Die Zigarette
Leben mit einer verführerischen Geliebten
Humphrey Bogart, Lauren Bacall und Marlene Dietrich ohneZigarette? Unmöglich. Sie ist und bleibt ein Kultgegenstand. Manch einen begleitet sie durch sein ganzes Leben, und noch mehr vielleicht versuchen, von ihr loszukommen. An ihrer Gefährlichkeit...
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Produktinformationen zu „Die Zigarette “
Klappentext zu „Die Zigarette “
Humphrey Bogart, Lauren Bacall und Marlene Dietrich ohneZigarette? Unmöglich. Sie ist und bleibt ein Kultgegenstand. Manch einen begleitet sie durch sein ganzes Leben, und noch mehr vielleicht versuchen, von ihr loszukommen. An ihrer Gefährlichkeit entflammen sich die Gemüter, doch ihr Verbot erhöht ihre Anziehungskraft. So erging es auch Cristina Peri Rossi, die in ihrer Hommage an die »verführerische Geliebte« über Mythen und Fakten schreibt, über berühmte und unbekannte Raucher und über all das, was man mit einer Zigarette auszudrücken vermag.
Humphrey Bogart, Lauren Bacall und Marlene Dietrich ohne Zigarette? Unmöglich. Sie ist und bleibt ein Kultgegenstand. Manch einen begleitet sie durch sein ganzes Leben, und noch mehr vielleicht versuchen, von ihr loszukommen. An ihrer Gefährlichkeit entflammen sich die Gemüter, doch ihr Verbot erhöht ihre Anziehungskraft. So erging es auch Cristina Peri Rossi, die in ihrer Hommage an die "verführerische Geliebte" über Mythen und Fakten schreibt, über berühmte und unbekannte Raucher und über all das, was man mit einer Zigarette auszudrücken vermag.
Lese-Probe zu „Die Zigarette “
Grand Palace CaféEs war 1951, als ich zum ersten Mal eine Frau rauchen sah. Ich weiß nicht, was für entscheidende Dinge sich in diesem Jahr in der Welt sonst noch zutrugen, aber für dieses zehnjährige Mädchen, das in Montevideo geboren wurde, einer europäischen Stadt, die durch eine unerklärliche geographische Verschiebung in Südamerika lag, war das eine unvergeßliche Erfahrung, etwas, an das man sein Leben lang zurückdenkt.
Es war ein strahlender früher Herbstabend, und ich wartete mit meiner Mutter an einer Straßenecke im Zentrum, 18 de Julio und Ejido, auf den Bus. Schräg gegenüber erhob sich, wie in den faszinierenden Bildern von Richard Estes, dem amerikanischen Hyperrealisten, der obsessiv die 42. Straße von New York malt, eine riesige Café-Bar mit Glaswänden: das "Grand Palace". Als ich zwanzig Jahre später in die Stadt der Wolkenkratzer reiste, begriff ich, wie sehr das "Grand Palace" einigen Bars und Cafés von Manhattan nachempfunden war; genau wie Montevideo ist auch New York eine zutiefst europäische Stadt. Und dort hinter den Glaswänden saß an einem Marmortisch eine mit einer Hose bekleidete Frau von etwa dreißig Jahren, die Kaffee trank und rauchte. Die übrigen Gäste des "Grand Palace" waren Männer: Angestellte aus Büros oder Geschäften in blauen oder grauen Anzügen, Rechtsanwälte mit schwarzen Aktentaschen, Gedichte lesende Literaturprofessoren und die einsamen Wölfe der Nacht, die Männer, die bei Sonnenuntergang Bier oder Whisky trinken und erwartungsvoll auf die Drehtür starren, ob das Glück ihnen vielleicht das erträumte Abenteuer schickt, was natürlich nie passierte, denn 1951 gingen die anständigen Frauen nicht allein in Cafés, sie rauchten nicht, und sie trugen auch keine Hosen, wenn sie einen Anschein von Ehrbarkeit aufrechterhalten wollten. Die Männer rauchten, bei ihnen war das normal, die Frauen hingegen rauchten nicht. Die Männer trugen Jackett und Hose, die Frauen einen Rock oder ein Kleid. Die Männer hatten kurze, die Frauen lange
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Haare.
Ich sah die Frau da allein sitzen und rauchen. Es war das erste Mal, daß ich eine Frau rauchen sah, das schwöre ich, und ich sagte zu mir: "Ich werde diese Frau sein, die allein an einem Tisch sitzt und raucht, während sie die hereinbrechende Dunkelheit betrachtet, den Verkehr auf der Straße, und von anderen Landschaften träumt, von künftigen leidenschaftlichen Begegnungen." Niemand soll sich darüber wundern, daß ich so fest entschlossen war: Die Offenbarungen der Kindheit haben einen großen Einfluß auf die Zukunft, denn es sind sehr starke Wünsche. (Bei Freud steht: "Glück ist immer die Erfüllung eines kindlichen Wunsches.")
Ich wußte damals nicht, daß, während ich mir sagte "Ich werde diese Frau sein, die allein an einem Tisch sitzt und raucht", ein uruguayischer Schriftsteller, der den größten Teil seines Lebens in Buenos Aires verbracht hat (Stadt des Tango, der Kneipen und der Zigaretten), in einem kurzen existentialistischen Roman geschrieben hatte: "Ich bin ein einsamer Mann, der an einem beliebigen Ort der Stadt raucht" - der 1939 erschienene Roman hieß "Der Schacht", und der Schriftsteller war Juan Carlos Onetti. Die Zigarette war die nie fehlende, nicht wegzudenkende Begleiterin des unabhängigen, einsamen Mannes, der sein Leben im Griff hat oder, um es in Freudschen Termini zu sagen: Die Zigarette war die narzißtische Verlängerung des Mannes, wie andere männliche Symbole: das Auto, das Motorrad, die Obelisken, das Flugzeug, die Bomben, die Krawatte, der Revolver oder die Pistole.
Ich zeigte meiner Mutter die Szene: die Frau, die allein an dem Marmortisch des "Grand Palace" saß und rauchte, und sagte: "Ich will wie sie sein." Was symbolisierte sie für mich? Sicherlich die traditionell männlichen Attribute, die ich gerade aufgezählt habe: Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstgenügsamkeit, Abenteuer, Freude am Alleinsein und Autonomie. Das war etwas, was die Frauen damals nicht hatten, denn sie gingen nicht allein in Bars, trugen keine Hosen, rauchten nicht, und sie waren auch nicht frei und unabhängig, zumindest die Frauen, die ich kannte (die aus meiner Familie und meiner gesellschaftlichen Schicht). Nicht einmal, wenn sie arbeiteten, und in Uruguay hatten sie schon Anfang des 20. Jahrhunderts dank einer fürsorglichen Politik Zutritt zur Arbeitswelt und den Universitäten; es war eine Art Sozialismus liberaler Prägung, der eine Reihe von diskriminierenden Gesetzen zugunsten der Frau schuf (so konnte beispielsweise eine Frau, die ein Kind bekommen hatte, schon nach nur einem Jahr Arbeit in den Ruhestand gehen).
Meine Mutter erklärte mir, rauchen sei ein Laster, den Männern vorbehalten, aber das war mir mehr als bekannt: In meiner Familie rauchten nur die Männer, angefangen von meinem Vater, der ein Päckchen Unión täglich inhalierte, eine blonde Zigarette aus nationaler Herstellung. Ich dachte lange über diese Antwort nach. Die Laster waren ausschließlich den Männer vorbehalten: Die Männer tranken und betranken sich, sie rauchten, benutzten Schimpfworte, spielten (in Montevideo waren Pferderennen sehr populär, und man konnte an jeder Straßenecke wetten), sie reisten allein und besuchten Bordelle; sie hatten Geliebte und einige, die kühnsten, sahen sich erotische Filme in dem als X klassifizierten Saal an, dem kleinen, versteckten Kino mit Namen "Hindu", das man in blühender Phantasie über die vermeintliche Wollust des Orients so genannt hatte. In Uruguay gab es nie eine Filmzensur, es steht in dem Ruf, eines der Länder mit der größten Leidenschaft für die siebte Kunst zu sein. In dem damals berühmten Festival von Punta del Este erntete ein in Europa noch unbekannter Filmemacher seine ersten Erfolge bei Kritik und Publikum: Ingmar Bergman. Und die Bewohner von Buenos Aires (wo es sehr wohl eine Filmzensur gab), die Porteños, pflegten die Pfütze - ein Euphemismus für den Río de la Plata - zu überqueren, um sich die in ihrem Land verbotenen Filme anzusehen. Unter anderem die von Armando Bo geschriebene und gedrehte Porno-Kitsch-Serie, die eine naive und üppige Isabelita Sarli zu einem wesentlich freizügigeren Sex-Symbol machte als Marilyn Monroe. (Zu kulturellen Ikonen für die Liebhaber des Kitschfilms geworden, wurde einer dieser Filme des Duos Armando Bo-Isabelita Sarli - im wirklichen Leben Mann und Frau - erst viel später, 1990, in Spanien in dubiosen Spezialkinos gezeigt, aber außerhalb ihrer Zeit und ihres Kontextes weckten sie nur das Interesse einiger wahrhaft leidenschaftlicher Filmfans.)
Und so war, wie fast alle interessanten Dinge des Lebens (auf Bäume klettern, Fußball spielen, lesen, schreiben, Symphonieorchester dirigieren, Flugzeuge fliegen, Auto fahren, endlose Truco-Partien spielen - Truco war das populärste Kartenspiel am Río de la Plata -, Bier oder Whisky trinken, Präsident der Republik werden oder einen Sitz in der Abgeordnetenkammer oder im Senat bekommen, Marine-Admiral oder Schiffskapitän werden), auch das Rauchen eine ausschließlich männliche Aktivität, beziehungsweise ein männliches Laster. Ich fragte mich, ob es auch weibliche Laster gab, natürlich nicht laut, ich hatte mit zehn schon gelernt, daß Erziehung darin bestand, die Erwachsenen nie nach den Dingen zu fragen, die wir wissen wollten, denn das waren meistens Geheimnisse und Tabus. Wahre Erziehung bestand darin, Impulse und spontane Wünsche zu unterdrücken. Ich ging im Geiste das Leben meiner Mutter durch - sie war Lehrerin und brachte den Kindern meines Alters Lesen und Schreiben bei und keine unpassenden Fragen zu stellen, zum Glück waren die Schulen in Uruguay gemischt - und das meiner Tanten, meiner anderen weiblichen Verwandten, meiner Nachbarinnen, und ich kam zu dem Schluß, daß es keine weiblichen Laster gab, außer, man hält die Neigung, vorzugsweise selbsthergestellte Süßigkeiten und Kuchen zu verzehren, für ein Laster. Oder das begeisterte Betrachten der feinen, zarten Federzeichnungen des Katalogs von London-Paris, eines luxuriösen Schaufensters im Stile von "Harrod's" oder "Bloomingdale's", wo man alles mögliche kaufen konnte, angefangen von einer Nähnadel aus deutschem Stahl bis zu einer Matratze aus original uruguayischer Wolle, die allerdings, dank jener leidigen Handelsverträge, die immer das Imperium gegenüber der Kolonie begünstigen, von englischen Arbeitern hergestellt worden war.
Die Laster schienen also sämtlich zur männlichen Welt zu gehören. Sie waren unzugänglich, aber dadurch besaßen sie den geheimen Charme des Verbotenen. (Damals kannte ich ein Gesetz der Psychologie noch nicht: Das Verbot verstärkt das Verlangen. Ich konnte es nicht kennen, denn das Bewußtsein kommt nach der Existenz - wie Jean-Paul Sartre sagt -, aber ich merkte es am eigenen Leib. Oder am fremden Rauch: dem Rauch der Zigaretten meines Vaters oder der Frau, die allein an dem Tisch im "Grand Palace" rauchte.) Das weibliche Wesen schien durch Verbote definiert zu sein: Frauen rauchten nicht, sie gingen nicht alleine aus, sie sprachen nicht mit Unbekannten, sie spielten nicht Roulette oder Blackjack in den Kasinos, sie tranken nicht, sie sahen sich keine erotischen Filme an, sie reisten nicht, außer in Begleitung ihrer Ehemänner, sie fuhren nicht Motorrad, sie wurden nicht Soldat, sie hatten keine wichtigen Regierungsposten, sie spielten nicht Fußball, sie veröffentlichten keine Bücher (von einigen Ausnahmen abgesehen), und wenn sie es taten, brachten sie sich um. In der Bibliothek meines Onkels - Frauen hatten keine eigene Bibliothek -, die ich begierig verschlang, fand ich nur drei Bücher von Frauen in einer Sammlung von siebenhundert Stück: Gedichte von Sappho, Ein Zimmer für sich allein von Virginia Woolf, und die Gedichte von Alfonsina Storni. Alle drei hatten sich den biographischen Angaben in den Klappentexten zufolge umgebracht. Was meinen Onkel, als er davon erfuhr, daß ich Schriftstellerin werden wollte, zu dem Ausruf veranlaßte: "Frauen schreiben nicht, und wenn sie es tun, bringen sie sich um." Ich hielt das für eine übertriebene Schlußfolgerung meines frauenfeindlichen Onkels, aber bedauerlicherweise zeigen die Statistiken, daß der Anteil an Selbstmorden bei Schriftstellerinnen wesentlich höher liegt als bei Schriftstellern.
Seit jenem strahlenden Abend gegenüber vom "Grand Palace" hatte ich mir insgeheim fest vorgenommen zu rauchen. Damals wußte ich noch nicht, daß ich eines Tages - aufgrund historischer, sozialer und kultureller Prozesse, die einen Großteil der Wünsche des Individuums bestimmen - zu einer Generation von Frauen gehören sollte, die sich über alle Tabus hinwegsetzten, die für die Gleichheit in der Differenz kämpften, die an den großen politischen Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts teilhatten und die die einzige Revolution machen würden, bei der es kein Zurück gab: die des Feminismus, der Entdeckung des eigenen Körpers, des Übergangs von Objekten zu Subjekten des Begehrens und des Kampfs für die Freiheit.
An jenem strahlenden Nachmittag gegenüber vom "Grand Palace" wurde mir klar, daß ich Laster haben wollte. (Dreißig Jahre später sollten die Feministinnen einen wunderbaren Slogan ausrufen: "Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.") Warum konnten die Männer den Lastern frönen und die Frauen nicht? Ich stand mit dieser Frage und meinem Vorhaben nicht allein da, auch wenn ich das damals noch nicht wußte. Eine ganze Generation von Frauen, die Gleichstellung mit den Männern forderten, die Teilung der Macht, die freie Nutznießung ihres Körpers, ihrer Arbeit und ihrer Zeit, die Pille zur Verhütung, das Recht auf Abtreibung, Scheidung, gleichen Lohn, "gab sich dem Laster des Rauchens hin", wie meine Großmutter sagen würde, die natürlich nicht rauchte, und wir würden hartnäckig, leidenschaftlich rauchen, alles, was wir kriegen konnten, amerikanische, kubanische, importierte oder im Land hergestellte Zigaretten, wir würden Tag und Nacht, im Sommer wie im Winter, in jeder Lebenslage rauchen, während wir in der Vorlesung in Geschichte der Politik mitschrieben, in der Küche, in den Gefängnissen und im Bett, vor und nach dem Liebesakt, bei den Gewerkschaftsversammlungen und wenn wir selbst Vorlesungen hielten; wir würden im Parlament und in den geheimen Wohnungen rauchen, in denen wir gegen die Diktaturen konspirierten, in den Wartezimmern der Krankenhäuser und in den Diskotheken, wir würden allein und in Gesellschaft rauchen, in den Toiletten der Geschäfte und am Ausgang des Kinos, mit unseren Ehemännern oder Liebhabern, mit unseren Freundinnen oder unseren Kindern, am Strand, im Theater, während wir Pamphlete verteilten, demonstrierten oder Gedichte und Romane schrieben.
Denn rauchen war damals für die Frauen meiner Generation, ob in Europa oder Lateinamerika, den Vereinigten Staaten oder Australien, mehr als nur ein Laster, es war eine Lebensform. Rocco Alesina schreibt in seinem Prolog zu einem kurzen, köstlichen Text des Schriftstellers Italo Svevo, Del piacere e del vizio di fumare (Die Kunst, sich das Rauchen nicht abzugewöhnen): "Rauchen ist, was für ein Paradox, weniger ein Laster oder ein Vergnügen als vielmehr eine Konstante des Lebens. Der Rauch tötet nicht, er begleitet bis zum Tod. Er ist die Ergänzung zu allen Vergnügungen des Lebens, das einzige Laster, dem wir zu jeder Tageszeit frönen können."
Italo Svevo, der in seinem Geburtsland Italien spät und dank der Bewunderung und Bemühungen eines seiner wenigen Leser, James Joyce, bekannt wurde, der in Paris seinen Roman Zeno Cosini herumreichte, führte einen intensiven Kampf gegen das Rauchen, seine Haßliebe zum Tabak durchzieht den Roman ebenso wie die Briefe an seine Frau und seine Zeitungsartikel. Er hat sein ganzes Leben geraucht, er starb mit siebenundsechzig Jahren (bis dahin war er völlig gesund) an einem Autounfall. "Autos sind tödlicher als Tabak", so lautet die ironische Schlußfolgerung von Rocco Alesina.
Ich kannte Svevos Artikel nicht, als ich 1994 nach vierzig Jahren das Rauchen aufgeben mußte. In der langen, beklemmenden, deprimierenden und einsamen Zeit, in der ich darum kämpfte, mich von der Zigarette zu trennen, sie zu verlassen, schrieb ich ein paar Überlegungen, Notizen und Gedichte nieder. Eine dieser Notizen lautet: "Rauchen ist kein Laster. Es ist eine Art zu leben, zu denken und zu fühlen. Es ist eine Weltanschauung, eine Kosmogonie. Die rauchende Frau denkt nicht so wie die nicht rauchende, sie empfindet nicht auf die gleiche Weise, sie hat nicht dieselben Wertmaßstäbe. Rauchen ist eine Bindung, die einzige Bindung, die nur ich lösen kann - die Zigarette kann sich nicht von mir trennen oder mich verlassen. Die Zigarette, die ich rauche, gehört, solange ich sie rauche, mir: Sie dringt durch den Rauch in mich ein, sie paßt sich mir an, sie wird Teil meiner Verdauung, meines Kreislaufs, meines Blutflusses, meiner Herzschläge, der Bronchien und der Funktion meiner Neuronen; das Nikotin überschwemmt meinen Urin, ich nehme es in mich auf, wie das sonst nur bei einer Schwangerschaft geschieht." Vielleicht können manche Raucherinnen in den neun Monaten aufhören, weil man während der Schwangerschaft so erfüllt, so vollkommen ist. Sie müssen sich nicht mehr füllen, sich durch den Phallus der Zigarette und die Rauchspiralen vervollständigen: Sie tragen den Embryo in sich. Der Fötus ist der Phallus - Sigmund Freud, passionierter Raucher -, genauso wie die Zigarette der Phallus zwischen unseren Lippen ist, wenn wir nicht schwanger sind.
Bevor ich fortfahre, möchte ich dieses Fragment der Aufzeichnungen aus meinem Guerillakrieg gegen die Zigarette analysieren. Für die Neugierigen unter den Lesern möchte ich erwähnen, daß ich es nach zahlreichen Fehlschlägen, Niederlagen, Rückzügen und Rückfällen nach einem Jahr Kampf geschafft habe, mit dem Rauchen aufzuhören. Für mich ist das kein Triumph, sondern ein Verlust. Das Leben mit dem Rauch gefiel mir besser, auch wenn ich jetzt besser Treppen steigen kann und leichter atme; ich huste nicht mehr, spucke keinen Schleim, mein Bluthochdruck hat nachgelassen, und die Ischämie ist verschwunden. Aber ich fühle mich viel einsamer. In manchen Momenten der Beklemmung oder der Freude greife ich noch instinktiv nach der Schachtel, um meinen Schmerz oder mein Glück mit der Zigarette zu teilen. Seit ich aufgehört habe, geht es mir gesundheitlich besser, ja, aber mir fehlt etwas. Etwas, das mich vierzig Jahre lang immer begleitet hat, immer da war; etwas, das ganz allein mir gehörte, auch wenn ich manchmal, als Zeichen von Komplizenschaft, Liebe oder als Einladung, bereit war, es zu teilen.
Die Worte, die ich in meiner Notiz mit Bedacht gewählt habe, verraten viel: mich von der Zigarette trennen, sie verlassen. In vieler Hinsicht ist die Beziehung des Rauchers oder der Raucherin zur Zigarette eine Liebesbeziehung. Nicht nur wegen der Ambivalenz Liebe-Haß (jeder Raucher, ob Mann, ob Frau, nimmt sich irgendwann in seinem Leben vor, mit dem Rauchen aufzuhören, das Laster auszulöschen, die Sucht zu überwinden, ganz gleich ob sie dieses Vorhaben tatsächlich umsetzen oder es nur versuchen), die Italo Svevo in seinem Roman aus dem Jahre 1923 so gut beschreibt, diesem Roman, der noch heute durch seine psychologische Subtilität zu erstaunen vermag (geprägt von der Psychoanalyse, die den Autor sehr faszinierte, und die bis heute die einzige Theorie über das Begehren ist), sondern durch die Abhängigkeit. Die subjektive Symbolik des Rauchens und der Zigarette ist vielfältig und muß nicht bei allen gleich sein, aber der gemeinsame Nenner ist die Abhängigkeit, wie bei leidenschaftlichen Liebesbeziehungen. "Ich kann ohne dich nicht leben", sagen der verliebte Mann oder die verliebte Frau, und in der Tat ist das Leben ohne die geliebte Person unerträglich, leer, einsam, traurig, sinnlos. Sogar die Betrachtung des Schönen steigert den Schmerz, wenn sie getrennt erfolgt. Denn die Liebesbeziehung verdoppelt die Freuden und verteilt das Leid auf zwei. Es ist möglich, daß der Raucher oder die Raucherin niemals über die Zigarette sagt "Ich kann ohne dich nicht leben", aber sie empfinden und denken so. Wenn sie es nicht ausdrücklich sagen, dann, weil das Ich - dieser schonungslose Richter - sie wegen dieses Gefühls Scham empfinden läßt. Aber am ersten Tag ohne Zigarette sind alle bereit, leise einzugestehen, daß sie ohne nicht leben können. Nur Maulhelden blasen sich auf und sagen, ohne daß sie jemand gefragt hätte: "Ich kann jeden Tag aufhören", als wäre es ein Zeitvertreib, eine Art Beschäftigung für die Hände.
In jeder Liebesbeziehung gibt es einen Moment, in dem wir darüber nachdenken, den anderen oder die andere zu verlassen, wie bei der Zigarette, aber es gibt einen großen Unterschied; die Zigarette ist ein Gegenstand, sie hat keinen eigenen Willen, keine eigenen Wünsche, wir können sie verlassen, aber sie hat umgekehrt diese Freiheit nicht. Sie ist unser Sklave, so wie wir es uns von der leidenschaftlich geliebten Person wünschen. Die Zigarette unterwirft sich unserem Begehren, unserem Zeitplan, unseren Gemütszuständen: Sie ist da und begleitet uns, als wäre sie eine Verlängerung unseres innersten Ich. Deswegen ist die Trennung von der Zigarette oft ebenso schmerzlich und traumatisch wie bei einer Liebesbeziehung. "Nie mehr", sagt wehmütig und melancholisch der Raucher, der kurz davor ist, diesen Status aufzugeben; "Nie mehr", sagt der Geliebte, überzeugt, daß er seine Geliebte verlassen muß, aber mit dem Gefühl von Ende, von Verlust, von Scheitern.
Sich von der Zigarette trennen, sie verlassen: sich aufraffen, in der Einsamkeit zu leben, ohne die Kippe, ohne die Gesellschaft dieser schweigenden Zeugin unseres Lebens. Wie oft haben wir in einem unerträglichen Meeting, auf einer langweiligen Cocktail-Party oder bei einem uninteressanten Gespräch eine Zigarette angezündet? - und nur sie kannte unseren wahren Gemütszustand, unsere Gefühle. Dadurch, daß sie zu einer Verlängerung unserer selbst wird (rauchen ist wie an der Mutterbrust saugen, die Zigarette ist die Brustwarze, es wird schon seinen Grund haben, daß wir für den Zug an der Brust und an der Zigarette dar una chupada sagen), wird die Zigarette vom Raucher als Appendix wahrgenommen, empfunden, und wenn er aufhören muß, erlebt er dies als Verlust eines Körperteils, eines Teils seiner Identität; er wird dann vielleicht gesünder, bleibt aber amputiert.
Ich erinnere mich, daß ich, während ich versuchte mit dem Rauchen aufzuhören, nicht etwa die meiste Angst vor dem heutigen Verzicht hatte, sondern vor dem morgigen. Das heißt, ich hatte Angst vor einer Zukunft ohne Zigaretten, wie der Mann oder die Frau Angst hat, die sich von dem Menschen trennen, den sie geliebt haben, auch wenn die Beziehung verfahren ist. Solange Lust da ist, ist auch Begehren da. Wir hören nicht mit dem Rauchen auf, weil die Lust vorbei ist, sondern weil man uns überzeugt hat oder wir selbst eingesehen haben, daß es sich um eine schädliche Lust handelt. (Erinnern Sie sich an den alten Spruch, der in verschiedenen Sprachen um die Welt ging: "Alles, was mir Spaß macht, ist teuer, macht dick oder ist unmoralisch." Die Zigarette eingeschlossen.) Ich konnte bis zu einem gewissen Punkt ein paar Stunden nicht rauchen, sogar einen ganzen Tag, solange mir die Hoffnung blieb, am nächsten Tag weiterrauchen zu können. Aber mir mein künftiges Leben ohne Zigarette vorzustellen erschien mir vollkommen unerträglich. In den Ratgebern für Trennungen in Liebesbeziehungen steht bei all ihrer Schlichtheit manchmal doch die eine oder andere grundlegende Wahrheit. In einem las ich kürzlich: "Sagen Sie nie, daß Sie ohne ihn oder sie nicht leben können." Man geht davon aus, daß es sich um ein vorübergehendes Gefühl oder Einbildung handelt, aber wer hat im Augenblick größten Schmerzes nicht gedacht: "Ich kann ohne ihn, ohne sie, nicht leben?" Und im Gegensatz zu dem, was der Ratgeber behauptet, gibt es im Reich der Tiere wie in dem der Menschen Fälle, in denen das stimmt. Wenn ein männliches Känguruh sein Weibchen verliert, bringt es sich um, indem es sich in eine Schlucht stürzt oder nichts mehr ißt; und einige Menschen erkranken durch den Verlust des Menschen (ob durch Tod oder Trennung) an Melancholie und sterben an gebrochenem Herzen. So ist es nicht verwunderlich, daß einige Raucher an dem Laster, der Gewohnheit oder der Sucht festhalten, trotz der Ratschläge der Ärzte, des gesunden Menschenverstandes oder des Überlebensinstinkts. (Der Überlebensinstinkt gehört zu den umstrittensten: Freud, der den Lustinstinkt entdeckte, erkannte in seinen letzten Aufsätzen die Existenz eines Todesinstinktes an, den er mit der Kultur in Verbindung brachte. Die zivilisierten Völker und Menschen neigen dadurch, daß sie sich am weitesten vom Überlebensinstinkt entfernt haben, eher dazu, dem Todesimpuls zu folgen.)
Es ist jetzt fast sechs Jahre her, daß ich aufgehört habe, Rauch zu inhalieren. Und doch habe ich oft das Verlangen, es wieder zu tun. Vor allem im Traum. Als ich neulich einen Karton mit alten Fotografien durchsah, stellte ich fest, daß es ab meinem siebzehnten Lebensjahr kein einziges Foto von mir gibt, auf dem ich nicht mit einer Zigarette zwischen den Lippen oder in der Hand zu sehen bin, mal angezündet, mal nicht. Ich habe vierzig Jahre lang geraucht. Die Zigarette war meine dauerhafteste Geliebte, keine Liebe hat vierzig Jahre lang gehalten.Als Ex-Raucherin verdamme ich das Laster nicht. Gestern rief ich den Aufzug in dem Haus, wo ich wohne, weil ich ausgehen wollte. Es waren Leute darin: ein älteres Ehepaar und ihre Tochter, ein zwanzigjähriges Mädchen. Alle drei rauchten. Mit diesem Schuldgefühl, das Rauchern mittlerweile eigen ist, schauten sie mich ein wenig erschrocken an und sagten, wenn mich der Rauch störte, würden sie die Zigaretten sofort ausmachen (es ist verboten, in den Aufzügen zu rauchen). Mit großer Geste antwortete ich, sie könnten ruhig weiterrauchen, und fügte hinzu: "Ich mußte mich zwischen der Zigarette und dem Leben entscheiden, aber oft denke ich, ich habe einen Fehler gemacht."
Ich sah die Frau da allein sitzen und rauchen. Es war das erste Mal, daß ich eine Frau rauchen sah, das schwöre ich, und ich sagte zu mir: "Ich werde diese Frau sein, die allein an einem Tisch sitzt und raucht, während sie die hereinbrechende Dunkelheit betrachtet, den Verkehr auf der Straße, und von anderen Landschaften träumt, von künftigen leidenschaftlichen Begegnungen." Niemand soll sich darüber wundern, daß ich so fest entschlossen war: Die Offenbarungen der Kindheit haben einen großen Einfluß auf die Zukunft, denn es sind sehr starke Wünsche. (Bei Freud steht: "Glück ist immer die Erfüllung eines kindlichen Wunsches.")
Ich wußte damals nicht, daß, während ich mir sagte "Ich werde diese Frau sein, die allein an einem Tisch sitzt und raucht", ein uruguayischer Schriftsteller, der den größten Teil seines Lebens in Buenos Aires verbracht hat (Stadt des Tango, der Kneipen und der Zigaretten), in einem kurzen existentialistischen Roman geschrieben hatte: "Ich bin ein einsamer Mann, der an einem beliebigen Ort der Stadt raucht" - der 1939 erschienene Roman hieß "Der Schacht", und der Schriftsteller war Juan Carlos Onetti. Die Zigarette war die nie fehlende, nicht wegzudenkende Begleiterin des unabhängigen, einsamen Mannes, der sein Leben im Griff hat oder, um es in Freudschen Termini zu sagen: Die Zigarette war die narzißtische Verlängerung des Mannes, wie andere männliche Symbole: das Auto, das Motorrad, die Obelisken, das Flugzeug, die Bomben, die Krawatte, der Revolver oder die Pistole.
Ich zeigte meiner Mutter die Szene: die Frau, die allein an dem Marmortisch des "Grand Palace" saß und rauchte, und sagte: "Ich will wie sie sein." Was symbolisierte sie für mich? Sicherlich die traditionell männlichen Attribute, die ich gerade aufgezählt habe: Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstgenügsamkeit, Abenteuer, Freude am Alleinsein und Autonomie. Das war etwas, was die Frauen damals nicht hatten, denn sie gingen nicht allein in Bars, trugen keine Hosen, rauchten nicht, und sie waren auch nicht frei und unabhängig, zumindest die Frauen, die ich kannte (die aus meiner Familie und meiner gesellschaftlichen Schicht). Nicht einmal, wenn sie arbeiteten, und in Uruguay hatten sie schon Anfang des 20. Jahrhunderts dank einer fürsorglichen Politik Zutritt zur Arbeitswelt und den Universitäten; es war eine Art Sozialismus liberaler Prägung, der eine Reihe von diskriminierenden Gesetzen zugunsten der Frau schuf (so konnte beispielsweise eine Frau, die ein Kind bekommen hatte, schon nach nur einem Jahr Arbeit in den Ruhestand gehen).
Meine Mutter erklärte mir, rauchen sei ein Laster, den Männern vorbehalten, aber das war mir mehr als bekannt: In meiner Familie rauchten nur die Männer, angefangen von meinem Vater, der ein Päckchen Unión täglich inhalierte, eine blonde Zigarette aus nationaler Herstellung. Ich dachte lange über diese Antwort nach. Die Laster waren ausschließlich den Männer vorbehalten: Die Männer tranken und betranken sich, sie rauchten, benutzten Schimpfworte, spielten (in Montevideo waren Pferderennen sehr populär, und man konnte an jeder Straßenecke wetten), sie reisten allein und besuchten Bordelle; sie hatten Geliebte und einige, die kühnsten, sahen sich erotische Filme in dem als X klassifizierten Saal an, dem kleinen, versteckten Kino mit Namen "Hindu", das man in blühender Phantasie über die vermeintliche Wollust des Orients so genannt hatte. In Uruguay gab es nie eine Filmzensur, es steht in dem Ruf, eines der Länder mit der größten Leidenschaft für die siebte Kunst zu sein. In dem damals berühmten Festival von Punta del Este erntete ein in Europa noch unbekannter Filmemacher seine ersten Erfolge bei Kritik und Publikum: Ingmar Bergman. Und die Bewohner von Buenos Aires (wo es sehr wohl eine Filmzensur gab), die Porteños, pflegten die Pfütze - ein Euphemismus für den Río de la Plata - zu überqueren, um sich die in ihrem Land verbotenen Filme anzusehen. Unter anderem die von Armando Bo geschriebene und gedrehte Porno-Kitsch-Serie, die eine naive und üppige Isabelita Sarli zu einem wesentlich freizügigeren Sex-Symbol machte als Marilyn Monroe. (Zu kulturellen Ikonen für die Liebhaber des Kitschfilms geworden, wurde einer dieser Filme des Duos Armando Bo-Isabelita Sarli - im wirklichen Leben Mann und Frau - erst viel später, 1990, in Spanien in dubiosen Spezialkinos gezeigt, aber außerhalb ihrer Zeit und ihres Kontextes weckten sie nur das Interesse einiger wahrhaft leidenschaftlicher Filmfans.)
Und so war, wie fast alle interessanten Dinge des Lebens (auf Bäume klettern, Fußball spielen, lesen, schreiben, Symphonieorchester dirigieren, Flugzeuge fliegen, Auto fahren, endlose Truco-Partien spielen - Truco war das populärste Kartenspiel am Río de la Plata -, Bier oder Whisky trinken, Präsident der Republik werden oder einen Sitz in der Abgeordnetenkammer oder im Senat bekommen, Marine-Admiral oder Schiffskapitän werden), auch das Rauchen eine ausschließlich männliche Aktivität, beziehungsweise ein männliches Laster. Ich fragte mich, ob es auch weibliche Laster gab, natürlich nicht laut, ich hatte mit zehn schon gelernt, daß Erziehung darin bestand, die Erwachsenen nie nach den Dingen zu fragen, die wir wissen wollten, denn das waren meistens Geheimnisse und Tabus. Wahre Erziehung bestand darin, Impulse und spontane Wünsche zu unterdrücken. Ich ging im Geiste das Leben meiner Mutter durch - sie war Lehrerin und brachte den Kindern meines Alters Lesen und Schreiben bei und keine unpassenden Fragen zu stellen, zum Glück waren die Schulen in Uruguay gemischt - und das meiner Tanten, meiner anderen weiblichen Verwandten, meiner Nachbarinnen, und ich kam zu dem Schluß, daß es keine weiblichen Laster gab, außer, man hält die Neigung, vorzugsweise selbsthergestellte Süßigkeiten und Kuchen zu verzehren, für ein Laster. Oder das begeisterte Betrachten der feinen, zarten Federzeichnungen des Katalogs von London-Paris, eines luxuriösen Schaufensters im Stile von "Harrod's" oder "Bloomingdale's", wo man alles mögliche kaufen konnte, angefangen von einer Nähnadel aus deutschem Stahl bis zu einer Matratze aus original uruguayischer Wolle, die allerdings, dank jener leidigen Handelsverträge, die immer das Imperium gegenüber der Kolonie begünstigen, von englischen Arbeitern hergestellt worden war.
Die Laster schienen also sämtlich zur männlichen Welt zu gehören. Sie waren unzugänglich, aber dadurch besaßen sie den geheimen Charme des Verbotenen. (Damals kannte ich ein Gesetz der Psychologie noch nicht: Das Verbot verstärkt das Verlangen. Ich konnte es nicht kennen, denn das Bewußtsein kommt nach der Existenz - wie Jean-Paul Sartre sagt -, aber ich merkte es am eigenen Leib. Oder am fremden Rauch: dem Rauch der Zigaretten meines Vaters oder der Frau, die allein an dem Tisch im "Grand Palace" rauchte.) Das weibliche Wesen schien durch Verbote definiert zu sein: Frauen rauchten nicht, sie gingen nicht alleine aus, sie sprachen nicht mit Unbekannten, sie spielten nicht Roulette oder Blackjack in den Kasinos, sie tranken nicht, sie sahen sich keine erotischen Filme an, sie reisten nicht, außer in Begleitung ihrer Ehemänner, sie fuhren nicht Motorrad, sie wurden nicht Soldat, sie hatten keine wichtigen Regierungsposten, sie spielten nicht Fußball, sie veröffentlichten keine Bücher (von einigen Ausnahmen abgesehen), und wenn sie es taten, brachten sie sich um. In der Bibliothek meines Onkels - Frauen hatten keine eigene Bibliothek -, die ich begierig verschlang, fand ich nur drei Bücher von Frauen in einer Sammlung von siebenhundert Stück: Gedichte von Sappho, Ein Zimmer für sich allein von Virginia Woolf, und die Gedichte von Alfonsina Storni. Alle drei hatten sich den biographischen Angaben in den Klappentexten zufolge umgebracht. Was meinen Onkel, als er davon erfuhr, daß ich Schriftstellerin werden wollte, zu dem Ausruf veranlaßte: "Frauen schreiben nicht, und wenn sie es tun, bringen sie sich um." Ich hielt das für eine übertriebene Schlußfolgerung meines frauenfeindlichen Onkels, aber bedauerlicherweise zeigen die Statistiken, daß der Anteil an Selbstmorden bei Schriftstellerinnen wesentlich höher liegt als bei Schriftstellern.
Seit jenem strahlenden Abend gegenüber vom "Grand Palace" hatte ich mir insgeheim fest vorgenommen zu rauchen. Damals wußte ich noch nicht, daß ich eines Tages - aufgrund historischer, sozialer und kultureller Prozesse, die einen Großteil der Wünsche des Individuums bestimmen - zu einer Generation von Frauen gehören sollte, die sich über alle Tabus hinwegsetzten, die für die Gleichheit in der Differenz kämpften, die an den großen politischen Bewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts teilhatten und die die einzige Revolution machen würden, bei der es kein Zurück gab: die des Feminismus, der Entdeckung des eigenen Körpers, des Übergangs von Objekten zu Subjekten des Begehrens und des Kampfs für die Freiheit.
An jenem strahlenden Nachmittag gegenüber vom "Grand Palace" wurde mir klar, daß ich Laster haben wollte. (Dreißig Jahre später sollten die Feministinnen einen wunderbaren Slogan ausrufen: "Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.") Warum konnten die Männer den Lastern frönen und die Frauen nicht? Ich stand mit dieser Frage und meinem Vorhaben nicht allein da, auch wenn ich das damals noch nicht wußte. Eine ganze Generation von Frauen, die Gleichstellung mit den Männern forderten, die Teilung der Macht, die freie Nutznießung ihres Körpers, ihrer Arbeit und ihrer Zeit, die Pille zur Verhütung, das Recht auf Abtreibung, Scheidung, gleichen Lohn, "gab sich dem Laster des Rauchens hin", wie meine Großmutter sagen würde, die natürlich nicht rauchte, und wir würden hartnäckig, leidenschaftlich rauchen, alles, was wir kriegen konnten, amerikanische, kubanische, importierte oder im Land hergestellte Zigaretten, wir würden Tag und Nacht, im Sommer wie im Winter, in jeder Lebenslage rauchen, während wir in der Vorlesung in Geschichte der Politik mitschrieben, in der Küche, in den Gefängnissen und im Bett, vor und nach dem Liebesakt, bei den Gewerkschaftsversammlungen und wenn wir selbst Vorlesungen hielten; wir würden im Parlament und in den geheimen Wohnungen rauchen, in denen wir gegen die Diktaturen konspirierten, in den Wartezimmern der Krankenhäuser und in den Diskotheken, wir würden allein und in Gesellschaft rauchen, in den Toiletten der Geschäfte und am Ausgang des Kinos, mit unseren Ehemännern oder Liebhabern, mit unseren Freundinnen oder unseren Kindern, am Strand, im Theater, während wir Pamphlete verteilten, demonstrierten oder Gedichte und Romane schrieben.
Denn rauchen war damals für die Frauen meiner Generation, ob in Europa oder Lateinamerika, den Vereinigten Staaten oder Australien, mehr als nur ein Laster, es war eine Lebensform. Rocco Alesina schreibt in seinem Prolog zu einem kurzen, köstlichen Text des Schriftstellers Italo Svevo, Del piacere e del vizio di fumare (Die Kunst, sich das Rauchen nicht abzugewöhnen): "Rauchen ist, was für ein Paradox, weniger ein Laster oder ein Vergnügen als vielmehr eine Konstante des Lebens. Der Rauch tötet nicht, er begleitet bis zum Tod. Er ist die Ergänzung zu allen Vergnügungen des Lebens, das einzige Laster, dem wir zu jeder Tageszeit frönen können."
Italo Svevo, der in seinem Geburtsland Italien spät und dank der Bewunderung und Bemühungen eines seiner wenigen Leser, James Joyce, bekannt wurde, der in Paris seinen Roman Zeno Cosini herumreichte, führte einen intensiven Kampf gegen das Rauchen, seine Haßliebe zum Tabak durchzieht den Roman ebenso wie die Briefe an seine Frau und seine Zeitungsartikel. Er hat sein ganzes Leben geraucht, er starb mit siebenundsechzig Jahren (bis dahin war er völlig gesund) an einem Autounfall. "Autos sind tödlicher als Tabak", so lautet die ironische Schlußfolgerung von Rocco Alesina.
Ich kannte Svevos Artikel nicht, als ich 1994 nach vierzig Jahren das Rauchen aufgeben mußte. In der langen, beklemmenden, deprimierenden und einsamen Zeit, in der ich darum kämpfte, mich von der Zigarette zu trennen, sie zu verlassen, schrieb ich ein paar Überlegungen, Notizen und Gedichte nieder. Eine dieser Notizen lautet: "Rauchen ist kein Laster. Es ist eine Art zu leben, zu denken und zu fühlen. Es ist eine Weltanschauung, eine Kosmogonie. Die rauchende Frau denkt nicht so wie die nicht rauchende, sie empfindet nicht auf die gleiche Weise, sie hat nicht dieselben Wertmaßstäbe. Rauchen ist eine Bindung, die einzige Bindung, die nur ich lösen kann - die Zigarette kann sich nicht von mir trennen oder mich verlassen. Die Zigarette, die ich rauche, gehört, solange ich sie rauche, mir: Sie dringt durch den Rauch in mich ein, sie paßt sich mir an, sie wird Teil meiner Verdauung, meines Kreislaufs, meines Blutflusses, meiner Herzschläge, der Bronchien und der Funktion meiner Neuronen; das Nikotin überschwemmt meinen Urin, ich nehme es in mich auf, wie das sonst nur bei einer Schwangerschaft geschieht." Vielleicht können manche Raucherinnen in den neun Monaten aufhören, weil man während der Schwangerschaft so erfüllt, so vollkommen ist. Sie müssen sich nicht mehr füllen, sich durch den Phallus der Zigarette und die Rauchspiralen vervollständigen: Sie tragen den Embryo in sich. Der Fötus ist der Phallus - Sigmund Freud, passionierter Raucher -, genauso wie die Zigarette der Phallus zwischen unseren Lippen ist, wenn wir nicht schwanger sind.
Bevor ich fortfahre, möchte ich dieses Fragment der Aufzeichnungen aus meinem Guerillakrieg gegen die Zigarette analysieren. Für die Neugierigen unter den Lesern möchte ich erwähnen, daß ich es nach zahlreichen Fehlschlägen, Niederlagen, Rückzügen und Rückfällen nach einem Jahr Kampf geschafft habe, mit dem Rauchen aufzuhören. Für mich ist das kein Triumph, sondern ein Verlust. Das Leben mit dem Rauch gefiel mir besser, auch wenn ich jetzt besser Treppen steigen kann und leichter atme; ich huste nicht mehr, spucke keinen Schleim, mein Bluthochdruck hat nachgelassen, und die Ischämie ist verschwunden. Aber ich fühle mich viel einsamer. In manchen Momenten der Beklemmung oder der Freude greife ich noch instinktiv nach der Schachtel, um meinen Schmerz oder mein Glück mit der Zigarette zu teilen. Seit ich aufgehört habe, geht es mir gesundheitlich besser, ja, aber mir fehlt etwas. Etwas, das mich vierzig Jahre lang immer begleitet hat, immer da war; etwas, das ganz allein mir gehörte, auch wenn ich manchmal, als Zeichen von Komplizenschaft, Liebe oder als Einladung, bereit war, es zu teilen.
Die Worte, die ich in meiner Notiz mit Bedacht gewählt habe, verraten viel: mich von der Zigarette trennen, sie verlassen. In vieler Hinsicht ist die Beziehung des Rauchers oder der Raucherin zur Zigarette eine Liebesbeziehung. Nicht nur wegen der Ambivalenz Liebe-Haß (jeder Raucher, ob Mann, ob Frau, nimmt sich irgendwann in seinem Leben vor, mit dem Rauchen aufzuhören, das Laster auszulöschen, die Sucht zu überwinden, ganz gleich ob sie dieses Vorhaben tatsächlich umsetzen oder es nur versuchen), die Italo Svevo in seinem Roman aus dem Jahre 1923 so gut beschreibt, diesem Roman, der noch heute durch seine psychologische Subtilität zu erstaunen vermag (geprägt von der Psychoanalyse, die den Autor sehr faszinierte, und die bis heute die einzige Theorie über das Begehren ist), sondern durch die Abhängigkeit. Die subjektive Symbolik des Rauchens und der Zigarette ist vielfältig und muß nicht bei allen gleich sein, aber der gemeinsame Nenner ist die Abhängigkeit, wie bei leidenschaftlichen Liebesbeziehungen. "Ich kann ohne dich nicht leben", sagen der verliebte Mann oder die verliebte Frau, und in der Tat ist das Leben ohne die geliebte Person unerträglich, leer, einsam, traurig, sinnlos. Sogar die Betrachtung des Schönen steigert den Schmerz, wenn sie getrennt erfolgt. Denn die Liebesbeziehung verdoppelt die Freuden und verteilt das Leid auf zwei. Es ist möglich, daß der Raucher oder die Raucherin niemals über die Zigarette sagt "Ich kann ohne dich nicht leben", aber sie empfinden und denken so. Wenn sie es nicht ausdrücklich sagen, dann, weil das Ich - dieser schonungslose Richter - sie wegen dieses Gefühls Scham empfinden läßt. Aber am ersten Tag ohne Zigarette sind alle bereit, leise einzugestehen, daß sie ohne nicht leben können. Nur Maulhelden blasen sich auf und sagen, ohne daß sie jemand gefragt hätte: "Ich kann jeden Tag aufhören", als wäre es ein Zeitvertreib, eine Art Beschäftigung für die Hände.
In jeder Liebesbeziehung gibt es einen Moment, in dem wir darüber nachdenken, den anderen oder die andere zu verlassen, wie bei der Zigarette, aber es gibt einen großen Unterschied; die Zigarette ist ein Gegenstand, sie hat keinen eigenen Willen, keine eigenen Wünsche, wir können sie verlassen, aber sie hat umgekehrt diese Freiheit nicht. Sie ist unser Sklave, so wie wir es uns von der leidenschaftlich geliebten Person wünschen. Die Zigarette unterwirft sich unserem Begehren, unserem Zeitplan, unseren Gemütszuständen: Sie ist da und begleitet uns, als wäre sie eine Verlängerung unseres innersten Ich. Deswegen ist die Trennung von der Zigarette oft ebenso schmerzlich und traumatisch wie bei einer Liebesbeziehung. "Nie mehr", sagt wehmütig und melancholisch der Raucher, der kurz davor ist, diesen Status aufzugeben; "Nie mehr", sagt der Geliebte, überzeugt, daß er seine Geliebte verlassen muß, aber mit dem Gefühl von Ende, von Verlust, von Scheitern.
Sich von der Zigarette trennen, sie verlassen: sich aufraffen, in der Einsamkeit zu leben, ohne die Kippe, ohne die Gesellschaft dieser schweigenden Zeugin unseres Lebens. Wie oft haben wir in einem unerträglichen Meeting, auf einer langweiligen Cocktail-Party oder bei einem uninteressanten Gespräch eine Zigarette angezündet? - und nur sie kannte unseren wahren Gemütszustand, unsere Gefühle. Dadurch, daß sie zu einer Verlängerung unserer selbst wird (rauchen ist wie an der Mutterbrust saugen, die Zigarette ist die Brustwarze, es wird schon seinen Grund haben, daß wir für den Zug an der Brust und an der Zigarette dar una chupada sagen), wird die Zigarette vom Raucher als Appendix wahrgenommen, empfunden, und wenn er aufhören muß, erlebt er dies als Verlust eines Körperteils, eines Teils seiner Identität; er wird dann vielleicht gesünder, bleibt aber amputiert.
Ich erinnere mich, daß ich, während ich versuchte mit dem Rauchen aufzuhören, nicht etwa die meiste Angst vor dem heutigen Verzicht hatte, sondern vor dem morgigen. Das heißt, ich hatte Angst vor einer Zukunft ohne Zigaretten, wie der Mann oder die Frau Angst hat, die sich von dem Menschen trennen, den sie geliebt haben, auch wenn die Beziehung verfahren ist. Solange Lust da ist, ist auch Begehren da. Wir hören nicht mit dem Rauchen auf, weil die Lust vorbei ist, sondern weil man uns überzeugt hat oder wir selbst eingesehen haben, daß es sich um eine schädliche Lust handelt. (Erinnern Sie sich an den alten Spruch, der in verschiedenen Sprachen um die Welt ging: "Alles, was mir Spaß macht, ist teuer, macht dick oder ist unmoralisch." Die Zigarette eingeschlossen.) Ich konnte bis zu einem gewissen Punkt ein paar Stunden nicht rauchen, sogar einen ganzen Tag, solange mir die Hoffnung blieb, am nächsten Tag weiterrauchen zu können. Aber mir mein künftiges Leben ohne Zigarette vorzustellen erschien mir vollkommen unerträglich. In den Ratgebern für Trennungen in Liebesbeziehungen steht bei all ihrer Schlichtheit manchmal doch die eine oder andere grundlegende Wahrheit. In einem las ich kürzlich: "Sagen Sie nie, daß Sie ohne ihn oder sie nicht leben können." Man geht davon aus, daß es sich um ein vorübergehendes Gefühl oder Einbildung handelt, aber wer hat im Augenblick größten Schmerzes nicht gedacht: "Ich kann ohne ihn, ohne sie, nicht leben?" Und im Gegensatz zu dem, was der Ratgeber behauptet, gibt es im Reich der Tiere wie in dem der Menschen Fälle, in denen das stimmt. Wenn ein männliches Känguruh sein Weibchen verliert, bringt es sich um, indem es sich in eine Schlucht stürzt oder nichts mehr ißt; und einige Menschen erkranken durch den Verlust des Menschen (ob durch Tod oder Trennung) an Melancholie und sterben an gebrochenem Herzen. So ist es nicht verwunderlich, daß einige Raucher an dem Laster, der Gewohnheit oder der Sucht festhalten, trotz der Ratschläge der Ärzte, des gesunden Menschenverstandes oder des Überlebensinstinkts. (Der Überlebensinstinkt gehört zu den umstrittensten: Freud, der den Lustinstinkt entdeckte, erkannte in seinen letzten Aufsätzen die Existenz eines Todesinstinktes an, den er mit der Kultur in Verbindung brachte. Die zivilisierten Völker und Menschen neigen dadurch, daß sie sich am weitesten vom Überlebensinstinkt entfernt haben, eher dazu, dem Todesimpuls zu folgen.)
Es ist jetzt fast sechs Jahre her, daß ich aufgehört habe, Rauch zu inhalieren. Und doch habe ich oft das Verlangen, es wieder zu tun. Vor allem im Traum. Als ich neulich einen Karton mit alten Fotografien durchsah, stellte ich fest, daß es ab meinem siebzehnten Lebensjahr kein einziges Foto von mir gibt, auf dem ich nicht mit einer Zigarette zwischen den Lippen oder in der Hand zu sehen bin, mal angezündet, mal nicht. Ich habe vierzig Jahre lang geraucht. Die Zigarette war meine dauerhafteste Geliebte, keine Liebe hat vierzig Jahre lang gehalten.Als Ex-Raucherin verdamme ich das Laster nicht. Gestern rief ich den Aufzug in dem Haus, wo ich wohne, weil ich ausgehen wollte. Es waren Leute darin: ein älteres Ehepaar und ihre Tochter, ein zwanzigjähriges Mädchen. Alle drei rauchten. Mit diesem Schuldgefühl, das Rauchern mittlerweile eigen ist, schauten sie mich ein wenig erschrocken an und sagten, wenn mich der Rauch störte, würden sie die Zigaretten sofort ausmachen (es ist verboten, in den Aufzügen zu rauchen). Mit großer Geste antwortete ich, sie könnten ruhig weiterrauchen, und fügte hinzu: "Ich mußte mich zwischen der Zigarette und dem Leben entscheiden, aber oft denke ich, ich habe einen Fehler gemacht."
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Autoren-Porträt von Cristina Peri Rossi
Die uruguayische Autorin Christina Peri Rossi, geboren 1941 in Montevideo, hat in verschiedenen Städten auf verschiedenen Kontinenten gelebt, über dreißig Bücher geschrieben und zahlreiche Preise dafür bekommen. Sie hatte viele Liebschaften, musste zweimal ins Exil gehen - nach Paris und nach Barcelona -, aber eins ist ihr immer geblieben: die Zigarette. Christina Peri Rossi ist eine der bekanntesten zeitgenössichen Lyrikerinnen Lateinamerikas.
Bibliographische Angaben
- Autor: Cristina Peri Rossi
- 2006, 175 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Span. v. Sabine Giersberg
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453351223
- ISBN-13: 9783453351226
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