Die Wahrheit über Eloise
"Gestern habe ich sie fast gesehen ..."
Nach dem Tod ihrer besten Freundin Eloise ist Cathy der Verzweiflung nahe. Dann beginnen die schrecklichen Träume. Und die Ahnung wächst, dass etwas nicht stimmte mit dem Tod von Eloise....
Nach dem Tod ihrer besten Freundin Eloise ist Cathy der Verzweiflung nahe. Dann beginnen die schrecklichen Träume. Und die Ahnung wächst, dass etwas nicht stimmte mit dem Tod von Eloise....
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Produktinformationen zu „Die Wahrheit über Eloise “
"Gestern habe ich sie fast gesehen ..."
Nach dem Tod ihrer besten Freundin Eloise ist Cathy der Verzweiflung nahe. Dann beginnen die schrecklichen Träume. Und die Ahnung wächst, dass etwas nicht stimmte mit dem Tod von Eloise. Doch als Cathy anfängt, die geheimnisvolle Vergangenheit ihrer Freundin zu erforschen, gerät sie in einen Albtraum, wie sie ihn sich schlimmer nicht vorstellen konnte.
Nach dem Tod ihrer besten Freundin Eloise ist Cathy der Verzweiflung nahe. Dann beginnen die schrecklichen Träume. Und die Ahnung wächst, dass etwas nicht stimmte mit dem Tod von Eloise. Doch als Cathy anfängt, die geheimnisvolle Vergangenheit ihrer Freundin zu erforschen, gerät sie in einen Albtraum, wie sie ihn sich schlimmer nicht vorstellen konnte.
Klappentext zu „Die Wahrheit über Eloise “
"Sie war natürlich nicht da. Wie konnte sie, schließlich hatte ich sie gerade einmal zwei Wochen vorher in ihrem Sarg liegen sehen, am Tag, bevor sie beerdigt wurde, der Sarg umstellt mit den Duftkerzen, die sie so liebte. Sie lag jetzt in Cornwalls Erde. Es gab keine Möglichkeit für sie, zurückzukommen."Nach dem Tod ihrer Freundin Eloise ist Cathy der Verzweiflung nahe. Dann beginnen die schrecklichen Träume. Und die Ahnung wächst, dass etwas nicht stimmte mit dem Tod von Eloise. Cathy ist gerade erst dabei, sich von einem Nervenzusammenbruch zu erholen, und ihr Ehemann Chris, selbst Psychiater, ist sich schmerzhaft bewusst, wie labil seine Frau ist. Als sie ihm von ihrem Verdacht erzählt, befürchtet er einen Rückfall.
Doch Cathy lässt sich von seinen Bedenken nicht beirren und beschließt, die geheimnisvolle Vergangenheit ihrer Freundin selbst zu erforschen. Sie findet ein großes, tragisches Geheimnis. Und einen Albtraum, wie sie ihn sich schlimmer nicht vorstellen konnte.
Lese-Probe zu „Die Wahrheit über Eloise “
Die Wahrheit über Eloise von Judy FinniganAus dem Englischen von Dirk Risch
Prolog
Gestern habe ich sie fast gesehen. Ich stand gerade auf der Terrasse, schaute auf das Meer hinaus, in der unerwarteten Wärme der Februarsonne schwelgend.
Ein Schmetterling flatterte um einen nahe stehenden Sommerflieder herum, und plötzlich roch ich ihr Parfum - wohlriechend, flüchtig, trügerisch. Der gleiche Duft, von dem der kleine, pinkfarbene Seidenbeutel in meiner Nachttischschublade durchdrungen ist. Ich berührte die Perlen meiner Kette, vielleicht hing der Duft ja noch an ihnen. Sie hatten ihr gehört, ihre Mutter hatte sie mir gegeben, und ich bewahrte sie in dem Beutel auf.
Dann eine entfernte, zitternde Bewegung. Sie hatten ein altes Ruderboot in ihren Garten gestellt, den Bug senkrecht gen Himmel, geschützt in einer Mauernische, um es als Sitzplatz im Sommer zu nutzen. Flüchtig dahinterblickend sah ich einen Schimmer, eine durchsichtige Verschiebung neben dem Lavendel. Es war, als ob ihre Kleider - immer zart - vom Wind dahingetrieben würden: ein flüchtiger Eindruck von Rot, ein wirbelnder Rock, ein prächtiger, bunter Seidenschal. So angezogen hatte ich sie oft gesehen.
Sie war natürlich nicht da. Wie könnte sie auch, schließlich hatte ich sie gerade einmal zwei Wochen vorher in ihrem Sarg liegen sehen, am Tag, bevor sie beerdigt wurde, der Sarg umstellt mit den Duftkerzen, die sie so liebte. Sie liegt jetzt in Cornwalls Erde.
Es gab keine Möglichkeit für sie, zurückzukommen.
1
... mehr
Der Meeresnebel spielt einem seltsame Streiche in Cornwall. Zu der Zeit, als wir nach Talland Bay zurückkamen, war es unmöglich, mehr als ein paar Meter geradeaus zu sehen. Das Meer lag unsichtbar am rauchgrauen Horizont, und die Bäume türmten sich auf und krochen über die steilen und schlüpfrigen Stufen hinunter zu unserem Cottage. Drinnen machten wir das Licht an, und Chris holte Holzscheite aus dem kleinen, mit Schiefer gedeckten Lagerhaus, das am Seitenweg stand. Als das Feuer loderte, saß ich auf dem Teppich und starrte hinein. Ich versuchte, Trost in der Erinnerung an die Spiele zu finden, die wir mit den Kindern zur Schlafenszeit gespielt hatten, als sie noch klein waren. Mit ihnen in ihrem Pyjama in meinen Schoß gekuschelt, woben wir Geschichten, die wir in den glühenden Kohlennestern sahen: juwelenbesetzte Höhlen, die heftig rot glühten, unheimliche schwarze, versteinerte Wälder, Hexenhäuser und Prinzessinnen-schlösser, die alle ihren geheimnisvollen Zauber ausstrahlten, und wir schauten verzückt zu.
Aber heute, als Chris noch mehr Holzscheite für den Korb reinbrachte, sah ich nur dunkle Gräber, die Glut des Todes, Särge, die vom Feuer verzehrt werden.
Chris beobachtete mich. Ich konnte seine wachsende Ungeduld spüren, aber ich ignorierte ihn. Er schenkte uns zwei Gläser Rotwein ein, gab mir eins und setzte sich mit einem lauten Seufzer auf das Sofa hinter mich.
»Komm schon, Cathy. Hör auf, dir das anzutun. Wenn du nicht aufpasst, wirst du wieder ernsthaft depressiv. Wenn ich gewusst hätte, dass du dich so aufregst, wäre ich nicht so schnell nach Eloise' Begräbnis hergekommen, und sicher hätte ich dich nicht zu ihrem Haus gehen lassen.«
»Mich gelassen?«, fragte ich und versuchte, meine Stimme unbeschwert klingen zu lassen.
»Du weißt, was ich sagen will, Ich denke dabei nur an dich«, sagte er mit einstudierter Geduld.
»Ja, gut. Nicht, Chris. Ich glaube dir sowieso nicht. Wenn du wirklich besorgt wärst, würdest du aufhören zu versuchen, mich zu maßregeln. Du solltest mich lieber fragen, warum ich so mitgenommen bin, statt mir Vorträge zu halten.«
»Cathy, ich weiß, warum du so durcheinander bist. Eloise ist gestorben. Aber das haben wir seit Jahren erwartet. Wir sind alle traurig, weil - ja, es ist schrecklich, und sie war so jung; aber es gibt nichts, was du - nichts, was irgendeiner von uns - tun kann. Lass los, Liebling. Du weißt, du bist nicht stark genug dafür.«
»Da spricht der Facharzt für Psychiatrie«, sagte ich bitter. »Könntest du wohl aufhören, deinen Beruf an mir auszuüben?«
»Du bist erschöpft und überdreht, Cathy ...«
»Da kannst du drauf wetten! Die Freundin stirbt, ich reg mich auf - das macht mich wirklich zu einem hoffnungslosen Fall, nicht wahr? Na, mach nur weiter, Doktor Freud. Einmal bekloppt, immer bekloppt, jedenfalls in deinen Augen«, schimpfte ich, während ich aufstand. »Ich geh ins Bett.«
Er stand auf, hielt mich an den Armen fest und schaute mich konzentriert an.
»Cathy, nicht. Erzähl mir, was dich wirklich so traurig macht.«
»Ich habe Angst, Chris, darum bin ich traurig - todtraurig. Sie ist tot - Ellie ist tot, und sie war in meinem Alter. Und ich dachte, sie würde es schaffen.«
Er schüttelte mich leicht. »Nein, hast du nicht. Keiner von uns hat das gedacht. Wir haben jahrelang Lasst-uns-so-tun-als-ob gespielt, um sie nicht zu beunruhigen. Aber es gibt keinen Grund, Angst zu haben, Liebling. Es ist kein Omen, dass du sterben musst. Solche schrecklichen Dinge ... passieren eben.«
Tief unter meinem Kummer und meinem Zorn wusste ich, dass er recht hatte, aber nur, weil er ruhig und vernünftig war, hieß das nicht, dass alles in Ordnung war. Das war es nämlich nicht. Ich hatte Angst, aber nicht einfach nur vorm Sterben. Da war etwas anderes. Etwas sehr Falsches. Etwas, was an meinen Eingeweiden nagte wie eine rastlose Ratte, nur wusste ich nicht, was es war, konnte es nicht in Worte fassen, und würde ich sagen, es sei ein »Gefühl«, würde das einfach nur Chris' Ängste bestätigen, dass meine Depressionen zurückkamen.
Eloise war fünf Jahre lang krank gewesen, ihr Krebs wurde sechs Monate nach der Geburt ihrer Zwillingstöchter diagnostiziert. Was sie zuversichtlich für einen Milchklumpen hielt, war ein aggressiver Tumor. Anfangs bekam sie eine konventionelle Behandlung: Operation, Chemotherapie. Aber die Masse in ihrer amputierten linken Brust ließ sich nicht besiegen. Sie tauchte in ihrer rechten Brust wieder auf, und Eloise floh in ein Märchen, eine Geschichte, die sie als Verteidigung gegen die Ärzte wob, deren ernste Gesichter sie jedes Mal in Schrecken versetzte, wenn sie ihre Krankenhaustermine einhielt.
Es funktionierte nicht. Also hörte sie auf, zu den Nachuntersuchungen zu gehen. Stattdessen las sie Dutzende von Selbsthilfebüchern, die ihr sagten, die Krankheit sei in ihrem eigenen Zorn verwurzelt und dass sie gesunden werde, wenn sie die Wut aus ihrer Vergangenheit aus ihrem Geist exorzieren würde. Sie ging zu Geistheilern, besuchte Kurbäder auf dem Kontinent, wo das Wasser und die Anwendungen Wunder versprachen. Sie schuf ihren eigenen Zufluchtsort der Verleugnung, glaubte, sie könnte sich selbst mit Kaffee-Einläufen und grünem Tee heilen. Und wir anderen - ihr Ehemann, ihre Mutter, ihre engsten Freunde - wir anderen, zu unserer Schande, ließen sie in diesem Glauben. Verkrüppelt von Mitleid, voller Angst, ihr fragiles Gefühl der Hoffnung zu unterminieren, schwiegen wir über ihre zunehmend absurden Gewohnheiten, ihre Vermeidung von Computertomografien, Ärzten, Krankenhäusern. Wir gestatteten uns zu denken, sie bei guter Laune zu halten wäre wichtiger, als auf eine ordentliche Behandlung zu bestehen.
Und fünf Jahre lang schien sie unbesiegbar. Immer noch schön, immer noch lebenssprühend und voller Energie, überzeugte sie sich selbst davon - verdammt, sie überzeugte uns fast davon -, dass sie den Krebs besiegen würde, dass sie leben würde.
Aber natürlich lag sie falsch.
2
Ich ging nach oben ins Bett und überließ es Chris, abzuschließen und sich zu vergewissern, dass das Feuer aus war, aber bevor ich einschlief, zog ich meine Nachttischschublade auf, und augenblicklich zog ihr Duft sanft durch das Zimmer. Ich öffnete den kleinen Seidenbeutel, getränkt mit dem Parfum, das Ellie geliebt hatte, und zog behutsam das Perlenarmband heraus, das ihre Mutter mir zusammen mit der dazugehörigen Kette gegeben hatte. Ohne auf Chris zu warten, der, dachte ich säuerlich, mir einen Vortrag über allerlei Morbiditäten halten würde, trieb ich hinüber in den Schlaf, mit Eloise' emaillierten Runen fest umklammert in meiner Hand.
Ich wünschte, ich wäre nicht eingeschlafen. Weil ich in die nebelverhangene Landschaft glitt, von der ich nur zu gut wusste, dass sie mich verfolgen würde. Sie hatte mich schon zu lange in ihrem Bann gehalten. Wann immer sich mein Geist verdüsterte, meine Gedanken schwärzer wurden, wusste ich, dass ich mich ganz fest an meinen Verstand klammern musste. Böse Träume, Albträume, die in ihrem Schrecken aus einer Gruft stammen konnten, waren oft das erste Zeichen für die Rückkehr meiner Depressionen.
In meinem verschwommenen Traum stand ich an einem Meeresufer. Ich war sehr klein und weit entfernt und schaute hinaus aufs Meer; die Nacht war dunkel und sternenlos, aber da war ein schwacher Mond und, wie ich beobachtete, eine schemenhafte Form schob langsam und würdevoll eine Bahre mit Rädern durch den Sand. Jenseits dieser Gestalt, eingehüllt in eine lange Robe mit Kapuze, lag ein ruhiges Meer, umrandet von silbrigem Mondschein, und ich sah, dass auf der Bahre ein Sarg lag.
Der Sarg war offen, ausgekleidet mit weißer Seide, und der Körper darin war der meines Vaters. Sein ausgemergeltes, vom Krebs verwüstetes Profil war plötzlich von einem fahlen, tödlichen Schimmer umgeben, als die Wolken und der Nebel aufklarten. Und dann brach zu meiner Linken Feuer aus zahllosen Kaminen aus, die ich bis jetzt nicht gesehen hatte.
Ich wusste - weil ich diesen Traum das erste Mal vor zwanzig Jahren gehabt hatte, als mein Vater starb -, dass dies Gebeinhäuser waren, Dutzende, die die steinige Küstenseite beschmutzten. Damals im Mittelalter wurden diese Plätze als Aufbewahrungsorte für Leichen und Gebeine benutzt; aber in meinem Albtraum loderten sie mit brennendem Horror, Infernos, die eine Überfahrt in die Hölle versprachen.
Ich wusste auch, obwohl der Leichnam meines Vaters sich unaufhaltsam in Richtung der Öfen fortbewegte, dass seine letztendliche Bestimmung nicht in diesen Flammen lag, sondern in der schwarzen Stille des Meeres. Mein Vater war auf dem Weg woanders hin, geschoben von dem Seemann mit Kapuze, dem Wächter der Unterwelt, der ihn hinüberbringen würde ins Land der Toten.
Ich wachte auf, mit rasendem Herzen und pochendem Schädel. Ich erinnerte mich an den Tod meines Vaters, seine Feuerbestattung, wie ich noch Monate danach von seiner langsamen, würdevollen Fahrt über den Sand träumen würde; wie ich manchmal träumte, dass ich in meinem Elternhaus nach unten ging, um meinen Vater grotesk verkrümmt im Kamin vorzufinden, halb lebendig, halb tot. Ich würde aufwachen, zitternd und nach meiner Mutter rufend, bis Chris seine Arme um mich legte, mich festhielt und zum Schweigen brachte, bis ich mich beruhigt hatte, und ich würde an seiner Schulter schluchzen, während er mich behutsam besänftigte.
Lieber, starker Chris. Natürlich war er besorgt über meine Reaktion auf den Tod von Eloise. Er hatte gesehen, wie ich aus Panik hyperventilierte, gelähmt vom nahen Wahnsinn. Verdammt noch mal, dachte ich, ich will diesen Horror nicht schon wieder. Chris hatte recht; ich musste alle negativen Gefühle vermeiden, die mich in der Vergangenheit in diese schwere Depression gestürzt hatten. Wir würden morgen zurück nach London fahren, beschloss ich, obwohl wir eigentlich geplant hatten, Eloise' Ehemann Ted und ihre kleinen Mädchen zu treffen - ich würde ihn wohl jetzt Witwer nennen müssen, vermutete ich. Wir waren an diesem Nachmittag zu ihrem Haus gegangen - Eloise' Haus -, weil ich mich stark genug fühlte, mit dem umzugehen, von dem ich wusste, dass es ein emotional sehr aufgeladenes Zusammentreffen sein würde, aber sie waren nicht da. Jetzt fühlte ich mich schuldig für den Gedanken, ich könnte ihnen nicht gegenübertreten, aber ich wusste, ich musste weg aus dem Cornwall, das ich liebte, das Cornwall, das von klaren grünen Morgen funkelte, egal zu welcher Jahreszeit, so wie es heute gefunkelt hatte. Da gab es schon am zweiten Weihnachtstag Schmetterlinge auf dem Klippenpfad, und die Narzissen auf unserer Wiese kamen im November heraus und blieben golden und voller Hoffnung, egal wie streng der Winter war. Das Meer glänzte blau in der Sonne, und an regnerischen Tagen war seine düstere, zinnerne Schwermut erregend aufgehellt durch die herabstürzende weiße Gischt, die mein Herz zum Singen brachte und meinen Kopf klar machte von allem, außer der blendenden Schönheit dieses wundersamen Ortes.
Cornwall erfüllte mich mit Frieden und Glück. Es war seit über zwanzig Jahren mein Rückzugsort, mein Heiligtum, und wir hatten diese Pause lange vor Ellies Tod geplant, hatten uns gefreut auf unsere Zeit hier, während die Jungs an ihren Universitäten und unsere Tochter im Skiurlaub mit ihrer Schule waren. Aber jetzt hier, wo Eloise gestorben war, war ich wieder besessen von Tod und Finsternis. Am schlimmsten war aber, dass ich Eloise irgendwie fühlen konnte, wie sie an mir zog, wie sie mich mit dunklen Gedanken erfüllte, mit Angst und Vorahnungen.
Chris schlief ruhig neben mir, und ich schlang meine Arme um seinen warmen, festen Körper. Ich würde mich für meine Gereiztheit entschuldigen, wenn er aufwachte, ihm sagen, dass wir nach Hause fahren würden.
Am Morgen akzeptierte Chris erfreut meine Entschuldigung; er fühlte deutlich, dass das auf eine Belebung meiner Lebensgeister hinwies. So sehr, dass er mich nach dem Frühstück fragte, ob ich immer noch nach London zurück wollte, während er sehnsüchtig aus dem Fenster auf den prächtigen blauen Himmel blickte. Es regnete zu Hause, hatte der Wetterbericht angesagt, meine nächtlichen Schrecken waren fast weg, und es war ein wunderschöner Tag.
»Wir könnten an den Strand bei Polkerris gehen«, sagte er. »Es wäre eine Schande, einen Tag wie diesen zu verschwenden und zurück in den strömenden Regen zu fahren.«
Da hatte er recht, und außerdem konnte ich etwas Sonne und Seeluft gebrauchen, um die letzten nächtlichen Schrecken zu verjagen. Ich schaute Chris an und nickte. Er grinste und gab mir einen Kuss auf meinen Kopf. Draußen im Garten half der herrliche salzige Geruch des Meeres, mich aufzuheitern, und ich fragte mich, ob das Talland Beach Café wohl geöffnet war. Die Saison fing nie richtig vor Ostern an, aber manchmal öffnete das junge Ehepaar, das es betrieb, schon früher, wenn das Wetter am Wochenende außergewöhnlich gut war. Wir würden am Nachmittag auf eine Tasse Tee hinunterspazieren, dachte ich. Und vorher würden wir in Polkerris oder Fowey zu Mittag essen.
Wir erreichten Bodinnick in zwanzig Minuten und warteten auf die Fähre. Es waren nur zwei andere Wagen in der Schlange, aber im Sommer war die Fahrspur oft überfüllt mit Familien, die darauf warteten, nach Fowey überzusetzen. Ich störte mich nie an der Warterei, weil ich mir das bemerkenswerte Haus am Ufer anschauen und über Daphne du Maurier tagträumen konnte. Weiß angestrichen, die Fenster und Türrahmen in einem lebhaften Indigoblau abgesetzt - das war Ferryside, Daphnes geliebtes erstes Zuhause in Cornwall. Eloise und ich hatten beide eine Leidenschaft für du Maurier. Jedes Jahr gingen wir zusammen zum Literaturfestival, das in Fowey zu Ehren von Cornwalls bedeutendster Romanautorin abgehalten wurde. Dieses Jahr würde ich allein hingehen müssen, wurde mir traurig klar.
Die Überfahrt dauerte fünf Minuten. Wir fuhren von der Fähre, bogen nach rechts ab am Parkplatz vorbei, und statt die linke Abzwei-gung nach Fowey zu nehmen, fuhren wir geradeaus, bis ein Straßenschild den Strand von Polkerris und Menabilly anzeigte.
Ah ... Menabilly. Der Heilige Gral eines jeden, der versucht, das außerordentliche Talent und die Vision Daphne du Mauriers zu verstehen und ihr nachzueifern. Die von uns, die süchtig auf ihre in Cornwall spielenden Geschichten sind, wissen von ihrer Besessenheit von Menabilly, dem Haus, in dem sie ihren allerschönsten Roman geschrieben hat, Rebecca, der uns immer noch bezaubert und anzieht. Ellie und ich wanderten manchmal die Straße hinunter und versuchten, einen flüchtigen Blick auf das alte Farmhaus zu erhaschen; aber es ist so einsam und abgeschieden, dass man unmöglich durch das undurchdringliche Dickicht der Bäume sehen kann, die den Besitz umgeben.
Als wir Polkerris erreichten, hatten wir die Wahl, im The Raleigh Inn zu essen, einem sehr angenehmen Pub mit herrlichem Blick aufs Meer, oder bei Sam's on the Beach, einem wirklich großartigen kleinen Bistro mit einer guten Fischkarte.
Heute entschieden wir uns für Sam's, eine umgebauten Seenotrettungsstation aus dem 19. Jahrhundert, vollkommen schlicht, alles aus Holz und Glas, direkt am herrlichen Strand gelegen, der im Februar hauptsächlich von Hunden und kleinen Kindern bevölkert wurde, die einen großartigen sonnigen Samstag mit ihren Eltern genossen.
Wir bestellten Garnelen und Jakobsmuscheln und beobachteten die Kleinen draußen am Strand, staunten über ihre schlichte Freude an Eimer und Schaufel.
Wir mussten reden, natürlich, über Eloise und insbesondere über Ted und die Zwillinge. Wir hatten sie seit dem Begräbnis nicht mehr gesehen, aber ich wollte nicht so recht, gerade jetzt, nicht nach dem Albtraum der letzten Nacht. Wir würden später anrufen und sie vielleicht morgen besuchen.
»Wir sollten auch Juliana besuchen«, sagte ich zu Chris. »Sie ist in einem schrecklichen Zustand wegen Eloise - ich habe sie letzte Woche angerufen, und sie konnte einfach nicht sprechen. Sie war darauf einfach nicht vorbereitet.«
»Machst du Scherze, Cathy? Natürlich war sie darauf vorbereitet. Juliana wusste, dass ihre Tochter die letzten paar Jahre im Endstadium war.«
»Ja, aber Ellie ging es so gut, gerade vor ihrem Ende. Ich weiß, dass Juliana dachte, sie hätte sich erholt, und ihre Ärzte dachten das auch. Sie haben Ted und Juliana erzählt, sie hätte vielleicht noch ein Jahr, sicher aber noch sechs Monate.«
»Das beruhte alles auf Vermutungen.«
»Offensichtlich, so wie sich alles entwickelt hat. Aber Chris, selbstverständlich ist Juliana sehr erschüttert, und ich will sie sehen. Ich werde sie gleich anrufen.«
»Liebling, könntest du das bitte für heute sein lassen? Ich möchte heute wirklich, wirklich, einen ruhigen Abend nur mit dir verbringen. Wir könnten in Talland Bay Tee trinken and dann nach Hause aufbrechen, ein Feuer anzünden und fernsehen. Wir können ein paar Gläser Wein trinken und uns einfach nur entspannen. Ich denke, das können wir beide gebrauchen, und es wird nicht passieren, wenn du wieder so besessen von Eloise wirst wie gestern.«
Ich fühlte mich zum Meutern aufgelegt, aber nur für einen Moment. Chris war wunderbar gewesen, als ich krank war, und ich schuldete ihm das unkomplizierte Vergnügen. Ich lächelte und drückte seine Hand. Morgen könnte ich mich mit Juliana, Ted und den armen, mutterlosen kleinen Mädchen beschäftigen, Rose und Violet. Heute Abend würde ich nur versuchen, meinen Ehemann glücklich zu machen.
3
Am Sonntagmorgen rief ich Juliana an - und sie klang verzweifelt.
»Cathy, ich bin so froh, dass du anrufst. Können wir uns sehen? Ich bin gerade etwas außer mir. Es tut mir schrecklich leid, dich zu belästigen - nun, etwas stimmt nicht.«
»Natürlich, Ich werde gleich kommen. Brauchst du irgendetwas?«
»Ach Gott, Cathy, ich will meinen Liebling, meine Tochter, und ich will auch ihre Töchter bei mir haben.«
»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte ich voller Mitgefühl. »Ich komme. Ich werde in einer Stunde in Roseland sein.«
Ich fahre nicht. Nun ja, doch - ich hatte meine Prüfung endlich nach sechs Versuchen bestanden und schämte mich deswegen zu sehr, um triumphieren zu können. Das war alles so belastend, dass ich das Fahren nie genoss und immer das Gefühl hatte, nur zwei Schritte von einem tödlichen Unfall entfernt zu sein.
Deshalb überlasse ich das jetzt Chris, der das Fahren liebt. Einer der vielen Bereiche unseres gemeinsamen Lebens, den ich ihm überlasse, weil ich so wenig Vertrauen in mich selbst habe; eine Auswirkung des katastrophalen Nervenzusammenbruchs, von dem ich mich angeblich erholt habe. Als ich krank war, wurde ich agoraphobisch. Ich hatte Angst, das Haus zu verlassen, und ich hasste es, neuen Menschen zu begegnen. Es ging mir jetzt viel besser, aber ich hatte immer noch kein Vertrauen in meine Fähigkeit, Auto zu fahren. Ich habe ein kleines Käfer-Cabrio, das wir in Cornwall lassen, aber ich habe es nur einmal im letzten Jahr gefahren, nach meinem Zusammenbruch. Nur ein paar Meter nach dem Verlassen des Cottage', um einzukaufen, prallte ich gegen einen gewaltigen Felsbrocken auf der linken Seite der Fahrbahn. Ich war nicht verletzt, und der einzige Schaden war ein geplatzter Reifen, aber was mich betraf, war's das. Vollkommenes Versagen. Trotz aller Ermutigungen von Chris weigerte ich mich, mich wieder hinters Steuer zu setzen, obwohl er einen Vorschlaghammer zu dem anstößigen Felsbrocken schleppte und ihn in Stücke schlug.
So stand also der kleine cremefarbene Käfer verlassen in unserer Einfahrt in Cornwall wie ein vernachlässigtes Haustier: unheimlich süß und darum bettelnd, auf einen Spaziergang mitgenommen zu werden - oder eher eine Spritztour. Und fast nie belohnt, außer mit einem gelegentlichen impulsiven Ausflug zum Pub, an Tagen, die so sonnig waren, dass man nicht widerstehen konnte, mit aufgeklapptem Verdeck zu fahren. Aber jedes Mal saß Chris oder einer der Jungs selbstbewusst vor dem Lenkrad.
Also war es Chris, der mich zu meinem Treffen mit Juliana fuhr, und als wir ankamen, sagte er, er würde einen Spaziergang übers Gelände. Er war sicher, dass Ellies Mutter mich lieber allein sprechen würde. Die Gärten waren umwerfend, sie gehörten dem National Trust, der sich um sie kümmerte, also war es nicht gerade ein Opfer. Eigentlich war es sogar ein ziemliches Geschenk.
Roseland Hall ist ein großes altes Herrenhaus, das Mitte des 17. Jahrhunderts gebaut wurde und den unteren Teil des schönen Flusses Fowey überblickt. Es ist der Öffentlichkeit zugänglich und nicht mehr im Privatbesitz der Trelawneys, der großen, sehr alten kornischen Familie, der es ursprünglich gehörte.
Eloise hatte mich sehr oft herumgeführt. Besonders liebte sie es, den Kurator dazu zu verleiten, uns spät in der Nacht hereinzulassen, wenn seine gespenstische Größe uns leicht davon überzeugte, dass es dort spukte - seinem Ruf entsprechend. Es ist ein bemerkenswertes Haus, erstaunlicherweise fast so gemütlich wie groß, beleuchtet von exquisiten französischen Kristalllüstern und mit einer prachtvollen langen Galerie, die mit den feinsten Wandteppichen und Gemälden behangen ist.
Für jede Familie wäre es eine Tragödie, solch ein Haus aufzugeben. Doch traurigerweise lebte Juliana, die letzte Lady Trelawney, nicht mehr dort.
Eloise hatte mir anvertraut, dass die Trelawneys über Generationen Probleme mit der Fruchtbarkeit hatten und allmählich, aber unaufhaltsam, schwand diese Geschlechterfolge. Sir Charles, Eloise' Vater, der letzte Baronet, war das einzige Kind seiner Generation, so wie es auch sein Vater und sein Großvater waren. Er hatte keine Brüder, keine Schwestern, keine Cousins. Als er die wunderschöne Juliana heiratete, ein kultiviertes Mädchen aus einer alten Grundbesitzerfamilie aus Cornwall, hatte er große Hoffnungen, einen Sohn und Erben zu zeugen. Doch erst nach fünf Jahren immer verzweifelter werdender Versuche zu empfangen wurde Juliana endlich schwanger. Als Eloise geboren wurde, versuchte Charles sehr, seine Enttäuschung zu verbergen, aber Juliana wusste, dass sie versagt hatte. Sie wurde nie wieder schwanger, und sie redeten nie darüber. Sie hatte Angst davor, die Tiefe seiner Verzweiflung zu ergründen. Trotzdem vergötterte Juliana ihre kleine Tochter und verübelte ihrem Ehemann zunehmend seine Gleichgültigkeit dem Kind gegenüber. Sie ahnte auch, dass ihr Unvermögen, weitere Kinder zu kriegen, nicht ihre Schuld war, sondern seine. Ihre eigene Familie hatte keine Probleme mit der Fruchtbarkeit.
Doch es gab nichts, was man dagegen hätte tun können. Charles war so bedrückt, dass die Trelawneys nicht mehr auf dem Besitz leben würden, dass seine Frau wusste, würde sie ihn mit diesem Thema konfrontieren, würden tiefe, unversöhnliche Konflikte entstehen, die ihre Ehe zerstören könnten - also hielt sie sich zurück.
Charles wurde zunehmend rührselig, was die Zukunft des großen Hauses anging. Er hatte eine Menge Geld, aber der Besitz war ein Loch ohne Boden. Und wofür? Es gab keine Dynastie, keinen Grund, in die Zukunft seiner alten Familie zu investieren, weil es in absehbarer Zeit keine Trelawneys mehr geben würde. Wenn Eloise heiratete, würde sie den Namen ihres Ehemanns annehmen. Und er spürte, dass Juliana nicht mit dem Herzen dabei war.
Charles hatte recht. Sie war nicht begeistert darüber, für immer für ein herrschaftliches Gebäude verantwortlich zu sein - mit all den Opfern, der Disziplin und der harten Arbeit, die das erforderte. Und sie hatte nicht die geringste Absicht, Eloise die Verantwortung dafür aufzubürden, einen Anachronismus erhalten zu müssen, der seine Nützlichkeit überlebt hatte. Sie schwor sich, sollte ihr Ehemann vor ihr sterben, das Haus dem National Trust zu überschreiben.
Und genau das hatte sie getan. Ellie sagte mir, es sei die beste Entscheidung, die ihre Mutter jemals getroffen hätte.
4
Ich klopfte an Julianas Tür. Seit Charles‘ Tod hatte sie in einem wunderschönen alten Farmhaus auf dem Gelände von Roseland Hall gelebt. Ich fühlte mich immer ein bisschen eingeschüchtert von seiner ganz und gar perfekten, obwohl leicht heruntergekommenen patrizischen Ausstattung. Aber, um ehrlich zu sein: Das war nur mein eigenes Edelproletariertum, das sich da meldete. Und Juliana hatte das nicht verdient. Sie war so herzlich, so zutiefst behütend, dass ihr aristokratischer Hintergrund, ihr Oberschichtakzent, ihr vollkommenes Vertrauen in sich selbst und ihren Platz in einer der ältesten und romantischsten Familien der vornehmen Aristokratie Cornwalls dich wünschen ließen, ihr nah und an ihrem abwechslungsreichen Leben beteiligt zu sein.
Sie sah großartig aus, trotz der Tatsache, dass der Verlust von Eloise die größte Tragödie ihres Lebens darstellte. Groß und schlank, trug sie Blusen mit Rüschen und hohen Kragen und lange, wallende Röcke. Ihre Haarpracht war üppig und eisköniginnensilbern, am Hinterkopf zusammengenommen und von dort über ihre Schultern fließend wie ein gekräuselter, winterlicher Fluss. Sie war eine vollkommene Schönheit mit ihren fünfundsiebzig Jahren, eine anmutige kornische Nymphe, eine Dryade, die an einer heiligen Quelle sitzen und ihre langen Haare kämmen könnte, um jeden zu entzücken und zu bezaubern, selbst jetzt noch, in ihrem hohen Alter.
Sie fragte, ob ich Tee wolle, und einer ihrer verbliebenen, ergebenen Bediensteten brachte welchen. Wir saßen in ihrem hübschen Wohnzimmer, und sie redete über Eloise.
»Es schien ihr so viel besser zu gehen, Cathy. Die Ärzte sagten, sie sei in Remission.«
»Aber du musst doch wissen, sie meinten nur eine Art von Gnadenfrist. Im Ernst, Juliana, du wusstest doch, dass sie im Endstadium war?«
»Natürlich, aber sie war so voller Energie und genoss ihr Leben so sehr.«
»Ja, ich weiß, dass sie so war, aber wir müssen bei einer derartigen Krankheit akzeptieren, dass die Dinge sich plötzlich beschleunigen können. Weiß Gott, Juliana, wir haben so oft über ihre Schmerzen geredet. Deshalb hat sie die Medikamente genommen. Wie sehr wir auch die Augen davor verschließen wollten, wir wussten, was auf Eloise zukommen würde.«
Sie fixierte mich mit einem langen Starren.
»Cathy, denkst du nicht, dass es seltsam war, dass ich nicht da war?«
»Was meinst du? Als sie starb?«
»Wir waren uns so nah. Sie wollte immer, dass ich bei ihr wäre, wenn ... es geschehen würde.«
»Aber ... nun, es ging nicht. Es passierte alles so schnell. Es war keine Zeit ...«
»Doch, es war Zeit.« Sie warf mir einen unergründlichen Blick zu. »Sag mir, Cathy, wenn man im Endstadium ist, stirbt man dann so plötzlich, als ob man einen Herzanfall hätte? Ich glaube nicht. Ich habe Eloise an dem Tag gesehen, als sie starb, am Morgen. Wir haben mit den Kleinen Kaffee getrunken. Sie war glücklich, so erleichtert, dass die Ärzte ihr eine Galgenfrist gaben. Du kanntest Eloise. Sie war immer so positiv, überzeugt, sie könnte es besiegen. Und dann, drei Stunden später, war sie tot. Das ergibt doch keinen Sinn.«
Ich war nicht sicher, was ich sagen sollte. Ich hatte meine eigenen Vorbehalte über den Tod von Eloise - kaum bewusste Zweifel und ein Unbehagen, und beides zusammen hatte vermutlich meinen grauenhaften Albtraum neulich nachts hervorgerufen. Aber ich fühlte, erläge ich Julianas Ängsten, würde mich das ins Reich der totalen Paranoia schicken. Was sagte sie da? Dass meine liebe Freundin nicht an ihrem unheilbaren Krebs gestorben war? Nach all den Jahren voller düsterer Prognosen? Aber natürlich! Die Alternative war vollkommen lächerlich.
Ich fragte sie, was sie denke, was mit Eloise hätte passiert sein könne, falls ihr Tod nicht auf natürliche Ursachen zurückzuführen sei. Eine Obduktion war natürlich nicht notwendig gewesen. Es gab keinen Grund zu bestätigen, was wir alle wussten: Ellie war an dem Krebs gestorben, der im ganzen Körper Metastasen gebildet hatte. Ihre Lungen, ihre Leber, ihr Rückgrat und ihr Gehirn waren gespickt mit der grässlichen Krankheit.
Juliana schüttelte frustriert den Kopf. »Ich weiß nicht. Es ist nur ein Gefühl, das ich nicht abschütteln kann. Mir ist bewusst, dass ich klinge wie eine verwirrte, alte Frau, die den Tod ihrer Tochter nicht akzeptieren kann. Das hat Ted mir schon vor ein paar Tagen gesagt.«
»Du hast mit ihm darüber gesprochen?« Ich war erstaunt.
Sie gab einen tiefen Seufzer von sich. »Ich hab's versucht, aber er ist richtig böse mit mir geworden. Er sagte, er habe schon genug am Hals, auch ohne sich noch mit einer exzentrischen alten Schachtel abmühen zu müssen, die nicht mit der Realität fertig werden könne. Er hat sogar behauptet, ich werde senil.« Ihr Gesicht verdunkelte sich. »Das hat mich sehr verletzt.«
»Aber du und Ted - ihr seid nie gut miteinander ausgekommen, oder?«, fragte ich.
»Hat Eloise dir das erzählt?«
Ich nickte.
Sie seufzte unglücklich. »Eloise wurde ein bisschen ungeduldig mit mir. Sagte, ich würde mir Dinge einbilden.«
»Was meinst du? Dir was einbilden?«
»Ich dachte immer, er wäre ein wenig zu hart. Um ehrlich zu sein, ich dachte, er wäre nur aufs Geld aus. Ich habe ihm nie richtig getraut«, sagte sie.
»Und was hat Ellie dazu gesagt?«
»Sie hat mich ausgelacht. Sie sagte, sie sei dankbar, dass ich auf sie aufpasse, aber ich sei albern. Sie sagte mir, dass Ted ein wirklich talentierter Künstler sei und dass seine Gemälde permanent an Wert gewännen. Sie sagte, Sammler seien wild auf seine Arbeit, und sie glaubten beide, er würde selbstständig ein Vermögen machen. Sie sagte, was ich für Härte halte, sei tatsächlich heftiger Ehrgeiz und ein gewisser Mangel an Rührseligkeit.« Juliana zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat sie recht gehabt. Sie kannte ihn offensichtlich viel besser als ich. Aber Cathy, ich bin mit ihm nie warm geworden - und er wusste das, obwohl wir für Eloise die Fassade aufrechterhalten haben. Ich hab solche Angst, dass ich ihn ... und die Zwillinge ... viel seltener sehen werde, jetzt, da dieser Grund nicht mehr da ist ...«
Ich versuchte ihr zu versichern, dass sie verständlicherweise einfach enorm mitgenommen wäre, dass es keinen Grund gäbe, sich zu beunruhigen, und ich erzählte ihr, ich würde über das, was sie gesagt hatte, nachdenken und sie am nächsten Tag anrufen. Wir sollten zwar morgen nach London zurückkehren, aber ich hatte keinen richtigen Grund, nach Hause zu fahren. Chris hatte Termine am Dienstag, aber ich konnte bleiben. Als ich ging, dachte ich über Ted und Eloise nach. Wir kannten Ted ziemlich gut, und im Großen und Ganzen schienen sie uns glücklich zu sein. Sie hatten gelegentlich einen Streit, und kamen dann manchmal leise schmollend, jeder voller Groll auf den anderen, zu Dinnerpartys.
Aber das geht allen verheirateten Pärchen so. Chris und mir auf jeden Fall. Und Ted brachte Ellie zum Lachen. Er konnte sehr witzig sein.
Ich fand Chris draußen, fasziniert von dem herrlichen Garten. Ich erzählte ihm, was Juliana gesagt hatte, und er seufzte. Chris war lieb, aber wie die meisten Männer wollte er Lösungen - keine Probleme.
»Schau«, sagte er. »Sie ist ihre Mutter und sie war nicht da in dem emotional bedeutsamsten Moment des Lebens ihrer Tochter. Was sie fühlt, ist ganz natürlich. Nicht da gewesen zu sein, als Eloise starb, das gibt ihr ein unvorstellbares Schuldgefühl. Sie fühlt, sie hätte es verhindern sollen - und dass es nie passiert wäre, wenn sie eine bessere Mutter gewesen wäre. Du weißt das alles, Cathy. Das gehört einfach mit zur Mutterschaft. Wenn es Evie gewesen wäre, würdest du dich genauso fühlen.«
Evie war unsere sechzehnjährige Tochter. Ein heftiger Schmerz durchfuhr mich bei der Vorstellung, sie zu verlieren.
Dann fühlte ich Wut in mir aufsteigen. Wie konnte er es wagen, die Trauer einer Mutter in etwas zu verwandeln, das »einfach dazugehört«? Ja, sicherlich, dass ein Kind vor einem selbst stirbt, ist jenseits des Schlimmsten, was sich eine Mutter vorstellen kann. Aber Chris sprach so gewandt darüber, als ob er mir etwas erklären würde, was ich aus Dummheit nicht begreifen könnte. Als ob er den väterlichen Überblick hätte, der natürlich dem mütterlichen Instinkt weit überlegen war.
Ich fühlte mich in diesem Moment Juliana stark verbunden - eine Art Stammesbündnis. Wir waren beide Mütter. Wir waren beide, auf verschiedene Weise, sehr verunsichert wegen Eloise‘ Tod. Ich beschloss, obwohl es irrational war, dass ich auf Julianas Seite stand. Irgendetwas stimmte nicht. Und was Chris auch immer sagte, ich würde in Cornwall bleiben, bis ich herausbekommen hatte, was mich und sie so sehr beunruhigte.
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Der Meeresnebel spielt einem seltsame Streiche in Cornwall. Zu der Zeit, als wir nach Talland Bay zurückkamen, war es unmöglich, mehr als ein paar Meter geradeaus zu sehen. Das Meer lag unsichtbar am rauchgrauen Horizont, und die Bäume türmten sich auf und krochen über die steilen und schlüpfrigen Stufen hinunter zu unserem Cottage. Drinnen machten wir das Licht an, und Chris holte Holzscheite aus dem kleinen, mit Schiefer gedeckten Lagerhaus, das am Seitenweg stand. Als das Feuer loderte, saß ich auf dem Teppich und starrte hinein. Ich versuchte, Trost in der Erinnerung an die Spiele zu finden, die wir mit den Kindern zur Schlafenszeit gespielt hatten, als sie noch klein waren. Mit ihnen in ihrem Pyjama in meinen Schoß gekuschelt, woben wir Geschichten, die wir in den glühenden Kohlennestern sahen: juwelenbesetzte Höhlen, die heftig rot glühten, unheimliche schwarze, versteinerte Wälder, Hexenhäuser und Prinzessinnen-schlösser, die alle ihren geheimnisvollen Zauber ausstrahlten, und wir schauten verzückt zu.
Aber heute, als Chris noch mehr Holzscheite für den Korb reinbrachte, sah ich nur dunkle Gräber, die Glut des Todes, Särge, die vom Feuer verzehrt werden.
Chris beobachtete mich. Ich konnte seine wachsende Ungeduld spüren, aber ich ignorierte ihn. Er schenkte uns zwei Gläser Rotwein ein, gab mir eins und setzte sich mit einem lauten Seufzer auf das Sofa hinter mich.
»Komm schon, Cathy. Hör auf, dir das anzutun. Wenn du nicht aufpasst, wirst du wieder ernsthaft depressiv. Wenn ich gewusst hätte, dass du dich so aufregst, wäre ich nicht so schnell nach Eloise' Begräbnis hergekommen, und sicher hätte ich dich nicht zu ihrem Haus gehen lassen.«
»Mich gelassen?«, fragte ich und versuchte, meine Stimme unbeschwert klingen zu lassen.
»Du weißt, was ich sagen will, Ich denke dabei nur an dich«, sagte er mit einstudierter Geduld.
»Ja, gut. Nicht, Chris. Ich glaube dir sowieso nicht. Wenn du wirklich besorgt wärst, würdest du aufhören zu versuchen, mich zu maßregeln. Du solltest mich lieber fragen, warum ich so mitgenommen bin, statt mir Vorträge zu halten.«
»Cathy, ich weiß, warum du so durcheinander bist. Eloise ist gestorben. Aber das haben wir seit Jahren erwartet. Wir sind alle traurig, weil - ja, es ist schrecklich, und sie war so jung; aber es gibt nichts, was du - nichts, was irgendeiner von uns - tun kann. Lass los, Liebling. Du weißt, du bist nicht stark genug dafür.«
»Da spricht der Facharzt für Psychiatrie«, sagte ich bitter. »Könntest du wohl aufhören, deinen Beruf an mir auszuüben?«
»Du bist erschöpft und überdreht, Cathy ...«
»Da kannst du drauf wetten! Die Freundin stirbt, ich reg mich auf - das macht mich wirklich zu einem hoffnungslosen Fall, nicht wahr? Na, mach nur weiter, Doktor Freud. Einmal bekloppt, immer bekloppt, jedenfalls in deinen Augen«, schimpfte ich, während ich aufstand. »Ich geh ins Bett.«
Er stand auf, hielt mich an den Armen fest und schaute mich konzentriert an.
»Cathy, nicht. Erzähl mir, was dich wirklich so traurig macht.«
»Ich habe Angst, Chris, darum bin ich traurig - todtraurig. Sie ist tot - Ellie ist tot, und sie war in meinem Alter. Und ich dachte, sie würde es schaffen.«
Er schüttelte mich leicht. »Nein, hast du nicht. Keiner von uns hat das gedacht. Wir haben jahrelang Lasst-uns-so-tun-als-ob gespielt, um sie nicht zu beunruhigen. Aber es gibt keinen Grund, Angst zu haben, Liebling. Es ist kein Omen, dass du sterben musst. Solche schrecklichen Dinge ... passieren eben.«
Tief unter meinem Kummer und meinem Zorn wusste ich, dass er recht hatte, aber nur, weil er ruhig und vernünftig war, hieß das nicht, dass alles in Ordnung war. Das war es nämlich nicht. Ich hatte Angst, aber nicht einfach nur vorm Sterben. Da war etwas anderes. Etwas sehr Falsches. Etwas, was an meinen Eingeweiden nagte wie eine rastlose Ratte, nur wusste ich nicht, was es war, konnte es nicht in Worte fassen, und würde ich sagen, es sei ein »Gefühl«, würde das einfach nur Chris' Ängste bestätigen, dass meine Depressionen zurückkamen.
Eloise war fünf Jahre lang krank gewesen, ihr Krebs wurde sechs Monate nach der Geburt ihrer Zwillingstöchter diagnostiziert. Was sie zuversichtlich für einen Milchklumpen hielt, war ein aggressiver Tumor. Anfangs bekam sie eine konventionelle Behandlung: Operation, Chemotherapie. Aber die Masse in ihrer amputierten linken Brust ließ sich nicht besiegen. Sie tauchte in ihrer rechten Brust wieder auf, und Eloise floh in ein Märchen, eine Geschichte, die sie als Verteidigung gegen die Ärzte wob, deren ernste Gesichter sie jedes Mal in Schrecken versetzte, wenn sie ihre Krankenhaustermine einhielt.
Es funktionierte nicht. Also hörte sie auf, zu den Nachuntersuchungen zu gehen. Stattdessen las sie Dutzende von Selbsthilfebüchern, die ihr sagten, die Krankheit sei in ihrem eigenen Zorn verwurzelt und dass sie gesunden werde, wenn sie die Wut aus ihrer Vergangenheit aus ihrem Geist exorzieren würde. Sie ging zu Geistheilern, besuchte Kurbäder auf dem Kontinent, wo das Wasser und die Anwendungen Wunder versprachen. Sie schuf ihren eigenen Zufluchtsort der Verleugnung, glaubte, sie könnte sich selbst mit Kaffee-Einläufen und grünem Tee heilen. Und wir anderen - ihr Ehemann, ihre Mutter, ihre engsten Freunde - wir anderen, zu unserer Schande, ließen sie in diesem Glauben. Verkrüppelt von Mitleid, voller Angst, ihr fragiles Gefühl der Hoffnung zu unterminieren, schwiegen wir über ihre zunehmend absurden Gewohnheiten, ihre Vermeidung von Computertomografien, Ärzten, Krankenhäusern. Wir gestatteten uns zu denken, sie bei guter Laune zu halten wäre wichtiger, als auf eine ordentliche Behandlung zu bestehen.
Und fünf Jahre lang schien sie unbesiegbar. Immer noch schön, immer noch lebenssprühend und voller Energie, überzeugte sie sich selbst davon - verdammt, sie überzeugte uns fast davon -, dass sie den Krebs besiegen würde, dass sie leben würde.
Aber natürlich lag sie falsch.
2
Ich ging nach oben ins Bett und überließ es Chris, abzuschließen und sich zu vergewissern, dass das Feuer aus war, aber bevor ich einschlief, zog ich meine Nachttischschublade auf, und augenblicklich zog ihr Duft sanft durch das Zimmer. Ich öffnete den kleinen Seidenbeutel, getränkt mit dem Parfum, das Ellie geliebt hatte, und zog behutsam das Perlenarmband heraus, das ihre Mutter mir zusammen mit der dazugehörigen Kette gegeben hatte. Ohne auf Chris zu warten, der, dachte ich säuerlich, mir einen Vortrag über allerlei Morbiditäten halten würde, trieb ich hinüber in den Schlaf, mit Eloise' emaillierten Runen fest umklammert in meiner Hand.
Ich wünschte, ich wäre nicht eingeschlafen. Weil ich in die nebelverhangene Landschaft glitt, von der ich nur zu gut wusste, dass sie mich verfolgen würde. Sie hatte mich schon zu lange in ihrem Bann gehalten. Wann immer sich mein Geist verdüsterte, meine Gedanken schwärzer wurden, wusste ich, dass ich mich ganz fest an meinen Verstand klammern musste. Böse Träume, Albträume, die in ihrem Schrecken aus einer Gruft stammen konnten, waren oft das erste Zeichen für die Rückkehr meiner Depressionen.
In meinem verschwommenen Traum stand ich an einem Meeresufer. Ich war sehr klein und weit entfernt und schaute hinaus aufs Meer; die Nacht war dunkel und sternenlos, aber da war ein schwacher Mond und, wie ich beobachtete, eine schemenhafte Form schob langsam und würdevoll eine Bahre mit Rädern durch den Sand. Jenseits dieser Gestalt, eingehüllt in eine lange Robe mit Kapuze, lag ein ruhiges Meer, umrandet von silbrigem Mondschein, und ich sah, dass auf der Bahre ein Sarg lag.
Der Sarg war offen, ausgekleidet mit weißer Seide, und der Körper darin war der meines Vaters. Sein ausgemergeltes, vom Krebs verwüstetes Profil war plötzlich von einem fahlen, tödlichen Schimmer umgeben, als die Wolken und der Nebel aufklarten. Und dann brach zu meiner Linken Feuer aus zahllosen Kaminen aus, die ich bis jetzt nicht gesehen hatte.
Ich wusste - weil ich diesen Traum das erste Mal vor zwanzig Jahren gehabt hatte, als mein Vater starb -, dass dies Gebeinhäuser waren, Dutzende, die die steinige Küstenseite beschmutzten. Damals im Mittelalter wurden diese Plätze als Aufbewahrungsorte für Leichen und Gebeine benutzt; aber in meinem Albtraum loderten sie mit brennendem Horror, Infernos, die eine Überfahrt in die Hölle versprachen.
Ich wusste auch, obwohl der Leichnam meines Vaters sich unaufhaltsam in Richtung der Öfen fortbewegte, dass seine letztendliche Bestimmung nicht in diesen Flammen lag, sondern in der schwarzen Stille des Meeres. Mein Vater war auf dem Weg woanders hin, geschoben von dem Seemann mit Kapuze, dem Wächter der Unterwelt, der ihn hinüberbringen würde ins Land der Toten.
Ich wachte auf, mit rasendem Herzen und pochendem Schädel. Ich erinnerte mich an den Tod meines Vaters, seine Feuerbestattung, wie ich noch Monate danach von seiner langsamen, würdevollen Fahrt über den Sand träumen würde; wie ich manchmal träumte, dass ich in meinem Elternhaus nach unten ging, um meinen Vater grotesk verkrümmt im Kamin vorzufinden, halb lebendig, halb tot. Ich würde aufwachen, zitternd und nach meiner Mutter rufend, bis Chris seine Arme um mich legte, mich festhielt und zum Schweigen brachte, bis ich mich beruhigt hatte, und ich würde an seiner Schulter schluchzen, während er mich behutsam besänftigte.
Lieber, starker Chris. Natürlich war er besorgt über meine Reaktion auf den Tod von Eloise. Er hatte gesehen, wie ich aus Panik hyperventilierte, gelähmt vom nahen Wahnsinn. Verdammt noch mal, dachte ich, ich will diesen Horror nicht schon wieder. Chris hatte recht; ich musste alle negativen Gefühle vermeiden, die mich in der Vergangenheit in diese schwere Depression gestürzt hatten. Wir würden morgen zurück nach London fahren, beschloss ich, obwohl wir eigentlich geplant hatten, Eloise' Ehemann Ted und ihre kleinen Mädchen zu treffen - ich würde ihn wohl jetzt Witwer nennen müssen, vermutete ich. Wir waren an diesem Nachmittag zu ihrem Haus gegangen - Eloise' Haus -, weil ich mich stark genug fühlte, mit dem umzugehen, von dem ich wusste, dass es ein emotional sehr aufgeladenes Zusammentreffen sein würde, aber sie waren nicht da. Jetzt fühlte ich mich schuldig für den Gedanken, ich könnte ihnen nicht gegenübertreten, aber ich wusste, ich musste weg aus dem Cornwall, das ich liebte, das Cornwall, das von klaren grünen Morgen funkelte, egal zu welcher Jahreszeit, so wie es heute gefunkelt hatte. Da gab es schon am zweiten Weihnachtstag Schmetterlinge auf dem Klippenpfad, und die Narzissen auf unserer Wiese kamen im November heraus und blieben golden und voller Hoffnung, egal wie streng der Winter war. Das Meer glänzte blau in der Sonne, und an regnerischen Tagen war seine düstere, zinnerne Schwermut erregend aufgehellt durch die herabstürzende weiße Gischt, die mein Herz zum Singen brachte und meinen Kopf klar machte von allem, außer der blendenden Schönheit dieses wundersamen Ortes.
Cornwall erfüllte mich mit Frieden und Glück. Es war seit über zwanzig Jahren mein Rückzugsort, mein Heiligtum, und wir hatten diese Pause lange vor Ellies Tod geplant, hatten uns gefreut auf unsere Zeit hier, während die Jungs an ihren Universitäten und unsere Tochter im Skiurlaub mit ihrer Schule waren. Aber jetzt hier, wo Eloise gestorben war, war ich wieder besessen von Tod und Finsternis. Am schlimmsten war aber, dass ich Eloise irgendwie fühlen konnte, wie sie an mir zog, wie sie mich mit dunklen Gedanken erfüllte, mit Angst und Vorahnungen.
Chris schlief ruhig neben mir, und ich schlang meine Arme um seinen warmen, festen Körper. Ich würde mich für meine Gereiztheit entschuldigen, wenn er aufwachte, ihm sagen, dass wir nach Hause fahren würden.
Am Morgen akzeptierte Chris erfreut meine Entschuldigung; er fühlte deutlich, dass das auf eine Belebung meiner Lebensgeister hinwies. So sehr, dass er mich nach dem Frühstück fragte, ob ich immer noch nach London zurück wollte, während er sehnsüchtig aus dem Fenster auf den prächtigen blauen Himmel blickte. Es regnete zu Hause, hatte der Wetterbericht angesagt, meine nächtlichen Schrecken waren fast weg, und es war ein wunderschöner Tag.
»Wir könnten an den Strand bei Polkerris gehen«, sagte er. »Es wäre eine Schande, einen Tag wie diesen zu verschwenden und zurück in den strömenden Regen zu fahren.«
Da hatte er recht, und außerdem konnte ich etwas Sonne und Seeluft gebrauchen, um die letzten nächtlichen Schrecken zu verjagen. Ich schaute Chris an und nickte. Er grinste und gab mir einen Kuss auf meinen Kopf. Draußen im Garten half der herrliche salzige Geruch des Meeres, mich aufzuheitern, und ich fragte mich, ob das Talland Beach Café wohl geöffnet war. Die Saison fing nie richtig vor Ostern an, aber manchmal öffnete das junge Ehepaar, das es betrieb, schon früher, wenn das Wetter am Wochenende außergewöhnlich gut war. Wir würden am Nachmittag auf eine Tasse Tee hinunterspazieren, dachte ich. Und vorher würden wir in Polkerris oder Fowey zu Mittag essen.
Wir erreichten Bodinnick in zwanzig Minuten und warteten auf die Fähre. Es waren nur zwei andere Wagen in der Schlange, aber im Sommer war die Fahrspur oft überfüllt mit Familien, die darauf warteten, nach Fowey überzusetzen. Ich störte mich nie an der Warterei, weil ich mir das bemerkenswerte Haus am Ufer anschauen und über Daphne du Maurier tagträumen konnte. Weiß angestrichen, die Fenster und Türrahmen in einem lebhaften Indigoblau abgesetzt - das war Ferryside, Daphnes geliebtes erstes Zuhause in Cornwall. Eloise und ich hatten beide eine Leidenschaft für du Maurier. Jedes Jahr gingen wir zusammen zum Literaturfestival, das in Fowey zu Ehren von Cornwalls bedeutendster Romanautorin abgehalten wurde. Dieses Jahr würde ich allein hingehen müssen, wurde mir traurig klar.
Die Überfahrt dauerte fünf Minuten. Wir fuhren von der Fähre, bogen nach rechts ab am Parkplatz vorbei, und statt die linke Abzwei-gung nach Fowey zu nehmen, fuhren wir geradeaus, bis ein Straßenschild den Strand von Polkerris und Menabilly anzeigte.
Ah ... Menabilly. Der Heilige Gral eines jeden, der versucht, das außerordentliche Talent und die Vision Daphne du Mauriers zu verstehen und ihr nachzueifern. Die von uns, die süchtig auf ihre in Cornwall spielenden Geschichten sind, wissen von ihrer Besessenheit von Menabilly, dem Haus, in dem sie ihren allerschönsten Roman geschrieben hat, Rebecca, der uns immer noch bezaubert und anzieht. Ellie und ich wanderten manchmal die Straße hinunter und versuchten, einen flüchtigen Blick auf das alte Farmhaus zu erhaschen; aber es ist so einsam und abgeschieden, dass man unmöglich durch das undurchdringliche Dickicht der Bäume sehen kann, die den Besitz umgeben.
Als wir Polkerris erreichten, hatten wir die Wahl, im The Raleigh Inn zu essen, einem sehr angenehmen Pub mit herrlichem Blick aufs Meer, oder bei Sam's on the Beach, einem wirklich großartigen kleinen Bistro mit einer guten Fischkarte.
Heute entschieden wir uns für Sam's, eine umgebauten Seenotrettungsstation aus dem 19. Jahrhundert, vollkommen schlicht, alles aus Holz und Glas, direkt am herrlichen Strand gelegen, der im Februar hauptsächlich von Hunden und kleinen Kindern bevölkert wurde, die einen großartigen sonnigen Samstag mit ihren Eltern genossen.
Wir bestellten Garnelen und Jakobsmuscheln und beobachteten die Kleinen draußen am Strand, staunten über ihre schlichte Freude an Eimer und Schaufel.
Wir mussten reden, natürlich, über Eloise und insbesondere über Ted und die Zwillinge. Wir hatten sie seit dem Begräbnis nicht mehr gesehen, aber ich wollte nicht so recht, gerade jetzt, nicht nach dem Albtraum der letzten Nacht. Wir würden später anrufen und sie vielleicht morgen besuchen.
»Wir sollten auch Juliana besuchen«, sagte ich zu Chris. »Sie ist in einem schrecklichen Zustand wegen Eloise - ich habe sie letzte Woche angerufen, und sie konnte einfach nicht sprechen. Sie war darauf einfach nicht vorbereitet.«
»Machst du Scherze, Cathy? Natürlich war sie darauf vorbereitet. Juliana wusste, dass ihre Tochter die letzten paar Jahre im Endstadium war.«
»Ja, aber Ellie ging es so gut, gerade vor ihrem Ende. Ich weiß, dass Juliana dachte, sie hätte sich erholt, und ihre Ärzte dachten das auch. Sie haben Ted und Juliana erzählt, sie hätte vielleicht noch ein Jahr, sicher aber noch sechs Monate.«
»Das beruhte alles auf Vermutungen.«
»Offensichtlich, so wie sich alles entwickelt hat. Aber Chris, selbstverständlich ist Juliana sehr erschüttert, und ich will sie sehen. Ich werde sie gleich anrufen.«
»Liebling, könntest du das bitte für heute sein lassen? Ich möchte heute wirklich, wirklich, einen ruhigen Abend nur mit dir verbringen. Wir könnten in Talland Bay Tee trinken and dann nach Hause aufbrechen, ein Feuer anzünden und fernsehen. Wir können ein paar Gläser Wein trinken und uns einfach nur entspannen. Ich denke, das können wir beide gebrauchen, und es wird nicht passieren, wenn du wieder so besessen von Eloise wirst wie gestern.«
Ich fühlte mich zum Meutern aufgelegt, aber nur für einen Moment. Chris war wunderbar gewesen, als ich krank war, und ich schuldete ihm das unkomplizierte Vergnügen. Ich lächelte und drückte seine Hand. Morgen könnte ich mich mit Juliana, Ted und den armen, mutterlosen kleinen Mädchen beschäftigen, Rose und Violet. Heute Abend würde ich nur versuchen, meinen Ehemann glücklich zu machen.
3
Am Sonntagmorgen rief ich Juliana an - und sie klang verzweifelt.
»Cathy, ich bin so froh, dass du anrufst. Können wir uns sehen? Ich bin gerade etwas außer mir. Es tut mir schrecklich leid, dich zu belästigen - nun, etwas stimmt nicht.«
»Natürlich, Ich werde gleich kommen. Brauchst du irgendetwas?«
»Ach Gott, Cathy, ich will meinen Liebling, meine Tochter, und ich will auch ihre Töchter bei mir haben.«
»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte ich voller Mitgefühl. »Ich komme. Ich werde in einer Stunde in Roseland sein.«
Ich fahre nicht. Nun ja, doch - ich hatte meine Prüfung endlich nach sechs Versuchen bestanden und schämte mich deswegen zu sehr, um triumphieren zu können. Das war alles so belastend, dass ich das Fahren nie genoss und immer das Gefühl hatte, nur zwei Schritte von einem tödlichen Unfall entfernt zu sein.
Deshalb überlasse ich das jetzt Chris, der das Fahren liebt. Einer der vielen Bereiche unseres gemeinsamen Lebens, den ich ihm überlasse, weil ich so wenig Vertrauen in mich selbst habe; eine Auswirkung des katastrophalen Nervenzusammenbruchs, von dem ich mich angeblich erholt habe. Als ich krank war, wurde ich agoraphobisch. Ich hatte Angst, das Haus zu verlassen, und ich hasste es, neuen Menschen zu begegnen. Es ging mir jetzt viel besser, aber ich hatte immer noch kein Vertrauen in meine Fähigkeit, Auto zu fahren. Ich habe ein kleines Käfer-Cabrio, das wir in Cornwall lassen, aber ich habe es nur einmal im letzten Jahr gefahren, nach meinem Zusammenbruch. Nur ein paar Meter nach dem Verlassen des Cottage', um einzukaufen, prallte ich gegen einen gewaltigen Felsbrocken auf der linken Seite der Fahrbahn. Ich war nicht verletzt, und der einzige Schaden war ein geplatzter Reifen, aber was mich betraf, war's das. Vollkommenes Versagen. Trotz aller Ermutigungen von Chris weigerte ich mich, mich wieder hinters Steuer zu setzen, obwohl er einen Vorschlaghammer zu dem anstößigen Felsbrocken schleppte und ihn in Stücke schlug.
So stand also der kleine cremefarbene Käfer verlassen in unserer Einfahrt in Cornwall wie ein vernachlässigtes Haustier: unheimlich süß und darum bettelnd, auf einen Spaziergang mitgenommen zu werden - oder eher eine Spritztour. Und fast nie belohnt, außer mit einem gelegentlichen impulsiven Ausflug zum Pub, an Tagen, die so sonnig waren, dass man nicht widerstehen konnte, mit aufgeklapptem Verdeck zu fahren. Aber jedes Mal saß Chris oder einer der Jungs selbstbewusst vor dem Lenkrad.
Also war es Chris, der mich zu meinem Treffen mit Juliana fuhr, und als wir ankamen, sagte er, er würde einen Spaziergang übers Gelände. Er war sicher, dass Ellies Mutter mich lieber allein sprechen würde. Die Gärten waren umwerfend, sie gehörten dem National Trust, der sich um sie kümmerte, also war es nicht gerade ein Opfer. Eigentlich war es sogar ein ziemliches Geschenk.
Roseland Hall ist ein großes altes Herrenhaus, das Mitte des 17. Jahrhunderts gebaut wurde und den unteren Teil des schönen Flusses Fowey überblickt. Es ist der Öffentlichkeit zugänglich und nicht mehr im Privatbesitz der Trelawneys, der großen, sehr alten kornischen Familie, der es ursprünglich gehörte.
Eloise hatte mich sehr oft herumgeführt. Besonders liebte sie es, den Kurator dazu zu verleiten, uns spät in der Nacht hereinzulassen, wenn seine gespenstische Größe uns leicht davon überzeugte, dass es dort spukte - seinem Ruf entsprechend. Es ist ein bemerkenswertes Haus, erstaunlicherweise fast so gemütlich wie groß, beleuchtet von exquisiten französischen Kristalllüstern und mit einer prachtvollen langen Galerie, die mit den feinsten Wandteppichen und Gemälden behangen ist.
Für jede Familie wäre es eine Tragödie, solch ein Haus aufzugeben. Doch traurigerweise lebte Juliana, die letzte Lady Trelawney, nicht mehr dort.
Eloise hatte mir anvertraut, dass die Trelawneys über Generationen Probleme mit der Fruchtbarkeit hatten und allmählich, aber unaufhaltsam, schwand diese Geschlechterfolge. Sir Charles, Eloise' Vater, der letzte Baronet, war das einzige Kind seiner Generation, so wie es auch sein Vater und sein Großvater waren. Er hatte keine Brüder, keine Schwestern, keine Cousins. Als er die wunderschöne Juliana heiratete, ein kultiviertes Mädchen aus einer alten Grundbesitzerfamilie aus Cornwall, hatte er große Hoffnungen, einen Sohn und Erben zu zeugen. Doch erst nach fünf Jahren immer verzweifelter werdender Versuche zu empfangen wurde Juliana endlich schwanger. Als Eloise geboren wurde, versuchte Charles sehr, seine Enttäuschung zu verbergen, aber Juliana wusste, dass sie versagt hatte. Sie wurde nie wieder schwanger, und sie redeten nie darüber. Sie hatte Angst davor, die Tiefe seiner Verzweiflung zu ergründen. Trotzdem vergötterte Juliana ihre kleine Tochter und verübelte ihrem Ehemann zunehmend seine Gleichgültigkeit dem Kind gegenüber. Sie ahnte auch, dass ihr Unvermögen, weitere Kinder zu kriegen, nicht ihre Schuld war, sondern seine. Ihre eigene Familie hatte keine Probleme mit der Fruchtbarkeit.
Doch es gab nichts, was man dagegen hätte tun können. Charles war so bedrückt, dass die Trelawneys nicht mehr auf dem Besitz leben würden, dass seine Frau wusste, würde sie ihn mit diesem Thema konfrontieren, würden tiefe, unversöhnliche Konflikte entstehen, die ihre Ehe zerstören könnten - also hielt sie sich zurück.
Charles wurde zunehmend rührselig, was die Zukunft des großen Hauses anging. Er hatte eine Menge Geld, aber der Besitz war ein Loch ohne Boden. Und wofür? Es gab keine Dynastie, keinen Grund, in die Zukunft seiner alten Familie zu investieren, weil es in absehbarer Zeit keine Trelawneys mehr geben würde. Wenn Eloise heiratete, würde sie den Namen ihres Ehemanns annehmen. Und er spürte, dass Juliana nicht mit dem Herzen dabei war.
Charles hatte recht. Sie war nicht begeistert darüber, für immer für ein herrschaftliches Gebäude verantwortlich zu sein - mit all den Opfern, der Disziplin und der harten Arbeit, die das erforderte. Und sie hatte nicht die geringste Absicht, Eloise die Verantwortung dafür aufzubürden, einen Anachronismus erhalten zu müssen, der seine Nützlichkeit überlebt hatte. Sie schwor sich, sollte ihr Ehemann vor ihr sterben, das Haus dem National Trust zu überschreiben.
Und genau das hatte sie getan. Ellie sagte mir, es sei die beste Entscheidung, die ihre Mutter jemals getroffen hätte.
4
Ich klopfte an Julianas Tür. Seit Charles‘ Tod hatte sie in einem wunderschönen alten Farmhaus auf dem Gelände von Roseland Hall gelebt. Ich fühlte mich immer ein bisschen eingeschüchtert von seiner ganz und gar perfekten, obwohl leicht heruntergekommenen patrizischen Ausstattung. Aber, um ehrlich zu sein: Das war nur mein eigenes Edelproletariertum, das sich da meldete. Und Juliana hatte das nicht verdient. Sie war so herzlich, so zutiefst behütend, dass ihr aristokratischer Hintergrund, ihr Oberschichtakzent, ihr vollkommenes Vertrauen in sich selbst und ihren Platz in einer der ältesten und romantischsten Familien der vornehmen Aristokratie Cornwalls dich wünschen ließen, ihr nah und an ihrem abwechslungsreichen Leben beteiligt zu sein.
Sie sah großartig aus, trotz der Tatsache, dass der Verlust von Eloise die größte Tragödie ihres Lebens darstellte. Groß und schlank, trug sie Blusen mit Rüschen und hohen Kragen und lange, wallende Röcke. Ihre Haarpracht war üppig und eisköniginnensilbern, am Hinterkopf zusammengenommen und von dort über ihre Schultern fließend wie ein gekräuselter, winterlicher Fluss. Sie war eine vollkommene Schönheit mit ihren fünfundsiebzig Jahren, eine anmutige kornische Nymphe, eine Dryade, die an einer heiligen Quelle sitzen und ihre langen Haare kämmen könnte, um jeden zu entzücken und zu bezaubern, selbst jetzt noch, in ihrem hohen Alter.
Sie fragte, ob ich Tee wolle, und einer ihrer verbliebenen, ergebenen Bediensteten brachte welchen. Wir saßen in ihrem hübschen Wohnzimmer, und sie redete über Eloise.
»Es schien ihr so viel besser zu gehen, Cathy. Die Ärzte sagten, sie sei in Remission.«
»Aber du musst doch wissen, sie meinten nur eine Art von Gnadenfrist. Im Ernst, Juliana, du wusstest doch, dass sie im Endstadium war?«
»Natürlich, aber sie war so voller Energie und genoss ihr Leben so sehr.«
»Ja, ich weiß, dass sie so war, aber wir müssen bei einer derartigen Krankheit akzeptieren, dass die Dinge sich plötzlich beschleunigen können. Weiß Gott, Juliana, wir haben so oft über ihre Schmerzen geredet. Deshalb hat sie die Medikamente genommen. Wie sehr wir auch die Augen davor verschließen wollten, wir wussten, was auf Eloise zukommen würde.«
Sie fixierte mich mit einem langen Starren.
»Cathy, denkst du nicht, dass es seltsam war, dass ich nicht da war?«
»Was meinst du? Als sie starb?«
»Wir waren uns so nah. Sie wollte immer, dass ich bei ihr wäre, wenn ... es geschehen würde.«
»Aber ... nun, es ging nicht. Es passierte alles so schnell. Es war keine Zeit ...«
»Doch, es war Zeit.« Sie warf mir einen unergründlichen Blick zu. »Sag mir, Cathy, wenn man im Endstadium ist, stirbt man dann so plötzlich, als ob man einen Herzanfall hätte? Ich glaube nicht. Ich habe Eloise an dem Tag gesehen, als sie starb, am Morgen. Wir haben mit den Kleinen Kaffee getrunken. Sie war glücklich, so erleichtert, dass die Ärzte ihr eine Galgenfrist gaben. Du kanntest Eloise. Sie war immer so positiv, überzeugt, sie könnte es besiegen. Und dann, drei Stunden später, war sie tot. Das ergibt doch keinen Sinn.«
Ich war nicht sicher, was ich sagen sollte. Ich hatte meine eigenen Vorbehalte über den Tod von Eloise - kaum bewusste Zweifel und ein Unbehagen, und beides zusammen hatte vermutlich meinen grauenhaften Albtraum neulich nachts hervorgerufen. Aber ich fühlte, erläge ich Julianas Ängsten, würde mich das ins Reich der totalen Paranoia schicken. Was sagte sie da? Dass meine liebe Freundin nicht an ihrem unheilbaren Krebs gestorben war? Nach all den Jahren voller düsterer Prognosen? Aber natürlich! Die Alternative war vollkommen lächerlich.
Ich fragte sie, was sie denke, was mit Eloise hätte passiert sein könne, falls ihr Tod nicht auf natürliche Ursachen zurückzuführen sei. Eine Obduktion war natürlich nicht notwendig gewesen. Es gab keinen Grund zu bestätigen, was wir alle wussten: Ellie war an dem Krebs gestorben, der im ganzen Körper Metastasen gebildet hatte. Ihre Lungen, ihre Leber, ihr Rückgrat und ihr Gehirn waren gespickt mit der grässlichen Krankheit.
Juliana schüttelte frustriert den Kopf. »Ich weiß nicht. Es ist nur ein Gefühl, das ich nicht abschütteln kann. Mir ist bewusst, dass ich klinge wie eine verwirrte, alte Frau, die den Tod ihrer Tochter nicht akzeptieren kann. Das hat Ted mir schon vor ein paar Tagen gesagt.«
»Du hast mit ihm darüber gesprochen?« Ich war erstaunt.
Sie gab einen tiefen Seufzer von sich. »Ich hab's versucht, aber er ist richtig böse mit mir geworden. Er sagte, er habe schon genug am Hals, auch ohne sich noch mit einer exzentrischen alten Schachtel abmühen zu müssen, die nicht mit der Realität fertig werden könne. Er hat sogar behauptet, ich werde senil.« Ihr Gesicht verdunkelte sich. »Das hat mich sehr verletzt.«
»Aber du und Ted - ihr seid nie gut miteinander ausgekommen, oder?«, fragte ich.
»Hat Eloise dir das erzählt?«
Ich nickte.
Sie seufzte unglücklich. »Eloise wurde ein bisschen ungeduldig mit mir. Sagte, ich würde mir Dinge einbilden.«
»Was meinst du? Dir was einbilden?«
»Ich dachte immer, er wäre ein wenig zu hart. Um ehrlich zu sein, ich dachte, er wäre nur aufs Geld aus. Ich habe ihm nie richtig getraut«, sagte sie.
»Und was hat Ellie dazu gesagt?«
»Sie hat mich ausgelacht. Sie sagte, sie sei dankbar, dass ich auf sie aufpasse, aber ich sei albern. Sie sagte mir, dass Ted ein wirklich talentierter Künstler sei und dass seine Gemälde permanent an Wert gewännen. Sie sagte, Sammler seien wild auf seine Arbeit, und sie glaubten beide, er würde selbstständig ein Vermögen machen. Sie sagte, was ich für Härte halte, sei tatsächlich heftiger Ehrgeiz und ein gewisser Mangel an Rührseligkeit.« Juliana zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat sie recht gehabt. Sie kannte ihn offensichtlich viel besser als ich. Aber Cathy, ich bin mit ihm nie warm geworden - und er wusste das, obwohl wir für Eloise die Fassade aufrechterhalten haben. Ich hab solche Angst, dass ich ihn ... und die Zwillinge ... viel seltener sehen werde, jetzt, da dieser Grund nicht mehr da ist ...«
Ich versuchte ihr zu versichern, dass sie verständlicherweise einfach enorm mitgenommen wäre, dass es keinen Grund gäbe, sich zu beunruhigen, und ich erzählte ihr, ich würde über das, was sie gesagt hatte, nachdenken und sie am nächsten Tag anrufen. Wir sollten zwar morgen nach London zurückkehren, aber ich hatte keinen richtigen Grund, nach Hause zu fahren. Chris hatte Termine am Dienstag, aber ich konnte bleiben. Als ich ging, dachte ich über Ted und Eloise nach. Wir kannten Ted ziemlich gut, und im Großen und Ganzen schienen sie uns glücklich zu sein. Sie hatten gelegentlich einen Streit, und kamen dann manchmal leise schmollend, jeder voller Groll auf den anderen, zu Dinnerpartys.
Aber das geht allen verheirateten Pärchen so. Chris und mir auf jeden Fall. Und Ted brachte Ellie zum Lachen. Er konnte sehr witzig sein.
Ich fand Chris draußen, fasziniert von dem herrlichen Garten. Ich erzählte ihm, was Juliana gesagt hatte, und er seufzte. Chris war lieb, aber wie die meisten Männer wollte er Lösungen - keine Probleme.
»Schau«, sagte er. »Sie ist ihre Mutter und sie war nicht da in dem emotional bedeutsamsten Moment des Lebens ihrer Tochter. Was sie fühlt, ist ganz natürlich. Nicht da gewesen zu sein, als Eloise starb, das gibt ihr ein unvorstellbares Schuldgefühl. Sie fühlt, sie hätte es verhindern sollen - und dass es nie passiert wäre, wenn sie eine bessere Mutter gewesen wäre. Du weißt das alles, Cathy. Das gehört einfach mit zur Mutterschaft. Wenn es Evie gewesen wäre, würdest du dich genauso fühlen.«
Evie war unsere sechzehnjährige Tochter. Ein heftiger Schmerz durchfuhr mich bei der Vorstellung, sie zu verlieren.
Dann fühlte ich Wut in mir aufsteigen. Wie konnte er es wagen, die Trauer einer Mutter in etwas zu verwandeln, das »einfach dazugehört«? Ja, sicherlich, dass ein Kind vor einem selbst stirbt, ist jenseits des Schlimmsten, was sich eine Mutter vorstellen kann. Aber Chris sprach so gewandt darüber, als ob er mir etwas erklären würde, was ich aus Dummheit nicht begreifen könnte. Als ob er den väterlichen Überblick hätte, der natürlich dem mütterlichen Instinkt weit überlegen war.
Ich fühlte mich in diesem Moment Juliana stark verbunden - eine Art Stammesbündnis. Wir waren beide Mütter. Wir waren beide, auf verschiedene Weise, sehr verunsichert wegen Eloise‘ Tod. Ich beschloss, obwohl es irrational war, dass ich auf Julianas Seite stand. Irgendetwas stimmte nicht. Und was Chris auch immer sagte, ich würde in Cornwall bleiben, bis ich herausbekommen hatte, was mich und sie so sehr beunruhigte.
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Autoren-Porträt von Judy Finnigan
Judy Finnigan ist Schriftstellerin, Fernsehmoderatorin und Kolumnistin. 2004 gründete sie den „Richard and Judy Bookclub", der Millionen Leserinnen und Leser begeisterte. Dies ist ihr erster Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Judy Finnigan
- 2014, 1, 320 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863657888
- ISBN-13: 9783863657888
- Erscheinungsdatum: 17.02.2013
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