Die Walfängerin
''Die Geschichte einer starken Frau im 19. Jh. Packend!''
Stern
Als Mann getarnt heuert die 15-jährige Una auf einem Walfangboot an und lernt dabei auf schicksalhafte Weise Kapitän Ahab kennen und lieben.
Doch während der Fang des sagenhaften...
''Die Geschichte einer starken Frau im 19. Jh. Packend!''
Stern
Als Mann getarnt heuert die 15-jährige Una auf einem Walfangboot an und lernt dabei auf schicksalhafte Weise Kapitän Ahab kennen und lieben.
Doch während der Fang des sagenhaften Moby Dick seinen Lebenstraum bedeutet, verfolgt Una andere, für eine Frau damals ungewöhnliche Wege.
Die Walfängerin von Sena Jeter Naslund
LESEPROBE
Ein milder, blauer Tag
Kapitän Ahab war nicht meinerster noch mein letzter Gemahl. Doch wenn ich in die Wolken emporschaue, seheich ihn dort vor mir - sein grauweißes Haar, die gefurchte Stirn und das gezackteMal (ich sah es, wenn ich im Kerzenlicht bei ihm lag, und auch, wenn wir aufdem sonnigen Moor uns der Wonne hingaben, umgeben von Grindelien undWollziest). Und jetzt sehe ich einen gezackten Schatten in den aufreißendenWolken. Dieses Narbenmal begann als Blitz an Ahabs Schläfe, fuhr jedoch nicht(wie einige glaubten) bis zu seiner Ferse, sondern endete bei seinem Herzen.
Gestern, als ich meinGesicht zum Himmel hob, erkannte ich nicht seine ganze Gestalt, sondern nurseinen Kopf, ein Wolkenporträt, das meinen Blick über die Schulter hinwegerwiderte.
Welches Wetter verheißenAhabs Züge?
Sein Gesicht erscheint mirsanft, wie auch damals, als er lebte, zumindest wenn er nur mich ansah und seinBlick keinem anderen galt; ein strahlendes Gesicht, auch wenn es ein wildes,verwegenes Strahlen war. Und jetzt erkenne ich in den sich aufbauschendenWolken die Pequod. Halb hebe ich die Hand zum Abschiedsgruß, wie an jenemletzten Tag an der östlichsten Landspitze von Nantucket Island, als ich miteinem Winken und dann einem unverwandten, sehnsüchtigen Blick seinem Schiff undihm gesegnete Reise wünschte, bis die Segel nur ein weißer Punkt noch waren,bis schließlich das Meer leer und weit vor mir lag, ein Glitzern.
Nantucket! Die Heimat, inder ich zuerst zu meinem Körper fand. Meine Füße wurden weniger ins sandigeUfer gezogen, als dass sie suchend hinabdrängten, die Zehen sich verwurzelten.Dann fand ich zu meinem Denken, das nicht geschaffen ist, die blaue Dünung deswogenden Meeres zu durchpflügen, sondern vielmehr den Nachthimmel, an dem dieSterne in ihrer eigenen feurigen Leidenschaft kreuzen und queren, treiben undkreisen. Nantucket! - nicht zuletzt auch die Heimat meiner Seele, gefunden aufeiner acht mal acht Fuß großen Plattform, dem hölzernen Witwensteg, der wieeine Kanzel oben auf meinem Haus thront. Diese drei Teile meiner selbst -Körper, Geist, Seele - verquicken sich hier auf dieser kleinen Insel.Nantucket! Warum also fügen sich die Wolken, wenn ich in den Himmel des lauenTages schaue, als Buchstaben des Alphabets nicht zu Nantucket zusammen, sondernschreiben mein erstes Zuhause - Kentucky? Und die Wolken, die zum Bild Ahabssich formten - warum malen sie mir die Umrisse meines Heimatstaates, untenflach und oben aufgebauscht?
Als Dreijährige, wenn ich amUfer des Ohio auf dem Rücken lag und nach oben schaute, bildeten die wattigenWolken keine Landkarte, kein Gesicht, keine weißen Tiere, die am Himmelgrasten, und trotzdem dachte ich: Schön! Das meinen sie, wenn sie schön sagen.
Schon als Kind wollte ichdie Bedeutung von Wörtern erfahren, und lernte ich etwas Neues, war mir dasstets ein Erlebnis. Als ich einmal im Hof auf einem Baumstumpf saß und meinenVater mit der Peitsche in der Hand im schwarzen Pferdewagen fortfahren sah,dachte ich: Schmerz. Ich empfinde Schmerz. Und ich weiß, da gehörten zum erstenMal Wort und Gefühl für mich zusammen. Ich bat meine Mutter, mir die Zeichenfür das Wort zu zeigen, und so begann ich schon sehr früh, nicht nur zu lesen,sondern auch zu schreiben. »Sch-sch-sch«, sagte sie. »Wie die Schlange, diedurchs Gras schlängelt. Und sie beginnt mit S, wie der Schmerz.« Und Schmerz gehörte auch zu meinem Vater. Zu mir als Kindwar er zwar freundlich, aber später wurde er launisch und dann verzweifelt undgewalttätig, und schließlich nahm er sich das Leben.
Sein Gespenst fährt schwarzan mir vorüber. An seinem Knie lehnt die Peitsche, die Schnur flattert wie einschmales Banner.
Ich besprach mich nicht mitAhab, bevor ich zu meiner Mutter reiste, um die Monate meiner Schwangerschaftbei ihr in einem einfachen Blockhaus in Kentucky zu verbringen und nicht imeleganten Zuhause der Kapitänsgattin in Nantucket. Aber natürlich schrieb ichihm von meiner Entscheidung und sandte ihm den Brief auf der Dove nach, damiter seine Gedanken an mich zum richtigen Ort schicken konnte.
Die Zeit, die ich mit meinerMutter in dem holden Sommer und dem goldenen Herbst von Kentucky draußen imFreien verbrachte, wurde noch versüßt durch unsere häusliche Vertrautheit, wennwir Kinderkleidchen nähten, kochten und wieder die großen Werke der Literaturlasen, die meine Mutter in die Wildnis mitgebracht hatte, die grün gebundenenBücher, aus denen sie mir schon als Kind vorgelesen hatte.
Manchmal standen meineMutter und ich zusammen vor dem ovalen Spiegel, der sie von Osten her begleitethatte, und betrachteten uns. Dieser Spiegel mit der vielfach ziseliertenEinfassung hob unser Blockhaus von denen der anderen Pioniere ab, ebenso wiedie Truhe voller Bücher. Dergestalt gerahmt, bewahrte ich dieses Doppelporträtvon uns in Erinnerung.
Als Mitte Dezember die Weheneinsetzten, aber vergebens fortzuschreiten suchten, fuhr meine Mutter mit deralten Stute und dem schwarzen Kutschwagen durch sechs Zoll tiefen verharschtenSchnee, um den Arzt zu holen. Benommen von den Krämpfen, bemerkte ich kaum,dass sie mich verließ. Als meine Mutter nicht wiederkam, die Schmerzen fastunerträglich wurden und mir die Kälte in die Füße kroch, während ich in derHütte auf und ab ging, suchte ich hilflos alle Federbetten, alle bunten Quiltszusammen, die ich finden konnte, warf sie auf das Bett, hängte die Schnur derSchlossfalle nach draußen, damit ich mein Nest nicht zu verlassen brauchte,wenn sie heimkehrte, und legte mich in mein Kindbett. Von unten gaben zwei weicheMatratzen mir Halt, von oben wärmte mich ein Berg Quilts in allen Farben desRegenbogens, und immer noch wand und krümmte ich mich.
Ich hatte Angst, denn ichwusste nicht, wie ich das Kind empfangen sollte. Und obwohl ich betete, dassdie Wehen endeten, betete ich auch, die Zeit möge nicht vergehen, mich nichtder Mutterschaft näher bringen. Ich dachte an Ahab wie auf einem schwankendenSchiff, das weder vorankam noch zurücktrieb, sondern sich wie verankert in derstürmischen See hob und senkte. Manchmal schlief ich ein wenig.
In einer erschöpften Pausevon den Schmerzen, die mich zerrissen, in meiner Sorge um meine Mutter, dieallzu lange ausblieb, glaubte ich zu hören, wie die Tür sich knarzend öffnete,zu spüren, wie eine noch eisigere Kälte hereinwehte, aber dann riss der Schlafmich wieder fort. Und in meinem Schlummer tobten Zephire durch die Hütte. IhreWangen waren gebläht vom frostigen Atem, den sie durch gespitzte Lippen aufmeine Nasenspitze richteten, meinen Scheitel, meine Ohren.
Dann donnerte es so laut andie Tür, dass ich dachte: Vulkane! Sie wird aufbrechen!
»Mach auf!«,schrien sie. »Gib sie heraus!« Und das tosende Hämmerngeballter Fäuste an meiner Holztür.
»Zieht an der Schnur!«, rief ich. So unheimlich sie auch klangen, ich wolltenicht, dass sie in ihrer Wut meine Tür einschlugen, und ich mochte auch meinBett nicht verlassen. Würde nicht jedes Wesen, das eine menschliche Stimmebesaß, sich beim Anblick meiner Leibesfülle erbarmen? Um mich her in der Hüttewar es fast schwarz, denn ich hatte keine Kerze angezündet, die Fenster warenmit den Winterläden verschlossen, das Feuer glühte nur mehr schwach.
»Da hängt keine Schnur!«, rief ein Mann. Barschere Stimmen brummten, keineMenschensprache. Da schob ich die Decken von mir und erhob mich, doch bevor ichtat, wie sie mich hießen, deckte ich mein warmes Nest auf den beiden Matratzenmit meinen Quilts zu. Langsam ging ich durch das Dämmerlicht der Hütte - sahich da die Schemen einer dunklen Gestalt, die an der Wand kauerte? - einenVorboten der Schmerzen, die mich erwarteten? -, öffnete die Tür und stelltemich dem Schnee. Wie erstarrt in der eisigen Luft stand eine Gruppe von sechsMännern vor mir, alle in Pelz und Wolle gehüllt, erleuchtet vom Schein einerbrennenden Kiefernfackel.
»Ihre Fußspuren führen zuIhrer Tür, Madam«, sagte einer. »Geben Sie sie heraus!«
Fast war mir, als würden dieKopfgeldjäger sich die Lippen lecken, dort, wo ihnen Eis in den langen Bärtenstarrte. Sie kamen mir vor wie Dämonen des Eises, aber meine Unschuld verliehmir Mut, denn ich hatte keiner entlaufenen Sklavin Unterschlupf gewährt.
»Ich liege in den Wehen.« Die pralle Wölbung unter meinem Flanellgewand konnteihren Blicken nicht entgehen. »Ich warte auf meine Mutter und den Arzt. Habtihr sie gesehen?«
Einer der sechs war vielkleiner als bei Menschen üblich. Sein Kopf reichte den anderen nur bis zumBauch, und er trug einen Wolfspelz. Ich hätte ihn für ein Kind gehalten, aberin seinem Gesicht wuchs ein buschiger Bart, seine Kopfhaare gingen in denWolfspelz über. Ohren und Schnauze des Wolfes thronten auf seinem Kopf, dieZähne hatten sich in sein Haar verbissen. Wäre er nicht so klein gewesen, hätteer einem Herkules der Pioniere gleichen können, der einWolfsfell trug statt des Nemeischen Löwen. Der zwergenhafte Wolfsmann hielt den flammenden, schenkeldicken Kiefernscheit in die Mittedes Trupps. Als er die Fackel höher hob, reckten sich alle, um in meine Hüttezu äugen. Hinter ihnen sah ich in dem orangefarbenen tanzenden Licht Abdrückebloßer Füße im Schnee, sehr klein, wie von einer Frau, und sie führtentatsächlich zu meiner Tür, oder vielmehr zu der zertrampelten Stelle im Schnee,wo die Jäger mit den gestiefelten Füßen scharrten.
»Wir müssen Ihr Hausdurchsuchen.«
Der frostige Wind war wieein Guss Eiswasser auf meiner Haut, und dann schoss heißes Wasser zwischenmeinen Beinen hervor und benässte mein Gewand und den Boden. Ich trat einenSchritt zurück.
»Seht!«,rief ich. »Die Fruchtblase ist geplatzt!« Ich wolltesie mit meinem Zustand beschämen.
»Wir kriegen die Dirntrotzdem. Sie müssen sie ausliefern.«
»Dann durchsucht mein Haus«,erwiderte ich ergeben. »Aber ich muss wieder ins Bett.«
Und ich tat, wie ich sagte.Ich schluckte meine Angst hinunter, sehnte mich nach meiner Mutter, beobachtetedie Männer. An der großen Fackel, die sie in eine Schneewehe steckten,entzündete jeder einen kleineren Scheit, betraten meinHaus und schlossen die Tür. Sie hielten die brennenden Hölzer wie Kerzenerhoben und füllten die Blockhütte mit Licht. Im Bett vergraben, fragte ichmich: Werden diese Raubeine bleiben, bis mein herziges Kind herauskommt? DerRaum glühte, harziger Rauch stieg kräuselnd zur Decke. Ist unter diesendämonischen Engeln ein Vater, der mir helfen kann? Doch die Vorstellung ihrergrausigen Pranken zwischen meinen Schenkeln schreckte mich so sehr, dass ichnicht fragen wollte. Ächzend und stöhnend lag ich da, während sie den Raumdurchsuchten. Die Hütte bot wenig Platz für ein Versteck.
»Schau unter der Bettstattnach.«
Der Zwerg ließ sich auf alleviere fallen, und wie er unter dem Bett stöberte, sah er wahrhaftig einem Wolfgleich. Und als er sich wieder aufrichtete, schien er wie ein Wunderwolf, denman gelehrt hatte, im Haus wider seine Natur auf Hinterbeinen zu gehen. Einerder Häscher öffnete meine Reisetruhe, doch sie war leer, das wusste ich. Erspähte hinein.
»Sie haben ja einen ganzenBerg auf sich liegen.«
»Das Mädel ist selbst einBerg, Jack«, antwortete ein anderer leise. Ich hörte das Schottische in seinemAkzent.
»Könntet ihr Holz für michhereintragen? Bevor ihr geht?«
Der mit der schroffen Stimmestreckte die Hand nach meinen Decken aus, um sie hochzureißen und die Suchefortzusetzen, aber der Schotte hielt ihn ab. »Nicht, Jack«, sagte er. »Lass ihrdie Wärme. Wir gehen jetzt.« Ich habe immer geglaubt,dass der Schotte mir Holz geholt hätte, doch er kannte die Männer und wusste,zu welch unaussprechlichen Gemeinheiten sie fähig waren, und deshalb trieb ersie erneut auf Jagd.
»Manchmal gehen sierückwärts in ihren eigenen Fußstapfen«, meinte der Zwerg, »um uns von ihrerFährte abzulenken.« Bei seiner Stimme fuhr ichzusammen; sie war weich wie Pelz. »Sie ist nicht hier«, fügte er im selbensamtenen Ton hinzu. In einem Fellwirbel fuhr er herum und huschte durch denRaum zur Tür.
Wie ein Rudel, das demLeittier folgt, stapften die Jäger dem Zwerg in Wolfsgestalt nach. Als sie zurTür hinaustraten, löschten sie ihre brennenden Scheite zischend im Schnee. DerSchotte zog die große Fackel aus der Wehe; das knotige Kiefernholz zerklüftet wieein Hüftgelenk. Dann drückte jemand sacht die Tür zu und die Hütte lag wiederim pechschwarzen Dunkel.
Es war, als hätte meineAngst den Wehen Einhalt geboten. Ich lauschte den knirschenden Schritten derMänner, die zum vereisten Fluss hinabgingen. Aus der Ferne klangen sie beinahefröhlich, wie heitere Weihnachtsgäste und gar nicht wie ein grausamer,gestiefelter Haufen, der auf tödlicher Menschenjagd war.
Durch ihr Kommen und Gehenhatte die Hütte all ihre Wärme verloren; nur augengroße Glut funkelte noch inder Asche. Obwohl die Wehen aussetzten und ich keinen Schmerz litt, zitterteund bebte ich - ob aus Angst, die Männer könnten wiederkommen, oder vor Furcht,mein Kind würde nur von meiner Unwissenheit und der Winterkälte begrüßt werden,das weiß ich nicht. Wenn ich bei der Geburt nicht starb, würden mein Kind undich wahrscheinlich erfrieren. Ich wusste, wenn ich Leib und Glieder rieb, würdees mich wärmen, aber ich hatte zu große Angst, um mich zu mühen. Hilflos lagich da, zitterte und bebte. Nach einer langen Weile kam es mir vor, als würdedas Bett selbst vor Kälte zittern.
Ein brausender Schlafumtoste mich, und ich träumte - vom Zwerg mit Augen so braun und warm wieuralter Bernstein, wunderbar menschlich in seinem Tiergesicht. War er bewandertin der Kunst der Hebammen? Der Traumzwerg fragte mich nach meinem Namen. »Una!«, sagte ich laut und erwachte.
Der Schmerz ballte sichhart, fest und dunkel in mir zusammen. Ich lag reglos da, bis auf meinunwillentliches Zittern und die ebensolche Antwort der Decken. Das Feuer warganz zu Asche verfallen, das letzte glühende Auge hatte sich geschlossen.
© Droemer/Knaur
Übersetzerin: UrsulaWulfekamp
Autoren-Porträt von Sena Jeter Naslund
Sena Jeter Naslund wurde 1942 in Birmingham, Alabama,geboren und promovierte in «Creative Writing». Sie ist Universitätsdozentin undGründerin einer Literaturzeitschrift. «Ahabs Frau» war in den USA einBestseller und wurde von verschiedenen Literaturmagazinen als bestes Buch desJahres ausgezeichnet. Sena Jeter Naslund lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochterin Louisville.
- Autor: Sena J. Naslund
- 2004, 667 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: DROEMER KNAUR
- ISBN-10: 3426626446
- ISBN-13: 9783426626443
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