Die Tochter der Seherin / von Eisenberg Saga Bd.1
Anfang des 16. Jahrhunderts im Alpenvorland: Die hübsche Halbwaise Emma von Eisenberg und Marzan von Hohenfreyberg verbindet eine tiefe Freundschaft. Doch die beiden Adelskinder werden sechs Jahre getrennt, als Marzan zu Jakob Fugger nach Augsburg aufbricht. Nach seiner Rückkehr verbringen die Herangereiften eine leidenschaftliche Liebesnacht miteinander, aber ihr Glück währt nur kurz. Denn Emmas kranker Vater Richard verspricht seine Tochter dem viel älteren Graf Darius von Ravensberg. Kurz darauf wird Richard von Eisenberg ermordet, und Marzan gerät in Verdacht ...
Stefanie Kasper lebt in der Umgebung von Wessobrunn, einem magischen Ort im Bayerischen Pfaffenwinkel, wo 753 Benediktiner ein Kloster gründeten. Dieses Umfeld prägte Stefanie Kasper: Schon als junges Mädchen war sie besessen von Geschichte, vor allem vom Mittelalter. und so wundert es nicht, dass sich das Schicksal ihrer Heldin Emma von Eisenberg liest, als ob Stefanie Kasper es selbst erlebt hätte.
Whrend drinnen Grfin Amelia die Qualen der Niederkunft durchlitt, schritt drauen vor dem Turmzimmer Richard von Eisenberg, die Hnde gefaltet, unruhig auf und ab. Seine Frau war in den letzten Wochen sehr schwach gewesen, und er frchtete um sie. Endlich, eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, hrte Richard das Kreischen des Babys, noch ehe er sein Kind zum ersten Mal sah.
"Sie hat Euch eine gesunde Tochter geboren, mein Graf." Die grauhaarige Hebamme streckte ihm das Neugeborene entgegen. "Das Ebenbild ihrer Mutter."
Ein Lcheln erschien auf dem Gesicht des Mannes. Sanft strich er mit dem Zeigefinger ber das Kpfchen des Kindes. Dann wandte er sich ab.
"Meine Frau ..."
"Wartet." Die Hebamme hielt ihn zurck. "Die Grfin - sie ist sehr geschwcht ..."
"Amelia!" Angst schwang in seiner Stimme mit. "Was ist mit ihr?"
Die alte Frau schttelte bedauernd den Kopf. "Es tut mir leid, mein Graf, aber es sieht danach aus, als wre ihre Zeit gekommen."
"Nein!" Mit groen Schritten strmte Graf von Eisenberg an das Bett seiner Frau.
"Liebes."
Die Laken unter ihrem Krper waren rot gefrbt von ihrem Blut. Er kniete sich neben ihrem Lager nieder.
"Richard." Amelias Stimme war kaum mehr als ein Flstern. "Ich bin mde ... so mde."
"Du musst dich ausruhen." Er strich mit der Hand ber ihr schweinasses Haar.
"Das Kind ..."
"Es geht ihm gut. Du hast mir eine wunderschne Tochter geschenkt, Liebste."
"Ich muss dir ... etwas sagen." Der Atem der Grfin rasselte. "Die Wahrheit, Richard ..." Sie keuchte und brachte den Satz nicht zu Ende.
"So hilf ihr doch!" Der Graf sah sich in seiner Verzweiflung nach der Hebamme um. "Es geht ihr immer schlechter."
Die Alte trat langsam ans Bett. Ihr gengte ein Blick auf die Grfin.
"Ich kann nichts mehr tun." Trstend legte sie eine Hand auf die bebenden Schultern des Mannes, der die blasse Hand seiner Frau umklammert hielt. "Eure Gemahlin, sie ist nicht mehr."
"Nein!" Aufschluchzend nahm Richard
Irgendwo ganz in der Nhe begann das Neugeborene laut zu weinen. Ganz so, als spre es, dass seine Mutter nicht mehr am Leben war.
In einer kleinen Kapelle, hoch oben auf einem Hgel, kniete im selben Augenblick betend eine Frau. Ihr leises Murmeln erfllte das Gotteshaus, ihre faltigen Hnde hatte sie ineinander verschlungen. Die weien Kerzen auf dem Altar flackerten.
"Bitte ..." Ihr Flstern schien zwischen den Bnken und von den Wnden widerzuhallen. "Gib der Tochter die Kraft, die ihre Mutter nicht hatte."
"Ruppert, wir sind's!"
Ruppert Reblem drehte sich nicht um, als er die Stimmen der Kinder hinter sich vernahm. In der warmen und stickigen Schmiede war es schon jetzt am Nachmittag dster wie in einer Hhle. Ihm rann der Schwei von der Stirn, den er immer wieder ungeduldig mit dem Handrcken fortwischte. Es erforderte hchste Konzentration und ein przises Augenma, das glhende Stck Eisen mit dem Hammer zu einer Angel zu formen, die spter einmal das Gewicht einer hlzernen Tr tragen sollte. Die Arbeit musste schnell vonstatten gehen. Unterlief ihm auch nur der kleinste Fehler, waren seine Mhen mit einem Schlag zunichtegemacht.
Whrend er mit dem Fu den ledernen Blasebalg bediente, krachte das Werkzeug wieder und wieder wuchtig auf das Metall herab. Die hervortretenden Muskelstrnge unter seiner Haut kndeten von der Kraft des Mannes. Wilhelm, sein Gehilfe, schrte das Schmiedfeuer und beobachtete den Meister genau, um von ihm zu lernen. Jeder Handgriff musste sitzen. Am Ende zog der Schmiedemeister mit der Zange das fertige Treisen aus dem Feuer. Es dampfte und zischte, als er es zur Abkhlung in den Wassertrog tauchte. Dann erst wandte er sich zu den Kindern um.
"Ihr schon wieder", brummte er und schmunzelte innerlich ber die Anhnglichkeit der beiden.
"Erzhlst du uns eine Geschichte, Ruppert?", bat das Mdchen. "Ja bitte!", rief der Junge, "bitte, erzhl uns eine!"
"Tut mir leid, aber heute habe ich keine Zeit fr euch. Ihr seht ja, ich muss arbeiten. Kommt morgen wieder, vielleicht ist mir bis dahin etwas wirklich Gruseliges eingefallen." Er zwinkerte den beiden zu.
"Aber", wandte die Kleine ein, "morgen geht es nicht." Zu Rupperts Verblffung kullerten pltzlich Trnen ber ihre Wangen. So kannte er Emma von Eisenberg, den kleinen Wildfang, gar nicht. Niemand, und sei es der Teufel in Person, konnte die Tochter seines Herrn zum Weinen bringen. Zwar wusste er, dass die Kinder seine Erzhlungen liebten, aber einen Tag Aufschub nahmen sie normalerweise ohne Protest in Kauf. Auch Marzans Blick hatte sich verfinstert. Der Junge war der einzige Sohn des Grafen von Hohenfreyberg. Genau wie seine kleine Freundin war er furchtlos und wagemutig. Ein wenig besorgt kniete er sich vor die Kinder hin, die dicht nebeneinander auf der schmalen Holzbank saen. Ihre Gesichter waren von der Hitze gertet, und hinter ihrem Ausdruck von Trotz verbarg sich endlose Traurigkeit.
"Was ist geschehen?", fragte er und strich Emma leicht ber die Wange, "erzhl es mir, Kleines." Das Mdchen sah zu Marzan hinber. Erst als dieser nickte, begann sie zgernd zu berichten. "Er muss fort", sie deutete mit dem Kopf in die Richtung ihres Freundes, "sie schicken ihn einfach so weg." Man merkte ihr an, dass sie tapfer sein wollte, doch ihr kleiner, rosiger Mund bebte. Der Junge, er war zwlf Jahre alt, legte ihr seine linke Hand in den Nacken. Eine einfache Geste, die von erstaunlicher Reife und inniger Verbundenheit zeugte. Er wollte ihr Trost spenden, doch es gelang ihm nicht. Seine kleine Gefhrtin brach vollends in Trnen aus.
"Wo musst du denn hin?", erkundigte sich Ruppert bei dem Knaben. Marzan strich sich eine dunkle Haarstrhne aus dem Gesicht und blickte den Schmiedemeister nachdenklich an. "Du bist unser Freund, oder?", vergewisserte er sich zgernd. Ein Nicken reichte ihm als Besttigung.
"Ich soll nach Augsburg zu Jakob Fugger und seiner Familie. Die werden mich da ausbilden in kaufmnnischen Belangen, im Handel und in der Fhrung von Menschen." Der Junge biss sich fest auf die Unterlippe, um nicht wie seine Freundin loszuheulen. "Fr sechs Jahre."
Ruppert Reblem fiel die Kinnlade herunter. Zwar hatte er wenig mit Konstantin und Margaretha von Hohenfreyberg, Marzans Eltern, zu tun, dennoch hatte er immer das Gefhl gehabt, dass diese sich niemals freiwillig von ihrem einzigen Sohn trennen wrden. "Vater meint, die wrden mich da frs Leben schleifen und zurechtbiegen", berichtete Marzan getreulich, "und wenn ich wiederkme, wre ich ein Edelmann, dessen Bildung seinem Stand auch gerecht wird."
Nachdenklich rieb sich der Schmiedemeister das Kinn, wobei er einen schmalen Schmutzstreifen auf seiner rechten Wange hinterlie. "Eine kaufmnnische Ausbildung fr einen zuknftigen Grafen, wo hat man so was schon gehrt", schoss es ihm durch den Kopf.
"Nun passt einmal genau auf, ihr beiden", wandte er sich ernst an die Kinder und sprach erst weiter, als er sich auch Emmas Aufmerksamkeit sicher sein konnte. Die Kleine hatte ihre Trnen tapfer zurckgedrngt. "Sechs Jahre sind eine lange Zeit, da habt ihr ganz recht. Aber wahre Freundschaft, das msst ihr mir glauben, hlt fr immer und ewig. Vergesst einander nicht! Denkt abends vor dem Einschlafen aneinander! Dann wird alles so sein wie frher, wenn Marzan zurckkommt. Ihr mgt vielleicht an unterschiedlichen Orten sein, aber eure Herzen kann niemand auseinanderreien."
Gespannt wartete Ruppert auf die Reaktion der Kinder. Tatschlich stahl sich jeweils ein kleines Lcheln auf ihre Gesichter. Der Schmiedemeister glaubte nicht wirklich an das, was er ihnen gesagt hatte. In sechs Jahren wrden sie freinander wohl nichts anderes mehr sein als ein vager Schatten in der Erinnerung. Aber Ruppert Reblem hatte ein gutes Herz. Er wollte seine kleinen Schtzlinge glcklich sehen. "So, und jetzt erzhle ich euch zur Feier des Tages doch noch eine Geschichte. Aber nur, wenn ihr mir versprecht, dass ihr dann keine so langen Gesichter mehr zieht."
"Au ja!", riefen Emma und Marzan wie aus einem Munde. Zwei leuchtende Augenpaare richteten sich gespannt auf den Schmied. Die Kinder waren jung, sie konnten ihren Kummer von einem Moment auf den anderen zur Seite schieben. "Mchtest du auch zuhren, Wilhelm?", fragte Ruppert seinen Gesellen. Der junge Mann hielt in seiner Arbeit inne, blickte zum Meister hinber. Sein ganzer Krper, von den schlaksigen Beinen ber die schmalen Schultern, strahlte Abwehr und Gereiztheit aus. "Findet Ihr nicht, dass ich langsam zu alt bin fr Eure Mrchen?"
Ruppert lchelte ob des verletzten Stolzes des jungen Mannes und dachte fr einen Moment an seine Familie, die ihn zu Hause erwartete, an sein geliebtes Weib und die dazugehrige Rasselbande, drei lebhafte Jungen, von denen zumindest einer, so hoffte er, spter einmal die Kunst des Schmiedens erlernen wrde. "So erzhl doch!", forderte Emma ihn ungeduldig auf. "Pst", ermahnte Marzan sie. "Er muss doch erst berlegen!"
"Es mag wohl zweihundert Jahre her sein", begann Ruppert und lehnte sich bequem zurck in die entspannte Pose des Geschichtenerzhlers, "da war in der Gegend um Eisenberg ein einsamer Jger unterwegs. Noch vor Tagesanbruch machte er sich auf in die Wlder, wo er das Versteck eines Bren vermutete. Nach einiger Zeit erreichte er den Eingang einer engen Schlucht, an deren Ende er die Hhle des Raubtiers whnte. Der junge Mann war entschlossen, sein Wild zu erlegen, von nichts und niemandem wollte er sich aufhalten lassen. Da bemerkte er pltzlich im Gest eines Baumes einen mchtigen Vogel. Der Falke beugte ihn unentwegt mit seinen scharfen uglein. Mit einem Mal fhlte sich der Jger in einen seltsamen Bann gezogen. Er konnte sich nicht erklren, warum, aber er musste dem geheimnisvollen Herrn der Lfte unbedingt folgen. Keuchend kletterte er ber Felsen und Wurzeln und scherte sich nicht um die Verletzungen, die er sich dabei zuzog. Schlielich gelangte er zu einem wilden Schrofen, auf dem sich der Falke niedergelassen hatte. Zu beiden Seiten ghnten tiefe Abgrnde. Es erschien dem Jger, als kme alle Dunkelheit der Welt aus diesen riesigen Spalten im Fels. Er war in eine Gegend geraten, die er zuvor noch nie betreten hatte. Als er sich umschaute, glaubte er unter dem dichten Moos und den filzigen Flechten ein von Menschenhand errichtetes Gemuer zu erkennen, das jetzt freilich von Latschen und Farnen berwuchert war. Gerade noch bemerkte er, wie der unheimliche Falke auf einen tiefschwarzen Felsspalt zuschwebte und darin verschwand.
Wie von magischer Hand geleitet folgte er dem Tier, es kostete ihn allen Mut, den er besa. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewhnt hatten, gewahrte er weiter hinten in dem Spalt einen winzigen Lichtschimmer. Urpltzlich gab der Boden unter seinen Fen nach, und er strzte in die Tiefe." Ruppert unterbrach seine Erzhlung und lie seinen Blick ber die verzauberte Zuhrerschaft schweifen.
Emma spielte nervs mit ihren Fingern, whrend Marzan vor Aufregung ungeduldig mit dem Fu wippte. "Bitte", bat er, "wie geht es weiter?"
Der Schmied lchelte und fuhr fort. "Der Jger war nach seinem unerwarteten Fall benommen, doch als er sich von seiner Todesangst erholt hatte, traute er seinen Augen nicht. Er befand sich in einem groen Saal, der von einigen Fackeln sprlich beleuchtet wurde. Staunend blickte er sich um. Die Holzvertfelung war uralt und schadhaft. Die Decke der Halle war mit zahlreichen Ornamenten verziert, und den Boden bedeckten graue Steinplatten, deren Ecken da und dort abgesprungen waren. Der ganze Raum glich einem verwahrlosten Rittersaal. Die hohen Fenster hatten keine Scheiben, und ein kalter Windsto fegte ihm durch das Haar. Er frstelte. An der gegenberliegenden Wand erkannte er einen hohen Holzstuhl. Dahinter wurde ein zerschlissener Wandbehang sichtbar, der einen Wappenschild trug, dessen Emblem er in der Dsternis nicht erkennen konnte."
Ruppert flsterte jetzt beinahe, um die unheimliche Atmosphre der Erzhlung noch zu verstrken. "Sein Blick fiel auf die Gestalt, welche pltzlich in dem Stuhl am Ende des Saales sa. Und ... Waaaah!" Mit einem Satz und lautem Gebrll sprang der Schmied auf. "Aaaah", brllten die Kinder, und "Hilfe", schrie Wilhelm, der Geselle.
Ruppert Reblem amsierte sich prchtig. "Euch drei kriegt man doch immer wieder dran", lachte er ber seine erbosten Zuhrer. Marzans Haare standen wie die eines Igels zu Berge. "Das war nicht lustig!", funkelte ihn Emma an und stampfte wtend mit dem Fu auf den lehmigen Boden der Werkstatt. "Du sollst die Geschichte geflligst nur erzhlen und uns nicht immer erschrecken!" In der Stimme der Kleinen klang schon jetzt Autoritt mit. Spter einmal, als Herrin auf Eisenberg, wrde sie es gewohnt sein, Mnnern wie ihm Befehle zu erteilen. Fr einen Moment stellte Ruppert sich das Mdchen als erwachsenes Weib vor. Mit den pechschwarzen Haaren und den geheimnisvollen grauen Augen wrde sie eine Verlockung fr jeden Mann sein. Er erinnerte sich an ihre Mutter, die im Kindbett gestorben war. Grfin Amelia von Eisenberg. Ihr htte er sich bedingungslos zu Fen geworfen, alle Mnner htten das getan.
Sie hatte sie alle verzaubert. Manche hatten gar gemunkelt, sie sei eine Hexe.
"An was denkst du gerade?", erkundigte sich Emma mit forschendem Blick. Sie hnelte ihrer Mutter ganz und gar. Ruppert fuhr sich mit der Hand durch das wenige Haar, das ihm noch geblieben war, konzentrierte sich wieder auf seine Geschichte und spann den Faden weiter. "Der Jger sah also die Erscheinung vor sich, die Momente zuvor noch nicht da gewesen war. Hager war die Gestalt, blass wie der Tod, faltenreich und mit scharf geschnittenen Zgen. Die Nase war raubvogelartig gebogen, und ihn traf ein bannender Blick aus stechenden, dunklen Augen. Dem jungen Mann brach der Angstschwei aus. Der Geist war in schwarzes Tuch gehllt, das in ppigem Faltenwurf bis zum Boden reichte. Befremdlich lange, krallenartige Hnde lagen auf spitzen Knien. Da begann die Gestalt mit schneidender, durch Mark und Bein gehender Stimme zu sprechen: 'Ihr seid sehr khn, Jger! Der Erste, der es wagt, Schloss Falkenstein zu betreten, nachdem es fern von jenen glcklichen Tagen zerfallen und in Trmmern liegt. Vorbei ist's mit den stolzen Rittern, vergessen lngst die edle Kunst der Falkenbeize, vorber die frhlichen Feste, die nach der Falkenjagd gefeiert wurden, verstummt der preisende Gesang der Barden, das helle Lachen der Frauen.'
Nach kurzem Schweigen setzte das gespenstische Wesen seinen Monolog aus fremden Welten fort. 'Ich bin der Herr von Falkenstein, der Letzte seiner Art. Wachen muss ich in den Trmmern. In der Gestalt des Falken leben, als verwunschener Geist, und niemand wird mich je erlsen.' Bitteres Lachen erklang aus seiner Kehle und brach sich in tausendfachem Echo an den Wnden der Halle. Im nchsten Augenblick fielen lichte Schleier hernieder, und es wurde still. Faser fr Faser lste sich das Gespenst auf. Die starren, scharfen Gesichtszge verschwammen in Undeutlichkeit, es wurde hell, und ehe der Jger sich's versah, drang blendendes Sonnenlicht herein.
Die Decke des Saales schmolz dahin, die Wnde und der Boden verschwanden, und pltzlich fand sich der Mann auf einer kleinen Wiese wieder, die fast eben und von moosbewachsenen Mauerresten umgeben war. In seiner Hand hielt er einen Edelstein von unfassbarer Reinheit. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, und schnellen Schrittes strebte der Jger weg von diesem Ort, von diesem Schattenreich vergangener Zeiten. Sein ganzes Leben lang verga er, hin- und hergerissen zwischen Abscheu, Mitleid und Dankbarkeit, nicht den Herrn von Falkenstein."
Ruppert wartete, bis der aufgeregt flache Atem der Kinder sich wieder beruhigt hatte. "Das war eine gute Geschichte", lobte Marzan. "Noch eine!", rief Emma sogleich. Der Schmied schttelte amsiert den Kopf. "Nichts da, es wird Zeit fr euch, nach Hause zu gehen. Ich muss wieder an die Arbeit." Mit einem Mal fiel den Kindern ihre ausweglose Situation wieder ein, und der Glanz in ihren Augen erlosch. "Nun seid nicht traurig, ihr werdet euch ja wiedersehen", sprach er ihnen Mut zu.
Marzan griff nach Emmas Hand. "Lass uns gehen", forderte er sie auf, und sie folgte ihm widerstandslos. Ruppert Reblem fuhr dem Knaben mit der Hand ber den schwarzen Schopf. "Bleib tapfer, Kleiner!"
Als das Trappeln der Kinderfe verklungen war, wandte er sich nachdenklich wieder Amboss und Blasebalg zu. "Vielleicht macht es nicht glcklich im Leben, das Kind adeliger Herrschaften zu sein", sinnierte er.
Emmas Zuhause, Burg Eisenberg, lag auf einem Hgel sdwestlich ber dem gleichnamigen Dorf, Marzan lebte mit seinen Eltern auf Hohenfreyberg, der Nachbarburg direkt auf dem Hgel gegenber. Die unsichtbare Grenzlinie der
Grafschaften wand sich zwischen den beiden Anhhen hindurch. Das Gebiet Eisenbergs erstreckte sich linker, das Hohenfreybergs rechter Hand.Die Kinder wussten trotz ihrer Jugend um die Bedeutsamkeit ihres Abschieds. Alles wrde sich ndern, einfach alles. Sie erreichten die Stelle, an der die Strae sich gabelte. Hier hatten sie sich Abend fr Abend nach ereignisreichen Tagen voller Spiel und Lachen voneinander verabschiedet. "Auf Wiedersehen", sagte Emma wie gewohnt. Nun wrden sich ihre Wege trennen. "Auf Wiedersehen." Marzan legte ihr fr einen kurzen Moment seine kleine, warme Hand in den Nacken, dann nahm er sie fort. Ohne sich noch einmal umzuschauen, gingen sie in entgegengesetzte Richtungen davon. Emma wusste, auch ohne ihn zu sehen, dass Marzan weinte. Sie konnte seine Trnen auf ihren Wangen spren, schmeckte den salzigen Geschmack im Mund.
- Autor: Stefanie Kasper
- 2007, 543 Seiten, Maße: 11,7 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442465818
- ISBN-13: 9783442465811
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