Die Verwandlung der Lust
Eine Geschichte der abendländischen Sexualität
Die Bändigung der Sinne und die Entfesselung der Moderne
Der renommierte Pariser Kulturhistoriker Robert Muchembled erzählt die Geschichte der Sexualität vom 16. Jahrhundert bis zur sexuellen Revolution der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die...
Der renommierte Pariser Kulturhistoriker Robert Muchembled erzählt die Geschichte der Sexualität vom 16. Jahrhundert bis zur sexuellen Revolution der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
24.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Verwandlung der Lust “
Die Bändigung der Sinne und die Entfesselung der Moderne
Der renommierte Pariser Kulturhistoriker Robert Muchembled erzählt die Geschichte der Sexualität vom 16. Jahrhundert bis zur sexuellen Revolution der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte der Sexualität ist aber auch eine Geschichte ihrer Unterdrückung und Sublimierung. Die körperliche Lust, so Muchembled, wurde verwandelt und machte die Menschen kreativ und innovativ.
Ab dem 16. Jahrhundert wurde die Sexualität im Abendland vonseiten der Kirche und des Staates zunehmen Restriktionen unterworfen, Lust wurde geächtet, Sex durfte nur in der Ehe stattfinden und wurde auch hier auf Fortpflanzung reduziert. Allerdings, und das ist Muchembleds überzeuge These, wirkte sich diese Überwachung des Körpers und der Seele, die Michel Foucault beschrieben hat, unerwartet positiv aus. Die unterdrückte Lust wurde gleichsam verwandelt und entwickelte sich zum versteckten Motor, der Europa zu großen innovativen künstlerischen,kriegerischen und ökonomischen Leistungen verhalf und es schließlich zur Weltmacht aufsteigen ließ. Robert Muchembled beschreibt die Geschichte der Sexualität währ der letzten fünfhundert Jahre und auf der Grundlage vielfältiger Quellen, die einen faszinieren Blick in das Alltagsleben der Menschen geben.
Erste umfassende Geschichte der Lust im modernen Europa.
Der renommierte Pariser Kulturhistoriker Robert Muchembled erzählt die Geschichte der Sexualität vom 16. Jahrhundert bis zur sexuellen Revolution der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Geschichte der Sexualität ist aber auch eine Geschichte ihrer Unterdrückung und Sublimierung. Die körperliche Lust, so Muchembled, wurde verwandelt und machte die Menschen kreativ und innovativ.
Ab dem 16. Jahrhundert wurde die Sexualität im Abendland vonseiten der Kirche und des Staates zunehmen Restriktionen unterworfen, Lust wurde geächtet, Sex durfte nur in der Ehe stattfinden und wurde auch hier auf Fortpflanzung reduziert. Allerdings, und das ist Muchembleds überzeuge These, wirkte sich diese Überwachung des Körpers und der Seele, die Michel Foucault beschrieben hat, unerwartet positiv aus. Die unterdrückte Lust wurde gleichsam verwandelt und entwickelte sich zum versteckten Motor, der Europa zu großen innovativen künstlerischen,kriegerischen und ökonomischen Leistungen verhalf und es schließlich zur Weltmacht aufsteigen ließ. Robert Muchembled beschreibt die Geschichte der Sexualität währ der letzten fünfhundert Jahre und auf der Grundlage vielfältiger Quellen, die einen faszinieren Blick in das Alltagsleben der Menschen geben.
Erste umfassende Geschichte der Lust im modernen Europa.
Lese-Probe zu „Die Verwandlung der Lust “
Ein Jahr voller Lust Die Abtei von Theleme gibt es tatsächlich. Sicher hätte es Rabelais gefallen, dort wie ich ein angenehmes, fruchtbares Jahr zu verbringen, in ausgewählter Gesellschaft, und zu tun und zu lassen, wozu man Lust hat, mit der einzigen Auflage, dort auch zu wohnen. Am Institute for Advanced Study in Princeton habe ich Seelenruhe, freundschaftliche Wärme und Geschmack an den Freuden des Denkens gefunden. Manchmal auch an den Freuden der Sinne, sofern sie nicht eine Überdosis Knoblauchpulver in den Saucen des bemerkenswerten Restaurants und einen allzu offensichtlichen Hang zu künstlichen Paradiesen beinhalteten. Wer nicht schon einmal erlebt hat, wie sich 39 Paar Augen abwechselnd auf das eigene Glas Wein und auf die anderen 39 mit Mineralwasser gefüllten Gläser richten, wird nicht verstehen, was Selbstkontrolle angesichts sozialer Zwänge heißt! Anpassung wird zum Vergnügen oder kommt zumindest einer Erleichterung gleich.In diesem Schlaraffenland für Forscher, das über riesige Bibliotheken verfügt, die Tag und Nacht und auch am Sonntag geöffnet sind, ist Arbeit eine ethische Verpflichtung, ein Stück Lebenskunst, für die Erben der protestantischen Geisteshaltung, der Prädestinationslehre entsprechend, sogar ein Zeichen ihrer Auserwähltheit. Der europäische Hedonist spürt in diesem Universum eine ungewohnte, starke Erregung, die ihn zur Effizienz drängt. Und es ist erstaunlich, festzustellen, wie sehr sich der Geschmack an einfachen Freuden steigert, wenn man auf einige von ihnen verzichten muss. Durch die Abwesenheit, den Mangel, sind mir Champagner, Gänseleberpastete und würziger Käse umso kostbarer geworden. Auf diese Weise habe ich besser verstanden, wie sehr sich das heutige "alte Europa" von dem Land der Selfmademen unterscheidet, das nach wie vor einer männlichen, von Kampf und Konkurrenz geprägten Vorstellung vom Leben anhängt, die weniger Platz für unmittelbare Vergnügungen lässt als bei uns. Diese beiden großen Kulturen gehen sehr
... mehr
verschieden mit der Lust um, wie wir in der Zusammenfassung dieses Buches sehen werden. Unbestreitbar ist es das lange Eintauchen in die amerikanische Kultur, das es mir ermöglicht hat, mehr Klarheit über solche Dinge zu gewinnen. Ich erinnere mich an den Kommentar eines Philosophen, nachdem ich im Kreis von Kollegen einen Überblick über mein Thema, die körperliche Lust, gegeben hatte. Am nächsten Tag raunte er mir bei Tisch spöttisch zu: "Ich bin seit dreißig Jahren hier, und zum ersten Mal habe ich in der Öffentlichkeit das Wort fuck gehört..."
Nostalgie ergreift mich, wenn ich an die Tage in Princeton zurückdenke. Auf dem Weg zu meinem Büro, vorbei an der Fuld Hall, die noch der Geist von Albert Einstein durchweht, traf ich jeden Tag Kollegen, Freunde. Ich diskutierte oft lange mit ihnen und beobachtete dabei die Eichhörnchen, die einander im Gras jagten, die Vögel, die sich in die Luft erhoben, im Mai die cicadas, die von den Bäumen fielen, Insekten, die alle 17 Jahre einmal im Juli aus der Erde krabbeln, sich fortpflanzen und sterben. Hin und wieder habe ich mich gefragt, ob diese Tiere die Lust kennen, vor allem die geschlechtliche Lust. Gegenüber meinen amerikanischen Kollegen hielt ich mich mit solchen Gedanken vorsichtshalber zurück, denn ich wollte nicht als zu französisch gelten, zu sehr an Themen interessiert, die ins Schlafzimmer gehören...
Princeton-Paris, 2003-2004 Einführung Der Gedanke der Lust deckt eine vielgestaltige Realität ab. Von sinnlichen Befriedigungen über Tafelfreuden bis zum ästhetischen Genuss und zu spirituellen Wonnen, nicht zu vergessen der perverse Sinnenrausch: Die Palette der menschlichen Glücksempfindungen erweist sich als ungeheuer bunt. Im alten China, zur Zeit der Han-Dynastie, definierten die Gelehrten den Begriff präzise, indem sie ihn entweder auf eine Handlungsweise bezogen (Lust haben oder nach Lust streben) oder auf einen Zustand wie die Euphorie oder auf Gefühle oder Bedürfnisse. Sie unterschieden drei mögliche Arten des Genusses: die unmittelbare Befriedigung von Wünschen, die Freude aus Stolz auf den Besitz von Dingen oder Menschen (Paläste und Gärten, edle Pferde, schöne Frauen, herrliche Gewänder, erlesenes Essen, köstliche Weine ...) und die Lust, die aus der philosophischen Reflexion über die Wahrnehmung der empfundenen Freuden herrührt. Letzteres führte manchmal dazu, dass man sich einer Wahrnehmung im Speziellen widmete, um zu einer längeren und letztlich intensiveren Ekstase zu gelangen, oder aber dass man die Lust gar verschmähte. Die großen Meister rieten den Kaisern zu einer regelrechten Politik der Lust, um die Verschwendung von Energie, Zeit und Reichtum infolge des Strebens nach Lust in Bahnen zu lenken, die den Staat, die Familie und den Einzelnen stärken sollten, statt ihnen zu schaden. In ihren Augen waren die Tugend und die Askese des konfuzianischen Weges der krönende Schlussstein dieser Konstruktion und leiteten den Menschen hin zu dem, was im Westen später Glück hieß.
Wer zu viel will, erreicht nichts richtig! Ein so umfangreiches Thema kann in einem Buch nicht erschöpfend behandelt werden. Ich habe mich dafür entschieden, die Ausführungen auf die Sexualität zu beschränken, und greife unter diesem Blickwinkel ein Thema auf, das bislang eher wenig beachtet wurde, trotz Michel Foucaults Versuch einer Synthese. Anders als er bin ich der Meinung, dass sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in unserer Kultur eine massive Repression der körperlichen Gelüste durchgesetzt hat, die erst seit den 1960er Jahren wieder im Rückgang begriffen ist. Der Prozess, der eine Grundspannung zwischen der Libido des Einzelnen und den kollektiven Idealen erzeugt, hat während dieser langen Zeit kontinuierlich ein mächtiges Bemühen um Sublimierung entstehen lassen, wovon sowohl die aufeinanderfolgenden kulturellen Einkleidungen der Religion, der katholischen wie der protestantischen, betroffen waren, als auch das Ideal der Mäßigung, wie es die Philosophen der Aufklärungszeit pflegten und die Ärzte des 19. Jahrhunderts lehrten, und schließlich die kapitalistischen Marktgesetze. Auf diesem im 17. Jahrhundert festgefügten Sockel von Regeln und Verboten entfalteten sich abwechselnd Zyklen der Befreiung und des Zwangs, und diese Bewegung ist für mich ein zentraler Faktor bei der Erklärung der allgemeinen Dynamik Europas, weil sie ein beständiges Bedürfnis nährt, die daraus entstandenen seelischen Spannungen zu bewältigen. Einerseits wecken aufgestaute unerfüllte Wünsche in den Phasen verstärkter Frustration immer lautere Forderungen nach Emanzipation, die in einen Durchbruch der Libertinage münden. Andererseits entwickeln zahlreiche Einzelne, die sich freiwillig oder unfreiwillig der Tyrannei der Moral fügen, Verhaltensmuster, die sie buchstäblich vorantreiben, ihre individuellen Talente in vielfältigen Bereichen zur Blüte zu bringen, wie etwa bei der religiösen Proselytenwerbung, in Krieg und Eroberungen, in künstlerischer und intellektueller Betätigung, im internationalen wirtschaftlichen Austausch ...
Bei den klassischen Erklärungen, was die Originalität des europäischen Entwicklungsweges ausmacht, wird oft das Gegensatzpaar Spiritualismus und Ökonomie angeführt. Doch mir scheint es nicht ganz befriedigend, wenn man vorrangig auf die christliche Religion oder auf den Kapitalismus verweist, denn diese Begriffe beschreiben nicht einfach objektive Realitäten, sondern sind auch kulturelle Hervorbringungen, eine Art und Weise, über bestimmte soziale Fakten und Gegenstände zu sprechen. Deshalb schlage ich eine umfassendere Interpretation vor, die die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen in den Blick nimmt und behauptet, dass die Sublimierung erotischer Triebe seit der Renaissance das Fundament der Besonderheit unseres Kontinents darstellt. Sie geht weit über die Normen der Theologen und der Machthaber hinaus und kontrolliert permanent das explosive und höchst gefährliche Potential der Sexualität, indem sie sich beständig größeren Veränderungen anpasst. Ihre offensichtliche Form, die Unterdrückung der Sinnenlust, ist in meinen Augen das wesentliche Element bei der Erfindung der westlichen Moderne und liefert das fehlende Glied in der Kette, das es erlaubt, die intime Beziehung zwischen dem spirituellen und dem materiellen Bereich, zwischen Körper und Geist, zwischen dem Einzelnen und den anderen zu verstehen.
Max Weber verknüpfte die Geburt und die Entfaltung des Kapitalismus mit der calvinistischen Ethik und erklärte den europäischen Geist mit religionssoziologischen Befunden. Ich erweitere seine Perspektive und sage, die Originalität unseres kollektiven Gefüges hat mit dem beständigen Bemühen zu tun, das fleischliche Begehren zu kontrollieren und in eine andere Richtung zu lenken. Allerdings sehe ich darin etwas, das kontinuierlich von all jenen Lebenskräften ausgeht, die seit fast fünf Jahrhunderten in einer gemeinsamen Matrix am Werke sind, und nicht einfach eine Moral, die aus dem Geist des Protestantismus stammt. Ich stimme mit Norbert Elias überein, der die Dynamik unserer Kultur so beschrieben hat, dass die persönliche Sublimierung durch den "Prozess der Zivilisation" in den Dienst des globalen Fortschritts tritt, möchte aber seine auf den Ursprung des Phänomens und die Produktion von sozialem Zusammenhalt konzentrierten Überlegungen noch vervollständigen und so die Funktionsweise des verborgenen Mechanismus aufdecken, der die Entwicklung ermöglicht hat, indem er die vulkanische Gewalt der sinnlichen Gelüste zügelte. Seit Freud mag dieser Ansatz banal erscheinen. Es bleibt jedoch zu erklären, wie es der Gesellschaft, Quelle unsichtbarer Kräfte, gelingt, intime Wünsche zu kanalisieren, um sie zu sublimieren und in den Dienst der gesamten Gruppe zu stellen. Insofern gehören zu dem Thema eine Geschichte des sexuellen Genusses, ferner das Nachdenken über den Körper, einmal anhand wissenschaftlicher Theorien und dann anhand seiner konkreten Wahrnehmung, sowie eine Untersuchung über das menschliche Subjekt von jener Zeit im 16. und 17. Jahrhundert, als es mit Verachtung und praktisch absolutem Tabu belegt war, bis hin zum gegenwärtigen Triumph des Narzissmus.
Ich habe beschlossen, mich in dieser Untersuchung auf das halbe Jahrtausend von der Renaissance bis in unsere Zeit zu beschränken und zwei große Länder zu vergleichen, Frankreich und England. Die beiden, die nach gängigen Vorurteilen sehr unterschiedlich sind, als unerbittliche Rivalen auftraten und bis zur Entkolonialisierung in der jüngsten Vergangenheit über die größten Kolonialreiche der Welt herrschten, sind sich in ihrer Haltung zu und im Umgang mit der sexuellen Lust erstaunlich ähnlich. Da das eine Land katholisch ist und das andere evangelisch, ist für mich ihre lange parallele Entwicklung der Grund, weshalb ich die Bedeutung, die die Religion bei der Definition sowie der Etablierung einer identischen Selbstkontrolle der körperlichen Leidenschaften spielte, als gering erachte. Die Selbstkontrolle wiederum führte zur Herausbildung einer "libidinösen Ökonomie", auf welcher die außerordentliche Dynamik Europas seit der Zeit der großen Entdeckungen beruht. Paris und London, die beiden rivalisierenden Hauptstädte, waren die Laboratorien, in denen alles begann. Am Ende dieses Weges stehen die Vereinigten Staaten, rebellische Erben des stolzen Albion und zur Zeit La Fayettes fasziniert von dessen Rivalen Frankreich. Sie werden das dritte Beispiel abgeben, welches uns erlaubt, die alten Ähnlichkeiten und die neuen Unterschiede, die beim Vergleich mit der hedonistischen Alten Welt hervortreten, genauer einzuschätzen.
Das Werk besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil stelle ich meine Theorie vor. Dabei arbeite ich die wesentlichen Merkmale der abendländischen Sicht auf die körperliche Lust während fünf Jahrhunderten heraus und untersuche ihre besondere Verbindung zu unserer Kultur. Das Christentum hat zwar von Anfang an versucht, die brodelnde Lava des Sexualtriebes in einen Panzer aus Warnungen und Verboten einzusperren, aber wirklich massiv wurde der moralische Druck erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts, als Katholiken und Protestanten gleichermaßen ihr Vorgehen auf strenge neue Gesetze der weltlichen Autoritäten stützten. Die individuelle Selbstkontrolle und die Besetzung aller schamlosen und obszönen Verhaltensweisen mit Schuldgefühlen trugen dazu bei, dass sich ein rein auf Fortpflanzung ausgerichtetes Modell der Sexualität durchsetzte. Sexualität war allein in der Ehe erlaubt, und selbst im Ehebett durften die Freuden des Fleisches nur maßvoll genossen werden. Eine solche Einengung spiegelt zwar eher die Träume der Moralisten wider als die alltäglichen Realitäten, aber sie trug doch dazu bei, dass sich bei denen, die ihre Begierde bezwingen oder im Zaum halten wollten, um den Geboten der Kirche und den Gesetzen der Herrscher zu gehorchen, eine innere Spannung entwickelte. Die derart kanalisierte Lebensenergie floss nicht selten in große kollektive Ideale. Insofern wirkte sich die zunehmende Überwachung der Körper und der Seelen, die Michel Foucault angeprangert hat, unerwartet positiv aus, als die Gesellschaft von diesen Energieströmen profitierte. Der Kultur wurde dabei Generation für Generation jener unauslöschliche Stempel aufgedrückt, dem zufolge im Herzen der Lust Leiden liegt, bei manchen noch verstärkt durch den Reiz des verbotenen Tuns. Die verschwiegene Erotik wurde so zum geheimen Motor menschlichen Handelns: Sie erzeugt ein individuelles Ungleichgewicht der Triebe, das eher produktiv als destruktiv war, und setzte eine Abfolge von Phasen der Repression und anschließender Befreiung in Gang, die das gesellschaftliche Spiel bereicherte. Tugend und Laster standen in kontinuierlichem Wechsel, prägten nacheinander ein Jahrhundert, einige Jahrzehnte oder auch nur einen kurzen Zeitraum, und dieser Rhythmus hielt sich bis in die 1960er Jahre hinein, als die sexuelle Emanzipation der Frauen und die unwiderstehliche Ausbreitung eines Anspruchs auf sofortiges Glück große Veränderungen ankündigten, wenn nicht gar eine Revolution.
Die drei folgenden Teile zeichnen die großen Abschnitte der Entwicklung seit der Renaissance nach.
Im 16. und 17. Jahrhundert war körperliche Lust nur in Verbindung mit Schmerzen, Not oder Aufbegehren vorstellbar. Das hing nicht nur mit der alten christlichen Haltung zusammen, die die Leidenschaften des Körpers ablehnte, um desto gewisser die Seele zu retten. Auch bei den Meinungsführern und den Mächtigen stieß diese Tradition auf erneute Zustimmung, und in der Folge legten die Staaten großen Wert darauf, den Gehorsam ihrer Untertanen zu überwachen, während die vom entstehenden Kapitalismus durchdrungenen Städte aus Sorge um den wirtschaftlichen Erfolg mehr Disziplin von ihren Bewohnern forderten. Die Stunde des Individuums war gekommen: Es sah sich gedrängt, seine Existenz zu bekunden und seine Schuld vor Gott, dem König und den Repräsentanten der Macht zu erkennen. Die Verbote banden die Lust eng an die Sünde, und das sorgte für eine unauslöschliche Prägung. Verstöße wurden streng geahndet, es war offensichtlich, dass jeder, der die Verbote nicht einhielt, sich in Lebensgefahr begab, denn manche wurden öffentlich verbrannt, weil sie die Freuden der körperlichen Liebe zu laut gepriesen hatten. Solche Erinnerungen sollten die Menschen im Westen lange verfolgen, bis hin zu den Umbrüchen in den Sixties des letzten Jahrhunderts. Womöglich sind sie sogar in unserem epikureischen Zeitalter noch nicht ganz verblasst?
Zwischen 1700 und 1960 folgten zwei große Zyklen aufeinander, erst eine beachtliche Freizügigkeit der Sitten und dann der Puritanismus. Die Aufklärung warf ein neues Licht auf die Erotik, und in der Zeit schwoll die Pornografie zu einer regelrechten Flut an. Aber zwischen 1800 und 1960 senkte sich der viktorianische Schleier wieder schwer herab: Brüste mussten verhüllt werden und das Gleiche galt für alle anderen Dinge, die man aus Gründen der Schicklichkeit nicht anschauen durfte. Im 19. Jahrhundert war es die Medizin, die die Macht in Fragen der Sexualität übernahm, und Letztere wurde allein den verheirateten Männern zugestanden. Diese Wissenschaft wusste von der natürlichen Kälte, gar Frigidität der keuschen Frauen zu berichten und sicherte so den Triumph der männlichen Doppelmoral, die es dem Mann erlaubte, ohne Schuldgefühle Prostituierte zu besuchen, die allein es vermochten, ihm vollständige Lust zu bereiten. Die Medizin oktroyierte aber auch eine Form von laizistischer Sublimation, indem sie betonte, dass es lebenswichtig wäre, die Triebe zu mäßigen. Erotische Exzesse wurden mit Krankheit in Verbindung gebracht, die tödlich enden könnte, vor allem bei Jungen, die sich zu sehr der Selbstbefriedigung hingäben. Das quälende Thema der unter Schmerzen erlebten Lust setzte sich damit, gekleidet in wissenschaftliche Gewissheiten, fort.
Seit den 1960er Jahren leistet das alte, strenge Modell in den Vereinigten Staaten noch Widerstand, aber in Europa triumphiert seither der Hedonismus.
Nostalgie ergreift mich, wenn ich an die Tage in Princeton zurückdenke. Auf dem Weg zu meinem Büro, vorbei an der Fuld Hall, die noch der Geist von Albert Einstein durchweht, traf ich jeden Tag Kollegen, Freunde. Ich diskutierte oft lange mit ihnen und beobachtete dabei die Eichhörnchen, die einander im Gras jagten, die Vögel, die sich in die Luft erhoben, im Mai die cicadas, die von den Bäumen fielen, Insekten, die alle 17 Jahre einmal im Juli aus der Erde krabbeln, sich fortpflanzen und sterben. Hin und wieder habe ich mich gefragt, ob diese Tiere die Lust kennen, vor allem die geschlechtliche Lust. Gegenüber meinen amerikanischen Kollegen hielt ich mich mit solchen Gedanken vorsichtshalber zurück, denn ich wollte nicht als zu französisch gelten, zu sehr an Themen interessiert, die ins Schlafzimmer gehören...
Princeton-Paris, 2003-2004 Einführung Der Gedanke der Lust deckt eine vielgestaltige Realität ab. Von sinnlichen Befriedigungen über Tafelfreuden bis zum ästhetischen Genuss und zu spirituellen Wonnen, nicht zu vergessen der perverse Sinnenrausch: Die Palette der menschlichen Glücksempfindungen erweist sich als ungeheuer bunt. Im alten China, zur Zeit der Han-Dynastie, definierten die Gelehrten den Begriff präzise, indem sie ihn entweder auf eine Handlungsweise bezogen (Lust haben oder nach Lust streben) oder auf einen Zustand wie die Euphorie oder auf Gefühle oder Bedürfnisse. Sie unterschieden drei mögliche Arten des Genusses: die unmittelbare Befriedigung von Wünschen, die Freude aus Stolz auf den Besitz von Dingen oder Menschen (Paläste und Gärten, edle Pferde, schöne Frauen, herrliche Gewänder, erlesenes Essen, köstliche Weine ...) und die Lust, die aus der philosophischen Reflexion über die Wahrnehmung der empfundenen Freuden herrührt. Letzteres führte manchmal dazu, dass man sich einer Wahrnehmung im Speziellen widmete, um zu einer längeren und letztlich intensiveren Ekstase zu gelangen, oder aber dass man die Lust gar verschmähte. Die großen Meister rieten den Kaisern zu einer regelrechten Politik der Lust, um die Verschwendung von Energie, Zeit und Reichtum infolge des Strebens nach Lust in Bahnen zu lenken, die den Staat, die Familie und den Einzelnen stärken sollten, statt ihnen zu schaden. In ihren Augen waren die Tugend und die Askese des konfuzianischen Weges der krönende Schlussstein dieser Konstruktion und leiteten den Menschen hin zu dem, was im Westen später Glück hieß.
Wer zu viel will, erreicht nichts richtig! Ein so umfangreiches Thema kann in einem Buch nicht erschöpfend behandelt werden. Ich habe mich dafür entschieden, die Ausführungen auf die Sexualität zu beschränken, und greife unter diesem Blickwinkel ein Thema auf, das bislang eher wenig beachtet wurde, trotz Michel Foucaults Versuch einer Synthese. Anders als er bin ich der Meinung, dass sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in unserer Kultur eine massive Repression der körperlichen Gelüste durchgesetzt hat, die erst seit den 1960er Jahren wieder im Rückgang begriffen ist. Der Prozess, der eine Grundspannung zwischen der Libido des Einzelnen und den kollektiven Idealen erzeugt, hat während dieser langen Zeit kontinuierlich ein mächtiges Bemühen um Sublimierung entstehen lassen, wovon sowohl die aufeinanderfolgenden kulturellen Einkleidungen der Religion, der katholischen wie der protestantischen, betroffen waren, als auch das Ideal der Mäßigung, wie es die Philosophen der Aufklärungszeit pflegten und die Ärzte des 19. Jahrhunderts lehrten, und schließlich die kapitalistischen Marktgesetze. Auf diesem im 17. Jahrhundert festgefügten Sockel von Regeln und Verboten entfalteten sich abwechselnd Zyklen der Befreiung und des Zwangs, und diese Bewegung ist für mich ein zentraler Faktor bei der Erklärung der allgemeinen Dynamik Europas, weil sie ein beständiges Bedürfnis nährt, die daraus entstandenen seelischen Spannungen zu bewältigen. Einerseits wecken aufgestaute unerfüllte Wünsche in den Phasen verstärkter Frustration immer lautere Forderungen nach Emanzipation, die in einen Durchbruch der Libertinage münden. Andererseits entwickeln zahlreiche Einzelne, die sich freiwillig oder unfreiwillig der Tyrannei der Moral fügen, Verhaltensmuster, die sie buchstäblich vorantreiben, ihre individuellen Talente in vielfältigen Bereichen zur Blüte zu bringen, wie etwa bei der religiösen Proselytenwerbung, in Krieg und Eroberungen, in künstlerischer und intellektueller Betätigung, im internationalen wirtschaftlichen Austausch ...
Bei den klassischen Erklärungen, was die Originalität des europäischen Entwicklungsweges ausmacht, wird oft das Gegensatzpaar Spiritualismus und Ökonomie angeführt. Doch mir scheint es nicht ganz befriedigend, wenn man vorrangig auf die christliche Religion oder auf den Kapitalismus verweist, denn diese Begriffe beschreiben nicht einfach objektive Realitäten, sondern sind auch kulturelle Hervorbringungen, eine Art und Weise, über bestimmte soziale Fakten und Gegenstände zu sprechen. Deshalb schlage ich eine umfassendere Interpretation vor, die die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen in den Blick nimmt und behauptet, dass die Sublimierung erotischer Triebe seit der Renaissance das Fundament der Besonderheit unseres Kontinents darstellt. Sie geht weit über die Normen der Theologen und der Machthaber hinaus und kontrolliert permanent das explosive und höchst gefährliche Potential der Sexualität, indem sie sich beständig größeren Veränderungen anpasst. Ihre offensichtliche Form, die Unterdrückung der Sinnenlust, ist in meinen Augen das wesentliche Element bei der Erfindung der westlichen Moderne und liefert das fehlende Glied in der Kette, das es erlaubt, die intime Beziehung zwischen dem spirituellen und dem materiellen Bereich, zwischen Körper und Geist, zwischen dem Einzelnen und den anderen zu verstehen.
Max Weber verknüpfte die Geburt und die Entfaltung des Kapitalismus mit der calvinistischen Ethik und erklärte den europäischen Geist mit religionssoziologischen Befunden. Ich erweitere seine Perspektive und sage, die Originalität unseres kollektiven Gefüges hat mit dem beständigen Bemühen zu tun, das fleischliche Begehren zu kontrollieren und in eine andere Richtung zu lenken. Allerdings sehe ich darin etwas, das kontinuierlich von all jenen Lebenskräften ausgeht, die seit fast fünf Jahrhunderten in einer gemeinsamen Matrix am Werke sind, und nicht einfach eine Moral, die aus dem Geist des Protestantismus stammt. Ich stimme mit Norbert Elias überein, der die Dynamik unserer Kultur so beschrieben hat, dass die persönliche Sublimierung durch den "Prozess der Zivilisation" in den Dienst des globalen Fortschritts tritt, möchte aber seine auf den Ursprung des Phänomens und die Produktion von sozialem Zusammenhalt konzentrierten Überlegungen noch vervollständigen und so die Funktionsweise des verborgenen Mechanismus aufdecken, der die Entwicklung ermöglicht hat, indem er die vulkanische Gewalt der sinnlichen Gelüste zügelte. Seit Freud mag dieser Ansatz banal erscheinen. Es bleibt jedoch zu erklären, wie es der Gesellschaft, Quelle unsichtbarer Kräfte, gelingt, intime Wünsche zu kanalisieren, um sie zu sublimieren und in den Dienst der gesamten Gruppe zu stellen. Insofern gehören zu dem Thema eine Geschichte des sexuellen Genusses, ferner das Nachdenken über den Körper, einmal anhand wissenschaftlicher Theorien und dann anhand seiner konkreten Wahrnehmung, sowie eine Untersuchung über das menschliche Subjekt von jener Zeit im 16. und 17. Jahrhundert, als es mit Verachtung und praktisch absolutem Tabu belegt war, bis hin zum gegenwärtigen Triumph des Narzissmus.
Ich habe beschlossen, mich in dieser Untersuchung auf das halbe Jahrtausend von der Renaissance bis in unsere Zeit zu beschränken und zwei große Länder zu vergleichen, Frankreich und England. Die beiden, die nach gängigen Vorurteilen sehr unterschiedlich sind, als unerbittliche Rivalen auftraten und bis zur Entkolonialisierung in der jüngsten Vergangenheit über die größten Kolonialreiche der Welt herrschten, sind sich in ihrer Haltung zu und im Umgang mit der sexuellen Lust erstaunlich ähnlich. Da das eine Land katholisch ist und das andere evangelisch, ist für mich ihre lange parallele Entwicklung der Grund, weshalb ich die Bedeutung, die die Religion bei der Definition sowie der Etablierung einer identischen Selbstkontrolle der körperlichen Leidenschaften spielte, als gering erachte. Die Selbstkontrolle wiederum führte zur Herausbildung einer "libidinösen Ökonomie", auf welcher die außerordentliche Dynamik Europas seit der Zeit der großen Entdeckungen beruht. Paris und London, die beiden rivalisierenden Hauptstädte, waren die Laboratorien, in denen alles begann. Am Ende dieses Weges stehen die Vereinigten Staaten, rebellische Erben des stolzen Albion und zur Zeit La Fayettes fasziniert von dessen Rivalen Frankreich. Sie werden das dritte Beispiel abgeben, welches uns erlaubt, die alten Ähnlichkeiten und die neuen Unterschiede, die beim Vergleich mit der hedonistischen Alten Welt hervortreten, genauer einzuschätzen.
Das Werk besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil stelle ich meine Theorie vor. Dabei arbeite ich die wesentlichen Merkmale der abendländischen Sicht auf die körperliche Lust während fünf Jahrhunderten heraus und untersuche ihre besondere Verbindung zu unserer Kultur. Das Christentum hat zwar von Anfang an versucht, die brodelnde Lava des Sexualtriebes in einen Panzer aus Warnungen und Verboten einzusperren, aber wirklich massiv wurde der moralische Druck erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts, als Katholiken und Protestanten gleichermaßen ihr Vorgehen auf strenge neue Gesetze der weltlichen Autoritäten stützten. Die individuelle Selbstkontrolle und die Besetzung aller schamlosen und obszönen Verhaltensweisen mit Schuldgefühlen trugen dazu bei, dass sich ein rein auf Fortpflanzung ausgerichtetes Modell der Sexualität durchsetzte. Sexualität war allein in der Ehe erlaubt, und selbst im Ehebett durften die Freuden des Fleisches nur maßvoll genossen werden. Eine solche Einengung spiegelt zwar eher die Träume der Moralisten wider als die alltäglichen Realitäten, aber sie trug doch dazu bei, dass sich bei denen, die ihre Begierde bezwingen oder im Zaum halten wollten, um den Geboten der Kirche und den Gesetzen der Herrscher zu gehorchen, eine innere Spannung entwickelte. Die derart kanalisierte Lebensenergie floss nicht selten in große kollektive Ideale. Insofern wirkte sich die zunehmende Überwachung der Körper und der Seelen, die Michel Foucault angeprangert hat, unerwartet positiv aus, als die Gesellschaft von diesen Energieströmen profitierte. Der Kultur wurde dabei Generation für Generation jener unauslöschliche Stempel aufgedrückt, dem zufolge im Herzen der Lust Leiden liegt, bei manchen noch verstärkt durch den Reiz des verbotenen Tuns. Die verschwiegene Erotik wurde so zum geheimen Motor menschlichen Handelns: Sie erzeugt ein individuelles Ungleichgewicht der Triebe, das eher produktiv als destruktiv war, und setzte eine Abfolge von Phasen der Repression und anschließender Befreiung in Gang, die das gesellschaftliche Spiel bereicherte. Tugend und Laster standen in kontinuierlichem Wechsel, prägten nacheinander ein Jahrhundert, einige Jahrzehnte oder auch nur einen kurzen Zeitraum, und dieser Rhythmus hielt sich bis in die 1960er Jahre hinein, als die sexuelle Emanzipation der Frauen und die unwiderstehliche Ausbreitung eines Anspruchs auf sofortiges Glück große Veränderungen ankündigten, wenn nicht gar eine Revolution.
Die drei folgenden Teile zeichnen die großen Abschnitte der Entwicklung seit der Renaissance nach.
Im 16. und 17. Jahrhundert war körperliche Lust nur in Verbindung mit Schmerzen, Not oder Aufbegehren vorstellbar. Das hing nicht nur mit der alten christlichen Haltung zusammen, die die Leidenschaften des Körpers ablehnte, um desto gewisser die Seele zu retten. Auch bei den Meinungsführern und den Mächtigen stieß diese Tradition auf erneute Zustimmung, und in der Folge legten die Staaten großen Wert darauf, den Gehorsam ihrer Untertanen zu überwachen, während die vom entstehenden Kapitalismus durchdrungenen Städte aus Sorge um den wirtschaftlichen Erfolg mehr Disziplin von ihren Bewohnern forderten. Die Stunde des Individuums war gekommen: Es sah sich gedrängt, seine Existenz zu bekunden und seine Schuld vor Gott, dem König und den Repräsentanten der Macht zu erkennen. Die Verbote banden die Lust eng an die Sünde, und das sorgte für eine unauslöschliche Prägung. Verstöße wurden streng geahndet, es war offensichtlich, dass jeder, der die Verbote nicht einhielt, sich in Lebensgefahr begab, denn manche wurden öffentlich verbrannt, weil sie die Freuden der körperlichen Liebe zu laut gepriesen hatten. Solche Erinnerungen sollten die Menschen im Westen lange verfolgen, bis hin zu den Umbrüchen in den Sixties des letzten Jahrhunderts. Womöglich sind sie sogar in unserem epikureischen Zeitalter noch nicht ganz verblasst?
Zwischen 1700 und 1960 folgten zwei große Zyklen aufeinander, erst eine beachtliche Freizügigkeit der Sitten und dann der Puritanismus. Die Aufklärung warf ein neues Licht auf die Erotik, und in der Zeit schwoll die Pornografie zu einer regelrechten Flut an. Aber zwischen 1800 und 1960 senkte sich der viktorianische Schleier wieder schwer herab: Brüste mussten verhüllt werden und das Gleiche galt für alle anderen Dinge, die man aus Gründen der Schicklichkeit nicht anschauen durfte. Im 19. Jahrhundert war es die Medizin, die die Macht in Fragen der Sexualität übernahm, und Letztere wurde allein den verheirateten Männern zugestanden. Diese Wissenschaft wusste von der natürlichen Kälte, gar Frigidität der keuschen Frauen zu berichten und sicherte so den Triumph der männlichen Doppelmoral, die es dem Mann erlaubte, ohne Schuldgefühle Prostituierte zu besuchen, die allein es vermochten, ihm vollständige Lust zu bereiten. Die Medizin oktroyierte aber auch eine Form von laizistischer Sublimation, indem sie betonte, dass es lebenswichtig wäre, die Triebe zu mäßigen. Erotische Exzesse wurden mit Krankheit in Verbindung gebracht, die tödlich enden könnte, vor allem bei Jungen, die sich zu sehr der Selbstbefriedigung hingäben. Das quälende Thema der unter Schmerzen erlebten Lust setzte sich damit, gekleidet in wissenschaftliche Gewissheiten, fort.
Seit den 1960er Jahren leistet das alte, strenge Modell in den Vereinigten Staaten noch Widerstand, aber in Europa triumphiert seither der Hedonismus.
... weniger
Autoren-Porträt von Robert Muchembled
Robert Muchembled, geboren 1944, ist Professor für Moderne Geschichte an der Université de Paris XIII (Paris- Nord). Seine Forschungsschwerpunkte sind Sitten und Aberglauben sowie die Einstellung zur Lust.
Bibliographische Angaben
- Autor: Robert Muchembled
- 2008, 384 Seiten, Maße: 14,5 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Ursel Schäfer
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421042128
- ISBN-13: 9783421042125
Rezension zu „Die Verwandlung der Lust “
"Das kenntnisreiche Buch liest sich weniger als Sexualgeschichte, vielmehr als eine überzeichnete Pathologie des Abendlandes. Das befreite, aber deformierte Ich, nach verbindlichen Normen suchend, bildet den trostlosen Endpunkt dieser Entwicklung."
Kommentar zu "Die Verwandlung der Lust"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Verwandlung der Lust“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Verwandlung der Lust".
Kommentar verfassen