Dieses goldene Land
Wie schon bei ihrem Megaerfolg "Traumzeit" führt Bestsellerautorin Barbara Wood in das faszinierende Australien. Voller Mystik, Leidenschaft und Spannung zeichnet sie das Schicksal einer jungen Frau, die ihren Weg sucht.
Aus der...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
19.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Dieses goldene Land “
Wie schon bei ihrem Megaerfolg "Traumzeit" führt Bestsellerautorin Barbara Wood in das faszinierende Australien. Voller Mystik, Leidenschaft und Spannung zeichnet sie das Schicksal einer jungen Frau, die ihren Weg sucht.
Aus der Enge des viktorianischen England flieht die Arzttochter Hannah in die grenzenlosen Weiten des Roten Kontinents. Schon auf der Überfahrt begegnet sie dem faszinierenden Naturforscher Neal, der eine Expedition in die unerforschten Regionen des fünften Kontinents führen will. Dort taucht er ein in die mystische Welt der australischen Ureinwohner. Während Hannah noch um seine Rückkehr von den Aborigines bangt, gerät sie selbst in die Hände von rauen Schatzsuchern. Mit ihnen zieht sie mitten hinein in das Herz der Wildnis.
Klappentext zu „Dieses goldene Land “
Aus der Enge des viktorianischen England flieht die Arzttochter Hannah in die Weiten Australiens. Schon auf der Überfahrt begegnet sie dem Naturforscher Neal, der eine Expedition in die unerforschten Regionen des fünften Kontinents führen will. Dort taucht er ein in die mystische Welt der Aborigines. Während Hannah noch um seine Rückkehr bangt, gerät sie selbst in die Hände von rauen Schatzsuchern. Mit ihnen zieht sie mitten hinein in das Herz der Wildnis... Vor der beeindruckenden Kulisse der ungezähmten Landschaft Australiens sucht Hannah nach ihrer Bestimmung.
Wie schon bei ihrem Megaerfolg Traumzeit führt Bestellerautorin Barbara Wood in das faszinierende Australien. Voller Mystik, Leidenschaft und Spannung zeichnet sie das Schicksal einer jungen Frau, die ihren Weg sucht.
Lese-Probe zu „Dieses goldene Land “
Dieses goldene Land von Barbara WoodAustralien: Adelaide 1847
... mehr
»Sie sind noch sehr jung, Miss Conroy«, merkte Dr. Davenport an, während er Hannahs Diplom und die Empfehlungsschreiben des Londoner Krankenhauses studierte.
»Ich bin vor kurzem zwanzig geworden«, gab Hannah zurück. Wenn sie nur einen Fächer hätte! Es war stickig in der Praxis des Doktors. Statt einer kühlen Brise drang durch das Fenster nur heiße Luft herein, dazu Staub, Fliegen und der Geruch von Pferdekot. Aber wie alle anderen der vornehmlich britischen Bewohnerinnen Adelaides hätte Hannah um nichts auf der Welt auf ihr eng geschnürtes Mieder und den Reifrock verzichtet.
Wie mochte es Neal Scott auf seiner Forschungsexpedition im Westen Australiens ergehen, wo die Sonne dem Vernehmen nach noch glühender als hier im Süden brannte? Vier Monate war es her, seit sie dem jungen Fotografen, dem sie auf der Überfahrt begegnet war, Lebewohl gesagt hatte, und seither dachte Hannah täglich an ihn. Sie hoffte inständig, dass es ihm gutging und er wie versprochen bald nach Adelaide kommen würde.
»Und Sie sind nicht verheiratet?« Dr. Davenport warf ihr über die Brille hinweg einen forschenden Blick zu. Niemand engagierte eine junge, unverheiratete Hebamme. Hannah schüttelte den Kopf.
Ihr Status war nicht das einzige Hindernis für die Eröffnung einer Hebammen-Praxis. Wie sich herausgestellt hatte, wachten niedergelassene Hebammen in der Stadt eifersüchtig über ihr Revier und machten es neu Hinzugezogenen unmöglich, Patientinnen zu gewinnen. Hannah hatte in Regionalzeitungen Annoncen aufgegeben, hatte an öffentliche Anschlagtafeln Zettel geheftet, war persönlich bei Apothekern vorstellig geworden - sie hatte sogar im Stadtpark Kindermädchen angesprochen und sie gebeten, ihren Namen weiterzugeben. Aber die wenigen Vorstellungsgespräche, zu denen sie aufgefordert worden war, hatten katastrophale Ergebnisse gezeitigt. »Was, Sie sind die neue Hebamme? So blutjung, wie Sie sind? Und noch dazu unverheiratet, ohne eigene Kinder?«
Zu guter Letzt hatte sie sich eine Liste von Ärzten in Adelaide besorgt, sie persönlich aufgesucht und ihnen ihre Dienste angeboten. Drei hatten bereits abgelehnt.
Jetzt saß sie sittsam Dr. Gonville Davenport in seiner Praxis gegenüber und hoffte inständig, es möge diesmal klappen. Trotz ihrer rapide schwindenden Barschaft hatte sie sich für dieses Gespräch eigens eine der neuesten Mode entsprechende Garderobe zugelegt: ein lavendelfarbenes Kleid mit purpurfarbenen Samtbiesen und Knöpfen.
In ihrem Mieder steckte das Taschentuch mit Neals Monogramm. Sie spürte es an ihrem Busen, ganz leicht, so als würde Neal sie anstupsen, sie dazu auffordern, in diesem Land, in dem der Himmel grenzenlos war, ihre Flügel auszubreiten.
»Tut mir leid, aber ich brauche keine Hebamme«, sagte Dr. Davenport schließlich wie entschuldigend. »Ich ziehe es vor, Entbindungen selbst vorzunehmen.«
»Ich könnte mich anderweitig nützlich machen. Ich habe meinem Vater in der Praxis assistiert und ihn zu Krankenbesuchen begleitet.«
Davenport legte die Schreiben beiseite und sah die junge Dame unverhohlen an. Keine Frage, sie machte einen guten Eindruck, war adrett gekleidet, drückte sich gewählt aus. Und die Empfehlungsschreiben ihrer Lehrer hätten nicht positiver sein können. Eigentlich trug er sich tatsächlich mit dem Gedanken, einen Assistenten anzustellen. Aber doch nicht eine junge Frau!
Der forschende Blick des Arztes war Hannah unangenehm. Also schaute sie sich in der Praxis um. Ihr Blick fiel auf eine kleine Elfenbeinstatue auf seinem Schreibtisch. »Wie hübsch«, sagte sie.
Dr. Davenport nach der etwa acht Zoll hohen Figur. »Antiquitäten sind meine Leidenschaft, Miss Conroy. Diese hier habe ich in einem kleinen Laden in Athen erstanden. Wie mir der Besitzer versicherte, dürfte sie mindestens zweitausend Jahre alt sein.«
»Darf ich?«
»Bitte sehr.« Er reichte sie ihr.
»Entzückend. Wen stellt sie dar?«
»Die Göttin Hygieia.«
»O ja, die Tochter des Asklepius«, sagte Hannah. »Sie passt wunderbar in die Praxis eines Arztes.«
Davenport wölbte die Brauen. »Sie wissen, wer Asklepius war?«
»Bei den alten Griechen war er der Gott der Medizin und Hygieia die Göttin der Gesundheit, Sauberkeit und Hygiene.«
Davenport nickte. »Sie wird angerufen, wenn der frischgebackene Arzt zu seinem hippokratischen Eid anhebt. Eigentlich schade, Miss Conroy, dass Hygieia im Pantheon der Griechen keine herausragende Bedeutung zugestanden wurde. Es war ihr Vater, der die Heilungen vornahm. Hygieia hingegen beugte Krankheiten vor, was in meinen Augen sehr viel wichtiger ist.«
Als Hannah ihm die Statue zurückgab, durchzuckte es Davenport: Diese Miss Conroy ist ihr durchaus ähnlich. Sah man einmal von dem griechischen Gewand ab, war es das in der Mitte gescheitelte und hinten zu einem kunstvollen Knoten zusammengefasste schwarze Haar, das den Arzt zu dieser Parallele anregte, und nicht zuletzt der anmutige schlanke Hals und die fein gemeißelten Gesichtszüge.
Obwohl er beschlossen hatte, Miss Conroy nicht zu engagieren, sagte er jetzt zu seiner eigenen Überraschung: »Zu Ihren Pflichten wird gehören, dass Sie den Fußboden fegen und Staub wischen. Meine Instrumente reinigen. Und dafür sorgen, dass ausreichend Medikamente vorrätig sind. Wenn sich die Patienten an Sie gewöhnt haben, würde ich mich freuen, wenn Sie mir bei verängstigten Kindern und verstörten Frauen zur Hand gehen könnten. Wenn eine Hebamme benötigt wird, können Sie mir assistieren, und danach sehen wir weiter.«
Sie kamen überein, dass Hannah zunächst drei Vormittage in der Woche und nach Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit eventuell zusätzliche Stunden arbeiten würde. Als sie die Praxis verließ, war sie außer sich vor Freude. Ich sollte Neal schreiben, dachte sie, und ihm von meinem Glück berichten.
Und wieder einmal dachte sie an den Kuss, den sie während des Sturms auf der Überfahrt nach Australien getauscht hatten - ein derart von Verzweiflung und Leidenschaft erfüllter Kuss, dass sie beim Gedanken daran ein so übermächtiges wie qualvolles Verlangen überkam, abermals von ihm geküsst zu werden.
Hannah schüttelte den Gedanken ab. Sie wollte sich noch nach einer zusätzlichen Arbeitsstelle umsehen. Der Nächste auf ihrer Liste war Dr. Young.
Als sie auf dessen Haus zuging, sah sie eine prächtige Kutsche auf der Straße warten. Vom Haus her näherte sich eine junge Frau. Das schwarze Kleid, die weiße Schürze und das weiße Häubchen wiesen sie als Dienstmädchen aus. Sie rang die Hände.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, sprach Hannah die junge Frau an.
„Ich weiß nicht, was ich machen soll, Miss. Dr. Youngs Haushälterin sagt, er ist in Sydney. Und Miss Magenta geht's so schlecht, sie kriegen sie einfach nicht wieder wach!«
Hannahs Blick streifte die Kutsche - eindeutig das Gefährt einer wohlhabenden Familie.
»Ich arbeite für Dr. Davenport ...«, fing sie an.
»Der kommt aber nicht!«, fiel ihr das Mädchen ins Wort. »Dr. Young ist der Einzige, der kommen würde!«
»Vielleicht kann ich ja helfen«, erbot sich Hannah und fragte sich, warum das Mädchen so sicher war, dass Dr. Davenport dem Ruf nicht Folge leisten würde. »Mein Name ist Hannah Conroy, ich habe Erfahrung im Umgang mit Kranken.«
Die blauen Augen wurden noch größer. »Sie, Miss?«
»Wie heißen Sie denn?«, fragte Hannah besänftigend.
»Ich bin Alice. Und Miss Magenta braucht unbedingt einen Arzt!«
»Was ist denn passiert?«
»Das wissen wir nicht. Sie hat sich nicht wohlgefühlt, und jetzt wacht sie nicht mehr auf.«
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht zu Dr. Davenport wollen? Seine Praxis ist gleich ...«
»Der kommt nie und nimmer, und alle anderen Ärzte auch nicht!« Weinend fügte Alice hinzu: »Ist doch das Haus von Lulu Forchette«, so als würde dies alles erklären.
»Ich komme mit, Alice. Vielleicht kann ich ja etwas ausrichten.«
Die Fahrt führte aus der Stadt hinaus in eine Hannah noch unbekannte ländliche Gegend. Draußen sah man sanft gewellte grüne Hügel und dazwischen Ackerland und Schafpferche. Als sie einen dicht belaubten Hain passierten, stob eine Schar weißer Kakadus auf, die sich, je mehr sie sich der schräg stehenden Sonne näherten, rosa und orange verfärbten. Jetzt verlangsamte die Kutsche ihr Tempo, um eine schmale Brücke zu überqueren, und Hannah fuhr zusammen, als ein riesengroßes Tier von der Farbe tiefdunkler Orangen mit anmutigen Sprüngen den Weg frei machte. Zum ersten Mal machte sie Bekanntschaft mit einem Känguru.
»Da wären wir, Miss!«, sagte Alice, als die Kutsche die Fahrt verlangsamte und ein elegantes Haus ins Blickfeld kam.
Zwei Stockwerke hoch, mit Veranden und Balkonen, kunstvollen Gittern und schön anzusehenden Säulen, thronte das Haus inmitten von Wiesen und Gärten am Ende einer langen Zufahrt. Als der Kutscher Hannah beim Aussteigen half, hörte sie Musik und lautes Lachen aus den geöffneten Fenstern dringen.
»Hier lang«, wies Alice Hannah den Weg über eine Hintertreppe hinauf in ein Zimmer, in dem mehrere Damen wie aufgescheuchte Hühner herumflatterten. Sie waren allesamt jung, zwei von ihnen in Negligés und Frisierumhänge gehüllt, die Dritte in knielangen Unterhosen und einer Untertaille aus durchbrochener weißer Baumwolle. Sie geleiteten Hannah in ein Schlafzimmer. Auf einem Bett mit tiefroter Tagesdecke lag regungslos eine leichenblasse junge Dame.
Hannah trat an das Bett und griff nach dem Handgelenk der jungen Frau. Als von unten Klaviermusik, gefolgt von sonorem, typisch männlichem Lachen, an ihr Ohr drang, wurde ihr klar, dass dies hier kein gewöhnliches Haus war.
»Wie ist es dazu gekommen?«, fragte sie, während sie den Hals des Mädchens nach einem Pulsschlag abtastete und ihn dann als erschreckend schwach und unregelmäßig befand.
»Sie klagte über Kopfschmerzen«, sagte eines der Mädchen. »Und über Übelkeit.«
Hannah hob Magentas Lider und sah geweitete Pupillen.
»Und sie war sehr durstig, konnte aber kein Wasser trinken«, ergänzte eine andere. Demnach war Magentas Mund ausgetrocknet, und das junge Mädchen litt unter Schluckbeschwerden. Hannah wusste Bescheid. Die gleichen Symptome waren bei einer ihrer Studienkolleginnen in London festzustellen gewesen. Die Unglückliche hatte sich eines Nachts mit Belladonnatinktur betäubt, um die heftigen Krämpfe im Verlauf ihrer Menstruation zu lindern. Wie Miss Magenta hatte sie zu viel Belladonna eingenommen, und obwohl man einen Arzt gerufen hatte, war jedwede Hilfe zu spät gekommen.
»Wir müssen sie wach bekommen«, sagte Hannah. »Und sie dazu bringen, sich zu übergeben.«
»Wir haben bereits versucht, sie zu wecken, Miss. Riechsalz hilft aber nicht.«
Hannah holte ein Fläschchen mit
Salmiakgeist aus ihrer Tasche, entkorkte es und bewegte es unter der Nase des Mädchens hin und her.
Magenta schnappte nach Luft, riss die Augen auf. »Helfen Sie mir, sie in Seitenlage zu betten«, wies Hannah die anderen an. Kaum lag Magenta auf der Seite, zwang Hannah den Mund des Mädchens auseinander und steckte ihr die Finger in den Rachen. Mit angehaltenem Atem verfolgten die Mädchen, wie ihre Freundin sich erbrach, bis ihr Magen völlig leer war. »Jetzt müssen Sie sie zum Aufstehen bewegen und mit ihr hin und her gehen«, sagte Hannah. »Und füllen Sie bitte dieses Glas mit Wasser. Wir müssen ihr Blut verdünnen.«
Nach einer halben Stunde des Hin- und Herlaufens, in der man die benommene Magenta, auf der einen Seite untergehakt von Hannah, auf der anderen von einem der Mädchen, zwang, in Bewegung zu bleiben und ihr Wasser einflößte, waren Puls, Pupillen und Körpertemperatur endlich wieder normal. Hannah setzte das Mädchen in einen Sessel, schärfte den anderen ein, sie wachzuhalten und ständig mit ihr zu sprechen, und bat dann, zum Hausherrn gebracht zu werden.
Wie gerufen stand Alice bereits draußen im Flur. Hannah wurde in einen kleinen Salon geführt.
»Schönen guten Tag auch«, sagte die Gastgeberin. »Ich bin Lulu Forchette.«
Die Besitzerin des Hauses, in schillernde blaue Seide gekleidet, Handgelenke, Finger und den feisten Nacken mit funkelndem Geschmeide geschmückt und Reiherfedern im flammend roten Haar, lehnte in einem Samtsessel, in der einen Hand ein Glas Champagner, in der anderen eine lange Zigarettenspitze.
»Wie mir Alice berichtet hat, ist Magenta mit Ihrer Hilfe wieder über dem Berg. Sie haben ihr das Leben gerettet. Setzen Sie sich doch, meine Liebe, ich möchte alles über Sie und dieses Wunder wissen, das Sie da vollbracht haben!«
Hannah zog das Salmiakgeistfläschchen aus ihrer Tasche und reichte es Lulu, die kurz daran schnupperte und reflexartig zurückwich. »Huch! Mächtig starkes Zeug. Könnten wir hier gut gebrauchen. Meine Mädchen werden hin und wieder ohnmächtig. Weil sie so eng geschnürt sind. Schmale Taillen wirken auf Männer unwiderstehlich.«
Von einer Platte angelte sie sich eine gezuckerte Mandel, steckte sie sich in den Mund und zerkaute sie nachdenklich. »Schon eigenartig, dass ich Alice weggeschickt habe, um einen Arzt zu holen, und sie kommt mit Ihnen zurück. Wer sind Sie eigentlich?«
Hannah berichtete, was sich vor Dr. Youngs Praxis zugetragen hatte, und gab dann Auskunft über sich selbst.
Lulu lachte leise auf. »Eine Hebamme sind Sie also und erst seit kurzem hier. Wahrscheinlich waren Sie bass erstaunt, als Sie bei mir landeten. Jedenfalls haben Sie meinen Kutscher nicht angewiesen, Sie sofort in die Stadt zurückzubringen. Das rechne ich Ihnen hoch an. Auch wenn Sie höchstwahrscheinlich die Nase rümpfen.« Sie hob wie abwehrend die Hand, obwohl Hannah keinen Ton gesagt hatte. »So geht's nun mal in den Kolonien zu. Man stellt fest, dass für irgendwas Bedarf besteht, und füllt diese Lücke. Danke für Ihre Hilfe für Magenta. Möchten Sie nicht zum Abendessen bleiben?«
»Nein danke, ich muss zurück in die Stadt.«
Lulu zog an der Klingelschnur. Gleich darauf erschien Alice, die Hannah zum Ausgang führte. »Sie brauchen nur diesem Weg zu folgen«, sagte sie. »Die Kutsche wartet bereits vorn an der Auffahrt.«
Blumenduft hüllte sie ein, das Zirpen der Grillen und das Quaken der Frösche erfüllte die Luft. Hannah machte sich auf den Weg. Sie dachte an Lulu und Magenta und all die anderen Mädchen da drinnen und an die vornehmen Herren. In Gedanken versunken bemerkte sie nicht die seltsame dunkle Gestalt, die plötzlich vor ihr auftauchte. Erst durch das Knurren wurde sie auf sie aufmerksam.
Sie blieb abrupt stehen. Wie sie im Mondlicht erkennen konnte, besaß der Hund - oder war es ein Fuchs? - ein zotteliges orangefarbenes Fell, eine lange Schnauze und spitz aufgestellte Ohren. Wie versteinert stand Hannah da, als das knurrende Biest zu hecheln anfing und die Zähne fletschte. Sie zwang sich, einen Schritt zurückzuweichen, worauf der Hund sich weiter an sie heranpirschte. Wieder wich Hannah
einen Schritt zurück, wieder kam der Hund knurrend näher. Sie hoffte, es zurück bis zur Küche zu schaffen, dort würden das Licht und der Lärm das Tier bestimmt in die Flucht jagen. Aber beim nächsten Schritt rückwärts stieß sie an einen Baum.
Hannah überlegte, ob ein Hilferuf das Tier verscheuchen oder ob es sie dann angreifen würde, als plötzlich ganz in ihrer Nähe jemand raunte: »Nicht bewegen. Bleiben Sie ganz still stehen.«
Gleich darauf trat ein Mann aus der Dunkelheit und stellte sich vor sie. »Ist ja gut, Freundchen«, sprach er beruhigend auf den Hund ein. »Wir tun dir doch nichts. Wir wollen nur hier vorbei.«
Wer war dieser Fremde? Er war von der Straße her gekommen und keineswegs gekleidet wie die Gentlemen in Lulus Haus, sondern eher wie ein Arbeiter. Auf dem Kopf trug er einen Schlapphut mit breiter Krempe, und er roch nach Tabak.
»Tut mir leid, dass wir in dein Territorium eingedrungen sind«, redete er auf den Hund ein, »aber so ist's nun mal. Wir bleiben trotzdem Freunde, ja?«
Die unheimliche Begegnung schien sich endlos hinzuziehen und unwirklich zu werden. Von Blumenduft eingehüllt, konnte Hannah vom Haus her Musik und Lachen vernehmen, derweil ein Fremder zwischen ihr und einem wilden, zähnefletschenden Hund stand.
Und dann hörte das Knurren auf, das Hecheln verstummte, und gleich darauf machte der Hund kehrt und vertrollte sich in die Nacht.
Der Unbekannte wandte sich Hannah zu. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Sie stieß einen Seufzer aus. »Mein Herz klopft wie verrückt! Aber danke für das, was Sie getan haben.«
Er warf einen Blick zurück in die Dunkelheit. »Sie begreifen eben nicht, dass dies nicht mehr ihr Territorium ist. Jetzt, da ihr Jagdrevier weg ist, durchwühlen sie die Abfälle, auf der Suche nach Fressen.«
»Was für ein Hund war das?«
»Die Aborigines bezeichnen ihn als Dingo. Himmel nochmal, wo bleiben meine Manieren? Jamie O'Brien, zu Ihren Diensten«, sagte der Fremde und lüpfte grinsend den Hut.
Zum Vorschein kam blondes Haar, und unter der breiten Hutkrempe waren jetzt zwinkernde Augen auszumachen. Mr. O'Briens Haut war wettergegerbt wie die eines Seemanns, er überragte sie um Haupteslänge, war aber weder stämmig noch breitschultrig, sondern eher drahtig. Die Ärmel seines Hemdes waren hochgekrempelt und gaben muskulöse Unterarme frei. Trotz seines schlanken Körperbaus spürte Hannah die Kraft, die ihm innewohnte.
Sie merkte, dass er sie irgendwie merkwürdig ansah. Er hatte ihr seinen Namen genannt und schien auf eine Reaktion zu warten. Sollte sie wissen, wer er war? Dann fiel ihr ein, dass er, nachdem er sich vorgestellt hatte, seinerseits ihren Namen erfahren wollte. »Hannah Conroy«, sagte sie zu dem Fremden, der so dicht vor ihr stand, dass sie von dem Baum, an dem sie noch immer lehnte, nicht wegrücken konnte. Seine Augen ließen ihre nicht los, und sie sah das amüsierte Zwinkern in den Augenwinkeln.
»Was hat eine anständige junge Dame wie Sie an einem Ort wie diesem zu suchen?«, fragte er und sah an ihr vorbei zum Haus.
Sie erklärte, dass sie Hebamme sei und man sie zu einem der Mädchen gerufen habe.
Er warf einen Blick auf die Tasche in ihrer Hand, und um seine Augenwinkel zuckte es belustigt. »Für jemanden in Lutus Haus?«
»Eine der Damen war ohnmächtig.«
»Ach so.« Er schwieg, und Hannah sah, wie sich seine blauen Augen verdunkelten.
»Nochmals vielen Dank, dass Sie den Hund verscheucht haben«, sagte sie und schaute nach rechts und links, um so geschickt wie möglich an ihm vorbeizukommen. Sein freimütiger Blick, der jetzt so ernst geworden war, jagte Hannah einen Schreck ein. Konnte ihr dieser Mann gefährlich werden?
Umso überraschter war sie, als er von einem Busch in der Nähe eine Rose pflückte und sie ihr überreichte. »Die Aborigines sagen, dass Blumen von ihren Ahnen in der Traumzeit erschaffen wurden, also vor langer, langer Zeit. Die Ahnen verfügten über magische Kräfte, und alles, was sie taten oder dachten, nahm unwillkürlich Gestalt an. Es heißt, dass jedes Mal, wenn ein Ahne lachte, eine Blume entstand. Und weil die Menschen im Frühjahr häufiger lachen, gibt es im Frühjahr auch mehr Blumen.«
Jamie O'Briens Akzent faszinierte sie. In dieser Kolonie kamen Einwanderer aus dem gesamten britischen Königreich zusammen, so dass man jede Menge Akzente hörte. Jetzt kam für Hannah ein neuer Akzent hinzu, der von den wenigen gesprochen wurde, die hier geboren waren. Ihr Retter war also höchstwahrscheinlich kein Neuankömmling, sondern hatte hier in Australien das Licht der Welt erblickt. Und das war in der Kolonie eine Seltenheit.
Mit einem Mal strahlte der Abend einen eigenartigen Zauber aus. Hannahs Mieder war eng und zwängte sie ein, Unterröcke und Reifrock behinderten sie. Die Nähe des Fremden, der sie unverhohlen musterte, verursachte ihr heftiges Herzklopfen. Nein, ein Gentleman war er nicht. Und doch schien er zu dieser Nacht, in diese Umgebung zu passen. Erregung lag in der Luft, und sie ging auch von ihm aus.
»Ich muss gehen«, flüsterte sie. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sie musste förmlich nach Luft ringen.
Er starrte sie weiterhin an, dann kehrte sein Lächeln zurück, grub zusätzliche Fältchen in sein markantes Gesicht. Er trat beiseite, tippte an seinen Hut. »War mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Miss Hebamme. Ich hoffe sehr, dass wir uns mal wieder begegnen.«
Damit schlug Jamie O'Brien den Weg zum Haus von Lulu Forchette ein, und Hannah hörte den Kutscher rufen: »Miss? Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Der Zauber war verflogen.
© S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
»Sie sind noch sehr jung, Miss Conroy«, merkte Dr. Davenport an, während er Hannahs Diplom und die Empfehlungsschreiben des Londoner Krankenhauses studierte.
»Ich bin vor kurzem zwanzig geworden«, gab Hannah zurück. Wenn sie nur einen Fächer hätte! Es war stickig in der Praxis des Doktors. Statt einer kühlen Brise drang durch das Fenster nur heiße Luft herein, dazu Staub, Fliegen und der Geruch von Pferdekot. Aber wie alle anderen der vornehmlich britischen Bewohnerinnen Adelaides hätte Hannah um nichts auf der Welt auf ihr eng geschnürtes Mieder und den Reifrock verzichtet.
Wie mochte es Neal Scott auf seiner Forschungsexpedition im Westen Australiens ergehen, wo die Sonne dem Vernehmen nach noch glühender als hier im Süden brannte? Vier Monate war es her, seit sie dem jungen Fotografen, dem sie auf der Überfahrt begegnet war, Lebewohl gesagt hatte, und seither dachte Hannah täglich an ihn. Sie hoffte inständig, dass es ihm gutging und er wie versprochen bald nach Adelaide kommen würde.
»Und Sie sind nicht verheiratet?« Dr. Davenport warf ihr über die Brille hinweg einen forschenden Blick zu. Niemand engagierte eine junge, unverheiratete Hebamme. Hannah schüttelte den Kopf.
Ihr Status war nicht das einzige Hindernis für die Eröffnung einer Hebammen-Praxis. Wie sich herausgestellt hatte, wachten niedergelassene Hebammen in der Stadt eifersüchtig über ihr Revier und machten es neu Hinzugezogenen unmöglich, Patientinnen zu gewinnen. Hannah hatte in Regionalzeitungen Annoncen aufgegeben, hatte an öffentliche Anschlagtafeln Zettel geheftet, war persönlich bei Apothekern vorstellig geworden - sie hatte sogar im Stadtpark Kindermädchen angesprochen und sie gebeten, ihren Namen weiterzugeben. Aber die wenigen Vorstellungsgespräche, zu denen sie aufgefordert worden war, hatten katastrophale Ergebnisse gezeitigt. »Was, Sie sind die neue Hebamme? So blutjung, wie Sie sind? Und noch dazu unverheiratet, ohne eigene Kinder?«
Zu guter Letzt hatte sie sich eine Liste von Ärzten in Adelaide besorgt, sie persönlich aufgesucht und ihnen ihre Dienste angeboten. Drei hatten bereits abgelehnt.
Jetzt saß sie sittsam Dr. Gonville Davenport in seiner Praxis gegenüber und hoffte inständig, es möge diesmal klappen. Trotz ihrer rapide schwindenden Barschaft hatte sie sich für dieses Gespräch eigens eine der neuesten Mode entsprechende Garderobe zugelegt: ein lavendelfarbenes Kleid mit purpurfarbenen Samtbiesen und Knöpfen.
In ihrem Mieder steckte das Taschentuch mit Neals Monogramm. Sie spürte es an ihrem Busen, ganz leicht, so als würde Neal sie anstupsen, sie dazu auffordern, in diesem Land, in dem der Himmel grenzenlos war, ihre Flügel auszubreiten.
»Tut mir leid, aber ich brauche keine Hebamme«, sagte Dr. Davenport schließlich wie entschuldigend. »Ich ziehe es vor, Entbindungen selbst vorzunehmen.«
»Ich könnte mich anderweitig nützlich machen. Ich habe meinem Vater in der Praxis assistiert und ihn zu Krankenbesuchen begleitet.«
Davenport legte die Schreiben beiseite und sah die junge Dame unverhohlen an. Keine Frage, sie machte einen guten Eindruck, war adrett gekleidet, drückte sich gewählt aus. Und die Empfehlungsschreiben ihrer Lehrer hätten nicht positiver sein können. Eigentlich trug er sich tatsächlich mit dem Gedanken, einen Assistenten anzustellen. Aber doch nicht eine junge Frau!
Der forschende Blick des Arztes war Hannah unangenehm. Also schaute sie sich in der Praxis um. Ihr Blick fiel auf eine kleine Elfenbeinstatue auf seinem Schreibtisch. »Wie hübsch«, sagte sie.
Dr. Davenport nach der etwa acht Zoll hohen Figur. »Antiquitäten sind meine Leidenschaft, Miss Conroy. Diese hier habe ich in einem kleinen Laden in Athen erstanden. Wie mir der Besitzer versicherte, dürfte sie mindestens zweitausend Jahre alt sein.«
»Darf ich?«
»Bitte sehr.« Er reichte sie ihr.
»Entzückend. Wen stellt sie dar?«
»Die Göttin Hygieia.«
»O ja, die Tochter des Asklepius«, sagte Hannah. »Sie passt wunderbar in die Praxis eines Arztes.«
Davenport wölbte die Brauen. »Sie wissen, wer Asklepius war?«
»Bei den alten Griechen war er der Gott der Medizin und Hygieia die Göttin der Gesundheit, Sauberkeit und Hygiene.«
Davenport nickte. »Sie wird angerufen, wenn der frischgebackene Arzt zu seinem hippokratischen Eid anhebt. Eigentlich schade, Miss Conroy, dass Hygieia im Pantheon der Griechen keine herausragende Bedeutung zugestanden wurde. Es war ihr Vater, der die Heilungen vornahm. Hygieia hingegen beugte Krankheiten vor, was in meinen Augen sehr viel wichtiger ist.«
Als Hannah ihm die Statue zurückgab, durchzuckte es Davenport: Diese Miss Conroy ist ihr durchaus ähnlich. Sah man einmal von dem griechischen Gewand ab, war es das in der Mitte gescheitelte und hinten zu einem kunstvollen Knoten zusammengefasste schwarze Haar, das den Arzt zu dieser Parallele anregte, und nicht zuletzt der anmutige schlanke Hals und die fein gemeißelten Gesichtszüge.
Obwohl er beschlossen hatte, Miss Conroy nicht zu engagieren, sagte er jetzt zu seiner eigenen Überraschung: »Zu Ihren Pflichten wird gehören, dass Sie den Fußboden fegen und Staub wischen. Meine Instrumente reinigen. Und dafür sorgen, dass ausreichend Medikamente vorrätig sind. Wenn sich die Patienten an Sie gewöhnt haben, würde ich mich freuen, wenn Sie mir bei verängstigten Kindern und verstörten Frauen zur Hand gehen könnten. Wenn eine Hebamme benötigt wird, können Sie mir assistieren, und danach sehen wir weiter.«
Sie kamen überein, dass Hannah zunächst drei Vormittage in der Woche und nach Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit eventuell zusätzliche Stunden arbeiten würde. Als sie die Praxis verließ, war sie außer sich vor Freude. Ich sollte Neal schreiben, dachte sie, und ihm von meinem Glück berichten.
Und wieder einmal dachte sie an den Kuss, den sie während des Sturms auf der Überfahrt nach Australien getauscht hatten - ein derart von Verzweiflung und Leidenschaft erfüllter Kuss, dass sie beim Gedanken daran ein so übermächtiges wie qualvolles Verlangen überkam, abermals von ihm geküsst zu werden.
Hannah schüttelte den Gedanken ab. Sie wollte sich noch nach einer zusätzlichen Arbeitsstelle umsehen. Der Nächste auf ihrer Liste war Dr. Young.
Als sie auf dessen Haus zuging, sah sie eine prächtige Kutsche auf der Straße warten. Vom Haus her näherte sich eine junge Frau. Das schwarze Kleid, die weiße Schürze und das weiße Häubchen wiesen sie als Dienstmädchen aus. Sie rang die Hände.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, sprach Hannah die junge Frau an.
„Ich weiß nicht, was ich machen soll, Miss. Dr. Youngs Haushälterin sagt, er ist in Sydney. Und Miss Magenta geht's so schlecht, sie kriegen sie einfach nicht wieder wach!«
Hannahs Blick streifte die Kutsche - eindeutig das Gefährt einer wohlhabenden Familie.
»Ich arbeite für Dr. Davenport ...«, fing sie an.
»Der kommt aber nicht!«, fiel ihr das Mädchen ins Wort. »Dr. Young ist der Einzige, der kommen würde!«
»Vielleicht kann ich ja helfen«, erbot sich Hannah und fragte sich, warum das Mädchen so sicher war, dass Dr. Davenport dem Ruf nicht Folge leisten würde. »Mein Name ist Hannah Conroy, ich habe Erfahrung im Umgang mit Kranken.«
Die blauen Augen wurden noch größer. »Sie, Miss?«
»Wie heißen Sie denn?«, fragte Hannah besänftigend.
»Ich bin Alice. Und Miss Magenta braucht unbedingt einen Arzt!«
»Was ist denn passiert?«
»Das wissen wir nicht. Sie hat sich nicht wohlgefühlt, und jetzt wacht sie nicht mehr auf.«
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht zu Dr. Davenport wollen? Seine Praxis ist gleich ...«
»Der kommt nie und nimmer, und alle anderen Ärzte auch nicht!« Weinend fügte Alice hinzu: »Ist doch das Haus von Lulu Forchette«, so als würde dies alles erklären.
»Ich komme mit, Alice. Vielleicht kann ich ja etwas ausrichten.«
Die Fahrt führte aus der Stadt hinaus in eine Hannah noch unbekannte ländliche Gegend. Draußen sah man sanft gewellte grüne Hügel und dazwischen Ackerland und Schafpferche. Als sie einen dicht belaubten Hain passierten, stob eine Schar weißer Kakadus auf, die sich, je mehr sie sich der schräg stehenden Sonne näherten, rosa und orange verfärbten. Jetzt verlangsamte die Kutsche ihr Tempo, um eine schmale Brücke zu überqueren, und Hannah fuhr zusammen, als ein riesengroßes Tier von der Farbe tiefdunkler Orangen mit anmutigen Sprüngen den Weg frei machte. Zum ersten Mal machte sie Bekanntschaft mit einem Känguru.
»Da wären wir, Miss!«, sagte Alice, als die Kutsche die Fahrt verlangsamte und ein elegantes Haus ins Blickfeld kam.
Zwei Stockwerke hoch, mit Veranden und Balkonen, kunstvollen Gittern und schön anzusehenden Säulen, thronte das Haus inmitten von Wiesen und Gärten am Ende einer langen Zufahrt. Als der Kutscher Hannah beim Aussteigen half, hörte sie Musik und lautes Lachen aus den geöffneten Fenstern dringen.
»Hier lang«, wies Alice Hannah den Weg über eine Hintertreppe hinauf in ein Zimmer, in dem mehrere Damen wie aufgescheuchte Hühner herumflatterten. Sie waren allesamt jung, zwei von ihnen in Negligés und Frisierumhänge gehüllt, die Dritte in knielangen Unterhosen und einer Untertaille aus durchbrochener weißer Baumwolle. Sie geleiteten Hannah in ein Schlafzimmer. Auf einem Bett mit tiefroter Tagesdecke lag regungslos eine leichenblasse junge Dame.
Hannah trat an das Bett und griff nach dem Handgelenk der jungen Frau. Als von unten Klaviermusik, gefolgt von sonorem, typisch männlichem Lachen, an ihr Ohr drang, wurde ihr klar, dass dies hier kein gewöhnliches Haus war.
»Wie ist es dazu gekommen?«, fragte sie, während sie den Hals des Mädchens nach einem Pulsschlag abtastete und ihn dann als erschreckend schwach und unregelmäßig befand.
»Sie klagte über Kopfschmerzen«, sagte eines der Mädchen. »Und über Übelkeit.«
Hannah hob Magentas Lider und sah geweitete Pupillen.
»Und sie war sehr durstig, konnte aber kein Wasser trinken«, ergänzte eine andere. Demnach war Magentas Mund ausgetrocknet, und das junge Mädchen litt unter Schluckbeschwerden. Hannah wusste Bescheid. Die gleichen Symptome waren bei einer ihrer Studienkolleginnen in London festzustellen gewesen. Die Unglückliche hatte sich eines Nachts mit Belladonnatinktur betäubt, um die heftigen Krämpfe im Verlauf ihrer Menstruation zu lindern. Wie Miss Magenta hatte sie zu viel Belladonna eingenommen, und obwohl man einen Arzt gerufen hatte, war jedwede Hilfe zu spät gekommen.
»Wir müssen sie wach bekommen«, sagte Hannah. »Und sie dazu bringen, sich zu übergeben.«
»Wir haben bereits versucht, sie zu wecken, Miss. Riechsalz hilft aber nicht.«
Hannah holte ein Fläschchen mit
Salmiakgeist aus ihrer Tasche, entkorkte es und bewegte es unter der Nase des Mädchens hin und her.
Magenta schnappte nach Luft, riss die Augen auf. »Helfen Sie mir, sie in Seitenlage zu betten«, wies Hannah die anderen an. Kaum lag Magenta auf der Seite, zwang Hannah den Mund des Mädchens auseinander und steckte ihr die Finger in den Rachen. Mit angehaltenem Atem verfolgten die Mädchen, wie ihre Freundin sich erbrach, bis ihr Magen völlig leer war. »Jetzt müssen Sie sie zum Aufstehen bewegen und mit ihr hin und her gehen«, sagte Hannah. »Und füllen Sie bitte dieses Glas mit Wasser. Wir müssen ihr Blut verdünnen.«
Nach einer halben Stunde des Hin- und Herlaufens, in der man die benommene Magenta, auf der einen Seite untergehakt von Hannah, auf der anderen von einem der Mädchen, zwang, in Bewegung zu bleiben und ihr Wasser einflößte, waren Puls, Pupillen und Körpertemperatur endlich wieder normal. Hannah setzte das Mädchen in einen Sessel, schärfte den anderen ein, sie wachzuhalten und ständig mit ihr zu sprechen, und bat dann, zum Hausherrn gebracht zu werden.
Wie gerufen stand Alice bereits draußen im Flur. Hannah wurde in einen kleinen Salon geführt.
»Schönen guten Tag auch«, sagte die Gastgeberin. »Ich bin Lulu Forchette.«
Die Besitzerin des Hauses, in schillernde blaue Seide gekleidet, Handgelenke, Finger und den feisten Nacken mit funkelndem Geschmeide geschmückt und Reiherfedern im flammend roten Haar, lehnte in einem Samtsessel, in der einen Hand ein Glas Champagner, in der anderen eine lange Zigarettenspitze.
»Wie mir Alice berichtet hat, ist Magenta mit Ihrer Hilfe wieder über dem Berg. Sie haben ihr das Leben gerettet. Setzen Sie sich doch, meine Liebe, ich möchte alles über Sie und dieses Wunder wissen, das Sie da vollbracht haben!«
Hannah zog das Salmiakgeistfläschchen aus ihrer Tasche und reichte es Lulu, die kurz daran schnupperte und reflexartig zurückwich. »Huch! Mächtig starkes Zeug. Könnten wir hier gut gebrauchen. Meine Mädchen werden hin und wieder ohnmächtig. Weil sie so eng geschnürt sind. Schmale Taillen wirken auf Männer unwiderstehlich.«
Von einer Platte angelte sie sich eine gezuckerte Mandel, steckte sie sich in den Mund und zerkaute sie nachdenklich. »Schon eigenartig, dass ich Alice weggeschickt habe, um einen Arzt zu holen, und sie kommt mit Ihnen zurück. Wer sind Sie eigentlich?«
Hannah berichtete, was sich vor Dr. Youngs Praxis zugetragen hatte, und gab dann Auskunft über sich selbst.
Lulu lachte leise auf. »Eine Hebamme sind Sie also und erst seit kurzem hier. Wahrscheinlich waren Sie bass erstaunt, als Sie bei mir landeten. Jedenfalls haben Sie meinen Kutscher nicht angewiesen, Sie sofort in die Stadt zurückzubringen. Das rechne ich Ihnen hoch an. Auch wenn Sie höchstwahrscheinlich die Nase rümpfen.« Sie hob wie abwehrend die Hand, obwohl Hannah keinen Ton gesagt hatte. »So geht's nun mal in den Kolonien zu. Man stellt fest, dass für irgendwas Bedarf besteht, und füllt diese Lücke. Danke für Ihre Hilfe für Magenta. Möchten Sie nicht zum Abendessen bleiben?«
»Nein danke, ich muss zurück in die Stadt.«
Lulu zog an der Klingelschnur. Gleich darauf erschien Alice, die Hannah zum Ausgang führte. »Sie brauchen nur diesem Weg zu folgen«, sagte sie. »Die Kutsche wartet bereits vorn an der Auffahrt.«
Blumenduft hüllte sie ein, das Zirpen der Grillen und das Quaken der Frösche erfüllte die Luft. Hannah machte sich auf den Weg. Sie dachte an Lulu und Magenta und all die anderen Mädchen da drinnen und an die vornehmen Herren. In Gedanken versunken bemerkte sie nicht die seltsame dunkle Gestalt, die plötzlich vor ihr auftauchte. Erst durch das Knurren wurde sie auf sie aufmerksam.
Sie blieb abrupt stehen. Wie sie im Mondlicht erkennen konnte, besaß der Hund - oder war es ein Fuchs? - ein zotteliges orangefarbenes Fell, eine lange Schnauze und spitz aufgestellte Ohren. Wie versteinert stand Hannah da, als das knurrende Biest zu hecheln anfing und die Zähne fletschte. Sie zwang sich, einen Schritt zurückzuweichen, worauf der Hund sich weiter an sie heranpirschte. Wieder wich Hannah
einen Schritt zurück, wieder kam der Hund knurrend näher. Sie hoffte, es zurück bis zur Küche zu schaffen, dort würden das Licht und der Lärm das Tier bestimmt in die Flucht jagen. Aber beim nächsten Schritt rückwärts stieß sie an einen Baum.
Hannah überlegte, ob ein Hilferuf das Tier verscheuchen oder ob es sie dann angreifen würde, als plötzlich ganz in ihrer Nähe jemand raunte: »Nicht bewegen. Bleiben Sie ganz still stehen.«
Gleich darauf trat ein Mann aus der Dunkelheit und stellte sich vor sie. »Ist ja gut, Freundchen«, sprach er beruhigend auf den Hund ein. »Wir tun dir doch nichts. Wir wollen nur hier vorbei.«
Wer war dieser Fremde? Er war von der Straße her gekommen und keineswegs gekleidet wie die Gentlemen in Lulus Haus, sondern eher wie ein Arbeiter. Auf dem Kopf trug er einen Schlapphut mit breiter Krempe, und er roch nach Tabak.
»Tut mir leid, dass wir in dein Territorium eingedrungen sind«, redete er auf den Hund ein, »aber so ist's nun mal. Wir bleiben trotzdem Freunde, ja?«
Die unheimliche Begegnung schien sich endlos hinzuziehen und unwirklich zu werden. Von Blumenduft eingehüllt, konnte Hannah vom Haus her Musik und Lachen vernehmen, derweil ein Fremder zwischen ihr und einem wilden, zähnefletschenden Hund stand.
Und dann hörte das Knurren auf, das Hecheln verstummte, und gleich darauf machte der Hund kehrt und vertrollte sich in die Nacht.
Der Unbekannte wandte sich Hannah zu. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Sie stieß einen Seufzer aus. »Mein Herz klopft wie verrückt! Aber danke für das, was Sie getan haben.«
Er warf einen Blick zurück in die Dunkelheit. »Sie begreifen eben nicht, dass dies nicht mehr ihr Territorium ist. Jetzt, da ihr Jagdrevier weg ist, durchwühlen sie die Abfälle, auf der Suche nach Fressen.«
»Was für ein Hund war das?«
»Die Aborigines bezeichnen ihn als Dingo. Himmel nochmal, wo bleiben meine Manieren? Jamie O'Brien, zu Ihren Diensten«, sagte der Fremde und lüpfte grinsend den Hut.
Zum Vorschein kam blondes Haar, und unter der breiten Hutkrempe waren jetzt zwinkernde Augen auszumachen. Mr. O'Briens Haut war wettergegerbt wie die eines Seemanns, er überragte sie um Haupteslänge, war aber weder stämmig noch breitschultrig, sondern eher drahtig. Die Ärmel seines Hemdes waren hochgekrempelt und gaben muskulöse Unterarme frei. Trotz seines schlanken Körperbaus spürte Hannah die Kraft, die ihm innewohnte.
Sie merkte, dass er sie irgendwie merkwürdig ansah. Er hatte ihr seinen Namen genannt und schien auf eine Reaktion zu warten. Sollte sie wissen, wer er war? Dann fiel ihr ein, dass er, nachdem er sich vorgestellt hatte, seinerseits ihren Namen erfahren wollte. »Hannah Conroy«, sagte sie zu dem Fremden, der so dicht vor ihr stand, dass sie von dem Baum, an dem sie noch immer lehnte, nicht wegrücken konnte. Seine Augen ließen ihre nicht los, und sie sah das amüsierte Zwinkern in den Augenwinkeln.
»Was hat eine anständige junge Dame wie Sie an einem Ort wie diesem zu suchen?«, fragte er und sah an ihr vorbei zum Haus.
Sie erklärte, dass sie Hebamme sei und man sie zu einem der Mädchen gerufen habe.
Er warf einen Blick auf die Tasche in ihrer Hand, und um seine Augenwinkel zuckte es belustigt. »Für jemanden in Lutus Haus?«
»Eine der Damen war ohnmächtig.«
»Ach so.« Er schwieg, und Hannah sah, wie sich seine blauen Augen verdunkelten.
»Nochmals vielen Dank, dass Sie den Hund verscheucht haben«, sagte sie und schaute nach rechts und links, um so geschickt wie möglich an ihm vorbeizukommen. Sein freimütiger Blick, der jetzt so ernst geworden war, jagte Hannah einen Schreck ein. Konnte ihr dieser Mann gefährlich werden?
Umso überraschter war sie, als er von einem Busch in der Nähe eine Rose pflückte und sie ihr überreichte. »Die Aborigines sagen, dass Blumen von ihren Ahnen in der Traumzeit erschaffen wurden, also vor langer, langer Zeit. Die Ahnen verfügten über magische Kräfte, und alles, was sie taten oder dachten, nahm unwillkürlich Gestalt an. Es heißt, dass jedes Mal, wenn ein Ahne lachte, eine Blume entstand. Und weil die Menschen im Frühjahr häufiger lachen, gibt es im Frühjahr auch mehr Blumen.«
Jamie O'Briens Akzent faszinierte sie. In dieser Kolonie kamen Einwanderer aus dem gesamten britischen Königreich zusammen, so dass man jede Menge Akzente hörte. Jetzt kam für Hannah ein neuer Akzent hinzu, der von den wenigen gesprochen wurde, die hier geboren waren. Ihr Retter war also höchstwahrscheinlich kein Neuankömmling, sondern hatte hier in Australien das Licht der Welt erblickt. Und das war in der Kolonie eine Seltenheit.
Mit einem Mal strahlte der Abend einen eigenartigen Zauber aus. Hannahs Mieder war eng und zwängte sie ein, Unterröcke und Reifrock behinderten sie. Die Nähe des Fremden, der sie unverhohlen musterte, verursachte ihr heftiges Herzklopfen. Nein, ein Gentleman war er nicht. Und doch schien er zu dieser Nacht, in diese Umgebung zu passen. Erregung lag in der Luft, und sie ging auch von ihm aus.
»Ich muss gehen«, flüsterte sie. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sie musste förmlich nach Luft ringen.
Er starrte sie weiterhin an, dann kehrte sein Lächeln zurück, grub zusätzliche Fältchen in sein markantes Gesicht. Er trat beiseite, tippte an seinen Hut. »War mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Miss Hebamme. Ich hoffe sehr, dass wir uns mal wieder begegnen.«
Damit schlug Jamie O'Brien den Weg zum Haus von Lulu Forchette ein, und Hannah hörte den Kutscher rufen: »Miss? Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Der Zauber war verflogen.
© S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
... weniger
Autoren-Porträt von Barbara Wood
Barbara Wood wurde in England geboren, lebt aber seit ihrer Kindheit in den Vereinigten Staaten. Sie arbeitete u.a. als Kellnerin und Hunde-Sitterin, dann zehn Jahre lang als technische Assistentin im OP-Bereich eines Krankenhauses. Seit 1980 widmete sie sich dem Schreiben. Die Recherchen für ihre Bücher führten sie um die ganze Welt. Barbara Woods Romane sind internationale Bestseller und in 30 Sprachen übersetzt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Barbara Wood
- 2010, 560 Seiten, Maße: 14,7 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Veronika Cordes
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810523690
- ISBN-13: 9783810523693
Kommentare zu "Dieses goldene Land"
0 Gebrauchte Artikel zu „Dieses goldene Land“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Dieses goldene Land".
Kommentar verfassen