Don't worry, be sixty
Wie Sie mit 60 die Welt ganz neu entdecken ein Buch wie eine beste Freundin: witzig, ehrlich und voller Rat.
Da ist frau gerade mal über die 50er Krise hinweg, schon ist sie 60. Dass das aber ganz wunderbar und spannend sein...
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Produktinformationen zu „Don't worry, be sixty “
Wie Sie mit 60 die Welt ganz neu entdecken ein Buch wie eine beste Freundin: witzig, ehrlich und voller Rat.
Da ist frau gerade mal über die 50er Krise hinweg, schon ist sie 60. Dass das aber ganz wunderbar und spannend sein kann, beweist Margit Schönberger. Ab 60 ist nämlich die Zeit des Suches vorbei. Man ist wer und ist nun selber als Ratgeberin gefragt.
Lese-Probe zu „Don't worry, be sixty “
Don't worry, be sixty von Margit SchönbergerVorwort
Als mir ein Panther in Paris zum 61. gratulierte
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Wir liefen durch Paris. Es roch nach Frühling. Im Garten des Palais Royal dufteten die voll erblühten Hyazinthen, während wir im Restaurant in der Sonne saßen und auf unser Essen warteten. Auf der Brücke hinter Notre-Dame hörten wir einer sensationellen US-Jazz-Band zu - lauter leicht ergraute Wölfe wie wir -, die Cafés und Restaurants waren voll besetzt und alles spielte sich bis in den späten Abend hinein im Freien ab. So feierten wir drei Tage lang meinen einundsechzigsten Geburtstag, in Erinnerung daran, dass wir das auch mit meinem fünfzigsten so gehalten hatten. Dass wir die Feier meines sechzigsten Geburtstags ein Jahr zuvor mehr oder weniger ausgelassen hatten, lag an mir - irgendwie schien es mir nicht wichtig, diese frischgebackene Sechs vor der Null groß zur Kenntnis zu nehmen.
Paris hatte sich im Vergleich zu damals nicht verändert. Aber ich, das bemerkte ich schnell. Denn im entzückenden Hotel in der Rue Racine, ein paar Gehminuten hinter dem Jardin du Luxem bourg, inspizierte ich nicht zuerst die Aussicht, wie ich das früher getan hätte, sondern die Qualität der Betten und das Bad. Es fiel alles zu meiner vollen Zufriedenheit aus und - o Wunder! - es waren sogar genügend Kleiderbügel im Schrank.
Natürlich hatte ich ausschließlich bequeme, flache Schuhe dabei. Kein Kunststück, ich besitze ohnedies nur mehr bequeme, flache Schuhe. Die Wiedereroberung der Stadt konnte also beginnen. Als Erstes und sozusagen zur »Einübung« der Touren auf Schusters Rappen - ich bin eine Computer-Arbeiterin und ein Couchpotato, demnach nicht sehr geübt als Tourengeherin - setzten die uns begleitenden Freunde und mein Mann einen Besuch des Botanischen Gartens auf den Plan. Der sei vom Jardin du Luxembourg nur fünfzehn bis zwanzig Gehminuten entfernt, würde mich also nicht gleich überfordern. Außerdem könnten wir dort am schnellsten feststellen, wie weit der Frühling in Paris schon gediehen sei (während es zu Hause - wie wir hörten - noch einmal zwanzig Zentimeter Schnee in die Vorgärten gehäuft hatte). Das schien mir ein guter Plan zu sein und vor allem freute ich mich auf den am Botanischen Garten gelegenen Zoo. Nicht wegen des Zoos an sich - mir tun eingesperrte Tiere eigentlich leid, egal ob es Hühner, Affen oder Zebras sind -, sondern wegen des Panthergeheges, das Rainer Maria Rilke zu seinem berühmten »Stäbe«-Gedicht angeregt hat. Rilke ist einer meiner Lieblingslyriker, und in die Traurigkeit seines Panthers bin ich von jeher verliebt gewesen.
Um es vorwegzunehmen: Ich habe den Nachfahren des Rilke'schen Panthers gesehen und auch ein paar Tränen der Rührung nicht unterdrücken können. Es waren aber auch ein paar dabei, die sich auf meine Füße bezogen. Denn der Botanische Garten war natürlich mitnichten »nur fünfzehn bis zwanzig Minuten« von unserem Startpunkt entfernt. Es war mindestens doppelt so weit, zumindest »gefühlt«, für mich faulen, quasi »fußlosen« Sitzmenschen. Beim letzten Parisbesuch hätten mir dieser Weg und das Herumwandern im Zoo keinen Ton entlockt, aber elf Jahre später und etliche Kilo schwerer (aber darüber decken wir gnädig den Mantel des Schweigens) protestierten meine Füße. Sie hatten sich offenbar doch nicht mit den wirklich bequemen Schuhen anfreunden können, und die Hitze der Blasenbildung an Ferse und seitlich am Rist lenkte mich gehörig vom Schauen, Riechen und Hören ab. Ich fühlte mich insgeheim als Held, während wir an der Seine entlang Richtung Notre-Dame zurückgingen - und musste so auf drastische Weise erfahren, dass zwischen dem fünfzigsten und dem einundsechzigsten Geburtstag elf Jahre liegen, die durchaus ihre Wirkung zeigen.
In den nächsten Tagen ließ ich mich nicht mehr auf die Zeitangaben der leichtfüßigen Begleit-Gazellen ein, und der Weg zum Eiffelturm bzw. zu einer benachbarten (wunderbaren) Ausstellung über das vergangene »Jahrhundert des Jazz in Paris« wurde kein Gang, sondern eine Fahrt. Allerdings beflügelte mich das Thema Jazz so sehr, dass ich zur Angeberin wurde und von mir aus vorschlug, zurück nach Saint Germain zu Fuß zu gehen. Meine Füße waren prompt stocksauer und spätestens beim Invalidendom invalide. Hinzu kam, dass meine Pfadfinder ihre Schritte auch noch durch Straßen lenkten, die schaufenstermäßig völlig uninteressant waren. Ohne jede Ablenkung war ich so dem inneren Dialog mit meinen heißen Sohlen ausgeliefert.
Paris war dennoch wunderschön. Der einundsechzigste Geburtstag in dieser Stadt wird mir so unvergesslich bleiben wie schon der fünfzigste. Und wenn ich davon ausgehe, dass nur wenige Menschen so schwer (aus gutem Grund bin ich auch die Autorin des »Diätenhasser-Buches«) und unsportlich sind wie ich, kann ich nur sagen: Es gibt keinen großen Unterschied zwischen dem fünfzigsten und dem einundsechzigsten Geburtstag. Also lehnen Sie sich zurück, entspannen Sie sich und lassen Sie diese Sechs vor der Null auf sich zukommen.
1
Sechzig Jahre und kein bisschen weise ...
Ich bin noch in einer Familie aufgewachsen, in der alle Altersgruppen miteinander lebten. Großeltern, Tanten und Onkel, meine Eltern und meine jüngeren Geschwister - und ich. Die Mutter meiner Mutter war klein und zierlich, und sie hatte mir schon früh alles beigebracht, was ich über Blumen und Pflanzen wusste. Unkraut jäten, Salatpflänzchen setzen, Äpfel-, Birnen- und Kirschenpflücken waren alles Aufgaben, bei denen sie mich anleitete. Sie behandelte mich nicht wie ein kleines Kind. Nie habe ich von ihr gehört: »Dazu bist du noch zu klein!« Sie fand immer Aufgaben für mich, die ich bewältigen konnte, die meinen Tatendrang befriedigten und mein Selbstbewusstsein stärkten. Wenn sie zusammen mit meiner Mutter Kompott und Marmelade einmachte oder Saft herstellte, durfte ich mitmachen und die kleinen Schildchen bemalen und später, als ich schreiben konnte, auch beschriften. Ich durfte mit meiner Großmutter die Hühner füttern, die kleinen Küken unter der Wärmelampe im Hühnerstall beobachten und sie auch anfassen. Großmutter wusste, wie man Pappmaché herstellt, und sie zeigte es mir. Sie hat die schönsten Fingerpuppen für unser Kasperltheater hergestellt und ließ sie mich bemalen, während sie die Kleider für die Figuren nähte. Unsere Puppen konnten sicher nicht mit denen des berühmten Salzburger Marionettentheaters konkurrieren, dennoch waren es in meinen Augen die schönsten, die ich je gesehen habe. Sie waren eben von meiner Großmutter und mir zusammen gemacht. Wer hätte uns beide übertreffen können? Damals war sie sechzig Jahre alt. Ihr graues Haar trug sie im Nacken zusammengerollt. Ihre Kleidung war meist dunkel und sie band darüber - wie alle Frauen, die vom Land kamen - immer eine Schürze. Zur Arbeit eine dunkle, ganz klein gemusterte und für Feiertage und Sonntag eine schwarze, glänzende oder weiße aus Leinen. Während meine Mutter wunderbare Pumps besaß - mit denen ich herumstöckelte, wenn sie es nicht beobachten konnte -, hatte Großmutter immer Pantoffel an den Füßen und bei der Gartenarbeit Holzschuhe. Für Stadtgänge besaß sie feste Halbschuhe, die zweckdienlich waren, aber mit Schuhmode nicht viel zu tun hatten. So war sie, meine geliebte Großmutter, die erste sechzigjährige Frau in meinem Leben.
Fünf Jahre nach Großmutters Tod kam ich als frisch gebackene Verlagskauffrau nach München. Und nach ein paar Zwischenstationen wurde ich in der Presseabteilung des Verlages angestellt, in dem auch dieses Buch erscheint (was ich mir damals nicht hätte träumen lassen!). Dort begegnete mir eine sechzigjährige Frau von ganz anderer Art. Eine, die ich mit meiner Großmutter viele Jahre zuvor in Nachmittagsvorstellungen unseres Salzburger Vorstadtkinos zusammen mit Leinwandstars wie Curd Jürgens, Romy Schneider, Clark Gable, James Mason, Jean Gabin oder Charles Boyer auf der Leinwand bewundert hatte: Lilli Palmer. Sie hatte ihre Memoiren geschrieben: »Dicke Lilli, gutes Kind«. Und meine Aufgabe war es, für die berühmte Schauspielerin Interviews zu arrangieren und sie auf einer Signiertournee durch Deutschland zu begleiten. Nichts an dieser Frau erinnerte mich an meine Großmutter: Lilli Palmer wirkte viel jünger und war eher mit meiner schönen, zwanzig Jahre jüngeren Mutter zu vergleichen. So fiel mir zum ersten Mal auf, dass sechzig nicht gleich sechzig ist. Natürlich lag das auch an Lilli Palmers schönen Kleidern, ihrer raffiniert-zurückhaltenden Art, sich zu schminken, und daran, dass dieser große Star sich niemals auf Feldern und in Kuh- und Pferdeställen hatte abarbeiten müssen. Aber eines hatte Lilli Palmer doch mit meiner Großmutter gemeinsam: die Altersflecken auf ihren Handrücken. Dazu war sie stets freundlich und zugewandt und behandelte mich zu keiner Zeit wie einen unerfahrenen Dienstboten. Eine ähnliche Erfahrung hatte ich schon ein oder zwei Jahre zuvor mit der allerdings viel jüngeren Hildegard Knef machen können, die sich ebenfalls niemals arrogant und überheblich gebärdete, während wir bei der Präsentation ihres Bestsellers »Der geschenkte Gaul« zusammengearbeitet hatten.
Ich hatte bei meinem Berufsstart also Glück mit den Prominenten - was mich lehrte, dass wirkliche Stars im Alltag ganz normale, relativ unkomplizierte Leute sind, die es nicht notwendig haben, andere Menschen gering zu achten und herumzuscheuchen. Da habe ich in späteren Jahren mit weniger berühmten ganz anderes erlebt!
Die junge Sechzigerin Lilli Palmer hat mich nicht nur durch ihr äußeres Beispiel einiges gelehrt, was ich fürs Leben brauchen konnte. Zum Beispiel den Umgang mit Liebeskummer. Die erste Lektion war, dass man den überhaupt im Alter von sechzig Jahren noch haben konnte. Ein Thema, das selbstverständlich bei meiner Großmutter nie eines war. (Obwohl sie viel Grund dafür gehabt hätte, wie mir meine Mutter erst vor ein paar Jahren erzählte.) Und die zweite Lektion bestand darin, wie man mit Liebeskummer umzugehen hat. Natürlich wusste ich aus ihrem Buch, für das wir gemeinsam unterwegs durch Deutschland waren, von ihrer unglücklichen Ehe mit Rex Harrison, die nach einem Selbstmordskandal einer seiner Geliebten geendet hatte. Bei langen Autofahrten kommen Menschen immer ins Erzählen, und selbst für mich, die damals noch junge, relativ unerfahrene Frau, war aus Lilli Palmers Anekdoten und Geschichten herauszuhören, dass diese verlorene Liebe und Ex-Ehe noch immer schmerzhaft an ihr nagte. Und dass sie eine gewisse, damit zusammenhängende Nervosität auch auf ihre neue Beziehung mit dem argentinischen Schauspieler Carlos Thompson übertrug. Wie entschuldigend bemerkte sie einmal während einer dieser langen Autofahrten, dass es auch einer ihrer Freundinnen, einer sehr bekannten und sehr viel älteren Opernsängerin genauso ginge. Man könne und dürfe sich eben eines Partners, egal wie alt oder jung, nie sicher sein. Und dass es wichtig sei, sich neben der Liebe auch auf die eigene Intelligenz und vor allem auf den Beruf - »als Berufung«, wie sie es sagte - zu konzentrieren. Man solle diesen Beruf nicht als »Nebeneffekt« im Leben betrachten, sonst liefere man sein Herz schutzlos seinen Gefühlen aus. Die Leidenschaft für den Beruf und das Zusammentreffen und -sein mit klugen und interessanten Menschen könne viele emotionale Wunden heilen.
Das war eine wichtige Lektion, die ich von dieser sechzigjährigen Frau und Künstlerin gelernt und mir gemerkt habe. Heute, selbst schon sechzig geworden, weiß ich natürlich auch, dass ein Partner nicht der Ersatz für eigene Eigenschaften, den eigenen fehlenden Antrieb oder gar für Emotionen sein kann und darf. Oder so wie im Fall meiner ersten Ehe, der Anlass, von zu Hause wegzukommen. Es stimmt zwar, dass »niemand eine Insel ist«. Wir Menschen sind »Rudeltiere« und brauchen einander. Aber es stimmt auch, dass wir zunächst herausfinden sollten, ja sogar müssen, wer wir sind, was wir wollen und dadurch erfahren, dass wir eigenständige Wesen sind, die auch jeder für sich mit dem Leben zurechtkommen. Nur dann ist soziales Zusammenleben im Großen wie im Kleinen möglich. Der Spruch: »Ich liebe dich nicht, weil ich dich brauche, sondern ich brauche dich, weil ich dich liebe« mag ja ein wenig pathetisch und kitschig klingen - wahr ist er trotzdem.
Nur ein halbes Jahr nach der Begegnung mit Lilli Palmer kam der nächste, ebenfalls gerade sechzig Jahre alt gewordene Weltstar auf mich zu: Curd Jürgens, der »normannische Kleiderschrank«, wie er von Brigitte Bardot genannt wurde. Auch seine Memoiren »Sechzig Jahre und kein bisschen weise« erschienen im Droemer Verlag, für den ich damals arbeitete. Und auch er hatte genauso wenig mit meinem Großvater gemein wie Lilli Palmer mit meiner Großmutter. Mein über alles geliebter Großvater war für mich bis zu dem Tag, als ich den Mann traf, mit dem ich heute glücklich verheiratet bin, das Maß aller Menschen. Aller Männer jedenfalls. Auch er war groß und breit und auch er sah gut aus, so wie Curd Jürgens, wenn auch natürlich auf ganz andere Weise. Aber vor allem hat er mir das Urvertrauen in die Welt und die Menschen geschenkt. Eine meiner am weitesten zurückliegenden Erinnerungen hat mit ihm zu tun: Ich muss drei oder vier gewesen sein, da setzte er mich bei der Heuernte auf den Rücken unseres Zugpferdes Lisa. Ich spüre heute noch seine feste, zupackende Hand in meinem Rücken, die mich stützte. Voller Stolz »ritt« ich auf dem Pferderücken in den Hof ein. Der Vater meiner Mutter war unumstritten das weißgekrönte Oberhaupt unserer Familie (noch bis weit in meine vierziger Jahre zogen große, weißhaarige Männer meine Blicke magnetisch an), er galt als unser aller Beschützer vor allem Unbill des Lebens, allein durch sein Dasein. Dass er mich damals auf den Rücken seines Lieblingspferdes setzte, als wir noch auf seinem Bauernhof und Landgasthof wohnten, stärkte mein seelisches Immunsystem für das ganze Leben. Er zeigte aller Welt, wie stolz er auf mich war, sein erstes Enkelkind. Das blieb immer so, und er hat mich gelehrt, wie es sich anfühlt, wenn man sehr geliebt wird. Das Wissen darum habe ich zwar auch von allen anderen Familienmitgliedern erfahren, aber Großelternliebe ist einfach etwas ganz Besonderes, und Großvaters Liebe für das kleine Mädchen zumal. Anfang der fünfziger Jahre lebten wir immer noch in einer von Männern geprägten Welt, und Mädchen kamen eigentlich immer erst an zweiter Stelle. So hat mich seine Liebe zwei Dinge gelehrt: Dass man der Welt vertrauen kann und dass es Menschen gibt, auf die man sich verlassen kann. Curd Jürgens war zwar im Alter meines Kindheits-Großvaters, unterschied sich aber dennoch erheblich von ihm. Auch er hatte, so wie Lilli Palmer, wohl nie schwer arbeiten müssen, trug feine Anzüge und hatte eine Weltläufigkeit an sich, die mich sehr beeindruckte. Er war ebenfalls freundlich und diszipliniert, was bei jeder Lesereise höchst angenehm ist und die Arbeit sehr erleichtert. Und auch von Curd Jürgens habe ich ein paar Lehren fürs Leben bezogen: den Wert von Diskretion, Aufrichtigkeit und Toleranz. Alle drei Dinge haben mit konkreten Situationen zu tun:
...
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Wir liefen durch Paris. Es roch nach Frühling. Im Garten des Palais Royal dufteten die voll erblühten Hyazinthen, während wir im Restaurant in der Sonne saßen und auf unser Essen warteten. Auf der Brücke hinter Notre-Dame hörten wir einer sensationellen US-Jazz-Band zu - lauter leicht ergraute Wölfe wie wir -, die Cafés und Restaurants waren voll besetzt und alles spielte sich bis in den späten Abend hinein im Freien ab. So feierten wir drei Tage lang meinen einundsechzigsten Geburtstag, in Erinnerung daran, dass wir das auch mit meinem fünfzigsten so gehalten hatten. Dass wir die Feier meines sechzigsten Geburtstags ein Jahr zuvor mehr oder weniger ausgelassen hatten, lag an mir - irgendwie schien es mir nicht wichtig, diese frischgebackene Sechs vor der Null groß zur Kenntnis zu nehmen.
Paris hatte sich im Vergleich zu damals nicht verändert. Aber ich, das bemerkte ich schnell. Denn im entzückenden Hotel in der Rue Racine, ein paar Gehminuten hinter dem Jardin du Luxem bourg, inspizierte ich nicht zuerst die Aussicht, wie ich das früher getan hätte, sondern die Qualität der Betten und das Bad. Es fiel alles zu meiner vollen Zufriedenheit aus und - o Wunder! - es waren sogar genügend Kleiderbügel im Schrank.
Natürlich hatte ich ausschließlich bequeme, flache Schuhe dabei. Kein Kunststück, ich besitze ohnedies nur mehr bequeme, flache Schuhe. Die Wiedereroberung der Stadt konnte also beginnen. Als Erstes und sozusagen zur »Einübung« der Touren auf Schusters Rappen - ich bin eine Computer-Arbeiterin und ein Couchpotato, demnach nicht sehr geübt als Tourengeherin - setzten die uns begleitenden Freunde und mein Mann einen Besuch des Botanischen Gartens auf den Plan. Der sei vom Jardin du Luxembourg nur fünfzehn bis zwanzig Gehminuten entfernt, würde mich also nicht gleich überfordern. Außerdem könnten wir dort am schnellsten feststellen, wie weit der Frühling in Paris schon gediehen sei (während es zu Hause - wie wir hörten - noch einmal zwanzig Zentimeter Schnee in die Vorgärten gehäuft hatte). Das schien mir ein guter Plan zu sein und vor allem freute ich mich auf den am Botanischen Garten gelegenen Zoo. Nicht wegen des Zoos an sich - mir tun eingesperrte Tiere eigentlich leid, egal ob es Hühner, Affen oder Zebras sind -, sondern wegen des Panthergeheges, das Rainer Maria Rilke zu seinem berühmten »Stäbe«-Gedicht angeregt hat. Rilke ist einer meiner Lieblingslyriker, und in die Traurigkeit seines Panthers bin ich von jeher verliebt gewesen.
Um es vorwegzunehmen: Ich habe den Nachfahren des Rilke'schen Panthers gesehen und auch ein paar Tränen der Rührung nicht unterdrücken können. Es waren aber auch ein paar dabei, die sich auf meine Füße bezogen. Denn der Botanische Garten war natürlich mitnichten »nur fünfzehn bis zwanzig Minuten« von unserem Startpunkt entfernt. Es war mindestens doppelt so weit, zumindest »gefühlt«, für mich faulen, quasi »fußlosen« Sitzmenschen. Beim letzten Parisbesuch hätten mir dieser Weg und das Herumwandern im Zoo keinen Ton entlockt, aber elf Jahre später und etliche Kilo schwerer (aber darüber decken wir gnädig den Mantel des Schweigens) protestierten meine Füße. Sie hatten sich offenbar doch nicht mit den wirklich bequemen Schuhen anfreunden können, und die Hitze der Blasenbildung an Ferse und seitlich am Rist lenkte mich gehörig vom Schauen, Riechen und Hören ab. Ich fühlte mich insgeheim als Held, während wir an der Seine entlang Richtung Notre-Dame zurückgingen - und musste so auf drastische Weise erfahren, dass zwischen dem fünfzigsten und dem einundsechzigsten Geburtstag elf Jahre liegen, die durchaus ihre Wirkung zeigen.
In den nächsten Tagen ließ ich mich nicht mehr auf die Zeitangaben der leichtfüßigen Begleit-Gazellen ein, und der Weg zum Eiffelturm bzw. zu einer benachbarten (wunderbaren) Ausstellung über das vergangene »Jahrhundert des Jazz in Paris« wurde kein Gang, sondern eine Fahrt. Allerdings beflügelte mich das Thema Jazz so sehr, dass ich zur Angeberin wurde und von mir aus vorschlug, zurück nach Saint Germain zu Fuß zu gehen. Meine Füße waren prompt stocksauer und spätestens beim Invalidendom invalide. Hinzu kam, dass meine Pfadfinder ihre Schritte auch noch durch Straßen lenkten, die schaufenstermäßig völlig uninteressant waren. Ohne jede Ablenkung war ich so dem inneren Dialog mit meinen heißen Sohlen ausgeliefert.
Paris war dennoch wunderschön. Der einundsechzigste Geburtstag in dieser Stadt wird mir so unvergesslich bleiben wie schon der fünfzigste. Und wenn ich davon ausgehe, dass nur wenige Menschen so schwer (aus gutem Grund bin ich auch die Autorin des »Diätenhasser-Buches«) und unsportlich sind wie ich, kann ich nur sagen: Es gibt keinen großen Unterschied zwischen dem fünfzigsten und dem einundsechzigsten Geburtstag. Also lehnen Sie sich zurück, entspannen Sie sich und lassen Sie diese Sechs vor der Null auf sich zukommen.
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Sechzig Jahre und kein bisschen weise ...
Ich bin noch in einer Familie aufgewachsen, in der alle Altersgruppen miteinander lebten. Großeltern, Tanten und Onkel, meine Eltern und meine jüngeren Geschwister - und ich. Die Mutter meiner Mutter war klein und zierlich, und sie hatte mir schon früh alles beigebracht, was ich über Blumen und Pflanzen wusste. Unkraut jäten, Salatpflänzchen setzen, Äpfel-, Birnen- und Kirschenpflücken waren alles Aufgaben, bei denen sie mich anleitete. Sie behandelte mich nicht wie ein kleines Kind. Nie habe ich von ihr gehört: »Dazu bist du noch zu klein!« Sie fand immer Aufgaben für mich, die ich bewältigen konnte, die meinen Tatendrang befriedigten und mein Selbstbewusstsein stärkten. Wenn sie zusammen mit meiner Mutter Kompott und Marmelade einmachte oder Saft herstellte, durfte ich mitmachen und die kleinen Schildchen bemalen und später, als ich schreiben konnte, auch beschriften. Ich durfte mit meiner Großmutter die Hühner füttern, die kleinen Küken unter der Wärmelampe im Hühnerstall beobachten und sie auch anfassen. Großmutter wusste, wie man Pappmaché herstellt, und sie zeigte es mir. Sie hat die schönsten Fingerpuppen für unser Kasperltheater hergestellt und ließ sie mich bemalen, während sie die Kleider für die Figuren nähte. Unsere Puppen konnten sicher nicht mit denen des berühmten Salzburger Marionettentheaters konkurrieren, dennoch waren es in meinen Augen die schönsten, die ich je gesehen habe. Sie waren eben von meiner Großmutter und mir zusammen gemacht. Wer hätte uns beide übertreffen können? Damals war sie sechzig Jahre alt. Ihr graues Haar trug sie im Nacken zusammengerollt. Ihre Kleidung war meist dunkel und sie band darüber - wie alle Frauen, die vom Land kamen - immer eine Schürze. Zur Arbeit eine dunkle, ganz klein gemusterte und für Feiertage und Sonntag eine schwarze, glänzende oder weiße aus Leinen. Während meine Mutter wunderbare Pumps besaß - mit denen ich herumstöckelte, wenn sie es nicht beobachten konnte -, hatte Großmutter immer Pantoffel an den Füßen und bei der Gartenarbeit Holzschuhe. Für Stadtgänge besaß sie feste Halbschuhe, die zweckdienlich waren, aber mit Schuhmode nicht viel zu tun hatten. So war sie, meine geliebte Großmutter, die erste sechzigjährige Frau in meinem Leben.
Fünf Jahre nach Großmutters Tod kam ich als frisch gebackene Verlagskauffrau nach München. Und nach ein paar Zwischenstationen wurde ich in der Presseabteilung des Verlages angestellt, in dem auch dieses Buch erscheint (was ich mir damals nicht hätte träumen lassen!). Dort begegnete mir eine sechzigjährige Frau von ganz anderer Art. Eine, die ich mit meiner Großmutter viele Jahre zuvor in Nachmittagsvorstellungen unseres Salzburger Vorstadtkinos zusammen mit Leinwandstars wie Curd Jürgens, Romy Schneider, Clark Gable, James Mason, Jean Gabin oder Charles Boyer auf der Leinwand bewundert hatte: Lilli Palmer. Sie hatte ihre Memoiren geschrieben: »Dicke Lilli, gutes Kind«. Und meine Aufgabe war es, für die berühmte Schauspielerin Interviews zu arrangieren und sie auf einer Signiertournee durch Deutschland zu begleiten. Nichts an dieser Frau erinnerte mich an meine Großmutter: Lilli Palmer wirkte viel jünger und war eher mit meiner schönen, zwanzig Jahre jüngeren Mutter zu vergleichen. So fiel mir zum ersten Mal auf, dass sechzig nicht gleich sechzig ist. Natürlich lag das auch an Lilli Palmers schönen Kleidern, ihrer raffiniert-zurückhaltenden Art, sich zu schminken, und daran, dass dieser große Star sich niemals auf Feldern und in Kuh- und Pferdeställen hatte abarbeiten müssen. Aber eines hatte Lilli Palmer doch mit meiner Großmutter gemeinsam: die Altersflecken auf ihren Handrücken. Dazu war sie stets freundlich und zugewandt und behandelte mich zu keiner Zeit wie einen unerfahrenen Dienstboten. Eine ähnliche Erfahrung hatte ich schon ein oder zwei Jahre zuvor mit der allerdings viel jüngeren Hildegard Knef machen können, die sich ebenfalls niemals arrogant und überheblich gebärdete, während wir bei der Präsentation ihres Bestsellers »Der geschenkte Gaul« zusammengearbeitet hatten.
Ich hatte bei meinem Berufsstart also Glück mit den Prominenten - was mich lehrte, dass wirkliche Stars im Alltag ganz normale, relativ unkomplizierte Leute sind, die es nicht notwendig haben, andere Menschen gering zu achten und herumzuscheuchen. Da habe ich in späteren Jahren mit weniger berühmten ganz anderes erlebt!
Die junge Sechzigerin Lilli Palmer hat mich nicht nur durch ihr äußeres Beispiel einiges gelehrt, was ich fürs Leben brauchen konnte. Zum Beispiel den Umgang mit Liebeskummer. Die erste Lektion war, dass man den überhaupt im Alter von sechzig Jahren noch haben konnte. Ein Thema, das selbstverständlich bei meiner Großmutter nie eines war. (Obwohl sie viel Grund dafür gehabt hätte, wie mir meine Mutter erst vor ein paar Jahren erzählte.) Und die zweite Lektion bestand darin, wie man mit Liebeskummer umzugehen hat. Natürlich wusste ich aus ihrem Buch, für das wir gemeinsam unterwegs durch Deutschland waren, von ihrer unglücklichen Ehe mit Rex Harrison, die nach einem Selbstmordskandal einer seiner Geliebten geendet hatte. Bei langen Autofahrten kommen Menschen immer ins Erzählen, und selbst für mich, die damals noch junge, relativ unerfahrene Frau, war aus Lilli Palmers Anekdoten und Geschichten herauszuhören, dass diese verlorene Liebe und Ex-Ehe noch immer schmerzhaft an ihr nagte. Und dass sie eine gewisse, damit zusammenhängende Nervosität auch auf ihre neue Beziehung mit dem argentinischen Schauspieler Carlos Thompson übertrug. Wie entschuldigend bemerkte sie einmal während einer dieser langen Autofahrten, dass es auch einer ihrer Freundinnen, einer sehr bekannten und sehr viel älteren Opernsängerin genauso ginge. Man könne und dürfe sich eben eines Partners, egal wie alt oder jung, nie sicher sein. Und dass es wichtig sei, sich neben der Liebe auch auf die eigene Intelligenz und vor allem auf den Beruf - »als Berufung«, wie sie es sagte - zu konzentrieren. Man solle diesen Beruf nicht als »Nebeneffekt« im Leben betrachten, sonst liefere man sein Herz schutzlos seinen Gefühlen aus. Die Leidenschaft für den Beruf und das Zusammentreffen und -sein mit klugen und interessanten Menschen könne viele emotionale Wunden heilen.
Das war eine wichtige Lektion, die ich von dieser sechzigjährigen Frau und Künstlerin gelernt und mir gemerkt habe. Heute, selbst schon sechzig geworden, weiß ich natürlich auch, dass ein Partner nicht der Ersatz für eigene Eigenschaften, den eigenen fehlenden Antrieb oder gar für Emotionen sein kann und darf. Oder so wie im Fall meiner ersten Ehe, der Anlass, von zu Hause wegzukommen. Es stimmt zwar, dass »niemand eine Insel ist«. Wir Menschen sind »Rudeltiere« und brauchen einander. Aber es stimmt auch, dass wir zunächst herausfinden sollten, ja sogar müssen, wer wir sind, was wir wollen und dadurch erfahren, dass wir eigenständige Wesen sind, die auch jeder für sich mit dem Leben zurechtkommen. Nur dann ist soziales Zusammenleben im Großen wie im Kleinen möglich. Der Spruch: »Ich liebe dich nicht, weil ich dich brauche, sondern ich brauche dich, weil ich dich liebe« mag ja ein wenig pathetisch und kitschig klingen - wahr ist er trotzdem.
Nur ein halbes Jahr nach der Begegnung mit Lilli Palmer kam der nächste, ebenfalls gerade sechzig Jahre alt gewordene Weltstar auf mich zu: Curd Jürgens, der »normannische Kleiderschrank«, wie er von Brigitte Bardot genannt wurde. Auch seine Memoiren »Sechzig Jahre und kein bisschen weise« erschienen im Droemer Verlag, für den ich damals arbeitete. Und auch er hatte genauso wenig mit meinem Großvater gemein wie Lilli Palmer mit meiner Großmutter. Mein über alles geliebter Großvater war für mich bis zu dem Tag, als ich den Mann traf, mit dem ich heute glücklich verheiratet bin, das Maß aller Menschen. Aller Männer jedenfalls. Auch er war groß und breit und auch er sah gut aus, so wie Curd Jürgens, wenn auch natürlich auf ganz andere Weise. Aber vor allem hat er mir das Urvertrauen in die Welt und die Menschen geschenkt. Eine meiner am weitesten zurückliegenden Erinnerungen hat mit ihm zu tun: Ich muss drei oder vier gewesen sein, da setzte er mich bei der Heuernte auf den Rücken unseres Zugpferdes Lisa. Ich spüre heute noch seine feste, zupackende Hand in meinem Rücken, die mich stützte. Voller Stolz »ritt« ich auf dem Pferderücken in den Hof ein. Der Vater meiner Mutter war unumstritten das weißgekrönte Oberhaupt unserer Familie (noch bis weit in meine vierziger Jahre zogen große, weißhaarige Männer meine Blicke magnetisch an), er galt als unser aller Beschützer vor allem Unbill des Lebens, allein durch sein Dasein. Dass er mich damals auf den Rücken seines Lieblingspferdes setzte, als wir noch auf seinem Bauernhof und Landgasthof wohnten, stärkte mein seelisches Immunsystem für das ganze Leben. Er zeigte aller Welt, wie stolz er auf mich war, sein erstes Enkelkind. Das blieb immer so, und er hat mich gelehrt, wie es sich anfühlt, wenn man sehr geliebt wird. Das Wissen darum habe ich zwar auch von allen anderen Familienmitgliedern erfahren, aber Großelternliebe ist einfach etwas ganz Besonderes, und Großvaters Liebe für das kleine Mädchen zumal. Anfang der fünfziger Jahre lebten wir immer noch in einer von Männern geprägten Welt, und Mädchen kamen eigentlich immer erst an zweiter Stelle. So hat mich seine Liebe zwei Dinge gelehrt: Dass man der Welt vertrauen kann und dass es Menschen gibt, auf die man sich verlassen kann. Curd Jürgens war zwar im Alter meines Kindheits-Großvaters, unterschied sich aber dennoch erheblich von ihm. Auch er hatte, so wie Lilli Palmer, wohl nie schwer arbeiten müssen, trug feine Anzüge und hatte eine Weltläufigkeit an sich, die mich sehr beeindruckte. Er war ebenfalls freundlich und diszipliniert, was bei jeder Lesereise höchst angenehm ist und die Arbeit sehr erleichtert. Und auch von Curd Jürgens habe ich ein paar Lehren fürs Leben bezogen: den Wert von Diskretion, Aufrichtigkeit und Toleranz. Alle drei Dinge haben mit konkreten Situationen zu tun:
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Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Margit Schönberger
- 256 Seiten, Maße: 12,1 x 20 cm, Hochwertige Broschur
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828954359
- ISBN-13: 9783828954359
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