Die Wiederkehr / Die Chronik der Unsterblichen Bd.5
DieWiederkehr von Wolfgang Hohlbein
LESEPROBE
Der letzte Schwerthieb war ihm gefährlich nahe gekommen. Nahegenug, dass er den Luftzug der Klinge hatte spüren können, die an seiner Wangeentlanggestrichen war. Er machte einen tänzelnden halben Schritt zurück,täuschte eine Ausfallbewegung nach links vor, bewegte sich dann blitzschnell indie entgegengesetzte Richtung, während er zugleich sein Schwert in einerschraubendenBewegung nach oben brachte. Für jeden unerfahrenen Schwertkämpfer wäre diesedoppelte Täuschung tödlich gewesen. Doch der Janitscharenhauptmann, dem Andrejgegenüberstand, war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer, und genau dieserUmstand wurde ihm zum Verhängnis: Er unterschätzte seinen Gegner. Deutlichkräftiger als Andrej und mindestens einen Kopf größer, benutzte er seine Waffesehr gewandt und durchschaute die Täuschung. Genau das hatte Andrej gehofft.Als sich die Waffe nach einer komplizierten Bewegung um seine eigene Klingeherumwand und auf die Seite seines Halses zielte - ein Hieb, der zweifelloswuchtig genug war, um ihn auf der Stelle enthaupten zu können - machte er einenhalben Schritt nach vorn und riss den linken Arm in die Höhe. Die Augen desTürken weiteten sich ungläubig. Die Klinge prallte gegen Andrejs hochgerissenenArm, zerschnitt den Stoff seines Hemdes und prallte Funken sprühend gegen denstählernen Armschutz, den er darunter trug. Dennoch hätte der Hieb den Kampf entschieden,denn die bloße Wucht des Schlages zerschmetterte Andrejs Handgelenk trotz desstählernen Schutzes. Aber der Krieger hatte noch nie einem Feindgegenübergestanden, der nicht nur in der Lage war, körperlichen Schmerz nichtwahrzunehmen, sondern sich auch durch Verletzungen nicht schwächen ließ. Andrejschlug die Waffe mit der bloßen Hand beiseite, schenkte seinem Gegenüber nochfür einen kurzen Moment das Leben - gerade lange genug, so dass dieser begriff wieschrecklich falsch er den schlanken, dunkelhaarigen Giaur eingeschätzthatte, mit dem er leichtes Spiel zu haben geglaubt hatte - und stieß ihm danndas Schwert in die Brust. Schwer atmend trat er einen Schritt zurück, um sich hastigumzusehen. Der Sieg, den er errungen hatte, war gering, wie er sichniedergeschlagen eingestehen musste. Der Kampf hatte mit dem ersten Licht desTages begonnen und bis in den frühen Nachmittag hinein nichts von seinerSchärfe eingebüßt. Die Ebene vor der Stadt war schwarz von den Kriegern destürkischen Heeres, das den Wellen einer tödlichen Brandung gleich immer wiedergegen die Stadtmauer anstürmte. Angriff auf Angriff wallte gegen die Mauern undbrach sich an der Entschlossenheit der Verteidiger. Andrej verstand längstnicht mehr, woher die muselmanischen Krieger den Mut für diesenselbstmörderischen Kampf nahmen. Dennoch: Auf einen gefallenen oder verwundetenVerteidiger kamen zehn Angreifer. Aber auch die Verluste auf Seiten desfeindlichen Heeres waren fürchterlich. Trotzdem war die Lage aussichtslos. Wienwürde fallen. Die Zahl der Angreifer überstieg die der Verteidiger um einVielfaches. Allenfalls ein Wunder konnte die Stadt noch retten, und Andrejhatte aufgehört, an Wunder zu glauben.
Er stieß einem weiteren Gegner sein Schwert in die Brust undenthauptete mit der gleichen Bewegung einen zweiten Türken, der gerade über dieMauer zu klettern versuchte. Dann zog er sich endgültig ein paar Schritte zurück.Dass er seinen Platz an den Zinnen aufgab, kostete möglicherweise viele derVerteidiger das Leben. Die Männer, die sich der Flut der Krieger todesmutigentgegengeworfen hatten, kämpften mit der Kraft der Verzweiflung, aber siestanden auf verlorenem Posten, und sie wussten es. Andrej hatte an diesem Tagzahllose Heldentaten gesehen, aber was nutzten der größte Mut und dievollkommenste Opferbereitschaft in einem Kampf, der nicht gewonnen werdenkonnte? Ohne Abu Dun und ihn wäre dieser Mauerabschnitt schon vor Stunden eingenommenworden. Die Stadt wird fallen, dachte Andrej bitter. Er zählte nichtmehr, wie viele Gegner er getötet und wie viele Sturmleitern er samt derMänner, die sie hinaufzuklettern versuchten, in die Tiefe gestoßen hatte. Erwar unendlich müde. Seine linke Hand schmerzte, und obwohl er spüren konnte,wie sich der zerschmetterte Knochen zusammenfügte und zerrissenes Fleisch und Sehnenwieder zusammenwuchsen, dauerte es doch länger, als es eigentlich hätte dauernsollen - ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch seinen übermenschlichen KräftenGrenzen gesetzt waren, die er nun bald erreicht hatte. Abu Dun und er mochtenWesen sein, die nur sehr schwer umzubringen waren - aber man konnte sie töten.Andrej selbst hatte genug Wesen seiner Art getötet, um das zu wissen. Aber siewaren nahezu unsterblich.
© 2003 by Egmont vgs, Köln
Interview mitWolfgang Hohlbein
Wir haben Glück: Dumme Fragen zu beantworten gehört nachIhrer eigenen Aussage neben Motorradfahren zu Ihren Lieblingsbeschäftigungen...
... ja, ja, das habe ich zu einer Zeit gesagt, als ich mirnoch nicht darüber im Klaren war, dass ich mir genau überlegen muss, was ichsage. Das ist mir einfach mal so rausgerutscht.
1992haben Sie geschrieben, das Schreiben sei für Sie ein Abenteuer geblieben, Sieseien einfach davon besessen. Trifft das, was sie vor zwölf Jahren sagten, auch2004 und ein paar Dutzend Bücher später noch zu? Und wie siehtein normaler (Arbeits-)Tag für Sie aus?
Das stimmt auch heute noch. Schreiben ist tatsächlich immer noch meinHobby. Was meine Arbeitsweise betrifft, so gibt es einen ganz großenUnterschied zwischen Theorie und Praxis. In der Theorie würde es reichen, wennich regelmäßig jeden Tag vier bis fünf Stunden arbeitete. In der Praxis ist esaber so, dass ich entweder gar nichts tue oder wie ein Besessener arbeite. Esgibt immer verschiedene Phasen. Am Anfang "schleiche" ich oft einbisschen um die Geschichte herum, vor allem dann, wenn ich nicht gleich einenguten Einstieg finde. Es kann vorkommen, dass ich eine Woche lang an zweiSeiten sitze - die ich dann wegwerfe. Aber wenn dieser Punkt überschritten ist,wenn die Geschichte eigentlich anfängt, sich selbst zu erzählen, so dass ichsie im Grunde nur noch aufschreiben muss, dann geht es sehr schnell. Dannarbeite ich sehr viel und mache eigentlich nichts anderes. Ich bin einNachtarbeiter, ich arbeite oft in den späten Abendstunden und nachts. Wenn esgut läuft, schreibe ich sozusagen von morgens bis abends und werde manchmalrecht unausstehlich, wenn ich gestört werde.
Unter einemPseudonym schreibe ich eigentlich überhaupt nicht mehr. Das war nur ganz amAnfang so. Damals hatte ich angefangen, auch Spannungsromane zu schreiben,meine ersten Sachen waren ja auch Heftromane. Zu der Zeit glaubte man noch,dass der Autor einer Abenteuergeschichte einen knalligen englischen Namen habenmuss. Aus diesem Grund hat dann eigentlich jeder deutsche Autor ein englischesPseudonym verpasst bekommen. Mir hat mal ein Redakteur gesagt: "EineHorrorgeschichte von Wolfgang Hohlbein kauft doch kein Mensch!" Er wurdeeines Besseren belehrt. Das war in den ersten zwei, drei Jahren.
Meinungsverschiedenheitenzwischen meiner Frau und mir bezüglich der Bücher werden ausdiskutiert. EineAufgabenteilung gibt es natürlich auch. Das reine Schreiben, der physikalischeVorgang, die Tinte aufs Papier zu bringen, das mache ich alleine. Wir reden imVorfeld gar nicht so viel miteinander, sondern stecken die Eckpunkte derGeschichte ab und definieren einige wichtige Charaktere. Aber dann ist eseigentlich immer das Gleiche: Ich beginne mit dem Schreiben und zeige meinerFrau im Idealfall täglich, was ich geschrieben habe. Wir überlegen danngemeinsam, besprechen die Szenen und tauschen unsere Ideen aus. Manchmal wirdetwas geändert. Unsere Diskussionen reichen dabei nicht bis in dendramaturgischen Ablauf hinein, sondern es geht eher um die Strukturen, dieAtmosphäre oder die Personen.
Sieselbst wurden - so zumindest die Darstellung des ausschreibenden Verlages -1982 "entdeckt", und zwar als einer von tausend Bewerbern um einenLiteratur-Preis. Nun gibt es den Wolfgang-Hohlbein-Preis. Noch bis zum 30.September 2004 läuft die Bewerbungsfrist für den Wolfgang-Hohlbein-Preis 2005,der dann zum vierten Mal seit 1995 verliehen werden wird. Wie viele dereingesandten Manuskripte lesen Sie selbst zumindest in Auszügen?
Nur einenganz kleinen Teil. Eine realistische Schätzung ist, dass es zwischen 500 und1.000 Einsendungen gibt. Selbst wenn es nur 100 wären, wäre es für mich nichtmöglich, alle zu lesen. Es wird immer eine erste Vorauswahl getroffen. Etwa 10%der Manuskripte sind danach noch in der engeren Wahl. Auch dann ist die Anzahlnoch zu groß für mich. Deswegen gibt es anschließend eine zweite Vorauswahl. Inder nächsten "Runde" sind etwa noch 50 Manuskripte vertreten. Auchdie kann ich nicht alle komplett lesen, aber zumindest anlesen. Bei den letztenbeiden Preisvergaben habe ich zusammen mit den anderen Jurymitgliedern etwazehn Manuskripte komplett gelesen. Das ist für die anderen 490 Bewerbernatürlich bitter, aber es geht nicht anders.
Es ist dannmeist auch so - zumindest beim letzten Mal - dass die Entscheidung, welchesBuch den ersten Preis erhalten soll, unglaublich schwer ist, denn die erstenDrei waren eigentlich gleich gut. Es war dann eine mehr oder wenigerwillkürliche Entscheidung, wer den ersten Preis bekommt. Aber die beidenBücher, die den zweiten und dritten Preis erhielten, wurden ja auchveröffentlicht.
Siegelten als "Deutschlands erfolgreichster Autor fantastischerLiteratur". In welchem Umfang nehmen Sie wahr, was andere Autoren schreiben?Gibt es interessante neue Entwicklungen innerhalb der deutschsprachigenFantasy-Literatur?
Ich lese eigentlich alles, was von anderen deutschenAutoren publiziert wird. So viele sind es ja auch nicht. Monika Felten müssteman sicherlich nennen, die in letzter Zeit ein paar sehr gute Sachen gemachthat; Bernhard Hennen, von dem man sicherlich noch eine Menge hören wird. Esgibt immer wieder mal Autoren, die ein wirklich gutes Buch auf dem Gebietschreiben. Aber auf Anhieb fallen mir eigentlich nicht viele ein, die sich ganzauf Fantasy-Literatur spezialisiert hätten. Es gibt aber sicherlich vieleSchriftsteller, die auch mal eine fantastische Geschichte geschrieben haben,die Grenzen in diesem Genre sind ja fließend.
Was internationale Autoren angeht, so bin ich ein großerFan von Stephen King. Auch Dean Koontz schätze ich oder Dan Brown, dessenBücher mir ebenfalls sehr gefallen. Aber generell habe ich nicht unbedingteinzelne Autoren im Kopf, mich interessieren eher die Geschichten. Wenn ich mirein Buch kaufe, achte ich meist nicht darauf, wer es geschrieben hat.
DieFrage danach, was denn nun eigentlich "die Wirklichkeit" sei, ist fürIhre Arbeit ganz entscheidend. Sie sagten dazu einmal: "Ich glaube, dassjeder Mensch seine eigene Wirklichkeit hat." Wie sieht das für Sie aus,der über die Jahre in unendlich viele Charaktere geschlüpft ist, unendlichviele Perspektiven eingenommen hat. Kommen Sie noch mit einer Wirklichkeit ausoder leben Sie schon in mehreren?
So viele verschiedene Charaktere sind das gar nicht. Wennman genau hinschaut, dann hat jede Hauptfigur auch ein Stück von mir, anderskann man keine richtig gute Geschichte schreiben. Ansonsten fällt es mir zumeinem eigenen Erstaunen sehr leicht, aus den Personen auch wieder"herauszuschlüpfen". Wenn ich in der Geschichte drinstecke - das gehtmir übrigens auch so, wenn ich ein Buch lese, das mich richtig packt - dann binich die Person, dann erlebe ich auch, was sie erlebt. Wenn ich das Buch oderdas Manuskript wieder zuklappe, dann bin ich da auch sofort wieder zurück inder Wirklichkeit. Ich kann das sehr gut trennen. Zum Glück. Ich habe auch schonerlebt, dass Fans enttäuscht sind, wenn sie erfahren, dass ich eigentlich einrealistischer Mensch bin.
Soebenist der erste Band der neuen "Anders"-Reihe erschienen, noch 2004sollen die Bände 2 bis 4 folgen. Welche Idee liegt dieser Reihe zu Grunde undwie entstand sie?
Eigentlichist es keine Reihe. Aus drucktechnischen Gründen erscheint das Werk in mehrerenBänden. Es ist ein großer Unterschied, ob man eine Fortsetzungsreihe mit vier,sechs oder acht Bänden schreibt oder eine zusammenhängende Geschichte. Das Werkhat 1.800 Seiten und wäre in einem Band nicht mehr druckbar gewesen. Alle Teilesind also bereits geschrieben. Ohne zu viel verraten zu wollen - im Buch gehtes um ein sehr aktuelles Thema. Im Grunde ist es eine ganz wilde Mischung ausFantasy, Science Fiction und einer klassischen Abenteuergeschichte, die inunserer Welt spielt, oder zumindest hier anfängt. Es geht im weitesten Sinne umdas Thema Genforschung. Ich habe versucht, das Ganze in eine sehr spannende,abenteuerliche Geschichte zu verpacken und hoffe, das ist mir gelungen.
Imnächsten Jahr ist auch wieder Einiges von Ihnen zu erwarten, z.B. Band 6 derNemesis-Reihe. Was planen Sie - außer den literarischen Vorhaben - für dieZukunft?
Eigentlich gar nichts. Ich plane selten im Voraus. Ichweiß natürlich, was ich als nächstes mache, und auch so ungefähr, was ich alsübernächstes machen will. Aber was danach passiert, weiß ich nicht. Wenn ichjetzt schon wüsste, was ich im März 2007 machen werden, dann hätte ich auch inmeinem alten Beruf bleiben können. [Anm. d. Redaktion: Wolfgang Hohlbein istgelernter Industriekaufmann.]
Sieleben in Deutschland, das örtliche Finanzamt ist nach Ihren eigenen Worteneiner Ihrer größten Fans. Jeden Tag werden neue Aufschwungs- oderKrisenszenarien veröffentlicht. Wie empfinden Sie die Stimmung im Lande?
Eigentlich war das mit dem Finanzamt eher ein Scherz. Ichhabe das in einer Phase gesagt, in der ich als Freiberufler mit dem Finanzamtein bisschen im Clinch lag. Ich war in der Tat eine Zeit lang ernsthaftversucht, auszuwandern. Es gibt ja so schöne Länder wie Irland, wo Künstlerkeine Steuern zahlen müssen. Aber ich konnte mir am Ende doch nicht vorstellen,dort wirklich zu leben. Wahrscheinlich bin ich eben ein ganz spießiger Mensch.Es gibt auch keinen vernünftigen Grund, warum ich im Rheinland lebe. Ich könntein einer landschaftlich schöneren Gegend wohnen und dort genauso arbeiten. Aberich bin dort eben aufgewachsen und kenne jeden, habe dort meine Freunde, ja,und auch meine Feinde, die gehören ja auch dazu. Auch wenn das kitschig klingt- ich bin im Grunde heimatverbunden.
Es istschwierig, über die Stimmung in Deutschland zu sprechen. Ich finde es sehrschade, dass von der Presse immer alles so schlecht gemacht und schwarz gemaltwird. Die Medien hätten ja die Macht, für bessere Stimmung zu sorgen, aber dasGegenteil ist der Fall. Das finde ich sehr schade. Es gibt viele positiveBeispiele dafür, dass die Menschen in Deutschland immer wieder das Beste ausihrer Situation machen und trotz Hindernissen ihren Weg gehen. Es gibt aber aufder anderen Seite natürlich auch schlimme Schicksale. Die Zukunft ist sicherlichschwierig, und die goldenen Zeiten sind wahrscheinlich vorbei, aber es istnicht so, dass man deswegen den Kopf in den Sand stecken sollte. Manchmal mussman einfach den Sprung ins kalte Wasser wagen, und hoffen, dass man das Glückauf seiner Seite hat.
Die Fragen stellte Roland GroßeHoltforth, literaturtest.de.
- Autor: Wolfgang Hohlbein
- 2004, 2. Aufl., 382 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548258093
- ISBN-13: 9783548258096
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