Dunkle Gewässer
Ost-Texas in den 1930er-Jahren: Hier sind die Sitten rau und die Zukunft alles andere als rosig. Als eine Leiche im Fluss auftaucht, will sie der Constable am liebsten wieder versenken: zuviel Arbeit. Die 16-jährige Sue Ellen und ihre Freunde, der...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Dunkle Gewässer “
Ost-Texas in den 1930er-Jahren: Hier sind die Sitten rau und die Zukunft alles andere als rosig. Als eine Leiche im Fluss auftaucht, will sie der Constable am liebsten wieder versenken: zuviel Arbeit. Die 16-jährige Sue Ellen und ihre Freunde, der schwule Terry und die schwarze Jinx, sehen das anders. Sie wollen die Leiche ihrer Freundin verbrennen und die Asche in Hollywood verstreuen, wo May Lynn immer hinwollte. Zufällig stoßen die drei auch noch auf die Beute aus einem Banküberfall. Mit Asche und Kohle kapern sie ein Floß. Doch habgierige Verwandte sind ihnen auf den Fersen. Und das schlimmste: der sagenumwobene Killer Skunk ist ebenfalls hinter ihnen her... »So witzig und beängstigend wie ein Albtraum der Gebrüder Grimm.« New York Times Book Review
Klappentext zu „Dunkle Gewässer “
Sue Ellen findet, dass ihre tote Freundin May Lynn etwas Besseres verdient hat. Wenn schon kein Filmstar aus ihr wird, wie sie sich immer erträumte, soll wenigstens ihre Asche in Hollywood verstreut werden. Beim Durchsuchen von May Lynns Habseligkeiten stößt sie mit ihren Freunden Terry und Jinx auf einen Hinweis, der sie zur Beute eines Banküberfalls führt. Zusammen mit Sue Ellens labiler Mutter flüchten die drei Freunde Hals über Kopf mit dem Floß in Richtung Süden. Habgierige Verwandte und der wenig gesetzestreue Constable hängen sich sofort an ihre Fersen. In Panik geraten die Flüchtenden jedoch erst, als sie merken, dass der sagenumwobene Killer Skunk ebenfalls hinter ihnen her ist. Dem wahnsinnigen Fährtenleser ist angeblich noch nie jemand entkommen.
Lese-Probe zu „Dunkle Gewässer “
Dunkle Gewässer von Joe R. LansdaLeTEIL EINS
Von Asche und Träumen
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1
In jenem Sommer hörte Daddy auf, Fische mit dem Telefon oder mit Dynamit zu fangen, stattdessen vergiftete er sie mit grünen Walnüssen. Das Dynamit richtete jedes Mal eine ziemliche Schweinerei an, außerdem hatte er sich dabei vor ein paar Jahren zwei Finger weggesprengt. Deshalb prangte auf seiner Wange auch ein Brandfleck, der auf den ersten Blick wie Lippenstift von einem Kuss aussah und auf den zweiten wie ein Ausschlag.
Fische mit dem Telefon zu fangen funktionierte recht gut, wenn auch nicht ganz so gut wie mit Dynamit, aber Daddy hatte keine Lust, so lange am Telefon zu kurbeln, bis der Draht, der ins Wasser führte, heiß genug war, um die Fische mit einem Stromschlag zu massakrieren. Er meinte, er hätte immer Angst, einer von den kleinen farbigen Jungs, die stromaufwärts von uns wohnten, könnte da draußen rumschwimmen und eine Ladung abkriegen, und der wäre dann toter als ein Baumstumpf oder hätte bestenfalls einen Gehirnschaden wie Daddys Vetter Ronnie, der nicht mal genügend Grips besaß, um sich bei Regen irgendwo unterzustellen, sondern manchmal sogar bei einem Hagelschauer im Freien rumrannte.
Meine Oma, die fiese alte Schachtel, ist ja inzwischen zum Glück tot, aber sie hat immer behauptet, Daddy hätte das zweite Gesicht, was so viel heißt, wie dass er die Zukunft sehen kann. Na ja, wenn das stimmt, hätte er doch vorher wissen müssen, dass
es keine gute Idee war, betrunken mit Sprengstoff rumzumachen, und dann hätte er auch noch alle seine Finger.
Außerdem hatte ich noch nie mitgekriegt, dass ihn groß interessierte, wie es den Farbigen geht, also dachte ich mir schon, dass das nur eine Ausrede war, um nicht mehr am Telefon rumkurbeln zu müssen. Meine Freundin Jinx Smith, die schwarz ist, konnte er nicht leiden, und er tat immer so, als wären wir was Bessres als sie und ihre Familie, obwohl sie ein kleines, aber sauberes Haus hatten und wir ein großes schmutziges mit einer durchhängenden Veranda und einem Kamin, der auf der einen Seite mit einem dicken Balken abgestützt werden musste, und in unserem Hof wälzten sich ein paar Schweine in tiefen Kuhlen. Für seinen Vetter Ronnie hatte Daddy wohl genauso wenig übrig, und er machte sich oft lustig über ihn und tat so, als würde er gegen Wände laufen und rumsabbern. Wenn er ordentlich betrunken war, musste er natürlich gar nicht erst so tun.
Andererseits konnte Daddy vielleicht doch in die Zukunft schauen, war aber einfach zu dumm, um damit was anzufangen.
Jedenfalls hatte er sich irgendwelche Jutesäcke besorgt, und er und Onkel Gene stopften da haufenweise grüne Walnüsse rein und noch ein paar Steine, wegen dem Gewicht, und sie knoteten Seile dran fest und warfen sie ins Wasser. Die Seile banden sie am Ufer an Wurzeln oder Bäume.
Ich und mein Freund Terry Thomas waren mit runtergegangen, um zuzuschauen und ihnen zu helfen, weil wir sonst nichts Besseres vorhatten. Terry wollte erst nicht mitkommen, als ich ihm davon erzählte, aber schließlich gab er nach und half mir, Säcke ins Wasser zu werfen und Fische rauszuziehen. Bei der ganzen Sache war ihm überhaupt nicht wohl, denn er konnte weder meinen Vater noch meinen Onkel leiden. Ich mochte sie auch nicht besonders, aber ich war gerne draußen, und mit Männern Männerarbeit zu machen gefiel mir. Allerdings wäre ich mit einer Schnur und
einem Haken glücklicher gewesen als mit Säcken voller Walnüsse. Trotzdem, ich war lieber am Fluss und im Freien als mit einem Mopp in der Hand im Haus.
Meine Oma väterlicherseits hat immer behauptet, ich würde mich überhaupt nicht wie ein Mädchen benehmen, und ich sollte doch daheim bleiben, einen Garten anlegen, Erbsen schälen und Frauenarbeit machen. Oma beugte sich dann immer in ihrem Schaukelstuhl vor, betrachtete mich mit verklebten Augen und sagte ohne jede Zuneigung: »Sue Ellen, wie willst du einen Mann kriegen, wenn du ums Verrecken nicht kochen und putzen kannst und auch deine Haare nie hochsteckst?«
Das war natürlich total ungerecht. Ich machte schon Frauenarbeit, so weit ich zurückdenken konnte. Nur einfach nicht besonders gut. Und wer so was schon mal getan hat, weiß, dass es echt keinen Spaß macht. Ich fand viel toller, was Jungs und Männer so machten. Was mein Daddy machte. Was ehrlich gesagt nicht besonders viel war - er fischte nur und stellte Fallen, um die Pelze zu verkaufen, schoss Eichhörnchen von den Bäumen und gab damit an, als hätte er Tiger erlegt. Die Aufschneiderei wurde besonders schlimm, wenn er zu viel Schnaps gesoffen hatte. Ich hab davon auch mal einen Schluck getrunken, aber es hat mir nicht geschmeckt. Dasselbe gilt für Kautabak und Zigaretten und alles Essen mit Grünzeug drin.
Und was das Haarehochstecken betrifft, redete Oma in Wirklichkeit über irgendwelche religiösen Dinge, und ich kapierte einfach nicht, wie sich Gott, bei allem, worum er sich kümmern musste, noch Gedanken um Frisuren machen konnte.
An dem Tag, von dem ich jetzt erzähle, tranken Daddy und Onkel Gene ein bisschen was und warfen Säcke in den Fluss, und wo die Walnüsse reinplumpsten, wurde das Wasser dunkelbraun. Nach einer Weile schwammen da dann tatsächlich ein Haufen Sonnenbarsche auf dem Rücken.
Ich und Terry standen am Ufer und schauten zu, während Daddy und Onkel Gene ins Ruderboot kletterten, sich vom Ufer abstießen und mit Netzen rausruderten, um die Fische einzusammeln wie Pekannüsse, die auf die Erde gefallen waren. Es waren so viele, dass wir wohl nicht nur heute Abend gebratenen Fisch essen würden, sondern morgen auch, und an den Tagen danach würde es Dörrfisch geben - noch eine Sache, die ich vergessen habe, auf die Liste mit den Dingen zu setzen, die ich nicht mag. Jinx sagt, Dörrfisch würde wie vollgeschissene Hosen schmecken, und ich werd ihr da nicht widersprechen. Wenn man Fisch ordentlich räuchert, ist er ganz passabel, aber Dörrfisch? Da kann man gleich auf der Zitze eines toten Hundes rumkauen.
Von dem Walnussgift starben die Fische nicht gleich, aber sie waren so betäubt, dass sie mit den weißen Bäuchen nach oben an der Wasseroberfläche trieben und mit den Kiemen zuckten. Daddy und Gene sammelten sie mit Käschern ein und taten sie in einen nassen Jutesack, um sie später auszunehmen und zu putzen.
Die Säcke mit den Walnüssen waren mit Seilen am Ufer befestigt, und ich und Terry gingen runter und wollten sie rausziehen. Die Walnüsse waren noch immer grün, also konnten wir damit ein Stück flussabwärts noch mehr Fische betäuben. Wir packten ein Seil und zogen daran, aber es war wirklich schwer, und nach einer Weile gaben wir auf.
»Wir kommen gleich und helfen euch«, rief Daddy uns vom Boot zu.
»Ich glaube, das sollten wir losschneiden«, sagte Terry zu mir. »Hat keinen Sinn, sich die Arme auszurenken.«
»So schnell geb ich nicht auf«, erwiderte ich und blickte zum Boot rüber. Es hatte ein Leck, deshalb konnten Daddy und Onkel Gene nicht lange draußen bleiben. Onkel Gene musste mit einer Kaffeekanne Wasser schöpfen, während Daddy ans Ufer zurückru-
derte. Nachdem sie das Boot an Land gezogen hatten, kamen sie uns helfen.
»Verdammt«, sagte Daddy, »diese Walnüsse sind so schwer wie 'n Ford. Oder ich hab keine Kraft mehr.«
»Du hast keine Kraft mehr«, sagte Onkel Gene. »Du bist einfach nicht mehr der Kerl, der du mal warst. Mit einem echten Mannsbild wie mir kannst du es nicht aufnehmen.«
Daddy grinste ihn an. »Teufel auch, du bist älter als ich.« »Yeah«, erwiderte Onkel Gene, »aber ich hab auf mich achtgegeben.«
Daddy stieß ein lautes Johlen aus und sagte: »Ha!«
Onkel Gene war so fett wie ein Schwein, hatte aber deutlich weniger Charakter. Trotzdem, er war ein großer Mann mit breiten Schultern und Armen so dick wie ein Pferdehals. Daddy sah nicht im Entferntesten so aus, als wär er mit ihm verwandt. Er war ein hagerer Kerl mit bleicher Haut und einer Wampe, und wenn er mal keine Schirmmütze aufhatte, dann, weil sie ihm vom Kopf gefault war. Er und Onkel Gene hatten zusammen etwa achtzehn Zähne, und die meisten davon gehörten Dad. Mama behauptete, das läge daran, weil sie ihre Zähne nicht genug putzten und Tabak kauten. Manchmal betrachtete ich ihre eingesunkenen Gesichter und musste an alte Kürbisse denken, die auf dem Feld verrotteten. Ich weiß, dass es nicht nett ist, wenn man sich vor seinen eigenen Verwandten ekelt, aber was soll ich machen?
Wir zogen also alle an dem Seil, und gerade als ich dachte, jetzt reißt es dir den Arm aus den Gelenken, tauchte der Jutesack auf. Aber nicht nur der Sack. Etwas hatte sich darin verfangen, ganz verquollen und weiß, obendrauf büschelweise langes, nasses Gras.
»Moment mal«, sagte Daddy und zog weiter.
Da sah ich, dass das keine Grasbüschel waren. Sondern Haare. Und unter den Haaren war ein Gesicht, so rund wie der Mond und so weiß wie ein Laken und so aufgedunsen wie ein Federkissen.
Ich wusste nicht sofort, wer es war, bis ich das Kleid erkannte. Es war das einzige Kleid, das ich May Lynn Baxter je habe tragen sehen. Ein Kleid mit blauen Blumen darauf und so ausgebleicht, dass kaum noch zu erkennen war, welche Farbe die Blumen mal gehabt hatten. Außerdem war es ihr inzwischen ein bisschen zu kurz geworden.
Ich hatte nur einmal erlebt, dass sie es nicht angehabt hatte, und das war, als ich und sie und Terry und Jinx uns nachts zum Schwimmen runter zum Fluss geschlichen hatten. Im Mondlicht hatte sie wunderschön ausgesehen. Splitterfasernackt, mit einer klasse Figur und mondscheinblondem Haar, das ihr bis auf die Hüfte fiel, derweil das Kleid schlaff an einem Ast hing. Sie bewegte sich wie zu einer Melodie, die wir nicht hören konnten. Damals begriff ich, dass sie zu den Mädchen gehören würde, nach denen sich unverheiratete Männer mit angehaltenem Atem umdrehten, während sich verheiratete Männer wünschten, ihre Ehefrauen würden sich in Luft auflösen. Eigentlich war sie jetzt schon so ein Mädchen.
Terry hatte ihr keine Beachtung geschenkt, aber das lag wohl daran, weil er angeblich eine Schwuchtel war. Es gibt da ein paar Gerüchte, und eins davon hat mit einem Jungen zu tun, der am anderen Ende des Flusses wohnt und für einen Sommer seine Verwandten hier in der Gegend besuchen kam. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber mir ist das so oder so egal. Ich kenne Terry schon, seit wir ganz klein waren, und was ich von der Liebe zwischen Männern und Frauen mitbekommen habe, besteht größtenteils daraus, dass Daddy herumliegt, keinen Finger rührt, sich betrinkt und Mama ins Gesicht schlägt. Einmal, nachdem er sie ziemlich heftig verprügelt hatte und fischen gegangen war, zog ein Gewitter auf, und ich lag im Bett und hoffte, ein Blitz würde ihn treffen, ihm die letzten Zähne raushauen und ihn umbringen, sodass nur noch seine rauchende Mütze übrig blieb. Ich weiß, das ist gemein, aber das hab ich halt gedacht.
Mich ärgerte, dass Mama der Meinung war, sie hätte die Prügel verdient, schließlich hätten die Männer das Sagen. So steht es in der Bibel, hat sie mir erklärt. Kein Wunder, dass ich keine Lust mehr hatte, drin zu lesen.
Hier lag May Lynn nun also, halb am Ufer, das Kleid war im Lauf der Jahre noch kleiner geworden, und jetzt war sie außerdem völlig aufgedunsen.
»Ihre Augen sind zugeschwollen«, sagte Onkel Gene. »Die ist schon eine ganze Weile da drin.«
»Das dauert nicht lange, bis du so aussiehst«, sagte Daddy. »Wenn du ertrinkst und eine Nacht nicht auftauchst, wirst du halt so. «
Urplötzlich fing May Lynn an zu zucken und auszulaufen. Sie hatte Blähungen, die wirklich furchtbar stanken, wie ein gewaltiger Furz. Die Hände waren ihr mit rostigem Draht auf den Rücken gebunden, und auch ihre Füße waren damit gefesselt und bis zu ihren Händen hochgezogen. Ihre Haut war geschwollen, wo der Draht reinschnitt - der Draht, der sich in unserem Sack verfangen hatte.
Nachdem wir sie ganz rausgezogen hatten, sahen wir, dass an ihren Füßen eine SingerNähmaschine befestigt war, mit mehreren Stücken Draht, damit es hielt. Der Draht steckte tief in ihrem Fleisch, bis auf die Knochen. Wegen dem Gewicht der Singer hatten wir sie zu viert rausziehen müssen.
»Ist das nicht May Lynn Baxter?«, fragte Daddy.
Er hatte das gerade erst begriffen - offenbar ließ sich seine Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, immer Zeit, bis die Zukunft keine mehr war. Er drehte sich um und sah mich fragend an.
Mir blieben die Worte beinahe im Hals stecken. »Sieht fast so aus. «
»Aber sie war doch noch ein Mädchen«, sagte Terry. »Sie war so alt wie wir. «
»Der Tod hat nichts mit dem Alter zu tun«, orakelte Onkel Gene. »Aber die hat das letzte Mal mit den Hüften gewackelt, das kannst du mir glauben.«
»Ich denke, wir sollten irgendwas tun«, sagte Daddy.
»Genau - wir sollten unser Seil durchschneiden und sie wieder reinwerfen«, erwiderte Onkel Gene. »Wenn sie niemand findet, wird sie deshalb auch nicht toter, und ihr Vater muss nicht erfahren, dass sie tot ist. Dann glaubt er vielleicht, dass sie nach Hollywood durchgebrannt ist oder so was. Wollte sie da nicht immer hin? Ich mein ja nur - das ist, wie wenn ein Hund stirbt, und du erzählst den Kindern nichts, und sie glauben, der Hund lebt jetzt bei jemand anders.«
»Sie hat keine richtige Familie mehr«, murmelte Terry, ohne irgendwen anzuschauen, den Blick starr auf den Fluss gerichtet. »Wir waren ihre einzigen Freunde, ich und Sue Ellen und Jinx. Sie ist kein Hund.«
Daddy und Onkel Gene ignorierten ihn einfach. Als hätte er gar nichts gesagt.
»Keine schlechte Idee«, sinnierte Daddy. »Wir schmeißen sie wieder rein. Viel getaugt hat sie eh nicht. Und das stimmt schon. Sie hat keine richtige Familie mehr, seit ihre Mutter und ihr Bruder tot sind, und ihr Daddy hängt sowieso nur an der Flasche. Schadet nichts, wenn wir sie einfach wieder versenken. Teufel auch - er hat sie nicht vermisst, als sie noch am Leben war, und jetzt, wo sie tot ist, wird er sie genauso wenig vermissen.«
»Ihr werft sie nicht wieder rein«, sagte ich.
Daddy horchte auf. Er drehte sich um und sah mich an. »Mit wem redest du in so einem Tonfall, Mädchen? Doch nicht etwa mit Leuten, die älter sind als du?«
Ich wusste, dass ich mir damit wahrscheinlich eine Tracht Prügel einhandelte, aber ich gab nicht nach. »Ihr werft sie nicht wieder rein.«
»Sie war unsere Freundin«, sagte Terry, dem Tränen in den Augen standen.
Daddy streckte den Arm aus und schlug mir mit der Handfläche auf den Kopf. Es tat weh. Außerdem wurde mir ein wenig schwindlig.
»Ich sag hier, wo's langgeht«, zischte er und beugte sich zu mir herab. Sein Atem roch nach Tabak und Zwiebeln.
»Sie haben keinen Grund, sie zu schlagen«, sagte Terry.
Daddy starrte ihn wütend an. »Vergiss du bloß nicht, wo du hingehörst.«
»Sie sind nicht mein Vater.« Terry wich einen Schritt zurück. »Wenn Sie May Lynn wieder ins Wasser werfen, verpetze ich Sie.«
Daddy sah Terry eine Weile an. Wahrscheinlich fragte er sich, ob er schnell genug war, ihn zu erwischen. Aber offenbar war ihm das zu anstrengend, denn er entspannte sich wieder. Daddy Don Wilson verschwendete keine Energie, wenn es nicht unbedingt sein musste, und manchmal selbst dann nicht.
Er verzog nur die schrumpeligen Lippen ein wenig und sagte: »War doch nur Spaß. Wir wollten sie doch gar nicht wieder rein schmeißen. Hab ich recht, Gene?«
Onkel Gene betrachtete erst Terry, dann mich.
»Bestimmt nicht«, sagte er, aber für mich klangen die Worte, als wären sie so lange auf kleiner Flamme geröstet worden, dass sie schon ganz schwarz waren.
Übersetzung: Hannes Riffel
© 2012 by Joe R. Lansdale
© 2013 by J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
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In jenem Sommer hörte Daddy auf, Fische mit dem Telefon oder mit Dynamit zu fangen, stattdessen vergiftete er sie mit grünen Walnüssen. Das Dynamit richtete jedes Mal eine ziemliche Schweinerei an, außerdem hatte er sich dabei vor ein paar Jahren zwei Finger weggesprengt. Deshalb prangte auf seiner Wange auch ein Brandfleck, der auf den ersten Blick wie Lippenstift von einem Kuss aussah und auf den zweiten wie ein Ausschlag.
Fische mit dem Telefon zu fangen funktionierte recht gut, wenn auch nicht ganz so gut wie mit Dynamit, aber Daddy hatte keine Lust, so lange am Telefon zu kurbeln, bis der Draht, der ins Wasser führte, heiß genug war, um die Fische mit einem Stromschlag zu massakrieren. Er meinte, er hätte immer Angst, einer von den kleinen farbigen Jungs, die stromaufwärts von uns wohnten, könnte da draußen rumschwimmen und eine Ladung abkriegen, und der wäre dann toter als ein Baumstumpf oder hätte bestenfalls einen Gehirnschaden wie Daddys Vetter Ronnie, der nicht mal genügend Grips besaß, um sich bei Regen irgendwo unterzustellen, sondern manchmal sogar bei einem Hagelschauer im Freien rumrannte.
Meine Oma, die fiese alte Schachtel, ist ja inzwischen zum Glück tot, aber sie hat immer behauptet, Daddy hätte das zweite Gesicht, was so viel heißt, wie dass er die Zukunft sehen kann. Na ja, wenn das stimmt, hätte er doch vorher wissen müssen, dass
es keine gute Idee war, betrunken mit Sprengstoff rumzumachen, und dann hätte er auch noch alle seine Finger.
Außerdem hatte ich noch nie mitgekriegt, dass ihn groß interessierte, wie es den Farbigen geht, also dachte ich mir schon, dass das nur eine Ausrede war, um nicht mehr am Telefon rumkurbeln zu müssen. Meine Freundin Jinx Smith, die schwarz ist, konnte er nicht leiden, und er tat immer so, als wären wir was Bessres als sie und ihre Familie, obwohl sie ein kleines, aber sauberes Haus hatten und wir ein großes schmutziges mit einer durchhängenden Veranda und einem Kamin, der auf der einen Seite mit einem dicken Balken abgestützt werden musste, und in unserem Hof wälzten sich ein paar Schweine in tiefen Kuhlen. Für seinen Vetter Ronnie hatte Daddy wohl genauso wenig übrig, und er machte sich oft lustig über ihn und tat so, als würde er gegen Wände laufen und rumsabbern. Wenn er ordentlich betrunken war, musste er natürlich gar nicht erst so tun.
Andererseits konnte Daddy vielleicht doch in die Zukunft schauen, war aber einfach zu dumm, um damit was anzufangen.
Jedenfalls hatte er sich irgendwelche Jutesäcke besorgt, und er und Onkel Gene stopften da haufenweise grüne Walnüsse rein und noch ein paar Steine, wegen dem Gewicht, und sie knoteten Seile dran fest und warfen sie ins Wasser. Die Seile banden sie am Ufer an Wurzeln oder Bäume.
Ich und mein Freund Terry Thomas waren mit runtergegangen, um zuzuschauen und ihnen zu helfen, weil wir sonst nichts Besseres vorhatten. Terry wollte erst nicht mitkommen, als ich ihm davon erzählte, aber schließlich gab er nach und half mir, Säcke ins Wasser zu werfen und Fische rauszuziehen. Bei der ganzen Sache war ihm überhaupt nicht wohl, denn er konnte weder meinen Vater noch meinen Onkel leiden. Ich mochte sie auch nicht besonders, aber ich war gerne draußen, und mit Männern Männerarbeit zu machen gefiel mir. Allerdings wäre ich mit einer Schnur und
einem Haken glücklicher gewesen als mit Säcken voller Walnüsse. Trotzdem, ich war lieber am Fluss und im Freien als mit einem Mopp in der Hand im Haus.
Meine Oma väterlicherseits hat immer behauptet, ich würde mich überhaupt nicht wie ein Mädchen benehmen, und ich sollte doch daheim bleiben, einen Garten anlegen, Erbsen schälen und Frauenarbeit machen. Oma beugte sich dann immer in ihrem Schaukelstuhl vor, betrachtete mich mit verklebten Augen und sagte ohne jede Zuneigung: »Sue Ellen, wie willst du einen Mann kriegen, wenn du ums Verrecken nicht kochen und putzen kannst und auch deine Haare nie hochsteckst?«
Das war natürlich total ungerecht. Ich machte schon Frauenarbeit, so weit ich zurückdenken konnte. Nur einfach nicht besonders gut. Und wer so was schon mal getan hat, weiß, dass es echt keinen Spaß macht. Ich fand viel toller, was Jungs und Männer so machten. Was mein Daddy machte. Was ehrlich gesagt nicht besonders viel war - er fischte nur und stellte Fallen, um die Pelze zu verkaufen, schoss Eichhörnchen von den Bäumen und gab damit an, als hätte er Tiger erlegt. Die Aufschneiderei wurde besonders schlimm, wenn er zu viel Schnaps gesoffen hatte. Ich hab davon auch mal einen Schluck getrunken, aber es hat mir nicht geschmeckt. Dasselbe gilt für Kautabak und Zigaretten und alles Essen mit Grünzeug drin.
Und was das Haarehochstecken betrifft, redete Oma in Wirklichkeit über irgendwelche religiösen Dinge, und ich kapierte einfach nicht, wie sich Gott, bei allem, worum er sich kümmern musste, noch Gedanken um Frisuren machen konnte.
An dem Tag, von dem ich jetzt erzähle, tranken Daddy und Onkel Gene ein bisschen was und warfen Säcke in den Fluss, und wo die Walnüsse reinplumpsten, wurde das Wasser dunkelbraun. Nach einer Weile schwammen da dann tatsächlich ein Haufen Sonnenbarsche auf dem Rücken.
Ich und Terry standen am Ufer und schauten zu, während Daddy und Onkel Gene ins Ruderboot kletterten, sich vom Ufer abstießen und mit Netzen rausruderten, um die Fische einzusammeln wie Pekannüsse, die auf die Erde gefallen waren. Es waren so viele, dass wir wohl nicht nur heute Abend gebratenen Fisch essen würden, sondern morgen auch, und an den Tagen danach würde es Dörrfisch geben - noch eine Sache, die ich vergessen habe, auf die Liste mit den Dingen zu setzen, die ich nicht mag. Jinx sagt, Dörrfisch würde wie vollgeschissene Hosen schmecken, und ich werd ihr da nicht widersprechen. Wenn man Fisch ordentlich räuchert, ist er ganz passabel, aber Dörrfisch? Da kann man gleich auf der Zitze eines toten Hundes rumkauen.
Von dem Walnussgift starben die Fische nicht gleich, aber sie waren so betäubt, dass sie mit den weißen Bäuchen nach oben an der Wasseroberfläche trieben und mit den Kiemen zuckten. Daddy und Gene sammelten sie mit Käschern ein und taten sie in einen nassen Jutesack, um sie später auszunehmen und zu putzen.
Die Säcke mit den Walnüssen waren mit Seilen am Ufer befestigt, und ich und Terry gingen runter und wollten sie rausziehen. Die Walnüsse waren noch immer grün, also konnten wir damit ein Stück flussabwärts noch mehr Fische betäuben. Wir packten ein Seil und zogen daran, aber es war wirklich schwer, und nach einer Weile gaben wir auf.
»Wir kommen gleich und helfen euch«, rief Daddy uns vom Boot zu.
»Ich glaube, das sollten wir losschneiden«, sagte Terry zu mir. »Hat keinen Sinn, sich die Arme auszurenken.«
»So schnell geb ich nicht auf«, erwiderte ich und blickte zum Boot rüber. Es hatte ein Leck, deshalb konnten Daddy und Onkel Gene nicht lange draußen bleiben. Onkel Gene musste mit einer Kaffeekanne Wasser schöpfen, während Daddy ans Ufer zurückru-
derte. Nachdem sie das Boot an Land gezogen hatten, kamen sie uns helfen.
»Verdammt«, sagte Daddy, »diese Walnüsse sind so schwer wie 'n Ford. Oder ich hab keine Kraft mehr.«
»Du hast keine Kraft mehr«, sagte Onkel Gene. »Du bist einfach nicht mehr der Kerl, der du mal warst. Mit einem echten Mannsbild wie mir kannst du es nicht aufnehmen.«
Daddy grinste ihn an. »Teufel auch, du bist älter als ich.« »Yeah«, erwiderte Onkel Gene, »aber ich hab auf mich achtgegeben.«
Daddy stieß ein lautes Johlen aus und sagte: »Ha!«
Onkel Gene war so fett wie ein Schwein, hatte aber deutlich weniger Charakter. Trotzdem, er war ein großer Mann mit breiten Schultern und Armen so dick wie ein Pferdehals. Daddy sah nicht im Entferntesten so aus, als wär er mit ihm verwandt. Er war ein hagerer Kerl mit bleicher Haut und einer Wampe, und wenn er mal keine Schirmmütze aufhatte, dann, weil sie ihm vom Kopf gefault war. Er und Onkel Gene hatten zusammen etwa achtzehn Zähne, und die meisten davon gehörten Dad. Mama behauptete, das läge daran, weil sie ihre Zähne nicht genug putzten und Tabak kauten. Manchmal betrachtete ich ihre eingesunkenen Gesichter und musste an alte Kürbisse denken, die auf dem Feld verrotteten. Ich weiß, dass es nicht nett ist, wenn man sich vor seinen eigenen Verwandten ekelt, aber was soll ich machen?
Wir zogen also alle an dem Seil, und gerade als ich dachte, jetzt reißt es dir den Arm aus den Gelenken, tauchte der Jutesack auf. Aber nicht nur der Sack. Etwas hatte sich darin verfangen, ganz verquollen und weiß, obendrauf büschelweise langes, nasses Gras.
»Moment mal«, sagte Daddy und zog weiter.
Da sah ich, dass das keine Grasbüschel waren. Sondern Haare. Und unter den Haaren war ein Gesicht, so rund wie der Mond und so weiß wie ein Laken und so aufgedunsen wie ein Federkissen.
Ich wusste nicht sofort, wer es war, bis ich das Kleid erkannte. Es war das einzige Kleid, das ich May Lynn Baxter je habe tragen sehen. Ein Kleid mit blauen Blumen darauf und so ausgebleicht, dass kaum noch zu erkennen war, welche Farbe die Blumen mal gehabt hatten. Außerdem war es ihr inzwischen ein bisschen zu kurz geworden.
Ich hatte nur einmal erlebt, dass sie es nicht angehabt hatte, und das war, als ich und sie und Terry und Jinx uns nachts zum Schwimmen runter zum Fluss geschlichen hatten. Im Mondlicht hatte sie wunderschön ausgesehen. Splitterfasernackt, mit einer klasse Figur und mondscheinblondem Haar, das ihr bis auf die Hüfte fiel, derweil das Kleid schlaff an einem Ast hing. Sie bewegte sich wie zu einer Melodie, die wir nicht hören konnten. Damals begriff ich, dass sie zu den Mädchen gehören würde, nach denen sich unverheiratete Männer mit angehaltenem Atem umdrehten, während sich verheiratete Männer wünschten, ihre Ehefrauen würden sich in Luft auflösen. Eigentlich war sie jetzt schon so ein Mädchen.
Terry hatte ihr keine Beachtung geschenkt, aber das lag wohl daran, weil er angeblich eine Schwuchtel war. Es gibt da ein paar Gerüchte, und eins davon hat mit einem Jungen zu tun, der am anderen Ende des Flusses wohnt und für einen Sommer seine Verwandten hier in der Gegend besuchen kam. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber mir ist das so oder so egal. Ich kenne Terry schon, seit wir ganz klein waren, und was ich von der Liebe zwischen Männern und Frauen mitbekommen habe, besteht größtenteils daraus, dass Daddy herumliegt, keinen Finger rührt, sich betrinkt und Mama ins Gesicht schlägt. Einmal, nachdem er sie ziemlich heftig verprügelt hatte und fischen gegangen war, zog ein Gewitter auf, und ich lag im Bett und hoffte, ein Blitz würde ihn treffen, ihm die letzten Zähne raushauen und ihn umbringen, sodass nur noch seine rauchende Mütze übrig blieb. Ich weiß, das ist gemein, aber das hab ich halt gedacht.
Mich ärgerte, dass Mama der Meinung war, sie hätte die Prügel verdient, schließlich hätten die Männer das Sagen. So steht es in der Bibel, hat sie mir erklärt. Kein Wunder, dass ich keine Lust mehr hatte, drin zu lesen.
Hier lag May Lynn nun also, halb am Ufer, das Kleid war im Lauf der Jahre noch kleiner geworden, und jetzt war sie außerdem völlig aufgedunsen.
»Ihre Augen sind zugeschwollen«, sagte Onkel Gene. »Die ist schon eine ganze Weile da drin.«
»Das dauert nicht lange, bis du so aussiehst«, sagte Daddy. »Wenn du ertrinkst und eine Nacht nicht auftauchst, wirst du halt so. «
Urplötzlich fing May Lynn an zu zucken und auszulaufen. Sie hatte Blähungen, die wirklich furchtbar stanken, wie ein gewaltiger Furz. Die Hände waren ihr mit rostigem Draht auf den Rücken gebunden, und auch ihre Füße waren damit gefesselt und bis zu ihren Händen hochgezogen. Ihre Haut war geschwollen, wo der Draht reinschnitt - der Draht, der sich in unserem Sack verfangen hatte.
Nachdem wir sie ganz rausgezogen hatten, sahen wir, dass an ihren Füßen eine SingerNähmaschine befestigt war, mit mehreren Stücken Draht, damit es hielt. Der Draht steckte tief in ihrem Fleisch, bis auf die Knochen. Wegen dem Gewicht der Singer hatten wir sie zu viert rausziehen müssen.
»Ist das nicht May Lynn Baxter?«, fragte Daddy.
Er hatte das gerade erst begriffen - offenbar ließ sich seine Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, immer Zeit, bis die Zukunft keine mehr war. Er drehte sich um und sah mich fragend an.
Mir blieben die Worte beinahe im Hals stecken. »Sieht fast so aus. «
»Aber sie war doch noch ein Mädchen«, sagte Terry. »Sie war so alt wie wir. «
»Der Tod hat nichts mit dem Alter zu tun«, orakelte Onkel Gene. »Aber die hat das letzte Mal mit den Hüften gewackelt, das kannst du mir glauben.«
»Ich denke, wir sollten irgendwas tun«, sagte Daddy.
»Genau - wir sollten unser Seil durchschneiden und sie wieder reinwerfen«, erwiderte Onkel Gene. »Wenn sie niemand findet, wird sie deshalb auch nicht toter, und ihr Vater muss nicht erfahren, dass sie tot ist. Dann glaubt er vielleicht, dass sie nach Hollywood durchgebrannt ist oder so was. Wollte sie da nicht immer hin? Ich mein ja nur - das ist, wie wenn ein Hund stirbt, und du erzählst den Kindern nichts, und sie glauben, der Hund lebt jetzt bei jemand anders.«
»Sie hat keine richtige Familie mehr«, murmelte Terry, ohne irgendwen anzuschauen, den Blick starr auf den Fluss gerichtet. »Wir waren ihre einzigen Freunde, ich und Sue Ellen und Jinx. Sie ist kein Hund.«
Daddy und Onkel Gene ignorierten ihn einfach. Als hätte er gar nichts gesagt.
»Keine schlechte Idee«, sinnierte Daddy. »Wir schmeißen sie wieder rein. Viel getaugt hat sie eh nicht. Und das stimmt schon. Sie hat keine richtige Familie mehr, seit ihre Mutter und ihr Bruder tot sind, und ihr Daddy hängt sowieso nur an der Flasche. Schadet nichts, wenn wir sie einfach wieder versenken. Teufel auch - er hat sie nicht vermisst, als sie noch am Leben war, und jetzt, wo sie tot ist, wird er sie genauso wenig vermissen.«
»Ihr werft sie nicht wieder rein«, sagte ich.
Daddy horchte auf. Er drehte sich um und sah mich an. »Mit wem redest du in so einem Tonfall, Mädchen? Doch nicht etwa mit Leuten, die älter sind als du?«
Ich wusste, dass ich mir damit wahrscheinlich eine Tracht Prügel einhandelte, aber ich gab nicht nach. »Ihr werft sie nicht wieder rein.«
»Sie war unsere Freundin«, sagte Terry, dem Tränen in den Augen standen.
Daddy streckte den Arm aus und schlug mir mit der Handfläche auf den Kopf. Es tat weh. Außerdem wurde mir ein wenig schwindlig.
»Ich sag hier, wo's langgeht«, zischte er und beugte sich zu mir herab. Sein Atem roch nach Tabak und Zwiebeln.
»Sie haben keinen Grund, sie zu schlagen«, sagte Terry.
Daddy starrte ihn wütend an. »Vergiss du bloß nicht, wo du hingehörst.«
»Sie sind nicht mein Vater.« Terry wich einen Schritt zurück. »Wenn Sie May Lynn wieder ins Wasser werfen, verpetze ich Sie.«
Daddy sah Terry eine Weile an. Wahrscheinlich fragte er sich, ob er schnell genug war, ihn zu erwischen. Aber offenbar war ihm das zu anstrengend, denn er entspannte sich wieder. Daddy Don Wilson verschwendete keine Energie, wenn es nicht unbedingt sein musste, und manchmal selbst dann nicht.
Er verzog nur die schrumpeligen Lippen ein wenig und sagte: »War doch nur Spaß. Wir wollten sie doch gar nicht wieder rein schmeißen. Hab ich recht, Gene?«
Onkel Gene betrachtete erst Terry, dann mich.
»Bestimmt nicht«, sagte er, aber für mich klangen die Worte, als wären sie so lange auf kleiner Flamme geröstet worden, dass sie schon ganz schwarz waren.
Übersetzung: Hannes Riffel
© 2012 by Joe R. Lansdale
© 2013 by J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
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Autoren-Porträt von Joe R. Lansdale
Joe R. Lansdale hat zahlreiche Romane und Stories in den Genres Krimi, Horror und Western verfaßt und zahlreiche Anthologien herausgegeben. Er wurde mit dem British Fantasy Award, dem American Mystery Award, dem Edgar Award und sechsmal mit dem Bram Stoker Award ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Familie in Nacogdoches, Texas.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joe R. Lansdale
- 2013, 320 Seiten, Maße: 14,8 x 21,5 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- ISBN-10:
- ISBN-13: 4250968803298
Rezension zu „Dunkle Gewässer “
»Von diesen dunklen erzählerischen Fluten kann man nur mitgerissen werden.« Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau, 13./14. April 2013 »Joe R. Lansdales "Dunkle Gewässer" ist ein mitreißender Huckleberry-Finn-Blues, der auf die Kraft der Umgangssprache setzt - und gewinnt.« Stern, 25.04.2013 »Doch bei Lansdale sprechen die reichlich gestreuten Horrorelemente die Sprache noch einer anderen literarischen Heimat, bringen einen geradezu märchenhaften Ton in die Erzählungen aus dem Herz der Südstaaten-Finsternis ... Es ist was es ist: ein großer Spaß.« Katharina Granzin, Sonntaz, 23./24. März 2013 »In der fast schon komischen Härte der Verhältnisse schimmert der Süden von William Faulkner durch, eine Floßfahrt erinnert an Mark Twain, die Irrfahrten des Odysseus werden angetippt und eine Grimm'sche Märchensituation gibt es auch ... Aber es sind gar nicht die kuriosen Ereignisse und Figuren, deretwegen man "Dunkle Gewässer" lesen sollte. Die wahre Qualität des Buches liegt in der Erzählstimme von Sue Ellen, in der konsequent aus dem ländlichen Alltag erwachsenden Bildhaftigkeit der Sprache.« Thomas Klingenmaier, Stuttgarter Zeitung, 15.03.2013 »Über den Seiten hängt der faule Geruch von Sumpf und Brackwasser, der Erinnerungen an Cormac McCarthys Tennessee-River-Roman "Verlorene" weckt, und wenn man die Augen zukneift, könnte man meinen, auf dem Floß Huck Finn und seine Gefährten zu erkennen.« Kolja Mensing, Der Tagesspiegel, 17.02.2013 » ... ein ... Roman, der sich ohne Prätention ebenso auf Mark Twain bezieht wie auf die griechische Mythenwelt.« Thomas Klingenmaier, Stuttgarter Zeitung, 23.03.2013 »Sue Ellen erzählt so lax, bissig und griffig von der blutigen Flucht, von Gewalt, madendurchsetzten Leichen und beinhartem Zweiback, dass das Gruselige immer ins Groteske
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kippt. "Dunkle Gewässer" ist ein Roman voll schwarzem Humor - und ein Albtraum.« Thomas Neubacher-Riens, Frankfurter Neue Presse, 26.03.2013 » ... [ein] Roman, der an die großen Twainschen Abenteuergeschichten anknüpft, in seiner bitteren Süße aber wiederum einzigartig ist.« Dresdner Neueste Nachrichten, 08.04.2013 »Lansdale schreibt ungeheuer plastisch und fesselnd. Er zeichnet zunächst eine Welt in schwarz-weiß, in der es nur Gute und Böse zu geben scheint. Aber dann wird der Leser mit feinen Zwischentönen überrascht. Trotzdem - oder gerade deshalb - wird alles gut, obwohl das meiste irgendwie offen bleibt. Und man ist ein bisschen überrascht, dass man schon auf der letzten Seite des Buches angelangt ist - und würde sich freuen, auch diese Geschichte nochmals neu entdecken zu können.« Die Rheinpfalz, 09.03.2013 » ... Bilder von düsterer Märchenschönheit und eine unvorhersehbare, quälend spannende Geschichte. Beste Schauerromantik.« Hartmut Wilmes, Kölnische Rundschau, 06.04.2013 »Wenn das Leben so gewalttätig und ungerecht ist, dass schon Kinder in Lumpen sarkastische Sprüche klopfen, dann ist Joe Lansdale in seinem Element. Kein anderer beschreibt die Südstaaten mit ihrem Charme und ihrer Brutalität so wunderbar ... Der Roman liest sich wie eine Mischung aus "Tom Sawyer" und "Verrückt in Alabama" - verquickt mit einer Krimi-Handlung.« Sandra Schäfer, Hamburger Morgenpost, März 2013 » ... eine düstere Variante der Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, die dem Vorbild in nichts nachsteht.« kulturnews, April 2013 »Wer nach dieser Lektüre Albträume hat, braucht sich nicht zu schämen.« Volker Isfort, Abendzeitung München, 19.03.2013 »Spannend, trickreich, sprachlich auf höchstem Niveau - pures Lesevergnügen.« Kleine Zeitung, 02.03.2013 » ... eine 16-Jährige ... Ich-Erzählerin ... führt den Leser altersentsprechend mit einer Mischung aus Scharfsinn und Naivität und einer deftigen Portion pubertärer Rebellion in eine Familienleben ein, das von Dumpfheit und Brutalität nur so durchgeschüttelt wird. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Sozialreportage und Abenteuergeschichte in der Tom-Sawyer- oder Huckelberry-Finn-Tradition - aber deftiger.« Jens Frederiksen, Rhein Main Presse, 20.03.2013 »"Dunkle Gewässer" ... überzeugt mit lebensechten und mitunter skurrilen Charakteren, einem bizarren Kriminalfall, authentischen Dialogen und unverfrorenem Humor.« Bücher, April/Mai 2013 »Spannung bis zur letzten Seite.« Badische Neueste Nachrichten, 23.02.2013 »Lansdales Stil ist einzigartig, gerade auch dann, wenn er alte Mythen in dem Plot einarbeitet.« Elke Heid-Paulus, krimikiosk.de, 18.03.2013
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