Dr. Katja König, Das fremde Herz
Arztroman. Originalausgabe
Beim Elternabend vor den Sommerferien erfährt Bruno Bauer, der Verwaltungsdirektor der Klinik am Park, dass die Mutter eines Schulfreunds seines Sohnes Paul herzkrank ist. Er empfiehlt ihr, sich doch an Dr. Katja König zu wenden. Bei der Untersuchung stellt...
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Produktinformationen zu „Dr. Katja König, Das fremde Herz “
Beim Elternabend vor den Sommerferien erfährt Bruno Bauer, der Verwaltungsdirektor der Klinik am Park, dass die Mutter eines Schulfreunds seines Sohnes Paul herzkrank ist. Er empfiehlt ihr, sich doch an Dr. Katja König zu wenden. Bei der Untersuchung stellt sich heraus, dass Therese Kleins Gesundheitszustand dramatisch ist: Sollte sie kein Spenderherz bekommen, so hat sie nur noch zwei Jahre zu leben.
Beim Elternabend vor den Sommerferien erfährt Bruno Bauer, der Verwaltungsdirektor der Klinik am Park, dass die Mutter eines Schulfreunds seines Sohnes Paul herzkrank ist. Er empfiehlt ihr, sich doch an Dr. Katja König zu wenden. Bei der Untersuchung stellt sich heraus, dass Therese Kleins Gesundheitszustand dramatisch ist: Sollte sie kein Spenderherz bekommen, so hat sie nur noch zwei Jahre zu leben ...
Lese-Probe zu „Dr. Katja König, Das fremde Herz “
Ihm war, als htte eine Zeitmaschine ihn um Jahrzehnte zurckversetzt. Der Geruch von Bohnerwachs auf dem Korridor, die tief gesetzten Kleiderhaken entlang den Wnden - fehlte nur noch, dass in dem Zimmer Frulein Berger vor dem Lehrerpult stand und mit ihrer Piepsstimme vom Untergang Mesopotamiens erzhlte.Als Schler hatte Bruno Bauer sich nie fr Geschichte erwrmen knnen, war ihm das Auswendiglernen von Jahreszahlen ein Gruel gewesen. Erst mit dem Erwachsenwerden hatte er begonnen, sich fr die Vergangenheit zu interessieren, nicht fr einzelne Daten, sondern fr die groen Zusammenhnge.
Ob Frulein Berger noch lebte? Damals, als sie ihn in der vierten Klasse unterrichtet hatte, war sie bereits ber fnfzig gewesen. Eine hochgeschossene, drre Erscheinung mit grauem Haar, stets in weier Stehkragenbluse und blauem Faltenrock gekleidet.
Whrend er das Klassenzimmer seines Sohnes betrat, rechnete Bruno Bauer nach: Er war inzwischen zweiundvierzig, also msste Frulein Berger die achtzig bereits berschritten haben. Unglaublich, wie die Zeit verging. Dennoch schienen sich in den letzten dreiig Jahren wesentliche Dinge nicht verndert zu haben: Die Wandtafeln waren immer noch dunkelgrn, die Schwmme grobporig und irgendwie bel riechend.
Er schritt durch die mittlere der vier Sitzreihen, wollte sich dort hinsetzen, wo er schon als Bub gesessen hatte, in der linken hinteren Ecke. Den Fensterplatz auf der gegenberliegenden Raumseite hatte er immer anderen berlassen - aus gutem Grund, hatte Frulein Berger doch stets ein besonders wachsames Auge auf die Fensterreihe gehabt.
Nein, ein Vorzeigeschler war er nicht gewesen, zu keiner Zeit. Die Schule war fr ihn immer ein notwendiges bel gewesen und die Lehrer Menschen, mit denen man mglichst wenig zu tun haben sollte - weswegen es umso erstaunlicher war, dass er spter, nach dem Studium der Betriebswirtschaft, eine Lehrerin geheiratet hatte.
In Sachen Schule kam Paul viel eher nach seiner Mutter, glnzte mit Bestnoten, wenngleich
... mehr
er weit davon entfernt war, ein Streber zu sein. Mglicherweise hing es damit zusammen, dass er ein Einzelkind war. Daher wohl auch sein Hang zur Altklugheit. Paul war jemand, der gerne das letzte Wort hatte, aus ihm wrde bestimmt mal ein guter Anwalt.
Argwhnisch betrachtete Bruno Bauer den aus Holz gefertigten Kinderstuhl. Sollte er es wirklich wagen, sich darauf niederzulassen? Sein Blick wanderte in die vordere Sitzreihe, wo gerade ein junges Ehepaar Platz genommen hatte. Die Mehrzahl der Zweierpulte war bereits besetzt, meist mit Paaren, einige wenige auch mit einzelnen Frauen. Soweit er das erkennen konnte, war er der einzige Vater, der ohne Begleitung zum Elternabend erschienen war.
Was htte er anderes tun sollen? Katja hatte Sptdienst und Sonja, Pauls leibliche Mutter, weilte als Lehrkraft in Zentralafrika. Klar, dass sie fr diesen einen Termin nicht aus dem Dschungel zurckkehren konnte - obwohl Paul sich bestimmt riesig gefreut htte, seine Mutter wieder mal zu sehen, nachdem die beiden seit Monaten nur brieflich und hin und wieder telefonisch miteinander kommunizieren konnten.
Die Knie beinahe bis zum Kinn angezogen, weil das Mobiliar keine andere Sitzposition zulie, betrachtete er die eben ins Zimmer eingetretene Lehrerin. Sie erschien ihm ziemlich jung, fast zu jung, um eine Horde Elfjhriger im Zaum zu halten. Oder dnkte es ihn nur, weil er immer noch das Bild des gestrengen Frulein Berger im Kopf hatte? Autoritt war schlielich nicht blo eine Sache des Alters, sondern auch des Auftretens.
Jedenfalls gab Pauls Klassenlehrerin sich durchaus bestimmt, als sie die anwesenden Eltern bat, nun ihre Gesprche zu unterbrechen - "wenigstens fr die nchste halbe Stunde, damit wir zgig vorangehen knnen. Ich nehme nicht an, dass Sie bis Mitternacht hierbleiben wollen."
Dem allgemeinen Nicken in den Reihen folgte ein Rckblick der Lehrerin auf das vergangene Schuljahr, das mit den bevorstehenden Sommerferien zu Ende ging.
"Nach dem Urlaub werden Ihre Kinder von meinem Kollegen, brigens dem Direktor der Schule, weiterunterrichtet, sofern sie die Versetzung schaffen. Wobei in dieser Klasse nur gerade ein Kind gefhrdet ist."
Ein Raunen ging durch das Zimmer. Aufgeregte Elternpaare steckten tuschelnd die Kpfe zusammen, mutmaend, ob die Lehrerin wohl ihren Spross gemeint haben knnte.
Bruno Bauer beobachtete die Szenerie amsiert. Was war denn schon dabei, wenn ein Kind eine Klasse wiederholen musste? Damals, in seinem Jahrgang, hatte ein Junge sogar zwei Mal wiederholt - und nun war er ein berhmter Architekt, nach dessen Entwrfen weltweit gebaut wurde.
Wichtiger als die Noten war doch wohl, dass die Kinder in einem Umfeld heranwuchsen, in dem sie sich ihren Neigungen entsprechend entfalten konnten, ohne stndig dem Ehrgeiz der Eltern unterworfen zu sein. Wer in seiner Jugend lernte, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen und auf seine Fhigkeiten zu vertrauen, hatte es spter im Leben einfacher, davon war er berzeugt.
Whrend die Lehrerin vorne referierte und Pauls Vater diskret auf seine Armbanduhr guckte, um nachzuschauen, wie lange er noch in dieser unbequemen Position verharren musste, strmte ein Mann in den Raum. Er war vllig auer Atem, seine Wangen gertet.
"Entschuldigen Sie die Versptung", hechelte er. "Mein Name ist Werner Klein. Ich bin der Vater von Jan."
Ob irgendwo noch ein Platz fr den Nachzgler frei sei, fragte die Pdagogin in die Runde.
"Hier", meldete sich Bruno Bauer, worauf Werner Klein sich neben ihn quetschte.
Die furchigen Hnde mit den schmutzigen Fingerngeln auf die Tischplatte gelegt, schnaufte der Nachzgler einige Male tief durch, ehe sich seine Atmung beruhigte. Derweilen verteilte die Lehrerin in den vorderen Sitzreihen die Zeugnisse. Eines nach dem anderen, immer mit einem Kommentar an die Eltern. Bei manchen fiel er kurz aus, bei anderen blieb sie etwas lnger stehen.
Bruno Bauer interessierte nicht, was die Lehrkraft zu den Leistungen anderer Kinder zu sagen hatte, weswegen er sich lieber damit beschftigte, aus den Augenwinkeln seinen Sitznachbarn zu studieren. Werner Klein war etwa zwei Kpfe grer als er, wog geschtzte hundert Kilogramm und trug zum karierten Flanellhemd eine braune Cordhose, die an den Knien ordentlich ausgebeult war. Seine Fe steckten in Wanderschuhen, von deren Sohlen eingetrockneter Lehm brckelte.
"Herr Bauer?"
Bruno schreckte hoch, ein bisschen wie damals, wenn Frulein Berger ihn wegen Unaufmerksamkeit zurechtgewiesen hatte.
"Hier das Zeugnis von Paul."
Die Lehrerin lchelte, whrend sie ihm das Heft entgegenstreckte. "Sie haben einen uerst aufgeweckten Sohn, zu dem man Ihnen nur gratulieren kann. Wenn Paul so weitermacht, wird er das Abi spter ohne Probleme meistern."
Der Vater dankte fr die positive Einschtzung, froh, dass sich die Lehrerin nun an Werner Klein wandte, mit dem sie im Flsterton sprach. Zwar bemhte sich Bruno Bauer wegzuhren, doch er sa zu nah, um die kurze Unterhaltung nicht mitzukriegen. Anscheinend hatte der Junge groe Probleme in der Schule, weswegen seine Versetzung gefhrdet war.
"Zudem", so die Pdagogin, "kommt er in letzter Zeit oft zu spt zum Unterricht. Weckt ihn denn niemand?"
"Ich", erwiderte Werner Klein. Er konnte sich die Versptung seines Sohnes nur damit erklren, dass Jan beim Frhstck herumtrdelte. "Das kann ich nicht berprfen, denn da bin ich bereits weg. Als Grtner fange ich frhmorgens an zu arbeiten, vor allem whrend der Sommermonate."
Die Lehrerin nickte verstndnisvoll. "Verstehen Sie mich richtig, Herr Klein, ich will Ihnen keine Vorwrfe machen, sondern mit Ihnen zusammen Wege finden, Jan zu helfen. Noch vor einem Jahr waren seine schulischen Leistungen gut - und, entschuldigen Sie meine Offenheit, da trug er auch immer frischgewaschene Kleidung und nicht solche, die mit Flecken berst ist."
Seufzend legte der Angesprochene das Zeugnis seines Sohnes beiseite, ohne hineingeschaut zu haben. "Ich wei", sagte er. "Dass Jan krzlich nicht am Turnunterricht teilnehmen konnte, weil seine Sporthosen noch in der Waschmaschine steckten, tut mir leid. Das soll nicht wieder vorkommen. Ich versuche wirklich..."
Die Lehrerin schlug vor, sich nach der Zusammenkunft zu unterhalten - "es macht keinen Sinn, die Sache zwischen Tr und Angel zu besprechen, dazu ist Jans Zukunft zu wichtig".
Es war Bruno Bauer peinlich, das Gesprch mit angehrt zu haben. Betreten schaute er zur Seite, als Werner Klein das Heft mit den Noten seines Jungen ffnete. Bestimmt lebte er allein mit Jan, gehrte der Grtner zu der Sorte geschiedener Mnner, die Arbeit, Haushalt und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen versuchten, whrend ihre Ex-Frauen nichts mehr vom Familienalltag wissen wollten.
So gesehen konnte er sich gut in die Lage des Tischnachbarn versetzen. Der Verwaltungsdirektor htte sich auch allein um seinen Sohn kmmern mssen, wenn er und Paul nicht in der alten Fabrikantenvilla bei Katja Knig, deren Vater und Rosi untergekommen wren. Was dies im tglichen Leben bedeutete, mochte er sich gar nicht ausdenken.
Ob er nach der Zusammenkunft das Gesprch mit Jans Vater suchen sollte? Vielleicht half es dem Grtner, mit jemandem reden zu knnen. Andererseits wollte Bruno Bauer sich nicht aufdrngen, zumal Werner Klein ja anschlieend noch eine Unterredung mit der Lehrerin hatte.
Pauls Zeugnis zusammengerollt in die Auentasche seines Leinenkittels gesteckt, verlie Bruno Bauer kurz vor einundzwanzig Uhr das Klassenzimmer der 4A. Im Korridor standen noch einige Elternpaare herum, unterhielten sich darber, wie die Sprsslinge whrend der Sommerferien sinnvoll zu beschftigen waren, denn lnger als vierzehn Tage fuhr kaum eine Familie in den Urlaub.
Ein Thema, das demnchst auch in der alten Fabrikantenvilla diskutiert werden musste, war es Bruno Bauer wegen des von ihm verordneten Personalstopps doch kaum mglich, sich fr mehr als eine Woche von der Klinik am Park frei zu machen. Gar nicht zu reden von Katja Knig, die, solange keine geeignete Nachfolge fr sie gefunden war, immer noch als Oberrztin der Chirurgie ttig war, whrend sie darber hinaus halbtags die Allgemeinpraxis ihres Vaters fhrte.
Dr. Bernd Knig befand sich fr mehrere Wochen im Salzkammergut, wo er, umsorgt von Rosi, nach einer schweren Darmoperation langsam wieder zu Krften kam. Vielleicht hatte Paul ja Lust, den beiden einen Besuch abzustatten. Die Ferienwohnung, die Katjas Vater gemietet hatte, lag wohl nur wenige Schritte von einem kleinen See entfernt. Da konnte Paul baden, so viel er wollte.
Bruno Bauer nahm sich vor, das Thema gleich am nchsten Morgen anzusprechen. Das Frhstck war wegen der zeitlichen Begrenzung dafr eine gute Gelegenheit, so dass die Ferien-Diskussion auch mal ein Ende fand.
"Sind Sie nicht Herr Bauer? Der Vater von Paul?"
Er hatte die Gruppe der schwatzenden Eltern bereits passiert, blieb stehen und schaute zurck. Die Frau, die ihn angesprochen hatte, kam ihm bekannt vor, nur wollte ihm partout nicht einfallen, wo er sie schon einmal gesehen hatte.
"Alleeweg", sagte sie.
Der Verwaltungsdirektor griff sich an den Kopf. "Natrlich! Sie wohnen schrg gegenber von uns, in dem modernen gelben Haus mit dem blauen Garagentor."
Er reichte der Dame die Hand, grte den Gatten, der neben ihr stand und irgendwie suerlich wirkte.
"Sie mssen meinen Mann entschuldigen, er ist enttuscht, dass Melanie nur ein Gut in Deutsch gekriegt hat - wo er doch mageblich an der Rechtschreibreform mitgearbeitet hat."
"Tja", antwortete Bruno Bauer, weil ihm nichts Besseres einfiel.
"Aber Sie wollen doch nicht schon gehen! Bleiben Sie doch noch ein paar Minuten bei uns stehen, Doktor Bauer."
"Nur Bauer. Ich bin kein Doktor."
"Ach", hauchte die Dame, "ich dachte, Sie arbeiten in der Klinik am Park."
"Das tue ich auch, in der Verwaltung. Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss wirklich los."
"Nur einen Moment noch, Herr Bauer. Sie haben doch eben neben diesem seltsamen Menschen in den Jgerklamotten gesessen. Wissen Sie vielleicht, ob es sein Sohn ist, der die Klasse wiederholen muss? Wir fragen uns nmlich schon den ganzen Abend, wer es sein knnte."
Der Gefragte zuckte mit den Achseln, gab an, von nichts zu wissen, und eilte zum Ausgang. Nun war ihm auch klar, warum er sich nur noch dumpf an die Frau hatte erinnern knnen - weil sie ihm hchst unsympathisch war. Menschen, die sich ungefragt in die Angelegenheiten anderer mischten, immer alles besser wussten und obendrein die Polizei riefen, wenn einer von Katjas Patienten versehentlich mal seinen Wagen vor deren Garageneinfahrt hinstellte, waren ihm zuwider.
Minuten spter, der Verwaltungsdirektor hatte seinen Kombi gerade vom Schulhof auf die Hauptstrae gelenkt, sah er Werner Klein aus dem Hintereingang der Schule kommen. Er ging mit schweren Schritten in Richtung Bushaltestelle, weshalb Bruno Bauer rechts an den Straenrand fuhr, um ihm eine Mitfahrgelegenheit anzubieten.
Doch Jans Vater lehnte dankend ab, meinte, dass die frische Luft ihm ganz guttue, nach allem, was ihm die Lehrerin eben unter vier Augen erffnet hatte.
Ob er reden wolle, fragte Bruno Bauer den Mann - "wenn nicht, ist auch okay. Ich dachte nur, wir knnten zusammen auf ein Bier gehen."
"Ein Glas Rotwein wre mir lieber."
"Dann", so der Verwaltungsdirektor, "gehen wir ins Wirtshaus Adler, die haben einen guten Offenen. Steigen Sie ein!"
Nur zgernd ffnete Werner Klein die Autotr. "Ich will Sie nicht aufhalten. Sie haben bestimmt Besseres zu tun."
"So ein Schwachsinn!", entfuhr es dem Fahrer. "Nun steigen Sie schon ein, ich kann mit dem Wagen nicht ewig hier stehen bleiben!"
"Aber Ihre Frau wartet doch bestimmt zu Hause auf Sie", meinte der Grtner und zog sich den Sicherheitsgurt ber den Bauch.
"Ich bin geschieden und lebe in wilder Ehe mit einer rztin, die heute Sptdienst in der Klinik hat. Zufrieden?"
Die Blicke der beiden Mnner trafen sich, whrend Bruno Bauer die Beifahrerscheibe schloss und den Blinker setzte, um auf die Hauptstrae zurckzukehren.
Mitternacht war lngst vorbei, als Dr. Katja Knig von einem lauten, dumpfen Schlag erwachte. Eben erst eingeschlafen, sprang sie aus dem Bett, um nachzuschauen, ob vielleicht Bruno nach Hause gekommen war. Sein Auto stand aber weder vor dem schmiedeeisernen Tor noch rechts davon auf dem Patientenparkplatz.
Da! Schon wieder so ein seltsames Gerusch. Mit klopfendem Herzen begab sich die rztin zur Schlafzimmertr und ffnete sie einen Spalt breit. Ihr war klar, dass sie besser daran tte, sich ins Bett zurckzulegen und sich schlafend zu stellen, falls ein Einbrecher im Haus war. Aber im Zimmer nebenan lag Paul. Was, wenn der Junge ebenfalls aus seinen Trumen gerissen worden war und nun im Halbschlaf auf die Idee kam, nach unten zu gehen, um sich aus der Kche ein Glas Milch zu holen?
Denn ganz klar: Der Lrm kam vom Erdgeschoss. Wohl aus dem groen Salon, wo die Praxis untergebracht war und sich auch der Arzneimittelschrank befand. Der war zwar verschlossen, doch es wre nicht das erste Mal, dass ein Drogenabhngiger versuchte, sich in einem Arzthaushalt gewaltsam mit Medikamenten einzudecken.
Htte sie doch wenigstens ein Telefon zur Hand gehabt, um Hilfe rufen zu knnen. Das hatte sie nun davon, dass ihr Vater sich standhaft weigerte, die Telefonleitung in den ersten Stock ziehen zu lassen. Und ihr Handy hatte die rztin zum Aufladen auf den Kchentisch gelegt. Das wrde sie nie wieder tun. Vor allem nicht, wenn sie nachts alleine mit dem Jungen war.
Die alte Fabrikantenvilla lag nun mal sehr exponiert auf einer kleinen Anhhe, so dass man sie auch von der Hauptstrae aus sehen konnte. Nachts und aus der Entfernung machte das Haus durchaus etwas her, wirkte es wie ein vertrumtes Mrchenschloss, in dem sich Reichtmer von unschtzbarem Wert befinden. Dabei brckelte die Fassade, war das Dach undicht und bedurften die Innenrume dringend einer sanften Sanierung. Und was die vermeintlichen Reichtmer betraf, so bestanden diese gerade mal aus einem zwanzigteiligen Silberbesteck und einigen Ahnenportrts aus der Familie von Katjas verstorbener Mutter.
Wenn nur Bruno schon zurck wre. Eigenartig genug, dass er vom Elternabend noch nicht nach Hause gekommen war, wo er doch so ungern alleine daran teilgenommen hatte.
Auf Zehenspitzen trat Dr. Knig auf den Korridor hinaus, wo sie wie angewurzelt stehen blieb, als sie ein deutliches Knarren vernahm. Es konnte nur bedeuten, dass sich jemand auf der Treppe befand. Der Einbrecher war auf dem Weg nach oben!
Reflexartig tastete die rztin nach dem in der Wand eingelassenen Lichtschalter. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie in der Dunkelheit endlich die richtige Stelle gefunden hatte. In der Zwischenzeit musste sich der Mann bereits auf einer der obersten Stufen befinden. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, ihn zu enttarnen, bevor er zu ihr vorgedrungen wre.
Jetzt oder nie, war ihr einziger Gedanke, als sie mit dem Handballen auf den Schalter drckte.
"Katja? Du bist noch wach?"
Die grnen Augen weit aufgerissen, starrte die rztin ihr Gegenber an. Noch war ihr nicht klar, ob bei ihr Erleichterung oder Wut berwog.
"Warum schlfst du denn nicht lngst?", fragte Bruno mit ahnungsloser Miene. "Meinetwegen httest du nicht zu warten brauchen." Dann drckte er ihr einen Kuss auf den Mund und trat in ihr Schlafzimmer, derweilen er sich das Hemd aufknpfte. Seinen Oberkrper entblt, drehte er sich zu der rztin um, die, immer noch nach Worten ringend, im Korridor stand.
"Hey", rief er ihr mit gedmpfter Stimme zu, "bist du denn berhaupt nicht mde?"
"Nicht mde ist gut", raunte sie. "Ich bin mindestens so geschafft, wie du angeheitert."
Bruno Bauer wies den Vorwurf von sich, hatte er doch blo ein Glas Rotwein getrunken.
"Und mit wem, wenn ich fragen darf?", erkundigte sich die rztin. "Etwa mit Pauls attraktiver Klassenlehrerin?"
Er grinste. "Meinst du etwa dieses junge Ding? Die ist ja noch halb grn hinter den Ohren!"
Zuflligerweise kannte Katja Knig die Lehrerin. Sie war die Lebensgefhrtin eines befreundeten Apothekers. "So jung, wie du denkst, ist sie lngst nicht mehr. Wenn mich nicht alles tuscht, hat sie im letzten Jahr ihren Dreiunddreiigsten gefeiert."
Unmglich, meinte Bruno, der die Pdagogin auf hchsten vierundzwanzig geschtzt hatte.
"Danke", sagte die rztin mit Nachdruck. "Und wie alt wrdest du mich schtzen? Fnfzig? Fnfundfnfzig?"
"So ein Bldsinn!" Er zog sie zu sich heran, strich ihr bers Haar. "Du bist wunderschn."
Die Siebenunddreiigjhrige wollte keine Komplimente hren, sondern eine ehrliche Einschtzung.
"Nicht jetzt", bat Bruno Bauer. "Es gibt wirklich wichtigere Dinge auf dieser Welt als die Frage, wer wie alt aussieht. Kennst du Jan Klein?"Jan Klein. Dr. Katja Knig dachte konzentriert nach, konnte sich jedoch weder in der Klinik noch in der Praxis an einen Patienten mit diesem Namen erinnern. "Hast du mit ihm den Abend verbracht?"
Argwhnisch betrachtete Bruno Bauer den aus Holz gefertigten Kinderstuhl. Sollte er es wirklich wagen, sich darauf niederzulassen? Sein Blick wanderte in die vordere Sitzreihe, wo gerade ein junges Ehepaar Platz genommen hatte. Die Mehrzahl der Zweierpulte war bereits besetzt, meist mit Paaren, einige wenige auch mit einzelnen Frauen. Soweit er das erkennen konnte, war er der einzige Vater, der ohne Begleitung zum Elternabend erschienen war.
Was htte er anderes tun sollen? Katja hatte Sptdienst und Sonja, Pauls leibliche Mutter, weilte als Lehrkraft in Zentralafrika. Klar, dass sie fr diesen einen Termin nicht aus dem Dschungel zurckkehren konnte - obwohl Paul sich bestimmt riesig gefreut htte, seine Mutter wieder mal zu sehen, nachdem die beiden seit Monaten nur brieflich und hin und wieder telefonisch miteinander kommunizieren konnten.
Die Knie beinahe bis zum Kinn angezogen, weil das Mobiliar keine andere Sitzposition zulie, betrachtete er die eben ins Zimmer eingetretene Lehrerin. Sie erschien ihm ziemlich jung, fast zu jung, um eine Horde Elfjhriger im Zaum zu halten. Oder dnkte es ihn nur, weil er immer noch das Bild des gestrengen Frulein Berger im Kopf hatte? Autoritt war schlielich nicht blo eine Sache des Alters, sondern auch des Auftretens.
Jedenfalls gab Pauls Klassenlehrerin sich durchaus bestimmt, als sie die anwesenden Eltern bat, nun ihre Gesprche zu unterbrechen - "wenigstens fr die nchste halbe Stunde, damit wir zgig vorangehen knnen. Ich nehme nicht an, dass Sie bis Mitternacht hierbleiben wollen."
Dem allgemeinen Nicken in den Reihen folgte ein Rckblick der Lehrerin auf das vergangene Schuljahr, das mit den bevorstehenden Sommerferien zu Ende ging.
"Nach dem Urlaub werden Ihre Kinder von meinem Kollegen, brigens dem Direktor der Schule, weiterunterrichtet, sofern sie die Versetzung schaffen. Wobei in dieser Klasse nur gerade ein Kind gefhrdet ist."
Ein Raunen ging durch das Zimmer. Aufgeregte Elternpaare steckten tuschelnd die Kpfe zusammen, mutmaend, ob die Lehrerin wohl ihren Spross gemeint haben knnte.
Bruno Bauer beobachtete die Szenerie amsiert. Was war denn schon dabei, wenn ein Kind eine Klasse wiederholen musste? Damals, in seinem Jahrgang, hatte ein Junge sogar zwei Mal wiederholt - und nun war er ein berhmter Architekt, nach dessen Entwrfen weltweit gebaut wurde.
Wichtiger als die Noten war doch wohl, dass die Kinder in einem Umfeld heranwuchsen, in dem sie sich ihren Neigungen entsprechend entfalten konnten, ohne stndig dem Ehrgeiz der Eltern unterworfen zu sein. Wer in seiner Jugend lernte, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen und auf seine Fhigkeiten zu vertrauen, hatte es spter im Leben einfacher, davon war er berzeugt.
Whrend die Lehrerin vorne referierte und Pauls Vater diskret auf seine Armbanduhr guckte, um nachzuschauen, wie lange er noch in dieser unbequemen Position verharren musste, strmte ein Mann in den Raum. Er war vllig auer Atem, seine Wangen gertet.
"Entschuldigen Sie die Versptung", hechelte er. "Mein Name ist Werner Klein. Ich bin der Vater von Jan."
Ob irgendwo noch ein Platz fr den Nachzgler frei sei, fragte die Pdagogin in die Runde.
"Hier", meldete sich Bruno Bauer, worauf Werner Klein sich neben ihn quetschte.
Die furchigen Hnde mit den schmutzigen Fingerngeln auf die Tischplatte gelegt, schnaufte der Nachzgler einige Male tief durch, ehe sich seine Atmung beruhigte. Derweilen verteilte die Lehrerin in den vorderen Sitzreihen die Zeugnisse. Eines nach dem anderen, immer mit einem Kommentar an die Eltern. Bei manchen fiel er kurz aus, bei anderen blieb sie etwas lnger stehen.
Bruno Bauer interessierte nicht, was die Lehrkraft zu den Leistungen anderer Kinder zu sagen hatte, weswegen er sich lieber damit beschftigte, aus den Augenwinkeln seinen Sitznachbarn zu studieren. Werner Klein war etwa zwei Kpfe grer als er, wog geschtzte hundert Kilogramm und trug zum karierten Flanellhemd eine braune Cordhose, die an den Knien ordentlich ausgebeult war. Seine Fe steckten in Wanderschuhen, von deren Sohlen eingetrockneter Lehm brckelte.
"Herr Bauer?"
Bruno schreckte hoch, ein bisschen wie damals, wenn Frulein Berger ihn wegen Unaufmerksamkeit zurechtgewiesen hatte.
"Hier das Zeugnis von Paul."
Die Lehrerin lchelte, whrend sie ihm das Heft entgegenstreckte. "Sie haben einen uerst aufgeweckten Sohn, zu dem man Ihnen nur gratulieren kann. Wenn Paul so weitermacht, wird er das Abi spter ohne Probleme meistern."
Der Vater dankte fr die positive Einschtzung, froh, dass sich die Lehrerin nun an Werner Klein wandte, mit dem sie im Flsterton sprach. Zwar bemhte sich Bruno Bauer wegzuhren, doch er sa zu nah, um die kurze Unterhaltung nicht mitzukriegen. Anscheinend hatte der Junge groe Probleme in der Schule, weswegen seine Versetzung gefhrdet war.
"Zudem", so die Pdagogin, "kommt er in letzter Zeit oft zu spt zum Unterricht. Weckt ihn denn niemand?"
"Ich", erwiderte Werner Klein. Er konnte sich die Versptung seines Sohnes nur damit erklren, dass Jan beim Frhstck herumtrdelte. "Das kann ich nicht berprfen, denn da bin ich bereits weg. Als Grtner fange ich frhmorgens an zu arbeiten, vor allem whrend der Sommermonate."
Die Lehrerin nickte verstndnisvoll. "Verstehen Sie mich richtig, Herr Klein, ich will Ihnen keine Vorwrfe machen, sondern mit Ihnen zusammen Wege finden, Jan zu helfen. Noch vor einem Jahr waren seine schulischen Leistungen gut - und, entschuldigen Sie meine Offenheit, da trug er auch immer frischgewaschene Kleidung und nicht solche, die mit Flecken berst ist."
Seufzend legte der Angesprochene das Zeugnis seines Sohnes beiseite, ohne hineingeschaut zu haben. "Ich wei", sagte er. "Dass Jan krzlich nicht am Turnunterricht teilnehmen konnte, weil seine Sporthosen noch in der Waschmaschine steckten, tut mir leid. Das soll nicht wieder vorkommen. Ich versuche wirklich..."
Die Lehrerin schlug vor, sich nach der Zusammenkunft zu unterhalten - "es macht keinen Sinn, die Sache zwischen Tr und Angel zu besprechen, dazu ist Jans Zukunft zu wichtig".
Es war Bruno Bauer peinlich, das Gesprch mit angehrt zu haben. Betreten schaute er zur Seite, als Werner Klein das Heft mit den Noten seines Jungen ffnete. Bestimmt lebte er allein mit Jan, gehrte der Grtner zu der Sorte geschiedener Mnner, die Arbeit, Haushalt und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen versuchten, whrend ihre Ex-Frauen nichts mehr vom Familienalltag wissen wollten.
So gesehen konnte er sich gut in die Lage des Tischnachbarn versetzen. Der Verwaltungsdirektor htte sich auch allein um seinen Sohn kmmern mssen, wenn er und Paul nicht in der alten Fabrikantenvilla bei Katja Knig, deren Vater und Rosi untergekommen wren. Was dies im tglichen Leben bedeutete, mochte er sich gar nicht ausdenken.
Ob er nach der Zusammenkunft das Gesprch mit Jans Vater suchen sollte? Vielleicht half es dem Grtner, mit jemandem reden zu knnen. Andererseits wollte Bruno Bauer sich nicht aufdrngen, zumal Werner Klein ja anschlieend noch eine Unterredung mit der Lehrerin hatte.
Pauls Zeugnis zusammengerollt in die Auentasche seines Leinenkittels gesteckt, verlie Bruno Bauer kurz vor einundzwanzig Uhr das Klassenzimmer der 4A. Im Korridor standen noch einige Elternpaare herum, unterhielten sich darber, wie die Sprsslinge whrend der Sommerferien sinnvoll zu beschftigen waren, denn lnger als vierzehn Tage fuhr kaum eine Familie in den Urlaub.
Ein Thema, das demnchst auch in der alten Fabrikantenvilla diskutiert werden musste, war es Bruno Bauer wegen des von ihm verordneten Personalstopps doch kaum mglich, sich fr mehr als eine Woche von der Klinik am Park frei zu machen. Gar nicht zu reden von Katja Knig, die, solange keine geeignete Nachfolge fr sie gefunden war, immer noch als Oberrztin der Chirurgie ttig war, whrend sie darber hinaus halbtags die Allgemeinpraxis ihres Vaters fhrte.
Dr. Bernd Knig befand sich fr mehrere Wochen im Salzkammergut, wo er, umsorgt von Rosi, nach einer schweren Darmoperation langsam wieder zu Krften kam. Vielleicht hatte Paul ja Lust, den beiden einen Besuch abzustatten. Die Ferienwohnung, die Katjas Vater gemietet hatte, lag wohl nur wenige Schritte von einem kleinen See entfernt. Da konnte Paul baden, so viel er wollte.
Bruno Bauer nahm sich vor, das Thema gleich am nchsten Morgen anzusprechen. Das Frhstck war wegen der zeitlichen Begrenzung dafr eine gute Gelegenheit, so dass die Ferien-Diskussion auch mal ein Ende fand.
"Sind Sie nicht Herr Bauer? Der Vater von Paul?"
Er hatte die Gruppe der schwatzenden Eltern bereits passiert, blieb stehen und schaute zurck. Die Frau, die ihn angesprochen hatte, kam ihm bekannt vor, nur wollte ihm partout nicht einfallen, wo er sie schon einmal gesehen hatte.
"Alleeweg", sagte sie.
Der Verwaltungsdirektor griff sich an den Kopf. "Natrlich! Sie wohnen schrg gegenber von uns, in dem modernen gelben Haus mit dem blauen Garagentor."
Er reichte der Dame die Hand, grte den Gatten, der neben ihr stand und irgendwie suerlich wirkte.
"Sie mssen meinen Mann entschuldigen, er ist enttuscht, dass Melanie nur ein Gut in Deutsch gekriegt hat - wo er doch mageblich an der Rechtschreibreform mitgearbeitet hat."
"Tja", antwortete Bruno Bauer, weil ihm nichts Besseres einfiel.
"Aber Sie wollen doch nicht schon gehen! Bleiben Sie doch noch ein paar Minuten bei uns stehen, Doktor Bauer."
"Nur Bauer. Ich bin kein Doktor."
"Ach", hauchte die Dame, "ich dachte, Sie arbeiten in der Klinik am Park."
"Das tue ich auch, in der Verwaltung. Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss wirklich los."
"Nur einen Moment noch, Herr Bauer. Sie haben doch eben neben diesem seltsamen Menschen in den Jgerklamotten gesessen. Wissen Sie vielleicht, ob es sein Sohn ist, der die Klasse wiederholen muss? Wir fragen uns nmlich schon den ganzen Abend, wer es sein knnte."
Der Gefragte zuckte mit den Achseln, gab an, von nichts zu wissen, und eilte zum Ausgang. Nun war ihm auch klar, warum er sich nur noch dumpf an die Frau hatte erinnern knnen - weil sie ihm hchst unsympathisch war. Menschen, die sich ungefragt in die Angelegenheiten anderer mischten, immer alles besser wussten und obendrein die Polizei riefen, wenn einer von Katjas Patienten versehentlich mal seinen Wagen vor deren Garageneinfahrt hinstellte, waren ihm zuwider.
Minuten spter, der Verwaltungsdirektor hatte seinen Kombi gerade vom Schulhof auf die Hauptstrae gelenkt, sah er Werner Klein aus dem Hintereingang der Schule kommen. Er ging mit schweren Schritten in Richtung Bushaltestelle, weshalb Bruno Bauer rechts an den Straenrand fuhr, um ihm eine Mitfahrgelegenheit anzubieten.
Doch Jans Vater lehnte dankend ab, meinte, dass die frische Luft ihm ganz guttue, nach allem, was ihm die Lehrerin eben unter vier Augen erffnet hatte.
Ob er reden wolle, fragte Bruno Bauer den Mann - "wenn nicht, ist auch okay. Ich dachte nur, wir knnten zusammen auf ein Bier gehen."
"Ein Glas Rotwein wre mir lieber."
"Dann", so der Verwaltungsdirektor, "gehen wir ins Wirtshaus Adler, die haben einen guten Offenen. Steigen Sie ein!"
Nur zgernd ffnete Werner Klein die Autotr. "Ich will Sie nicht aufhalten. Sie haben bestimmt Besseres zu tun."
"So ein Schwachsinn!", entfuhr es dem Fahrer. "Nun steigen Sie schon ein, ich kann mit dem Wagen nicht ewig hier stehen bleiben!"
"Aber Ihre Frau wartet doch bestimmt zu Hause auf Sie", meinte der Grtner und zog sich den Sicherheitsgurt ber den Bauch.
"Ich bin geschieden und lebe in wilder Ehe mit einer rztin, die heute Sptdienst in der Klinik hat. Zufrieden?"
Die Blicke der beiden Mnner trafen sich, whrend Bruno Bauer die Beifahrerscheibe schloss und den Blinker setzte, um auf die Hauptstrae zurckzukehren.
Mitternacht war lngst vorbei, als Dr. Katja Knig von einem lauten, dumpfen Schlag erwachte. Eben erst eingeschlafen, sprang sie aus dem Bett, um nachzuschauen, ob vielleicht Bruno nach Hause gekommen war. Sein Auto stand aber weder vor dem schmiedeeisernen Tor noch rechts davon auf dem Patientenparkplatz.
Da! Schon wieder so ein seltsames Gerusch. Mit klopfendem Herzen begab sich die rztin zur Schlafzimmertr und ffnete sie einen Spalt breit. Ihr war klar, dass sie besser daran tte, sich ins Bett zurckzulegen und sich schlafend zu stellen, falls ein Einbrecher im Haus war. Aber im Zimmer nebenan lag Paul. Was, wenn der Junge ebenfalls aus seinen Trumen gerissen worden war und nun im Halbschlaf auf die Idee kam, nach unten zu gehen, um sich aus der Kche ein Glas Milch zu holen?
Denn ganz klar: Der Lrm kam vom Erdgeschoss. Wohl aus dem groen Salon, wo die Praxis untergebracht war und sich auch der Arzneimittelschrank befand. Der war zwar verschlossen, doch es wre nicht das erste Mal, dass ein Drogenabhngiger versuchte, sich in einem Arzthaushalt gewaltsam mit Medikamenten einzudecken.
Htte sie doch wenigstens ein Telefon zur Hand gehabt, um Hilfe rufen zu knnen. Das hatte sie nun davon, dass ihr Vater sich standhaft weigerte, die Telefonleitung in den ersten Stock ziehen zu lassen. Und ihr Handy hatte die rztin zum Aufladen auf den Kchentisch gelegt. Das wrde sie nie wieder tun. Vor allem nicht, wenn sie nachts alleine mit dem Jungen war.
Die alte Fabrikantenvilla lag nun mal sehr exponiert auf einer kleinen Anhhe, so dass man sie auch von der Hauptstrae aus sehen konnte. Nachts und aus der Entfernung machte das Haus durchaus etwas her, wirkte es wie ein vertrumtes Mrchenschloss, in dem sich Reichtmer von unschtzbarem Wert befinden. Dabei brckelte die Fassade, war das Dach undicht und bedurften die Innenrume dringend einer sanften Sanierung. Und was die vermeintlichen Reichtmer betraf, so bestanden diese gerade mal aus einem zwanzigteiligen Silberbesteck und einigen Ahnenportrts aus der Familie von Katjas verstorbener Mutter.
Wenn nur Bruno schon zurck wre. Eigenartig genug, dass er vom Elternabend noch nicht nach Hause gekommen war, wo er doch so ungern alleine daran teilgenommen hatte.
Auf Zehenspitzen trat Dr. Knig auf den Korridor hinaus, wo sie wie angewurzelt stehen blieb, als sie ein deutliches Knarren vernahm. Es konnte nur bedeuten, dass sich jemand auf der Treppe befand. Der Einbrecher war auf dem Weg nach oben!
Reflexartig tastete die rztin nach dem in der Wand eingelassenen Lichtschalter. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie in der Dunkelheit endlich die richtige Stelle gefunden hatte. In der Zwischenzeit musste sich der Mann bereits auf einer der obersten Stufen befinden. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, ihn zu enttarnen, bevor er zu ihr vorgedrungen wre.
Jetzt oder nie, war ihr einziger Gedanke, als sie mit dem Handballen auf den Schalter drckte.
"Katja? Du bist noch wach?"
Die grnen Augen weit aufgerissen, starrte die rztin ihr Gegenber an. Noch war ihr nicht klar, ob bei ihr Erleichterung oder Wut berwog.
"Warum schlfst du denn nicht lngst?", fragte Bruno mit ahnungsloser Miene. "Meinetwegen httest du nicht zu warten brauchen." Dann drckte er ihr einen Kuss auf den Mund und trat in ihr Schlafzimmer, derweilen er sich das Hemd aufknpfte. Seinen Oberkrper entblt, drehte er sich zu der rztin um, die, immer noch nach Worten ringend, im Korridor stand.
"Hey", rief er ihr mit gedmpfter Stimme zu, "bist du denn berhaupt nicht mde?"
"Nicht mde ist gut", raunte sie. "Ich bin mindestens so geschafft, wie du angeheitert."
Bruno Bauer wies den Vorwurf von sich, hatte er doch blo ein Glas Rotwein getrunken.
"Und mit wem, wenn ich fragen darf?", erkundigte sich die rztin. "Etwa mit Pauls attraktiver Klassenlehrerin?"
Er grinste. "Meinst du etwa dieses junge Ding? Die ist ja noch halb grn hinter den Ohren!"
Zuflligerweise kannte Katja Knig die Lehrerin. Sie war die Lebensgefhrtin eines befreundeten Apothekers. "So jung, wie du denkst, ist sie lngst nicht mehr. Wenn mich nicht alles tuscht, hat sie im letzten Jahr ihren Dreiunddreiigsten gefeiert."
Unmglich, meinte Bruno, der die Pdagogin auf hchsten vierundzwanzig geschtzt hatte.
"Danke", sagte die rztin mit Nachdruck. "Und wie alt wrdest du mich schtzen? Fnfzig? Fnfundfnfzig?"
"So ein Bldsinn!" Er zog sie zu sich heran, strich ihr bers Haar. "Du bist wunderschn."
Die Siebenunddreiigjhrige wollte keine Komplimente hren, sondern eine ehrliche Einschtzung.
"Nicht jetzt", bat Bruno Bauer. "Es gibt wirklich wichtigere Dinge auf dieser Welt als die Frage, wer wie alt aussieht. Kennst du Jan Klein?"Jan Klein. Dr. Katja Knig dachte konzentriert nach, konnte sich jedoch weder in der Klinik noch in der Praxis an einen Patienten mit diesem Namen erinnern. "Hast du mit ihm den Abend verbracht?"
... weniger
Autoren-Porträt von Nicole Amrein
Nicole Amrein, 1970 in Bern geboren, war als Fernsehmoderatorin, Journalistin und Chefredakteurin bei diversen Magazinen tätig. Mit ihrem Erstling "Die Pfundsfrau" landete sie auf Anhieb einen Bestseller. Es folgten Arztromanserien und Frauenromane sowie zahlreiche Kurzgeschichten für Zeitschriften.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nicole Amrein
- 2007, 250 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442365767
- ISBN-13: 9783442365760
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