hatte sie selbst ihre Wurzeln getrieben?
In keines, durchzuckte es sie plötzlich, und diese Erkenntnis drang wie etwas Kochendes in ihr Inneres, besetzte jeden Platz, machte sie wild und stark, stärker, als sie sich jemals gefühlt hatte.
Mit einem für den Löwen überraschenden Satz sprang sie ihm auf den Rücken. In der gleichen Sekunde, wie ihre Krallen seine Halsschlagader aufrissen, stieß sie ihre Zähne in seinen Nacken. Der Löwe rollte sich auf die Erde, wollte die aufgezwungene Last dadurch abschütteln, verletzen, erdrücken, aber alle Sehnen von Ama hielten ihn in tödlicher Umarmung umklammert. Ungläubig über das Geschehen, rammte er ihren Körper gegen einen Stein, aber Ama ließ nicht los. Seine ausgefahrene Kralle gelangte an ihr Bauchfell, riss es auf -
Ama fühlte keinen Schmerz. Sie hatte nur einen Gedanken: Dies ist mein Gesetz. Er hat alles getötet, was mir wert war. Sein Blut wird bald ausgeflossen sein, er wird sterben, und dann kann ich zurückgehen -
Schleppend zog sich die Löwin durch die Dunkelheit. In der ersten Stunde nach Mitternacht sah sie das Haus vor sich. Zur Vorsicht hatte sie keine Kraft mehr. Als sie vor der vergitterten Küchentüre zusammenbrach, hörte sie die vertraute Stimme: »Um Himmels willen, nicht schießen, es ist Ama -«
Und dann verließen sie ihre Sinne.
ERSTES BUCH - FRIDA 1913
1. Kapitel
Das Arbeiterdorf Rupplin, zum Herrschaftsbereich des Herrn von Zoitzheim gehörend, bestand aus einer rechten und linken Ansammlung niedriger Katen.
Es war ein armes Dorf mit armen Menschen, die für ihr kärgliches Auskommen hart arbeiten mussten. Aus dem Fachwerk der meisten Häuser bröckelte der Lehm, die Strohdächer hatten Löcher und waren vom Kaminrauch dunkel gefärbt. Haustüren und Fenster hingen oft schief in ihren Angeln, und auf den Misthaufen hinter den Gebäuden tummelte sich das Federvieh, kreischend mageren Katzen ausweichend, die von noch magereren Hunden über die schmalen Gemüsebeete gejagt wurden, sowie sie sie bemerkten.
Leise zog Frida die Türe ihres Elternhauses hinter sich zu.
Sie war spät dran und beschleunigte daher ihren Schritt. Dem Vater war es in der Nacht wieder schlecht gegangen, und sie hatte der Mutter helfen müssen. Spärlich begann das beginnende Tageslicht, die verschlammte Dorfgasse zu erhellen. Frida durcheilte sie und lief auf den Wiesenrain zu. Es war eine Abkürzung zu einer Stelle, an der sie sich dann durch das angrenzende Buschwerk zwängen konnte, um auf die Ulmenallee zu kommen, die zum Gutshaus führte.
Etwas sorgenvoll schaute sie nach oben. Die Baumblätter hatten bereits das Licht der frühen Morgenzeit aufgefangen. Bestimmt würde die Köchin schon auf das Wasser warten, das sie, die Innenmagd, aus dem Brunnen zu schöpfen hatte.
Doch trotzdem blieb sie stehen, schaute um sich und lächelte versonnen.
Jetzt, zu dieser Stunde, hielten sich die Dotterblumen noch geschlossen, aber ihre gelbe Farbe schimmerte bereits aus ihren Dolden heraus. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich diese im Morgenlicht des Frühsommers mit den violetten Schleiern des Wiesenschaumkrauts und den dunkelgrünen, hoch aufgerichteten Farnhalmen zu einer Farbe vermischte.
Für Frida war dies der schönste Moment des Tages.
Und dann dieser Geruch von Gras und Kälberkraut -
Beides, Anblick und Geruch, würde sie in ihren Arbeitstag mitnehmen, vielleicht auch Kaspar davon erzählen.
Sie stolperte. Immer diese Träume, dachte sie und setzte hastig ihren Weg fort.
Kurze Zeit später lag das Gutshaus der Herrschaft vor ihr.
Noch eingehüllt in der Stille der frühen Stunde, leuchteten ihr die roten Backsteine wie auch die weiß getünchten Mauern der nach hinten angelegten Scheunen und Ställe in der jetzt aufgegangenen Sonne entgegen.
Vier Fassaden mit jeweils zwei hohen Fenstern stützten ein mächtiges gewölbtes Hausdach. Das trutzige Mauerwerk wurde nur von der in Steinsimsen gerahmten Eichenholztüre unterbrochen. Frida wusste, dass der an ihr montierte schmiedeeiserne Klopfer schwer zu betätigen war und sein Widerhall dumpf und freudlos klang.
Deswegen, oder vielleicht auch weil der zum Osten hin angelegte Eingang nach dem Weiterwandern der Morgensonne für den Rest des Tages im Schatten lag, empfand sie das Haus bedrückend, mehr noch, abweisend. Nur manchmal im Frühsommer, wenn sich die Fliederkronen hinter der Hecke wiegend gen Himmel ausstreckten und sich die leuchtenden Farben der Gartenblumen mit dem Licht des Himmels zusammentaten, empfand sie eine Harmonie, die so nichts mit der steifen Tradition des Hauses zu tun hatte, für diese sich das Geschlecht derer von Zoitzheim seit Generationen verantwortlich zeigte.
Sie sprach mit niemandem über ihre Gedanken, auch nicht mit ihrer Mutter.
Als sie zum ersten Mal den Garten des Herrenhauses betreten durfte, hatte sie ungläubig seine Weite betrachtet. Großzügig war er zu drei Seiten hin angelegt. Rhododendron- und Fliedersträuche, Rosen und die verschiedenartigsten Büsche teilten oder fügten Plätze zusammen. Blumen aller Jahreszeiten wuchsen in Beeten, dazwischen gab es kurz gemähte Rasenflächen, Ansammlungen von unterschiedlichen Steinen und einzelne Figuren in Menschengröße, deren angedeutete fließende Steingewänder fremdländisch und seltsam wirkten. Buchsbaumhecken schirmten diesen Teil des Gartens rundherum ab und bildeten damit eine natürliche Grenze zu dem übrigen parkähnlichen Gelände, das sich bis in die Unendlichkeit auszudehnen schien und erst im fernen Dunst Himmel und Horizont vereinte.
Es ist die gnädige Frau, die junge, die dies alles angeordnet hat, war einmal die abweisende Erklärung der Köchin gewesen, denn sie musste oft Küchenmägde für die Gartenarbeit zur Verfügung stellen, was bedeutete, dass sie und andere doppelt oder sogar dreifach zu arbeiten hatten.
Ein Reiter muss ab der Haustüre dreißig Minuten in der Geraden galoppieren, um die Grenze meines Besitzes zu erreichen, hatte Frida einmal den Hausherrn vor seinen Gästen dröhnen gehört, und sie war verwirrt gewesen, weil sie sich eine solche Entfernung als Eigentum nicht vorstellen konnte. Dreißig Minuten - die Mutter hatte darüber genickt und der Vater die Lippen zusammengepresst, als sie es zu Hause erzählte.
Einer der Jagdhunde kam ihr entgegengelaufen und tänzelte aufgeregt um sie herum.
Sie streichelte ihn, ohne im Lauf innezuhalten, und musste lachen, weil er zu jaulen begann, so, als wollte er mit ihr sprechen.
Wenn Frida lachte, lachte ihr ganzes Gesicht mit. Zwei Grübchen bewegten sich in beiden Mundwinkeln, die Augen strahlten, selbst die Nase zuckte übermütig, und der blonde, eng geflochtene Zopf rutschte dann meistens ausgelassen von ihrer Schulter. Nie war sie schlecht gelaunt, und auch die schwerste Arbeit verrichtete sie ohne jede Klage. Es war ein kleiner Zauber, der ihr anhaftete. Sie selbst wusste nicht darum, aber die anderen wussten um ihn und suchten unbewusst ihre Nähe.
»Es ist gut, Hasso«, rief sie atemlos, »komm mit, wir werden bestimmt etwas für dich finden«, und betrat die Küche durch den Hintereingang.
Die Arbeit, die Frida für die Familie von Zoitzheim zu leisten hatte, war schwer und dauerte oft bis in die Nacht hinein, und es war eine andere Welt als die, in die sie hineingeboren wurde.
Vor etwas mehr als einem Jahr, genau an ihrem vierzehnten Geburtstag, war die Mutter mit ihr hoch in die Villa zur Gnädigen Frau gegangen. Für diesen Anlass hatte sie einen neuen dunkelblauen Filzrock und eine schlichte weiße Bluse bekommen.
Drei Stunden ließ man sie am Hintereingang der Küche warten.
Ich habe ihr die Ordnung beigebracht, auch wie man ein Haus sauber hält, sie ist noch Jungfer und hat nichts mit den Männern zu tun, und Sie können sie züchtigen, wenn sie nicht folgsam ist, hatte die Mutter demütig zu der eleganten Frau gesagt, die plötzlich vor ihnen stand. Sie hatte einen schwarzen Pelzmuff und einen Hut mit Federn getragen, und ihr Gesicht war wegen der frühherbstlichen Kühle mit einem dünnen Schleier bedeckt gewesen.
Frida hatte einen schwachen puderigen Veilchenduft gerochen und nicht gewagt aufzublicken. Die sanfte Stimme der Frau, die Eleganz ihrer Kleidung und die Erhabenheit ihrer Gesten schüchterten sie ein, und sie fürchtete sich, den Eltern Schande zu machen. Erst als die Mutter vor der Dame knickste und ihr einen Schubs gab, es ebenso zu machen, begriff Frida, dass Frau von Zoitzheim eingewilligt hatte, sie in den Dienst zu nehmen.
»Du kommst spät, ich musste das Wasser alleine holen«, warf ihr die Köchin vor, aber Frida sah sofort, dass sie ihr nicht böse war. »Geh staubwischen, bevor die Herrschaft aufsteht, wir bekommen heute Abend Gäste.«
Das bedeutet, dass ich erst nach Mitternacht nach Hause komme, seufzte Frida innerlich und band sich die Schürze fest.
Sie rümpfte die Nase, um dem Staub auszuweichen, der unweigerlich mit dem Wedel aus Gänsefedern aufgewirbelt wurde, wenn sie zwischen die Unmengen von verschrumpelten Rehgehörnen fuhr, die jeweils als Pärchen auf einem Stück Holz genagelt zwischen den gewölbten Hirschgeweihstangen angebracht waren. Summend stellte sie sich auf einen kleinen Hocker und fuhr fort, auch das schwarzglänzende Gefieder der beiden ausgestopften Auerhähne abzustauben, ebenso die Träger der graubraunen Gemsböcke und die düsteren Grannen der Wildschweinköpfe. Alles hing in eigener Ordnung, durcheinander und doch wieder nicht, aber darüber machte sie sich keine Gedanken. Schnell stieg sie ab, verschob mit dem Fuß das Holzgestell einige Meter weiter, um mit der Arbeit bei den nächsten Tieren fortzufahren.
Es sind nur die stärksten und beachtlichsten Wildtrophäen, die in der oberen Galerie hängen dürfen, hatte ihr der Jagdaufseher erklärt und gezeigt, wie man mit dem Wedel hantieren musste, ohne eventuell einen der Knochen zu beschädigen. Ein nicht mehr ganz junger Mann, unverheiratet, der ihr bei diesen Worten leicht über den Arm gestrichen hatte.
Frida hatte vom ersten Tag ihrer Arbeit in diesem Haus nie begriffen, weshalb sich die Herrschaft den Tod an die Wand hängte, aber was verstand sie auch schon von reichen Leuten. Von den anderen Mägden wusste sie, dass die männlichen Mitglieder der letzten drei Generationen passionierte Jäger gewesen waren, wie auch das augenblickliche Familienoberhaupt, Konrad von Zoitzheim, der die Jagd als eine lebendig gewordene Leidenschaft ansah. Das hatte ihr die Köchin mit ängstlich gerollten Augen zugeflüstert.
Aber sein Sohn Kaspar, zwölf Minuten nach seinem Zwillingsbruder Konrad geboren, ist anders, hatte sie gedacht und nichts weiter dazu gesagt.
Endlich war sie mit den Tieren fertig.
Sie klemmte sich den Hocker und den Staubwedel unter die Achsel, raffte den Rock mit der Schürze und lief die Treppe hinunter hin zum Kaminzimmer.
Die hohe Portaltüre bereitete ihr immer Schwierigkeiten, denn der Bronzegriff ließ sich nur schwer herunterdrücken, und hatte sie es geschafft, fiel die schwere Türe jedes Mal mit einem dumpfen Laut hinter ihr zu.
Gleichzeitig als Herrenzimmer genutzt, hing stets eine Tabakwolke im Raum. Vor der Feuerstelle lag ein großer Orientteppich, und darauf standen im lockeren Halbkreis weinrote Sessel. Beides waren Teile der Aussteuer der Jungen Gnädigen, wie die Hausfrau immer noch trotz des Ablebens ihrer Schwiegereltern hieß.
Auch das wusste Frida durch das Gesinde.
Flink wischte sie die Sessellehnen ab, ebenso die hohen Kerzenleuchter, die rechts und links auf dem Kaminsims standen, die kleine Schäferuhr, die Porzellanbonbonniere und schließlich die alte Familienbibel in dem Ledereinband mit den silbernen ziselierten Beschlägen, die alleine auf einem kleinen Tischchen lag. Dann wandte sie sich den beiden an den Wänden hängenden und mit grünem Filz bezogenen Tafeln zu, die mit Gewehren, Flinten und kurzen Revolvern bestückt waren. Hier musste sie besonders vorsichtig sein, wie auch bei dem in weißer Alabasterseide ausgeschlagenen Tableau auf der gegenüberliegenden Wand. In unregelmäßiger Anordnung waren darin Messer befestigt, deren unterschiedliche Klingen jeden Lichtstrahl auffingen und widerspiegelten. Manchmal leuchteten die Knäufe aus Schildpatt oder weißem Büffelhorn magisch hervor - es war ihr nicht angenehm.
Frida stellte den Staubwedel ab, zog sich einen Lappen aus der Schürzentasche und wischte damit vorsichtig über die Gegenstände. Jetzt näherte sie sich dem kleinen geschnitzten Holzkasten. Immer noch hatte sie ein ungutes Gefühl beim Anblick des einfachen Jagdmessers, das unter dem Sichtglas lag und dessen Griff mit einer bräunlichen Kruste überzogen war.
Es ist das Blut meines tödlich verletzten Großvaters, der mit dieser Klinge dem letzten Bären dieser Gegend den Garaus machte, hörte sie in Gedanken die Erklärung des jetzigen Hausherrn, die unweigerlich kam, wenn er mit seinen Gästen vor diesem verglasten Bild zum Stehen kam.
»Sehen wir uns heute Abend?«, flüsterte es plötzlich hinter ihr.
Frida drehte sich um und strahlte Kaspar von Zoitzheim an.
»Ich habe Dienst«, wisperte sie, als ob die Wände Ohren hätten.
»Wir haben Gäste, ich weiß, aber bitte komm doch danach in mein Zimmer«, bettelte der Siebzehnjährige. »Es wird keinem auffallen, denn die Eltern werden nach dem Besuch gleich ins Bett gehen, und Konrad ist doch zum Fechten weg.« Gespannt blickte er sie an. »Ich habe neue Bücher bekommen, eines davon über afrikanische Pflanzen. Du kannst es mit nach Hause nehmen und in Ruhe betrachten. Willst du?«
»Ja, doch«, sagte Frida mit klopfendem Herzen und sprang vom Hocker, direkt vor Kaspar. Der griff nach ihrer Hand und streichelte sie.
»Ich freue mich so sehr, Frida«, flüsterte er wieder, »ich habe dir auch noch so viel zu erzählen. Und ich muss dich etwas ganz Wichtiges fragen -«
Frida schaute ihn verliebt an. Von dem Augenblick, als Kaspar und sein Bruder Urlaub aus der Kadettenanstalt in Plön erhalten hatten und er sie als neue Magd im Hause seiner Eltern angetroffen hatte, war es, als ob sich ein Faden zwischen ihrem und seinem Herzen gesponnen hatte, fest und unzerreißbar. Sie sprachen die gleiche Sprache, hatten die gleichen Gedanken - und verfolgten glühend gemeinsam ein Ziel: Afrika.
Sowie seine Ausbildung beendet war, wollte sich Kaspar als Soldat des Kaisers verpflichten und in die Kolonien gehen. Als Zweitgeborener auf dem Gut seines Vaters hatte er keine Zukunft. Frida sollte nachkommen - als seine Braut. Vor Gott und den Menschen wollten sie in Deutsch-Südwestafrika als Eheleute leben, eine Familie gründen, wollten aufbauen und sich absetzen von dem gesellschaftlichen Diktat der Herkunft. Letzteres war nur in der Ferne möglich, das wussten beide, ohne darüber gesprochen zu haben.
Majestät, wohin sollen wir die zweiten und weiteren Söhne unseres Adels stecken?, hatte der greise Reichskanzler zu Beginn dieses Jahrhunderts seinen Kaiser gefragt und die missratenen dazu, hinterhergemurmelt.
Erleichtert leitete er wenig später die Entscheidung seines Herrn weiter, wonach die deutschen Kaufleute im fernen Afrika durch bewaffnete Freiwillige aus der Heimat gegen das schwarze aufständige Pack zu schützen seien.
Es war das Abenteuer in einem unbekannten Land, das Tausende von jungen Männern aus allen deutschen Landen zu den Waffen greifen ließ und - es war Kaspar von Zoitzheim, der zum ersten Mal mit Frida darüber sprach.
Heimlich begannen sie sich außerhalb des Hauses zu treffen.
Oft wartete Kaspar schon am Ende der Ulmenchaussee auf sie, und dann liefen sie gemeinsam über die Lichtung hin zu den dichten Brombeerhecken, saßen im Gras, hielten sich an den Händen, redeten miteinander. Sie wussten, dass man sie nicht sehen durfte, nur den Bruder hatte Kaspar eingeweiht.
Er ist der Hoferbe und wird mir helfen, damit man mich ziehen lässt, hatte er Frida erklärt, und sie achtete darauf, nicht über ihn bei den Mägden zu sprechen, ihr Strahlen hätte sie sicherlich verraten.
Einmal hatte sie ihn verlegen gebeten, ihr das Lesen näherzubringen - für Afrika.
Die drei Jahre Dorfschule, die einem Mädchen ihres Standes zugebilligt wurden, hatten nur für ein notdürftiges Erkennen von Geschriebenem gereicht, und Kaspar hatte sofort begeistert damit angefangen.
Frida war eine gelehrige Schülerin. Es dauerte nicht lange, und sie konnte ohne seine Hilfe die Texte in den Büchern lesen, die Kaspar ihr jetzt beständig auf ihre Bitte hin auslieh. Die Zeitungen seines Vaters nahm sie heimlich aus dem Korb, wohin sie abgelegt wurden, wenn die Herrschaft sie gelesen hatte, und legte sie einen Tag später wieder hinein.
Langsam reiften ihre Gedanken, und wenn Kaspar am Monatsende für ein Wochenende nach Hause kam und sie sich trafen, sprachen sie sowohl über das Tagesgeschehen wie auch über den Sinn des Buches, das sie gerade las. Nicht selten staunte Kaspar über ihre Fragen und mit welcher Entschiedenheit sie manchmal seine Antworten korrigierte.
Im letzten Monat hatte sie ihn mit der Feststellung verblüfft, dass auch sie dafür wäre, wenn endlich in Deutschland die Frauen das volle Wahlrecht erhalten würden.
Die Frauen in Norwegen haben es auch durchgesetzt, hatte sie etwas zu hitzig gesagt und dabei an den Vater denken müssen, den Polen, wie er überall leicht verächtlich hieß, nur weil er vor vielen Jahren über die polnische Grenze gewandert kam und als durchziehender Tagelöhner in Rupplin Arbeit fand - bis er sesshaft wurde, mit Bertha, ihrer Mutter.
Auch hier gibt es keinen freien Willen, hatte Leo Koslowski am Abend nach einer Wahl gemurmelt und leise erzählt, wie er vor dem Gutsverwalter gestanden und dessen gebieterischer Daumen auf die Stelle gezeigt hatte, wo er sein Kreuz machen sollte.
Frida vergaß auch nicht den ängstlichen Blick ihrer Mutter bei diesen Worten und wie sie sich dabei vorsichtig umgeschaut hatte. Aber darüber wollte sie mit Kaspar von Zoitzheim nicht sprechen, denn sonst hätte sie ihm auch sagen müssen, dass sein eigener Vater, der Gutsherr von Rupplin, mit grimmigem Gesicht die Wahl seiner Männer über den ganzen Tag hinweg von dem holzgeschnitzten Sessel aus verfolgt hatte, der extra zu diesem Anlass in die Diele des Herren hauses gestellt worden war.
Frida spürte in der Ausbildung, die sie sich selbst gab, dass Religion und Politik zwei widersprüchliche Pole waren, dass sie Unfrieden schafften, auch entzweienden Streit, und das wollte sie Kaspar und sich ersparen. So saß sie in ihrer kargen Zweisamkeit am liebsten vor ihm, die Arme um die Knie geschlungen und hörte ihm zu, wenn er von ihrer gemeinsamen Zukunft sprach.
Sie wollte wieder nach dem Wedel greifen, aber Kaspar ließ ihre Hand nicht los.
»Noch vier Monate«, sagte er, »meinst du - kannst du -«
Frida gab ihm einen unbeholfenen zärtlichen Kuss auf die Wange, als Antwort auf seine Frage, die er sich zu stellen nicht traute.
»Es wird alles so geschehen, wie wir es möchten«, raunte sie ihm zu, »aber jetzt musst du mich gehen lassen, sonst werde ich nicht fertig.«
Kaspar trat sofort einen Schritt zurück und verschränkte seine Arme auf den Rücken.
Warum nur immer diese Folgsamkeit, ging es Frida flüchtig durch den Kopf.
Folgsam dem Kaiser, dem Vater, der Herkunft. Etwa auch ihr?
Aber sein bittender Blick rührte sie. »Natürlich komme ich zu dir, schon um das Buch zu holen«, lächelte sie, griff nach dem Hocker, dem Wedel und dem Lappen und lief durch die Tapetentüre in Richtung Küche.
»Frida, du musst mir gleich helfen«, sagte die junge Gnädige, und sofort löste das junge Mädchen die Bändel der Arbeitsschürze. Sie würde sich die weißgerüschte anziehen müssen, eine Anordnung der Gnädigen, wenn man in ihre Räume befohlen wurde.
Für den Abend hatte der Gutsherr die Honoratioren der Stadt zum Essen geladen.
Den Apotheker, den Pfarrer, den Advokaten, den Bürgermeister und den kaiserlichen Bezirksinspektor, alle mit Damen, sogar die Pfarrersfrau, obwohl sie von niedrigem Stand war.
Anlass war das Regierungsjubiläum des deutschen Kaisers Wilhelm II.
Im ganzen Reich würden Punkt acht Uhr die Glocken läuten, und man würde sich mit einem Glas Wein erheben und darauf anstoßen.
»Eines der Seidenkleider«, ordnete Frau von Zoitzheim an, und sofort betrat Frida den großen begehbaren Kleiderschrank, hängte drei der hellen Kleider von ihren Bügeln ab und brachte sie in das Ankleidezimmer.
Die Frau stand vor dem großen Spiegel.
Sie nickte kurz mit dem Kopf und entschied: »Das Fliederfarbene. «
Umsichtig kleidete Frida sie aus und ließ vorsichtig das zarte Stoffgebilde über ihren Kopf fallen, hakte am Rücken die unsichtbaren Verschlüsse zu, rückte den Kragen zurecht und zupfte an den Ärmeln, bis sie richtig fielen. Dann erlaubte sie sich, ihre Herrschaft für einen Moment fragend anzuschauen, und wieder nickte die Frau.
»Die beigen -«, und als sie die langen fein gehäkelten Handschuhe überzog, die Frida ihr reichte, murmelte sie fast entschuldigend: »- diese vielen Hände, schrecklich -«
Frida wusste, dass sie nun die passenden Leinenschuhe bereitzustellen hatte.
Der Schuhschrank war in der Wand eingelassen, sie öffnete ihn und zog beide Türen auseinander.
Es war ein Anblick wie aus einer anderen Welt.
Unmengen von Schuhen in allen Farben hingen an ihren Absätzen an Metallstangen. Die meisten unter ihnen waren ungeeignet dafür, andere Böden als blankgeputzte Parketts oder Terrassen mit glatten Steinen zu betreten. Es gab aber auch Straßenschuhe, in Schwarz und Braun, mit gesteppten Nähten, knöchelhoch gearbeitet und mit blanken Ösen, an denen die Bänder befestigt werden konnten, und zwei Stiefel- paare aus feinstem hellbraunem und dunkelrotem Leder. Letztere trug die Gnädige nur, wenn sie mit dem Herrn ausritt.
Schnell griff Frida nach dem bestickten Paar und stellte es der Frau hin. Die Schuhe waren erst vor einer Woche aus Berlin gekommen, von einem Schuhhersteller, der auch für die Kaiserin arbeitete.
Die Frau schlüpfte hinein und hielt sich dabei an Frida fest. Mit Wohlgefallen betrachtete sie sich im Spiegel.
»Geh jetzt«, sagte sie kurz. Frida knickste und verließ das Zimmer.
Sie wusste, dass die Gnädige nun ihre Schmuckschatulle hervorholen würde.
»Vierundzwanzigtausend Begnadigungen, nur wegen des Jubiläums, ich bitte Sie, jetzt laufen die Kretins, die wir hinter Schloss und Riegel gebracht haben, wieder frei herum. Musste das sein? Warum macht man es uns nur so schwer, die Ordnung aufrechtzuerhalten?«
Der Gutsherr hatte ein hochrotes Gesicht.
Zusammen mit seinen Gästen saß er in einer Wolke von Tabak vor dem Kamin, während die Damen unter Führung Frau von Zoitzheims im Damenzimmer ihren Likör nahmen. Später würde man sich wieder treffen, in der Garderobe, um sich gegenseitig zu verabschieden.
»August Bebel ist in der Schweiz gestorben«, bemerkte der Bürgermeister und schnippte sich die heruntergefallene Asche vom Ärmel.
»Er war über achtzig und -«, sinnierte der Apotheker.
»- ein verdammter Sozi ist er gewesen -«, unterbrach ihn Konrad von Zoitzheim. »Einer dieser verdammten Männer, die seit einiger Zeit das verdammte Proletariat mit verdammten Ideen und verdammten Forderungen nach unmöglichen Rechten aufwiegeln.«
Unwillig nahm er das letzte Glas von dem Tablett, das ihm Frida reichte.
»Nun, eines ist sicher, hier werden seine Ideen gar nicht erst aufkommen, dafür sorge ich persönlich.«
»Wann beginnt das Kaisermanöver?«, versuchte der Bürgermeister zu beschwichtigen.
»Im Herbst«, fuhr der Gutsherr etwas beruhigter fort. »Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien haben vor einer Woche eine militärische Zusammenarbeit beschlossen. Das ist richtig, wenn Sie mich fragen, glauben Sie mir, der Russe sitzt uns schon nahe genug.«
Frida stand an der Anrichte und wartete auf weitere Anweisungen. Sie war müde. Es war spät am Abend, und die Gespräche der Männer wollten nicht enden. Diese Politik, dachte sie, und lief in den Damensalon.
»Darf ich -«, wollte sie beginnen, aber Frau von Zoitzheim kam ihr bereits entgegen, und erleichtert sah Frida, wie sie zu ihrem Mann ging, sich über ihn beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Vorsichtig huschte Frida die Treppe hoch.
Es war weit nach Mitternacht, fast zwei Uhr. Sie hatte die Küche aufräumen und das gesamte gute Geschirr alleine spülen müssen, denn dem zweiten Mädchen war nicht gut gewesen. Eigentlich wollte sie nicht mehr zu Kaspar, aber sie hatte es ihm versprochen und wusste, er würde auf sie warten.
Unter dem Türspalt zu seinem Zimmer sah sie einen schwachen Lichtstrahl und trat leise ein.
»Hier, das wollte ich dir zeigen«, flüsterte er, nahm ihren Finger und führte ihn über eine Landkarte, die ausgebreitet auf seinem Bett lag. »Dort wirst du landen. In Swakopmund. Und genau da werde ich auf dich warten und dann schon wissen, wo das Land liegt -«, er blickte sie strahlend an, »unser Land, Frida.«
Aufgeregt wickelte er sich die blonde Haarsträhne um den Finger. Immer und immer wieder, bis sie sich wie eine Spirale hinter sein Ohr legte.
Diese Angewohnheit liebe ich an ihm, ging Frida flüchtig durch den Kopf, und sie setzte sich vorsichtig neben die Karte.
Das Kerzenlicht tanzte über ihren Köpfen und malte zitternde Schatten auf die Wand.
»Und was wolltest du mich Wichtiges fragen?«, lächelte Frida. Sie war müde, ja, aber das Ziel Kaspars und ihres, so nahe vor Augen, machte sie wach und aufgeregt, ließ sie spüren, dass mit ihnen etwas Wunderbares passierte.
»Wir können schon in Swakopmund heiraten, alle Schutztruppler dürfen das. Man hat es mir in Plön gesagt«, seine Stimme war jetzt heiser, »und ich wollte - möchte dich fragen -«, er nahm sie in den Arm, »Frida, ist es dir recht, wenn wir es auch machen, ich meine in der Stunde deiner Ankunft heiraten und dann sofort aufbrechen?«
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg.
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Autoren-Porträt von Barbara Seelk
Barbara Seelk, geboren 1944 in Freiburg/Brsg., lernte amerikanisches Filmbusiness. Anfang 1970 machte sie sich mit Verleih, Produktion und Lizenzhandel selbstständig. Dreh- und Dialogbücher brachten sie zum Schreiben. Nach "Die Roggenmuhme" und "Hirtenvogel", zwei Familienromanen, ist "Die Stunde der Löwin" nach "Kleine weiße Frau" ihr zweiter Afrikaroman.Bibliographische Angaben
- Autor: Barbara Seelk
- 2013, 1, 416 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863651707
- ISBN-13: 9783863651701
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