Die Wundärztin - Saga im Schuber
"Die Wundärztin", "Hexengold", "Das Bernsteinerbe"
Die Wundärztin
Deutschland im Dreißigjährigen Krieg: Die kluge Söldnertochter Magdalena arbeitet als Wundärztin im kaiserlichen Tross. Bald entbrennt sie in großer Liebe zu dem Kaufmannssohn Eric,...
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Produktinformationen zu „Die Wundärztin - Saga im Schuber “
Die Wundärztin
Deutschland im Dreißigjährigen Krieg: Die kluge Söldnertochter Magdalena arbeitet als Wundärztin im kaiserlichen Tross. Bald entbrennt sie in großer Liebe zu dem Kaufmannssohn Eric, der seit dem Tod seiner Eltern allein lebt. Doch es ist eine verbotene Liebe, denn die Väter der beiden standen sich einst in Feindschaft gegenüber. Nach einer Schlacht verschwindet Eric spurlos - und Magdalena muss eine folgenschwere Entscheidung treffen.
Hexengold
Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg: Die Kaufmannsgattin Magdalena will die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren und begibt sich auf eine Reise nach Königsberg. Doch es scheint jemand zu geben, der nicht will, dass Magdalena auch ans Ziel kommt.
Das Bernsteinerbe
Die Geschichte der Wundärztin Magdalena geht weiter! Königsberg, 1662: In den Wirren des Königsberger Aufstandes trifft die junge Carlotta ihre erste Liebe Mathias wieder. Doch die Liebe steht unter keinem guten Stern, denn als Offizier der Kurfürstlichen Armee gehört er zu den Belagerern der Stadt. Ihre verwitwete Mutter Magdalena indes wird von Philipp Helmbrecht umworben, fürchtet aber ebenfalls das offene Bekenntnis zu dieser Liebe. Noch immer hadert sie mit der Lauterkeit ihres verstorbenen Gemahls Eric. Als es in den Reihen der Aufständischen zu einem Verrat kommt, geraten Carlotta und ihre Mutter in Verdacht, Informationen an die Belagerer weitergegeben zu haben. Ihnen bleibt nur noch die Flucht aus der Stadt
"Man nehme eine kluge und mutige Frau. Eine große, aber unmögliche Liebe. Und eine schwierige Epoche - und fertig ist der perfekte Historienroman."
FREUNDIN
"Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen."
Iny Lorentz
Klappentext zu „Die Wundärztin - Saga im Schuber “
Die WundärztinMagdeburg, Ende Mai 1631: Durch eine mutige Rettungsaktion wird die sechsjährige Magdalena durch den wenig älteren Eric aus der brennenden Stadt geführt. Die beiden Kinder fühlen sich vom ersten Moment ihrer schicksalsträchtigen Begegnung zueinander hingezogen.
Einige Jahre später: Die kluge Söldnertochter Magdalena arbeitet als Wundärztin im kaiserlichen Tross. Als sie Eric durch einen Zufall wieder trifft, entbrennt sie in großer Liebe zu dem Kaufmannssohn, der seit dem Tod seiner Eltern allein lebt. Doch es ist eine verbotene Liebe, denn die Väter der beiden standen sich einst in Feindschaft gegenüber. Nach einer Schlacht verschwindet Eric spurlos - und Magdalena ist auf sich allein gestellt. Doch die Wege des Liebespaares kreuzen sich erneut, als Eric schwer verwundet auf einem Schlachtfeld vor ihr liegt und nur sie ihn heilen kann. Doch es scheint, als ob ihrer Liebe keine Zukunft beschienen ist, denn Eric soll nach seiner Genesung hingerichtet werden ...
Das Bernsteinerbe
Königsberg, 1662: Die einstige Wundärztin Magdalena und ihre Tochter Carlotta haben sich als Bernsteinhändlerinnen in Königsberg etabliert und führen das Kontor ihrer Ahnen erfolgreich weiter. Zur gleichen Zeit spitzt sich die Lage zwischen den Königsberger Bürgern und dem Kurfürsten zu, so dass dieser die Stadt belagern lässt. Unter den Belagerern entdeckt Carlotta ihre erste große Liebe Mathias und sofort verliebt sie sich wieder in ihn. Die verwitwete Magdalena indes liebt seit langem Philipp Helmbrecht, fürchtet aber ebenfalls das offene Bekenntnis zu dieser Liebe. Es kommt zu ersten Ausschreitungen und Magdalena versorgt gemeinsam mit Carlotta - argwöhnisch beobachtet von den übrigen Bürgern - als Wundärztin die Verletzten. Als die beiden Frauen auch der Spionage für den Kurfürsten
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verdächtigt werden, bleibt ihnen nur noch die Flucht aus der belagerten Stadt ...
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Lese-Probe zu „Die Wundärztin - Saga im Schuber “
Die Wundärztin von Heidi Rehn... mehr
Für einen Moment wurde es totenstill in dem schmalen Hof. Mitten im Zank hielten die beiden Mädchen inne. Der eben noch straff gespannte Stoff schlackerte schlaff in ihren Händen. Ein Ruck würde genügen, ihn der anderen zu entreißen. Keine von beiden aber wagte, sich zu rühren. Stocksteif standen sie einander gegenüber, die Augen weit aufgerissen. Angst und Anspannung spiegelten sich darin.
Im Gebälk der nahen Scheune knarrte es. Eine Latte krachte herunter. Für einen quälend langen Moment kehrte die Stille wieder zurück, bis die hölzerne Scheunenwand unter gewaltigem Getöse in sich zusammenstürzte. Haushoch wirbelten Funken auf, Ascheregen rieselte nieder. Schreckensbleich stierten die kleine Blonde und die schmächtige Rothaarige in das Flammenmeer.
Dort, wo eben noch die Scheune gestanden hatte, tanzte nur mehr dichter, stinkender Rauch. Das Holz am Boden glühte. Begierig leckte das Feuer an den Balken entlang. Abermals brauste der Wind in den Hof, wehte eine weitere Wolke Asche und Glut herein. Undurchdringlicher Qualm umnebelte die Kinder. Das Luftholen wurde zur Qual, jeder Atemzug biss schmerzhaft in die Brust. Abrupt drehte der Wind und riss das Feuer mit sich herum, um es zum nächsten Hof zu jagen. Das Prasseln der Flammen wurde leiser, und die Hitze schwand so rasch, wie sie gekommen war. Hustend und spuckend rangen die Mädchen nach Luft.
Seit dem frühen Morgengrauen wütete das Feuer in der ehedem so prächtigen Stadt an der Elbe. Satt aber war es noch lange nicht. Stunde um Stunde fraß es sich durch die Gassen, leckte mit tausend Zungen in die Höfe und Häuser hinein, um binnen Augenblicken mit abertausend hungrigen Flammen aus den Fenstern zu schlagen. Auf der Straße wälzte sich der Zug der Fliehenden vorbei. Verzweiflungsschreie hallten von den rußgeschwärzten Mauern wider. Von der sanften Maisonne war nirgendwo etwas zu ahnen.
»Gib endlich her!« Als Erste erwachte die blonde Elsbeth aus der Erstarrung. Entschlossen zerrte sie an dem Stoff, den die beiden Mädchen in Händen hielten. Durch den Ruck wurde auch die rothaarige Magdalena wieder lebendig. Erstaunt blickte sie Elsbeth an. Die Augen ihrer Cousine verengten sich zu schmalen Schlitzen, die sonst so vollen Lippen bildeten gerade Striche in dem ebenmäßigen Gesicht. Energisch hielt sie den Stoff fest. Straff wie eine Flagge spannte er sich zwischen ihnen.
»Er gehört mir!« Magdalena stemmte den rechten Fuß in den Boden, lehnte den Oberkörper zurück und legte ebenfalls alle Kraft in ihr Ziehen. Nur weil Elsbeth ein gutes Stück größer war als sie, sollte sie nicht wieder die Oberhand behalten. Sie fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen und schmeckte die salzigen Tränen, die ihr die Wangen hinunterkullerten.
»Nein, mir!« Wut funkelte in Elsbeths Augen. Die alabasterweißen Arme schimmerten im Feuerschein. Ein Heiligenschein aus gelbroten Flammen umkränzte ihren Kopf. Kein Zweifel: Der dunkle Taftrock würde sie in eine wahre Prinzessin verwandeln. Darum sollte sie den Rock auch nicht haben! Magdalena kniff ebenfalls die Augen zusammen und klammerte die kurzen Finger um den Stoff. Auch sie würde wunderschön darin sein. Schon sah sie den stolzen Blick ihres Vaters vor sich. Ihre smaragdgrünen Augen würden mit dem tannengrünen Stoff um die Wette leuchten, kühn würde sich der Taft beim Tanzen bauschen. Die Traumbilder schienen ihr mit einem Mal so wirklich, dass sie erst wieder verschwanden, als ihr der harte Stoffwulst in die Handflächen schnitt und der Schmerz sie jäh in den kahlen Hof zurückholte. Die roten Locken klebten ihr auf der Stirn, sie wegzuwischen, fehlte die Zeit. »Lass los!«
»Mir hat ihn Babette geschenkt!« Entschlossen zerrte Elsbeth ein weiteres Mal an dem Stoff.
»Du lügst! Sie ist meine Mutter! Deshalb hat sie den Rock mir gegeben!« Wütend stampfte Magdalena auf und versuchte gleichzeitig, den glatten Taft festzuhalten.
»Nein, mir!« Elsbeth genügte ein neuerlicher Ruck, um Magdalena ins Straucheln zu bringen. Ein lautes Ratschen war zu hören. Haltlos purzelten beide Mädchen nach hinten und betrachteten entsetzt die Fetzen in ihren Händen. Sofort stimmte Elsbeth ein markerschütterndes Schreien an.
Im selben Moment schoss Magdalenas Mutter Babette um die Ecke, einen großen Berg Weißzeug vor der Brust, die ansehnliche Beute vormittäglichen Mausens in der frisch eroberten Kaufmannsstadt. Ein Blick auf die jammernde Elsbeth und die stumm dasitzende Magdalena genügte. Zornig warf sie das Weißzeug zu Boden, ohne auf den Dreck zu achten, und verpasste Magdalena rechts und links zwei Maulschellen. »Dich werd ich lehren, deiner armen Cousine alles wegzunehmen! Bist du denn zu gar nichts zu gebrauchen?«
Elsbeths neuerliches Aufschreien unterbrach ihr Schimpfen. Magdalena nutzte die Gelegenheit, sich unter der halberhobenen Hand wegzurollen. Nach einem kurzen Blick auf Babette, die sich besorgt über die wimmernde Elsbeth beugte, beschloss sie wegzulaufen, hinaus auf die Gasse, hinein in das unübersichtliche Menschengewühl, weiter, immer weiter, einfach dem Strom der Fliehenden hinterher. An einer Straßenecke geriet der Zug ins Stocken, kam schließlich ganz zum Stehen. Rechts und links brannten die Häuser lichterloh. Das stete Prasseln schmerzte in den Ohren, die Hitze nahm den Atem. Ein süßlicher Geruch breitete sich aus. Verbranntes Fleisch! Magdalena stockte das Herz. Kaum wagte sie Luft zu holen. Gleichzeitig wurde die Enge um sie her unerträglich. Schulter an Schulter stauten sich die Menschen, schimpften und schrien, weil es nicht mehr weiterging. Angst packte Magdalena. Sie konnte nicht mehr länger in der Menge ausharren, sie musste weg. Wohin? Sie reckte und streckte sich, doch es nutzte nichts. Mit ihren sechs Jahren war sie einfach zu klein, um über die anderen hinwegsehen zu können. Flink duckte sie sich und versuchte, zwischen den Beinen der Großen nach vorn zu schlüpfen. Als auch das nicht gelang, beschloss sie, einen anderen Weg zu suchen. Sie zwängte sich an der Menge vorbei in ein halbwegs intakt aussehendes Gemäuer. Ächzend schwang eine Tür auf. Dahinter empfingen sie nichts als rauchende Schuttberge, Wände und Mauern waren eingestürzt. Das Feuer hatte auch hier ganze Arbeit getan. Mitten in einer einsam aus Trümmern aufragenden Wand entdeckte sie eine weitere Tür. Als sie sie öffnen wollte, hob ein ohrenbetäubender Lärm an.
»Nicht!« Jemand riss sie fort. Im selben Augenblick stürzte auf der anderen Seite der Tür ein brennender Balken herab und riss die gesamte Wand mit sich zu Boden. Verwundert fand sich Magdalena zwei Schritte neben der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, und betrachtete die hoch aufschlagenden Flammen.
»Glück gehabt.« Die Stimme kam von dicht neben ihr und gehörte einem rotblonden, kräftigen Jungen, der sie um mehr als zwei Köpfe überragte. Sie schätzte ihn auf mindestens zwölf, also gut doppelt so alt wie sie. Erleichtert lächelte er sie an. In seinen tiefblauen Augen und dem durchdringenden Blick blitzte etwas auf, was sie tief im Innersten berührte. Sofort fasste sie Zutrauen und schob ihre kleine Hand in die seine.
»Komm mit. Hier können wir nicht bleiben«, sagte er und zog sie fort. Hand in Hand kletterten sie über die glimmenden Trümmer, suchten sich zwischen den Ruinen einen Weg und erreichten bald eine Straße. Auch die war voller Menschen. Die Richtung, die sie einschlugen, schien dem Jungen zu gefallen. Zufrieden schmunzelte er, umfasste ihre Hand noch ein wenig fester und reihte sich mit ihr in den Strom der Fliehenden ein. Wenig später bereits gelangten sie zu einem Tor, das aus der Stadt hinausführte.
»Wo gehörst du hin?« Kurz vor dem Tor zog er sie in eine Mauernische. Verwundert bemerkte sie, dass seine Stimme zitterte. Sie blickte zu ihm auf, konnte aber nicht viel von seinem Gesicht erkennen. Der vorragende Mauersturz überschattete seine Augen. Die Menschen drängten so dicht vorbei, dass sie Mühe hatte, nicht mitgerissen zu werden. Alte, Junge, Männer, Frauen, Kinder rempelten sie an, Bürger und Habenichtse schoben vorbei, alle geeint in der Sorge, sich aus dem brennenden Inferno zu retten.
Jetzt erst überkam sie die Furcht. Babettes wutverzerrtes Gesicht tauchte vor ihr auf, Elsbeths siegesgewisses Lachen.
Unwillkürlich klammerte sie sich an dem fremden Jungen fest. Bei ihm könnte sie doch einfach bleiben, fortan immerzu in diesen wundervollen blauen Augen versinken! Die Seinen nahmen sie vielleicht freudig bei sich auf. Doch da schob sich das Gesicht ihres Vaters vor ihre Augen. Sie meinte zu hören, wie er zärtlich nach ihr rief. Dabei war es ihr halbwüchsiger Retter, der sie am Arm fasste und noch einmal fragte: »Wo gehörst du hin?«
»Zu den Pappenheimerschen.« Ohne nachzudenken, kamen ihr die Worte über die Lippen, die der Vater ihr eingeschärft hatte. Stolz fügte sie hinzu: »Wir kämpfen für die gerechte Sache des Kaisers!«
In den Mundwinkeln des Jungen zuckte es. Ein Beben lief durch seinen dünnen, langen Körper. Er räusperte sich, bevor er heiser erklärte: »Dann bring ich dich eben dorthin.« Wie selbstverständlich reihte er sich bei den vorbeiziehenden Söldnerweibern ein. Keine achtete auf die beiden. Hochbepackt mit Beute, eilten sie zur Elbe, um mit einem der vielen Kähne auf die östliche Flussseite überzusetzen, wo sich das Quartier der kaiserlichen Truppen befand. Jemand half ihr ungefragt in den Kahn. Sie zögerte, fürchtete, ihr junger Retter nutzte die Gelegenheit, sie im Stich zu lassen. Dann aber tauchte sein rotblonder Haarschopf neben ihr auf, und sie griff beruhigt nach seiner Hand.
Friedlich schlummerte das Heerlager im milchigen Licht der schrägstehenden Nachmittagssonne. Die zigtausend Soldaten- und Trossweiberfüße hatten längst die zart keimenden Frühlingsblumen auf den Wiesen ringsum niedergetrampelt. Den Geruch des lichterloh brennenden Magdeburg in der Nase, schien es Magdalena, als ströme ihr nun aus jedem Winkel üppiger Maiduft entgegen. Begierig sog sie ihn ein. Endlos weit erstreckte sich das Lager: Zelte reihten sich an Zelte, Wagen an Wagen, dann folgten wieder Zelte, dazwischen waghalsige Verschläge aus Decken, Ästen und dornigem Gestrüpp, bevor die Gassen abermals breiter und die Unterkünfte wieder prächtiger wurden. In jedem Winkel tummelten sich Männer, Frauen und Kinder, Soldaten und Handwerker. Dazwischen feilschten Marketender und Huren mit ihrer Kundschaft, buhlten Spielleute und Wahrsagerinnen um Aufmerksamkeit. Das Gerassel der Säbel, das Klirren der Klingen und das Knacken der Gewehre waren vertraute Musik in Magdalenas Ohren, selbst die dumpfen Befehle, mit denen ein Feldwebel seine Rotte durch die Gassen scheuchte, wurden zu beruhigendem Gesang. »Da lang!« Ihr rechter Zeigefinger schnellte nach vorn. Noch bevor der Junge sich besinnen konnte, führte sie ihn zielsicher durch das Gewirr der Zelte und Gassen, so wie er sie vorhin durch die Trümmer Magdeburgs gelotst hatte.
In weiter Ferne verklangen die letzten Schüsse und Explosionen. Auch der Trubel im Lager wurde bedächtiger. Bis zur Unterkunft der Eltern am östlichen Rand war es noch ein gutes Stück zu gehen. Überrascht bemerkte Magdalena, wie die Schritte ihres Retters zögerlicher wurden, und seine Hand fühlte sich feucht an. Sie beschloss, ihn abzulenken. Munter plapperte sie davon, wie Babette, Elsbeth und sie gleich bei Tagesanbruch zum Mausen in die Stadt aufgebrochen waren. Nach der Aufzählung all der vielen Stoffe, Kleider, Töpfe und Tücher, die sie aus den Häusern geholt hatten, ging sie dazu über, zu erklären, dass Elsbeth die Tochter der Schwester ihrer Mutter war, die im letzten Winterlager gestorben war. Auch dass sie mit der schönen Cousine um den tannengrünen Taftrock gestritten hatte, verschwieg sie nicht. Erst als sie zu der Stelle kam, wie er sie vor dem brennenden Balken gerettet hatte, hielt sie erschöpft inne und warf ihm einen ängstlichen Blick zu. Beharrlich starrte er nach vorn. Ein bitterer Zug umspielte seine Mundwinkel, und auf der Wange glitzerte eine Träne. Hastig wischte er sie fort. Es sah nicht so aus, als wolle er noch mehr von ihren Geschichten hören. Also schwieg sie.
Lange liefen sie nebeneinander her. Magdalena wurde müde und stolperte bald mehr, als dass sie ging. Doch der Junge verlangsamte seinen Schritt nicht. Glutrot leuchtete die Sonne schließlich in ihren Rücken auf, entzündete am Abendhimmel dasselbe Feuer wie am Tag die hungrigen Flammen in der Stadt. Um die Erinnerung zu verscheuchen, richtete Magdalena die Augen stur nach vorn, Richtung Osten, wo irgendwo das Zelt der Eltern sein musste. Endlich tauchte ein gutes Stück entfernt von den übrigen Leiterwagen die vertraute Silhouette eines einzelnen Fuhrwerks mit einem angrenzenden Zelt auf.
»Meister Johann!« Magdalenas Stimme überschlug sich vor Freude. »Der Wagen da vorn gehört Meister Johann, unserem Feldscher. Endlich sind wir da!«
»Bist du sicher?« Ihr Retter gab sich keine Mühe, die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen.
Heftig nickte sie und fragte, als er stehen geblieben war: »Du hast wohl keinen mehr, zu dem du gehen kannst? Komm doch mit! Meister Johann wird wissen, wo du hinkannst, wenn du sonst niemanden mehr weißt.«
»Meinst du?« Schüchtern sah er sie an.
»Ganz bestimmt.«
Ein Zug der Erleichterung huschte ihm über das Gesicht. Zwei helle Falten gruben sich oberhalb der Nasenwurzel ein.
Tastend suchte er mit den Fingern unter seinem Hemdkragen und zog behutsam etwas darunter hervor: eine Lederschnur mit einem honiggelben Stein. Im letzten Licht der untergehenden Sonne glich er erstarrtem Feuer. Etwas Schwarzes schien darin gefangen.
»Hier, für dich. Der passt auf dich auf, damit dir nichts Böses geschieht. Mit seiner Hilfe findest du künftig auch allein zu deinen Leuten zurück.«
»Auch ohne dich?«
»Auch ohne mich.« Eine Spur zu hastig beugte er sich herunter und band ihr die Schnur um den Hals. Dabei hörte sie ihn leise aufschluchzen.
»Danke«, sagte sie und steckte den Stein unter ihr Hemd. Niemand sollte den Schatz entdecken, vor allem nicht Elsbeth, ihre habgierige Cousine.
»Wie heißt du eigentlich?« Noch einmal suchte sie den Blick seiner tiefgründigen blauen Augen, spürte den Strudel darin, der sie mit sich fortreißen wollte.
»Eric.«
»Danke, Eric, für den Stein. Auch dich werde ich jetzt immer wiederfinden können, ganz gleich, wo du steckst.«
Verschwörerisch zwinkerte sie ihm zu. Dann wandte sie sich um und führte ihn zu Meister Johanns Wagen. Kaum waren sie auf wenige Schritte heran, kam ihr Vater unter der Plane des angrenzenden Zeltes hervor.
»Vater!« Magdalena flog ihm in die Arme. Freudig drückte er das Mädchen an sich und vergrub das Gesicht in ihren roten Locken. Schließlich drehte er sich zu ihrem jungen Retter um. Sobald er seines Gesichts gewahr wurde, setzte er sie ab und trat zwei Schritte zurück. Dabei erblasste er, das Lächeln in seinen Augen erstarb. »Nein!« war alles, was er herausbrachte.
Bestürzt verfolgte Magdalena den plötzlichen Sinneswandel. »Das ist Eric. Er hat mich aus dem Feuer in Magdeburg gerettet und zurückgebracht.«
Zur Bestätigung wollte sie den Stein unter ihrem Hemd hervorziehen und dem Vater zeigen. Der aber schüttelte den Kopf. Wortlos wandte er sich ab und zog sie ohne weitere Erklärung mit sich fort.
ERSTER TEIL
Belagerung
FREIBURG IM BREISGAU
Juli bis August 1644
1
Viel zu schnell war die Nacht vorüber, viel zu früh graute der Tag. Eine Taube begann ihr aufdringliches Gurren, eine Amsel stimmte tiefkehlig in den morgendlichen Gruß ein. Magdalena schmiegte den schmalen Körper an Erics nackte Brust. Verträumt fuhren ihre Fingerspitzen die Adern seiner muskulösen Oberarme nach. Winzige Schweißtropfen perlten auf der sonnengebräunten Haut. Zärtlich saugte sie die mit den Lippen auf und sog seinen Geruch ein. »Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Sacht presste er sie auf den Rücken, ließ den Blick über ihren bloßen Leib gleiten und hauchte einen sanften Kuss mitten darauf. Ihr Atem ging schneller. Ein leichtes Zittern durchlief sie. Schaudernd vor Wonne, stellten sich ihr die Nackenhaare auf.
»Wie gut, dass wir uns wiedergefunden haben«, flüsterte sie und schnappte spielerisch mit den Zähnen nach seinem Ohrläppchen. »Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich je ohne dich und deine Liebe sein konnte. Das will ich nie mehr erleben.«
»Ich hoffe nicht, dass du das jemals musst.« Mit einem leidenschaftlichen Kuss verschloss er ihre Lippen und begann abermals, ihren alabasterweißen Körper mit Liebkosungen zu verwöhnen. Eine neue Woge der Lust durchflutete sie, bis ein lauter Trompetenstoß sie auffahren ließ.
Erschrocken sahen sie einander an. Abermals ertönte die Fanfare. Unruhe machte sich unterhalb ihres Liebesnestes breit. Es befand sich auf dem Heuboden einer Scheune in der Freiburger Gerberau. Dort hatten die Zimmerleute der Kaiserlichen, zu denen Eric seit einigen Jahren gehörte, Quartier bezogen.
»Ob es tatsächlich losgeht?« Magdalena spähte durch die Giebelluke auf den Hof hinunter. Im diffusen Graublau der Dämmerung liefen ein gutes Dutzend Zimmerleute zusammen. Schwere Schritte knallten auf dem Steinboden, Holzdielen knarrten, Rufe wurden laut. Manche der Männer knöpften sich noch im Laufen die Hosen zu und gähnten herzhaft, andere wirkten bereits hellwach und für alles gerüstet. Übermütig schwenkten sie die breitkrempigen Hüte, schulterten die Äxte und schoben sich Zangen und Hämmer in die Gürtel. Sie hatten es eilig, zum Schanzenbau vor den Toren der Stadt auszurücken.
»Da übt gewiss einer, damit er das Trompeten nicht verlernt.« Eric pustete eine rotblonde Haarsträhne aus dem Gesicht und machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu erheben und den Kameraden zu folgen. Stattdessen begann er, die Strohhalme aus Magdalenas roten Locken zu zupfen. Es war bereits die zweite Nacht, die sie gemeinsam auf dem Heuboden verbrachten. Noch immer bekam er nicht genug von ihr, wie seine gierigen Küsse bewiesen. »Vergiss doch endlich die Franzosen! Auch wenn sie letztens ehrenvoll mit Pauken und Trompeten aus Freiburg abgezogen sind, sind sie vorerst geschlagen. Unser tapferer Mercy jagt ihnen viel zu viel Angst ein. Solange er mit seinen Truppen hier ist, trauen die sich nicht wieder zurück. Der Bau von neuen Schanzen hat also noch viel Zeit. Unterdessen sollten wir uns lieber Wichtigerem widmen.« Damit wollte er sie von neuem sanft, aber entschieden ins Heu ziehen.
»Du redest, als wärst du immer schon einer von uns gewesen.« Magdalena widersetzte sich erfolgreich seinem Begehren und betrachtete nachdenklich den Geliebten. Das sanfte Licht der Morgendämmerung hob die Konturen seines wohlgestalteten Körpers hervor. Selbst im Sitzen war Eric sehr groß. Die meisten Männer des Regiments überragte er um einige Handbreit. Sein muskulöser, sonnengebräunter Oberkörper zeugte von der harten Arbeit, die er als Zimmermanns-geselle zu verrichten hatte. Die feingliedrigen Hände mit den langen, grazilen Fingern verrieten, dass er eigentlich nicht zu dieser Arbeit geboren worden war. Auch das Profil seines Gesichts wies edle Züge auf. Hell flimmerte der Bartflaum auf Kinn und Wangen. Wenn er lächelte, so wie im Moment, gruben sich auf beiden Seiten des Mundes zarte Grübchen ein. Ebenmäßig blitzten die weißen Zähne zwischen den Lippen hervor. Schweren Herzens unterdrückte Magdalena den Wunsch, ihn abermals zu umarmen. Ihre kleinen, apfelgleichen Brüste dürsteten nach der Berührung mit seiner warmen Haut, vorwitzig reckten sich die Brustwarzen hervor. Gewiss aber war es besser, sie ließen es für dieses Mal bewenden. Die Aufbruchsstimmung unten im Hof wurde dringlicher. Bedauernd sprang sie auf, schlüpfte in das leinene Mieder, knöpfte es zu und streifte sich den Rock über. Abschließend fuhr sie mit den schlanken Fingern durch das gelockte, offen fallende Haar. Dabei verharrte der Blick ihrer smaragdgrünen Augen weiterhin auf Eric. Sie liebte ihn, wie sie noch nie einen Menschen geliebt hatte. Seit ihrer ersten Begegnung, nachdem er seine Familie bei der Magdeburger Hochzeit verloren und sie aus den Trümmern der brennenden Stadt gerettet hatte, zog er im kurfürstlich bayerischen Heerestross mit. Jahrelang hatten sie sich aus den Augen verloren, bis sie sich erst in diesem Frühjahr wiedergefunden und rettungslos ineinander verliebt hatten. Seither teilten sie jede freie Minute miteinander. Keiner konnte ahnen, wie viel Zeit ihnen vergönnt war. Umso wichtiger war es, dass sie jeden Augenblick miteinander auskosteten. Längst hatte sie das Gefühl, jedes einzelne Haar seines Körpers zu kennen, jeden Gedanken in seinem Kopf erraten zu können, bevor er ihm selbst überhaupt bewusst wurde. Und dennoch spürte sie, dass etwas an ihm ihr fremd blieb, trotz aller Liebe und Vertrautheit nicht so recht in ihr Leben im Tross passen wollte.
»Du täuschst dich gewaltig.« Zärtlich strich sie ihm über die glattrasierte Wange. »Vater meint, die Franzmänner warten nur auf Verstärkung aus dem Hinterland. Sobald die eintrifft, schlagen sie von neuem los. Immerhin liegt Turenne kaum zwei Meilen von hier auf dem Batzenberg mit zehntausend Mann bereit. So schnell geben die Franzosen Freiburg nicht auf, noch dazu, wenn auch der Weimarer an ihrer Seite gegen uns mit von der Partie sein will.«
»Wenn dein Vater das sagt, wird es schon stimmen, meine kleine geliebte Söldnerin. Dann ist es erst recht höchste Zeit, dass wir zuvor noch unsere privaten Angelegenheiten regeln. Wer weiß, wie viel Zeit uns bleibt.« Lächelnd kniff er sie in die Wange und küsste sie erneut leidenschaftlich auf den Mund. »Tut mir leid, dass ich vergessen habe, wie sehr dir als Soldatentochter das Verständnis für die kriegerischen Ränke im Blut liegt. Ich dagegen bleibe wohl für immer der unbelehrbare Kaufmannssohn, der nie verstanden hat, was da gespielt wird. Wahrscheinlich bin ich dir ganz und gar verfallen, weil mir einzig die Liebe zu dir noch das Überleben garantiert.«
Ehe sie sich versah, hatte er ihr den Rock hochgeschoben, das Mieder geöffnet und das unterbrochene Liebesspiel wieder aufgenommen. Dabei störte ihn die Unruhe im Hof nicht im Geringsten, auch das abermalige Trompetensignal beachtete er nicht. Ganz im Bann seiner Zärtlichkeiten, vergaß auch sie bald, was um sie herum vorging. Er hatte recht: Die wenigen gemeinsamen Stunden waren zu kostbar, um nicht in vollen Zügen genossen zu werden.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Vorwitzig kitzelte ihr Strahl Magdalenas Nasenspitze. Sie öffnete die Augen und blinzelte in die gleißende Helligkeit hinein. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, wo sie sich befand. Eric lag noch immer quer über ihren Oberschenkeln. Seine Haut glitzerte schweißnass. Sie waren beide noch einmal eingeschlafen.
»Los, du Faulpelz! Es ist lichter Tag! Wenn wir uns nicht vorsehen, kommt uns doch noch jemand auf die Schliche.« Sie schob ihn weg und klaubte ihre Kleidungsstücke aus dem Heu zusammen. Behende schlüpfte sie hinein und half auch ihm, sich anzukleiden und die verräterischen Strohhalme aus Hemd und Haar zu entfernen. »Dein Meister vermisst dich bestimmt schon. Auch Meister Johann wird nicht gerade erfreut darüber sein, dass ich mich den ganzen Morgen noch nicht habe blicken lassen. Dabei habe ich ihm versprochen, beim Anrühren neuer Salben zu helfen. Wenn es zum Gefecht kommt, müssen wir auf alles vorbereitet sein.«
»Meine tapfere kleine Wundärztin! Wie brav du immerzu an deine Pflichten denkst.« Sanft versetzte er ihr einen Nasenstüber. »Ich male mir lieber nicht aus, wie fürsorglich du all die Verletzten behandelst und wie zart du ihnen die Salben auf die Wunden streichst. Nur zu gern wäre ich auch mal einer deiner Patienten. Dann müsstest du mich mit sehr viel Hingabe gesund pflegen.« Seine Finger liebkosten ihr spitzes Gesicht, fuhren die Bögen ihrer hohen Wangenknochen nach.
»Wünsch dir das lieber nicht! Oder hast du schon vergessen, wie viele uns unter der Hand wegsterben? Von all den Toten nach einer missglückten Operation ganz zu schweigen.«
»Meister Johann und dir sagt man Zauberhände nach. Es muss lange her sein, dass euch beiden ein Patient gestorben ist. Überall in Armee und Tross erzählt man sich eure Wundertaten.«
»Es ist beileibe kein Zuckerschlecken. Von ganzem Herzen wünsche ich mir, dich nie als Patienten vor mir liegen zu haben. Dich zu pflegen geht auf andere Weise sehr viel besser.« Von neuem schlang sie die Arme um ihn und küsste ihn. Widerstandslos ließ er es geschehen, dann aber unterbrach er ihre Zärtlichkeiten und sah sie mit ernster Miene an.
»Viel lieber wäre mir etwas ganz anderes.« Entschlossen umfassten seine Hände ihr spitzes Kinn. Seine blauen Augen versanken in ihren grünen. Es war ihr, als könne er bis auf den Boden ihres Innersten blicken, jedes Geheimnis tief in ihr aufspüren. »Tag und Nacht will ich mit dir zusammen sein, offen und ehrlich mein Leben mit dir verbringen. Wir müssen endlich einen Weg finden, uns nicht mehr heimlich treffen zu müssen. Ich liebe dich, und alle Welt soll das wissen!«
Ehe sie sich versah, nahm er sie hoch und wirbelte sie ungestüm über den Scheunenboden. Die Balken ächzten unter seinen tänzelnden Schritten. Schon geriet er ins Straucheln und ließ sie mitten ins Stroh fallen. Sie kreischte vor Freude auf und balgte noch ein wenig mit ihm herum. Dann aber wurde sie wieder ernst. »Lass gut sein, Eric. Wenn uns jemand hört und hier oben zusammen findet, gibt es nur Ärger.« Bei diesen Worten spürte sie wieder diesen eigenartigen Stich in der Brust, den sie stets empfand, wenn ihr bewusst wurde, wie erbittert sich ihre Familie gegen ihn stellte. »Du weißt, dass es nicht geht.«
Sie senkte den Blick und versuchte, die düsteren Erinnerungen zu verdrängen. Schon damals, als Eric sie aus Magdeburg hinausgeführt und dem Vater zurückgebracht hatte, war dessen feindliche Haltung offenbar geworden. Seither hatte der Vater alles darangesetzt, ihn aus ihrem Umfeld zu verbannen. Warum, hatte er ihr nie erklärt. Wüsste er, dass sie sich längst wieder getroffen hatten und ein Liebespaar geworden waren, geriete er außer sich vor Zorn.
»Wie vernünftig du sein kannst.« Bedauernd küsste Eric sie in den Nacken, spielte abermals mit ihrem Haar. Sein Blick glitt in weite Fernen, bis er sich auf einmal kerzengerade aufrichtete und sie voller Unternehmungslust an den Schultern packte: »Lass uns weggehen von hier, weit weg von Heer und Tross und all dem erbärmlichen Kriegsgemetzel. Irgendwohin, wo es keine Rolle spielt, dass du eine Söldnertochter und ich ein heimatloser Geselle bin. Wo uns keiner kennt und keiner etwas gegen unsere Liebe hat.«
»Weggehen?« Unwillig schüttelte sie seine Hände ab. »Wohin? Wie stellst du dir das vor? Dieses erbärmliche Kriegsgemetzel, wie du es nennst, ist alles, was ich kenne. Es ist mein Zuhause. Damit lebe ich, dafür lebe ich. Schließlich bin ich Wundärztin.«
»Als Feldscherin oder Wundärztin findest du jederzeit auch anderswo dein Auskommen. Verletzte und Kranke gibt es überall, selbst jenseits der Schlachten, und das mehr, als dir lieb sein kann.«
»Die gehen aber wohl kaum zu einer Frau, um Hilfe zu erhalten, noch weniger zu einer wie mir, die sie nicht kennen. Dir wird es als Zimmermannsgeselle nicht anders ergehen. Oder denkst du, in einer fremden Stadt oder einem unbekannten Dorf wird man uns mit offenen Armen empfangen? Niemand will uns haben. Söldnerkinder sind wir beide, verlottertes Volk, heimatloses Gesindel, marodierendes Pack. Das gilt für mich ebenso wie für dich, auch wenn du das nicht wahrhaben willst.«
»Das stimmt doch nicht. Wir haben ein ehrbares Handwerk erlernt. Außerdem gibt es noch die eine oder andere Verbindung meiner verstorbenen Eltern. Vielleicht hilft uns einer der alten Freunde weiter, irgendwo Fuß zu fassen.«
»Hat dir einer dieser angeblichen Freunde deiner Eltern in den letzten Jahren jemals geholfen? Hat dir jemand beigestanden, nachdem du bei der Magdeburger Hochzeit alles verloren hast? Komm, Eric, vergiss diese Träumerei. Im Tross liegt unsere Zukunft, hier können wir tun und lassen, was wir wollen. Wir werden gewiss einen Weg finden, dass wir unsere Liebe bald offen zeigen können.« Zärtlich legte sie ihm die Hand auf die Wange. Er hauchte einen Kuss auf ihre Finger.
»Im Tross werden wir keine gemeinsame Zukunft haben. Das weißt du genauso gut wie ich.« In seiner Stimme schwang Bitterkeit mit.
»Es ist das einzige Leben, das ich führen kann.« Sie spürte, wie die plötzlich aufsteigenden Tränen das Sprechen erschwerten. »Oder glaubst du im Ernst, du kannst mich auf Dauer in ein Haus einsperren, an den Herd ketten und mir ein Kind nach dem anderen machen, während du dich munter draußen herumtreibst?«
»Dich unglücklich zu sehen, ist das Letzte, was ich will.«
Seine Worte rührten sie. Gebannt wartete sie, ob er noch mehr sagen würde. Als er schwieg, wandte sie sich ab und ging zur Leiter.
»Warte.« Hastig kam Eric ihr hinterher. Dabei nestelte er etwas aus den Tiefen seiner Hosentaschen und ließ es dicht vor ihrer Nasenspitze baumeln. Ihr wurde heiß vor Scham, als sie erkannte, was es war: der kostbare Bernstein, den er ihr in Magdeburg geschenkt hatte. Sie musste ihn verloren haben, als sie sich im Heu gebalgt hatten - und sie hatte es nicht einmal gemerkt! Eric hielt das kostbare Stück noch ein Stückchen höher, mitten in die warmen Sonnenstrahlen, die durch die Luke im Giebel fielen.
»Du musst besser auf ihn aufpassen«, sagte er und knüpfte ihr behutsam das ledernde Band um den Hals. »Der Stein ist das Einzige, was mir von meiner Familie geblieben ist. Du bist damit alles, was ich jetzt noch habe. Ich liebe dich, Magdalena, für immer und ewig.«
Ihm versagte die Stimme. Wieder fielen sie einander in die Arme und verharrten fest ineinander verschlungen. Als sie sich endlich von ihm löste, nahm sie den honigfarbenen Stein in die Hand und betrachtete ihn versonnen. Noch immer streckte das schwarze Insekt darin seine Glieder aus, für alle Ewigkeit in der Bewegung erstarrt. Behutsam umfasste sie das kostbare Stück und presste es fest gegen die Brust. In Zukunft würde sie besser darauf achten. Eric hatte recht: Der Stein war mehr als ein Talisman. Er war das Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit, ihrer ewigen Liebe, ganz gleich, was noch kommen mochte. Ein warmer Strahl durchlief ihren Körper, ließ sie die Kraft fühlen, die ihr der Stein spendete. Vorsichtig versenkte sie ihn wieder an seinem gewohnten Platz, der warmen, tiefen Spalte zwischen ihren Brüsten. Dann hob sie den Kopf und sah Eric in die tiefgründigen Augen. »Auch ich liebe dich, Eric. Mein ganzes Leben will ich an deiner Seite verbringen. Nichts soll uns je voneinander trennen. Das schwöre ich dir!«
...
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Für einen Moment wurde es totenstill in dem schmalen Hof. Mitten im Zank hielten die beiden Mädchen inne. Der eben noch straff gespannte Stoff schlackerte schlaff in ihren Händen. Ein Ruck würde genügen, ihn der anderen zu entreißen. Keine von beiden aber wagte, sich zu rühren. Stocksteif standen sie einander gegenüber, die Augen weit aufgerissen. Angst und Anspannung spiegelten sich darin.
Im Gebälk der nahen Scheune knarrte es. Eine Latte krachte herunter. Für einen quälend langen Moment kehrte die Stille wieder zurück, bis die hölzerne Scheunenwand unter gewaltigem Getöse in sich zusammenstürzte. Haushoch wirbelten Funken auf, Ascheregen rieselte nieder. Schreckensbleich stierten die kleine Blonde und die schmächtige Rothaarige in das Flammenmeer.
Dort, wo eben noch die Scheune gestanden hatte, tanzte nur mehr dichter, stinkender Rauch. Das Holz am Boden glühte. Begierig leckte das Feuer an den Balken entlang. Abermals brauste der Wind in den Hof, wehte eine weitere Wolke Asche und Glut herein. Undurchdringlicher Qualm umnebelte die Kinder. Das Luftholen wurde zur Qual, jeder Atemzug biss schmerzhaft in die Brust. Abrupt drehte der Wind und riss das Feuer mit sich herum, um es zum nächsten Hof zu jagen. Das Prasseln der Flammen wurde leiser, und die Hitze schwand so rasch, wie sie gekommen war. Hustend und spuckend rangen die Mädchen nach Luft.
Seit dem frühen Morgengrauen wütete das Feuer in der ehedem so prächtigen Stadt an der Elbe. Satt aber war es noch lange nicht. Stunde um Stunde fraß es sich durch die Gassen, leckte mit tausend Zungen in die Höfe und Häuser hinein, um binnen Augenblicken mit abertausend hungrigen Flammen aus den Fenstern zu schlagen. Auf der Straße wälzte sich der Zug der Fliehenden vorbei. Verzweiflungsschreie hallten von den rußgeschwärzten Mauern wider. Von der sanften Maisonne war nirgendwo etwas zu ahnen.
»Gib endlich her!« Als Erste erwachte die blonde Elsbeth aus der Erstarrung. Entschlossen zerrte sie an dem Stoff, den die beiden Mädchen in Händen hielten. Durch den Ruck wurde auch die rothaarige Magdalena wieder lebendig. Erstaunt blickte sie Elsbeth an. Die Augen ihrer Cousine verengten sich zu schmalen Schlitzen, die sonst so vollen Lippen bildeten gerade Striche in dem ebenmäßigen Gesicht. Energisch hielt sie den Stoff fest. Straff wie eine Flagge spannte er sich zwischen ihnen.
»Er gehört mir!« Magdalena stemmte den rechten Fuß in den Boden, lehnte den Oberkörper zurück und legte ebenfalls alle Kraft in ihr Ziehen. Nur weil Elsbeth ein gutes Stück größer war als sie, sollte sie nicht wieder die Oberhand behalten. Sie fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen und schmeckte die salzigen Tränen, die ihr die Wangen hinunterkullerten.
»Nein, mir!« Wut funkelte in Elsbeths Augen. Die alabasterweißen Arme schimmerten im Feuerschein. Ein Heiligenschein aus gelbroten Flammen umkränzte ihren Kopf. Kein Zweifel: Der dunkle Taftrock würde sie in eine wahre Prinzessin verwandeln. Darum sollte sie den Rock auch nicht haben! Magdalena kniff ebenfalls die Augen zusammen und klammerte die kurzen Finger um den Stoff. Auch sie würde wunderschön darin sein. Schon sah sie den stolzen Blick ihres Vaters vor sich. Ihre smaragdgrünen Augen würden mit dem tannengrünen Stoff um die Wette leuchten, kühn würde sich der Taft beim Tanzen bauschen. Die Traumbilder schienen ihr mit einem Mal so wirklich, dass sie erst wieder verschwanden, als ihr der harte Stoffwulst in die Handflächen schnitt und der Schmerz sie jäh in den kahlen Hof zurückholte. Die roten Locken klebten ihr auf der Stirn, sie wegzuwischen, fehlte die Zeit. »Lass los!«
»Mir hat ihn Babette geschenkt!« Entschlossen zerrte Elsbeth ein weiteres Mal an dem Stoff.
»Du lügst! Sie ist meine Mutter! Deshalb hat sie den Rock mir gegeben!« Wütend stampfte Magdalena auf und versuchte gleichzeitig, den glatten Taft festzuhalten.
»Nein, mir!« Elsbeth genügte ein neuerlicher Ruck, um Magdalena ins Straucheln zu bringen. Ein lautes Ratschen war zu hören. Haltlos purzelten beide Mädchen nach hinten und betrachteten entsetzt die Fetzen in ihren Händen. Sofort stimmte Elsbeth ein markerschütterndes Schreien an.
Im selben Moment schoss Magdalenas Mutter Babette um die Ecke, einen großen Berg Weißzeug vor der Brust, die ansehnliche Beute vormittäglichen Mausens in der frisch eroberten Kaufmannsstadt. Ein Blick auf die jammernde Elsbeth und die stumm dasitzende Magdalena genügte. Zornig warf sie das Weißzeug zu Boden, ohne auf den Dreck zu achten, und verpasste Magdalena rechts und links zwei Maulschellen. »Dich werd ich lehren, deiner armen Cousine alles wegzunehmen! Bist du denn zu gar nichts zu gebrauchen?«
Elsbeths neuerliches Aufschreien unterbrach ihr Schimpfen. Magdalena nutzte die Gelegenheit, sich unter der halberhobenen Hand wegzurollen. Nach einem kurzen Blick auf Babette, die sich besorgt über die wimmernde Elsbeth beugte, beschloss sie wegzulaufen, hinaus auf die Gasse, hinein in das unübersichtliche Menschengewühl, weiter, immer weiter, einfach dem Strom der Fliehenden hinterher. An einer Straßenecke geriet der Zug ins Stocken, kam schließlich ganz zum Stehen. Rechts und links brannten die Häuser lichterloh. Das stete Prasseln schmerzte in den Ohren, die Hitze nahm den Atem. Ein süßlicher Geruch breitete sich aus. Verbranntes Fleisch! Magdalena stockte das Herz. Kaum wagte sie Luft zu holen. Gleichzeitig wurde die Enge um sie her unerträglich. Schulter an Schulter stauten sich die Menschen, schimpften und schrien, weil es nicht mehr weiterging. Angst packte Magdalena. Sie konnte nicht mehr länger in der Menge ausharren, sie musste weg. Wohin? Sie reckte und streckte sich, doch es nutzte nichts. Mit ihren sechs Jahren war sie einfach zu klein, um über die anderen hinwegsehen zu können. Flink duckte sie sich und versuchte, zwischen den Beinen der Großen nach vorn zu schlüpfen. Als auch das nicht gelang, beschloss sie, einen anderen Weg zu suchen. Sie zwängte sich an der Menge vorbei in ein halbwegs intakt aussehendes Gemäuer. Ächzend schwang eine Tür auf. Dahinter empfingen sie nichts als rauchende Schuttberge, Wände und Mauern waren eingestürzt. Das Feuer hatte auch hier ganze Arbeit getan. Mitten in einer einsam aus Trümmern aufragenden Wand entdeckte sie eine weitere Tür. Als sie sie öffnen wollte, hob ein ohrenbetäubender Lärm an.
»Nicht!« Jemand riss sie fort. Im selben Augenblick stürzte auf der anderen Seite der Tür ein brennender Balken herab und riss die gesamte Wand mit sich zu Boden. Verwundert fand sich Magdalena zwei Schritte neben der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, und betrachtete die hoch aufschlagenden Flammen.
»Glück gehabt.« Die Stimme kam von dicht neben ihr und gehörte einem rotblonden, kräftigen Jungen, der sie um mehr als zwei Köpfe überragte. Sie schätzte ihn auf mindestens zwölf, also gut doppelt so alt wie sie. Erleichtert lächelte er sie an. In seinen tiefblauen Augen und dem durchdringenden Blick blitzte etwas auf, was sie tief im Innersten berührte. Sofort fasste sie Zutrauen und schob ihre kleine Hand in die seine.
»Komm mit. Hier können wir nicht bleiben«, sagte er und zog sie fort. Hand in Hand kletterten sie über die glimmenden Trümmer, suchten sich zwischen den Ruinen einen Weg und erreichten bald eine Straße. Auch die war voller Menschen. Die Richtung, die sie einschlugen, schien dem Jungen zu gefallen. Zufrieden schmunzelte er, umfasste ihre Hand noch ein wenig fester und reihte sich mit ihr in den Strom der Fliehenden ein. Wenig später bereits gelangten sie zu einem Tor, das aus der Stadt hinausführte.
»Wo gehörst du hin?« Kurz vor dem Tor zog er sie in eine Mauernische. Verwundert bemerkte sie, dass seine Stimme zitterte. Sie blickte zu ihm auf, konnte aber nicht viel von seinem Gesicht erkennen. Der vorragende Mauersturz überschattete seine Augen. Die Menschen drängten so dicht vorbei, dass sie Mühe hatte, nicht mitgerissen zu werden. Alte, Junge, Männer, Frauen, Kinder rempelten sie an, Bürger und Habenichtse schoben vorbei, alle geeint in der Sorge, sich aus dem brennenden Inferno zu retten.
Jetzt erst überkam sie die Furcht. Babettes wutverzerrtes Gesicht tauchte vor ihr auf, Elsbeths siegesgewisses Lachen.
Unwillkürlich klammerte sie sich an dem fremden Jungen fest. Bei ihm könnte sie doch einfach bleiben, fortan immerzu in diesen wundervollen blauen Augen versinken! Die Seinen nahmen sie vielleicht freudig bei sich auf. Doch da schob sich das Gesicht ihres Vaters vor ihre Augen. Sie meinte zu hören, wie er zärtlich nach ihr rief. Dabei war es ihr halbwüchsiger Retter, der sie am Arm fasste und noch einmal fragte: »Wo gehörst du hin?«
»Zu den Pappenheimerschen.« Ohne nachzudenken, kamen ihr die Worte über die Lippen, die der Vater ihr eingeschärft hatte. Stolz fügte sie hinzu: »Wir kämpfen für die gerechte Sache des Kaisers!«
In den Mundwinkeln des Jungen zuckte es. Ein Beben lief durch seinen dünnen, langen Körper. Er räusperte sich, bevor er heiser erklärte: »Dann bring ich dich eben dorthin.« Wie selbstverständlich reihte er sich bei den vorbeiziehenden Söldnerweibern ein. Keine achtete auf die beiden. Hochbepackt mit Beute, eilten sie zur Elbe, um mit einem der vielen Kähne auf die östliche Flussseite überzusetzen, wo sich das Quartier der kaiserlichen Truppen befand. Jemand half ihr ungefragt in den Kahn. Sie zögerte, fürchtete, ihr junger Retter nutzte die Gelegenheit, sie im Stich zu lassen. Dann aber tauchte sein rotblonder Haarschopf neben ihr auf, und sie griff beruhigt nach seiner Hand.
Friedlich schlummerte das Heerlager im milchigen Licht der schrägstehenden Nachmittagssonne. Die zigtausend Soldaten- und Trossweiberfüße hatten längst die zart keimenden Frühlingsblumen auf den Wiesen ringsum niedergetrampelt. Den Geruch des lichterloh brennenden Magdeburg in der Nase, schien es Magdalena, als ströme ihr nun aus jedem Winkel üppiger Maiduft entgegen. Begierig sog sie ihn ein. Endlos weit erstreckte sich das Lager: Zelte reihten sich an Zelte, Wagen an Wagen, dann folgten wieder Zelte, dazwischen waghalsige Verschläge aus Decken, Ästen und dornigem Gestrüpp, bevor die Gassen abermals breiter und die Unterkünfte wieder prächtiger wurden. In jedem Winkel tummelten sich Männer, Frauen und Kinder, Soldaten und Handwerker. Dazwischen feilschten Marketender und Huren mit ihrer Kundschaft, buhlten Spielleute und Wahrsagerinnen um Aufmerksamkeit. Das Gerassel der Säbel, das Klirren der Klingen und das Knacken der Gewehre waren vertraute Musik in Magdalenas Ohren, selbst die dumpfen Befehle, mit denen ein Feldwebel seine Rotte durch die Gassen scheuchte, wurden zu beruhigendem Gesang. »Da lang!« Ihr rechter Zeigefinger schnellte nach vorn. Noch bevor der Junge sich besinnen konnte, führte sie ihn zielsicher durch das Gewirr der Zelte und Gassen, so wie er sie vorhin durch die Trümmer Magdeburgs gelotst hatte.
In weiter Ferne verklangen die letzten Schüsse und Explosionen. Auch der Trubel im Lager wurde bedächtiger. Bis zur Unterkunft der Eltern am östlichen Rand war es noch ein gutes Stück zu gehen. Überrascht bemerkte Magdalena, wie die Schritte ihres Retters zögerlicher wurden, und seine Hand fühlte sich feucht an. Sie beschloss, ihn abzulenken. Munter plapperte sie davon, wie Babette, Elsbeth und sie gleich bei Tagesanbruch zum Mausen in die Stadt aufgebrochen waren. Nach der Aufzählung all der vielen Stoffe, Kleider, Töpfe und Tücher, die sie aus den Häusern geholt hatten, ging sie dazu über, zu erklären, dass Elsbeth die Tochter der Schwester ihrer Mutter war, die im letzten Winterlager gestorben war. Auch dass sie mit der schönen Cousine um den tannengrünen Taftrock gestritten hatte, verschwieg sie nicht. Erst als sie zu der Stelle kam, wie er sie vor dem brennenden Balken gerettet hatte, hielt sie erschöpft inne und warf ihm einen ängstlichen Blick zu. Beharrlich starrte er nach vorn. Ein bitterer Zug umspielte seine Mundwinkel, und auf der Wange glitzerte eine Träne. Hastig wischte er sie fort. Es sah nicht so aus, als wolle er noch mehr von ihren Geschichten hören. Also schwieg sie.
Lange liefen sie nebeneinander her. Magdalena wurde müde und stolperte bald mehr, als dass sie ging. Doch der Junge verlangsamte seinen Schritt nicht. Glutrot leuchtete die Sonne schließlich in ihren Rücken auf, entzündete am Abendhimmel dasselbe Feuer wie am Tag die hungrigen Flammen in der Stadt. Um die Erinnerung zu verscheuchen, richtete Magdalena die Augen stur nach vorn, Richtung Osten, wo irgendwo das Zelt der Eltern sein musste. Endlich tauchte ein gutes Stück entfernt von den übrigen Leiterwagen die vertraute Silhouette eines einzelnen Fuhrwerks mit einem angrenzenden Zelt auf.
»Meister Johann!« Magdalenas Stimme überschlug sich vor Freude. »Der Wagen da vorn gehört Meister Johann, unserem Feldscher. Endlich sind wir da!«
»Bist du sicher?« Ihr Retter gab sich keine Mühe, die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen.
Heftig nickte sie und fragte, als er stehen geblieben war: »Du hast wohl keinen mehr, zu dem du gehen kannst? Komm doch mit! Meister Johann wird wissen, wo du hinkannst, wenn du sonst niemanden mehr weißt.«
»Meinst du?« Schüchtern sah er sie an.
»Ganz bestimmt.«
Ein Zug der Erleichterung huschte ihm über das Gesicht. Zwei helle Falten gruben sich oberhalb der Nasenwurzel ein.
Tastend suchte er mit den Fingern unter seinem Hemdkragen und zog behutsam etwas darunter hervor: eine Lederschnur mit einem honiggelben Stein. Im letzten Licht der untergehenden Sonne glich er erstarrtem Feuer. Etwas Schwarzes schien darin gefangen.
»Hier, für dich. Der passt auf dich auf, damit dir nichts Böses geschieht. Mit seiner Hilfe findest du künftig auch allein zu deinen Leuten zurück.«
»Auch ohne dich?«
»Auch ohne mich.« Eine Spur zu hastig beugte er sich herunter und band ihr die Schnur um den Hals. Dabei hörte sie ihn leise aufschluchzen.
»Danke«, sagte sie und steckte den Stein unter ihr Hemd. Niemand sollte den Schatz entdecken, vor allem nicht Elsbeth, ihre habgierige Cousine.
»Wie heißt du eigentlich?« Noch einmal suchte sie den Blick seiner tiefgründigen blauen Augen, spürte den Strudel darin, der sie mit sich fortreißen wollte.
»Eric.«
»Danke, Eric, für den Stein. Auch dich werde ich jetzt immer wiederfinden können, ganz gleich, wo du steckst.«
Verschwörerisch zwinkerte sie ihm zu. Dann wandte sie sich um und führte ihn zu Meister Johanns Wagen. Kaum waren sie auf wenige Schritte heran, kam ihr Vater unter der Plane des angrenzenden Zeltes hervor.
»Vater!« Magdalena flog ihm in die Arme. Freudig drückte er das Mädchen an sich und vergrub das Gesicht in ihren roten Locken. Schließlich drehte er sich zu ihrem jungen Retter um. Sobald er seines Gesichts gewahr wurde, setzte er sie ab und trat zwei Schritte zurück. Dabei erblasste er, das Lächeln in seinen Augen erstarb. »Nein!« war alles, was er herausbrachte.
Bestürzt verfolgte Magdalena den plötzlichen Sinneswandel. »Das ist Eric. Er hat mich aus dem Feuer in Magdeburg gerettet und zurückgebracht.«
Zur Bestätigung wollte sie den Stein unter ihrem Hemd hervorziehen und dem Vater zeigen. Der aber schüttelte den Kopf. Wortlos wandte er sich ab und zog sie ohne weitere Erklärung mit sich fort.
ERSTER TEIL
Belagerung
FREIBURG IM BREISGAU
Juli bis August 1644
1
Viel zu schnell war die Nacht vorüber, viel zu früh graute der Tag. Eine Taube begann ihr aufdringliches Gurren, eine Amsel stimmte tiefkehlig in den morgendlichen Gruß ein. Magdalena schmiegte den schmalen Körper an Erics nackte Brust. Verträumt fuhren ihre Fingerspitzen die Adern seiner muskulösen Oberarme nach. Winzige Schweißtropfen perlten auf der sonnengebräunten Haut. Zärtlich saugte sie die mit den Lippen auf und sog seinen Geruch ein. »Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.« Sacht presste er sie auf den Rücken, ließ den Blick über ihren bloßen Leib gleiten und hauchte einen sanften Kuss mitten darauf. Ihr Atem ging schneller. Ein leichtes Zittern durchlief sie. Schaudernd vor Wonne, stellten sich ihr die Nackenhaare auf.
»Wie gut, dass wir uns wiedergefunden haben«, flüsterte sie und schnappte spielerisch mit den Zähnen nach seinem Ohrläppchen. »Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie ich je ohne dich und deine Liebe sein konnte. Das will ich nie mehr erleben.«
»Ich hoffe nicht, dass du das jemals musst.« Mit einem leidenschaftlichen Kuss verschloss er ihre Lippen und begann abermals, ihren alabasterweißen Körper mit Liebkosungen zu verwöhnen. Eine neue Woge der Lust durchflutete sie, bis ein lauter Trompetenstoß sie auffahren ließ.
Erschrocken sahen sie einander an. Abermals ertönte die Fanfare. Unruhe machte sich unterhalb ihres Liebesnestes breit. Es befand sich auf dem Heuboden einer Scheune in der Freiburger Gerberau. Dort hatten die Zimmerleute der Kaiserlichen, zu denen Eric seit einigen Jahren gehörte, Quartier bezogen.
»Ob es tatsächlich losgeht?« Magdalena spähte durch die Giebelluke auf den Hof hinunter. Im diffusen Graublau der Dämmerung liefen ein gutes Dutzend Zimmerleute zusammen. Schwere Schritte knallten auf dem Steinboden, Holzdielen knarrten, Rufe wurden laut. Manche der Männer knöpften sich noch im Laufen die Hosen zu und gähnten herzhaft, andere wirkten bereits hellwach und für alles gerüstet. Übermütig schwenkten sie die breitkrempigen Hüte, schulterten die Äxte und schoben sich Zangen und Hämmer in die Gürtel. Sie hatten es eilig, zum Schanzenbau vor den Toren der Stadt auszurücken.
»Da übt gewiss einer, damit er das Trompeten nicht verlernt.« Eric pustete eine rotblonde Haarsträhne aus dem Gesicht und machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu erheben und den Kameraden zu folgen. Stattdessen begann er, die Strohhalme aus Magdalenas roten Locken zu zupfen. Es war bereits die zweite Nacht, die sie gemeinsam auf dem Heuboden verbrachten. Noch immer bekam er nicht genug von ihr, wie seine gierigen Küsse bewiesen. »Vergiss doch endlich die Franzosen! Auch wenn sie letztens ehrenvoll mit Pauken und Trompeten aus Freiburg abgezogen sind, sind sie vorerst geschlagen. Unser tapferer Mercy jagt ihnen viel zu viel Angst ein. Solange er mit seinen Truppen hier ist, trauen die sich nicht wieder zurück. Der Bau von neuen Schanzen hat also noch viel Zeit. Unterdessen sollten wir uns lieber Wichtigerem widmen.« Damit wollte er sie von neuem sanft, aber entschieden ins Heu ziehen.
»Du redest, als wärst du immer schon einer von uns gewesen.« Magdalena widersetzte sich erfolgreich seinem Begehren und betrachtete nachdenklich den Geliebten. Das sanfte Licht der Morgendämmerung hob die Konturen seines wohlgestalteten Körpers hervor. Selbst im Sitzen war Eric sehr groß. Die meisten Männer des Regiments überragte er um einige Handbreit. Sein muskulöser, sonnengebräunter Oberkörper zeugte von der harten Arbeit, die er als Zimmermanns-geselle zu verrichten hatte. Die feingliedrigen Hände mit den langen, grazilen Fingern verrieten, dass er eigentlich nicht zu dieser Arbeit geboren worden war. Auch das Profil seines Gesichts wies edle Züge auf. Hell flimmerte der Bartflaum auf Kinn und Wangen. Wenn er lächelte, so wie im Moment, gruben sich auf beiden Seiten des Mundes zarte Grübchen ein. Ebenmäßig blitzten die weißen Zähne zwischen den Lippen hervor. Schweren Herzens unterdrückte Magdalena den Wunsch, ihn abermals zu umarmen. Ihre kleinen, apfelgleichen Brüste dürsteten nach der Berührung mit seiner warmen Haut, vorwitzig reckten sich die Brustwarzen hervor. Gewiss aber war es besser, sie ließen es für dieses Mal bewenden. Die Aufbruchsstimmung unten im Hof wurde dringlicher. Bedauernd sprang sie auf, schlüpfte in das leinene Mieder, knöpfte es zu und streifte sich den Rock über. Abschließend fuhr sie mit den schlanken Fingern durch das gelockte, offen fallende Haar. Dabei verharrte der Blick ihrer smaragdgrünen Augen weiterhin auf Eric. Sie liebte ihn, wie sie noch nie einen Menschen geliebt hatte. Seit ihrer ersten Begegnung, nachdem er seine Familie bei der Magdeburger Hochzeit verloren und sie aus den Trümmern der brennenden Stadt gerettet hatte, zog er im kurfürstlich bayerischen Heerestross mit. Jahrelang hatten sie sich aus den Augen verloren, bis sie sich erst in diesem Frühjahr wiedergefunden und rettungslos ineinander verliebt hatten. Seither teilten sie jede freie Minute miteinander. Keiner konnte ahnen, wie viel Zeit ihnen vergönnt war. Umso wichtiger war es, dass sie jeden Augenblick miteinander auskosteten. Längst hatte sie das Gefühl, jedes einzelne Haar seines Körpers zu kennen, jeden Gedanken in seinem Kopf erraten zu können, bevor er ihm selbst überhaupt bewusst wurde. Und dennoch spürte sie, dass etwas an ihm ihr fremd blieb, trotz aller Liebe und Vertrautheit nicht so recht in ihr Leben im Tross passen wollte.
»Du täuschst dich gewaltig.« Zärtlich strich sie ihm über die glattrasierte Wange. »Vater meint, die Franzmänner warten nur auf Verstärkung aus dem Hinterland. Sobald die eintrifft, schlagen sie von neuem los. Immerhin liegt Turenne kaum zwei Meilen von hier auf dem Batzenberg mit zehntausend Mann bereit. So schnell geben die Franzosen Freiburg nicht auf, noch dazu, wenn auch der Weimarer an ihrer Seite gegen uns mit von der Partie sein will.«
»Wenn dein Vater das sagt, wird es schon stimmen, meine kleine geliebte Söldnerin. Dann ist es erst recht höchste Zeit, dass wir zuvor noch unsere privaten Angelegenheiten regeln. Wer weiß, wie viel Zeit uns bleibt.« Lächelnd kniff er sie in die Wange und küsste sie erneut leidenschaftlich auf den Mund. »Tut mir leid, dass ich vergessen habe, wie sehr dir als Soldatentochter das Verständnis für die kriegerischen Ränke im Blut liegt. Ich dagegen bleibe wohl für immer der unbelehrbare Kaufmannssohn, der nie verstanden hat, was da gespielt wird. Wahrscheinlich bin ich dir ganz und gar verfallen, weil mir einzig die Liebe zu dir noch das Überleben garantiert.«
Ehe sie sich versah, hatte er ihr den Rock hochgeschoben, das Mieder geöffnet und das unterbrochene Liebesspiel wieder aufgenommen. Dabei störte ihn die Unruhe im Hof nicht im Geringsten, auch das abermalige Trompetensignal beachtete er nicht. Ganz im Bann seiner Zärtlichkeiten, vergaß auch sie bald, was um sie herum vorging. Er hatte recht: Die wenigen gemeinsamen Stunden waren zu kostbar, um nicht in vollen Zügen genossen zu werden.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Vorwitzig kitzelte ihr Strahl Magdalenas Nasenspitze. Sie öffnete die Augen und blinzelte in die gleißende Helligkeit hinein. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, wo sie sich befand. Eric lag noch immer quer über ihren Oberschenkeln. Seine Haut glitzerte schweißnass. Sie waren beide noch einmal eingeschlafen.
»Los, du Faulpelz! Es ist lichter Tag! Wenn wir uns nicht vorsehen, kommt uns doch noch jemand auf die Schliche.« Sie schob ihn weg und klaubte ihre Kleidungsstücke aus dem Heu zusammen. Behende schlüpfte sie hinein und half auch ihm, sich anzukleiden und die verräterischen Strohhalme aus Hemd und Haar zu entfernen. »Dein Meister vermisst dich bestimmt schon. Auch Meister Johann wird nicht gerade erfreut darüber sein, dass ich mich den ganzen Morgen noch nicht habe blicken lassen. Dabei habe ich ihm versprochen, beim Anrühren neuer Salben zu helfen. Wenn es zum Gefecht kommt, müssen wir auf alles vorbereitet sein.«
»Meine tapfere kleine Wundärztin! Wie brav du immerzu an deine Pflichten denkst.« Sanft versetzte er ihr einen Nasenstüber. »Ich male mir lieber nicht aus, wie fürsorglich du all die Verletzten behandelst und wie zart du ihnen die Salben auf die Wunden streichst. Nur zu gern wäre ich auch mal einer deiner Patienten. Dann müsstest du mich mit sehr viel Hingabe gesund pflegen.« Seine Finger liebkosten ihr spitzes Gesicht, fuhren die Bögen ihrer hohen Wangenknochen nach.
»Wünsch dir das lieber nicht! Oder hast du schon vergessen, wie viele uns unter der Hand wegsterben? Von all den Toten nach einer missglückten Operation ganz zu schweigen.«
»Meister Johann und dir sagt man Zauberhände nach. Es muss lange her sein, dass euch beiden ein Patient gestorben ist. Überall in Armee und Tross erzählt man sich eure Wundertaten.«
»Es ist beileibe kein Zuckerschlecken. Von ganzem Herzen wünsche ich mir, dich nie als Patienten vor mir liegen zu haben. Dich zu pflegen geht auf andere Weise sehr viel besser.« Von neuem schlang sie die Arme um ihn und küsste ihn. Widerstandslos ließ er es geschehen, dann aber unterbrach er ihre Zärtlichkeiten und sah sie mit ernster Miene an.
»Viel lieber wäre mir etwas ganz anderes.« Entschlossen umfassten seine Hände ihr spitzes Kinn. Seine blauen Augen versanken in ihren grünen. Es war ihr, als könne er bis auf den Boden ihres Innersten blicken, jedes Geheimnis tief in ihr aufspüren. »Tag und Nacht will ich mit dir zusammen sein, offen und ehrlich mein Leben mit dir verbringen. Wir müssen endlich einen Weg finden, uns nicht mehr heimlich treffen zu müssen. Ich liebe dich, und alle Welt soll das wissen!«
Ehe sie sich versah, nahm er sie hoch und wirbelte sie ungestüm über den Scheunenboden. Die Balken ächzten unter seinen tänzelnden Schritten. Schon geriet er ins Straucheln und ließ sie mitten ins Stroh fallen. Sie kreischte vor Freude auf und balgte noch ein wenig mit ihm herum. Dann aber wurde sie wieder ernst. »Lass gut sein, Eric. Wenn uns jemand hört und hier oben zusammen findet, gibt es nur Ärger.« Bei diesen Worten spürte sie wieder diesen eigenartigen Stich in der Brust, den sie stets empfand, wenn ihr bewusst wurde, wie erbittert sich ihre Familie gegen ihn stellte. »Du weißt, dass es nicht geht.«
Sie senkte den Blick und versuchte, die düsteren Erinnerungen zu verdrängen. Schon damals, als Eric sie aus Magdeburg hinausgeführt und dem Vater zurückgebracht hatte, war dessen feindliche Haltung offenbar geworden. Seither hatte der Vater alles darangesetzt, ihn aus ihrem Umfeld zu verbannen. Warum, hatte er ihr nie erklärt. Wüsste er, dass sie sich längst wieder getroffen hatten und ein Liebespaar geworden waren, geriete er außer sich vor Zorn.
»Wie vernünftig du sein kannst.« Bedauernd küsste Eric sie in den Nacken, spielte abermals mit ihrem Haar. Sein Blick glitt in weite Fernen, bis er sich auf einmal kerzengerade aufrichtete und sie voller Unternehmungslust an den Schultern packte: »Lass uns weggehen von hier, weit weg von Heer und Tross und all dem erbärmlichen Kriegsgemetzel. Irgendwohin, wo es keine Rolle spielt, dass du eine Söldnertochter und ich ein heimatloser Geselle bin. Wo uns keiner kennt und keiner etwas gegen unsere Liebe hat.«
»Weggehen?« Unwillig schüttelte sie seine Hände ab. »Wohin? Wie stellst du dir das vor? Dieses erbärmliche Kriegsgemetzel, wie du es nennst, ist alles, was ich kenne. Es ist mein Zuhause. Damit lebe ich, dafür lebe ich. Schließlich bin ich Wundärztin.«
»Als Feldscherin oder Wundärztin findest du jederzeit auch anderswo dein Auskommen. Verletzte und Kranke gibt es überall, selbst jenseits der Schlachten, und das mehr, als dir lieb sein kann.«
»Die gehen aber wohl kaum zu einer Frau, um Hilfe zu erhalten, noch weniger zu einer wie mir, die sie nicht kennen. Dir wird es als Zimmermannsgeselle nicht anders ergehen. Oder denkst du, in einer fremden Stadt oder einem unbekannten Dorf wird man uns mit offenen Armen empfangen? Niemand will uns haben. Söldnerkinder sind wir beide, verlottertes Volk, heimatloses Gesindel, marodierendes Pack. Das gilt für mich ebenso wie für dich, auch wenn du das nicht wahrhaben willst.«
»Das stimmt doch nicht. Wir haben ein ehrbares Handwerk erlernt. Außerdem gibt es noch die eine oder andere Verbindung meiner verstorbenen Eltern. Vielleicht hilft uns einer der alten Freunde weiter, irgendwo Fuß zu fassen.«
»Hat dir einer dieser angeblichen Freunde deiner Eltern in den letzten Jahren jemals geholfen? Hat dir jemand beigestanden, nachdem du bei der Magdeburger Hochzeit alles verloren hast? Komm, Eric, vergiss diese Träumerei. Im Tross liegt unsere Zukunft, hier können wir tun und lassen, was wir wollen. Wir werden gewiss einen Weg finden, dass wir unsere Liebe bald offen zeigen können.« Zärtlich legte sie ihm die Hand auf die Wange. Er hauchte einen Kuss auf ihre Finger.
»Im Tross werden wir keine gemeinsame Zukunft haben. Das weißt du genauso gut wie ich.« In seiner Stimme schwang Bitterkeit mit.
»Es ist das einzige Leben, das ich führen kann.« Sie spürte, wie die plötzlich aufsteigenden Tränen das Sprechen erschwerten. »Oder glaubst du im Ernst, du kannst mich auf Dauer in ein Haus einsperren, an den Herd ketten und mir ein Kind nach dem anderen machen, während du dich munter draußen herumtreibst?«
»Dich unglücklich zu sehen, ist das Letzte, was ich will.«
Seine Worte rührten sie. Gebannt wartete sie, ob er noch mehr sagen würde. Als er schwieg, wandte sie sich ab und ging zur Leiter.
»Warte.« Hastig kam Eric ihr hinterher. Dabei nestelte er etwas aus den Tiefen seiner Hosentaschen und ließ es dicht vor ihrer Nasenspitze baumeln. Ihr wurde heiß vor Scham, als sie erkannte, was es war: der kostbare Bernstein, den er ihr in Magdeburg geschenkt hatte. Sie musste ihn verloren haben, als sie sich im Heu gebalgt hatten - und sie hatte es nicht einmal gemerkt! Eric hielt das kostbare Stück noch ein Stückchen höher, mitten in die warmen Sonnenstrahlen, die durch die Luke im Giebel fielen.
»Du musst besser auf ihn aufpassen«, sagte er und knüpfte ihr behutsam das ledernde Band um den Hals. »Der Stein ist das Einzige, was mir von meiner Familie geblieben ist. Du bist damit alles, was ich jetzt noch habe. Ich liebe dich, Magdalena, für immer und ewig.«
Ihm versagte die Stimme. Wieder fielen sie einander in die Arme und verharrten fest ineinander verschlungen. Als sie sich endlich von ihm löste, nahm sie den honigfarbenen Stein in die Hand und betrachtete ihn versonnen. Noch immer streckte das schwarze Insekt darin seine Glieder aus, für alle Ewigkeit in der Bewegung erstarrt. Behutsam umfasste sie das kostbare Stück und presste es fest gegen die Brust. In Zukunft würde sie besser darauf achten. Eric hatte recht: Der Stein war mehr als ein Talisman. Er war das Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit, ihrer ewigen Liebe, ganz gleich, was noch kommen mochte. Ein warmer Strahl durchlief ihren Körper, ließ sie die Kraft fühlen, die ihr der Stein spendete. Vorsichtig versenkte sie ihn wieder an seinem gewohnten Platz, der warmen, tiefen Spalte zwischen ihren Brüsten. Dann hob sie den Kopf und sah Eric in die tiefgründigen Augen. »Auch ich liebe dich, Eric. Mein ganzes Leben will ich an deiner Seite verbringen. Nichts soll uns je voneinander trennen. Das schwöre ich dir!«
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Autoren-Porträt von Heidi Rehn
Heidi Rehn wurde 1966 in Koblenz geboren und wuchs in einer Kleinstadt am Mittelrhein auf. Zum Studium der Germanistik, Geschichte, BWL und Kommunikationswissenschaften kam sie nach München. Nach dem Magisterexamen arbeitete sie zunächst als Dozentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, anschließend war sie PR-Beraterin in einer Agentur. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin. Zusammen mit ihrer Familie lebt sie mitten in München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Heidi Rehn
- 2048 Seiten, Maße: 14,7 x 22 cm, Geb. im Schuber
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863651243
- ISBN-13: 9783863651244
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